Ein wahnsinnig netter Bekanntenkreis - Katharina Eckart - E-Book

Ein wahnsinnig netter Bekanntenkreis E-Book

Katharina Eckart

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Beschreibung

Rena tut alles, um dazuzugehören und ihrem illustren Bekanntenkreis zu imponieren. Als sie aber einen umwerfenden Liebhaber erfindet, gerät sie in echte Beweisnot: Wo soll Rena nur so schnell einen Mann herzaubern? Da kommt ihr der attraktive Jimmy gerade recht. Doch als der nicht mitspielt, zeigt sich, dass Rena für ihr Image über Leichen geht ... Eine schwarze Tragikomödie voller boshafter Seitenhiebe auf den Zeitgeist. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 264

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Katharina Eckart

Ein wahnsinnig netter Bekanntenkreis

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.

1.

Ist Kartoffelsalat spießig, oder ist Kartoffelsalat so megaspießig, dass er schon wieder kultig ist? Diese Frage beschäftigte Rena, die eigentlich Renate hieß und die das »te« schon vor Jahren zu Gunsten der Imageaufpolierung geopfert hatte, seit Tagen. Egal. Zu ändern war jetzt eh nichts mehr. Gleich würde er anrücken, ihr Bekanntenkreis oder, besser gesagt, engster Freundeskreis, und dann würde es Daumen hoch oder runter heißen.

Rena warf einen letzten prüfenden Blick auf die gedeckte Tafel. Ganz schön schrill, befand sie. Und eigentlich war sie sich jetzt schon ziemlich sicher, dass der Kartoffelsalat ein voller Erfolg werden würde. War wenigstens mal was anderes. Immer nur Schickes auf Italienisch oder Französisch oder Indonesisch war’s doch auf Dauer auch nicht! Zugegebenermaßen war der Kartoffelsalat eine Art Notlösung gewesen, denn Rena konnte weder kochen, noch war sie im Besitz eines nennenswerten Küchenequipments. Und die Zubereitung edelster Speisen in voll durchdesignten Kochobjekten war nun mal in ihrem Bekanntenkreis ein Muss, so wie essen, atmen und David-Lynch-Filme gut finden. Da es mittlerweile Sitte geworden war, sich reihum zum Essen einzuladen, war Rena bereits in den Genuss etlicher edelst dekorierter Gaumenfreuden gekommen, hatte sich selbst aber einfallsreich herausreden müssen, wenn es darum ging, wann denn mal bei ihr getafelt würde. Einmal hatte sie sich mit fertig gekauften Köstlichkeiten vom Szeneitaliener retten können. Geschickterweise hatte sie schon Tage vorher immer wieder einfließen lassen, dass sie zur Zeit furchtbar im Stress sei, und war damit entschuldigt. Ein zweites Mal wäre sie damit nicht durchgekommen, so viel war klar.

Immerhin: In puncto Originalität würde sie heute alle um Längen schlagen, da war sie sich sicher. Aufopferungsvoll hatte sie sogar vom proligen Dickbauch gegenüber das Balkonbiergartenensemble, bestehend aus Holztisch und Holzbänken, ausgeliehen und in ihre Küche gestellt. Um diesen Megakitsch gezielt zu überhöhen, hatte sie im Gartencenter sechs ultrascheußliche Gartenzwerge gekauft und damit den Tisch dekoriert. Ja, dachte Rena zufrieden, alles in allem werde ich hiermit euren Schickimickischeiß voll in den Schatten stellen!

Mitten in das vorab genossene Triumphgefühl düdelte das Telefon. Eine Absage!, dachte Rena panikerfüllt, und so war sie dann ausnahmsweise erleichtert, als sie die gewohnt schrille Stimme ihrer Mutter vernahm.

»Hier ist dein liebes Mütterlein, mein Schätzchen. Und? Ist er lecker geworden, der Kartoffelsalat?«

»Ja, Mutti. Ich hab ihn genau nach deiner Anweisung gemacht. Und er ist köstlich.« Rena sprach betont ruhig und sachlich, in der Hoffnung, damit die niederschmetternde Heiterkeit ihrer Mutter zu bremsen. Vergeblich.

»Wenn du willst, schickt die liebe Mutti dir auch noch ein Rezept für leckeren Nudelsalat.«

Bäh, dachte Rena, Nudelsalat ist ja so was von eklig. Aber woher sollte die liebe Mutti wissen, dass sie mal von Nudelsalat ganz fürchterlich gekotzt hatte, damals auf dieser schwitzigen Grabschparty, auf der sie ihren ersten Vollrausch und ihren ersten Zungenkuss erlebt hatte.

»Lieb von dir, Mutti. Aber ist nicht nötig. Du, ich muss mich sputen. Meine Gäste kommen gleich.«

»Schon gut, schon gut, mein Herzchen. Amüsier dich. Und bring die jungen Leute doch mal mit. Ihr könntet hier im Garten grillen.«

Prächtige Idee, dachte Rena, die das Gespräch rabiat beendete, als ihre Mutter zu allem Überfluss auch noch erwähnte, dass doch alle im Partykeller übernachten könnten. Da sei genug Platz. Ein Grillabend in Muttis und Vatis Darmstädter Vorstadtidylle! Rena schüttelte sich. Wir könnten auch noch Onkel Hubert und Tante Inge und die Bremers von gegenüber dazu einladen und uns bei einer Pfirsichbowle zotige Witze erzählen. Nein, Mutti hatte wirklich keine Ahnung von Renas Freundeskreis. Und so sollte es auch bleiben!

