Ein Licht hinter der Tür - Janka Jakobi - E-Book

Ein Licht hinter der Tür E-Book

Janka Jakobi

4,8

Beschreibung

Nach einer Operation wacht Ursula nicht im Krankenhaus, sondern im Jenseits auf - und stellt fest: den Tod gibt es überhaupt nicht...und „der Tod ist eine echt einfache Angelegenheit“. Ganz im Gegensatz zu ihrem Leben. Hier musste Ursula immer kämpfen - als Kind um die Liebe und Anerkennung ihrer Mutter, als Frau um die Liebe der Männer mit dem Gefühl kein Glück verdient zu haben, als allein erziehende Mutter gegen ihre eigenen Schuldgefühle und zum Schluss gegen ihre Krankheit. Im Jenseits trifft Ursula auf Celine, ihre Seelenbegleiterin, die sie an der Decke des Operationssaales in Empfang nimmt. Celine führt sie in die neue Welt ein und begleitet sie durch beängstigende, verwirrende und beglückende Erlebnisse. Durch die Rückschau auf ihr vergangenes Leben gewinnt Ursula tiefe Einsichten in ihr Dasein und ihre Existenz. Zusammenhänge im „Strickmuster“ des Lebens treten nun hervor und vieles erhält im Nachhinein einen Sinn. Ursulas Tochter Sabine versucht derweil im Diesseits mit ihrer Trauer zurecht zu kommen und den Nachlass ihrer verstorbenen Mutter zu regeln. Schließlich verarbeiten beide ihr gemeinsames Leben als Mutter und Tochter: Sabine im Diesseits, Ursula im Jenseits und zusammen in einer Zwischenwelt, die Sabine im Traum betreten kann. Durch den Verlust ihrer Mutter befasste sich die Autorin sehr intensiv mit der Thematik des Jenseits. Das Ergebnis ihrer Recherchen und die Erfahrung mit ihrer eigenen Trauer, verarbeitete sie zu dieser „Reiseerzählung aus dem Jenseits“. Der Tod ist keine Endstation. Er ist ein Übergang zwischen zwei Welten. Trauernde erhalten durch diese kleine Geschichte eine Option, wie das Leben der Verstorbenen aussehen könnte - aber nicht muss - denn es kann auch alles ganz anders sein! Religiöse Überzeugungen spielen hier keine Rolle. Der Leser kann sich - unabhängig von seinem Glauben und seinen Jenseitsvorstellungen - dazu anregen lassen, das Leben einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und sich selbst in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

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Für meine Mutter in Liebe und Dankbarkeit

Der Tod ist das Tor zum Leben

Vorwort von Bernard Jakoby

Das Buch von Janka Jakobi »Ein Licht hinter der Tür - Eine Reiseerzählung aus dem Jenseits« habe ich mit großem Genuss und Gewinn an Einsichten über die andere Welt gelesen. Es gelingt der Autorin so glaubwürdig ein mögliches Jenseitsszenarium zu schildern, dass man beim Lesen das Gefühl hat, als hätte die Autorin höchstpersönlich diese Übergänge erlebt.

Das Buch ist als Roman verfasst, in dem die Autorin zunächst vom Sterben ihrer Mutter berichtet. Durch den Verlust ihrer Mutter befasste sie sich intensiv mit der Jenseitsthematik und verarbeitete ihre Erkenntnisse in ihrer Erzählung. Das Ganze liest sich wie ein Sachbuch und stimmt meines Erachtens mit allem heute vorliegendem Wissen über das Jenseits überein.

Als Sterbeforscher habe ich mich in den letzten 30 Jahren intensiv mit allen Aspekten des Sterbens, der Nahtoderfahrungen, der Nachtodkontakte und des Lebens danach auseinandergesetzt. Ich habe zahlreiche Sachbücher zu diesen Themen veröffentlicht.

