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Dieser Band enthält folgende SF-Romane: Wahre Marsianer (Alfred Bekker) Welt der Welten (Oliver Fröhlich) Lennox und das verschwundene Volk (Lloyd Cooper) Commander Rena Sunfrost blickte zum rostroten Marshorizont, an dem ein dunkler, sich um die eigene Achse drehender Kegel zu sehen war, der schätzungsweise sechzig, siebzig Kilometer hoch in die Atmosphäre hineinragte. Im Helmdisplay wurde ein rapider Temperaturabfall angezeigt. Gerade noch waren minus 34 Grad Celsius gemessen worden, was am Mars-Äquator der mittleren Mittagstemperatur entsprach. Jetzt war das Thermometer bereits auf über minus fünfzig Grad gefallen. Etwa zehn Meter entfernt landete Lieutenant David Kronstein gerade auf den Stiefelsohlen seines klobigen Druckanzugs. Er hatte eine Serie von Drei-Meter-Sprüngen hinter sich und musste sich nun ausbalancieren, um nicht durch den eigenen Schwung zu Boden gerissen zu werden. Wie alle anderen Team-Mitglieder hatte er sich offenbar noch nicht hundertprozentig an die geringere Schwerkraft des Mars gewöhnt. Kronstein schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Er nahm sein Ortungsmodul von der Magnethalterung an seiner Taille und richtete es erst auf den Sturm, dann auf eine Gruppe von Felsmassiven. »Captain, wir haben keine Chance mehr, die Felsen zu erreichen, bevor der Sturm uns hinwegfegt. Die Windgeschwindigkeit beträgt mehr als 500 Stundenkilometer. Unsere Überlebenschancen sind gleich null!«
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Eine Welt für Marsianer: 3 Science Fiction Romane
Copyright
Wahre Marsianer
Raumschiff Rubikon 27 Welt der Welten
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
Epilog
Lennox und das verschwundene Volk
Dieser Band enthält folgende SF-Romane:
Wahre Marsianer (Alfred Bekker)
Welt der Welten (Oliver Fröhlich)
Lennox und das verschwundene Volk (Lloyd Cooper)
Commander Rena Sunfrost blickte zum rostroten Marshorizont, an dem ein dunkler, sich um die eigene Achse drehender Kegel zu sehen war, der schätzungsweise sechzig, siebzig Kilometer hoch in die Atmosphäre hineinragte. Im Helmdisplay wurde ein rapider Temperaturabfall angezeigt. Gerade noch waren minus 34 Grad Celsius gemessen worden, was am Mars-Äquator der mittleren Mittagstemperatur entsprach. Jetzt war das Thermometer bereits auf über minus fünfzig Grad gefallen.
Etwa zehn Meter entfernt landete Lieutenant David Kronstein gerade auf den Stiefelsohlen seines klobigen Druckanzugs.
Er hatte eine Serie von Drei-Meter-Sprüngen hinter sich und musste sich nun ausbalancieren, um nicht durch den eigenen Schwung zu Boden gerissen zu werden. Wie alle anderen Team-Mitglieder hatte er sich offenbar noch nicht hundertprozentig an die geringere Schwerkraft des Mars gewöhnt. Kronstein schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Er nahm sein Ortungsmodul von der Magnethalterung an seiner Taille und richtete es erst auf den Sturm, dann auf eine Gruppe von Felsmassiven.
»Captain, wir haben keine Chance mehr, die Felsen zu erreichen, bevor der Sturm uns hinwegfegt. Die Windgeschwindigkeit beträgt mehr als 500 Stundenkilometer. Unsere Überlebenschancen sind gleich null!«
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Vier Science Fiction Romanserien - ein Kosmos!
CHRONIK DER STERNENKRIEGER - die kontinuierlich fortlaufende SF-Serie über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger. Bislang 47 Romane.
CHRONIK DER STERNENKRIEGER EXTRA - Extra-Romane und Stories aus dem Sternenkrieger-Universum. Bislang 4 Titel.
COMMANDER REILLY - das kontinuierlich fortlaufende Prequel über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger unter seinem ersten Kommandanten. Bislang 22 Romane.
MISSION SPACE ARMY CORPS - Romane aus dem Sternenkrieger Kosmos über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger und anderer Schiffe des Space Army Corps der Humanen Welten in den Weiten der Galaxis. Mehr als 30 Titel in Vorbereitung.
Im Verlauf des 23.Jahrhunderts wird die Menschheit durch Angriffe aggressiver Alien-Zivilisationen bedroht. Die Raumschiffe des Space Army Corps stellen sich diesen Bedrohungen entgegen und erforschen die Weite des Alls.
Chronik der Sternenkrieger 8
Wahre Marsianer
von Alfred Bekker
Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.
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Commander Rena Sunfrost blickte zum rostroten Marshorizont, an dem ein dunkler, sich um die eigene Achse drehender Kegel zu sehen war, der schätzungsweise sechzig, siebzig Kilometer hoch in die Atmosphäre hineinragte. Im Helmdisplay wurde ein rapider Temperaturabfall angezeigt. Gerade noch waren minus 34 Grad Celsius gemessen worden, was am Mars-Äquator der mittleren Mittagstemperatur entsprach. Jetzt war das Thermometer bereits auf über minus fünfzig Grad gefallen.
Etwa zehn Meter entfernt landete Lieutenant David Kronstein gerade auf den Stiefelsohlen seines klobigen Druckanzugs.
Er hatte eine Serie von Drei-Meter-Sprüngen hinter sich und musste sich nun ausbalancieren, um nicht durch den eigenen Schwung zu Boden gerissen zu werden. Wie alle anderen Team-Mitglieder hatte er sich offenbar noch nicht hundertprozentig an die geringere Schwerkraft des Mars gewöhnt. Kronstein schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Er nahm sein Ortungsmodul von der Magnethalterung an seiner Taille und richtete es erst auf den Sturm, dann auf eine Gruppe von Felsmassiven.