Ein Blick auf die Uhr ließ wieder leichte Panik aufkommen. Noch zwanzig Minuten, und die Kleiderfrage war noch nicht abschließend geklärt. Schnell ins ozeanblaue Schlafgemach, in dem Hunderte bunter Plastikfischchen an Perlonschnüren von der Decke baumelten. Und dass ich nicht wieder vergesse, später die Tür einen Spalt breit offen zu lassen, ermahnte sich Rena. Immerhin hatte noch niemand diese überaus originelle Idee gebührend bewundert. Dass sie einem englischen Schicker-Wohnen-Lifestyle-Magazin entsprungen war, würde schon niemand wissen.

Aber jetzt zur Kleiderfrage: Das Obenrum war klar. Ein sixtiesmäßig gemustertes Designerschnäppchen mit dezentem, aber gut sichtbarem Label. Das Untenrum war schon problematischer. Die optimal verwaschenen Edeljeans zierte ein feister Menstruationsfleck, Röcke kamen erst recht nicht in Frage, weil sie vergessen hatte, sich die Beine zu rasieren. Also die neue, apfelgrüne Synthetikhose mit Schlag. Ganz schön gewagt. Rena quälte sich gerade vor dem Spiegel mit der Frage, ob gleich zwei neue Kleidungsstücke nicht zu gewollt aufgebrezelt wirkten, als es schellte.

Überpünktlich. Also Karla und Hagen. Karla kokettierte gern mit ihrer Schwäche für angeblich überholte Wertvorstellungen, und deshalb war sie stets unerträglich höflich und korrekt. Ihre guten Umgangsformen grenzten wirklich an eine Zumutung. Hagen folgte ihr immer wie ein braver Dackel, und Rena war sich sicher, dass Karla ihn sich nur geschnappt hatte, weil er teure Cashmerepullis trug und ein von Sowieso war. Die Devise im Umgang mit Karla lautete: Kontrastieren statt Wetteifern. Also ein hektisch angehauchtes »Komme sofort!«, durch den Flur geträllert und dann auf einem Schuh zur Tür gehumpelt.

»Hi, ihr beiden, kommt doch rein!« Karla die zart gepuderte Wange geküsst, Hagen die siegelberingte Hand geschüttelt und den korrekt prognostizierten Begrüßungssatz erlitten.

»Sag nicht, wir sind mal wieder zu früh?«, hauchte Karla mit betontem Blick auf die teure Uhr und mit zarten Kummerfalten auf der Stirn.

»Quatsch. Ich weiß doch, wie pünktlich ihr immer seid.« Karla zeigte schlecht gespielte Erleichterung, Rena blieb superlässig. »Geht schon durch. Ich muss nur noch schnell meinen zweiten Schuh suchen. Hach, ich bin so was von chaotisch heute.« Rasch ins ozeanblaue Gemach – einundzwanzig, zweiundzwanzig –, in den Schuh geschlüpft und zurück in die Küche.

Karla wirkte soeben entzückt. »Kartoffelsalat! Das ist aber eine originelle Idee, Rena.« Klar war es das.

»Das Rezept ist von meiner Großmutter.« Stimmte zwar nicht, zeigte aber Wirkung. Karla schien gerührt, und selbst Hagen hatte ein sentimentales Flimmern in seinen wässerig blauen Augen, die, wie Rena von Karla wusste, ein besonderes Merkmal des alten Adelsgeschlechts waren, dem Hagen entstammte.

»Den besten Kartoffelsalat, den ich je gegessen habe, hat die Frau unseres Gutsverwalters gemacht.«

Karla warf ihrem blaublütigen Fischkopf einen dahinschmelzenden Blick zu. »Damals auf Gut Hergenrath?«

Während Hagen beiläufig seinem Möchtegernburgfräulein zunickte und gedanklich offensichtlich wieder in die Salatschüssel der Gutsverwaltersgattin abtauchte, vernahm Rena erleichtert heftiges Getrappel im Treppenhaus. Das waren eindeutig Vivis Plateausohlen. Gott sei Dank! Als es schellte, war Rena schon an der Wohnungstür. Sie öffnete, und da stand Vivi in ihrer gewohnten Pracht. Vivi war so eine Art Performancekünstlerin und missbrauchte ihre Mitmenschen als Dauerpublikum. Rena war sich sicher, dass sie nicht mal dem Briefträger die Tür öffnete, ohne vorher stundenlang über die künstlerisch-ästhetische und vor allem erotische Wirkung ihres Outfits nachgedacht zu haben. Vivi musste man von vornherein milde stimmen, denn obwohl sie nicht die Hellste war, konnte sie einen mit gezielt platzierten naiven Bemerkungen ganz schön in Verlegenheit bringen. Ein wenig schadenfroh erinnerte sich Rena an die Szene neulich im Theaterfoyer, als ausgerechnet die vornehme Karla hatte dran glauben müssen.

»Hach, Karlaschätzchen, manchmal beneide ich dich richtig um deinen kleinen Busen«, hatte Vivi so laut geträllert, dass einige Umstehende sogleich prüfende Blicke auf das Oberteil von Karlas kleinem Schwarzen warfen. Tatsächlich war unterhalb der Zuchtperlenkette kaum eine Wölbung wahrzunehmen. »Mich starren immer alle so an«, seufzte Vivi auch noch zu allem Überfluss und brachte ihr kitschigrot geschminktes Riesenmaul in Schmollform.

