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Chicago 1927. Jeder in unserer Stadt kannte Horatio G. Parker. Er war Anwalt, Fabrikant, Millionär sowie führendes Mitglied und aktuelles Sprachrohr der Demokratischen Partei. Sein größter Feind war unser Bürgermeister, laut Parker "ein Volltrottel" und "Kommandant einer grenzdebilen Polizeitruppe, deren Intelligenz von jeder Scheibe Toastbrot übertroffen wird." Dass Parkers Sprüche ihn beim Bürgermeister nicht allzu beliebt machten, war keine Frage. Andererseits waren die Bürger Chicagos immer für gemeine Spitzen zu haben und mehrheitlich ohnehin seiner Meinung. Dass sein Neffe in einer nicht seiner Klasse entsprechenden Gegend mit einem Flachmann in der Hand, einem Loch im Kopf und einem Zettel zwischen den Zähnen aufgefunden worden war, musste Parker natürlich auf die Palme bringen. "J.J. hat sich nie in diesem Kaschemmen-Milieu aufgehalten. Wer meinen Neffen kennt, weiß, dass er ein gottesfürchtiger und fleißiger Student war. Ich bezweifle nicht, dass gewissenlose Elemente, die unserer Partei und mir schaden wollen, ihn in diesen Slum verschleppt haben! Die Frage, was er dort zu suchen hatte, ist doch nur der Anfang einer Kampagne, die meine Partei und mich diskreditieren soll!" Natürlich kann ein Politiker, der für Gesetz und Ordnung einsteht, sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es auch in seiner Familie Schwarze Schafe gibt. Der trinkfeste Privatdetektiv Harry Flynn, der den Mord an seinem Neffen aufklären soll, macht sich hingegen keine Illusionen: Politikern und ihrem Anhang traut er jede Schweinerei zu. Doch dann kommt es zu einem weiteren Mord... Dass das Opfer ebenso heißt wie Mr. Parkers toter Neffe macht ihn aber doch nachdenklich... HARRY FLYNN – PRIVATE EYE – hard-boiled Krimis aus dem Chicago der 1920er Jahre von Ronald M. Hahn!
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RONALD M. HAHN
Harry Flynn – Private Eye,
Band 4:
Ein Toter zu viel
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
EIN TOTER ZU VIEL
Chicago 1927.
Jeder in unserer Stadt kannte Horatio G. Parker. Er war Anwalt, Fabrikant, Millionär sowie führendes Mitglied und aktuelles Sprachrohr der Demokratischen Partei. Sein größter Feind war unser Bürgermeister, laut Parker „ein Volltrottel“ und „Kommandant einer grenzdebilen Polizeitruppe, deren Intelligenz von jeder Scheibe Toastbrot übertroffen wird.“
Dass Parkers Sprüche ihn beim Bürgermeister nicht allzu beliebt machten, war keine Frage. Andererseits waren die Bürger Chicagos immer für gemeine Spitzen zu haben und mehrheitlich ohnehin seiner Meinung.
Dass sein Neffe in einer nicht seiner Klasse entsprechenden Gegend mit einem Flachmann in der Hand, einem Loch im Kopf und einem Zettel zwischen den Zähnen aufgefunden worden war, musste Parker natürlich auf die Palme bringen.
„J.J. hat sich nie in diesem Kaschemmen-Milieu aufgehalten. Wer meinen Neffen kennt, weiß, dass er ein gottesfürchtiger und fleißiger Student war. Ich bezweifle nicht, dass gewissenlose Elemente, die unserer Partei und mir schaden wollen, ihn in diesen Slum verschleppt haben! Die Frage, was er dort zu suchen hatte, ist doch nur der Anfang einer Kampagne, die meine Partei und mich diskreditieren soll!“
Natürlich kann ein Politiker, der für Gesetz und Ordnung einsteht, sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es auch in seiner Familie Schwarze Schafe gibt.
Der trinkfeste Privatdetektiv Harry Flynn, der den Mord an seinem Neffen aufklären soll, macht sich hingegen keine Illusionen: Politikern und ihrem Anhang traut er jede Schweinerei zu.
