Ein später Brief - Hans-Joachim Wildner - E-Book

Ein später Brief E-Book

Hans-Joachim Wildner

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Beschreibung

Nach 53 Jahren wird bei Umbauarbeiten in einer Postverteilerstation ein verloren gegangener Brief gefunden. Der dienstbeflissene Postangestellte Matthias Henkel eruiert die neue Adresse des Empfängers, wobei seine Recherchen eine tragische Liebesgeschichte enthüllen, mit der sogar seine Frau in Verbindung zu stehen scheint. Als er den Brief zustellt, entlädt sich eine Tragödie.

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Seitenzahl: 246

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hans-Joachim Wildner

Ein später Brief

Roman

Für Monika

Impressum

Ein später Brief

ISBN 978-3-96901-107-2

ePub Edition

V1.0 (02/2025)

© 2025 by Hans-Joachim Wildner

Abbildungsnachweise:

Covermotiv erstellt mit artistly.ai | Prompt: Sascha Exner

Design-ID: #f40e1d9f-1ff6-4130-a1fc-c957e585b568 | artistly.ai

Porträt des Autors © Ania Schulz

Lektorat & dtp:

Sascha Exner

Verlag:

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt

Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

E-Mail: info@epv-verlag.de

Wichtiger Hinweis:

Die Schauplätze dieses Romans sind reale Orte. Die Handlung und die Charaktere hingegen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen wären reiner Zufall und sind nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

TITELSEITE

WIDMUNG

IMPRESSUM

. . . KAPITEL 1 . . .

. . . KAPITEL 2 . . .

. . . KAPITEL 3 . . .

ÜBER DEN AUTOR

MEHR VON HANS-JOACHIM WILDNER

EINE KLEINE BITTE

. . . Kapitel 1 . . .

1970

Es war Frühling

An manchen Tagen spürt man gleich zu Beginn, dass etwas Ungewöhnliches geschehen wird. Dies war so ein Tag und es war Frühling und die Luft wie Samt zu dieser frühen Stunde. Ein leichter Wind spielte mit den Blättern der Bäume und den Papierresten auf dem Gehweg. Vögel kreisten über den Dächern, eine Elster ließ sich auf einem First nieder und schackerte lauthals.

Die Stadt wurde lebendig, Rollläden wurden hochgekurbelt und der Berufsverkehr kam in Gang. An der Bushaltestelle warteten Leute. Sie redeten kaum, nur ab und an war ein träger Morgengruß zu hören, wenn sich jemand dazugesellte.

Der Tag erwachte wie viele andere und doch sollte er für zwei junge Menschen einer werden, der ihr Leben für immer veränderte. Noch wussten sie nichts voneinander, noch ahnten sie nicht, was heute mit ihnen geschehen würde. Für sie begann der Tag wie zahlreiche vorher, doch er würde enden wie keiner zuvor.

Der Verlauf des Lebens, den wir Schicksal nennen, ist vergleichbar mit einem Würfelspiel, das einer Wahrscheinlichkeitsregel folgt. Auch wenn wir glauben, die Würfel beeinflussen zu können, so täuschen wir uns, denn es sind viel zu viele im Spiel. Trotzdem hoffen wir auf unser Glück und streben danach, obwohl niemand einen Anspruch darauf hat. Aber es gibt Augenblicke, da fallen die Würfel günstig und das Glück fällt scheinbar aus heiterem Himmel über uns her, als hätte es eine höhere womöglich göttliche Fügung so gewollt.

Vielleicht war es ein solcher Glücksmoment oder eine Vorsehung, der die beiden jungen Leute, um die es in dieser Geschichte geht, zusammenführte. Wer weiß das schon, obwohl Ähnliches täglich und überall auf der Welt geschieht, weil das Glück als Lebensgefühl etwas ist, was uns treibt, uns wie eine Sucht ergreift, der sich niemand entziehen kann. Es ist der Wunsch nach Liebe und Partnerschaft. Dieses Gefühl ist so übermächtig, dass es unser Leben vollständig durchdringt. Es berauscht uns, es beglückt uns, es macht das Leben bunt, und manchmal raubt es uns den Verstand.

Dieser Tag war keiner wie viele andere, und es war Frühling.

* * *

Andrea

Die Lehrveranstaltung Mathematik wurde von den meisten Studierenden des Studienganges Pharmazie eher als notwendiges Übel angesehen. Daher war es kaum verwunderlich, dass der Hörsaal nur mäßig besetzt war, zumal das Wetter viele ins Freie lockte, obwohl die mit trockenem Humor gewürzten Vorlesungen von Doktor Brasche geschätzt wurden. Andrea Kellermann saß an der Fensterreihe und ließ sich durch eine Bewegung im Geäst des Kastanienbaumes, der durch das Hörsaalfenster zu sehen war, flüchtig ablenken. Ein Eichhörnchen huschte am Stamm empor, verharrte einen Augenblick und verschwand im Blättergewirr.