»Captain, wir haben keine Chance mehr, die Felsen zu erreichen, bevor der Sturm uns hinwegfegt. Die Windgeschwindigkeit beträgt mehr als 500 Stundenkilometer. Unsere Überlebenschancen sind gleich null!«
*
»Der atmosphärische Druck sinkt rapide«, meldete Kronstein. »Wir haben jetzt weniger als 4,5 Millibar, vor einer Stunde war es noch beinahe ein Millibar mehr!«
Der Luftdruck auf dem Mars schwankte zwischen 3 und 8 Millibar. Für irdische Verhältnisse – durchschnittlich um 1000 Millibar – glich selbst ein marsianisches Hochdruckgebiet oder der erhöhte Atmosphärendruck in den bis sechs Kilometern tiefen Spalten und Senken noch einem recht passablen Vakuum. Eine Schwankung um ein Millibar wäre auf der Erde kaum spürbar gewesen, doch auf dem Mars zeigte sie eine drastische Wetteränderung an. Der marsianische Sturm verhielt sich in dieser Hinsicht genau wie irdische Wirbelstürme: Durch Temperaturunterschiede in der Atmosphäre wurde Luft an einer Stelle angesaugt, wodurch in den umliegenden Gebieten Unterdruck entstand.
Es ist meine Schuld!, dachte Sunfrost. Die Routenplanung war fehlerhaft – und ich war dafür verantwortlich. Also werde ich auch die Schuld daran tragen, dass wir in diesem verdammten Sturm zu Grunde gehen!
Aber wer hätte auch ahnen können, dass der Sturm seine Richtung so plötzlich änderte?
Die Wahrscheinlichkeit dafür war vom Wetterrechner des Ortungsmoduls mit 15 Prozent angegeben worden. Aber gerade die fünfzehn Prozent waren jetzt eingetreten. Der Sturm näherte sich.
Unaufhaltsam pflügte er durch den Marsstaub, wirbelte ihn in die zweihundert Kilometer dicke Marsatmosphäre. Auf Grund der im Vergleich zur Erdatomsphäre um ein Vielfaches geringeren Dichte dieser vorwiegend aus Kohlendioxid sowie Stickstoff und Edelgasen bestehenden Gashülle des Mars waren die Auswirkungen eines Sturms viel größer. Es hatte in der Vergangenheit Stürme gegeben, die den gesamten Planeten für ein paar Standard-Erdjahre verdunkelt hatten. Die nur etwa 40 Prozent der Erdanziehung betragende Gravitation des Mars tat ein Übriges, um die aufgewirbelten Partikel lange in der Atmosphäre herumschwirren zu lassen.
Wenn der Sturm uns erreicht, wird er uns mit seiner Gewalt in die Höhe schleudern, ging es Rena durch den Kopf. Auch in einem der raumtauglichen Panzeranzüge der Marines hatte man keinerlei Überlebenschance, wenn man vielleicht zehn Kilometer emporgeschleudert wurde und anschließend auf die Oberfläche knallte. Und selbst mit einem aufgeschnallten Antigrav wäre die Wahrscheinlichkeit, einigermaßen unverletzt die Oberfläche zu erreichen, äußerst gering.
Aufschnallbare Antigrav-Packs gehörten allerdings nicht zur Ausrüstung, die Rena Sunfrost und ihrer Gruppe zur Verfügung stand…
»Captain, ich fürchte wir haben keine Optionen mehr«, stellte Lieutenant Commander Raphael Wong, der Erste Offizier des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER fest. Außer ihm und Kronstein gehörten noch Bordärztin Dr. Simone Nikolaidev, der Olvanorer Bruder Guillermo, der Leitende Ingenieur Lieutenant Simon E. Erixon sowie Lieutenant Robert Ukasi, der Waffen- und Taktikoffizier, Sunfrosts Team an.
»Ich weiß, wir hätten eine andere Route nehmen müssen. Ich hatte Unrecht«, sagte Sunfrost.
»Wenn wir jetzt den Rückweg zum Wrack antreten, haben wir immerhin eine geringe Chance, dass sich die Richtung des Sturms noch einmal ändert und wir ihm vielleicht doch noch entgehen«, schlug Bruder Guillermo vor.
»Wo bleibt Ihre Glaubenszuversicht?«, meldete sich Robert Ukasi zu Wort. »Eigentlich hätte ich von Ihnen erwartet, dass ein religiös so gefestigter Mann wie Sie seinem Ende mit offenen Augen entgegensieht.«
»Und ich hätte gedacht, dass ein Taktiker wie Sie, in dieser Situation seine Fähigkeit zu einer sachlich-kühlen Lagebeurteilung behält«, versetzte Sunfrost.
»Wir können dem Einfluss des Sturms nicht entgehen«, erklärte Kronstein. »Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit dafür minimal. Möglicherweise geraten wir mit etwas Glück nur in die etwas weniger heftigen Randbezirke dieses Wirbels. Aber die werden uns immer noch hoch genug schleudern, um uns mit großer Wahrscheinlichkeit zu töten.«
»Versuchen wir es trotzdem«, sagte Sunfrost.
Sie war es, die die Entscheidungen treffen musste. Und mochte es einem auch so erscheinen, als wäre es in dieser Situation völlig gleichgültig, welche Entscheidung getroffen wurde, so fühlte Rena doch, dass es anders war. Im Angesicht einer Gefahr hatte der Mensch den inneren Drang etwas zu tun.
Ob es das Richtige war, spielte dabei manchmal eine untergeordnete Rolle.
Zumindest ist es besser, als sich einfach diesem Monstrum aus Wind, aufgewirbeltem Marsstaub und atmosphärischem Unterdruck zu ergeben. Ein Monstrum, das ihre Gruppe unweigerlich erschlagen würde.
Du denkst über den Sturm schon wie über ein lebendes Wesen, ging es Sunfrost durch den Kopf. Als ob es sich um ein fassbares Ungeheuer handeln würde. Einen Feind… in Wahrheit war der eigentliche Feind deine Fehleinschätzung in Bezug auf die Route…
Das war eine Wahrheit, die schmerzte.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Mit beiden Beinen stießen sie sich vom Boden ab und landeten wenige Meter entfernt. Ein Bein war dabei nach vorn, das andere nach hinten ausgerichtet wie bei einem raumgreifenden Schritt unter Erdschwerkraft.
Die Teammitglieder federten auf dem staubigen, aber festen Boden ab und sprangen gleich weiter. Durchschnittlich waren sie anderthalb Sekunden in der Luft, wie eine Anzeige im Inneren des Helmvisiers anzeigte.
Eine Sprunglänge, die für die Fortbewegung unter Marsbedingungen optimal war. Schon die ersten Erdastronauten des zwanzigsten Jahrhunderts hatten bei ihren Mondmissionen schnell festgestellt, dass diese känguruartige Fortbewegung unter den Bedingungen einer geringen Schwerkraft am effektivsten war.
