Eine kurze Geschichte vom Quantencomputer (TELEPOLIS) - Christian J. Meier - E-Book

Eine kurze Geschichte vom Quantencomputer (TELEPOLIS) E-Book

Christian J. Meier

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Beschreibung

Quantencomputer anschaulich erklärt Spannender Einblick in die Entwicklung des Quantencomputers Verstehen ohne Formeln und tiefere Physik Neue Erkenntnisse und erste Praxisanwendungen Die NSA entwickelt einen, Google und die NASA haben sich eine erste kommerzielle Version davon gekauft. Aber was ist das eigentlich, ein Quantencomputer? Das Buch erklärt verständlich und unterhaltsam die magisch anmutenden Phänomene der Quantenphysik und wie sie für unbegreiflich schnell rechnende Computer genutzt werden können. Es zeigt, wie der Quantencomputer und seine Verwandten – gemeint sind neue Technologien, die auf der Quantenphysik basieren – den Alltag ähnlich umwälzen könnten wie einst die Dampfmaschine oder die Entdeckung der Elektronik. Werden Quantencomputer die gängigen Verschlüsselungsverfahren aushebeln? Werden sie eine blitzschnelle Entwicklung neuer Arzneien ermöglichen? Wird es einmal ein Quanteninternet geben und wenn ja, was bringt es? Werden es hyperempfindliche Quantensensoren erlauben, die Gedanken eines Menschen zu lesen? Neben konkreten Beispielen schon existierender Quantentechnologie (etwa Flash-Speicher oder Verschlüsselungsverfahren) gibt Wissenschaftsjournalist Christian Meier einen Überblick über die wichtigsten Laborentwicklungen und zeigt auf, wohin sie führen könnten. Schließlich erfahren Sie, warum manche Physiker glauben, das Universum sei ein einziger Quantencomputer.

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Seitenzahl: 296

Veröffentlichungsjahr: 2020

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TELEPOLIS

www.telepolis.de

Das Online-Magazin TELEPOLIS wurde 1996 gegründet und begleitet seither die Entwicklung der Netzkultur in allen Facetten: Politik und Gesetzgebung, Zensur und Informationsfreiheit, Schutz der Privatsphäre, wissenschaftliche Innovationen, Entwicklungen digitaler Kultur in Musik, Film, bildender Kunst und Literatur sind die Kernthemen des Online-Magazins, welche ihm eine treue Leserschaft verschafft haben. Doch TELEPOLIS hat auch immer schon über den Rand des Bildschirms hinausgesehen: Die Kreuzungspunkte zwischen realer und virtueller Welt, die »Globalisierung« und die Entwicklung der urbanen Kultur, Weltraum und Biotechnologie bilden einige der weiteren Themenfelder.

Als reines Online-Magazin ohne Druckausgabe nimmt TELEPOLIS damit eine einzigartige Stellung im deutschsprachigen Raum ein und bildet durch seine englischsprachige Ausgabe und seinen internationalen Autorenkreis eine wichtige Vermittlungsposition über sprachliche, geografische und kulturelle Grenzen hinweg. Verantwortlich für das Online-Magazin und Herausgeber der TELEPOLIS-Buchreihe ist Florian Rötzer.

Die TELEPOLIS-Bücher basieren auf dem Themenkreis des Online-Magazins. Die Reihe schaut wie das Online-Magazin über den Tellerrand eingefahrener Abgrenzungen hinaus und erörtert Phänomene der digitalen Kultur und der Wissensgesellschaft.

Eine Auswahl der bisher erschienenen TELEPOLIS-Bücher:

Stefan Weber

Das Google-Copy-Paste-Sydnrom

Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden

2., akt. und erw. Auflage 2008,

182 Seiten, 16,00 €

Matthias Becker

Datenschatten

Auf dem Weg in die

Überwachungsgesellschaft?

2010, 184 Seiten, 16,90 €

Harald Zaun

S E T I – Die wissenschaftliche Suche

nach außerirdischen Zivilisationen

Chancen, Perspektiven, Risiken

2010, 320 Seiten, 19,90 €

Marcus B. Klöckner

9/11 – Der Kampf um die Wahrheit

2011, 218 Seiten, 16,90 €

Hans-Arthur Marsiske

Kriegsmaschinen –

Roboter im Militäreinsatz

2012, 252 Seiten, 18,90 €

Nora S. Stampfl

Die verspielte Gesellschaft

Gamification oder Leben im Zeitalter

des Computerspiels

2012, 128 Seiten, 14,90 €

Nora S. Stampfl

Die berechnete Welt

Leben unter dem Einfluss von

Algorithmen

2013, 124 Seiten, 14,95 €

Michael Firnkes

Das gekaufte Web

Wie wir online manipuliert werden

2015, 324 Seiten, 18,95 €

Klaus Schmeh

Versteckte Botschaften

Die faszinierende Geschichte

der Steganografie

2., akt. und erw. Auflage 2017,

318 Seiten, 19,95 €

Christian J. Meier

Suppenintelligenz

Die Rechenpower aus der Natur

2017, 246 Seiten, 16,90 €

Stefan Weber

Roboterjournalismus,

Chatbots & Co.

Wie Algorithmen Inhalte produzieren

und unser Denken beeinflussen

2018, 150 Seiten, 16,95 €

Weitere Informationen zu den TELEPOLIS-Büchern und Bestellung unter: www.dpunkt.de/telepolis

https://dpunkt.de/produkt-kategorie/maker-geeks/telepolis

Christian J. Meier geboren 1968, promovierter Physiker, freier Journalist und Schriftsteller, beschäftigt sich mit den Themen Quantencomputer und Quantentechnologie seit Jahren und berichtet darüber für verschiedene Medien, unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, bild der wissenschaft oder die Süddeutsche Zeitung.

