Ein paar Tränen werde ich weinen um dich - Peter R. Lehman - E-Book

Ein paar Tränen werde ich weinen um dich E-Book

Peter R. Lehman

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Beschreibung

Seit die hübsche Julie als Kindermädchen bei dem kleinen Sohn Gilbert des Bankiers Gérald Baron de Gravelines arbeitet, entwickeln sich die Dinge entschieden anders, als Julie dachte. Sie wollte den Job nur aus einem einzigen Grund: Gérald hat vor einigen Jahren ihre Schwester Catherine verführt und sie dann wegen Gilberts Mutter, der spanischen Opernsängerin Maxima, schmählich im Stich gelassen. Jetzt will Julie ihre Schwester rächen! Aber als sie Gérald näher kennen lernt, muss sie feststellen, dass er nicht nur ungemein attraktiv, charmant und aufmerksam ist, sondern ausgesprochen liebevoll mit dem kleinen Gilbert umgeht. Und wo die Mutter des Kindes ist, ist Julie auch ein Rätsel. Trotzdem, sie ignoriert ihre Gefühle für Gérald, die täglich stärker werden. Sie will ihn verführen, um ihn dann sitzen zu lassen. Leiden soll er, wie damals Catherine...

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

EPILOG

PROLOG

Seit die hübsche Julie als Kindermädchen bei dem kleinen Sohn Gilbert des Bankiers Gérald Baron de Gravelines arbeitet, entwickeln sich die Dinge entschieden anders, als Julie dachte. Sie wollte den Job nur aus einem einzigen Grund: Gérald hat vor einigen Jahren ihre Schwester Catherine verführt und sie dann wegen Gilberts Mutter, der spanischen Opernsängerin Maxima, schmählich im Stich gelassen. Jetzt will Julie ihre Schwester rächen! Aber als sie Gérald näher kennen lernt, muss sie feststellen, dass er nicht nur ungemein attraktiv, charmant und aufmerksam ist, sondern ausgesprochen liebevoll mit dem kleinen Gilbert umgeht. Und wo die Mutter des Kindes ist, ist Julie auch ein Rätsel. Trotzdem, sie ignoriert ihre Gefühle für Gérald, die täglich stärker werden. Sie will ihn verführen, um ihn dann sitzen zu lassen. Leiden soll er, wie damals Catherine…

1. KAPITEL

Juliette de Rougepeyre hatte Angst, in diesem Moment einen fürchterlichen Fehler zu begehen. Als das Taxi schließlich langsam auf Nizzas Prachtboulevard Victor Hugo fuhr, war sie überzeugt davon, sich völlig falsch zu verhalten.

Und es wäre so einfach, alles rückgängig zu machen. Ihre Partnerin, Christine Delon, müsste nur bei Baron de Gravelines anrufen, sich entschuldigen und erklären, dass Madame Rougepeyre leider nicht in der Lage sei, zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen. Und dass sie sich selbstverständlich bemühen werde, ein anderes qualifiziertes Kindermädchen für seinen kleinen Sohn zu finden.

Aber das kommt gar nicht in Frage! ermahnte sich Juliette, die von ihren Freunden nur Juliegenannt wurde. Ich werde nicht im letzten Moment einen Rückzieher machen und damit Christine Recht geben. Das liegt einfach nicht in meiner Natur.

Christine hatte aufgeregt gesagt: „Julie, bist du verrückt geworden? Das kannst du doch nicht tun! Du bist doch überhaupt nicht ausgebildet und weißt rein gar nichts über Kindererziehung! Das ist viel eher mein Spezialgebiet. Denk doch an den guten Ruf unserer Agentur!“

Zum ersten Mal hatte Julie ihre Partnerin deutlich darauf hingewiesen, wer eigentlich den Ruf der Agentur aufgebaut hatte. Außerdem hatte sie hinzugefügt: „Ich habe mich die ganzen Jahre nur um die Verwaltung gekümmert, und jetzt möchte ich auch mal ein paar praktische Erfahrungen sammeln. Lass mir doch die Freude, Christine!“ Sie hatte ihre Kollegin und Freundin fröhlich und selbstbewusst angestrahlt. „Es kann doch nicht so schwer sein, sich um ein Kind zu kümmern“, antwortete sie selbstsicher. „Millionen von Frauen können das tun, und wenn ich dabei in Schwierigkeiten geraten sollte, werde ich mich schon melden. Ich habe mir auch ein Bein für die Agence du Soleil ausgerissen. Ich würde nie etwas tun, um unserem guten Ruf zu schaden.“