Sie hüpften vor dem herannahenden Sturm davon. Aber schon dessen Außenbereiche sorgten für Windböen, die heftig genug waren, um die Springer fortzureißen.
Nikolaidev wurde plötzlich emporgeschleudert, ohne dass sie noch irgendeine Kontrolle über ihren Körper hatte. Im nächsten Moment krachte sie auf den von Gesteinsbrocken übersäten Boden. Ihr Helmvisier bekam Risse. Ein Todesröcheln war noch über den Helmfunk zu hören. Der Sauerstoff aus dem Inneren des Druckanzugs trat in einer Fontäne aus. Die in der Atemluft enthaltene Feuchtigkeit kondensierte sofort.
Rena sah es, taumelte jedoch weiter vorwärts. Springen durfte sie jetzt nicht mehr. Die Windgeschwindigkeiten hatten inzwischen alles überschritten, was selbst von den schlimmsten Hurrikans auf der Erde bekannt war. Der Himmel hatte sich vollständig verdunkelt und wurde einer rostroten, immer düsterer werdenden Schicht aus aufgewirbelten Partikeln bedeckt.
Sie taumelte zu Boden und kam dabei ziemlich hart mit dem Visier gegen einen der Steine. Es gab einen Kratzer, aber abgesehen davon schien kein Schaden entstanden zu sein. Die Anzeige des Helmdisplays verriet, dass der Anzug nach wie vor einwandfrei arbeitete.
Aber das war nur ein schwacher Trost.
Sie blickte sich um.
Schemenhaft bemerkte sie eine Gestalt. Es waren die Umrisse eines Standardraumanzugs, wie sie von den Raumsoldaten des Space Army Corps für den Einsatz auf Planeten mit nichtirdischen Bedingungen benutzt wurden. Sie glaubte einen Moment lang, an der Ausrüstung erkennen zu können, dass es Wong war. Aber das konnte ebenso gut ein Irrtum sein.
Die Gestalt verschwand nur Augenblicke später.
»Raphael, wo sind Sie?«, fragte sie über Helmfunk, doch sie erhielt, abgesehen vom Rauschen irgendeiner Interferenz, keine Antwort.
Sie war allein.
Allein auf einem menschenfeindlichen Planeten, dessen Oberfläche so gut wie unbesiedelt war und dessen Terraforming noch ein paar Jahrhunderte brauchen würde, um Erfolge zeigen zu können, die über die Ansiedlung von einigen Sauerstoff produzierenden Moosen hinausgingen. Milliarden Menschen lebten auf dem Mars – aber deren Städte lagen tief unter der Oberfläche. Hierher verirrte sich niemand, es sei denn, er hatte einen sehr guten Grund dafür, um diese schroffe Einöde aufzusuchen, deren trockenkalte Kargheit alles in den Schatten stellte, was ein Mensch der Erde mit dem Begriff Wüste verbinden mochte.
Sunfrost presste sich auf den Boden. Jetzt gab es tatsächlich nichts mehr was sie tun konnte.
Alles läuft jetzt einfach bis zum Ende!, ging es ihr durch den Kopf. Und irgendwann heißt es dann GAME OVER oder so ähnlich…
Etwas drückte an ihrem Halsansatz. Es war der Kragen ihres Anzugs, der sich, da sie auf dem Bauch lag, von unten an ihren Hals und die obersten Rippen presste, wodurch sie ihren Talisman schmerzhaft spürte. Sie war auf Dambanor II von dem Projektil einer primitiven Steinschlosswaffe getroffen worden, die ein reptiloider Einheimischer auf sie abgeschossen hatte. Dieses Projektil trug sie ständig bei sich. Bedenke, dass du sterblich bist. Daran erinnerte sie dieses Amulett nun ständig.
Eine Anzeige erschien in ihrem Helmsdisplay.
AUSFALL VON TEAM-MITGLIEDERN: 88,71 Prozent, stand dort.
6 von 7 Teammitgliedern sind tot.
Ein emporgeschleuderter Gesteinsbrocken krachte in diesem Moment dicht neben Sunfrost zu Boden. Sie sah nichts mehr. Der aufgewirbelte Marsstaub war zu dicht. Aber im nächsten Moment spürte sie einen Schlag gegen den Kopf. Offenbar ein zweiter Brocken.
Vor Rena Sunfrosts Augen wurde es schwarz…
*
In der Dunkelheit wirkte das Leuchten sehr grell. Es schmerzte beinahe.
AUSFALL VON TEAM-MITGLIEDERN: 100 Prozent, war dort zu lesen. 7 von 7 Teammitgliedern sind tot. Wünschen Sie eine Aufschlüsselung der Ursachen, dann sagen Sie ja.
Wünschen Sie keine Aufschlüsselung, so sagen Sie nein.
Möchten Sie, dass Ihnen die Aufschlüsselung an Ihre private oder dienstliche Netzwerkadresse übersandt wird, so sagen Sie »übersenden«. Falls Sie…
»Nein!«, sagte Rena etwas zu spät.
Sie hatte einfach keine Nerven dafür, sich jetzt auch noch im Einzelnen die Gründe für ihr Versagen bei dieser Survival-Simulation anzeigen zu lassen.
Dreimal schon hatten Sunfrost und ihr Team die Simulation während des Rückflugs der STERNENKRIEGER ins Sol-System durchgespielt und das Ergebnis war jedes Mal gleichermaßen ernüchternd gewesen.
Rena stand auf.
Die künstliche Schwerkraft in dem Übungsraum an Bord der STERNENKRIEGER war nach Beendigung der Simulation sofort wieder auf Erdniveau geschaltet worden – und das bedeutete, dass dieser Anzug fast das dreifache Gewicht hatte.
Sie öffnete das Visier und nahm schließlich den Datenhelm ab. Die anderen Team-Mitglieder hatten ihre Helme schon abgenommen. Die Anzüge waren per drahtloser Datenübertragung mit dem Bordrechner verbunden, über den das Simulationsprogramm ablief. Auf einem in der Wand eingelassenen Bildschirm war das beschämende Ergebnis zu sehen.
7 von 7 Teammitgliedern sind tot, brummte Rena innerlich. Ja, ich habe es ja verstanden.
