Ein Weg - Ein Rad - Ein Ziel - Karin Adams - E-Book

Ein Weg - Ein Rad - Ein Ziel E-Book

Karin Adams

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Beschreibung

Ein Weg - Ein Rad - Ein Ziel Koblenz - Santiago per eBike Mit ihrem eBike fährt die Autorin Karin Adams von Koblenz nach Santiago de Compostela. Ihr Weg führt zunächst ein Stück die Mosel hinauf und weiter quer durch Frankreich, wobei sich die Streckenführung dort an der Via Lemovicensis orientiert. In Spanien folgt die Autorin dem bekanntesten aller Pilgerwege, dem Camino Francés. Mit der Durchquerung Frankreichs entlang der Via Lemovicensis erkundet sie für sich Neuland, während ihr Bericht über den spanischen Camino Francés auch Rückblicke auf frühere Erlebnisse entlang jenes Streckenabschnitts aufgreift. Gibt es über den spanischen Wegabschnitt bereits etliche Veröffentlichungen, so schildert die Autorin in diesem Reiseerlebnisbericht zahlreiche Eindrücke des bislang nur wenig beschriebenen Wegs über Vézelay, der mitten durch das ländliche Herz Frankreichs führt. Schneller, höher, weiter ist der Autorin dabei nicht wichtig. Im Gegenteil - sie ist zweieinhalb Monate unterwegs, um auch Zeit für Details zu haben. Die Autorin nimmt ihre Leser mit auf die allmählich an Schwung gewinnende Soloreise und zeigt, wie sich das Bild der Landschaftsräume im Laufe der Tour verändert, wie es sich durch einsame, entvölkerte Landstriche pilgert und wie Pilgermassen das Weggefühl verändern können.

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Widmung

Meinen herzlichen Dank an alle, die, in welcher Form auch immer, dazu beigetragen haben, diese Tour möglich zu machen.

Insbesondere aber danke ich meinem lieben Mann, der sich in der Zwischenzeit zu Hause um alles gekümmert und mir den Rücken freigehalten hat.

Nur so konnte ich diesen Traum verwirklichen.

Über die Autorin

Karin Adams lebt im schönen Schleswig-Holstein, nördlich von Hamburg.

Ihre Interessen umfassen Lesen, Reisen, Radfahren, Natur und Garten.

Seit vielen Jahren bereist sie Frankreich und Spanien. Auch ist sie immer wieder auf Jakobswegen unterwegs, zu Fuß oder mit dem Fahrrad - zuletzt nun auch per eBike.

INHALT

Vorwort

Anreise von zu Hause

Vorgeschichte – Koblenz - Perl

Beginn der großen Tour

Frankreich – Perl - Vézelay

Frankreich – Via Lemovicensis

Spanien – Camino Francés

Rückreise

Nachtwort

VORWORT

„Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel.“ Deutsches Sprichwort, heißt es. Nee, nee, meine Lieben! Der Wolf. Der Wolf war das. Er hatte diesen Spruch in mein Poesiealbum geschrieben. Ich war damals 11 oder 12 Jahre alt, und der Wolf, so nannten wir ihn, war unser Klassenlehrer.

Über diesen Eintrag hatte ich mich damals maßlos geärgert. Er war mir peinlich, denn es sollten ja auch noch andere Mitschüler und Lehrer sich in diesem Büchlein verewigen. Ich überlegte schon die Seite herauszureißen, allerdings wäre das zu offensichtlich und hätte mit Sicherheit zu unangenehmen Fragen geführt.

Superlative waren auch damals schon gefragt. Wer ist der Beste, wer der Schnellste, wer der Stärkste, ja, wer ist der am aller … was auch immer? Selbst in der Langsamkeit sah ich bei mir keinen Superlativ, da gab es ganz andere Kinder. Aber „langsam“, so wurde ich offenbar vom Klassenlehrer wahrgenommen. Ich schämte mich dafür und wäre am liebsten im Boden versunken.

Allerdings war mir damals nicht gleich in den Sinn gekommen, denn für solche Erkenntnisse benötige ich offenbar etwas mehr Zeit, dass dieser Spruch auch ein Ankommen am Ziel beinhaltet, dass ich es bis ans Ziel schaffen würde, also tatsächlich bis zum Ende durchhalte. Das setzt mit Sicherheit ja auch etwas Determination und Willen voraus. Also doch auch ein paar positive Eigenschaften.

Und, Jahre später, denke ich eigentlich sehr positiv über die Langsamkeit. Sie eröffnet viele neue Facetten, die man ansonsten beim Vorbeihasten gar nicht wahrnimmt und somit schlichtweg verpasst. In diesem Sinne. Nun zum Buch.

Ein Weg – Ein Rad – Ein Ziel

Der Weg führt mich von Koblenz in Deutschland nach Santiago de Compostela in Spanien, mitten durch das ländliche Herz von Frankreich. Da wo möglich, nach Verlassen der Moselradwege, orientiert sich mein Weg an der Streckenführung der Jakobswege, in Frankreich über Vézelay der Via Lemovicensis folgend, in Spanien dem Camino Francés.

Das Rad, mit dem ich auf diese Reise gehe, ruft bei manchen Leuten einfach nur Unglauben hervor: „Was, mit dem kleinen Ding willst du von Deutschland nach Spanien fahren?“ Ja. Will ich! Mein i:SY XXL, ein Pedelec mit elektrischer Unterstützung, ist ein Kompaktrad mit 20“-Rädern. Es kann daher den Eindruck eines Kinderfahrrads erwecken. Eigentlich ist dieses Fahrrad mehr für den Stadtverkehr konzipiert. Die von mir gefahrene Route verfügt allerdings über einen gehörigen Gravel-Anteil, denn ich fahre am liebsten fernab vom Verkehr und nutze auch gern, wenn möglich, Wanderwege. Schließlich fahre ich ja auch zu Hause mit meinem Rad alle möglichen und manchmal auch unmöglichen Wege. Unmögliche Wege mit einem voll beladenen Rad anzugehen, ist eine andere Geschichte und klappt nicht immer, wie wir sehen werden. Dazu aber später mehr.

Das Ziel ist Santiago de Compostela in Nordwest-Spanien, einer der drei großen bekannten christlichen Pilgerorte (neben Rom und Jerusalem). Dieses Wegziel ist spätestens allseits bekannt seit dem Pilgerboom, der mit Erscheinen der Bestseller von Paulo Coelho, Shirley MacLaine und Hape Kerkeling, sowie dem Film „The Way“, um hier nur einige zu nennen, in unserem Jahrtausend erneut einsetzte.

Natürlich braucht es zunächst einmal ein Ziel, damit überhaupt ein Weg entsteht. Hätte ich es daher zuerst nennen sollen? Nein, sage ich, denn für mich steht eindeutig das Unterwegssein im Vordergrund. Der Weg, und zwar der weite, lange und wunderbare Weg. Mein Jakobsweg.

Bevor wir aber nun in meine Reiseerzählung eintauchen, möchte ich noch ein paar Dinge vorwegnehmen, die mir wichtig erscheinen.

Was erwartet euch hier?

Was ihr hier findet, ist schlichtweg ein subjektiver Reisebericht von meiner phantastischen Radtour mit dem eBike von Deutschland nach Santiago de Compostela. Ein Erlebnisbericht, der vielleicht den einen oder anderen von euch inspiriert, selbst mal so eine Tour zu unternehmen, auch wenn nur auf einer Teilstrecke.

Zunächst erzähle ich, kurz zusammengefasst, von einer fünftägigen Radtour entlang der Mosel von Koblenz nach Perl/Schengen, die ich noch kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie gefahren war, mit der dieser Camino für mich begann. Als „Camino“ bezeichne ich übrigens nicht nur den spanischen Teil des Jakobswegs, sondern grundsätzlich auch das Unterwegssein Richtung Santiago. Nach drei Jahren Pandemie bedingter Pause kann mein Camino mit dem Fahrrad dann endlich in einer einzigen langen Reise von Perl aus, gelegen im Dreiländereck Deutschland, Luxembourg und Frankreich, bis nach Santiago in Spanien fortgesetzt werden. Diese Tour steht im Mittelpunkt meiner Reiseerzählung.

Die Strecke zwischen Koblenz und Santiago ist lang. Ich passiere unterwegs verschiedene Landschaften sowie Städte und Dörfer, von denen etliche auch kulturhistorisch etwas zu bieten haben. Diese Dinge spielen für mich auf dieser Tour jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Natürlich kommt es vor, dass ich auf meinem Weg etwas besichtige oder in diesem Buch auf etwas Interessantes hinweise, aber ich werde bei der Beschreibung keine historische Analyse vornehmen.

Bei diesem Buch handelt es sich also nicht um einen Reise- oder Pilgerführer, auch wenn es dem einen oder anderen, der vielleicht ebenfalls so eine Tour plant, ein paar Anregungen geben mag und auch soll. Ich werde somit erwähnen, wo ich lang fahre, insbesondere wenn ich Alternativstrecken nutze, die vom offiziellen Fußpilgerweg abweichen, aber ich führe nicht an jedem Ort alles auf, was man besichtigen und wo man überall unterkommen oder essen gehen könnte. Es gibt ausreichend Literatur, Bildbände, viele gute und jede Menge schlechte Reiseführer in allen möglichen Sprachen, tolle Planungshilfen im Internet, sowie massenweise Erfahrungsberichte bei YouTube, zumindest, was den spanischen Teil der Reise betrifft. Über die Via durch Frankreich gibt es allerdings meines Wissens bislang eher weniger Material, zumindest nicht in deutscher Sprache. Dabei ist die Via so unspektakulär schön! Dennoch werde ich hier ebenso wenig auf die erdgeschichtliche Entstehung eines Naturraums eingehen, also erklären, warum bestimmte Landschaftsräume so (schön) sind wie sie sind.