Es war natürlich weder Karla noch Vivi entgangen, dass Hagens Wasseraugen schon seit geraumer Zeit Vivis prall gewölbte Brokatkorsage fixierten, und Karla, in deren Höhere-Tochter-Repertoire Schlagfertigkeit nicht vorkam, wäre beinahe im Boden versunken. Danke, dass Vivis Schierlingsbecher an mir vorübergegangen ist, hatte Rena gedacht, und damit das auch heute so blieb, bestaunte sie sogleich ganz spontan und restlos verzückt Vivis gewagt geschnürten, hautengen Overall aus silbrigem Kunstleder. Und erst die kniehohen Stiefel aus schwarzem Lackleder! Rena war schier aus dem Häuschen, was Vivi huldvoll lächelnd zur Kenntnis nahm.

Brav revanchierte sie sich gleich beim Betreten der Küche mit einem übertrieben lauten Lob für Renas Tischdekoration.

»Wahnsinn, Rena! Echt geil!« Mit ihren schwarzlackierten Krallen griff Vivi nach einem der Zwerge. »Hey, kannst du dich noch an meine Kastrationsperformance mit den Gartenzwergen erinnern?«

Doch, Rena konnte. In schwarzer Spitzenwäsche hatte Vivi mit einem orientalischen Dolch Gartenzwergen zwischen den Schenkeln herumgestochert und dabei spitze Schreie ausgestoßen. Die rote Flüssigkeit, die dabei aus den malträtierten Gummignomen hervorblubberte, soll laut Vivi echtes Schweineblut gewesen sein. Alles in allem war das eine ganz schön eklige Angelegenheit gewesen, aber sicherheitshalber nickte Rena begeistert.

»Das war echt irre, Vivi. Und kannst du dich erinnern, wie verschreckt die Spießer im Publikum ausgesehen haben?«

Natürlich konnte Vivi. Und dass insgesamt nur zehn Leute da gewesen waren, die eher verwundert als verschreckt ausgesehen hatten, musste man Hagen und Karla gegenüber ja nicht erwähnen. Da die beiden leider, leider an diesem kulturellen Ereignis nicht hatten teilnehmen können, setzte Vivi sogleich zu einer gnadenlos ausführlichen Schilderung an. Aber das Schicksal war Rena erneut gnädig: Die Türglocke befreite sie. Es war Iris. Hätte Rena allerdings zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass sich ihre allerbeste Freundin Iris heute noch viel abscheulicher als sonst aufführen würde, wäre sie sicherlich nur halb so beschwingt zur Tür gelaufen.

 

Stunden später saß Rena mit hängenden Schultern am Biergartentisch und ließ den Abend Revue passieren. Eigentlich hätte sie zufrieden sein können: Der Kartoffelsalat war restlos verputzt worden, ebenso die Würstchen vom Edelmetzger. Die sündhaft teuren Senfsorten hatten alle begeistert, und sicherlich hatte der eine oder andere anhand der wie zufällig kleben gebliebenen Preisschildchen erkannt, dass sie aus dem exklusivsten Feinkostladen der Stadt stammten. Ihr Budweiser war als das Bier schlechthin gepriesen worden, und der Aquavit nach dem Essen war die Krönung all dieser Genüsse gewesen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Hahaha. Die Tischgespräche waren lebhaft und abwechslungsreich gewesen: bildende Kunst, die artifizielle Ästhetik der Filme von Peter Greenaway, die Weltwirtschaftskrise, der Reiz der Trivialliteratur – beliebte Themen, die immer wieder gern diskutiert wurden. Hagen und Karla hatten vom Urlaub auf Norderney erzählt, Vivi war schon nach einer Stunde sturzbetrunken und hatte daher weder geätzt noch weiter über ihre Performances gesprochen, Wolfie und sein derzeitiger Lover Konrad hatten sich lauthals und Händchen haltend über die Schwulenehe als Kniefall vor dem Spießertum empört. Die verkannte Lyrikerin Isabel (mit Betonung auf der zweiten Silbe) suhlte sich in einer Depression und hatte deshalb ausnahmsweise nicht aus ihren Machwerken rezitiert. Es hätte also alles in allem ein nahezu perfekter Abend sein können. Aber Rena war nicht zufrieden. Sie war unglücklich. Ja, sie verspürte einen so bohrenden Hass, dass sie sich momentane Linderung verschaffte, indem sie sich ausmalte, wie sie Iris mit einem orientalischen Dolch die Augen ausstach. Mitten durch die Gläser ihrer beschissenen Pseudodesignerbrille.

Schon die Begrüßung hatte Rena die Laune verdorben. Nachdem man die unter allerbesten Freundinnen üblichen Wangenküsschen ausgetauscht hatte, kam der erste Dolchstoß. »Oh, ich hätte mich wohl schick machen müssen, hm?«, fragte Iris, Renas Designeroutfit musternd. Hättest du, Schlampe, dachte Rena grimmig, musste aber gleichzeitig schmerzerfüllt feststellen, dass sie sich schlagartig in ihrer apfelgrünen Hose ziemlich unwohl fühlte. Wahrscheinlich sah sie viel zu aufgedonnert aus. Iris hingegen trug zu enge Billigjeans und ein hautenges T-Shirt, das allen Ernstes sogar ein Stück Bauch frei ließ. Genauer gesagt ein Stück Schwarte, denn Iris war wahrhaftig nicht schlank. Und ganz weiß und teigig war sie auch. Igitt! Rena schüttelte sich innerlich, aber dennoch: Die Freude an der apfelgrünen Hose war hin. Und Iris fühlte sich offensichtlich auch noch ziemlich wohl in ihren geschmacklosen Fummeln. Während Rena noch über eine geistreiche Erwiderung nachdachte, war Iris schon an ihr vorbeigerauscht. An der offenen Schlafzimmertür verharrte sie.