»Unsere Simulationsergebnisse sind noch nicht zufriedenstellend, Captain«, erklärte Lieutenant Commander Raphael Wong auf seine unnachahmlich trockene Art. »Leider werden wir vor unserem Eintreffen auf dem Mars wohl kaum noch Gelegenheit dazu bekommen, das Programm ein weiteres Mal ablaufen zu lassen.«
Rena atmete tief durch.
Es gab eine Vorschrift, die für Offiziere des Space Army Corps erlassen worden war. Danach waren sie verpflichtet, innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren an einem Survival-Kurs unter extraterrestrischen Bedingungen teilzunehmen. Dabei war festgelegt, dass als Orte, an denen dieser Kurs abgelegt werden konnte, nur Planeten in Betracht kamen, bei denen mindestens drei der wichtigsten Umweltparameter um mindestens siebzig Prozent von denen der Erde abwichen.
Dreiviertel der Kursabsolventen des Space Army Corps machte dieses Survival-Training in Camp Latanor auf dem Mars. Und da die STERNENKRIEGER die nächsten Wochen zu dringend notwendigen Wartungsarbeiten auf Spacedock 13 festliegen würde, empfahl es sich für jene Offiziere, deren extraterrestrischer Survival-Kurs mal wieder dringend angezeigt war, die Gelegenheit beim Schopf zu fassen und die unangenehme Pflicht hinter sich zu bringen.
Ausnahmegenehmigungen wurden nur in extremen Härtefällen gewährt oder wenn es ein längerer Einsatz des betreffenden Offiziers einfach nicht möglich machte, dass er den Kurs rechtzeitig absolvierte.
Aber davon konnte im Moment ja keine Rede sein.
»Ich weiß nicht, wer von den Schlaumeiern im Oberkommando sich die bestehenden Regelungen ausgedacht hat und über deren Sinn kann man sicher geteilter Ansicht sein. Aber wir werden auf keinen Fall um die Absolvierung dieses Kurses herumkommen«, kündigte Rena Sunfrost an.
»Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, dann ist das reine Zeitverschwendung«, knurrte Simon E. Erixon.
Rena lächelte mild.
»In Ihrem Fall verstehe ich die Empörung sogar«, erklärte sie.
Erixon wandte den Kopf in ihre Richtung. Seine Facettenaugen schienen sie mit geradezu unmenschlicher Kälte zu mustern und so sehr sie sich auch immer in Erinnerung rief, dass dies eine Projektion ihrerseits war, so wenig war sie dennoch in der Lage, diese Emotion einfach auszuschalten oder wenigstens ignorieren zu können.
Erixon stammte vom Planeten Genet, der wichtigsten Welt der so genannten Genetiker-Föderation, wo seit langer Zeit sehr viel liberalere Bestimmungen im Hinblick auf die Anwendung von gentechnischen Veränderungen herrschten.
Teilweise waren die geltenden Gesetze der Humanen Welten sogar bewusst unterlaufen worden. Jüngst war nun die Genetiker-Föderation unter ihrem Lordmanager Jurij R. Zaid direkt dem Humanen Rat unterstellt und die planeteneigenen Regierungen abgesetzt worden. Allerdings waren keinerlei Maßnahmen unternommen worden, um dies auch durchzusetzen.
Wie viele andere Bewohner Genets war auch Simon Erixon das Ergebnis einer gentechnischen Optimierung. Man hatte ihn für den Einsatz als Bergbauingenieur auf einer Methanwelt erschaffen, sodass er dazu in der Lage war, zwischen Sauerstoff- und Methanatmung zu wechseln. Seine Facettenaugen waren ausschließlich für die Wahrnehmung von Infrarotstrahlung ausgelegt.
»Ich habe länger unter extremen, nicht der Erdnorm entsprechenden Bedingungen verbracht als die gesamte restliche Besatzung der STERNENKRIEGER zusammengenommen«, sagte Erixon ziemlich ärgerlich. »Und da verlangen diese arroganten Säcke vom Oberkommando die Ableistung dieses Kurses von mir!«
»Mäßigen Sie sich, Lieutenant«, wies ihn Rena Sunfrost zurecht. »Ihren Unmut darüber kann ich verstehen, aber weder Sie noch ich können daran etwas ändern. Also hat es auch keinen Sinn, darüber zu lamentieren.« Rena wandte sich an Bruder Guillermo. Der noch recht jung wirkende Olvanorer erwiderte ihren Blick. »Der Einzige, der nicht an diesem Kurs teilnehmen muss, wären Sie, Bruder Guillermo.«
»Ich will keine Ausnahme sein«, erklärte er.
»Sie sind kein regulärer Offizier an Bord der STERNENKRIEGER, sondern genießen als wissenschaftlicher Berater lediglich die mit dem Offiziersrang verbundenen Privilegien…«
»…auf die ich im Übrigen nie einen besonderen Wert gelegt habe.«
»Ich habe mir die Vorschriften diesbezüglich noch einmal genau durchgelesen, Bruder Guillermo. Es gibt keine Verordnung, die Sie dazu zwingen könnte, an diesem Kurs teilzunehmen.«
Bruder Guillermo lächelte. »Nun, ich… Also…« Er hatte den Satz zweimal angefangen, biss sich jetzt auf die Lippe und zuckte einfach nur die Schultern. Irgendein Gedanke schien ihm gerade im Kopf herumzuspuken. »Wissen Sie, im Gegensatz zu allen anderen hier im Raum freue ich mich auf diese Erfahrung.«
»Also, ich kann Ihnen sagen, es gibt wirklich Erfreulicheres, als in einem unförmigen Druckanzug durch die Marswüste zu hüpfen – und das auch noch ohne hinreichendes technisches Equipment wie Antigrav-Paks oder dergleichen«, meinte Wong.
Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER wandte sich an Kronstein.
»Für Sie hat das Ganze wenigstens in so fern sein Gutes, dass Sie die Shuttle Passage zum Mars nicht aus eigener Tasche bezahlen müssen, sondern Ihre Freundin auf Kosten des Space Army Corps besuchen können!«
Kronstein lächelte verhalten.