Der Teil über die praktischen Erfahrungen war eine glatte Lüge gewesen. Julie suchte nur eine gut klingende Entschuldigung für ihren verrückten, spontanen Entschluss, der absolut nicht zu ihrer rationalen Persönlichkeit passte.

Aber ist es eigentlich verrückt, sich rächen zu wollen?

Sie hatte in ihrem eigenen Büro gesessen, als ihre Sekretärin Yvette vor einigen Tagen Baron de Gravelines in Christines Büro geführt hatte. Julie war sofort bewusst g6ewesen, wer dort in ihrer Agentur aufgetaucht war, obwohl sie ihm noch nie begegnet war.

Vor einiger Zeit war sein Photo in allen Zeitungen gewesen. Gutaussehend, mit einem zärtlichen Lächeln für die reizende junge Braut in seinem Arm, hatte er sich vor einer kleinen Kirche ablichten lassen. Und von Angesicht zu Angesicht sah er mindestens genauso gut aus.

„Warum ist er hier?“ fragte Julie und bemühte sich um einen sachlichen, professionellen Tonfall.

„Ein Wahnsinnstyp, oder?“ Yvette strich sich den Rock über ihren Hüften glatt. „Er hat heute früh angerufen, bevor du im Büro warst. Anscheinend sind die Gravelines vor ein paar Tagen aus dem Ausland gekommen und brauchen für kurze Zeit ein Kindermädchen, bis sie ein neues Haus in der Provence gefunden haben. Die Glückliche, ich beneide sie jetzt schon um ihre Arbeit! Ich frage mich, wie seine Frau wohl ist?“

Genau zu diesem Zeitpunkt war Julie klar, was sie zu tun hatte. Sie hätte ihrer Sekretärin genau sagen können, wer seine Frau war und wie atemberaubend sie aussah. Aber dann hätte sie auch ihre Wut und ihren Ärger nicht zurückhalten können, und so sagte sie lieber nichts.

Das Taxi hielt jetzt vor dem Hotel, in dem die Familie Gravelines wohnte, und Julie ging beim Aussteigen schnell im Kopf noch ein paar wichtige Dinge durch, auf die sie beim bevorstehenden Vorstellungsgespräch unbedingt achten wollte.

Ein gutes Kindermädchen ist souverän im Auftreten und sollte um ein gediegenes Aussehen bemüht sein. Nun ja, was diesen Punkt betraf, habe ich mir wirklich viel Mühe gegeben.

Die obligatorische Uniform für Kindermädchen der Agence du Soleil bestand aus einem blauen Leinenkostüm und einem weißen Baumwollhemd darunter. Dazu trug Julie flache Schuhe und hatte ihre halblangen dunkelblonden Haare unter einem altmodischen Hut versteckt.

Vielleicht sollte ich mein Anliegen lieber sofort hervorbringen, bevor man mich durchschaut und hinauswerfen lässt. Aber ich hätte gern mehr Zeit, um einen geeigneten Rachefeldzug zu planen. Und dafür muss ich diese Stelle bekommen!

Nachdem sie den Taxifahrer bezahlt hatte, streckte sie sich und betrat entschlossen das Hotel. Sie hätte von Gérald Baron de Gravelines, dem jung aufgestiegenen Bankier, Präsident eines renommierten, Pariser Bankhauses, erwartet, dass er sich eine kultivierte, moderne Bleibe für seinen Aufenthalt in Nizza aussuchen würde. Aber vielleicht hat ja seine Frau auf einen Ort wie diesem bestanden! Das Hotel machte auf Julie einen sehr gemütlichen, aber auch recht altmodischen Eindruck.