Dies ist auch kein klassischer Abenteuerbericht, in dem es um lauter gefährliche Situationen geht, die stets in letzter Sekunde doch noch gemeistert werden. Ich erkunde keine exotischen Länder, sondern gleite durch ländliche Regionen zivilisierter Länder. Es ist kein Partytrip und kein Buch über eingeschworene Pilgergemeinschaften oder das Entstehen lebenslanger Freundschaften. Sportliche Rekorde werde ich ebenfalls nicht brechen. Ich werde definitiv keinen Geschwindigkeitsrekord aufstellen oder, nur weil ich ein eBike nutze, extrem weite Strecken pro Tag abreißen.

Da mag sich jemand fragen, wo denn hier nun der Kick ist?

Höher, weiter, schneller, darauf hatte ich eingangs ja bereits schon hingedeutet, ist definitiv nicht mein Thema. Das sind Themen für das Rattenrennen. Ich muss mich hier nicht messen. Im Gegenteil, genau davon möchte ich auf dieser Tour Abstand nehmen. Es geht nicht um Superlative und Heldentum. Dafür um Spaß, Genuss und Besinnung auf mich selbst. Den Luxus haben, Zeit zu vertrödeln. Etwas mehr von der messbaren Zeit in bewusst wahrgenommene Lebenszeit zu verwandeln. Ich möchte das Privileg der Langsamkeit auskosten und mich am Weg und der Natur erfreuen, Eindrücke sammeln; also Zeit haben und mir diese nach Gutdünken nehmen können, um auch mal für eine Blume anzuhalten oder einen Ausblick einfach nur wirken zu lassen. Zeit zum Fotografieren und Filmen haben. Den Wolken nachschauen. Auf einem Baumstamm mitten im Wald rumsitzen, den Vögeln lauschen, dem Wind auf Hochebenen oder gar der Stille, und nichts tun. Wie Oscar Wilde schon sagte: „Gar nichts zu tun ist die aller schwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige die den meisten Geist voraussetzt“. Naja. Aber mal nichts in Hetze machen müssen. Und schon gar nicht immer alles gleichzeitig, denn das raubt den Verstand.

Wirklich - einfach nur mal ein wenig Zeit haben. Und mit „ein wenig“ meine ich nicht die zwei oder drei Wochen Urlaub, die man als Arbeitnehmer normalerweise maximal in einem Rutsch genehmigt bekommt, sondern eine richtige kleine Auszeit, während der man etwas erleben kann, denn echte Erlebnisse kommen im normalen Leben meist zu kurz. Natürlich kann man in einem kurzen Urlaub auch Neues entdecken, er schafft jedoch nicht den tatsächlich benötigten Ausgleich für Körper, Geist und Seele. Dieses Trio braucht manchmal mehr.

Als Vollzeit-Büromensch mit sitzender Tätigkeit und einseitig gestresstem Geist nach dem Dienst ins Fitnessstudio, um dann zum Ausgleich den Körper zu fordern? Nein, das schaffe ich nicht (mehr). Einerseits, weil ich mich nach der Arbeit dann schon viel zu kaputt fühle, noch irgendetwas Größeres zu unternehmen – bei jüngeren Leuten mag das ja noch anders sein – und klar, man könnte argumentieren, dass nur der innere Schweinehund überwunden werden müsste. Andererseits hasse ich Sport als solchen und sehe in einem Sportstudio auch nur eine Fortsetzung des Prozesses, mit dem Unterschied, dass hier dann andere Muskeln des Körpers herausgefordert werden und nicht nur die für das Sitzfleisch verantwortlichen. Aber auch im Sportstudio ist man dann umgeben von vielen anderen Menschen. Wie ein Huhn auf der Stange, das irgendwie verarbeitet wird. Wo bleibt dabei die Stimulation des Geistes durch Themen, die nichts mit dem Lösen von Aufgaben zu tun haben? TV-Gucken im Sportstudio? Zur Ablenkung von dem stumpfsinnigen Körpertraining? Wäre ja noch schlimmer! Und was ist mit all den anderen Dingen des Tages, die zu erledigen sind? Wann wäre da dann noch Zeit zum Schlafen? Das passt doch alles gar nicht in einen Tag!

Zum Zeitpunkt meiner Reise habe ich das seltene Glück, beruflich einmal ganze zweieinhalb Monate komplett frei sein zu können, während dieser zu Hause mein Mann mir den Rücken freihält. Was für ein Privileg! Somit plane ich zwei Monate plus Hin- und Rückreise für meine Solo-Pilgertour mit dem Fahrrad.

Warum Jakobsweg?

Und ja, ich rede hier von einem Pilgerweg. Pilgerreisen sind natürlich traditionell religiös motiviert. Ich selbst bin hingegen weniger religiös. Wie die meisten bei uns in Norddeutschland wurde ich zwar protestantisch erzogen, gehöre zwischenzeitlich jedoch keiner Religionsgemeinschaft mehr an, sondern suche und finde meine Spiritualität eher in der freien Natur.

Es gibt Menschen, die die Messlatte bezüglich des Pilgerns sehr hoch anlegen, um etwas als Pilgerreise durchgehen zu lassen. Man müsse unbedingt zu Fuß gehen, man müsse in Pilgerherbergen unterkommen oder draußen biwaken, man müsse seinen eigenen Kram tragen; kurzum: es klingt so, als sollte man irgendwie leiden oder sich das Leben schwerer machen als nötig. Das ist nicht zwangsläufig meine Devise. Falls es jemanden beruhigt, den spanischen Jakobsweg, den Camino Francés, bin ich vor einigen Jahren (urlaubsbedingt in Etappen) bereits ein paar Mal zu Fuß gegangen, meinen eigenen Rucksack tragend. Genächtigt hatte ich derzeit in Pilgerherbergen, was ohne Frage recht lustig war. Auch mit dem Bio-Bike bin ich bereits die Strecke von Pamplona nach Santiago gefahren. War ebenfalls ein ganz tolles Erlebnis. Und so, wann immer passend, werde ich in meine Erzählung, was den spanischen Teil meiner Reise betrifft, dann auch einzelne Erlebnisse früherer Touren einflechten. Hatte ich derzeit auf meinen bisherigen Pilgertouren gelitten? Anstrengend war es schon, keine Frage. In ungeheizten Räumen zu schlafen auch nicht immer optimal. Im Regen durch den Matsch zu stiefeln ist manchmal schon eine Herausforderung. Aber, unter dem Strich lautet meine Antwort auf den wörtlich interpretierten Spruch „Sin dolor no hay gloria“ schlichtweg „nein“. Im Deutschen bedeutet der Spruch ohnehin wohl eher „Ohne Fleiß keinen Preis“. Also. Leiden muss ich nicht, mich anstrengen schon, egal ob nun zu Fuß unterwegs oder gar per eBike. Einen Camino zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu machen, sind übrigens völlig unterschiedliche Erlebnisse. Keines davon ist besser als das andere, sie sind nur anders.

Natürlich muss ich ein Auge aufs Budget haben, aber es geht mir bei dieser Reise auch nicht darum, so kostengünstig wie möglich unterwegs zu sein. Während dieser Tour werde ich also auch keinem Fußpilger sein Bett in preisgünstigen Gemeinschaftsunterkünften abspenstig machen, sondern ich übernachte diesmal in kleinen Gasthäusern, Bed & Breakfasts bzw. Chambre d’Hôtes, Privatpensionen oder schlafe auf Bauernhöfen, die Fremdenzimmer anbieten, ebenfalls wohne ich auch mal in einem Hotel. Mit wenigen Ausnahmen liegen die meisten Unterkünfte dabei stets im günstigeren Preissegment. Obwohl, wenn es jemand gewohnt ist, auf seinen Reisen normalerweise vieroder fünfsternig unterwegs zu sein, für den werden meine Ausnahmen auch nichts Besonderes darstellen. Dennoch, sofern man den strengen Pilgermaßstab anlegt, ist dies also wahrhaftig eine Luxustour. Egal was andere nun denken. Ich habe lange gespart, um diese Tour so durchführen und diesen lang gehegten Traum verwirklichen zu können.

Auch wenn auf dieser Reise (relativer) Luxus angesagt ist, also bequeme Unterkünfte in Anspruch genommen werden, viele davon übrigens sehr herzlich geführt, und die Reise per eBike unternommen wird – für mich gilt: ein Pilger ist ein Pilger, so lange das Herz bei der Sache ist. So eine Tour muss in meinen Augen nicht religiös motiviert sein. Ein spirituelles Erlebnis ist so eine Reise allemal. Mein Herz ist dabei, mein Geist auch, und somit zählt dies für mich als Pilgerreise. Eine Pilgerreise sollte meiner Meinung nach allerdings auch immer eine Erholung für die Seele sein. Eine Auszeit, während der ich mal nur ich sein darf, für niemanden anderen da sein und nicht wie sonst so oft fremdgesteuert agieren muss. Ich möchte einmal komplett von alledem abschalten und die Ruhe finden, mich auf mich und mein Leben besinnen zu können.