Janka Jakobi ist es gelungen, das heutige Wissen darüber, was uns nach dem Tod erwartet, transparent zu machen: Der Tod ist nicht das Ende, und wir sind alle eingebunden in einen höheren Sinnzusammenhang, da wir ewige geistige Wesen sind. Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die sich mit dem Verlust eines geliebten Menschen auseinandersetzen müssen. Trauernde können nach der Lektüre verstehen, was uns nach dem Tod erwartet und dass wir von den Verstorbenen nicht getrennt sind. Liebe überwindet alle Barrieren.

Berlin, März 2016

Bernard Jakoby

Sterbeforscher und Autor

Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die letzten Tage

Verlorene Hoffnungen

Übergang

Ankunft

Himmel und Hölle

Beerdigung

Was ist wirklich?

Aufträge und Begleiter

Eine unerwartete Begegnung

Sabines Trauer

Theater, Theater...

Fixpunkte des Lebenstheaters

Regie des Lebenstheaters

Ursulas Lebensrückschau

Traumbegegnung

Erinnerungen

Angekommen

Vorspann

Ich bin ganz leicht. Geradezu beschwingt. Ich sehe alles von oben. Menschen in grünen Kitteln sind ganz aufgeregt. In der Mitte ist ein länglicher Tisch. Darauf liegt jemand. Neben dem langen Tisch steht ein kleiner Tisch. Darauf liegen allerhand Geräte. Messer, Skalpelle, Scheren und weiteres Werkzeug, das ich nicht näher zuordnen kann. Die Menschen in den grünen Kitteln, wahrscheinlich Ärzte, versuchen aufgeregt etwas mit demjenigen, der da auf dem Tisch liegt, zu machen. Ich träume wohl gerade von einer Operation. Kein Wunder bei den vielen, die ich jetzt schon hinter mir habe. Interessant ist, dass ich alles von oben betrachte. Lass sie nicht sterben. Bitte nicht. Sie hat bis hierhin so tapfer durchgehalten. Bitte nicht…Wessen Stimme ist das? Ich glaube, ich höre die Gedanken der im Raum anwesenden Menschen. Oh nein, sie wird es nicht schaffen. Ich frage mich, um welchen armen Teufel es sich da auf dem OP-Tisch handelt. Scheint nicht gut um ihn zu stehen. Plötzlich werden alle im Raum ganz ruhig. Seltsam. Ihre Bewegungen werden langsamer. Sie drehen an den Knöpfen der Geräte, die um den Tisch herum aufgebaut sind. Die Person auf dem Tisch ist durch mehrere Kabel mit den Geräten verbunden. Nachdem die Ärzte an den Knöpfen gedreht haben, entfernen sie die Kabel von der Person, dann ziehen sie ihr ein weißes Tuch über den Körper. Die Person auf dem Tisch scheint soeben gestorben zu sein. Ja, so kann es gehen. Ganz schnell. Ich sehe einen Mann, der sich seinen grünen Mundschutz langsam über den Kopf streift. Er sieht erschöpft und unendlich traurig aus. Ich zoome näher heran und erkenne Dr. Hilbig. Dr. Hilbig? Wen hat er denn da gerade operiert? Er sollte doch mich jetzt eigentlich unter seinem OP-Messer haben? Wieso hat er denn jemand anderen operiert? Ich versuche mich bemerkbar zu machen. „Dr. Hilbig? Dr. Hilbig...“ Aber er reagiert nicht.

„Er kann dich nicht hören.“, sagt eine Stimme links neben mir. Ich schaue mich um. Da ist eine Frau. Sie lächelt mich an. Wer ist sie? Sie kommt mir seltsam vertraut vor. Aber ich erkenne sie nicht. Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen. Meint die wirklich mich? Oder ist da noch jemand? Aber sie scheint mich zu meinen. Wie ich schwebt sie in der oberen linken Ecke des Raumes. Ich bin irritiert. Das ist bestimmt noch die Auswirkung der Narkose. Man hört ja schon mal, dass man so allerlei Phantasien während der Narkose hervorbringt. Ich habe sogar mal gelesen, dass man dann alles von oben sehen kann.