Sie zuckte die Achseln. Das ist nicht wichtig, dachte sie und spürte, dass sie immer aufgeregter wurde. Viel wichtiger ist, dass ich meine Panik unter Kontrolle halte.

Bisher hatte sie alles in ihrem Leben immer bis ins kleinste Detail geplant. Und die unerträgliche Aufregung, die sie seit ihrem spontanen Entschluss permanent verspürte, war ihr völlig fremd.

Wenn wirklich alles hart auf hart kommt und ich sofort wieder hinausgeschickt werde, bitte ich ihn einfach um ein Gespräch unter vier Augen, nahm sie sich fest vor. Ich werde mein Anliegen bestimmt nicht in Gegenwart seiner Frau vorbringen. Maxima de Gravelines ist ja auch nicht die Schuldige!

Mit steifen Schritten näherte sie sich der Rezeption. Es wird schon werden, ermutigte sie sich selbst. Diese Gelegenheit ist Schicksalsfügung, es kann doch gar nichts mehr schiefgehen!

Die Einrichtung des Wohnzimmers, in das sie von einem Hotelpagen geführt wurde, hatte den gleichen attraktiven Charme wie ein altes südfranzösisches Landhaus.

„Nehmen sie doch bitte Platz! Baron de Gravelines lässt sich entschuldigen, er wird in ein paar Minuten bei Ihnen sein“, sagte der Page und verschwand nach einer leichten Verbeugung aus der Suite.

Doch schon ein paar Sekunden später betrat der Baron den Raum. Julie hatte gerade erst zwei in Gold gerahmte Photos seiner Frau bemerkt, die eine berühmte spanische Opernsängerin war. Das heißt, ihr kleiner Höhenflug war abrupt durch die Hochzeit und ihre Schwangerschaft beendet worden.

Julie erschrak bei seinem plötzlichen Eintreten und hatte große Mühe, ihr Herzklopfen wieder unter Kontrolle zu bringen. Seine Gestalt war beeindruckend männlich, und sein zerwühltes schwarzes Haar ließ ihn einige Jahre jünger als sechsunddreißig aussehen. Die Vorderseite seines weißen Hemdes, das er zu einer engen weinroten Hose trug, war völlig durchnässt, und die Ärmel hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Fasziniert betrachtete sie seine festen, gebräunten Unterarme und die wunderschönen, kräftigen Hände, die vorsichtig das Baby festhielten.

„Bitte entschuldigen Sie die Verspätung, Mademoiselle de Rougepeyre. Gilbert hat leider mehr Essen von sich gegeben, als er zu sich genommen hat. Stimmt doch, mein Großer?“ sagte er scherzhaft zu dem Kind auf seinem Arm. „Da haben wir beide beschlossen, dass er nach einem Bad wesentlich präsentabler aussehen würde, obwohl man dasselbe von mir nicht gerade behaupten kann. Möchten Sie sich setzen?“

Er sah sie mit klaren dunklen Augen fragend und auch ein wenig misstrauisch an. Julie gefiel das nicht besonders, denn dieser Ausdruck und die liebevolle Art, wie er mit dem Baby umging, ließen ihn sehr sympathisch wirken.

Doch im gleichen Augenblick erinnerte sie sich wieder, was er ihrer jüngeren Schwester Catherine angetan hatte, und sie setzte sich mit ausdrucksloser Miene hin.

Im Laufe des Gesprächs merkte Julie, dass er sich viel mehr für ihre Person als für ihre Referenzen interessierte. Und sie gefiel sich in der Rolle einer kinderlieben Hausmutter. Aber die Bewegungen seiner schön gezeichneten Lippen brachten sie ein wenig durcheinander. Reiß dich gefälligst zusammen, ermahnte sie sich streng. Was glaubst du eigentlich, was du hier machst?

Julie wunderte sich, warum Gérald de Gravelines Frau nicht an dem Vorstellungsgespräch teilnahm. Wahrscheinlich ist sie wieder in Spanien und nimmt dort eine Platte auf - oder was Stars eben so tun, um wieder ins Geschäft zu kommen. Nach ihrer Hochzeit hatte man nichts mehr von ihr gehört. Zweifellos arbeitet sie jetzt daran, ihre Karriere wieder auf einen grünen Zweig zu bringen. Daher brauchen sie auch ein Kindermädchen, überlegte Julie. Und wenn er mir die Stelle gibt, habe ich mehr als genug Zeit, mir eine geeignete Strafe für ihn auszudenken.