In dem man etwas Neues ausprobiert und dabei auch an seine Grenzen geht, wird im Zusammenhang mit dem Jakobsweg bzw. Camino immer wieder gern vom Verlassen der so genannten Komfortzone gesprochen. Aber mal ehrlich, ist es das? Klar, ein kalter Schlafsaal voller Schnarcher kann eine Herausforderung sein, ist definitiv nicht immer komfortabel. Aber, wenn der Routinealltag mit allem Drum und Dran meine Komfortzone sein soll, dann muss ich rückblickend sagen, dass ich dort ein Leben lang mit ziemlicher Regelmäßigkeit auch immer wieder mein Limit habe durchbrechen müssen. Dann ist da nix mehr mit Komfort. Das wird unbequem. Allein schon mit jahrelanger Ausdauer täglich demselben Trott zu widerstehen kann entsetzlich viel Kraft kosten, selbst wenn es arbeitstechnisch inhaltliche Varianten gibt. Ein halbes Jahr im Dunkeln agieren, Tageslicht bestenfalls durchs Fenster sehen, und bei schönem Wetter auch nicht immer raus zu können. Stets auf so vieles verzichten zu müssen. Zu müssen, ja müssen. Das mit der Komfortzone kann man vielleicht auch einmal anders herum betrachten; vielleicht findet sie sich ja sogar auf dem Camino (anfänglicher Muskelkater mal außen vor). Während der hier beschriebenen Tour mit einer verhältnismäßig moderaten Kilometerzahl am Tag und angenehmen Unterkünften allemal. Der größte Komfort für mich ist es, mal kein Multitasking hinlegen zu müssen, womöglich am Ende eines langen Arbeitstags nicht noch schnell dies, das und jenes erledigen zu müssen, mich nicht immer mehrteilen und mich um so viele Dinge kümmern zu müssen. Mal nur bei mir sein zu dürfen – dürfen. Mich mal auf mich konzentrieren zu können – können. Zu wissen, dass ich darauf vertrauen kann, ein von mir selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Dürfen, können, wissen, vertrauen, erreichen anstatt immer nur müssen.

Hören sich diese Zeilen nun so an, als würde ich mein normales Leben satthaben, so ist das nicht richtig. Klar, ich bin manchmal einiger Dinge mehr als überdrüssig, muss sicher auch mal wieder raus aus dem Käfig. Wem geht es nicht so von Zeit zu Zeit? Eigentlich, mit kleinen Ausnahmen, mag ich jedoch mein Leben, so wie es ist. Und ich bin sehr dankbar dafür, denn vieles ist nicht selbstverständlich in unserer verrückten Welt. Möchte diese Tour daher auch für mich zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken und auch einmal bewusst zu danken für ein unter dem Strich eigentlich recht gutes Leben … wem auch immer. Und, welcher Ort eignet dafür besser als ein Jakobsweg.

Mit vielen Mitpilgern habe ich diskutiert, ob beim Camino der Push-Faktor, also Flucht aus dem Alltag, die entscheidende Rolle spielt, oder ob der Weg nicht eher ein Pull-Faktor ist. Nach etlichen Caminos tendiere ich definitiv zum Pull-Faktor. Denn der Weg ist einfach magisch. Ohne Hokuspokus.

Wie eingangs bereits erwähnt, ist der Jakobsweg heutzutage bekannt wie ein bunter Hund, spätestens seit diverse populäre Beststeller, etliche Presseberichte, TV-Sendungen und auch Filme Tausende dorthin gelockt haben. Ich war über den Weg allerdings schon viel früher gestolpert, im wahrsten Sinne des Wortes, und der Weg hat mich in seinen Bann gezogen. Von Anfang an. Damals waren wir mit einem Camperbus auf Tour Richtung Portugal. Das war Anfang der 1990er Jahre. Wir querten die Pyrenäen über den wunderschönen Pourtalet-Pass. Von dort tauchten wir ab in die heiße spanische Ebene, wo wir am Ufer des Aragón übernachteten. Dort fielen mir Leute mit Rucksäcken auf – es waren Pilger, unterwegs auf dem Camino Aragónes. Die ersten, die ich jemals zu Gesicht bekam.

Am folgenden Tag fuhren wir weiter Richtung Pamplona durch eine schlichtweg atemberaubende Landschaft mit etlichen verlassenen Dörfern um den Jaca-Stausee herum. Escó, Tiermás, Ruesta – alles Geisterdörfer oder „lost places“, wie man heute sagt. Irgendwo trafen wir zwei Belgier mit Rucksack und kamen ins Gespräch. Die Beiden waren zu Fuß unterwegs, und das bereits seit ihrer Heimatstadt Antwerpen. Ihr Ziel war Santiago. Sie erzählten von diesem alten Pilgerweg, dem sie folgten. Ich konnte es damals kaum fassen, dass Menschen so etwas taten … solche lange Strecke zu Fuß zu absolvieren. Freiwillig!

Unterwegs stießen wir immer wieder auf relativ neu errichtete Schilder, die auf den „Camino de Santiago“ verwiesen. Damals gab es ja noch kein Smartphone mit Internet, daher musste die Erklärung bis zum Urlaubsende warten. Es gab nur wenige Informationen hierzu, aber so langsam arbeitete ich mich in dieses Thema hinein. Ich war fasziniert und wollte diesen Weg nun auch irgendwann mal versuchen.

Ein paar Jahre später war es dann soweit. Ich flog nach Pamplona mit meinem Mountain-Trekking-Bike, ließ mich mit einem Taxi nach Roncevalles in die Pyrenäen bringen und legte los. Sehr weit, allein aus eigener Kraft, kam ich allerdings nicht, denn ich war nicht nur völlig untrainiert, sondern hatte auch Unmengen an Gepäck dabei, einfach fast alles, was man meint brauchen zu müssen, wenn man einen Ausrüstungsshop durchstreift, inkl. einer kompletten Campingausrüstung. Und damals war „ultralight“ noch nicht so weit entwickelt wie heutzutage. Bis Estella war ich mit all dem Zeugs gekommen, dann habe ich auf Hilfsmittel zurückgegriffen, also alles in einen Bus verfrachtet, bzw. ab Logroño einen Mietwagen zur Unterstützung gehabt und war anschließend Abschnitte des Caminos ohne Gepäck gefahren – vor und zurück! Nicht in Santiago anzukommen war derzeit keine Option für mich. Eigentlich hätte ich ja ab Estella weiterfahren können, mit weniger Kilometern am Tag als geplant, so weit wie ich dann gekommen wäre während meiner Urlaubswochen, mit einer Fortsetzung im Folgejahr, aber das war mir damals nicht in den Sinn gekommen. Santiago musste unbedingt erreicht werden.

Neun Jahre später flog ich erneut nach Spanien mit demselben Mountain-Trekking-Bike. Jenes Mal hatte ich nur ganz wenig Gepäck dabei, komplett auf die Campingausrüstung verzichtet, und siehe da, es wurde eine wunderbare Tour von Pamplona nach Santiago in drei Wochen. In Galicia lernte ich dann auch noch das Laufen, denn diese zwar kurzen, aber unheimlich bissigen Anstiege und heftigen Gefälle auf dem Camino waren mir unmöglich mit dem Fahrrad zu fahren.

Da ich nun auch das Laufen entdeckt hatte, nahm ich den Weg zwei Jahre später unter meine Sohlen. In den nächsten Jahren war ich dann öfters in Spanien, um diverse Teilstrecken zu erwandern, nicht nur auf dem Camino Francés, dem bekanntesten aller Jakobswege, sondern auch dem wundervollen und einsameren Aragónes, den Weg, auf den ich Anfang der neunziger Jahre zufällig gestoßen war, wo ich dann sogar tatsächlich auch eine Nacht im Geisterdorf Ruesta verbringen durfte; ich lief den Camino Finisterre, überquerte die Pyrenäen zu Fuß und erkundete in Tagestouren von Bilbao aus kleine Teilabschnitte des Camino del Norte.

Aber nicht nur das. Wenn Pilger sich früher im Mittelalter nach Santiago aufmachten, mussten sie von zu Hause aus starten. Es bildeten sich im Laufe der Zeit somit diverse bevorzugte Routen mit entsprechender Infrastruktur heraus, d.h. Unterkünfte, Hospitäler, Brücken etc. Es entstand ein ganzes Netz an Jakobswegen quer durch Europa, und es gab auch Städte, in denen sich Pilger sammelten, um ab dort dann gemeinsam weiterzuziehen. Allein durch Frankreich hatten sich vier Hauptwege gebildet. Im Norden ab Paris die Via Turonesis (über die Stadt Tours), ab Vézelay die Via Lemovicensis (über Limoges), die Via Podiensis (über Le Puy) die sich alle kurz vor Saint-Jean-Piedde-Port an der Stele von Gibraltar vereinen, und im Süden die Via Tolosa (über Toulouse), die Pyrenäen über den Somport-Pass querend.

Mittlerweile waren Jakobswege im Trend und die lokalen Jakobsgesellschaften hatten damit begonnen, die Beschilderung dieser Wege vorzunehmen bzw. zu pflegen. Damit war es für mich eigentlich auch nur logisch, mal vor der Haustür ein Stück der Via Baltica auszuprobieren. Kurz darauf, nachdem ich mich in ein eBike verliebt hatte, reifte dann der Wunsch, auch einmal die ganze Strecke von zu Hause aus zu machen. Santiago ist zwar auch ganz nett, aber ich hatte zwischenzeitlich festgestellt, dass der Weg das Eigentliche ist, was mich wirklich reizt.

In Abschnitten, bzw. zunächst sogar auf Tages- oder Wochenendtouren, ging es von zu Hause über Hamburg bis nach Leer in Ostfriesland, dann weiter entlang der Nordseeküstenroute bis Hoekvan-Holland, vielleicht nicht die klassische Pilgerroute, obwohl ich auch dort öfters auf Santiagos Spuren stieß, dann weiter von Hoek entlang der Küste, Belgien durchquerend, die Thiérache-Achse nutzend bis Noyon in Frankreich. In einem weiteren Urlaub fuhr ich von dort über Paris bis nach Saintes. Ich hatte bereits fest geplant, von dort weiter nach Saint-Jean-Pied-de-Port zu radeln, was jedoch von Corona und den damit verbundenen Lockdowns vereitelt wurde.