Er hatte eine Freundin auf dem Mars. Sie hieß Yona Ramesh und war Systemadministratorin in einem der zahlreichen Zuliefererunternehmen für die Raumfahrtindustrie, die in den größtenteils unterirdischen Siedlungen auf dem Mars ihren Stammsitz hatten. Tatsächlich hatte er viel an Yona gedacht in letzter Zeit. Der Gedanke, dass er sie kurz nach seiner Ankunft erst einmal wieder für ein paar Tage verlassen musste, um an diesem Survival-Kurs in der Latanor Area teilzunehmen, gefiel ihm natürlich überhaupt nicht. Stattdessen hätte er lieber etwas von dem sich auf seinem Konto anhäufenden Sold für die Shuttle-Passage ausgegeben. Selbst den doppelten Preis, wenn er damit das Survival-Training hätte umgehen können.
Er zuckte die Achseln. »Man muss eben immer das Positive sehen.«
Ein Summton ertönte.
Die Brücke meldete sich über Interkom, wo gegenwärtig Lieutenant John Taranos das Kommando führte, während der Rest der Brückencrew im Moment von Fähnrichen gestellt wurde, die auf der STERNENKRIEGER ihre Ausbildung absolvierten. Aber während des Anflugs auf Spacedock 13
konnte eigentlich nichts schief gehen. Eine Routineaufgabe, die von Taranos und den Fähnrichen mühelos und ohne besonderes Risiko bewältigt werden konnte.
»Captain, wir docken in zehn Minuten an Spacedock 13 an«, meldete Taranos, der normalerweise die Funktion eines Ruderoffiziers an Bord der STERNENKRIEGER innehatte.
»In Ordnung, Lieutenant. Ich danke Ihnen für die Meldung.«
*
Lieutenant Taranos salutierte, als Rena Sunfrost wenig später auf der Brücke erschien.
»Machen Sie weiter, Lieutenant.«
»Ja, Ma'am.«
»Tun Sie so, als wäre ich gar nicht da.«
»In Ordnung, Captain.«
Dass sämtliche ranghöheren oder bei Ranggleichheit dienstälteren Offiziere abwesend waren und Lieutenant John Taranos daher die Gelegenheit erhielt auf der Brücke das Kommando zu führen, kam relativ selten vor.
Es wird Zeit, dass er sich daran gewöhnt, fand jedoch Rena Sunfrost.
Der Captain hatte von Anfang an einen Mangel an Führungsqualität bei dem Rudergänger der STERNENKRIEGER festgestellt. Er war ein hervorragender Pilot, mit Sicherheit einer der besten des gesamten Space Army Corps. Aber das, was einen Offizier über die Fachkompetenz im engeren Sinn hinaus noch eigentlich auszeichnen sollte, fehlte ihm zum Großteil.
Er ist noch ziemlich jung und wird es lernen können, dachte Sunfrost. Er wird es allerdings auch lernen müssen, wenn er die Karriere machen will, die seinen fachlichen Fähigkeiten eigentlich entspricht.
John Taranos war die Anspannung anzumerken.
»Andock-Sequenz wird vorbereitet«, meldete Fähnrich Lin Al-Katibi, der Taranos am Ruder vertrat. Der Offiziersanwärter ließ seine Finger über den Touchscreen seiner Konsole gleiten, um ein paar letzte Modifikationen vorzunehmen.
»Wir bekommen eine Transmission des Space Army Corps herein«, meldete jetzt Fähnrich Wiley Riggs von der Konsole für Ortung und Kommunikation.
»Auf den Schirm damit«, verlangte Lieutenant Taranos.
Auf dem Hauptbildschirm der STERNENKRIEGER verschwand die Panoramaabbildung, die im Vordergrund Spacedock 13 gezeigt hatte, während hinter dieser Orbitalstation die blaue Erdkugel schimmerte.
Das Gesicht eines kahlköpfigen Mannes in der Uniform des Star Corp war jetzt zu sehen. Commodore Tim Bray Jackson war Rena Sunfrosts direkter Dienstvorgesetzter. Dementsprechend wandte sich der Commodore auch gleich an sie und nicht an den derzeit das Kommando auf der Brücke führenden Taranos.
»Guten Tag, Commander. Es freut mich, dass Sie und Ihre Besatzung wohlbehalten zur Erde zurückgekehrt sind.«
»Danke, Sir«, gab Rena zurück.
»Abgesehen von dieser Grußbotschaft wollte ich Ihnen eigentlich nur mitteilen, dass in Camp Latanor auf dem Mars alles für Sie und Ihre Crewmitglieder bereit ist. Sie bekommen zunächst Quartiere im District C von Mars Town und werden später mit einem Gleiter in die Latanor Area gebracht, wo sich Survival Instructor Norman Kaboli schon auf die Arbeit mit Ihnen freut.«
Sunfrost atmete tief durch. Etwas tiefer, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte, sodass das dazugehörige Geräusch mit Sicherheit in das Büro des Commodores übertragen worden war.
Jackson lächelte nachsichtig. »Keiner von uns macht das wirklich gerne, Commander. Aber ich denke, es wird für Sie alle noch genug Zeit bleiben, um sich zu erholen.«
»Davon bin ich überzeugt, Sir.«
»Die Kosten für Ihre Quartiere in Mars Town werden für einen Zeitraum von drei Tagen, aber nicht über die Kursdauer hinaus, vom Space Army Corps übernommen. Falls irgendjemand aus den Reihen Ihrer Crew plant, länger dort zu bleiben, muss er das aus eigener Tasche zahlen. Der Shuttle-Rückflug ist hingegen wieder durch das Space Army Corps finanziert.«
»Das ist gut zu wissen, Sir.«
»Ich nehme an, Sie haben das Simulationsprogramm, das Ihnen per Sandström-Datentransmission zugestellt wurde, bereits mit ihren Leuten ein- oder mehrmals durchgespielt?«, erkundigte sich der Commodore.
»Ja, Sir.«
Ich kann nur beten, dass er mich jetzt nicht nach den erreichten Ergebnissen fragt, ging es Rena durch den Kopf. Es reicht schon, dass dieses Programm dazu geführt hat, dass ich mich vor meinen Offizieren mehr oder weniger blamiert habe!