Er hat viele der führenden Köpfe auf dem Gebiet interviewt, darunter Anton Zeilinger (Spitzname »Mr. Beam«), Scott Aaronson, Rainer Blatt, Immanuel Bloch oder Ignacio Cirac und verfügt daher über ein umfassendes Wissen aus erster Hand. Er hat zwei weitere Sachbücher verfasst: »Nano – wie winzige Technik unser Leben verändert« (über Chancen und Risiken der Nanotechnologien, erschienen im primus-Verlag) und »Suppenintelligenz« (telepolis, erschienen beim dpunkt.verlag). Sein Thriller »K.I. – wer das Schicksal programmiert« war nominiert für den Deutschen Science Fiction Preis 2020. Derzeit arbeitet er an seinem nächsten Thriller.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

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Christian J. Meier

Eine kurze Geschichtevom Quantencomputer

Wie bizarre Quantenphysik eine neueTechnologie erschafft

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Christian J. Meier

Reihenherausgeber: Florian Rötzer, München, [email protected]

Lektorat: Dr. Michael Barabas

Lektoratsassistenz: Anja Weimer

Copy-Editing: Susanne Rudi, Heidelberg

Satz: Veronika Schnabel

Herstellung: Stefanie Weidner, Frank Heidt

Umschlaggestaltung: Hannes Fuß, www.hannesfuss.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print

978-3-957881-05-2

PDF

978-3-969101-31-5

ePub

978-3-969101-32-2

mobi

978-3-969101-33-9

2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2021

Copyright © 2021 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

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Dieses Buch wurde auf PEFC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt. Der Umwelt zuliebe verzichten wir zusätzlich auf die Einschweißfolie.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1Zauberlehrlinge

Was bewegt Forscher, eine neue Art von Rechner zu bauen, und warum interessieren sich Wirtschaft und Politik brennend dafür?

2Magische Formeln

Wie vermeintlich unnütze Wissenschaften mehrmals die Welt umwälzten.

3Von geisterhaften Golfbällen, Fotos im Dunkeln und einer toten Katze, die lebt

Einführung in die rätselhafte Welt der Quantenphysik

4Geisterpartikel im Flashspeicher und erste Babysteps zum Quantencomputer

Wie werden die unbegreiflichen Phänomene der Quantenphysik heute schon technisch genutzt?

5Rechnen mit Chloroform, Ionen oder Licht

Wie geht die Entwicklung des Quantencomputers voran?

6Die Zähmung des wilden Rechenmonsters

Hürden auf dem Weg zum Quantenrechner

7Codeknacken, superschnelle Datensuche und sicheres Cloud-Computing

Werden Quantencomputer einmal allgegenwärtige Superrechner sein oder ein Nischenprodukt für einige Spezialanwendungen?

8Zwei Wettläufe um den Quantencomputer: Marathon und Sprint

In die Entwicklung des Quantenrechners fließen Milliarden von Euros. Die Geldgeber wollen baldige Resultate. Doch das ist nicht so einfach.

9Fangnetz für die geisterhafte Rechenpower

Kryptographen mahnen an, die alten Verschlüsselungen baldmöglichst zu ersetzen. Doch die Schutzschilde gegen künftige Quantenrechner sind noch nicht praxistauglich.

10Hilft die Quantenphysik beim Denken?

Das Leben kontrolliert die Quantenphysik: Wie Pflanzen, Tiere und Menschen die bizarren Quantengesetze nutzen

11Der erste Quantencomputer rechnet seit 14 Milliarden Jahren

Forscher rätseln, wie so komplexe Dinge wie das Gehirn entstehen konnten. Manche von ihnen sagen: Die Quanten haben’s programmiert.

12Fazit

13Dank

14Endnoten

15Index

Vorwort

Was vor hundert Jahren selbst genialste Physiker wie Albert Einstein an den Rand ihrer Vorstellungskraft brachte – und darüber hinaus – damit spielen die Physiker von heute routiniert in ihren Labors. Gemeint ist die Quantenphysik, die das Verhalten der kleinsten Bausteine der Welt beschreibt. Die Wissenschaftler erforschen Phänomene, die wie Magie anmuten. Der Zauber der Quanten fasziniert nicht nur sie. Er lockt auch die Mächtigen der Welt: Regierungen, Geheimdienste und Tech-Konzerne. Sie alle wollen aus der Quantenphysik Technologie machen. Genauer gesagt wollen sie das nächste große Ding der Informationstechnologie in die Welt bringen: den Quantencomputer. Diese neue Art von Computer, der schneller rechnen soll als die stärksten Supercomputer, weckt Hoffnungen und Begierden. Wer ihn als Erster entwickelt, dem winken große Gewinne, aber auch Macht. Denn ein Quantenrechner ausreichender Größe wird die derzeit gängigen Verschlüsselungsverfahren knacken und könnte somit dem Internet eine seiner wichtigsten Grundlagen entziehen: seine Sicherheit. Segen und Fluch liegen so nahe beieinander wie bei kaum einer anderen Zukunftstechnologie.

Doch was steckt dahinter? Wie gewinnbringend, mächtig oder gefährlich wird diese neue Art von Computer wirklich sein? Wie funktioniert sie und welche Hürden müssen Forscher noch überwinden? Dieses Buch will diese Fragen für Laien verständlich beantworten.

Der vorliegende Band ist die zweite Auflage meines Werks »Eine kurze Geschichte des Quantencomputers« von 2015. Seitdem hat sich sehr viel auf diesem Feld getan. Es gab wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung der »Wundermaschine«, erstmals etwa erledigte ein Quantenchip der Firma Google eine – wenn auch rein akademische – Aufgabe schneller, als es jeder Supercomputer könnte. Staaten und Wagniskapitalgeber pumpen viele Millionen Euro in die Entwicklung von Quantenrechnern. Im vorliegenden Band habe ich Aktualisierungen vorgenommen und einige wichtiger gewordene Aspekte der Forschung weiter ausgearbeitet. Dazu gibt es drei neue Kapitel: eines über Fehlerkorrekturverfahren, ein weiteres über den Wettlauf um baldige erste Anwendungen kleinerer Quantencomputer und ein drittes über neue Verschlüsselungsverfahren, die den Codeknacker ausbremsen sollen.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Vergnügen bei der Lektüre!

Dr. Christian J. MeierGroß-Umstadt, im September 2020

1Zauberlehrlinge

Was bewegt Forscher, eine neue Art von Rechner zu bauen,und warum interessieren sich Wirtschaft und Politikbrennend dafür?