„Nein, die Narkose ist es nicht. Du träumst auch nicht.“

Mir wird langsam mulmig. Was hat das hier alles zu bedeuten? Wer ist diese Frau?

„Die Person auf dem Tisch da, das bist du. Du bist soeben gestorben.“

„Ich? Blödsinn! Ich bin doch da! Hier….“, sage ich, und während ich an mir herunter sehe, bemerke ich eine leichte Durchsichtigkeit meines Körpers. Das muss eine sehr heftige Narkose gewesen sein.

„Doch Ursula. Du bist eben gestorben, aber wie du richtig feststellst, lebst du auch noch. Nur deine Zeit auf der Erde ist soeben abgelaufen“, sagt diese seltsame Frau nüchtern.

Ihre Lippen bewegen sich beim Sprechen keinen Deut, obwohl ich ihre Worte klar und deutlich höre. Aber was sagt sie denn da? Ich soll der arme Teufel da unten sein?

„Abgelaufen?“, frage ich, „Wie meinst du das?“ Ich stelle plötzlich fest, dass mein Körper nicht schmerzt. Er schmerzt seit den letzten sechs Monaten eigentlich dauernd. Außer wenn ich schlafe. Dann habe ich Ruhe. So wie jetzt.

„Du schläfst nicht. Du träumst auch nicht. Du bist nur gestorben. Du hast die Ebene gewechselt. Hier gibt es keine körperlichen Schmerzen. Deine Zeit ist soeben abgelaufen.“

Absurderweise fällt mir gerade jetzt die Zeile eines Sankt-Martin-Liedes aus meiner Kindheit ein: Mein Licht ist aus, ich geh nach Haus. Rabimmel rabammel rabum bum bum....

Die letzten Tage

20. Juli 2007, eine kleine Stadt im Westen Deutschlands:

Sechs Wochen war sie nun schon im Krankenhaus. Bereits das zweite Mal in diesem Jahr. Obwohl es zehn Uhr am Abend war, lag noch immer eine Schwüle in der Luft, die einem die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Normalerweise war der Juni für sie immer die schönste Zeit im Jahr gewesen. Dieses Jahr hätte sie besonders schön werden sollen. Mit ihrer Schwester Hanne war eine Fahrt mit dem Glacier-Express durch die Schweizer Alpen geplant gewesen. Immer hatte sie von einer solchen Fahrt geträumt. Aber entweder hatte das Geld gefehlt oder die Zeit und so war lange nichts daraus geworden. Dann hatte sie sich ihren Traum vor sechs Monaten zu ihrem siebzigsten Geburtstag gewünscht und das Geschenk auch bekommen.

Sie erinnerte sich an das wundervolle, große Fest, das sie schon lange vorher gemeinsam mit ihrer Tochter Sabine geplant hatte. Für die Einladungskarten waren ein Text und zwei Fotografien ausgesucht worden. Ein Bild zeigte sie als fünfjähriges Mädchen mit einer Zipfelmütze und ausgeleierten Strümpfen in Schuhen, die auf dem Foto nicht mehr sichtbar waren. Der erste Abschnitt eines Spruches von Sören Kierkegaard: „Leben kann man nur vorwärts,…“ wurde daneben platziert. Der zweite Teil: „.. das Leben verstehen nur rückwärts.“ neben einem Foto als Erwachsene. Auf diesem Bild lächelte sie aufmunternd und voller Unternehmungslust als dreiundsechzigjährige Frau in die Kamera. Ihre Haare waren damals noch fast schwarz gewesen und zu einem Pagenkopf geschnitten. Eine Frisur, die sie seit ihrem zweiunddreißigsten Lebensjahr trug, seit Sabines Geburt. Sie war praktisch, wenn man ein Kind zu versorgen hatte und trotzdem noch weiblich schön. Ansonsten fand sie sich, trotz gegenteiliger Aussagen, nicht besonders attraktiv. Vor allem ihre Nase ragte viel zu groß aus einem schmalen Gesicht heraus, aber das Haar war immer ihr ganzer Stolz gewesen. Voll und kräftig war es. Außerdem mochte sie bis heute und allen wechselnden Moden zum Trotz den Pony ihres Pagenschnitts: Er verdeckte zuverlässig ihre zu hohe Stirn.