»Norman Kaboli ist erst seit kurzem leitender Survival Instructor in Camp Latanor. Ich selbst habe meinen Auffrischungskurs bei ihm absolviert und kann mir daher ein Urteil erlauben. Kaboli ist der Ansicht, dass die Anforderungen dringend etwas angehoben werden mussten, um die Überlebenschancen von Space Army Corps-Raumsoldaten nach einer Havarie signifikant zu erhöhen. Nicht nur die Kurse, sondern auch die Simulationen sind daher grundlegend überarbeitet und den neuen Standards angepasst worden. Im Prinzip eine Maßnahme, gegen die niemand etwas einwenden wird – oder haben Sie dazu eine andere Ansicht, Commander?«
»Nein, Sir.«
»Wundern Sie sich also nicht, wenn Kaboli Sie und Ihre Leute etwas härter rannimmt und Sie an Ihre Grenzen heranführt. Genau das ist ja eigentlich der Sinn solcher Kurse. Die Schönheiten des Mars kann schließlich jeder Tourist bewundern.«
»Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Sir.«
»Nun, dann wünsche ich Ihnen einen lehrreichen Aufenthalt in Camp Latanor.«
»Sir…?«
Commodore Tim Bray Jackson bewegte die Stirnmuskelpartien oberhalb seiner Augen. Bei einem Menschen mit normaler Behaarung hätten sich in diesem Moment wohl die Augenbrauen gehoben. »Commander?«
»Darf ich fragen, welche Ergebnisse Sie in der Simulation erreichten?«
Sag mal, welcher Teufel hat dich eigentlich geritten, dem Commodore diese Frage zu stellen?, meldete sich eine ziemlich ungehaltene Gedankenstimme in Rena Sunfrosts Hinterkopf. Aber jetzt war es zu spät. Die Worte hatten ihre Lippen verlassen und ließen sich nicht wieder zurückholen, so sehr sie sich das jetzt vielleicht auch gewünscht hätte.
Ein breites Lächeln erschien auf Commodore Jacksons Gesicht. »Im dritten Durchgang schaffte ich es immerhin, einen meiner Männer zu retten – mich selbst allerdings nicht.«
»Das beruhigt mich, Sir.«
»An Ihren Fähigkeiten als Kommandantin sollten Sie auf keinen Fall zweifeln, die brauchen Sie noch dringender denn je in Camp Latanor.«
»Danke, Sir.«
Die Verbindung wurde beendet. Das Bild von Commodore Tim Bray Jackson verschwand vom Schirm und machte wieder der Ansicht der Erde und ihrer Orbitalstationen Platz.
Der Commodore hat mich gar nicht erst nach meinen Ergebnissen gefragt!, rief sich Sunfrost jetzt in Erinnerung.
*
Mars Town, District C, App. 345621 DE
Yona Ramesh löste den strengen Knoten, mit dem sie ihr langes, blauschwarzes Haar zusammengefasst hatte. Seidig glänzend fiel es der jungen Frau über die Schultern. In ihren Gedanken sah sie das Gesicht ihres Geliebten David Kronstein vor sich. Die blonden Haare, das gewinnende Lächeln… Jedes Mal, wenn ein Wiedersehen bevorstand, wurde ihr Inneres von einer Welle von Gefühlen überspült. Je länger sie sich nicht gesehen hatten, desto stärker wurde die Sehnsucht.
David hatte ihr eine private Transmission geschickt, nachdem die STERNENKRIEGER aus dem Sandströmraum ausgetreten war und sich auf Spacedock 13 zubewegte. Dass die STERNENKRIEGER dabei – unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Planetenpositionen von Erde und Mars zueinander – dem Roten Planeten sehr nahe kommen würde, empfand die junge Frau dabei als eine Ironie des Schicksals. Er fliegt praktisch an mir vorbei, ging es ihr durch den Kopf.
Seit dem Absenden der privaten Transmission waren etwa sieben Stunden vergangen. Das bedeutete, die STERNENKRIEGER hatte entweder bereits an Spacedock 13 angedockt oder stand kurz davor. Wahrscheinlich würde ein Shuttleflug noch einmal sieben bis acht Stunden in Anspruch nehmen – je nach gegenwärtiger Entfernung Mars-Erde vielleicht sogar noch etwas länger. Abgesehen davon stimmten diese Zeitangaben auch nur unter der Voraussetzung, dass unmittelbar nach Eintreffen der STERNENKRIEGER an der irdischen Orbitalstation Spacedock 13 auch gleich eine Raumfähre zur Verfügung stand, die David mitnehmen konnte.
Sie atmete tief durch. Was sollen all diese Gedanken? Er wird dir eine Nachricht schicken, wenn es soweit ist und dann weißt du Bescheid.
Aber sie konnte einfach nicht anders, als immer wieder daran zu denken und erneut nachzurechnen, wann sie ihn im Raumhafen von Mars Town erwarten konnte.
Yona trug im Moment nichts weiter als einen Kimono, der die verführerischen Kurven ihres Körpers nachzeichnete. Sie betrat das Bad, löste den Gürtel des Kimonos und war gerade im Begriff, sich unter die Dusche zu stellen, als eine Musik einsetzte. Abgedämpfte, vibratolose und leicht melancholisch klingende Trompetentöne, wie das Echo einer Botschaft aus dem Nichts. Es handelte sich um eine restaurierte Jazz-Aufnahme des Trompeters Miles Davis von Some Day My Prince Will Come, die Yona als Klingelton für alle Botschaften von David konfiguriert hatte.
Da sie im Moment keinen Kommunikator bei sich trug, über den sie die Transmission hätte entgegennehmen können, verließ sie das Bad wieder und ging zur Hauptkonsole ihres Apartments in Mars Town, District C. Auf dem Display fand sie noch einmal bestätigt, dass es tatsächlich David war, der sich da meldete.
Durch den Druck auf ein Sensorfeld bestätigte sie die Annahme des Gesprächs.
Auf einem in die Wand eingelassenen Bildschirm erschien sein Gesicht.
»Hallo Darling. Ich bin auf Spacedock 13 und habe nicht viel Zeit, weil gleich unser Shuttle zum Mars abgeht. Genaue Ankunftszeit und -ort sind im Datenstrom dieser Transmission enthalten.«
»Ich freue mich schon so, dich wieder zu sehen, David«, erwiderte sie.