»Das Unsympathische an den Computern ist, dass sie nurJa oder Nein sagen können, aber nicht Vielleicht.«

(Demnächst überholtes Zitat von Brigitte Bardot)

Elsa, die fiktive Prinzessin aus Disneys Animationsfilm »Die Eiskönigin«, besitzt Zauberkräfte. Gewaltige Zauberkräfte, mit denen sie ihre eigene Heimat, das Königreich Arendelle, in eine bitterkalte Eiszeit katapultiert. Keine Absicht, klar. Elsa hat ihre magische Begabung ebenso wenig im Griff wie ihre Emotionen. Erst im Verlauf der Geschichte lernt sie, ihre Macht zu kontrollieren. Am Ende zaubert sie virtuos gotische Arkaden und opulente Fontänen aus blauem Eis. Unnötig zu erwähnen, dass der Schlüssel zu ihrem Können die Liebe ist.

Im Hier und Jetzt stehen Physiker vor einer nicht unähnlichen Aufgabe. Die Quantenphysik wartet mit Phänomenen auf, die dem Alltagsmenschen wie Magie erscheinen. Wer als Erster die Kontrolle darüber erlangt, dem winken Macht und Geld, aber auch ein Schlüssel zu neuem Wissen darüber, wie die Welt in ihrem Innersten tickt.

Noch vor einem Jahrzehnt bastelten Physiker in fensterlosen Labors, ausgestattet mit kargen Budgets, an den ersten Bausteinen eines »Quantencomputers«. Die Welt nahm kaum Notiz von ihrem Vorhaben. Das änderte sich vor fünf oder sechs Jahren. Die Öffentlichkeit erfuhr, dass etwas mehr dahinter stecken musste als die Neugier einiger lichtscheuer Forscher.

Weit mächtigere Akteure sprangen auf den Zug auf. Der amerikanische Geheimdienst NSA hatte ein 80 Millionen Dollar schweres Forschungsprogramm mit dem Namen »Durchbrechen harter Ziele« gestartet. Das Ziel: der Bau eines Quantenrechners. Der Tech-Gigant Google engagierte den weltweit renommierten Quantencomputer-Spezialisten John Martinis von der University of California in Santa Barbara und behauptete 2019, die »Quantenüberlegenheit« erreicht zu haben. Der kalifornische Datenkonzern kaufte sich zusammen mit der Raumfahrtagentur Nasa für 15 Millionen Dollar eine Maschine, die der kanadische Anbieter »D-Wave Systems« als Quantencomputer bezeichnete.

Heute muten diese Geldsummen sparsam an. Um den ersten Quantencomputer ist ein weltweites Wettrennen im Gange, das im Monatstakt neue »Durchbrüche« meldet, angetrieben von Milliarden an Fördergeldern. Alles, was in der Tech-Branche Rang und Namen hat, forscht am Quantenrechner: Google, Microsoft, Amazon, der IT-Dienstleister IBM und der Chiphersteller Intel. Jüngst stieg mit Honeywell ein Mischkonzern, der Gebäudetechnik und Raumfahrtzubehör herstellt, in das Rennen ein. In Nordamerika und Großbritannien versucht sich ein rundes Dutzend Start-ups, ausgestattet mit Hunderten Millionen Dollar an Wagniskapital, an der Zähmung der Quanten.

Auch China nimmt enorme Summen in die Hand, um die heiß ersehnte Rechenmaschine zu bauen. Peking räumt dem Thema sehr hohe Priorität ein: Staatspräsident Xi Jinping persönlich besucht gelegentlich das Labor von Chinas bekanntestem Quantenphysiker Jian-Wei Pan an der University of Science and Technology of China in der Stadt Hefei.1 Das Reich der Mitte lockt brillante chinesische Forscher, die ihr Handwerk an westlichen Eliteuniversitäten gelernt haben, mit hohen Verdienstaussichten zurück in die Heimat. Pan selbst promovierte in Wien, bei einem der bekanntesten Quanten-Wissenschaftler überhaupt, Anton Zeilinger, den wir noch kennenlernen werden. Er forschte in Heidelberg und kehrte dann nach China zurück, wo er heute als »Vater der Quanten« verehrt wird.

Nachdem sie dem Wettrüsten eine Weile zugesehen hat, ist auch die Europäische Union auf den Quantenzug aufgesprungen. Rund eine Milliarde Euro, verteilt auf die Jahre 2018 bis 2028, pumpt der alte Kontinent in die »Quantentechnologie«. Dieser Begriff beinhaltet neben der neuen Art von Rechner weitere Anwendungen gebändigter Quantenphysik, die wir noch kennenlernen werden.

Was aber reizt die Tech-Giganten und eine Supermacht in spe am Quantencomputer, dass sie derartige finanzielle Dehnübungen machen, um ihn zu bauen?

Computer sind ein Machtfaktor. Im Zweiten Weltkrieg halfen die ersten Rechner den Alliierten, den als unknackbar geltenden Enigma-Code der deutschen Gegner zu entschlüsseln – ein wesentlicher Vorteil. Nach dem Krieg trieben immer schnellere Computer den technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt voran. Sie läuteten, nach der maschinellen Massenproduktion und der Elektrizität, eine dritte industrielle Revolution ein: Die Welt wurde digital. Heute gibt es kaum ein Alltagsgerät oder eine Industriemaschine, teilweise ganze Fabriken, die nicht computergesteuert wären.

Dem Quantencomputer trauen Wirtschaftsleute eine ähnlich umwälzende Kraft zu: »Alle unsere Sparten werden vom Quantencomputer grundlegend verändert werden«, zeigt sich Tony Uttley von Honeywell überzeugt.2 »Die neue Technologie könnte unsere Branche grundlegend verändern«, sagt auch Philipp Harbach vom Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen Merck. Wie andere Experten rechnet auch er damit, dass Quantencomputer bald in der Lage sein werden, chemische Verbindungen zu simulieren. Selbst die derzeit leistungsstärksten Großrechner scheitern an dieser Aufgabe, da Computermodelle komplexer Moleküle unpraktikabel viel Rechenzeit fordern. Der Quantencomputer indessen soll die Simulationen extrem beschleunigen. Somit könnte der neue Rechner bei der Entwicklung von Materialien mit neuen Funktionen helfen, deren Entwicklung bislang zu langwierig und teuer wäre.