»Oh, du hast renoviert!«

Gut, dachte Rena, sollst du Biest deine Chance auf Wiedergutmachung haben. Aber Iris verschwand ohne weiteren Kommentar zum Ozeanblauen in der Küche. Dort wurde sie natürlich freudig begrüßt – Iris wurde immer und von allen freudig begrüßt – und nahm Platz. Nervös, aber zuversichtlich wartete Rena darauf, was Iris zu Kartoffelsalat et cetera sagen würde. Aber das, was jetzt folgte, war schlimmer, als hätte ihr jemand ins Gesicht gespuckt: Iris sagte nämlich nichts. Überhaupt nichts. Sie guckte nicht mal so, als würde sie eventuell etwas sagen wollen. Oder als würde sie irgendwas über Renas originelle Idee denken. Sie ignorierte. Sie ignorierte das kulinarische Gesamtkunstwerk so demonstrativ, dass Rena schlagartig Magenschmerzen bekam.

»Habt ihr schon Renas neues Schlafzimmer gesehen?«, fragte Iris jetzt in die Runde. Rena horchte auf. Sieh an, dachte sie, hab ich dich doch beeindruckt, Miss Piggy! Um sich nicht anmerken zu lassen, wie gespannt sie war, ging Rena zum Herd und schaute nach den Würstchen. Aber leider konnte Vivi Iris nicht antworten, da sie gerade an einer Budweiserflasche nuckelte. Karla schüttelte blasiert den Kopf.

»Ich schaue doch nicht unaufgefordert in fremde Schlafzimmer!«

»Ich schon«, sagte Vivi und verließ mit einem Rülpser die Küche. »Hey, ist das schrill!«, hörte man gleich darauf aus dem Flur, und Vivi kam unendlich begeistert zurück in die Küche. »Super, Rena, echt, super!«

Rena bemühte sich, nicht zu sehr zu strahlen. »War ’ne Menge Arbeit«, sagte sie möglichst gelassen, immer noch die Würstchen hypnotisierend. »Die Idee kam mir, als ich …«

»… als du in diesem englischen Schöner-Wohnen-Magazin geblättert hast, nicht?«, ergänzte Iris zuckersüß. »Ich hab das auch gesehen. Die hatten echt niedliche Tips. Und ganz billig.«

Obwohl Rena schon in diesem Moment wusste, dass nichts und niemand ihre verdorbene Laune an diesem Abend würde bessern können, hatte sie sich wacker geschlagen. Sie hatte bei allen Themen mitgeredet, sich bei solchen, von denen sie keine Ahnung hatte, geschickt zurückgehalten, war witzig und spontan gewesen – und hatte dabei doch nur ihre allerbeste Freundin im Blick gehabt. Sie hätte sie töten können. Warum alle Iris so sehr mochten, würde ihr ein ewiges Rätsel bleiben. Lag es daran, dass sie als Einzige aus der Runde promoviert hatte? Bestimmt nicht. Schließlich war die Frau Doktor Iris Lengsdorf nichts weiter als eine arbeitslose Literaturwissenschaftlerin, die sich lediglich mit Buchrezensionen für eine drittklassige Lokalzeitung über Wasser hielt. Lag es an ihrem Äußeren? Wohl kaum. Obwohl Rena schmerzerfüllt zugeben musste, dass Iris’ moppeliger Rubenskörper auf viele Männer einen eigentümlichen Reiz ausübte. Warum aber sogar Frauen Iris wirklich und ganz echt schätzten, konnte Rena sich nicht erklären.

Klar, als sie Iris vor zwei Jahren kennen lernte, hatte sie sie auch gemocht. Rena wohnte damals erst seit einem halben Jahr in Köln, und es erschien ihr zu dieser Zeit noch als echter Glücksfall, dass der nicht unbekannte Werbefotograf Leander Voigt, bei dem sie sich ganz forsch beworben hatte, sie tatsächlich eingestellt hatte. Sie, deren Berufserfahrung sich auf die Ablichtung unzähliger Brautpaare, Kommunionkinder und dauergewellter Darmstädter Kleinstadtschönheiten beschränkte!

Sogar eine Wohnung hatte sie schnell gefunden: in einem Ehrenfelder Altbau, der zwar an einer stark befahrenen Straße lag und ziemlich heruntergekommen war, aber, wie sie fand, doch einen gewissen bohemienhaften Charme besaß.

Rena hätte also durchaus zufrieden sein können, wenn da nicht die fehlenden sozialen Kontakte gewesen wären. Ihr Chef war ein blasierter Snob, der, wie sich schon nach kurzer Zeit herausstellte, an privaten Kontakten zu seinen Sklaven nicht interessiert war. Und ihr einziger Kollege Wolfie verkehrte als gestandener Schwuler hauptsächlich in Kreisen, in denen Rena nichts verloren hatte.

So kontaktete sie nach einigen einsamen Wochen ihre ehemalige Mitschülerin Doris, genannt Doro, die schon seit Jahren in Köln lebte. Leider war die zu einer echten Spießermutti mutiert.