Vanessa Ahlers, ihre Kommilitonin, die neben ihr saß, stieß ihr sanft in die Seite. »He, verträum nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum«, flüsterte sie ihr mit Augenzwinkern zu.

»Ach du mit deinen Lebensweisheiten«, zischelte Andrea zurück. »Sag mir lieber, was der Brasche von uns will. Ich versteh nämlich kein Wort.«

»Denkste ich vielleicht«, raunte Vanessa und verdrehte die Augen. »Logarithmen. Das ist wie geistige Vergewaltigung, so’n Scheiß brauchen wir nie wieder«, murmelte sie aus dem Mundwinkel.

Andrea schmunzelte. »Doch, spätestens zur Prüfung. Reiß dich zusammen«, flüsterte sie zurück und konzentrierte sich erneut auf den Vortrag.

Vanessa neigte ihren Kopf dicht an ihre Kommilitonin und tuschelte: »Für diese Vorlesung will ich eine Entschädigung. Ich gehe heute Abend in die Ponte, um das alles hier zu vergessen. Kommst du mit?«

»Ja, aber nur, wenn du endlich Ruhe gibst«, stellte Andrea zur Bedingung. Vanessa setzte sich wieder, nahm eine gerade Haltung an und versuchte erneut, den Ausführungen des Dozenten zu folgen.

Über dem Hörsaal lag bald eine schwere Stille, und die Stimme von Doktor Brasche prallte scheinbar wirkungslos auf das kollektive Schweigen des Auditoriums. Verwundert wandte er sich von der Tafel ab und schaute lächelnd zu seiner Hörerschaft hinauf. »Ich hoffe, die Grabesstille zeugt nicht von ihrem Desinteresse, sondern von Ihrer Begeisterung über die Finessen der Mathematik. Logarithmen sind nur Mittel zum Zweck, aber wir brauchen sie beispielsweise, um Exponentialgleichungen lösen zu können.«

Als Antwort erntete er hilflose Blicke, bis sich Vanessa zu Wort meldete: »Herr Doktor Brasche«, rief sie dem Dozenten zu, »kann es sein, dass Sie sich heute im Hörsaal geirrt haben. Dies ist der Pharmazie-Studiengang und kein Mathematikseminar.«

Ein Raunen der Belustigung erklang aus den dünn besetzten Reihen. Andrea stieß ihrer Kommilitonin sanft mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Liebe Frau Ahlers, kann es sein, dass Sie sich gänzlich in der Schule geirrt haben? Nur zur Erinnerung, Sie sind hier im Studiengang einer Fachschule und nicht im Kräuterkurs der Volkshochschule?«

Der Hörsaal schien zu wanken, so laut erscholl das Gelächter. Vanessa lief rot an, beugte sich über ihre Kladde und tat, als schriebe sie den Rest der Tafel ab. Doktor Brasche setzte seine Vorlesung fort.

Nach der Lehrveranstaltung trafen sich Andrea und Vanessa auf dem Campus. »Was ist nun? Kommst du heute Abend mit in die Ponte?«, fragte Vanessa.

»Ja, warum nicht. Ich war noch nicht dort und flotte Musik könnte uns auf andere Gedanken bringen und uns diese dämlichen Logarithmen vergessen lassen«, antwortete Andrea.

»Nicht nur die Musik, auch flotte Jungs werden uns ablenken. Viele Soldaten aus der Kaserne suchen dort ebenfalls Abwechslung. Weißt du, was ich meine?« Vanessa zwinkte ihr zu.

»Ja, ich weiß, was du meinst, aber ich glaube, solche Flirts sind nichts für mich«, entgegnete Andrea.

»Du, da sind echt coole Typen darunter«, erwiderte Vanessa. »Neulich hatte mich einer vor der Schule angesprochen, er trug Uniform. Wow, ich sag dir, der sah echt chic darin aus. Wollte mich unbedingt wiedersehen, hab ihm natürlich erst einmal die kalte Schulter gezeigt. Ich hoffe, er ist heute auch da.«

»Was wirst du ihm dann zeigen?«, fragte Andrea. Beide lachten schallend.

* * *

Ralf

»Ist jetzt endlich Ruhe in dieser Hammelherde«, brüllte der UvD, Stabsunteroffizier Fricke, über die angetretene Einheit der 8. Inspektion der Heeresfliegerwaffenschule hinweg. »Ich kann Ihrer Geschwätzigkeit auch gerne mit einigen Runden um das Kasernengelände begegnen. Im Laufschritt, versteht sich.«

Das Gemurmel erstarb augenblicklich, zumal in diesem Moment der Spieß, Hauptfeldwebel Raabe, aus der Tür trat.