Einen solchen Tempovorteil soll der Quantencomputer zwar nicht generell bieten, aber doch bei mehreren wichtigen Anwendungen, wie wir noch sehen werden. Eine davon indessen droht zum Sicherheitsrisiko für das ganze Internet zu werden. Ähnlich wie bei den ersten Rechnern in den 1940er-Jahren betrifft sie die Verschlüsselung. Ohne diese könnte das Internet, wie wir es kennen, nicht stattfinden. Sicheres Kommunizieren über Messengerdienste, Onlinebanking, online einkaufen oder Updates, die garantiert vom angegebenen Absender kommen: All das wäre nicht denkbar ohne die so genannte RSA-Verschlüsselung. Eigentlich könnte jeder PC diesen Code knacken – er beruht auf einem zwar schwer, aber nicht unlösbaren mathematischen Problem. Allein: Der Rechner bräuchte dafür etwa so lange, wie das Universum bereits existiert. In den 1990er-Jahren zeigte der US-Mathematiker Peter Shor, dass ein Quantencomputer es sehr, sehr viel schneller könnte – in einer akzeptableren Zeit von wenigen Minuten nämlich. Das erklärt das Interesse der NSA an dieser neuen Form des Computers. Auch für China ist der Sicherheitsaspekt wichtig. Die Enthüllungen Edward Snowdens hätten Peking bewogen, das Feld obenan zu setzen, sagt Jian-Wei Pan, der es mit seinen Verbindungen zur Staatsführung wissen muss.

Kurzum: Das Reich der Quanten bietet genügend Potenzial, um zu versuchen, es in den Griff zu bekommen. Das allerdings ist nicht ganz einfach. Denn Quanten sind anders. Ganz anders. Ich werde Sie in die unbegreifliche Welt der Quanten mitnehmen und Ihnen begreiflich machen, wie man sie für Technik nutzen kann, die wie Magie wirkt.

Dazu wollen wir erst einmal klären, was Quanten eigentlich sind.

Eine neue Physik, die dem gesunden Menschenverstand spottet

Die Geschichte der Quanten beginnt mit dem deutschen Mathe- und Physikgenie Max Planck. Nach seinem Abitur erhielt er den Rat, trotz seiner großen mathematischen Begabung nicht Physik zu studieren. Ende des 19. Jahrhunderts sah man nämlich darin nicht viel Sinn: In der Physik gebe es nichts wesentlich Neues zu entdecken, das Gebäude dieser Wissenschaft sei fertig, vom Keller bis zum Dachfirst. Die Ratgeber konnten sich kaum gründlicher irren!

Gut, dass Planck ihnen nicht folgte. Denn er selbst würde später das alte Bauwerk, die heute rückblickend klassisch genannte Physik, erneuern. Am Anfang stand eine bahnbrechende Erkenntnis Plancks. Sie erschien wie ein erster Riss in einem Weltbild, das bis dahin dem »gesunden Menschenverstand« intuitiv zugänglich gewesen war. Ein Beispiel dafür ist das Licht, dessen Wesen erst wenige Jahrzehnte vor Plancks Entdeckung ergründet worden war. Im Rahmen der klassischen Physik fließt mit jedem Lichtstrahl ein gleichmäßiger Strom von Energie, einem stetigen Fluss von Wasser ähnlich, den man etwa am kontinuierlichen Rundlauf eines Wasserrads erkennt. Planck fand aber heraus: Mutter Natur liefert Licht in winzigsten Energiepaketen. In unserem Bild würde das bedeuten, dass der Fluss das Wasserrad in übergangslosen Sprüngen weiterdreht. Eine bizarre Vorstellung, die auch Planck nicht gefiel. Er glaubte aber seinen Formeln. Grotesk oder nicht: Es musste so sein. Im Jahr 1900 ging er mit seinem Ergebnis in die Fachöffentlichkeit und schrieb Physik-Geschichte.

Plancks Energiepakete erhielten den Namen Quanten. Mit ihrer Entdeckung öffnete der Physiker die Tür in die Welt der Atome, Moleküle und Elementarteilchen. Denn ohne Quanten ist der Mikrokosmos nicht zu verstehen. Für die kleinsten Bausteine des Universums ist die klassische Physik so etwas wie eine rote Ampel für die Autofahrer Roms: Sie halten sich nicht daran. Anarchie herrscht im Reich des Winzigen aber keineswegs. Teilchen gehorchen auch Gesetzen, nur eben anderen. Planck legte den Grundstein für einen ordentlichen Anbau am Gebäude der Physik, wie sich bald nach seinem Durchbruch zeigen würde.

Der Begriff »Quanten« ist abgeleitet vom Lateinischen »quantum«, was »wie viel« oder »wie groß« heißt. Quanten sind also etwas Zählbares im Gegensatz zu etwas Kontinuierlichem. Man kann nicht am Flussufer sitzen und das Wasser zählen, das vorbeifließt. Aber man kann am Straßenrand stehen und zählen, wie viele Autos vorbeifahren. Das Wasser im Fluss ist ein Kontinuum, der Verkehrsfluss hingegen ist »gequantelt«, wie Physiker sagen würden.

Mit hochempfindlichen Messgeräten können Forscher tatsächlich zählen, aus wie vielen Lichtquanten ein schwacher Lichtstrahl besteht. Die Lichtquanten nennen sie Photonen. Man kann sie sich als Teilchen vorstellen, aus denen sich der Lichtfluss zusammensetzt. Jedes Photon einer bestimmten Farbe, z.B. rot, trägt exakt gleich viel Energie wie ein anderes Photon dieser Farbe. Photonen unterschiedlicher Farben tragen unterschiedliche Energie, ein rotes Photon z.B. weniger Energie als ein blaues.

Nicht nur Licht besteht aus Quanten, wie Physiker in der Folgezeit erkannten. Überall in der Welt der Elementarteilchen zeigen sich die Quanten, also physikalische Größen, die sich nicht kontinuierlich änderten, sondern abrupt.

Atome oder Moleküle können Energie nur in festgelegten Portionen aufnehmen oder abgeben, deren Größe von der Art des Teilchens abhängt. Der Energieinhalt eines Atoms oder Moleküls ist also auf ähnliche Weise gequantelt, wie der eines Lichtstrahls. Die Natriumdampflampen in vielen Straßenlaternen demonstrieren dies jede Nacht: Sie leuchten gelb, weil die Natriumatome in ihnen keine andere Wahl haben, als eine bestimmte Energiemenge abzugeben. Das tun sie in Form von Photonen, deren Energiemenge genau der Energiedifferenz zwischen den Stufen im Natriumatom entspricht. In diesem Fall sind das eben gelbe Photonen.