Bereits am Tag vor ihrem Geburtstag war ihre Familie (Schwester, Nichte und Neffe mit Frau) aus dem Schwarzwald angereist und übernachtete in einem nahe gelegenen Hotel. All ihre Freunde hatte sie eingeladen. Zum Glück hatte Sabine sie davon überzeugt, auswärts zu feiern. Das strapazierte zwar ihren Geldbeutel, schonte dafür aber die Nerven.

Trotzdem war sie am Tag vorher sehr nervös gewesen. Alles sollte perfekt werden. Sie schmückte ihre Wohnung und deckte den Tisch. Am Geburtstagsmorgen sollte die Familie aus dem Schwarzwald, ihre Tochter mit Mann aus Köln, und ihr Exmann Wolfgang, Sabines Vater, zu einem Sektfrühstück kommen. Das Verhältnis zu ihrem Exmann war sehr zwiespältig, immer noch, fünfunddreißig Jahre nach der Scheidung. Durch ihre Tochter Sabine sahen sie sich weiterhin regelmäßig. Seine Gefühle ihr gegenüber, da war sie sich sicher, waren eher brüderlich. Sie jedoch liebte ihn noch immer. Die daraus resultierenden Schmerzen schlugen nicht selten in hilflose Wut gegen ihn um. Es war ein ewiges Wechselbad der Gefühle. Ihrer Tochter zuliebe versuchte sie das zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht immer.

Um elf Uhr morgens standen alle vor ihrer Tür. Natürlich hatte sie, neben dem Sektfrühstück, auch für einen Mittagssnack gesorgt und ein `kleines Süppchen´ zubereitet. Schon immer hatte sie die Tendenz, ihre Gäste überzuversorgen. Ein Einfaches `Nein, danke, ich bin satt´ ließ sie nicht gelten. Sie ging davon aus, dass andere die gleichen Hemmungen hatten, wie sie selbst. Am frühen Nachmittag verließen alle Ursulas Wohnung, in der festen Überzeugung, auf dem Fest am Abend bestimmt nichts mehr essen zu können.

Gemeinsam mit Sabine und ihrem Schwiegersohn Paul war Ursula schon eine Stunde vorher zum Restaurant gefahren, um Tischkarten aufzustellen und noch einiges mit den Kellnern abzusprechen. Sie war sehr aufgeregt, aber die Anwesenheit von Sabine und Paul beruhigte sie. Als dann endlich die ersten Gäste kamen, und im Kaminzimmer mit Sekt begrüßt wurden, entspannte sie sich zusehends. Eigentlich stand sie nicht gerne im Mittelpunkt. Aber jetzt genoss sie es in vollen Zügen.