»Stillgestanden!«, brüllte Fricke so laut, dass es über den gesamten Kasernenhof schallte. »Richt euch!«

Tippelnde Stiefelschritte quirlten wie ein Trommelwirbel durch die Reihen. »Augen gerade aus!« Kurze Pause. »Augen links!« Zackig, mit militärischem Gruß, machte er dem Spieß Meldung, der sich anschließend an die Angetretenen wandte.

»Guten Morgen, Soldaten«, grüßte er die Einheit.

»Guten Morgen, Herr Hauptfeldwebel«, grölte es ihm vielstimmig entgegen.

Der Hauptfeldwebel legte die Hände auf den Rücken und schaute auf die erwartungsvoll dreinblickenden Soldaten. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie«, begann Raabe. »Zunächst die schlechte.« Er machte eine kurze Pause, in der die Truppe in gespannter Erwartung verharrte.

»Oh Mann«, zischelte Ralf Wegener seinem Stubenkameraden zu, der neben ihm stand, »wenn er so anfängt, wird's haarig.«

»Bin gespannt, was er diesmal auf Lager hat«, murmelte sein Kamerad zurück.

Nun ließ Raabe die Katze aus dem Sack: »Das Revier in diesem Gebäude sieht nicht nur saumäßig aus, es stinkt sogar danach. Deshalb wird Samstag ab acht Uhr für die gesamte Inspektion Revierreinigen befohlen.« Ein verhaltenes Raunen ertönte. »Und nun die gute Nachricht.« Erneut Spannungsstille. »Sie haben den ganzen Tag Zeit dafür.«

Schockstille.

»Haben Sie das verstanden?«

»Jawohl, Herr Hauptfeldwebel«, kam im müden Gemurmel zurück.

»Ich hör nichts. Haben Sie das verstanden?«, wiederholte er in scharfem Ton.

»Jawohl, Herr Hauptfeldwebel«, brüllte die Abteilung so laut, dass der Wirt vom gegenüberliegenden Kantinengebäude das Fenster schloss.

»Weggetreten!«

Die Kolonne löste sich auf.

»Scheiße, ausgerechnet Samstag. Ich wollte nach Hause«, maulte Gefreiter Ralf Wegener.

»Meinst du, ich nicht«, raunte sein Stubenkamerad.

»Ich muss mich heute Abend unbedingt ablenken, sonst platze ich«, grummelte Wegener halblaut vor sich hin und schlurfte zum Dienst. »Mal sehn, was in Bückeburg so geboten wird, ich meine frauenmäßig.«

* * *

Ralf und Andrea

Es gab eine Diskothek in der Stadt, die nach der Ponderosa Ranch aus der populären Westernserie ›Bonanza‹ benannt worden war, die sonntagnachmittags im Fernsehen lief. Die Disco, die alle kurz ›Ponte‹ nannten, war ein beliebter Treffpunkt der Stadtjugend sowie der Soldaten aus der ortsansässigen Jägerkaserne wie auch der Studierenden einer Fachschule für Pharmazie. An diesem Abend saß Ralf in der Ponderosa an der Bar, um bei flotter Beatmusik und einer Cola seinen Groll auf den Spieß vorübergehend zu zerstreuen. Der Song ›Hey Jude‹ von den Beatles rieselte gerade aus den Lautsprechern. Unverhofft wurde sein Bestreben des Vergessens durch zwei Mädchen unterstützt, die eben hereinkamen. Er hatte sie hier noch nie gesehen. Besonders die Eine von ihnen zog seine Blicke magisch an. Sie war von zarter Schönheit, trug schulterlange, dunkle Haare und bewegte sich voller Anmut. Ihre Augen blickten suchend umher, offenbar, um einen freien Tisch zu finden. Ralf entging keine ihrer Bewegungen, wobei sich ihre Blicke für einen Sekundenbruchteil trafen. Dieser Moment genügte, um ihre Augenfarbe zu erkennen – sie war blaugrün. Fasziniert davon und von ihrem schüchternen Blick, begann sich plötzlich sein Herz zu überschlagen. Es raste unvermittelt los wie ein Rennwagen bei Vollgas. Seine Wangen glühten und eine innere Unruhe erfasste ihn, die er bisher nicht gekannt hatte und ihn vollends verwirrte.

Die beiden Mädchen schlängelten sich durch das Gedränge, wobei die eine, deren Anblick ihn so elektrisiert hatte, sich dicht an ihm vorbei drängen musste, sodass sie sich fast berührten. Das rot und blau rotierende Discolicht schien ihre seidigen Haare zu streicheln.