Andere geniale Physiker wie Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger beschrieben das Verhalten der Quanten mit mathematischen Formeln. In den 1920er-Jahren entwickelten sie eine Theorie namens Quantenphysik. Sie war – und ist – eine echte Prüfung für das, was man »gesunden Menschenverstand« nennt. Denn die Quantenphysik musste verrückt anmutende Annahmen über die Natur der kleinsten Teilchen formulieren, damit sie deren Verhalten umfassend und widerspruchsfrei beschreiben konnte (siehe Kap. 3).

In diesem Buch werden wir Wundern der Quantenphysik begegnen. Wir werden Schalter kennenlernen, die gleichzeitig an und aus sind. Atome, die ohne den Transport von Materie von A nach B reisen, als hätte Scotty persönlich den Schieberegler des Transporters der Enterprise bedient. Teilchen, die sich ohne den geringsten Zeitverlust quer durch das Universum miteinander verständigen, als beherrschten sie Telepathie.

Allerdings interessiert uns daran weniger die Physik, sondern die technische Anwendbarkeit. Denn das ist das Erstaunliche an der Quantenphysik: Trotz ihrer Geisterhaftigkeit, die dem Laien nicht nur unglaublich, sondern vor allem alltagsfern erscheint, erweitert die Quantenphysik das Spektrum des technisch Machbaren enorm.

Möglich ist das, weil Erscheinungen der Quantenwelt, so bizarr sie auch daherkommen mögen, nicht willkürlich oder magisch sind, sondern sich an mathematische Formeln halten. Physiker und Ingenieure spielen seit Jahrzehnten in aufwendigen Experimenten mit der Quantenphysik und beherrschen sie immer besser. Sie haben eine Intuition für die merkwürdige Welt der Quanten entwickelt, die ihnen als Quelle neuer Kreativität dient. Sie denken darüber nach, wie sich die Quantenphysik nutzen lässt, und entwickeln atemberaubende Technologien. Dem neuen Flügel am Gebäude der Physik folgt nun, rund 100 Jahre später, ein neuer Flügel am Gebäude der Technologie. Er heißt »Quantentechnologie«.

Die Forscher ähneln einem inzwischen fortgeschrittenen Klavierspieler. Als Anfänger klimpert er die Töne eines Liedes mehr oder weniger einzeln ab, das Ganze klingt nicht flüssig. Mit der Zeit beherrscht er die Klaviatur besser und kann immer komplexere Lieder nicht nur fehlerfrei, sondern auch immer flüssiger und immer lebendiger wiedergeben. Irgendwann fängt er an, die Klaviatur zu nutzen, um eigene Ideen darauf zu verwirklichen. Er spielt selbst komponierte Stücke, die immer anspruchsvoller werden. Er ist vom Reproduzent zum Produzent geworden und hat das Gebäude der Musik erweitert.

Dämmert eine Quanten-Ära voller technischer Wunder?

»Aus Philosophie wird Technologie«, drückt Tilman Pfau von der Universität Stuttgart diesen Wandel aus. Aus abstrakten Formeln werden Geräte. Forscher üben immer mehr Kontrolle über Atome, Moleküle oder Elementarteilchen aus. Ingenieure übernehmen die dafür nötigen Technologien und versuchen, sie für den Alltag nutzbar zu machen. Phänomene der Quantenphysik, die auf den »gesunden Menschenverstand« wie pure Zauberei wirken, sollen gezähmt und für die Technologie nutzbar gemacht werden. Mit weitreichenden Folgen, wie wir noch sehen werden.

Ein weiterer Grund für den Eintritt in die Ära der Quantentechnik ist die Triebkraft des Informationszeitalters selbst, die die Quantentechnologie als ihre logische Konsequenz vorzeichnet: das »Moore’sche Gesetz«. Auf herkömmlichen Computerchips aus Silizium verdoppelt sich dank immer weiter verbesserter Herstellungstechniken die Anzahl der Bauelemente etwa alle ein bis zwei Jahre. Fanden sich auf einem Mikroprozessor Anfang der 1970er-Jahre lediglich wenige Tausend Transistoren (das sind winzige elektronische Schalter, mit deren Hilfe ein Computer rechnet), waren es im Jahr 2011 schon mehr als zwei Milliarden, also etwa eine Million mal mehr! Ohne das Moore’sche Gesetz wären wir im Alltag nicht von Computerchips umgeben. In einem Smartphone steckt heute ein Computer, der einen Superrechner aus den 1970er-Jahren in die Tasche stecken würde.

Dafür mussten die einzelnen Transistoren von Chipgeneration zu Chipgeneration extrem schrumpfen. Heute sind sie nur noch wenige Nanometer (Millionstel Millimeter) breit, das ist etwa ein Zehntausendstel der Dicke eines Haars. Schon im Jahr 2022 sollen Transistoren nur noch sechsmal mehr Durchmesser haben als die Siliziumatome, aus denen sie bestehen. Längst versuchen Forscher, Transistoren aus einzelnen Molekülen zu bauen. Weil Atome und Moleküle Quantenobjekte sind, benehmen sie sich nach den Regeln der Quantenphysik. Es liegt also nahe, die Quantenphysik für das Rechnen zu nutzen, sprich: Quantencomputer zu bauen.

Der Quantencomputer ist das Herz der Quantentechnologie, ebenso wie Mikrochips das Fundament der heutigen technischen Welt sind. Denn Information treibt den Globus an. Und der Computer ist ein Tausendsassa der Informationsverarbeitung. Mikrochips steuern Tablets und Smartphones, aber auch Waschmaschinen, Automotoren, Industrieroboter, Fernseher etc. Mit anderen Worten: Ohne das Moore’sche Gesetz sähe unsere technische Zivilisation völlig anders aus. Verschwänden auf einen Schlag die Milliarden von leistungsstarken Prozessoren in Fingernagelformat, hätte ein Großteil der Maschinen um uns herum ihr Gehirn verloren.