„Natürlich, wenn Ihnen die Arbeit gefällt und wenn sie sich mit Gilbert gut verstehen und nichts dagegen haben, auf dem Land zu leben, könnte die Anstellung für länger sein“, sagte Baron de Gravelines gerade.

Julie schüttelte entschieden den Kopf und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Auf keinen, aber auch gar keinen Fall! Schoß es ihr durch den Kopf. Ich bin doch kein Kindermädchen, ich habe mich seit jeher nur um den geschäftlichen Teil der Agentur gekümmert. Wenn ich mit diesem Kerl fertig bin, verschwinde ich schneller, als er gucken kann!

„Es tut mir leid, aber ich übernehme nur zeitlich begrenzte Aufträge, Baron de Gravelines“, sagte sie ernst und brachte dann ein kleines Lächeln zustande. „Ich gewöhne mich einfach zu sehr an meine Pflegekinder, wenn ich sie länger als ein paar Monate um mich habe. Es ist meistens für alle Beteiligten einfacher, wenn ich nur befristet arbeite.“

Gérald schien ihr das nicht zu glauben. Er hatte sich entspannt zurückgelehnt und das Baby auf seine Knie gesetzt, aber sein Blick hatte sich bei ihrer Ausrede deutlich verhärtet. Es schien, als wüsste er, dass sie ihm eine Lüge nach der anderen erzählte.

Ihr wurde plötzlich übel, und sie war kurz davor, die ganze Situation aufzuklären, als er unerwartet das Gespräch umlenkte.

„Warum lernen Sie und Gilbert sich nicht erst einmal kennen?“ Vorsichtig hob er den kleinen Jungen hoch und stellte ihn auf seine nackten rosa Füße. Julie atmete erleichtert aus und entspannte ihre verkrampften Schultern. Um ein Haar hätte ich ihm gesagt, was ich von ihm halte. Ich muss mich wirklich besser zusammenreißen!

„Ja, warum nicht?“ erwiderte sie freundlich und lächelte das Kind an. Der Kleine trug eine marineblaue winzige Baumwollhose und dazu ein weißes T-Shirt und sah darin wirklich entzückend aus. Julie ließ ihren Blick kurz zu den in Gold gerahmten Photos und dann zurück auf das Baby schweifen.

Selbst in diesem zarten Alter war die Ähnlichkeit schon verblüffend. Das gleiche feine dunkle Haar und die markanten Gesichtszüge mit den riesigen blauen Augen. Eine ungewöhnliche Kombination, die überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Vater aufwies. Julie musste unwillkürlich lächeln, als sie zwei winzige Grübchen sah, die sich auf den kleinen roten Wangen bildeten. Sie fragte sich, was jetzt noch zum Kennenlernen dazugehörte. Können vierzehn Monate alte Babys laufen? Können sie sprechen? Ich habe wirklich keine Ahnung!

Gérald de Gravelines sah sie nachdenklich an, als ob er genau wüsste, was in ihrem Kopf vorging. Sie wandte sich schnell ab und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Ich werde noch jeden Moment alles auffliegen lassen, dachte sie panisch.

Glücklicherweise löste Gilbert das ganze Problem. Er befreite sich von den stützenden Händen seines Vaters und tapste auf unsicheren Beinen vorsichtig über den Teppich zu Julie. Diese lehnte sich vor und fing das Baby rechtzeitig auf, bevor er nach vorn fallen konnte. Dann setzte sie ihn auf ihre Knie und sagte, um ihr unsicheres Gefühl zu überspielen: „Der Kleine läuft schon sehr gut für sein Alter.“ Hoffentlich war das jetzt nicht völlig unprofessionell und dumm.