Sie fanden einen Platz vis-a-vis dem Bartresen, wo Ralf sie gut sehen konnte. Der Discjockey legte als Nächstes ›Dreams are Ten a Penny‹ von John Kincade auf den Plattenteller. Rasch füllte sich die Tanzfläche, doch Ralf zögerte, seine Auserwählte aufzufordern. Er überlegte, wie er es am besten anstellen könnte, sie zu beeindrucken. Er war kein Draufgänger, eher schüchtern im Umgang mit Mädchen und schaute manchmal neidisch auf andere, die beherzt auf ihre Auserkorene zugingen.

»Nun fordere sie endlich auf, oder soll ich das für dich tun?«, fragte Rosi, die blonde, vollbusige Bardame, der Ralfs begehrliche Blicke aufgefallen waren, die unablässig auf dem Mädchen am gegenüberliegenden Tisch ruhten. Rosi kannte ihre Stammgäste und sparte nicht mit geistreichen Bemerkungen. »Man, nun trau dich, das ist ja nicht zum Aushalten. Sie wird dich schon nicht beißen«, schmunzelte sie. Ralf schaute die Bardame groß an, atmete tief durch und schwang sich von seinem Barhocker herunter. Er ging zu den beiden jungen Frauen hinüber und setzte sich auf die äußere Sitzbankecke. »Entschuldige«, sagte er zu seiner Auserwählten, »würdest du mir bitte deinen Namen verraten?«

Ihre Augen leuchteten auf und ihre Wangen färbten sich leicht rosa. »Wieso? Da könnte ja jeder kommen«, wies sie ihn ab.

»Es kommt aber nicht jeder, sondern ich allein«, erwiderte er. »Ich heiße Ralf und ich habe eine gute Nachricht für dich.« Er lächelte herausfordernd.

Ihre blaugrünen Augen verloren ihre Schüchternheit und blickten ihn jetzt aufmerksam an, was bei ihm erneut einen erhöhten Herzschlag auslöste. »So, welche denn?«, fragte sie.

»Du hast etwas gewonnen, ich gratuliere dir«, eröffnete er ihr.

»Ach ja? Und was?«

Ralf spürte, dass sie an seinem Flirtversuch Gefallen fand. »Den Hauptgewinn, aber dazu muss ich deinen Namen wissen«, sagte er und sah sie fragend an. »Oder interessiert es dich nicht, was du gewonnen hast?«

Sie kniff ein Auge etwas zu und griente verschmitzt. »Ich heiße Andrea«, sagte sie lachend.

»Also, Andrea, du hast meine volle Aufmerksamkeit gewonnen. Herzlichen Glückwunsch.« Er strahlte sie an. »Was sagst du dazu?«

»Wie, mehr nicht?«, spielte sie enttäuscht. »Und was habe ich davon?«

»Gute Frage, und die würde ich dir gerne beim Tanzen beantworten. Wollen wir?« Er stand auf, nahm ihre Hand und führte sie zur Tanzfläche. Die sanfte Stimme von Andy Kim sang den Schmusesong ›Be My Baby‹ und sie tanzten eng zusammen.

Getragen vom Klang und Rhythmus der Musik bemerkten beide kaum, dass sich ihre Gefühle wie zarte Blüten öffneten, die anfingen zu leuchten. Sie tanzten und scherzten und lachten und es wurde spät an diesem Abend.

Ralf durfte sie ein Stück nach Hause begleiten, nur nicht bis direkt vor die Haustür. Unter einer Straßenlaterne an der Ecke zur Goethestraße, wo Andrea eine Studentenbude gemietet hatte, verabschiedete sie sich von ihm. Sie erklärte, ihre Hauswirtin solle nicht mitbekommen, dass sie in Männerbegleitung war, denn sie wäre ausgesprochen spießig und achte streng auf die Einhaltung von Hausordnung und Sittenregeln.

»Dann darf ich dir sicher auch nicht schreiben, oder?«, fragte Ralf.

»Besser nicht, zumindest vorerst«, räumte sie ein.

»Wann kann ich dich wiedersehen?«, wollte er noch wissen, bevor sie auseinandergingen.

Sie lächelte und das warme Licht der Laterne ließ ihre Haare wie Samt glänzen und ihre Augen geheimnisvoll funkeln. »Es wird sich kaum vermeiden lassen, dass wir uns irgendwann über den Weg laufen, Bückeburg ist ja keine Großstadt«, sagte sie und ging. Nach einigen Schritten drehte sie sich um. »Danke für den Abend.« Sie winkte ihm zu und eilte davon. Ralf sah ihr nach, bis sie eine Gartenpforte öffnete, ihm noch einen flüchtigen Blick zuwarf und im Haus verschwand.