»Mensch, Renate, du hast dich ja richtig gemausert!«, hatte Doro bei Renas erstem Besuch gesagt. »Und wie schlank du geworden bist!«

Klar, dass Doro neidisch war. Denn schließlich trug Rena einen hochmodischen engen Hosenanzug, und Doro sah so aus, wie nun mal eine im siebten Monat Schwangere in einem sackähnlichen schimmelpilzfarbenen Gewand aussieht.

Dass Doro sich so wenig für Renas aufregenden Job in der glitzernden Welt der Werbefotografie interessierte, war ein untrügliches Indiz für ihren mittlerweile beschränkten Horizont. Aus Mitleid, aber auch ein bisschen, um nicht vollends zu vereinsamen, besuchte Rena von da an Doro hin und wieder.

Der Makel der Einsamkeit, der dennoch wie eine Schmeißfliege an Rena klebte, wirkte sich auf Dauer recht negativ auf ihr inneres Gleichgewicht aus. Es kostete sie immer mehr Kraft, im Fotostudio peppig und gut drauf zu sein, und es gelang ihr kaum noch, allein in Szenelokalen zu sitzen und dabei nicht einsam auszusehen. Ja, sie spürte immer häufiger mitleidsvolle Blicke von Nebentischen, an denen ausgelassene Cliquen ihr Gruppendasein lauthals zelebrierten.

Es musste etwas geschehen. Und um ihre innere Ruhe wieder zu finden, besuchte Rena einen Tai-Chi-Kursus, der tatsächlich ihr Leben innerhalb kürzester Zeit veränderte. Denn dort lernte sie Iris kennen.

Iris hatte neben Rena gestanden, und Rena hatte ihr schon nach fünf Minuten angesehen, dass sie der Kunst des Tai-Chi nicht den nötigen Respekt zollte. Da Rena selbst insgeheim auch fand, dass die meisten Kursteilnehmer bei ihren Schneckentempoverrenkungen ziemlich bescheuert aussahen, hatte sie Iris verschwörerisch zugezwinkert. Beide konnten schließlich ihr Kichern nicht länger unterdrücken und wurden prompt in der Pause zum Kursleiter zitiert.

»Vielleicht solltet ihr lieber einen anderen Kursus besuchen«, hatte er mit fernöstlich-milder Miene gesagt. »Jazzdance oder so.«

»Vielleicht sollten wir aber auch lieber ein Bier trinken gehen. Oder so«, hatte Iris zu Rena gesagt.

In einer wirklich tollen Kneipe, die Rena bis dahin gar nicht kannte und in der Iris vom Barmann mit Wangenküsschen begrüßt wurde, hatten die beiden einen höchst vergnüglichen Abend miteinander verbracht. Nach den vielen Wochen des Schweigens hatte Rena nur so gesprudelt vor Esprit, Witz und Originalität. Das musste Iris beeindruckt haben, denn nach einigen weiteren Treffen spürte Rena, dass Iris sie zu ihrer Freundin ernannt hatte. Das wiederum war für Rena mit etlichen Vorteilen verknüpft. Sie war nicht nur nicht mehr einsam, sie lernte auch Iris’ tollen Freundeskreis kennen: Karla, Vivi, Hans, Isabel und all die anderen.

Rena genoss die freundliche Aufmerksamkeit, die die Runde ihr entgegenbrachte. In Gruppen hatte sie bis dahin oft unter dem Gefühl gelitten, nicht besonders klug zu sein, aber da Iris unter ihren Freunden als Intellektuelle galt und offenbar Renas Gegenwart schätzte, mussten die anderen sie zwangsläufig auch für eine Intellektuelle halten. War doch klar. Oder würde eine vermeintlich hochintelligente Frau ihre Freizeit mit einer Dumpfbacke verbringen? Wohl kaum.

Außerdem besaß Iris durch ihre Arbeit bei der Zeitung Kontakte zu anderen interessanten und prestigeträchtigen Kreisen und bekam immer tolle Einladungen zu Vernissagen, Premieren und Lesungen. Da ihr zwanzig Jahre älterer Lebensgefährte Hans Veranstaltungen dieser Art verabscheute, nahm Iris meistens Rena mit. Und so betrat Rena endlich die Welt, zu der sie ihrer Ansicht nach schon immer gehört hatte: die Welt der Künstler und Kreativen, der Ausgeflippten und Intellektuellen. Dieses neue Leben hätte so schön sein können! Wenn nur nicht Iris irgendwann mit diesen Sticheleien angefangen hätte.

Rena konnte sich genau an das erste Mal erinnern. Isabel hatte nach einer Lesung alle ins »La Fontana« eingeladen, und Rena hatte versehentlich Karlas Rotweinglas umgeworfen.

»Ganz schön grobmotorisch heute, was?«, hatte Iris vergnügt gesagt.

Alle hatten gelacht, sogar Hagen, auf dessen heller Hose das Glas gelandet war, und Rena hatte sich gefühlt wie eine trottelige, ungeschickte Vollidiotin. Sie hatte sich zwar mit einem kleinen Scherz retten können, aber am liebsten wäre sie heulend aus dem Lokal gerannt.

Von da an häuften sich Iris’ spitze Bemerkungen. Sie schien einen sicheren Instinkt dafür zu haben, was Rena peinlich war oder womit sie sie ärgern und demütigen konnte. Offenbar wollte sie sich auf arroganteste Weise profilieren, indem sie Rena vor den anderen lächerlich machte.