Doch dann kommt es zu einem weiteren Mord... Dass das Opfer ebenso heißt wie Mr. Parkers toter Neffe macht ihn aber doch nachdenklich...
HARRY FLYNN – PRIVATE EYE – hard-boiled Krimis aus dem Chicago der 1920er Jahre von Ronald M. Hahn!
Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.
Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.
Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.
Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).
Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).
Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.
Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.
Ronald M. Hahn
1.
In welchem Zustand befand sich die Welt an diesem Morgen?
Noch wusste ich es nicht. Aber sie erschien mir grauer als am Tag zuvor. Es konnte auch etwas damit zu tun haben, dass er gerade erst heraufdämmerte, als ich das Haus der Klientin verließ, für die ich die letzten zwei Wochen gearbeitet hatte.
Ich hatte keine Ehescheidungssache übernommen, sondern den Geschäftspartner der Dame überprüft. Er hatte nicht nur zierliche, sondern auch lange Finger. Am Abend zuvor hatte ich den schrägen Vogel mit den Fingern in der Kasse erwischt.
Meine Klientin hatte mir ihre Dankbarkeit nicht nur mit der Ankündigung bewiesen, dass sie meine Rechnung schnellstmöglich begleichen würde.
Als ich in das Gässchen einbog, in dem mein Plymouth stand, wimmelte es hinter ihrem Haus von dunkelblau uniformierten und zivil gekleideten Cops.
„Gehen Sie bitte anderswo her, Sir“, sagte ein rothaariger Zweimetermann und breitete die Arme aus, um mich am Weitergehen zu hindern. „Hier gibt’s nicht da Geringste zu sehen.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte ich und reckte den Hals.
Zwanzig Meter hinter dem großen Bullen, lagen zwischen Mülltonnen und Sperrmüll die Hosenbeine eines Mannes auf dem Pflaster der Gasse. Neben ihm kniete ein Mann mit einem Täschchen. Ich hatte ihn schon oft bei solchen Gelegenheiten gesehen. Sechs, sieben uniformierte Cops kramten mit ihren Schlagstöcken zwischen den Tonnen und dem Sperrmüll herum. Drei oder vier Trenchcoats und Filzhüte tragende Zivilisten standen mit finsterer Miene herum und fachsimpelten leise.
Zwei von ihnen waren so schwarzhaarig, dass man sie für Kerle halten konnte, die für das italienische Syndikat auf der South Side arbeiteten.
Sie waren aber Polizisten, wie der schlanke blonde Knabe, dessen Blick unstet von hier nach da zuckte. Bei ihm handelte es sich um Lieutenant Quick von der Chicago City Police, Abteilung Mordkommission. Der Zivilist, der neben dem Polizeiarzt am Boden kniete, musste Captain Hogarth sein.
Quicks Blick fiel auf mich. Er zuckte zusammen.
Immer wenn unsere Wege sich kreuzten, reagierte er wie ein Pawlowscher Hund. Schon fegte er auf mich zu, baute sich neben dem Zweimetermann auf und fauchte: „Sie, Flynn! Schon wieder!“
„Morgen, Lieutenant“, sagte ich freundlich und tippte an meinen Hut. „Ich freu mich auch, Sie zu sehen.“
„Was haben Sie hier zu suchen?“, fauchte Quick. Er wedelte mit beiden Armen vor meiner Nase herum, als wolle er verhindern, dass ich an dem Zweimetermann vorbeiging. „Wieso kreuzen Sie eigentlich immer da auf, wo Leichen rumliegen?“
„Da liegt ’ne Leiche?“, fragte ich. „Wo denn?“
„Da liegt nichts“, sagte Quick und hüpfte nach rechts, um mir die Sicht zu versperren. „Sie sind kein Cop mehr, Flynn. Es geht Sie einen feuchten Kehricht an, was da liegt!“
„Soll ich den Mann entfernen, Sir?“, erkundigte sich der große Cop diensteifrig. „Oder wegen Behinderung der Polizeiarbeit festnehmen?“
Ich wich zurück. „Fass mich bloß nicht an“, sagte ich und schenkte ihm einen drohenden Blick. „Ich kenn ’ne Menge Winkeladvokaten.“
Der Cop verzog das Gesicht. Leute wie er hatten in diesen Jahren keinen leichten Stand. Jeder zweite Bulle in Chicago war geschmiert; da konnte ein braver Mann nie wissen, ob er vielleicht jemanden einsperrte, der auf der gleichen Gehaltsliste stand wie er.