Die Ponderosa wurde von diesem Tag an sein Sehnsuchtsort, den er fast jeden Abend aufsuchte, immer in der Hoffnung, sie dort zu treffen. Doch seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. War er am Ende für sie doch nur eine flüchtige Bekanntschaft für einen netten Discoabend? Hatte er sich so in ihr getäuscht? Oft lief er nach Feierabend durch die Stadt, stets in Erwartung, ihr zu begegnen. Manchmal setzte er sich auf die Bank vor der Stadtkirche und beobachtete die vorübergehenden Menschen. Doch die Eine, die er schmerzlich vermisste, suchte er vergebens. Stattdessen kamen hin und wieder Kameraden aus seiner Einheit vorbei, die ihn irritiert ansahen und fragten, worauf er denn warte. »Auf euch bestimmt nicht«, hatte er geflachst und war ein weiteres Mal geknickt in die kühle Unbehaglichkeit der Truppenunterkunft zurückgegangen. Schließlich musste er sich eingestehen, dass es ein einmaliger Flirt gewesen war.

Die Zeit floss dahin und die Reste seiner Hoffnung, Andrea wiederzusehen, versiegten endgültig.

Eines Tages kam die Kriminalpolizei in die Kaserne und durchsuchte einige Stuben mit der Spurensicherung und Spürhunden. Gerüchte über Drogenhandel zweier ›Spezis‹ aus der Einheit machten die Runde. Die betroffenen Stubenbesatzungen durften die Kaserne nicht verlassen, die anderen bekamen dienstfrei. Das passte Ralf recht gut, denn er wollte zu dem ›Tante-Emma-Laden‹ in der Nähe der Kaserne, um sich Papiertaschentücher und ein Rasierwasser zu kaufen. Als er das Geschäft betrat, wäre er fast mit jemandem zusammengestoßen. »Oh, Entschuldigung«, sagte er und traute seinen Augen kaum. Andrea stand vor ihm, eine volle Einkaufstasche in der Hand. Ein Schwall Glückshormone schossen ihm durch den Körper und in seinem Bauch flatterten keine Schmetterlinge, sondern ein ganzer Vogelschwarm. Wie durch eine innere Glut röteten sich ihre Wangen und ihre Augen fesselten ihn, so, als erblicke er darin sein Universum.

»Andrea«, sagte er freudig überrascht. »Bitte lauf nicht weg. Ich bin gleich zurück.« Er betrat hastig den Laden, holte, was er brauchte, und war ruckzuck wieder draußen, wo sie auf ihn wartete.

»Na, habe ich wieder etwas gewonnen?«, fragte sie mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.

»Natürlich«, lachte Ralf. »Meine selbstlose Hilfsbereitschaft.« Er nahm ihr die Tasche ab, die recht schwer war. »Darf ich sie dir nach Hause tragen?«

»Eigentlich nicht, aber einen Gewinn kann man ja schlecht ausschlagen?«, sagte sie mit einem Augenaufschlag, der ihn vollends vom Boden hob.

An der Ecke zur Goethestraße zögerte er weiterzugehen und sah Andrea verunsichert an. »Was wird deine Wirtin sagen, wenn du mit einem Packesel daherkommst?«

»Komm nur«, sagte sie, ging einen Schritt weiter und lachte. »Sie ist tierlieb« scherzte sie. Dann ernsthaft: »Nein Ralf, ehrlich gesagt, ist es mir egal. Ich muss dich nicht verstecken.«

Diese Worte lösten seine innere Spannung und beinah einen Jubelschrei aus, als sei ER jetzt der Hauptgewinner. Fast wäre er dem Drang erlegen, sie zu umarmen, aber die Einkaufstasche hinderte ihn daran.

Vor dem Gartentor nahm sie ihm die Tasche ab und blickte ihn einen Moment stumm an. »Danke«, sagte sie und reichte ihm die Hand. »Auf bald.« Ralf erwiderte den Händedruck und spürte in ihrer Handfläche ein Stück Papier, das sie ihm überließ. »Was ist das?«, fragte er.

»Sieh doch nach«, sagte sie.

Er entfaltete den Zettel und fand ihren Namen und die Adresse ihrer Hauswirtin darauf. »Bitte schreib mir, wann wir uns in der Ponte treffen können«, sagte sie und ging rasch ins Haus, bevor er antworten konnte.

Wie von einem Hochgefühl getragen schwebte er auf einer Wolke des Glücks zur Jägerkaserne zurück, holte sofort seine Schreibmappe aus dem Spind und schrieb ihr einen Brief, in dem er ein baldiges Stelldichein vorschlug. Abschließend warf er ihn in den Postkasten, der sich am Gebäude der Hauptwache befand und fieberte dem Treffen entgegen.

Es war Freitag, der 24. Juli, das Datum würde er niemals vergessen. Um achtzehn Uhr hatte Ralf in seinem Brief vorgeschlagen. Eine viertel Stunde vor der Zeit wartete er mit einer Rose in der Hand und pochendem Herzen an der Straßenecke, von wo aus er sie schon von Weitem sehen würde, wenn sie die Georgstraße entlang käme. Er war sich nicht sicher, wie sie auf die Blume reagieren würde. Vielleicht empfand sie es als altmodisch und albern oder sogar peinlich. Vielleicht war es auch verfrüht, sie mit solchen Aufmerksamkeiten zu überraschen, sie kannten sich ja kaum.