In der Welt der Quantentechnologie wird der Quantencomputer eine ähnliche Rolle spielen. Auch er verarbeitet Information. Allerdings nutzt er dafür die Gesetze der Quantenphysik, und das macht ihn zu einer völlig neuen Kategorie von Computer. Auf noch sehr viel kleinerem Raum wird er noch sehr viel mehr Rechenleistung konzentrieren als ein Mikrochip, der die Grenzen der klassischen Physik einhalten muss. Denn Quanten haben Eigenschaften, die magisch anmuten. Jedes einzelne Elementarteilchen kann auf winzigstem Raum extrem viel Information verarbeiten, wie wir noch sehen werden. Die Teilchen sind zudem geniale Teamarbeiter: Sie addieren ihre Kräfte nicht nur, sondern potenzieren sie. Eine überschaubare Zahl von Teilchen kann daher astronomisch viele Daten verarbeiten. Schon eine Ansammlung von Atomen, die zusammen kaum mehr Raum einnehmen als ein Virus, kann im Prinzip Aufgaben knacken, für die ein Etagen füllender Supercomputer Jahrzehnte bräuchte. Gelingt der Bau eines Quantencomputers, wird er ein wirklich großer Wurf in der Informationsverarbeitung sein.

Der Quantencomputer wird allerdings auch seine Grenzen haben. Ob er ähnlich universell sein kann wie ein Mikrochip, also ähnlich vielseitig einsetzbar, ist Gegenstand aktueller Forschung.

Definition »Quantencomputer«

Zur Klärung, was in diesem Buch mit »Quantencomputer« gemeint ist, hier eine formale Definition:

Das ist ein Computer, der Gesetze der Quantenphysik nutzt, um einen erheblichen Geschwindigkeitsvorteil bei der Lösung von Aufgaben gegenüber einem Rechner zu erzielen, der auf die Möglichkeiten der klassischen Physik begrenzt ist.

Der Quantencomputer kann bestimmte besonders schwierige und komplexe Aufgaben in einer annehmbaren Zeit lösen, für die ein klassischer Rechner unpraktikabel lange Zeit brauchen würde. Er kann Lösungen finden, die bislang trotz Supercomputern unzugänglich bleiben.

Dieses Buch will laienverständlich in die bizarre Welt der Quantenphysik einführen, um dann zu erklären, was ein Quantencomputer ist, was er können wird und was nicht, welche Hürden auf dem Weg zu einem solchen Rechner zu bewältigen sind und wie man den Nutzen dieser Maschine entfalten will, ohne dass ihre Risiken ins Kontor schlagen. Auf die Blumen am Wegesrand, sprich Quantentechnologien, die leisten, was nach den Gesetzen der klassischen Physik unmöglich wäre, werde ich ebenfalls eingehen.

Bevor wir uns konkret die Geschichte der Quantentechnologie und insbesondere des Quantencomputers ansehen, werden wir eine Reise ins unwirkliche Herz der Quantenphysik machen, wo uns unbegreifliche Phänomene begegnen, wie Schrödingers Katze, Verschränkung oder Teleportation.

Zunächst aber gehen wir einen Schritt zurück und werfen einen Blick in die Technikgeschichte. Dabei werden wir sehen, wie die wachsende Kontrolle über ein zunächst rätselhaftes Phänomen zu einer tiefgreifenden Umwälzung des menschlichen Alltags geführt hat und wie die Antwort auf eine abstrakte und rein akademische Frage die Blaupause für den Computer lieferte.

2Magische Formeln

Wie vermeintlich unnütze Wissenschaftenmehrmals die Welt umwälzten.

»Keine, vermute ich.«

Heinrich Hertz auf die Frage eines Journalisten, welche Anwendungendie von ihm nachgewiesenen Funkwellen haben könnten

Der Frust einer Handvoll Mathematiker führte zu einer der umwälzendsten technologischen Revolutionen der Geschichte: dem Computer. Eine rein akademische Frage, die dem Mann auf der Straße um das Jahr 1920 herum wohl nur ein gleichgültiges Achselzucken entlockt hätte, stand am Anfang.

Oft mussten Mathematiker nach endlosen Disputen entnervt feststellen, dass sich der mathematische Satz, den sie beweisen wollten, gar nicht beweisen lässt. Sie fühlten sich wahrscheinlich wie ein Bergsteiger, der am oberen Rand einer 1000 Meter hohen Felswand vor einem unüberwindlichen Überhang kapitulieren muss. Der deutsche Mathematiker David Hilbert wollte sich 1928 damit nicht mehr abfinden. Seine Idee: ein Testprotokoll, das sich nach Schema F abarbeiten ließe und einem mit wenig Aufwand vorab sagte, ob ein Problem überhaupt lösbar ist oder nicht. Im negativen Fall könnte man sich die Denkarbeit sparen.

Dieses Schema zu entwerfen gab er der weltweiten Mathematikergemeinschaft als Herausforderung. Viele scheiterten. Bis sich im Jahr 1936 der gerade 24-jährige englische Mathematiker Alan Turing daranmachte. Er hatte eine frische, höchst kreative Idee. Besäße man eine Denkmaschine, überlegte Turing, die einen Beweis nach einem Programm Schritt für Schritt abarbeitet, könnte man vielleicht vorab feststellen, ob sie dafür endlich oder unendlich viele Schritte brauchen wird. Im letzteren Fall wäre der Beweis nicht zu führen.

Zur Umsetzung der Idee wählte Turing einen verblüffend naheliegenden Ansatz. Welche Schritte unternimmt ein Mensch, wenn er rechnet? Ein »Computer«, wie man in England damals Menschen nannte, die in Ingenieurbüros mit Block und Bleistift monotone Rechenarbeit abarbeiteten, tat im Grunde nicht mehr und nicht weniger als Folgendes: Er las, schrieb und löschte Symbole auf Papier. Zwischendurch verarbeitete er die gelesenen Zeichen im Gehirn und bewegte den Bleistift oder Radiergummi zu dem Platz auf dem Papier, an dem er das nächste Symbol setzte (siehe Abb. 2–1).

Abb. 2–1

Skizze einer Turingmaschine. Die drei Arme tragen (v. l. n. r.) Lösch-, Schreib- und Lesekopf.