Auch war ich zwischenzeitlich bereits die deutsche Mosel bis Perl entlanggefahren, von wo aus es irgendwann weitergehen sollte, und zwar mit einer richtig langen Reise. Der Kreis, die ganze Strecke nach Santiago von zu Hause gefahren zu sein, hätte sich somit dann in Saint-Jean-Pied-de-Port geschlossen.

Ich erwähnte ja bereits, dass für mich der Weg im Mittelpunkt steht, der lange Weg. Das ist richtig. Allerdings ist es bei jedem Weg wichtig, auch ein Ziel zu haben. Dies gibt einem unweigerlich das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ein Erfolgserlebnis. Dem Ziel näher gekommen zu sein. Ist es das Ziel, einen Rundgang zu absolvieren, kann all das, was man unterwegs antrifft, sei es Natur oder Kultur, auch seinen Reiz haben, aber es ist trotzdem einfach nicht dasselbe. Dieses Unterwegssein zu einem ferneren Ziel macht einen gewaltigen Unterschied. Es nimmt das Gefühl, immer nur auf der Stelle zu treten. Der Blick nach vorn. Was kommt als nächstes? Man kommt voran, man erreicht etwas. Es ist einfach spannend, unbekanntes Territorium zu erkunden. Hinzu kommt, im Falle eines Jakobswegs, das Wissen, dass seit dem Mittelalter Tausende diesen Weg quer durch Westeuropa bereits beschritten haben. Man ist Teil eines größeren Ganzen. Das macht es noch einmal aufregender.

Neue Wege zu erkunden ist allemal hochinteressant. Aber, warum kehre ich auf mir bereits bekannte Wege wie den Camino Francés zurück? Das lässt sich wohl am besten mit dem „Pilgervirus“ erklären. Dieser Weg fasziniert und hat mich einfach vom ersten Tag an in seinen Bann gezogen. Es ist immer wieder Neuland, auch wenn man einen bereits gegangenen Streckenabschnitt erneut geht, denn jeder Camino, mit oder ohne Compostela (die Urkunde, die man beim Erreichen von Santiago erhält), ist auf seine Weise spannend und jedes Mal einzigartig.

Entstehung des Buches

Manche fragen sich, warum so viele Pilger alles von ihrer Tour festhalten, warum schreiben sie Tagebücher, warum fotografieren oder filmen sie alles Mögliche, warum machen sie vielleicht sogar einen live Blog oder YouTube-Videos, oder noch schlimmer, warum schreiben sie dicke Bücher? Um wie Hape Kerkeling damit reich und berühmt zu werden? Ich denke nicht. Hape war ohnehin schon berühmt. Er hat eine lesenswerte Camino-Story verfasst und damit zur richtigen Zeit den richtigen Nerv getroffen, wobei mit Sicherheit wiederum seine bereits erlangte Bekanntheit auch eine Rolle für die Vermarktung und den Erfolg seines Buches gespielt hat. Also, was treibt die Pilger, von ihrer Reise zu berichten?

Ich denke, in der heutigen Zeit, wo immer alles schnell gehen muss, da aufgrund der Verdichtung vieler Prozesse allgemein stets wenig Zeit verfügbar ist, dass wir plötzlich beim langsamen Vorankommen auf etwas ganz Wesentliches zurückgebeamt werden. Wir erleben plötzlich etwas, wie es vielleicht eigentlich sein sollte. Und, wir wissen ganz genau, dass es nur eine kurze Zeit in unserem Leben so geht, denn schon sehr bald müssen wir, jedenfalls die meisten von uns, da wirtschaftlich abhängig, wieder zurück in den Hexenkessel des „normalen“ Lebens, des Routinealltags, Multitaskings und Rattenrennens. Es reicht somit nicht allein, all die Erlebnisse und Eindrücke der Pilgerzeit, einer Zeit des intensiven und bewussten Lebens, einfach nur für kurze Zeit zu erleben, sondern, wir möchten sie für die Zukunft verwahren. Eintüten. Konservieren. Allein schon beim Verarbeiten all der Eindrücke geht man ja alles nochmals durch, intensiviert oder relativiert.

Eigentlich wollte auch ich jeden Abend die Erlebnisse des Tages aufschreiben, um für mich selber alles im Detail festzuhalten – für später. Dafür hatte ich sogar ein schickes kleines Notizbüchlein mitgenommen, welches jedoch völlig unbeschrieben zurückkehrte. Nicht ein Wort habe ich unterwegs verfasst. Ständig gab es etwas anderes zu tun. So eine Reise kann tatsächlich auch eine Vollzeitbeschäftigung sein. Selbst Mails von unterwegs an die Daheimgebliebenen kamen zu kurz.

Zum Glück habe ich ein gutes Reise- und Ortsgedächtnis. Habe mein Gehirn gebeten, meine Erlebnisse wie ein Schwamm aufzusaugen. Ich weiß bereits von anderen Touren, dass das ganz gut klappt bei mir. Sehe ich ein Foto, fällt mir meist sofort das Umfeld wieder ein und ich kann mich genau an die Situation erinnern, oftmals auch nach Jahren.

Hinzu kommt, wie gern lese ich Reiseberichte? Am liebsten subjektive – also nicht gentrifizierte, marketingtechnisch polierte, wie sie sich in Hochglanzbroschüren finden. Oftmals lese ich sogar Reiseberichte über Gegenden, die ich selber nie zu besuchen gedenke. Erfahrungen und Eindrücke aus erster Hand. Gern auch Berichte von verschiedenen Autoren über dasselbe Land/Gebiet. Interessant, was unter dem Strich wahrgenommen wird abseits sonstiger Presseberichte. Darüber hinaus, ist es nicht spannend, seine eigenen Camino-Eindrücke und Erlebnisse mit anderen zu vergleichen? Nicht im kompetitiven Sinne von „Schau mal, der braucht zwei Tage für eine Strecke, ich nur einen“. Die Strecke ist identisch, mehr oder weniger vorgegeben durch den Verlauf des Jakobswegs, aber was man daraus macht ist jedes Mal komplett unterschiedlich. Kein Camino ist wie der andere. Jahreszeit, Wetter, Menschen, all das spielt eine entscheidende Rolle.

Das eine führt zum anderen, und somit ist es für mich nur logisch und konsequent, die zunächst für mich festgehaltenen Erfahrungen und Erlebnisse schlussendlich auch anderen, euch, zu vermitteln, und das geht am besten, indem ich alles in Form eines Buches zu Papier bzw. zur Datei zu bringe. Beim Schreiben dieses Buches habe ich mich ausschließlich auf mein Gedächtnis sowie mein Foto- bzw. Video-Tagebuch verlassen. Nachrecherchiert habe ich bestenfalls Orts-, Wegund Straßenbezeichnungen anhand der unterwegs von mir aufgezeichneten GPX-Daten.

Wie finde ich meinen Weg?

Geraume Zeit im Voraus habe ich mir am PC für mein Navigationsgerät Garmin e-Trex Touch 35 mithilfe der kostenlosen Software Basecamp GPX-Tracks erstellt. Das kann ziemlich aufwendig sein, fahre ich doch insgesamt eine recht lange Strecke, gern querfeldein bzw. auf Wander-, Feld-, Wald- und Wirtschaftswegen, sowie kleinen Nebenstraßen. Große Straßen kann jeder.

Für Jakobswege findet man im Internet auf diversen Portalen oftmals schon von guten Seelen verfügbar gemachte Streckenabschnitte, die man runterladen kann. Allerdings sollte man das Material stets kleinräumig überprüfen, denn reine Wanderwege durch die Pampa eignen sich nicht immer für bepackte Fahrräder. Auch kommt es vor, dass solche heruntergeladenen Dateien lückenhaft sein können und dann ins Nirvana führen. Ich hatte zudem Wegführer für den Abschnitt Trier – Vézelay sowohl aus dem Conrad Stein wie auch dem Rother-Verlag genutzt, ab Vézelay für die Via Lemovicensis bzw. ab Saint-Jean-Pied-de-Port für den Camino Francés die jeweiligen französischen Führer Miam Miam DoDo mit ihrem hervorragenden Kartenmaterial. Als Ergänzung habe ich für jene Strecken auch die Wegführer aus dem Conrad Stein Verlag verwendet. Anhand dieses Materials habe ich mir meine Dateien erstellt bzw. heruntergeladene Tracks modifiziert. Meine diversen Tracks habe ich mit einem Nummernsystem versehen, so dass ich sie unterwegs auch in dem kleinen Display meines Navigationsgeräts auffinden kann.

Stichwort Navigation: Ich fahre grundsätzlich nach Tracks, denn nur so kann ich sicher gehen, dass ich auch die von mir vorbereitete Strecke fahre, denn beim „Navigieren“ kommt es immer wieder vor, dass das System mich über eine Strecke leiten möchte, die es für geeigneter hält. Und das ist dann nicht selten eine stärker befahrene Straße, auf der es sich oberflächentechnisch möglicherweise zwar besser als auf einer Schotterstrecke fährt, und die vielleicht kilometermäßig auch etwas kürzer ist, aber eben auch über Autoverkehr verfügt, was dann viel gefährlicher ist.

Auch während des Fahrens habe ich meine Strecke aufgezeichnet. Alle diese Tracks aneinandergereiht zeigen meine Gesamtstrecke, die ich ab dem Dreiländereck während der hier im Mittelpunkt stehenden Tour durch Frankreich und Spanien gefahren bin.