Gérald de Gravelines antwortete ihr nicht, sondern sah sie nur ausdruckslos an. Julie setzte sich aufrecht hin und zog das Baby unwillkürlich dichter zu sich heran. Der warme, kleine Körper des Kindes wirkte wie ein beruhigender Schutzschild gegen die durchdringenden, fast feindseligen Blicke seines Vaters.

„Da ist noch eine Sache“, begann Gérald und stemmte sich aus seinem Sessel hoch. Dann durchquerte er mit lässigen Schritten den Raum und lehnte sich gegen den Rahmen des riesigen Wohnzimmerfensters. „Ich würde darauf bestehen, dass Gilberts Kindermädchen zivile Kleidung trägt. Etwas Hübsches, Feminines…“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Sie wissen schon, was ich meine! Für ein kleines Kind kann so eine steife Uniform ziemlich abstoßend wirken.“

Für einen erwachsenen Mann auch, dachte Julie zynisch. Ein Mann, der sogar einen so leichtgläubigen Menschen wie meine kleine Schwester verführt, obwohl er gleichzeitig eine andere Frau geschwängert hat. So jemand legt bestimmt gesteigerten Wert auf ein ansprechendes Äußeres bei den Frauen, die ihn umgeben!

Sie riss sich zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich habe Zeit, dachte sie finster. Ich werde mir schon etwas Geeignetes einfallen lassen, um ihm heimzuzahlen, was er der armen Catherine angetan hat.

„Jetzt hast du es geschafft!“ sagte Christine Delon aufgebracht.

Vor vier Jahren war sie vollkommen begeistert gewesen, die damals fünfundzwanzig Jahre alte Julie als ihre Geschäftspartnerin aufzunehmen. Ihre Agentur war in der letzten Zeit recht erfolglos gewesen, und sie brauchte dringend Julies Kapital und neue Ideen.

Außerdem ging Christine davon aus, dass ihre neue, junge Kollegin ihrer Mutter sehr ähnlich sein würde. Sie war früher mit Liliane de Rougepeyre zur Schule gegangen und erinnerte sich an sie als eine liebenswerte, ruhige Person.

Aber Julie, die ältere von Lilianes Töchtern, war charakterlich das komplette Gegenteil ihrer Mutter. Sie war eine intelligente, entschlussfreudige Frau, die gerade ihr Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen hatte.

Innerhalb der ersten vier Monate krempelte sie die gesamte Agentur um und änderte den alten Namen von Garde d’enfant in Agence du Soleil. Damit baute sie in kürzester Zeit einen Kundenstamm von wohlhabenden, französischen und ausländischen Aristokratenfamilien und Neureichen auf, bei denen ein erstklassiges Kindermädchen zum guten Ton gehörte.

Und ihre Zusammenarbeit hatte gut funktioniert. Christines Erfahrung und ihre Fähigkeit, den Erwartungen ihrer Klienten gerecht zu werden, und Julies Sinn für das Geschäftliche waren ein Erfolgsrezept.

Sie führten jetzt nur noch qualifizierte, professionell ausgebildete Kindermädchen in ihrer Kartei. Demzufolge wandten sich nur noch Klienten an die Agentur, die sich auch den allerbesten Service leisten konnten.

Im Grunde hatte Christine zu diesem Erfolg gar nicht so viel beigetragen. Und manchmal war sie sogar von Julies Hingabe zur Arbeit und ihrem kühlen Geschäftssinn schlichtweg überfordert.

Aber nun schien sie regelrecht außer sich zu sein.

„Baron de Gravelines hat gerade eben hier angerufen. Du bist engagiert“, fügte sie hinzu und beobachtete, wie Julies Gesicht schlagartig blass wurde. „Für zwölf Wochen. Du fängst morgen an. Also, ich weiß nicht, ob mein Blutdruck das aushält!“

Julie tastete hinter sich nach ihrem Bürostuhl und ließ sich erschöpft darauf nieder. Ich sollte mir selbst auf die Schulter klopfen, dass ich es geschafft habe, aber warum ist mir nur so übel?