 

(Quelle: Matthias Homeister, »Quantum Computing verstehen«, Springer Verlag)

Turing entwarf nun eine Maschine, die all diese Einzelschritte ebenfalls ausführte. Diese »Turingmaschine« erinnert an einen Kassettenrekorder: Ein Band läuft unter einem Schreib- und Lesekopf hin und her. Der Kopf schreibt Symbole auf nebeneinanderliegende Felder des Bandes oder löscht sie. Dann bewegt er sich nach links oder rechts zum nächsten Feld. Was davon er tut, hängt von dem Symbol ab, das er gerade gelesen hat, und von Anweisungen, die in seinem Innern gespeichert sind. Letzteres entspricht dem Wissen des »Computers« darüber, wie etwa eine Multiplikation auf dem Papier auszuführen ist. Nach dem Lesen eines Stoppsignals stoppt die Maschine und das Ergebnis steht als Symbolkette codiert auf dem Streifen.

Blaupause für eine Allzweckmaschine

Turing musste zwar Hilbert enttäuschen: Es ist nicht vorab entscheidbar, ob die Maschine für eine bestimmte Aufgabe endlich oder unendlich viele Schritte brauchen wird. Nebenbei aber hatte das Genie die Blaupause für eine universelle Rechenmaschine vorgelegt. Turing bewies, dass sein Apparat alle berechenbaren Probleme auch tatsächlich berechnen konnte.

Ein Ergebnis von ungeheurer Wucht. Es gibt also Maschinen, die keinem eng umrissenen Zweck dienen wie ein Webstuhl oder ein Automotor. Man kann sie wie einen multitalentierten Diener mit allem Möglichen betrauen. Dazu muss man sie nur mit entsprechenden Anweisungen füttern. Für Turing und seine Zeitgenossen war es kaum vorstellbar, wie sehr diese Allzweckmaschine die Welt verändern könnte.

Heute wissen wir es. Videos anschauen, mit Freunden chatten, Rollenspiele spielen: Per Mausklick springen Computer binnen Millisekunden zwischen unterschiedlichsten Jobs hin und her. Sie steuern Apps im Smartphone, zeigen dem Autofahrer, wo er abbiegen soll, sagen dem Fabrikroboter, welches Teil er als Nächstes greifen, und der Waschmaschine, wann sie mit dem Schleudern beginnen soll. Im Prinzip könnte man die Waschmaschine programmieren, Windows 10 auszuführen, oder den Fabrikroboter mit einem Textverarbeitungsprogramm füttern. Mikrochips sind extrem flexibel.

Turings Blaupause einer universellen Rechenmaschine liegt unseren modernen Rechnern zugrunde. Die Basiselemente sind die gleichen: Speicher für Instruktionen, Ein- und Ausgabedaten, Schreib- und Leseköpfe. Später werden wir sehen, dass Turingmaschinen uns auch etwas darüber erzählen, wo die Grenzen der Quantencomputer liegen.

In der Technikgeschichte gibt es viele Beispiele, wie die blanke Neugier von Forschern, ihr Bedürfnis, den Erscheinungen der Natur auf den Grund zu gehen, in technische Umwälzungen mündeten, die das Leben von Millionen Menschen oft grundlegend veränderten. Das bloße Entschlüsseln der Natur reichte dafür aber nicht. Durch das Anwenden der Naturgesetze für seine Technik gewann der Mensch immer mehr Kontrolle über sie. Erst dadurch entfalteten die Formeln ihre ganze, oft magisch anmutende Kraft.

Wellen, die die Welt veränderten

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen und die wachsende Kontrolle über sie. Ohne diese würde in unserer Welt voller Mobilfunkgeräte, Computertomografen, Radios, Fernseher etc. nun wirklich gar nichts funktionieren.

Davon ahnte der schottische Physiker James Clerk Maxwell Mitte des 19. Jahrhunderts noch nichts. Er wollte lediglich die vom englischen Naturforscher Michael Faraday entdeckte Beziehung zwischen Elektrizität und Magnetismus auf ein mathematisches Fundament stellen. Eine damals rein akademische Übung, ohne die geringste Relevanz für den Alltag der Menschen.

Maxwell war nach dreijähriger Arbeit erfolgreich: Er beschrieb Magnetismus und Elektrizität und wie sie miteinander wechselwirken in vier Gleichungen, die heute seinen Namen tragen.

Diese Maxwell’schen Gleichungen lieferten eine der größten Erleuchtungen der Menschheitsgeschichte. Jahrhundertelang hatten sich Naturforscher vom Kaliber Galileo Galileis oder Isaac Newtons ohne durchschlagenden Erfolg gefragt, was das ist: Licht. Maxwells Gleichungen gaben endlich die Antwort. Sie zeigten, dass sich elektrische und magnetische Felder gegenseitig erzeugten und sich somit durch den Raum fortpflanzten.

So entsteht eine elektromagnetische Welle. Aus Maxwells Gleichungen ließ sich berechnen, dass sich diese Welle mit 300.000 Kilometern pro Sekunde bewegt. Dieser Wert stimmte mit der damals schon sehr genau gemessenen Lichtgeschwindigkeit überein. Die Folgerung: Licht ist eine elektromagnetische Welle.

Nicht minder revolutionär als diese Erkenntnis war das Wissen um die Existenz von elektromagnetischen Wellen. Zwar antwortete der deutsche Physiker Heinrich Hertz, der die von Maxwell vorhergesagten Wellen experimentell nachwies, auf die Frage nach den Anwendungsmöglichkeiten dieses Phänomens: »Keine, vermute ich.«3 Die fehlende Vorstellungskraft von Hertz fußte aber auf seiner noch mangelhaften Kontrolle über die elektromagnetischen Wellen. Der Physiker hatte mit einfachen Mitteln einen Sender und einen Empfänger für Radiowellen gebaut. Ziel des Experiments war lediglich der Beweis, dass elektromagnetische Wellen überhaupt existierten – nicht mehr und nicht weniger.

Um die Wellen für die Übertragung von Radiosendungen zu nutzen, bedarf es wesentlich mehr an Kontrolle. Der Sender muss deutlich stärker sein als der von Hertz, um viele Kilometer überwinden zu können. Die Hertz’schen Wellen trugen auch keine Musik, keine Nachrichten oder Hörspiele vom Sender zum Empfänger. Diese Information gelangt erst durch eine weitere Stufe der Kontrolle in die übertragene Welle: durch die so genannte Modulation. Signale werden der Welle durch Variieren ihrer Amplitude oder ihrer Frequenz aufgeprägt (siehe Abb. 2–2).