Quelle: Basecamp-Karte mit der von mir unterwegs aufgezeichneten Strecke

Warum solo?

Der Jakobsweg, insbesondere in Spanien, wo relativ viele Leute aus allen möglichen Ländern den Weg zu Fuß machen, kann ein wirklich tolles Gemeinschaftserlebnis sein. Ein paar Male habe ich dies erleben dürfen. Ich habe interessante Menschen aus aller Welt kennengelernt und bin auch heute noch mit einigen von ihnen in Kontakt. Wenn man zu Fuß geht und auch in Herbergen übernachtet, trifft man viele Gleichgesinnte. Oftmals hat man dasselbe Tagesziel, bzw. es ergibt sich unterwegs, oder man verabredet sich mit Mitpilgern, wo der nächste Treffpunkt ist. Das kann ein Käffchen im nächsten Dorf sein, oder auch in einer bestimmten Herberge, wo man vielleicht gemeinsam zu kochen plant. Wie auch immer. Auf meinen Fuß-Caminos hatte ich meist eine nette „Pilgerfamilie“ in der Nähe. Dabei wird nichts erzwungen und man muss nicht im Pulk laufen. Man kann etwas gemeinsam machen, muss es aber nicht. Es war immer easy going. Und das ist wunderbar.

Zusammenfinden zu einer solchen (internationalen) Pilgerfamilie tun sich jedoch meist nur Leute, die alleine unterwegs sind. Selten haben sich Pilger in meine Familien eingeklinkt, die bereits zu zweit oder schon als Grüppchen gestartet waren. Die blieben oftmals gefangen in ihrem eigenen Umfeld und kamen dann auch nicht wirklich aus sich heraus, so jedenfalls mein Eindruck.

Andererseits, wenn man alleine unterwegs und gerade auch kein Mitglied der Pilgerfamilie zugegen ist, kann man natürlich auch die schönen Momente nicht direkt mit Partner, Freunden oder Familie teilen. Das gilt auch für Situationen, die zu zweit einfacher zu meistern sind. Solche Momente gibt es natürlich auch. Unter dem Strich jedoch würde ich mich trotzdem immer wieder für eine Solo-Tour entscheiden. Allein ist ja nicht gleichbedeutend mit einsam.

Ich war stets allein auf dem Camino, fand es spannend mich mit anderen Gleichgesinnten anderer Nationen auszutauschen und gleichzeitig auch Zeit für mich selber zu haben. Einfach mal das machen können, was ich möchte, nicht, was andere von mir erwarten. Abstand gewinnen von den sonst täglichen Anforderungen. Output statt immer nur Input. Nicht von anderen zugeschnattert zu werden. Vielleicht auch nur mal still beobachten und sich nicht einmischen müssen. Auch das kann guttun. Zeit mit mir selbst genießen. Mal nur ich. Ich selbst im Mittelpunkt. Ja, ein Egotrip. Ich weiß, vielleicht hört es sich jetzt egoistisch an, aber manchmal braucht man das einfach. Immer nur zurückstecken geht auch nicht. Ob so etwas gelingt und Spaß macht, hängt natürlich auch vom Typ ab. Ich bin ein Mensch, der sich oftmals selbst genug ist. Ich halte das Alleinsein nicht nur einfach aus, sondern genieße es sogar von Zeit zu Zeit. Ich kann mich stundenlang beschäftigen und viel Spaß mit mir alleine haben, brauche dazu nicht ständig andere Menschen um mich herum. Was natürlich nicht heißt, dass ich andere nicht mag. Ganz so eigenbrötlerisch bin ich dann doch nicht.

Natürlich bedeutet eine Solo-Tour auch, gerade beim Pilgern durch einsame Landstriche, gut auf sich selbst aufzupassen. Den Weg als solchen würde ich schon als sicher einstufen, auch entlang der extrem einsamen Abschnitte durch Frankreich. Dennoch ist normale Vorsicht stets geboten. Dies betrifft Menschenkenntnis wie auch die Einstufung des Geländes. Das bedeutet für mich auch, einmal mehr vom Rad abzusteigen und es auch mal einen grob geschotterten Hang hinab zu schieben, während eine Gruppe junger Gravel- oder Mountain-Biker dort wahrscheinlich mit größtem Vergnügen in Höchstgeschwindigkeit bergab flitzen würde. Oder auch die gefühlt endlosen Downhills in den Montes des Léon nicht mit voller Geschwindigkeit auszukosten. Als Solo-Reisende muss ich also mein Risiko etwas anders abschätzen. Als Ü60 bzw. „on the edge of seventy“, um es in Anlehnung an den Songtitel von Stevie Nicks auszudrücken, sowieso. Die meisten Sorgen bereiten mir jedoch stark befahrene Straßen, von denen es zum Glück nur sehr, sehr wenige entlang meiner Route gibt, da sich meine Strecke, wenn möglich, meist am Fußwanderweg orientiert, bzw. Wirtschaftswege und kleine, kaum vom Autoverkehr befahrene Landstraßen nutzt. Übrigens, auch der Fußpilgerweg in Frankreich verläuft oftmals über diese kleinen ruhigen Straßen, was dann Road Walking für den Fußpilger bedeutet. Tiere, sprich bissige Hunde, Wildschweine oder Schlangen könnten natürlich auch in die Quere kommen. Um es vorweg zu nehmen: auf der gesamten Tour hatte ich lediglich zwei negative Hundeerlebnisse, kein einziges Wildschwein gesehen und zum Glück auch keine Schlange. Deswegen jedoch so eine Tour nicht zu unternehmen ist aber auch keine Sicherheitsgarantie. Die hat man nirgends, denn passieren kann schließlich überall etwas.

Warum mit dem Fahrrad?

Das Radfahren bringt mir einfach Spaß. So einfach ist das. Ich kann mit dem Fahrrad eine etwas längere Tagesetappe zurücklegen, als wenn ich zu Fuß gehe, bin aber meist noch langsam genug, um den Weg mit allem rund herum wirklich wahrzunehmen. Klar, zu Fuß ist das noch intensiver. Aber ich rase ja auch nicht mit dem Rad durch die Landschaft. Und ein Radrüpel, der sämtliche Fußpilger aus dem Weg knallt, bin ich auch nicht. Diese gibt es leider auch, und was die machen, ist manchmal sogar ziemlich gefährlich. Solche Leute finden sich jedoch überall, nicht nur auf Jakobswegen.

Zu Fuß auf dem Camino ist ein anderes Erlebnis, da man zumindest in Spanien, auf weitaus mehr andere Pilger trifft und früher oder später auch eine Pilgerfamilie hat bestehend aus lauter unterwegs aufgelesenen Pilgerkollegen. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, bleibt man eher allein. Man begegnet einfach weniger Leuten, denn es gibt wesentlich weniger Radpilger, die man regelmäßig wieder trifft, was schlichtweg mit der täglich zurückgelegten Distanz zu tun hat. Etliche Radpilger gehen es sportlich an und legen Wert darauf, täglich möglichst viele Kilometer abzureißen. Ich hingegen mache durchschnittlich nur rund 50 km pro Tag, wobei es Tage gibt, an denen es zu Spitzenwerten kommt, so z.B. entlang der Mosel mit rund 90 km am Tag, oder lapidare 27 km, wenn das Gelände schwieriger ist oder ich einfach nur mal etwas ausruhen möchte. Während meiner Durchquerung Frankreichs habe ich nicht einen einzigen Radpilger getroffen, der ähnliche Streckenabschnitte wie ich gefahren ist, in Spanien hingegen immerhin einige wenige.

Die in diesem Buch beschriebene Tour fahre ich mit dem eingangs bereits erwähnten i:SY XXL, einem so genannten Kompaktrad, das über einen Bosch-Mittelmotor verfügt, der u.a. für einen tiefgelegenen Schwerpunkt sorgt. Er unterstützt bis zu einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h mit vier Unterstützungsstufen (Eco, Tour, Sport und Turbo). Es hat Scheibenbremsen, eine stufenlose Gangschaltung und Riemenantrieb, was mit sehr gefällt, denn es fährt superleise. Da rasselt keine Kette, sondern ich kann durch die Landschaft gleiten. Lenker und Sattel sind ohne Aufwand verstellbar. Dies ist angenehm auf längeren Fahrten, da ich so durch Anpassen der Lenkerhöhe schnell die Sitzposition ändern kann, das Rad sich so aber auch zum Transport um ein gutes Stück verkleinern lässt. Es hat 20er Räder und relativ glatte Reifen montiert, weswegen extrem matschige oder auch grob geschotterte Wegabschnitte allerdings etwas schwerer zu bewältigen sind. Ansonsten habe ich, wenn ich drauf sitze, nicht unbedingt das Gefühl, auf einem kleinen Fahrrad zu fahren. Ich liebe dieses Fahrrad.

Der Vorteil, mit einem eBike unterwegs zu sein, ist eindeutig die Unterstützung, die es insbesondere an Steigungen bietet. Der Nachteil ist, dass das Rad insgesamt schwerer wiegt und somit, wenn es über ein Hindernis zu transportieren ist, dies sich dann schwieriger gestaltet. Auch ist dafür zu sorgen, dass täglich die Akkus geladen werden. Ladegerät und Zweitakku erhöhen natürlich das Gewicht des Gepäcks. Dennoch ein klares „ja“, ich würde immer wieder mit dem i:SY fahren.

Kann ich so ein Gerät überhaupt reparieren? Nein, kann ich nicht. Bestenfalls den Reifen flicken/wechseln. Und selbst das kann in einen Kraftakt ausarten. Hier ist also Gottvertrauen angesagt. Allerdings habe ich für den Notfall ein paar Ersatzteile für mein i:SY bei mir, falls diese in einer Werkstatt nicht vorrätig sein sollten.