Neben ihrer Verwandtschaft, waren viele Freunde und Bekannte gekommen. Einige hatte sie mitunter Jahre nicht gesehen. So ihre ehemaligen Kolleginnen der Modefirma, für die sie lange Zeit bis zu ihrer Rente Schnitte entworfen hatte. Schon als junges Mädchen war sie an Mode interessiert gewesen. Sie entwarf und nähte all ihre Kleider selbst. Obwohl man ihr während der Volksschule ein Stipendium für das Gymnasium angeboten hatte (während und nach dem 2. Weltkrieg kostete der Besuch der höheren Schule noch Geld), bevorzugte sie es weiterhin zur Volksschule zu gehen. Sie wollte ihre Freundin nicht verlassen. So machte sie nach dem Schulabschluss eine Schneiderlehre, statt an einer Fachhochschule Design zu studieren. Sie lebte allein mit ihrer Mutter, da ihre Eltern im Krieg geschieden worden waren und die Mittel waren knapp. Ihre neun Jahre ältere Schwester war inzwischen verheiratet und ausgezogen. So musste sie selbst Geld zum gemeinsamen Lebensunterhalt dazuverdienen. Häufig war sie traurig und wütend über diesen Verlauf der Dinge, da sie in der Modebranche ohne Studium nicht weiter aufsteigen konnte. Trotzdem hatte sie an ihrem anstrengenden Beruf immer auch Freude gehabt.

Das Fest wurde ein voller Erfolg. Das Essen war köstlich und die Atmosphäre herzlich. Selbstgedichtete Zeilen ihrer Freundinnen hatten ihr Tränen der Rührung und Belustigung in die Augen getrieben. Das schöne an Geburtstagen war, dass man von seiner Umwelt mit Freude, Harmonie und Wertschätzung bedacht wurde. Alle waren einem gut gesonnen. Alles war leicht. Der Geburtstag schien sich wie eine Schutzhülle um sie zu legen. Sie hatte sich gewünscht, er würde nie vorbei gehen. Aber er ging natürlich vorbei. Was aber blieb, war ihre Reise mit dem Glacier-Express. Jetzt im Juni hätte es endlich soweit sein sollen. Aber dann kam alles anders...

Mühsam rollte sich Ursula mit ihren vier Schläuchen aus dem Bett, um auf die Toilette zu gehen. Schritt für Schritt schob sie den Infusionsständer, an dem die künstliche Nahrung und ihre Körperflüssigkeiten in Beuteln hingen, durch das Zimmer. Sie nahm sich in Acht, nicht aus Versehen einen Schlauch aus ihrem Körper zu reißen. Gestern Nacht war sie zu ruckartig aufgestanden…und schon war es passiert: Bett, Nachthemd, der Boden, alles war versaut. Sie musste lange auf die Nachtschwester warten. Das Personal im Krankenhaus war völlig überlastet. Sie mochte die Schwestern, die Pfleger und die Ärzte. Sie wusste auch, dass sich alle die größte Mühe gaben. Trotzdem verzweifelte sie zuweilen, denn sie war kaum in der Lage sich selbst zu helfen. Wenigstens hatte sie ein Einzelzimmer mit eigenem Bad. Das war für eine Kassenpatientin nicht selbstverständlich. Diesen `glücklichen´ Umstand hatte sie einem ansteckenden Keim zu verdanken, der sich seit ein paar Tagen in ihrem Körper eingenistet hatte.

Nachdem sie den Toilettengang ohne größeres Missgeschick hinter sich gebracht hatte und nun erschöpft wieder im Bett lag, blickte sie kritisch auf die an ihr befestigten Beutel. Verfärbte sich die Flüssigkeit darin bräunlich, war die Narbe wieder aufgegangen und das Drama begann von vorne. Das konnte von der einen zur anderen Sekunde passieren. Und…die Flüssigkeit war wieder leicht trübe. „Nein“, murmelte Ursula, „nicht schon wieder.“ Sie war so müde. In den letzten fünf Wochen war sie nahezu jeden zweiten bis dritten Tag operiert worden. Zwei Löcher in ihrem Dünndarm, die durch mehrere lokale Chemotherapien entstanden waren, wollten partout nicht heilen. Die Chemo hatte ein so genanntes Gallertkarzinom, eine Art Schleimtumor, in Schach halten sollen, das seit fünf Jahren ihren Bauchraum okkupierte und sich dort auf und zwischen die Organe heftete und sie langsam zusammendrückte. Während dieser Zeit war sie viermal operiert worden. Die letzte Operation Anfang des Jahres hatte eigentlich die harmloseste von allen werden sollen, da das Rezidiv, das man im CT gefunden hatte, nur sehr klein war. Damals rechnete sie damit, innerhalb von zehn Tagen wieder zu Hause zu sein. Aber dann stellten sich Komplikationen ein und sie musste noch weitere sechs Wochen im Krankenhaus verbringen. Nach einem einmonatigen Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik und einer Woche zu Hause wurde sie von ihrem Hausarzt wegen ihrer schlechten Blutwerte erneut ins Krankenhaus eingewiesen. Hier stellte man fest, dass die Wand ihres Dünndarms löchrig war.