Minutenweise schaute er auf die Uhr, aber die Zeiger schienen auf der Stelle zu verharren. Dann sah er sie kommen und ging ihr entgegen. Mit jedem Schritt erhöhte sich seine Pulsfrequenz, und als sie vor ihm stand, drohte sein Herz aus der Brust zu springen.

»Schön, dass du da bist«, sagte er unbeholfen und überreichte ihr die Rose. Ihre Augen leuchteten auf. »Oh, das ist lieb von dir. Danke«, sagte sie und klammerte sich mit der anderen Hand an seinen Arm. Ralf genoss ihre Berührung und wünschte, sie würde seinen Arm nie wieder loslassen.

Schweigend gingen sie die Straße entlang und bogen bald in den Jägergang ein, jener schmale Fußweg, an dem der Eingang zur Ponderosa lag. Eigentlich hatten sie sich zum Tanzen verabredet, aber als sie vor der Eingangstür der Disco standen, zögerten sie hineinzugehen. Sie schauten sich kurz in die Augen und wussten, dass sie heute zu zweit bleiben wollten. Sie ließen die Ponte links liegen und schlenderten den mit niedrigen Bäumen gesäumten Weg zum Schlosspark hinunter. An der Schlossgraft unter einer Hängeweide setzten sie sich auf eine Bank, redeten und flachsten und lachten und die Zeit schien still zu stehen. Ihre Hände suchten nach Berührung, fanden sie und verschränkten sich, Ihre Augen durchdrangen einander, und wie durch eine geheimnisvolle Kraft, die sie miteinander verband, berührten sich ihre Lippen und alles um sie herum wurde bedeutungslos.

Es war der Beginn einer wundervollen Zeit. Sie schrieben sich zärtliche Briefe und verbrachten gemeinsam jede Minute ihrer Freizeit. Die Bank im Schlosspark unter der großen Weide wurde ihr Treffpunkt. Hier vergaßen sie die Zeit, redeten, träumten und machten Pläne oder saßen eng beieinander und beobachteten die Wildenten und Eichhörnchen, die Andrea so drollig fand.

Seine Liebe zu ihr überwältigte ihn, ihre Nähe wirkte wie eine Droge und er konnte sein Glück kaum fassen, mit ihr zusammen zu sein. Seit er ihr begegnet war, schwebte er auf einer Wolke, auf der er von einer gemeinsamen Zukunft träumte und sich die schönsten Momente mit ihr ausmalte. Sie gingen zum Tanzen in die Ponte, manchmal ins Kino oder trafen sich auf ihrer Bank oder schlenderten durch den Park, um zu quatschen und zu blödeln. Sie genossen den Sommer.

Dann wurde es Herbst und Ralf hatte ihr geschrieben, ob sie vielleicht mit ihm am kommenden Mittwochnachmittag zum Idaturm auf dem Harrl wandern wolle, denn er sei noch nie dort gewesen. Das Wetter solle schön werden und es sei ja zudem nicht allzu weit. Andrea schrieb umgehend zurück, dass sie sich schrecklich darauf freue.

Der Mittwoch meinte es gut mit ihnen. Die Luft war mild und würzig. Der Wald färbte sich gerade bunt und die Blätter leuchteten in der Sonne. Wie immer hatten sie sich unterwegs viel zu erzählen und wunderten sich, dass sie auf einmal vor dem Aussichtsturm standen. Über eine schmale Wendeltreppe stiegen hinauf und hatten eine herrliche Rundumsicht über das Schaumburger Land. Im Süden schlängelte sich die Autobahn am Fuß des Wesergebirges entlang und im Norden sah man den Heeresflugplatz von Achum mit seinen Hubschraubern. Ralf und Andrea umrundeten die Plattform, schauten und staunten und die Zeit verfloss so schnell wie durch eine arglistige Magie.

Den Rückweg gingen sie Hand in Hand und redeten kaum. Ab und zu sahen sie sich nur an, lächelten und drückten ihre Hände fester zusammen, als wenn sie sich gegenseitig sagen wollten: »Lass mich nie wieder los.«

Auf halbem Weg blieb Andrea plötzlich stehen. »Sag mal«, begann sie zögerlich, »kennst du Udo Köhler? Der muss wie du in der Jägerkaserne seine Wehrpflicht ableisten.«

Ralf sah Andrea verdutzt an. »Köhler«, rief Ralf laut aus, »das ist ein ganz übler Geselle. Was hast du mit dem Kerl zu schaffen?«

»Ich nichts, aber meine Kommilitonin Vanessa scheint ihn zu mögen, was ich nicht verstehe. Der Typ kommt mir aalglatt und durchtrieben vor, oder?«

»Besser, man geht ihm aus dem Weg. Er stiftet ständig Unruhe in unserer Einheit.«

Andrea nahm erneut seine Hand, schmiegte sich an ihn, und beide setzten ihren Weg fort, aber Ralf bekam die Befürchtung nicht aus dem Kopf, dass Andrea durch ihre Studienkollegin diesem Pimp Udo Köhler zu nah kommen könnte.