Rena versuchte den Schmerz zu dämpfen, indem sie sich sagte, dass sie diejenige sei, die Iris eiskalt ausnutzte. Dass sie also ganz cool drüberstehen könne, über diesen Ätzereien. Doch es gelang ihr nicht. Sie konnte Iris aber auch nicht zum Teufel jagen, denn damit würde ihr toller Bekanntenkreis flöten gehen. Rena war wild entschlossen, das Feld nicht kampflos zu räumen. Irgendwann würde sie es Iris schon zeigen. Und dann würde die es nie mehr wagen, eine blöde Bemerkung über Rena zu machen!

An diesem Abend allerdings, zwischen Kartoffelsalat und Aquavit, hatte Iris es mal wieder gewagt. Und wie. Der letzte Schlag, zu dem sie ausgeholt hatte, war von einer solch bodenlosen Gemeinheit gewesen, dass Rena jetzt noch ganz schlecht war.

»Schade, dass Hans nicht mitgekommen ist«, hatte Hagen zu Iris gesagt. »Jammerschade«, seufzte die betrunkene Vivi, »dein Hansemann ist ja so süß!«

Alle, auch Iris, kicherten, denn Hansemann war alles andere als süß. Hans van Dorp war Soziologieprofessor und eine höchst würdevolle, seriöse Erscheinung. Leider aber hatte er auch eine recht ausgeprägte misanthropische Veranlagung und nahm deshalb selten an geselligen Zusammentreffen teil. Rena hatte ein kleines bisschen darauf spekuliert, dass er bei ihrer Einladung eine Ausnahme machen würde, und damit nicht auffiel, dass sie enttäuscht war, musste sie schnell reagieren.

»Iris muss doch meistens ohne Hans ausgehen. Wissen wir doch«, sagte sie möglichst gleichgültig.

»Macht dir das gar nichts aus, Iris?«, wollte Karla, die wie eine Klette an Hagens Cashmereärmel hing, mitfühlend wissen.

»Wieso?«, fragte Iris schulterzuckend. »Ich brauch doch keine Männerbegleitung, um meinen Spaß zu haben.«

Und dann kam sie, die letzte, gnadenlose Attacke. »Seht euch Rena an. Die geht doch auch immer ohne Mann aus.«

»Genau«, sagte Rena, in die Runde strahlend. »Und seh ich so aus, als würde ich mich nicht amüsieren?« Und während Rena so restlos überzeugend vor sich hin strahlte, hatte sie das Gefühl, jemand würde ihre Eingeweide verknoten.

 

Rena hatte keinen Freund. Sie hatte keinen Lover, keine Affäre, keine One-night-stands, ja, nicht mal einen herzensbrechenden Ex hatte sie vorzuweisen. Sie war witzig, spontan, originell, geistreich, machte das Beste aus ihrem Typ – aber Männer interessierten sich schlichtweg nicht für sie. Sie schätzten sie als gute Freundin oder prima Kumpel, fanden sie aber offenbar so erotisch wie einen alten Pantoffel. Rena hatte nichts unversucht gelassen, um Männer zu betören – erfolglos. Sie hatte in vielen zermürbenden Stunden nach einer Erklärung gesucht – vergebens. Dennoch hätte Rena sich mit ihrem unfreiwilligen Singledasein durchaus arrangieren können, wenn da nur diese eine bohrende Frage nicht geblieben wäre: Was denken die anderen darüber?

2.

Am nächsten Morgen hatte Rena einen Brummschädel. In der Nacht hatte sie noch lange am Küchentisch gelitten, dabei unzählige Aquavits getrunken und schließlich gegen vier Iris’ Nummer gewählt. Als Iris abnahm und sich schlaftrunken meldete, legte Rena schnell wieder auf. Das hatte sie schon in anderen Nächten getan, denn ihr Sinn für Gerechtigkeit sagte ihr, dass Iris nach solchen Attacken kein Recht auf eine ungestörte Nachtruhe hatte.

Da sich in der Küche noch das schmutzige Geschirr stapelte und der Geruch von Bier und Schnaps in der Luft hing, verzichtete Rena auf ihren morgendlichen Espresso und ging gleich wieder zurück ins Schlafzimmer. Ihr desolater Gemütszustand verlangte heute nach einem besonders optimistischen Outfit, aber nach einigen farbenfrohen Fehlversuchen entschied sie sich für die Calvin-Klein-Wohlfühljeans und das D&G-T-Shirt, ihre Uniform für Depri-Tage. Die Baseballkappe gab den nötigen Pepp, ebenso der übergestülpte Walkman und die Moschino-Sonnenbrille. Als sie schließlich so sportlich auf ihrem Trekkingbike zum Studio radelte, fühlte sie sich schon wesentlich besser.

»Tag, mein Schnuckel«, begrüßte sie Wolfie, der sie, als sie die Sonnenbrille abnahm, mit gespielt mitleidvollem Blick beäugte.

»Na, Schatz? Eisprung oder Kater?«

»Verpennt«, sagte Rena und knallte ihren Mickymausrucksack auf den Arbeitstisch. »Na ja«, fügte sie grinsend hinzu, »lag vielleicht an dem einen oder anderen Aquavit.«

Wolfie zwinkerte ihr zu. »War echt ein toller Abend gestern. Soll ich dir auch von Konrad ausrichten.«

Ach, tat das gut! Wolfies Freundlichkeit half besser gegen Kopfschmerzen als alle Aspirine der Welt!