„Er hat nach deinen Referenzen gefragt, aber ich konnte ihn in diesem Punkt glücklicherweise erst einmal abwürgen! Übrigens, ich gebe dir eine Woche, bevor du mich um Ersatz anflehst.“ Christine lehnte sich gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich werde die Akten durchsehen und jemanden finden, der wenigstens zur Schadensbegrenzung für dich einspringen kann.“

Eigentlich hätte ich diesem Kerl schon gründlich meine Meinung sagen können! dachte Julie. Aber das kommt ja in Gegenwart seines niedlichen kleinen Sohnes gar nicht in Frage. Ich sollte mich freuen. So habe ich wenigstens jetzt die Gelegenheit, mir einen geeigneten Racheplan auszudenken.

„Ich bin nicht der Typ, der einen Rückzieher macht. Das weißt du genau! Und ich werde schon keinen Schaden anrichten.“ Dann schenkte sie Christine ein warmes Lächeln. Julie hatte sich jetzt wieder voll im Griff und war sich sicher, dass sie mit der Situation gut zurechtkommen würde.

Der gute Ruf der Agentur wird mit Sicherheit keinen Schaden nehmen, weil dieser Versager niemals ein Wort über die ganze peinliche Situation verlieren wird! Aber Julie konnte die Sorgen ihrer Kollegin sehr gut verstehen. Christine war früh Witwe geworden, hatte keine Kinder, und die Agentur war ihr Leben.

„Mach dir keine Gedanken!“ fügte sie beruhigend hinzu.

„Nein, warum sollte ich auch?“ entgegnete Christine trocken.

„Aber mal ernsthaft! Denk daran, dass die Position eines Kindermädchens recht bescheiden ist. Du, Julie, warst es immer gewohnt der Boss zu sein. Aber in den nächsten Wochen wirst du das tun müssen, was man dir sagt, und praktisch deine ganze Zeit einem fremden Kind widmen. Ich hoffe nur für uns beide, dass du damit auch klarkommst. Und noch etwas, ich hätte für Baron de Gravelines in jedem Fall jemanden ausgesucht, der weniger jung und hübsch ist!“

„Sei nicht albern, Christine!“ Julie holte einen Bogen Papier aus der Schreibtischschublade und machte Notizen von einigen Dingen, die Yvette während ihrer Abwesenheit erledigen sollte.

Christine gab einen verächtlichen Laut von sich. „Stell dich nicht so dumm, Julie! Der Baron ist ein unglaublich Gutaussehender Mann und noch dazu vermögend. Man lebt unter demselben Dach, eine wunderschöne junge Frau, die ihm Untergeben ist, um…“

„Ich habe schon verstanden“, unterbrach Julie eisig. Ich verstehe ganz genau! Selbst Christine weiß instinktiv, dass Gérald de Gravelines ein Weiberheld ist, dem seine eigene Ehe völlig egal zu sein scheint.

Gérald legte Gilbert für seinen Mittagsschlaf ins Bett und sah ihn liebevoll an. „Morgen kommt ein Kindermädchen, mit dem du spielen kannst, mein Schatz“, flüsterte er sanft, allerdings mehr zu sich als zu dem Kind. „Das wird dir bestimmt großen Spaß machen!“

Leise verließ er den Raum und ging in das gemütliche Wohnzimmer hinüber. Er wollte unbedingt herausfinden, warum Julie de Rougepeyre sich entschlossen hatte, für ihre eigene Agentur als Kindermädchen zu arbeiten.

Einen Moment lang hatte er sie einfach fragen wollen, aber nachdem sie vom Stricken und Backen geschwärmt hatte, war ihm völlig klar, dass er ohnehin keine ehrliche Antwort zu erwarten hatte.

Sie ging anscheinend davon aus, dass er nicht wusste, wer sie war. Aber ihre Großmutter Patricia de Rougepeyre, hatte ihm immer wieder von der Intelligenz, dem kühnen Verstand und der Entschlossenheit ihrer Lieblingsenkelin erzählt. Sie hatte ihm sogar alte Fotoalben gezeigt, als er sie einmal geschäftlich in ihrem alten, abgelegenen Herrenhaus im Luberon besucht hatte.