Vor dem Haus in der Goethestraße, wo Andrea zur Untermiete wohnte, verweilten sie noch eine Weile an der Gartenpforte und quatschten. »Danke für den netten Nachmittag«, sagte sie zum Abschied.

»Danke, dass du mitgekommen bist. Es war schön mit dir, Engellein.« Ralf erschrak vor sich selber. Wie hatte er sie eben genannt? Engellein? Er hätte das Kosewort am Liebsten zurückgenommen. Scheinbar war er von ihrer Gegenwart so beseelt, dass es ihm so herausgerutscht war. Hoffentlich nahm sie es ihm nicht übel, dass er sie so betitelt hatte, als wären sie längst ein Paar, aber so intim waren sie schließlich noch nicht. Andrea sah ihn plötzlich mit einem Blick an, den er von ihr nicht kannte, und für eine Sekunde schien die Welt in Stille zu versinken.

»Was hast du eben gesagt?«, fragte sie.

»Ich?«, stammelte er verlegen.

»Ja, du.«

»Es war schön mit dir heute«, sagte er. »Meintest du das?«

»Nein, du hast noch etwas anderes gesagt«, ließ sie nicht locker.

»Was soll ich denn gesagt haben?«

»Bitte, sag es noch mal«, drängte sie.

»Was denn?«, tat er unwissend.

»Ra ... alf«, ermahnte sie ihn. »Tu nicht so! Ich will wissen, wie du mich genannt hast.«

»Wie denn?«, fragte er.

»Du hast Engellein zu mir gesagt.«

»Ach das«, gab er sich unschuldig. »Entschuldige, ist mir so rausgerutscht.«

Endlich hatten ihre Augen erneut diesen strahlenden Blick. »Bitte, sag es noch einmal.«

Abermals Stille.

Dann sagte er zögerlich und kaum hörbar: »Enge-lein.«

»Warum nennst du mich so?«, fragte sie.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Ich möchte es von dir hören«, beharrte sie auf eine Antwort.

Ralf berührte mit dem Finger ihre Hand. »Nicht hier und nicht jetzt«, sagte er und hatte Mühe, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Sehen wir uns nächsten Mittwoch um fünf auf unserer Bank? Dann sage ich es dir.«

Sie verzog gespielt eine ernste Miene und sagte: »Du kannst so gemein sein, mich so lange warten zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich komme. Eigentlich muss ich für eine Prüfung lernen.«

Ralf lächelte. »Dann wirst du es eben nie erfahren.«

Sie trat einen Schritt auf ihn zu, so eng, dass Ralf ihren Atem spüren konnte, und er sah ihre Augen ganz nah vor sich. Sie leuchteten wie Saphire, warm und flehend, und wie von selbst berührten sich ihre Lippen. Ihr Kuss war sanft und zärtlich wie eine Liebeserklärung. Dann drückte sie ihn sachte von sich und lief ins Haus. Am Fenster neben der Haustür bewegte sich die Gardine wie durch einen Luftzug und dahinter verschwand die Silhouette einer Person. Ach, sieh da, dachte Ralf, wir werden beobachtet.

Abermals begann die brennende Zeit des Wartens auf den Tag, auf die Stunde, auf die Minute, auf sie. Doch diesmal brannte das Feuer eine tiefe Narbe in seine Seele, die nie verheilen sollte.

Ralf war wie so oft eine viertel Stunde vor der Zeit am ausgemachten Treffpunkt und lief mit Herzklopfen und einer langstieligen Rose in der Hand vor ihrer Bank auf und ab. Selten zuvor hatte er das Vorrücken der Uhrzeiger als so quälend empfunden. Heute wollte er ihr endlich sagen, was er für sie empfand. Fortlaufend schaute er auf die Uhr, deren Zeiger wieder einmal eingefroren zu sein schienen. Dann wanderte sein Blick auf den Jägergang, von wo Andrea kommen musste, und wieder zurück auf die Armbanduhr, deren Minutenzeiger auf einmal sein ärgster Feind wurde. Wo blieb sie nur, die Zeiger standen schon auf kurz nach fünf. Sicher würde er sie gleich sehen. Sein Herzschlag wurde so heftig, dass es wehtat. Jetzt hätte er die Uhr am Liebsten angehalten, aber die Zeiger rückten erbarmungslos vor. Er hasste diese Uhr und den Schlosspark und verwünschte alle Menschen, die dort entlanggingen. Erst um siebzehn Uhr dreißig musste er einsehen, dass er umsonst gewartet hatte. Was war nur mit ihr? Bisher hatte sie ihn nie versetzt.