»Dein Konrad ist ja ’ne echte Sahneschnitte. Wo hast du den eigentlich aufgetrieben?«

»Du glaubst es nicht: beim Frisör! Ich habe mich allen Ernstes in einen schwulen Frisör verknallt. Es lebe das Klischee!«

»Ich hatte auch mal was mit ’nem Frisör«, flunkerte Rena. »Der war zwar ein bisschen blöd, hatte aber begnadete Hände.«

»Die hat Konrad auch.« Wolfie verdrehte verzückt die Augen. »Und klug ist er auch noch. Hast du nicht mitgekriegt, wie angeregt er sich mit Iris über Thomas Mann unterhalten hat?«

Nein, hatte Rena nicht. Und was diese blöde Lockenwicklerschwuchtel über Thomas Mann zu sagen hatte, wollte sie auch gar nicht wissen. Deshalb wandte sie sich, ohne Wolfie zu antworten, dem Zettelstapel auf ihrem Schreibtisch zu.

Aber Wolfie war nicht zu bremsen.

»Echt, Konrad war total begeistert von Iris. Ist ’ne tolle Frau, hm?«

Rena grinste beiläufig. »Klar. Wär sie sonst meine beste Freundin?«

Bevor Wolfie sich noch weiter über die Qualitäten der Giftschlange auslassen konnte, betrat Maestro Voigt den Raum. Die Zornesfalten auf seiner sonnenbankgebräunten Stirn verhießen nichts Gutes.

 

Als Rena sich acht Stunden später auf den Weg zum Café Central machte, war sie völlig erledigt. Voigt hatte sie in seinem schnarrenden Befehlston ununterbrochen herumgescheucht, sie hatte telefonieren, organisieren und aufräumen müssen. Warum Voigt für diese Arbeit eine ausgebildete Fotografin und keine Sekretärin eingestellt hatte, wusste Rena nicht, aber sie vermutete, dass er einer Sekretärin mehr hätte zahlen müssen. Na ja, aber so schlimm fand sie die Büroarbeit in Wirklichkeit gar nicht, denn eigentlich machte sie sich toll an ihrem Designerschreibtisch. Wichtig war sie auch, denn ohne sie und ihre organisatorischen Fähigkeiten würde bestimmt bald das ganze Studio im Chaos versinken. Und da Rena im Grunde ihres Herzens wusste, dass ihre Talente als Fotografin recht überschaubar waren, hatte sie gelernt, aus ihrem Quasi-Bürojob das Beste zu machen.

Da jeder, der ins Studio kam, zuerst an ihr und ihrem Schreibtisch vorbei musste, sie also mehr oder weniger das Aushängeschild war, legte sie immer besonders viel Wert auf ihre Kleidung. Flott musste die sein. Flott und dynamisch, dabei aber auch geschmackvoll und edel, also passend zum loftähnlichen, spärlich möblierten Ambiente. In puncto Sprache hatte sie sich für den Umgang mit Kunden, Lieferanten und freien Mitarbeitern ein breit gefächertes Repertoire angeeignet – von lässig-lustig über höflich-korrekt bis überheblich-streng, je nach Wichtigkeit des Publikums. Der Platz hinter dem Schreibtisch war ihre Bühne, und offen gestanden war Rena mittlerweile sogar froh, wenn sie nicht im Studio mitarbeiten musste. Die halbwegs interessanten Sachen durfte nämlich sowieso nur Wolfie machen. Sie war für die niederen Hilfsdienste zuständig. An diesem Nachmittag hatte sie beispielsweise unter den strengen Augen des Meisters für die Jogifrutti-Shootings unzählige Joghurtbecher zu einer Pyramide stapeln müssen. Voigt hatte wie üblich keinen Hehl daraus gemacht, dass er sie viel zu langsam und ungeschickt fand, und so versuchte Rena auf dem Weg zum Central jeden Gedanken an den blasierten Blick dieses überheblichen Angebers aus ihrem Kopf zu verbannen, damit sie ihren Feierabend unbelastet genießen konnte. Als sie ihr Ziel erreichte, war sie schon wieder so gut drauf, dass sie stolz erhobenen Hauptes das Szenecafé betreten konnte.

 

Sie hielt sogleich Ausschau nach Vivi. Die beiden hatten sich auf einen kleinen Plausch verabredet, was im Klartext hieß, dass Vivi ihr eine Stunde lang Müll erzählen würde. Allerdings zog man in Vivis Gegenwart immer jede Menge Blicke auf sich, und das würde Rena jetzt ziemlich gut tun.

Vivi war noch nicht da, aber an einem der hinteren Tische entdeckte Rena Vivis Freundin Fritzi, eine Furcht einflößende Lesbe mit kahlrasiertem Schädel, stets ganz in Leder. Rena kannte sie zwar nicht gut, aber da Fritzi ganz cool die Hand zum Gruße hob, konnte sie es wagen, sich zu ihr an den Tisch zu setzen.

»Ahoi«, sagte Fritzi, die mittlerweile wieder die Arme vor der Brust verschränkt hatte und Rena mit unbewegter Miene schräg von unten fixierte.