Man bekommt etwas gegen das Eine und das macht einem das Andere kaputt.

Zum Glück waren trotz der vielen Operationen Blutdruck und Puls stabil. Alle staunten, wie gut sie die Strapazen aushielt, was daran lag, dass sie die Schmerzen vor ihren Besuchern verbarg und die Verzweiflung über ihren hilflosen Zustand für sich behielt. Sie hasste es, zu jammern und anderen zur Last zu fallen. Außerdem tat es ihr gut, wenn sie für ihre Tapferkeit bewundert wurde. Ihr Name war schließlich Ursula und das bedeutet `kleine Bärin´. Aber mit jeder Operation schwanden ihre Kräfte mehr und mehr. Hinzu kamen noch die üblichen Unannehmlichkeiten, wie zum Beispiel der `Nasenschnorchel´, der nach jeder Operation zur Nahrungsaufnahme in ihre Nase gelegt wurde. Da sie so oft in den letzten Wochen operiert worden war, entfernten die Ärzte ihn gar nicht mehr. Dabei war er kaum zu ertragen. Er kratzte im Hals und der dadurch entstehende Husten wurde durch die Operationsnarbe zur Qual. Auch das Sprechen und Schlucken fiel ihr sehr schwer. Am liebsten würde sie sich alle Schläuche rausreißen und einfach davon laufen. Und dann? Oder aber nach der nächsten Operation nicht mehr aufwachen. Dieser Gedanke ließ sie mitunter leichter werden. Das einzige, was sie noch aufrecht hielt, war die Fürsorge ihrer Tochter Sabine und die des Oberarztes Dr. Hilbig. Von ihm wurde sie wenigstens als Mensch und nicht wie irgendeine Nummer behandelt, die zufällig auf der Station lag. Er war einfach rührend. Täglich kam er vorbei, um sich nach ihrem Zustand zu erkundigen. Dabei hielt er auch schon mal ihre Hand und vor allem sprach er immer aufrichtig mit ihr. Dr.Hilbig und ihre Tochter waren die einzigen Lichtblicke in ihrem meist öden und oft schmerzvollen Krankenhausalltag. Sabine besuchte sie jeden zweiten Tag. und reiste aus dem 70 km entfernten Köln an, wo sie seit einigen Jahren mit ihrem Mann Paul lebte.

Ursula war sehr stolz auf ihre einzige Tochter. Früher hatte sie oft ein schlechtes Gewissen geplagt. Sie glaubte, als allein erziehende, berufstätige Mutter ihrer Tochter nicht genügend Zeit in der Kindheit und Jugend gewidmet zu haben und sie war neidisch gewesen. Neidisch auf all diejenigen Mütter, die die Verantwortung für ihre Kinder mit einem Mann teilen konnten. Sabine hatte einen schlechten Start in der Schule. Sie war gleichgültig und nachlässig. Aber nach der Grundschulzeit entwickelte sie eine Selbstständigkeit, die sich unter anderem auch positiv auf ihre Noten auswirkte. Nach dem Abschluss der Realschule wechselte sie zum Gymnasium und machte ihr Abitur. Als sie nach erfolgreich abgeschlossener Lehre Psychologie studierte, war das Balsam für Ursulas Gewissen und sie begann sogar ein wenig prahlerisch zu werden, da Sabine die erste Akademikerin in der Familie war. Mit dreißig Jahren lernte Sabine dann Paul kennen, einen Kunstlehrer, der ebenfalls nach Köln gezogen war. Vier Jahre später heirateten die beiden. Er war ein Schwiegersohn wie aus dem Bilderbuch: liebenswürdig, freundlich, fürsorglich und - wie Ursula auch - an Kunst interessiert. Sie hatte ihn gern wie den Sohn, den sie sich nach Sabines Geburt immer noch gewünscht hatte. Jetzt besuchten sie zu dritt Ausstellungen oder trafen sich zum Kaffee und hier in die Klinik kam Paul auch regelmäßig mit zu Besuch.