Nun standen Hogarth und der Arzt auf. Er erkannte mich, winkte mir zu und ließ den Arzt stehen. Ein paar Typen stiegen aus einem Lieferwagen, kamen mit einem Sperrholzsarg näher, legen die Leiche hinein, machten den Deckel zu und trugen die Kiste zu ihrem Fahrzeug.
Die beiden blatternarbigen Cops begleiteten ihn. Die ganze Meute stieg in den Wagen, der sich kurz darauf in Bewegung setzte und an uns vorbeifuhr. Die Uniformierten trampelten alle am Tatort vorhandenen Spuren nieder. Vielleicht wurden auch sie von jemandem dafür bezahlt. Ich hatte keine Ahnung.
Quick verdrückte sich, als Hogarth mir eine zerknautschte Packung Chesterfield hinhielt. „Wollen Sie auch eine?“
„Danke, Captain.“ Ich langte zu.
Hogarth schob sich ein Stäbchen zwischen die Zähne, gab uns mit einem kleinen metallenen Flammenwerfer Feuer und schaute sich um. „Nicht gerade ’ne feine Gegend hier, was?“
„Nee.“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber die meisten Künstler treiben sich gern in solchen Ecken rum.“ Es gab in diesem Viertel eine Menge Galerien, Buchläden, Antiquariate und kleine Theater.
„Es macht Ihnen doch sicher nichts aus, mir zu sagen, was Sie um diese Zeit hier treiben, Harry?“
„Nee.“ Ich schüttelte abermals den Kopf. Im Gegensatz zu dem dämlichen Quick war Hogarth ganz in Ordnung. Ich erzählte ihm von meiner mit alten Schwarten handelnden Klientin, ohne ihren Namen zu nennen, denn ich wollte sie nicht kompromittieren.
„Was denn, Sie haben Klienten in diesem Nachtjackenviertel? Wissen Sie genau, dass die Dame Ihre Rechnung auch bezahlen kann?“ Plötzlich grinste er. „Ach so, jetzt verstehe ich!“
Ich gönnte mir ein vages Schmunzeln. „Tja, manchmal muss man sich auch auf Kompensationsgeschäfte einlassen, Captain.“ Ich hob die Schultern. „Sie hatte mir ’n Louis Quatorze-Sekretär angeboten, aber ich hab dann doch lieber was anderes genommen.“ Was ich sagte, war natürlich maßlos übertrieben, aber ich wollte den uns belauschenden Spießer Quick neidisch machen. Dies konnte man am besten, indem man so tat als hätte man an jedem Finger zehn.
„Wer ist dieser Louie Sowieso?“, fragte Hogarth. „Kenn ich ihn?“
„So’n alter Franzmann, nach dem man gewisse Möbel benannt hat.“
„Aha.“ Wir pafften vor uns hin. Dann deutete Hogarth über seine Schulter auf meinen betagten Plymouth. „Ist das nicht Ihre Karre?“
„Yeah.“
„Würden Sie mir den Namen Ihrer Klientin geben?“
„Ähm...“
Hogarth beugte sich vor. „Quick hat sich die Nummern aller Fahrzeuge in dieser Gasse notiert. Wenn Sie nicht wollen, dass er Ihnen auf die Bude rückt, sagen Sie mir, wie die Dame heißt, die Ihr Alibi bestätigen kann.“
Ich zückte eine Visitenkarte, schrieb Namen und Adresse auf die Rückseite und gab sie ihm.