Das i:SY XXL ist ein recht robustes Rad, zugelassen für ein Gesamtgewicht von bis zu 180 kg. Da kann man also noch ein bisschen Gepäck zuladen, ohne es an seine Grenze zu bringen. Was ich alles so an Gepäck dabei habe, und wie ich es auf dem Rad verteilt habe, werde ich euch später noch erzählen, wenn ich unterwegs bin.

Reisezeit

Nicht immer hat man Einfluss darauf, wann man seinen Urlaub idealerweise nehmen darf. Bei mir war es bislang meist immer so, dass ich lediglich im Spätwinter (Februar/März) habe drei Wochen Urlaub am Stück nehmen können. Das ist natürlich nicht die optimale Reisezeit! Positiv ist, wenn man dann in Spanien pilgern geht, dass selbst auf dem Camino Francés zu jener Zeit nicht allzu viel los ist und man den Weg quasi für sich hat. Nachteilig ist, dass das Wetter relativ unbeständig und vor allem kalt ist und man auch mit ungeheizten Unterkünften vorliebnehmen muss.

Bei der hier beschriebenen Tour hatte ich die wohl einmalige Gelegenheit, meine zweieinhalbmonatige Reise Mitte August beginnen lassen zu können. Das war optimal, und der Sommer ist bis zum Ende der Tour bei mir geblieben. Es gab zwar einige Tage, an denen es in der Tat extrem heiß wurde, was für mich allerdings weniger problematisch ist, zumal es auf dem Fahrrad immer etwas Fahrtwind gibt. Zu viel Kälte empfinde ich als unangenehmer. Regen erschwert bebrillten Radfahrern das Leben enorm. Tatsächlich habe ich aber auch nur einen einzigen Tag erlebt, an dem es die ganze Zeit (auch mal heftiger) regnete. An einem weiteren Tag wurde es für knapp zwei Stunden nass. Kurzum: das Wetter im Spätsommer/Früherbst war perfekt. Ein Volltreffer! Ein absolutes Geschenk!

Übrigens

Und noch etwas. Ich werde in diesem Buch nicht gendern. Ich finde, es stört den Schreib- und Lesefluss. Mir ist egal, wer sich zu welchem Geschlecht zählt. Hauptsache, es sind alle glücklich.

Und ab!

Dies alles vorausgeschickt, lasst uns nun endlich losfahren. Kommt mit und lasst euch überraschen, wie meine Tour allmählich an Schwung gewinnt, wie sich das Bild der Landschaftsräume im Laufe der Reise verändert, wie es sich durch einsame, entvölkerte Landstriche pilgert und wie Pilgermassen das Weggefühl verändern können. Bleibt dran.

Auf geht‘s!

ANREISE VON ZU HAUSE

Koblenz – Perl

Der Mördertag

(16. August)

Der Tag, auf den ich so lange gefiebert hatte, ist endlich gekommen. Ich kann es kaum glauben. Bin komplett aufgeregt. Natürlich stehe ich vor dem Wecker auf … wie eigentlich sonst ja auch. In Null-Komma-Nichts habe ich gefrühstückt, und wenn ich jetzt sofort losfahre, dann könnte ich auch noch einen Zubringerzug früher erwischen.

Das Rad steht bereits beladen und reisefertig im Keller. Mein Mann schiebt es die Auffahrt hoch. „Ganz schön viel Gepäck“ meint er. „Zu schwer. Viel zu viel eingepackt“. Recht hat er. Es ist sauschwer, aber ich denke, dass ich all die Sachen benötigen werde … dabei habe ich momentan außer einer Flasche Wasser, einem Apfel und ein paar Keksen noch gar kein Proviant an Bord.

Er winkt mir nach, und ich winke zurück, solange wir uns sehen können. Fast zweieihalb Monate werde ich fort sein. Ungewohnt. Ist schon ein seltsames Gefühl. Sonst, wenn ich mal allein auf einen Camino ging, war ich eigentlich nie länger als maximal drei Wochen am Stück weg, meist weniger. Manchmal sogar nur Tage.

Es ist schon ein bisschen eigenartig, diese Strecke, die ich sonst auch teilweise nutze, um ins Büro zu radeln, jetzt mit dem beladenen Rad zu fahren. Das Gewicht des Rades spüre ich hier auf ebener Strecke kaum. Einmal in Schwung gekommen, rollt es einfach. Und so spule ich die rund 5 km zum Bahnhof erstaunlicherweise ohne große Anstrengung ab, dass ich sogar fast einen noch früheren Zug erwische. Ich schiebe das bepackte Rad die Treppenrampe hoch auf den Bahnsteig, und da steht tatsächlich noch ein Zug nach Hamburg. Allerdings so etwas von abfahrbereit, dass er losfährt, bevor ich in seine Nähe gelange. Nun gut. Macht nichts. Habe ja noch immer einen Puffer von einem Zug früher als wie die Verbindung erfordern würde. Gleichzeitig schießt mir seltsamerweise auch der Gedanke durch den Kopf, ob diese Zugabfahrt nicht vielleicht Symbolcharakter für den Tag hat. Woher kommen solche Gedanken?

Kurz darauf werden alle Wartenden vom Zugführer höchstpersönlich aufgefordert in den auf dem gegenüberliegenden Gleis geparkten Zug einzusteigen. Er würde jetzt nach Hamburg fahren, auch wenn eine andere Destination angezeigt wird. Es gibt dazu noch ein paar technische Details, warum das Display versagt, so dass auch die kritischsten Fahrgäste überzeugt sind und einsteigen.

Eine halbe Stunde später erreichen wir tatsächlich den Hamburger Hauptbahnhof. Immerhin. Während die anderen Fahrgäste sich auf Treppen und Rolltreppen stürzen, suche ich den Lift und finde diesen mit einem hübschen Hinweis verziert, dass er leider „Außer Betrieb“ sei. Ich kann es nicht fassen. Wie komme ich auf den Bahnsteig meines Fernzugs? Ich frage das Bahnsteigpersonal. Es geht nur über die Treppe, oder die Rolltreppe. Panik! Die Taschen kann ich abklicken und einzeln nach oben tragen, nicht aber das schwere eBike. Hier wuselt es vor Menschen, aber keiner nimmt Notiz von meinem Problem. Also, Mut. Ich nehme das Gepäck ab und stelle es dem Bahnpersonal vor die Füße mit der Bitte, einmal kurz darauf zu achten, greife mir mein Rad, steuere auf die Rolltreppe zu und starte eine, wie ich meine, lebensgefährliche Mission. Es fasst auch niemand mit an oder hilft in irgendeiner Weise. Rattenrennen im vollen Gange. Sie rennen alle zu ihrer Zeiterfassung - bloß keine Sekunde verlieren auf dem Arbeitsweg. Das wäre jetzt schon mal so eine Situation, wo es einfach besser wäre, zu zweit unterwegs zu sein.

Zum Glück komme ich mit dem Rad heil oben an. Ich schließe es fest, allerdings sind meine beiden sicheren Ketten unten auf dem Bahnsteig bei dem Gepäck. Ich wette, wenn ich das Rad jetzt aus den Augen lasse, werde ich es nicht wieder sehen. Dafür geistern auch zur frühen Stunde hier viel zu viele dubiose Gestalten herum. Ich erspähe ein älteres Ehepaar, das gerade irgendwelche Fahrpläne studiert, und bevor die begriffen haben, dass sie bitte einen Moment auf das Rad aufpassen mögen, bin ich auch schon wieder unten auf dem Bahnsteig, um das Gepäck zu hohlen. Schaffe sogar alles auf einmal. Mir müssen Wahnsinnskräfte gegeben worden sein.

Der Fahrstuhl zum Bahnsteig der Fernbahn funktioniert zum Glück. Schweißgebadet suche ich nach der Wagenstandanzeige … und finde zwei genau entgegengesetzte Informationen. Also, wieder zum Bahnsteigpersonal. Der Beamte zeigt in Richtung Norden. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl und frage dann etwas später noch einmal eine Beamtin. Sie schaut in ihren PC und schickt mich nach Süden … ganz ans andere Ende vom Bahnsteig. Wenn das nicht stimmt, und der Wagen für die Fahrräder doch am nördlichen Ende des Zuges ist, dann ist ein Wechsel nicht zu schaffen. Es kommen allerdings bald noch zwei weitere Radfahrer dazu. Das beruhigt. Wer dann aber erstmal nicht kommt, ist der Zug. Es steht noch immer ein Ankunftszug auf dem Gleis.

Dann endlich. Die Verspätung, mit der der Zug eintrifft, beträgt zwar nur rund zehn Minuten, aber es fühlt sich an wie eine kleine Ewigkeit. Was eine wirkliche Ewigkeit ist, werde ich noch später am Tag erfahren. In Köln muss ich umsteigen in einen Zug Richtung Luxemburg, dann in Trier noch einmal in den Zug nach Perl. Für den Umstieg in Köln sind 40 Minuten vorgesehen, wobei auch nur der Ankunftsbahnsteig zu überqueren ist. Der Zug aus Hamburg schafft es jedoch im Laufe der Strecke weitere Verspätung einzufahren.