In Fritzis Gegenwart fühlte Rena sich immer höchst unsicher, und deshalb plapperte sie munter drauflos. »Puh, ich bin so was von geschafft. Das war ein Stress heute im Studio.«

Fritzi hob missbilligend eine Braue. »Wenn ich so ’ne Kommerzkacke machen müsste, wär ich auch gestresst.«

Und ich, wenn ich von der Stütze leben müsste, du Sozialschmarotzerin, dachte Rena. Aber sie hob beschwichtigend die Hände. »Bitte, Fritzi, keine Grundsatzdiskussion. Dafür bin ich zu erledigt.«

Rena winkte nach dem Kellner, Fritzis Blick schweifte zur Tür. »Na, dann bin ich gespannt, wie du jetzt unsere Primadonna verkraften willst.«

Rena drehte sich um und sah Vivi auf ihren halsbrecherischen Stilettos hereinstöckeln. Ihr pechschwarz gefärbtes Haar hatte sie zu einer kunstvollen Turmfrisur hochgeknotet, ihr rotes Spitzenkleid war so durchsichtig, dass man die schwarze Wäsche darunter gut erkennen konnte. Diejenigen Gäste, die sie noch nicht anstarrten, taten es, als sie jetzt kreischend mit den Armen ruderte. »Juhu, Mäuse! Wieso sitzt ihr denn im Eckchen?«

Vivi kam zum Tisch gestöckelt. Rena kassierte ihr Wangenküsschen, Fritzi riss schützend die Hände hoch.

»Bleib mir bloß vom Hals mit deinem Lippenstiftmaul!«

Vivi kicherte und piekste Fritzi scherzend mit ihrem bekrallten Zeigefinger in die ledergepolsterte Schulter. »Fritzi, du hast keine Manieren!«

»Hab ich lang dran gearbeitet«, grunzte Fritzi, und das war für die nächste halbe Stunde ihr letzter Beitrag zur Konversation.

Vivi redete und redete. Just an diesem Tag war es ihr nämlich gelungen, den total süßen Wurstverkäufer aus der Kaufhof-Lebensmittelabteilung, dessen behaarte stattliche Arme sie schon seit geraumer Zeit vergötterte, dazu zu überreden, bei ihrer nächsten Performance mitzumachen. Was genau der arme Mann im Rahmen dieser Veranstaltung würde anstellen müssen, hatte sie ihm sicherheitshalber erst mal verschwiegen.

Vivi schwärmte also hemmungslos vom göttergleichen Wurstverkäufer, Rena schaute hübsch aufmerksam und begeistert drein, ließ in gebührenden Abständen Bemerkungen wie »Tatsächlich?«, »Wahnsinn!« und »Ist ja irre!« einfließen und malte sich dabei aus, wie es wäre, wenn Vivi jetzt an der Zitronenscheibe in ihrer Cola light ersticken würde. Die Vorstellung war so berauschend, dass sie für einen Moment unaufmerksam gewirkt haben musste. »Hörst du mir eigentlich zu, Renahase?«, fragte Vivi plötzlich mit scharfem Unterton.

Rena schreckte auf. »Sicher höre ich dir zu.«

»Und? Wie hältst du das aus?«, grunzte Fritzi mit grimmiger Miene, wurde aber sogleich von Vivi gemaßregelt. »Sei nicht frech zu Rena. Die hat nämlich ein Problem!« Dabei grinste sie Rena triumphierend an. Rena ließ sich nicht beunruhigen, denn sie wusste, dass sich Vivis Gespür für die Probleme anderer Menschen hart an der Nullgrenze bewegte. Eine irgendwie geartete Enttarnung war also nicht zu befürchten. Aber dann erlebte Rena eine niederschmetternde Überraschung.

»Du hast ein hormonelles Problem, darling«, flötete Vivi. »Weil du so lange keinen Mann mehr in die Finger gekriegt hast.«

Rena war so, als sei soeben ein Knallfrosch in ihrer Magengrube explodiert. Ich muss was sagen, ich muss was sagen, dachte sie panisch. Musste sie aber erst mal nicht, da sogleich Fritzi das Wort ergriff.

»Wenn ich einen Mann in die Finger kriege, hat der hinterher ein hormonelles Problem.«

Vivi knuffte Fritzi. »Es sind nun mal nicht alle Frauen lesbisch, Fritzilein.«

»Na, da bin ich aber froh. Und bevor ihr jetzt mit eurem Heteroscheiß anfangt, geh ich lieber.« Fritzilein stand auf und verschwand ohne ein weiteres Wort.

Vivi wandte sich gleich wieder Rena zu. »Und, Rena? Stimmt’s oder hab ich Recht?« Vivi kicherte. »Oder hast du etwa einen heimlichen Liebhaber?« Sie fixierte die immer noch sprachlose Rena und – dem Himmel sei Dank – interpretierte deren peinlich berührtes Schweigen grundlegend falsch. Vivi war sich jetzt sicher, einem wohlgehüteten Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein. »Rena! Du hast wirklich einen …?« Rena nickte mit viel sagendem Blick. Und jetzt wollte Vivi natürlich alles ganz genau wissen.

Und so war Vivi die erste aus dem Freundeskreis, die von Renas sensationellem Liebhaber in Frankfurt erfuhr. Alle wussten ja, dass Rena viele Wochenenden in Frankfurt verbrachte, weil sie da noch so viele Leute von früher kannte. Und als sie mit denen in so einer neuen Szenekneipe war, war er ihr über den Weg gelaufen. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber die ganze Sache war noch taufrisch und auch nicht unkompliziert, und deshalb hatte Rena noch keinem was gesagt. Und Vivi sollte das Ganze doch bitte, bitte erst mal für sich behalten.

Vivi nickte mit großen Augen und hob die totenkopfberingte Rechte zum Schwur. Rena sah ihr an, dass sie bereits heftig darüber nachdachte, wem sie es zuerst erzählen würde.