„Bin ich etwa verdächtig, Captain, weil mein Wagen in dieser Gasse steht? Wer hat da überhaupt ins Gras gebissen?“
„Sie sind nicht verdächtig.“ Hogarth schüttelte den Kopf. „Aber Sie kennen doch Quick.“ Er drehte sich um. „Quick, übernehmen Sie den Tross. Ich hab mir die Nacht jetzt lange genug um die Ohren geschlagen. Ich geh jetzt frühstücken. Ich nehm Flynn mit und werde ihn selbst verhören. Wir sehen uns dann später im Präsidium.“
„Aye, aye, Sir.“ Quick salutierte, was unglaublich trottelig aussah.
Hogarth führte mich zu meinem Wagen. „Nehmen Sie mich mit?“
Wir traten unsere Kippen aus. Ich setzte mich hinters Steuer und er nahm neben mir Platz.
Wir fuhren aus der Gasse raus, dann ging es auf die Straße. Wir bogen zweimal ab, dann kamen wir an einen Coffee Shop, hinter der ein Klappergestell namens Henriette ab 6.00 Uhr morgens die Pfannen schwenkte.
Ich stellte den Wagen vor dem Fenster ab, und wir gingen rein und bestellten uns Kaffee und Pfannkuchen. Drei, vier ungewaschene Typen am Tresen hatten bei Hogarths Anblick plötzlich dringende Geschäfte zu erledigen und machten sich aus dem Staub.
Wir suchten uns eine freie Nische, steckten uns die nächste Zigarette an und qualmten Henriette die Bude voll.
„Wer ist der Tote, Captain?“, fragte ich aus reiner Neugier.
„Eine Kleinkrimineller, von dem ich nur weiß, dass man ihn ‚den flotten Olaf’ nennt.“ Hogarth zog die Schultern hoch. „Soweit ich weiß, ist er im Hauptberuf Kellner, aber er vertickt auch alles, was er in die Finger kriegt.“ Er schaute mich ernst an. „Früher hat er sein Geld mit Karten verdient. Wie man so hört, sind sie ihm, wenn es ungünstig für ihn stand, immer aus dem Ärmel geflutscht. Er musste die Zockerei aufgeben, weil er Gicht gekriegt hat und seine Finger nicht mehr so flott sind wie früher.“
„Wie ist er gestorben?“
Henriette brachte unseren Kaffee und die Pfannkuchen. Sie nannte den Captain „Herzchen“ und mich „Süßer“ und haute wieder ab. Wir hauten rein und unterhielten uns dabei.
„Kopfschuss“, sagte Hogarth. „Aus nächster Nähe. Mit aufgesetzter Waffe. Sah scheußlich aus.“
„Wie barbarisch.“ Ich schüttelte mich. „Vermutlich ein Racheakt.“
Hogarth nickte. „Yeah. Dazu passt auch der Zettel.“
„Der Zettel?“ Ich trank einen Schluck Kaffee. Mein Blick fiel auf eine Frau am Tresen, die Kaffee trank. „Was für ein Zettel?“
„Nun ja...“ Hogarth verputzte den letzten Bissen seines Pfannkuchens, putzte sich den Mund mit einer Papierserviette ab und schob sich eine Chesterfield zwischen die Zähne.
Während ich mir ebenfalls ein Stäbchen anzündete, legte der Captain ein Stück Papier vor mich hin. „Das klemmte zwischen den Zähnen des Toten.“
Der Zettel stammte vermutlich von einem blau linierten Block. Jemand hatte ihn mit Blockbuchstaben beschriftet:
TOD ALLEN SCHNAPSHÄNDLERN!
KREPIERT, IHR MIESEN RATTEN!
„Da hat offenbar jemand mörderische Wut auf Leute, die mit Schnaps handeln.“
Ich runzelte die Stirn. Da die Typen, die stellvertretend für uns im Parlament saßen, irgendwann zu der Ansicht gelangt waren, alkoholische Getränke seien ungesund, weswegen man ihren Konsum verboten hatten, machten in unserem Land gewisse Kreise mit schwarz gebranntem und eingeschmuggeltem Whisky einen Haufen Moneten.