In Köln helfen mir sogar noch andere Radfahrer, mein Rad und das Gepäck rauszureichen, damit ich den Luxemburger Zug noch bekomme. Allerdings wissen die Helfer nicht unbedingt, wo man mein Gepäck am besten anfasst, und so fällt eine meiner Packtaschen dann aus der Tür und rollt dabei fast unter unseren Zug. Geistesgegenwärtig kicke ich die schwere Packtasche wie einen Fußball Richtung Bahnsteig. Wusste gar nicht, dass ich so etwas kann! Glück gehabt! Und in affenartiger Geschwindigkeit hänge ich das Gepäck aufs Rad, um alles rüber zum Luxemburger zu schieben, der tatsächlich noch auf dem Gleis steht. Doch in diesem Moment, da fährt der ab. Vor meiner Nase … und den Nasen weiterer Fahrgäste. Sagenhafte Taktung!

Und überhaupt, wie voll ist es hier eigentlich? Wo kommen diese Menschenmassen her? Wo wollen die alle hin? Und wie komme ich jetzt weiter? Ich suche nach einer neuen Verbindung, finde aber nur Züge nach Koblenz, von dort nach Trier und von dort dann nach Perl. Na großartig! Hilft aber nichts. Ich nehme Koblenz ins Visier. Bahnsteigwechsel ist angesagt. Mühselig schiebe ich das Rad durch die Menschenmassen zum Fahrstuhl, der hier sogar funktioniert. Da stehen schon diverse Frauen mit Kinderwagen Schlange.

Gefühlte Ewigkeiten später – ich weiß wohl aber noch immer nichts über Ewigkeiten – bin ich dann auf dem Bahnsteig, wo in einer halben Stunde der Koblenzer eintreffen soll. Er trifft auch pünktlich ein, allerdings nicht auf dem Bahnsteig, wo ich warte. Eine Durchsage lotst die Wartenden kurz vor der Einfahrt des Zuges auf einen anderen Bahnsteig. Für mich ist es unmöglich, in dieser Zeit überhaupt zum Fahrstuhl zu gelangen, vor dem ohnehin wieder all die Kinderkarren auf Transport warten.

Ich schaue, wann und wo der darauffolgende Zug fahren soll. Wenigstens soll er von dem Bahnsteig fahren, auf dem ich mich bereits befinde. Ich glaube, es dauert ungefähr eine halbe Stunde bis zum nächsten Zug. Muss ich auf Klo? Ja, ich glaube ein bisschen. Geht hier jetzt aber nicht. Ich warte. Der Zug kommt, sogar auf meinem Bahnsteig. Er ist bereits ziemlich voll.

Es ist brechend heiß, bestimmt über 30°C, und unter der Coronamaske, die ich nun schon den ganzen Tag trage, lechzte ich nach frischer Luft. War der ICE von Hamburg nach Köln wenigstens etwas belüftet, so ist das hier nur voll stickig. Und so eng habe ich seit mehr als zwei Jahren mit niemandem mehr gestanden.

Zwei oder drei Stationen geht das so, bis eine Schaffnerin kommt und auf alle Radfahrer lospöbelt - anders ist das leider nicht zu bezeichnen. Klar die Frau muss hier in diesen Menschmassen in dieser Enge arbeiten, aber etwas mehr Freundlichkeit wäre nicht fehl am Platze gewesen. Jedenfalls: alle Radfahrer werden aus dem Zug verwiesen, damit für die anderen Passagiere mehr Platz vorhanden ist. Angeblich würde in zehn Minuten ein weiterer Zug folgen, der nicht so voll sei.

Keine Ahnung, wo ich nun bin … und innerhalb von 10 Minuten kommt da auch kein anderer Zug. Vielleicht eine halbe Stunde später. Eine Toilette finde ich hier übrigens auch nicht. Langsam wird es etwas dringender.

Ein Zug fährt ein, und schon beim Einfahren sehe ich, dass der Fahrradwagen nicht dort ist, wo er hätte sein sollen. Wir Radfahrer rennen den Bahnsteig entlang zum Fahrradwaggon. Ich komme sogar als erste an, drücke auf den Knopf zum Öffnen der Tür … und der Zug fährt ab. Was sind das für Praktiken? Schauen die denn gar nicht mehr, ob alle Fahrgäste eingestiegen sind? Das ist doch sogar gefährlich!

Hilft nichts. Dieser Zug ist weg und ich muss weiter warten auf den nächsten. Muss inzwischen ziemlich doll auf Klo. Es ist bullenheiß. Kann nun hoffen, es raus zu schwitzen. Naja, funktioniert in der Praxis natürlich nicht, aber vielleicht hilft es psychologisch. Die Wartezeit erscheint nun tatsächlich wie eine absolute Ewigkeit, und der Druck auf der Blase ist inzwischen unerträglich.

Dann kommt tatsächlich ein Zug, der auch nicht gerade als leer zu bezeichnen wäre. Eine Punkerin, die im Einstiegsbereich auf dem Boden des Zuges hockt, motzt rum, wir, die hier jetzt einsteigen, sollen doch draußen bleiben, sie bräuchte den Platz für sich. Die Einsteigenden ignorieren die bunte Frau und alle rücken etwas weiter zusammen, inklusive aller Fahrradreisenden. Übrigens, auch in diesem Zug ist das WC natürlich „außer Betrieb“. Jetzt nicht in die Büx zu machen, kostet absolute Disziplin und ist inzwischen auch schon nicht mehr schmerzfrei.

In Koblenz eingetroffen bin ich derart fertig, dass ich beschließe, es für heute gut sein zu lassen. Ich kann nicht mehr … ich bin komplett dehydriert, da ich zuletzt gegen Mittag etwas getrunken hatte, um die Blase während dieser Reise nicht zu sehr herauszufordern, Hunger habe ich auch, und vor allem: ich muss aufs Klo! Mir ist jetzt alles egal. Ich gehe also direkt in das nächstbeste mir ok scheinende Hotel in Bahnhofsnähe, lasse mein bepacktes Rad in der Rezeption stehen und renne zur Toilette. Das war knapp, total knapp!

Beim Check-in erfahre ich, dass es sich sogar um ein fahrradfreundliches Hotel mit sicheren Stellplätzen handelt. Und ein Restaurant haben die auch. Wenigstens das. Aber, meine Reisekasse wird gleich am ersten Tag außerplanmäßig belastet. Mein Hotelzimmer in Perl hätte ich bis vor 18:00 Uhr kostenfrei stornieren können, inzwischen ist es jedoch schon später. Jetzt auch egal.

In Perl hatte ich zum Glück vorsorglich für zwei Nächte reserviert, da ich mich dort nach der langen Anreise ohnehin etwas regenerieren, Proviant besorgen und das Gepäck vom Modus Bahntransport auf Radreise umpacken wollte. Ich informiere somit das Hotel in Perl, dass sie mein Zimmer nicht vergeben mögen und ich es am nächsten Vormittag beziehen würde. Mich bei der DB beschweren? Habe ich ehrlich gesagt nach dieser Odyssee heute keine Energie mehr dazu. Die Mehrkosten würden mir sicherlich nicht erstattet werden, hätte ich vielleicht noch später am Abend eine Verbindung nach Perl finden können … keine Ahnung, allerdings weiß ich, dass ich das heute nicht mehr geschafft hätte. Noch immer fühle ich mich dehydriert und völlig durchgegart. Und, das erfahre ich natürlich erst eine Woche später von meiner Corona-App, ich habe heute eine Person in meiner Nähe gehabt, die zwischenzeitlich an Corona erkrankt ist. Zum Glück spüre ich keine Symptome und teste mich weiterhin negativ.

Am nächsten Morgen, nach einem guten Frühstück, löse ich ein neues Ticket plus Fahrradkarte und fahre über Trier nach Perl. Beide Bahnen sind zum Glück nicht übervoll, ich habe einen Sitzplatz und erhasche Blicke auf die schöne Mosel, die ich bereits im Herbst vor drei Jahren entlangfuhr, womit dieser Camino begann.

VORGESCHICHTE

KOBLENZ – PERL(Oktober 2019, Tacho: ca. 271 km)

Der Oktoberfeiertag, kombiniert mit einem Wochenende und ein paar restlichen Urlaubstagen erlaubt mir den Einstieg in diesen Camino. Diesen mittlerweile etwas länger zurückliegenden Auftakt zu meiner langen Reise fasse ich daher hier einmal in Kurzform in nur einem Kapitel zusammen.

Problemlos fahre ich mit dem Zug von Hamburg bis Koblenz und von dort dann sofort los mit dem Rad. Der einzige Haken: es regnet. Erstaunlicherweise ist es wenigstens nicht wirklich kalt dabei, und ich bin sofort begeistert von der Landschaft. Hatte ich gar nicht so erwartet. Der Radweg führt teilweise parallel zur Bahnstrecke durch die steilen Weinfelder, wo die Lese voll im Gange ist. Es gibt schließlich sogar auch mal kurze Momente, in denen die Sonne durchkommt. Die Dörfchen alle wie aus einem Märchen. Es ist bezaubernd und ich bin begeistert.

An jenem Nachmittag fahre ich nur eine relativ kurze Strecke, denn ich habe eine Unterkunft in einem Gasthaus in Hatzenport reserviert. Ein total altmodisches Gasthaus, zuletzt wohl so in den 1970ern renoviert. Das Rad findet einen sicheren Platz in irgendwelchen Vorratsräumen und ich beziehe mein Zimmer. Der ältere Wirt ist sehr freundlich, sagt, dass er extra die Heizung eingeschaltet habe, da es am Abend nun doch etwas frisch wird, aber das Zimmer war in dieser Saison wohl noch nicht beheizt gewesen, denn alles ist recht kalt und wird aufgrund der Größe des Zimmers und der zu kleinen Dimension der Heizkörper heute wohl auch nicht mehr warm. Immerhin finde ich noch eine zweite Bettdecke. Der Hammer ist allerdings die Duschkabine. Ich versuche das Konstrukt mal in Worte zu fassen.