Abb. 2–2

Eine unmodulierte Welle (oben) trägt keine Information. Bei der Amplitudenmodulation (AM, Mitte) ist die Information in der Höhe der Amplitude (d.h. in den Kammhöhen der Welle) codiert. Bei der Frequenzmodulation (FM, unten) tragen die unterschiedlichen Abstände zwischen den Wellenkämmen die Information.

Normalerweise kommen bei einer Welle bestimmter Frequenz die Wellenkämme in regelmäßigen Abständen. Bei der Frequenzmodulation werden diese Abstände leicht verschoben. Die Wellenkämme treffen also in unregelmäßigen Zeitabständen ein. Dadurch entsteht ein Muster, das, vergleichbar dem Morsecode, die in der Radiosendung enthaltene Information trägt. Ähnlich gelingt die Amplitudenmodulation, nur dass hier nicht die zeitlichen Abstände zwischen den Wellenkämmen variiert werden, sondern deren Höhen, die man auch als »Amplitude« bezeichnet.

Tüftler holten die Radiowellen aus dem Labor

Nach Hertz’ Versuch übernahmen Ingenieure wie der Italiener Guglielmo Marconi den Stab und entwickelten den Rundfunk, indem sie die elektromagnetischen Wellen immer besser kontrollierten.

Marconi war als Geschäftsmann ebenso clever wie als Ingenieur und wollte der kabelgetragenen Telegrafie Konkurrenz machen. Schon als Junge hatte er die Arbeiten von Maxwell und Hertz studiert und erkannt, dass sich elektromagnetische Wellen für kabellose Kommunikation eigneten. Um das zu erreichen, setzte sich Marconi, der nie Physik oder Elektrotechnik studiert hatte, ein Ziel: weiter funken zu können als alle anderen. Er baute effizientere Sender sowie empfindlichere Empfänger und stimmte beide Enden optimal aufeinander ab. So konnte er erstmals meilenweit senden.

Marconi überwand schließlich sogar die Erdkrümmung, was damals viele für unmöglich gehalten hatten. Der spätere Nobelpreisträger spannte vertikale Drähte als Sende- und Empfangsantennen und erdete sie. Dadurch nutzte er die Erde selbst als Wellenleiter, und die gesendeten Signale folgten ihrer Krümmung. Heute wissen wir, dass darüber hinaus eine elektrisch leitende Schicht in der Lufthülle der Erde, die Ionosphäre, Radiosignale reflektiert und sie so über Tausende Kilometer befördert.

Marconi gelang der große Sprung. Mit einem starken Sender sowie einem riesigen Fächer aus Antennendrähten sendete er 1901 erstmals ein Morsezeichen über den Atlantik.4 Er perfektionierte die Technologie weiter, sodass auch mit relativ schwachen Sendern Kontinente verbunden werden konnten. Seine technischen Erfolge zahlten sich auch wirtschaftlich aus. Marconi eröffnete 1907 den ersten kommerziellen drahtlosen Telegrafiedienst von der Ostküste Kanadas nach Irland. Auch die Schifffahrt nutzte Marconis Radiosystem. Es funkte 1912 das »SOS« der Titanic und rettete so Leben.

Funkwellen weben das Netzwerk der Welt

Heute ist der »Äther« voll mit elektromagnetischen Wellen. Hunderte Rundfunk- und Fernsehkanäle senden ihre Programme. Jeder kommuniziert mit jedem über Handy oder Smartphone. Fast 120 Milliarden Minuten lang sprachen die Deutschen allein im Jahr 2018 in ihre Mobilfunkgeräte,5 das entspricht einem fast 230.000 Jahre andauernden Reden! Im gleichen Jahr betrug das im Mobilfunk übertragene Datenvolumen fast zwei Milliarden Gigabyte. Es schwirrte also eine Datenmenge durch den »Äther«, die grob gerechnet rund zwanzig Millionen Blu-Ray-Discs füllen könnte. Gestapelt ergäben diese einen Turm von rund 20 Kilometern Höhe.

Möglich ist dieses »Internet durch die Luft« (Bundesnetzagentur) nur durch Breitband-Übertragungstechnologien wie LTE. Auf dem Land springt LTE für oft fehlende breitbandige Kabelanschlüsse in die Bresche.

Die Technologien nutzen sehr hohe Funkfrequenzen mit Milliarden von Schwingungen pro Sekunde. Denn je höher die Frequenz, desto mehr Information lässt sich einer Welle aufprägen. Verschiedenen Nutzern werden verschiedene Radiofrequenzen zugeteilt, sie bekommen quasi ein Rohr eines dicken Rohrbündels. Wo früher ein Radiosender eine einzige Message an Millionen sandte, bringen die Wellen heute jedem Nutzer seine eigene Information. LTE ist darin besonders schnell, da es flexibel jenen Nutzern mehr Frequenzen zuordnet, die gerade viel herunterladen. Im Bild gesprochen, erhalten sie ein Röhrchen oder ein etwas dickeres Rohr zugewiesen, je nachdem, wie viele Daten sie gerade saugen oder hochladen. Dabei wird die Verteilung der dicken und dünnen Röhrchen ständig den aktuellen Erfordernissen angepasst. Nach dem Saugen eines Videos mit einem »dicken Rohr« bekommt der Nutzer für sein Telefonat einen »Strohhalm«. So wird die Bandbreite optimal ausgenutzt, sprich: Die Gesamtdicke des Rohrbündels wird stets voll ausgelastet.

Noch mehr Bits und Bytes lassen sich mit Lichtwellen übertragen. Diese haben noch viel höhere Frequenzen von mehreren Hunderttausend Milliarden Schwingungen pro Sekunde. Und auch hier ist Kontrolle wichtig. Die Menschen haben gelernt, Licht durch Glasfasern rund um den Erdball zu schicken.

Jetzt arbeiten sie daran, gigantische Datenmengen auf Laserstrahlen aus dem All auf die Erde reiten zu lassen. Denn im Orbit sammeln Beobachtungssatelliten immer mehr Daten über die Erde, z.B. über die Landwirtschaft, das Klima oder die Eisdicke der Arktis. Ein einziger Satellit produziert dabei oft mehr als ein Gigabyte Daten pro Sekunde. Mit Radiowellen lassen sich diese Daten bei Weitem nicht so schnell zum Boden bringen.