Sie war von der Liebe der beiden sehr angerührt, wunderte sich aber manchmal, wie gut das ungleiche Gespann miteinander auskam. In Wesen und Temperament waren sie grundverschieden. Sabine neigte zu hektischem Aktionismus und war von einer ständigen inneren Unruhe getrieben, während Pauls Ausstrahlung und Handlungen meist von Bedacht und Ruhe geprägt waren. Beide zusammen zu erleben, entbehrte manchmal nicht einer gewissen Komik, die Ursula oft schmunzeln ließ. Das Wichtigste aber war: ihre Tochter war glücklich und sie als Mutter beruhigt.

Sabine und Ursula hatten versucht, eine gewisse Routine zu entwickeln, was die Krankenhausbesuche anbelangte. Das gab ihnen ein wenig Sicherheit in diesem nun schon monatelangem Auf und Ab. In den Tagen dazwischen telefonierten sie oft. Wenn Sabine kam, hatte sie meist eine Kleinigkeit dabei, die Ursulas Tag aufhellte. Dann zauberten selbst gepflückte Narzissen einen Hauch von Frühling in das sterile Krankenzimmer, oder sie brachte Zeitschriften mit und ab und zu ein schönes Bild, wie zum Beispiel die Karte mit den violetten Lavendelfeldern aus einem Provence-Postkartenkalender. Gemeinsam suchten sie dafür einen Platz und als die Krankenschwester einmal ins Zimmer kam, um Ursula Blut zu entnehmen, meinte sie lachend: „Hier sieht es ja fast wohnlicher aus, als bei mir zu Hause.“ Aber irgendwie musste sie es sich ja nett einrichten. Zumal mit jedem Tag ihre Befürchtungen wuchsen, ihr Zuhause nicht mehr wieder zusehen.

Dr. Hilbig kam zur Tür herein und inspizierte den Inhalt der Beutel.

„Und wie geht es Ihnen heute?“, fragte er und runzelte kritisch die Stirn beim Blick auf die trübe Flüssigkeit. „Hm, das sieht ja nicht so gut aus. Ich glaube da müssen wir noch mal ran.“ Er setzte sich auf den Stuhl neben Ursulas Bett. Ursula ließ sich in das Kissen sinken und blickte auf ihre Hände. „Das habe ich befürchtet. Ich bin doch erst gestern operiert worden. Die Abstände werden ja immer kürzer. Jetzt hält die Narbe nicht mal mehr zwei Tage. So kann das doch nicht weitergehen“, sagte sie verzweifelt.

Dr. Hilbig schaute sie mitfühlend an. „Ehrlich gesagt: wir sind auch ratlos. Und wir operieren sie auch erst morgen, damit sie noch etwas Kraft sammeln können.“

Kraft sammeln... bis morgen. Wie soll das gehen? Woher soll die Kraft denn noch kommen, dachte sie verbittert, als Dr. Hilbig weiter sprach: „Und ich denke nun doch darüber nach, Ihnen einen künstlichen Darmausgang zu legen, der vielleicht in ein paar Monaten wieder zurück verlegt werden kann.“