Es gibt in der Ecke des Zimmers ein Waschbecken. Links davon ist ein großes Fenster, von wo man direkt in eine Wohnung des gegenüberliegenden Hauses blickt. Umgekehrt genauso. Der Abstand zwischen beiden Gebäuden beträgt gerade mal die Breite der Gasse. Rechts des Waschbeckens ist die Tür zum WC, die jedoch aufgrund der Enge des Toilettenraums während der Benutzung am besten geöffnet bleibt. Was wiederum bedeutet, dass man wohl besser erstmal die Gardine vor dem Fenster schließen sollte. Von dieser engen WC-Zelle aus klettert man dann in die Duschkabine, die gut 30 cm höher angeordnet ist – wohl um einen Abfluss des Duschwassers zu erlauben. Dass die ganze Kabine auch sehr eng ist, glaube ich, muss nicht extra erwähnt werden. Nun gut. Es ist eine Dusche, sie funktioniert, und es ist nur für eine Nacht.

Das Essen in der zur Unterkunft gehörenden Schankstube allerdings ist super! Und es gibt guten Moselwein dazu.

Auf den Folgetag freue ich mich besonders, denn am Ende des Tages wartet die Zeller Katz auf mich. Das Wetter ist leider noch immer unbeständig. Am Morgen regnet es von Zeit zu Zeit und erst zum Nachmittag hin klart es etwas auf. In Treis-Kaden besuche ich kurz eine kleine Kirche, die für das Erntedankfest mit Feldfrüchten ansprechend dekoriert ist. Die Gemeinde hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben.

Die Mosellandschaft fasziniert mich, diese Steilhänge, manchmal oben mit einer Burg drauf. Ich passiere unzählige Campingplätze – sehr populär bei unseren niederländischen Nachbarn – und unzählige wunderbare Dörfer, aber auch touristisch aufgepeppte Städte wie z.B. Cochem. Alles sehr sympathisch. Unbedingt sehen möchte ich die Ruinen des Klosters Steuben. Ich fahre daher dort auf der rechten Moselseite auf einem Weg, wohl eher als Fußweg konzipiert, der aufgrund des ganzen Regens sehr aufgeweicht und somit auch rutschig ist. Aber egal, Hauptsache, ich komme an, und nun lässt auch der Regen etwas nach. Imposante Ruinen. Bestimmt auch interessant anzusehen aus der Ferne vom Kliff des gegenüberliegenden Moselhangs.

In Zell beziehe ich eine Unterkunft am Rande der Altstadt. Das Fahrrad darf mit ins Zimmer. Die Aussicht ist nicht berauschend, aber dafür ist das kleine Zimmer auch mit Geschirr und einer Kaffeemaschine ausgestattet, so dass ich mir mein Frühstück machen kann. Inzwischen ist die Sonne rausgekommen, und ich muss jetzt dringend die große Zeller Katz suchen, die sich ganz am westlichen Ortausgang befindet. Endlich hat sich mal jemand etwas einfallen lassen! Ich liebe diese wunderbare Statue.

Was hat es mit der Katz auf sich? Nun, die Legende besagt, dass bei einem Wein-Deal die Käufer sich für ein Fass entschieden haben, auf dem eine fauchende schwarze Katze stand, die offenbar ihren Wein mittels ihres Fauchens verteidigen wollte. Also, den Wein nicht rausrücken, da so gut. Darauf hat man dann ein cleveres Marketing aufgebaut. Auch in der Touristen-Information gibt es sogar einen Katzen-Stempel. Ich hatte die Wahl zwischen einem Pilgerstempel mit einer Muschel, also dem klassischen Jakobsweg-Stempel, oder einen mit der Katze. Da ich nicht sonderlich fromm bin, habe ich natürlich den mit der Katze gewählt.

Am Nachmittag habe ich noch etwas Zeit, mich in der Gegend umzuschauen, und so fahre ich mit dem unbepackten Rad auf die Steilhänge. Die haben ihre Bezeichnung verdient, denn sie sind wirklich unglaublich steil. Neben den belgischen Ardennen war ich mit meinem eBike noch nie im „Gebirge“ unterwegs. Und wie schnell die Anzeige des Akkus über die restlichen verfügbaren Kilometer sich verringert! Für mich Flachländerin eine völlig neue Erfahrung. Aber, toll ist es hier oben, und ich genieße den Ausblick. War ja auch nicht weit hierauf.

Im Ort findet gerade irgendein Weinfest statt, so richtig mit Weinkönigin und allem, was dazu gehört. Heißt auch Fressbuden. Also esse ich am Abend auf dem großen Platz. Es gibt Gulasch. Und dazu natürlich Federweißen und Katzenwein. Herrlich!

Aber nicht nur Zell lebt von der wunderbaren Katzenlegende, sondern auch am Tag drauf geht es weiter mit den Geschichten, so z.B. die Nacktarsch-Story von Kröv. Überall Popos. Irgendwo passiere ich einen weiteren Ort, wo auch gerade ein Weinfest tobt. Die Blechband spielt mit großem Vergnügen etwas von AC/DC. Geht also auch. Mein Tag endet in Neumagen-Dhron in einer kleinen Pension. Mein Zimmer ist sehr modern und ansprechend eingerichtet, das große Bad ein einziger Traum. Was für ein krasser Unterschied zu meiner ersten Unterkunft. Und diese hier kostet sogar noch viel weniger. Abendessen finde ich in einer Pizzeria, wo mir die beste Pizza meines Lebens serviert wird. Oder hatte ich einfach nur Hunger? Nein, diese Pizza war wirklich klasse.

Die Fahrt Richtung Trier führt mich durch Gewerbegebiete, wo es leider eine Umleitung des Radwegs gibt. Ich kann die von mir am PC geplottete Strecke nicht fahren, bestenfalls nur die Richtung halten, finde aber letztlich auf meinen Weg zurück. In Trier biege ich ab zur Innenstadt, denn ich möchte zumindest die Porta Westfalica sehen, und fahre auch sonst noch ein wenig durch die Stadt. Ist ja alles sehr hübsch, mir aber zu voll. Hier sind viele Menschen. Also weiter die Mosel rauf. Es beginnt erneut heftig zu regnen. Die Hänge werden flacher. Das Gestein hat sich inzwischen vom Schiefer in Sandstein gewandelt. Der Wein, der hier jetzt verstärkt angebaut wird, ist nicht mehr der Riesling, sondern nun der Elbling. Der, finde ich, schmeckt etwas herber. Es ist eine Weinsorte, die übrigens auch zur Herstellung von Sekt genutzt wird.

Übernachten tue ich in einem etwas abgelegenem Waldhotel in Wasserliesch. Es ist recht groß, wohl auch auf Bustouristen ausgerichtet, aber es sind jetzt nur relativ wenige Gäste dort, nur eine Handvoll Wanderer. Mein Zimmer ist voll in Ordnung, allerdings habe ich dort in der zum Wald gerichteten Seite überhaupt keinen Handyempfang. Muss zum Telefonieren nach vorne raus vor die Tür gehen, und auch dort ist der Empfang nicht besonders gut. Und es gießt in Strömen. Es regnet totale Bindfäden, ohne Unterlass.

Bin ich bis hierher stets den Moselradwegen gefolgt, möchte ich am letzten Tag dieser Reise nun die Fußpilgerstrecke nutzen. Daher fahre ich zunächst zurück nach Konz, wo ich nun nach den Muschelwegweisern suche.

Bereits in Zell erwähnte ich die Wahl zwischen Stempel mit Muschelmotiv oder der Zeller Katz. Was hat es mit Pilgern und der Muschel auf sich? Ohne in den Geschichtsunterricht abzudriften oder seitenlang von Legenden zu berichten, denn die meisten Leser wissen es wahrscheinlich ohnehin bereits, ist die Muschel ein Symbol für die Jakobswege. Jakob, ein Jünger Jesus, hatte (relativ erfolglos) im spanischen Galicien missioniert, kehrte in seine Heimat zurück, wo er von König Herodes geköpft wurde. Sein Leichnam wurde per Schiff nach Galicien zurückgebracht. Je nach Legende hatte sich ein Schiff aus Stein um seinen Körper gelegt, das bei der Anlandung komplett mit Muscheln überzogen war, oder aber eine andere Story berichtet von einem Reitersmann, der bei den Arbeiten zur Rettung des gekenterten Schiffes mit Jakobs Körper an Bord ins Meer fällt und beim Wiederauftauchen auch komplett von Muscheln überzogen ist. Wie auch immer. Jakobs Leichnam wurde dann nach einem ebenfalls ereignisvollen Transport ins Landesinnere bestattet an dem Ort, wo sich heute die Kathedrale von Santiago de Compostela befindet.

Den ersten Muschelwegweiser habe ich inzwischen gefunden. Der Himmel ist bedeckt, momentan regnet es wenigstens nicht, dennoch sind die Wege nass vom gestrigen Regen. Es geht durch den Wald. Die Römerstraße den Berg hoch lasse ich aus, bleibe auf dem Wanderweg im Tal und fahre erst später eine befestigte Straße zu dem oben liegenden Ort Fisch. Mann, ist das steil! Im Ort ist eigentlich nicht viel zu sehen. In Ermangelung von Geschäften gibt es in Fisch Verkaufsautomaten, die Waren wie Wurst, Käse, Joghurt, Brotaufstrich und Saft, Bier, Wein, Wasser anbieten, und – dies weiß ich allerdings nicht mehr genau, es mag auch in einer anderen Vitrine gewesen sein – ein Pilgertreibstoff, nämlich ein Jakobus-Weg Apfelbrand. Interessant.