Enttäuscht schlich er davon, sich immer wieder umblickend, ob sie nicht doch noch ... aber sie kam nicht. Gedankenversunken schlenderte er durch die Straßen, die Menschen strömten vorüber und niemand hätte ihn aufmuntern können. Ein Hauch von Trauer hing über der Stadt und eine sonderbare Stille, und auf der Bank im Schlosspark lag eine vergessene Rose.

Zurück in der Unterkunft warf er sich aufs Bett und versuchte, Ordnung in seinem Kopf zu bekommen. Hoffentlich war sie nicht krank geworden. Vielleicht musste sie auch dringend nach Hause. Diese Gedanken erschreckten ihn, er sprang auf und schrieb sofort einen weiteren Brief, indem er sie bat, ihm bitte umgehend zu schreiben, dass es ihr gut gehe. Den Brief steckte er gleich in den Postkasten.

Dann begann wieder dieses quälende Warten, oh, wie er das hasste. Tag für Tag verging, aber es kam keine Antwort. Eine Woche war es her und die Ungewissheit wurde unerträglich. Er musste wissen, warum sie sich nicht meldete, und entschloss sich, ihre Hauswirtin zu fragen.

Ohne zu Abend zu essen – er hatte eh keinen Appetit – ging er nach Feierabend in die Goethestraße zu dem Haus, in dem Andrea wohnte. Sein Herz schlug ihm zum Hals heraus, als er den Klingelknopf drückte. Der Name Lüttge stand auf dem Klingelschild. Ein Mann mittleren Alters kam an die Tür und schaute den Besucher fragend an.

»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, sagte Ralf und versuchte gefasst zu bleiben. »Mein Name ist Ralf Wegener. Bei Ihnen wohnt doch Andrea Kellermann.«

Der Mann guckte jetzt skeptisch und ließ sich mit der Antwort Zeit. Nach einigen für Ralf nicht enden wollenden Sekunden antwortete er: »Sie wohnt hier nicht mehr.«

Ralf hatte das Gefühl, der Boden würde unter ihm wegsacken. »Bitte? Das kann doch nicht sein«, stammelte er. Dann erschien aus dem Hintergrund des Korridors eine Frau, offenbar Frau Lüttge. Sie trat an die Seite ihres Mannes und musterte den Besucher einen Moment. »Sind Sie nicht der Bekannte von Frau Kellermann?«, fragte sie.

Ralf nickte und schöpfte Hoffnung, von ihr etwas über den Verbleib von Andrea zu erfahren. »Ja, aber ich habe seit gut einer Woche nichts mehr von Andrea gehört und mache mir Sorgen. Was ist denn nur geschehen? Ich verstehe das nicht.«

»Wir auch nicht«, sagte sie und Ralfs Flämmchen der Zuversicht verpuffte und hinterließ nur ein Rauchwölkchen. »Kommen Sie doch erst einmal rein, Herr ...«

»Wegener, Ralf Wegener.«

»Herr Wegener«, wiederholte sie, trat zur Seite und führte ihn ins Wohnzimmer. Sie setzten sich und dann erzählte Frau Lüttge mit bebender Stimme: »Mittwoch vor einer Woche kam sie spät und völlig verstört von ihrer Kommilitonin zurück, mit der sie sich zum Lernen verabredet hatte. Ich habe ihr sofort angesehen, dass etwas nicht stimmte, und war von ihrem Anblick erschrocken. Ihr Gesicht war grau wie aus Stein und ihr Blick leblos und kalt. So habe ich sie vorher nie erlebt. Dabei war sie in letzter Zeit so vergnügt, ja richtig glücklich. Ich wollte wissen, was passiert ist, aber sie konnte kaum sprechen, sagte nur, sie könne nicht bleiben und müsse ausziehen.« Frau Lüttges Stimme wurde brüchig und ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz und sie musste sich erst einmal schnäuzen, bevor sie weitersprechen konnte. »Ich fragte sie, Kindchen, warum denn nur? Andrea brach in Tränen aus und redete kein Wort mehr, packte ihre Koffer und rief am nächsten Morgen eine Taxe.«

Frau Lüttge wischte sich mit einem Taschentuch die Augen. »Sie war so ein nettes Mädchen. Wir mochten sie, nicht wahr, Helmut?« Ihr Mann nickte. »Erst dachten wir, es hätte etwas mit Ihnen zu tun, vielleicht ein Streit oder so.«

»Nein, im Gegenteil. Wir haben uns bestens verstanden«, versicherte Ralf. »Wo ist sie denn hin?«



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