„Julie, ist die einzige, die es wert ist, den Namen de Rougepeyre zu tragen“, hatte die alte, äußerst eigenwillige Dame gesagt. „Ihre Mutter ist ein weinerlicher Dummkopf, und ihre jüngere Schwester ist auch so ein feiges, verweichlichtes Wesen!“

Er war dazu überredet worden, an Patricias Geburtstagsfeier teilzunehmen, die zufällig am gleichen Tag stattfand. Sie war einen Tag zuvor fünfundsiebzig Jahre alt geworden. Patricia de Rougepeyres Schwiegertochter und ihre jüngste Enkelin hatten ihm leidgetan. Es war furchtbar mit anzusehen, wie sie unter der Fuchtel dieser alten kauzigen Dame standen, die auch gleichzeitig mit eiserner Hand über dem Familienreichtum verfügte. Und dann immer noch verglichen zu werden mit der stets perfekten Julie. Er war froh gewesen, dass die Superenkelin damals wegen einer Bronchitis nicht aufgetaucht war.

Aber auch Patricia selbst tat ihm außerordentlich leid. Sie war die reiche Tochter eines Politikers und hatte damals den ebenso wohlhabenden Armand de Rougepeyre geheiratet und einen Sohn bekommen. Sie war am Boden zerstört gewesen, als ihr Sohn vor fünfzehn Jahren bei einem Anschlag im Libanon getötet wurde.

Der Tod ihres Ehemanns Armand ein paar Wochen später war ein weiterer schwerer Schicksalsschlag gewesen. Aber sie hatte sich erholt und kontrollierte nun erbarmungslos den Rest ihrer Familie. Dabei hatte sie jahrelang den Rat von Gérald de Gravelines Vater gesucht, der früher Präsident seines eigenen Bankhauses war, bei der auch ihre Treuhandfonds verwaltet wurden. Seit dem Tod seines Vaters hatte Gérald de Gravelines selbst den Platz als Patricias finanzieller Berater eingenommen, um das Band der Freundschaft weiterzuführen, das seinem Vater mit Armand de Rougepeyre lange Jahre verbunden hatte. Es war keine sehr unangenehme Aufgabe, denn seine Besuche bei der alten Dame waren eher selten.

Er hatte auch die Fondsanteile überwiesen, um Julies Teil der Agentur aufzukaufen, und Patricia schwärmte seitdem ständig davon, wie gut das Geschäft laufen würde. Offensichtlich hatte sich das geändert, oder warum sollte Julie sonst als Kindermädchen einspringen, obwohl sie vom Tuten und Blasen keine Ahnung hatte.

Er hob einen Stapel bunter Immobilienprospekte auf und lächelte. In spätestens vier Monaten wollte er sich endgültig in der Provence niederlassen und ein Haus finden, in dem Gilbert eine glückliche, unbeschwerte Kindheit verbringen konnte.

Und mit der kühlen, überlegenen Geschäftsfrau Juliette würde er sicher nicht in die gleiche verzwickte Situation kommen, in die er mit Catherine de Rougepeyre gerutscht war. Sie würde ihm keine unnötigen Schwierigkeiten machen. Jedenfalls nicht die gleichen wie ihre naive Schwester!

2. KAPITEL

Keine fünfzehn Minuten nachdem Julie ihren neuen Job angetreten hatte, kochte sie vor Wut. Dieser widerliche Kerl! Schnell hob sie das Baby auf ihre Arme und drückte den kleinen, warmen Kopf behutsam gegen ihren Hals. Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass dieses unschuldige, hilflose kleine Wesen mit ansehen muss, wie sein eigener Vater sich an eine fremde Frau heranmacht!

Als sie an jenem Morgen um neun Uhr in der Suite erschienen war, hatte Gérald ihr ihre Unterkunft gezeigt. Ein großes, Lichtdurchflutetes Schlafzimmer, in dem auch ein Kinderbett stand, und anschließend ein luxuriöses Badezimmer mit einer zusätzlichen Babywanne. Dazu hatte sie ein angrenzendes kleines Wohnzimmer mit gemütlichen Sesseln, einem Fernseher mitsamt modernster Musikanlage und einem Schreibtisch. Nachdem Julie sich eingerichtet hatte, kümmerte sie sich um Gilbert.