»Mir geht es genauso. Nur dieser verdammte Survival-Kurs in Camp Latanor, von dem ich dir erzählt habe…«
»Der geht auch vorüber. Und danach machen wir es uns richtig schön hier auf dem Mars.«
»Natürlich.«
Sie seufzte. »Ich liebe dich, David.«
»Ich dich auch, Yona.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Ein versonnenes Lächeln stand auf dem Gesicht der jungen Frau. Die Äußerungen von Freunden und Bekannten hatten sie manchmal daran zweifeln lassen, ob jemand, der seine Bestimmung darin sah, in den Weltraum hinauszufliegen, eigentlich der richtige Partner für sie sein konnte. Sie wünschten sich beide Kinder und wollten eine Familie gründen. Aber möglicherweise waren Davids Vorstellungen darüber, was die zeitliche Perspektive betraf, doch nicht ganz deckungsgleich mit ihren.
Was soll dieses Gegrübel, dachte sie. Im Moment bist du glücklich und jedes Mal, wenn du mit David zusammen sein kannst, fühlst du dich wie im siebten Himmel. Das ist es doch, worauf es erst einmal ankommt…
Yona ging zurück in Richtung Bad. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrer Magengegend bemerkbar.
Sie bemerkte das wurmartige Etwas nicht, das in diesem Moment durch die Wand drang, so als wäre da nicht der geringste Widerstand. Das wurmartige Wesen war vollkommen transparent. Nur, wenn man genau hinschaute, konnte man die äußere Hülle erkennen, die wie eine durchsichtige Membran wirkte. Im Inneren waren einzelne Komponenten zu erkennen.
Organe, die pulsierten und einen wie auch immer gearteten Stoffwechsel aufrechterhielten.
Yona ging ins Bad, während ihr der etwa fünfzig Zentimeter lange transparente Wurm folgte.
Die junge Frau schloss die Tür hinter sich.
Das Wesen drang durch die Tür, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen.
Yona ließ den Kimono von den Schultern gleiten und trat unter die Dusche.
Der Wurm folgte ihr.
Erst im letzten Moment bemerkte Yona das Wesen. Sie blickte an sich herab, sah gerade noch wie der transparente Wurm in ihren Fuß eindrang. Das versonnene Lächeln, das soeben noch ihre fein geschnittenen Gesichtszüge gezeichnet hatte, verschwand innerhalb eines Sekundenbruchteils. Sie stieß einen hellen Schrei aus, während sie ein unangenehmes Zucken im Bein spürte.
Das Wesen war inzwischen vollkommen in ihrem Körper verschwunden.
Entsetzen erfasste Yona, als sie sah, dass sich ab und zu ein wenig aus ihrem Bein hervorwölbte.
Es wanderte aufwärts, erreichte das Becken und wandte sich von dort aus dem Rücken zu. Yona griff mit den Händen an die entsprechenden Körperpartien. Es war ein furchtbares Gefühl, zu wissen und vor allem zu spüren, dass da etwas in ihr war, das nicht dorthin gehörte. Etwas, das sich nach Belieben in ihrem Körper zu bewegen vermochte.
Sie konnte nichts tun.
Eisige Schauder erfassten sie.
Das Wesen erreichte ihr Rückgrat, fuhr daran empor bis das, was wie die Kopfseite dieses Wurms ausgesehen hatte, ihren Nacken erreichte. Ein kurzer, aber heftiger Schmerz durchfuhr sie und ließ einen Ruck durch ihren Körper gehen.
Vom nächsten Augenblick an war der Schmerz verflogen und alles hatte sich verändert.
Ihr Gesichtsausdruck wirkte entspannt.
Gleichgültigkeit erfasste sie…
*
Über Interkom bekam Rena Sunfrost eine Meldung, nach der ihr Shuttle zum Mars bereitstand und alle anderen Besatzungsmitglieder der STERNENKRIEGER, die mit ihr an dem Survival-Kurs in Camp Latanor teilnehmen mussten, sich bereits an Bord befanden.
Aber es gab noch etwas, was Sunfrost vor ihrem Abflug zu erledigen hatte.
Sie saß im Raum des Captains an Bord der STERNENKRIEGER, der ihr sowohl als Büro wie auch als Konferenzraum diente und daher gerade groß genug war, um die Offiziere des Schiffes aufnehmen zu können.
Die Schiebetür glitt zur Seite.
Crewman Titus Naderw, der etatmäßige Pilot der Landefähre L-1, trat ein und salutierte. »Captain, Sie haben mich hier beordert.«
»Das ist richtig. Rühren und setzen.«
»Danke, Captain.«
»Sie haben sich für eine Versetzung zu den schnellen Jägerverbänden beworben, Crewman Naderw. Wir haben vor einiger Zeit ja schon einmal darüber gesprochen.«
»Ja, Captain. Während dieses Urlaubs werde ich die letzten Tests durchlaufen, dann entscheidet sich endgültig, ob ich angenommen werde oder den Anforderungen doch nicht genüge.« Naderw zuckte die Achseln. »Der Andrang ist groß und…«
»Aber für mich besteht kein Zweifel, dass Sie die Tests schaffen werden und Sie mir schon bei der nächsten Mission der STERNENKRIEGER nicht mehr als Shuttlepilot zur Verfügung stehen!«
»Warten wir es ab, Captain. Schließlich gibt es da bei mir ja ein gewisses Handicap, wenn Sie meine Personalakte aufmerksam gelesen haben…«
»Ich weiß jetzt nicht, wovon Sie sprechen«, bekannte Sunfrost ehrlich.
»Nun, Bewerber, bei denen psychische Auffälligkeiten klinisch diagnostiziert wurden, haben es gegenüber gleich qualifizierten Mitbewerbern immer ein bisschen schwerer, Ma'am.«
Sunfrost nickte. Jetzt wusste sie, worauf Crewman Naderw hinauswollte. Der Pilot der L-1 litt unter einer ausgeprägten Vogelphobie.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Ihnen aus Ihrem Leiden einen Strick drehen wird, Crewman Naderw«, erklärte Rena.
Den Piloten schien das nicht sonderlich zu beruhigen. Sein Gesicht strahlte in diesem Moment alles andere als Selbstbewusstsein aus, obwohl er dazu seinen Leistungen als Pilot zu Folge eigentlich allen Anlass hatte. Und soweit Rena darüber informiert war, waren auch Naderws Ergebnisse bei den vorangegangenen Tests beachtlich gewesen, sodass er sich eigentlich keine Sorgen zu machen brauchte.
»Wie auch immer, ich wollte Sie eigentlich nur bitten, dass Sie mir bei der Auswahl des Nachfolgers helfen, da mir erstens die fachlichen Kenntnisse zur Beurteilung von Pilotenleistungen fehlen und ich zweitens meine Entscheidung vermutlich sehr schnell treffen muss und gar keine Zeit haben werde, um mich in dieses Gebiet ausreichend hinein zu vertiefen.«
»Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, Ma'am«, erklärte sich Naderw bereit.
»Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ansonsten alles Gute bei den Tests.«
»Danke, Captain.«
»Sie können wegtreten.«
*
Die Raumfähre SOLAR SHUTTLE 295 D brachte Rena Sunfrost, Bruder Guillermo, Wong, Nikolaidev, Ukasi, Kronstein und Erixon auf direktem Weg zum Mars. Die Passage dauerte etwa acht Stunden, wobei die erste Hälfte der Strecke konstant beschleunigt wurde, die zweite gebremst.
Die Shuttle-Crew bestand aus Captain Desmond LaMarre und seiner Copilotin Ricarda Mbwane, wie die Namensschilder an den Uniformen auswiesen. Allerdings waren beide nicht Angehörige des Space Army Corps, sondern flogen im Dienst eines privaten Shuttle-Dienstes. Die Bezeichnung Captain war also bei LaMarre kein militärischer Rang, sondern wies ihn lediglich als Kommandanten der Raumfähre aus.
SOLAR SHUTTLE 295 D verfügte über sehr leistungsstarke Ionentriebwerke modernster Bauweise, die es, was die Beschleunigungswerte anging beinahe mit einem Schiff wie der STERNENKRIEGER aufnehmen konnten. Allerdings gab es keinen Sandström-Antrieb. Es lohnte nicht, derart kleine Schiffe mit Überlichtantrieb auszurüsten, es sei denn, man verwendete sie zu militärischen Zwecken, wie die umgebauten Raumboote, die die Genetiker-Welten bislang zu ihrer Verteidigung verwendeten. Die Überwindung der Lichtmauer durch das ab einer Geschwindigkeit von 0,4 LG mögliche Eintauchen in den Sandström-Raum war sehr energieaufwändig. Beim Transport von Fracht oder Passagieren lohnte der Aufwand eigentlich nur, wenn man größere Einheiten auf den Weg schickte.
Aus dem All sieht der Mars wie eine runzelig gewordene Orange mit weißen Schimmelflecken an den Polen aus, ging es Sunfrost durch den Kopf, während sie durch eins der Sichtfenster auf den Roten Planeten blickte.
Der Mars hatte aufgrund seiner Achsenneigung von vierundzwanzig Prozent stark ausgeprägte Jahreszeiten.
Außerdem schwankte der Abstand zur Sonne im Verlauf eines Jahres um gut 50 Millionen Kilometer. An den Polen gab es sich gegenseitig überlagernde Eiskappen. Eine kleinere, die aus Wasser-Eis bestand und eine größere, die aus gefrorenem Kohlendioxid gebildet wurde. Die Eiskappen der Südhalbkugel schmolzen im Sommer vollständig ab, während auf der Nordhalbkugel lediglich die Trockeneiskappe aus Kohlendioxid verschwand, während die kleinere Wassereiskappe sich zwar verkleinerte, aber nie zur Gänze abschmolz. Das hatte seinen Grund darin, dass der nördliche Sommer mit der Zeit der größten Sonnenentfernung zusammentraf und sich daher die Achsenneigung und die Schwankungen in der Entfernung zur Sonne gegenseitig zumindest teilweise neutralisierten.
Im Moment herrschte Nordsommer, wie man deutlich sehen konnte. Das Trockeneis im Norden war fast völlig verschwunden, während sich das Eis des Südens beinahe bis zum vierzigsten Breitengrad vorgearbeitet hatte. Übersetzt auf die Verhältnisse auf der Erde wäre das einer südlichen Vergletscherung bis Buenos Aires gleichgekommen.
Dunstwolken aus kondensierendem Wasserdampf waren als weiße Schlieren vor allem auf der Nordhalbkugel erkennbar.
Die 295 D drang tiefer in die Marsatmosphäre ein, überflog die so genannte Utopia Planitia, eine karge Steinwüste in der 1976 die Sonde Viking 2 gelandet war und bis dahin sensationelle Bilder vom Mars zur Erde gesandt hatte. Die Flugbahn der 295 D senkte sich immer weiter ab und führte gleichzeitig näher an den Äquator heran. Schließlich überquerte sie die Senke Chryse Planitia, unter der sich mit Chryse City eine der wichtigsten submarsianischen Ansiedlungen befand. Die dortigen Industrieanlagen waren nach wie vor der größte Lieferant von Ionentriebwerken und Antigrav-Aggregaten innerhalb der Humanen Welten. Äußerlich war so gut wie nichts von dem gewaltigen, unter der Oberfläche gelegenen urbanen Komplex zu sehen. Nur hier und da gab es Einflugschächte für Raumschiffe und Gleiter, die verrieten, dass sich unter der rostroten, steinigen Oberfläche des Mars noch eine andere Welt befinden musste. Eine Welt, die im Gegensatz zu den menschenfeindlichen Verhältnissen an der Oberfläche den Bedürfnissen des Menschen vollkommen angepasst war. In der Tiefe herrschten durch künstlich hergestellte Erdschwerkraft, Sauerstoff-Atmosphäre und angenehme Temperaturen. Lediglich in den eigentlichen Produktionsanlagen hatte man auf die Erzeugung von Erdschwerkraft verzichtet, da die Fertigung unter geringerer Schwerkraft eine erhebliche Energieersparnis bedeutete. Von Anfang an war dies, ein Standortvorteil für die Raumfahrtindustrie auf dem Mars gewesen, denn in vergleichbaren Produktionsanlagen auf der Erde hätte die Schwerkraft erst durch Antigravaggregate künstlich verringert werden müssen.
Chryse City war eine verhältnismäßig junge Stadt auf dem Mars. Sie war um das Jahr 2100 gegründet worden, in einer ersten Boomphase der irdischen Raumfahrtindustrie.
Die ersten dauerhaften Ansiedlungen auf dem Mars hatte es weiter im Süden gegeben, denn die klimatischen Bedingungen waren hier günstiger. Im Gegensatz zum Nordsommer wurde der Südsommer nicht durch die gleichzeitig wachsende Sonnenferne in seiner Wirkung neutralisiert. Für marsianische Verhältnisse konnte es in den Gebieten südlich des Äquators sogar recht heiß werden. Die durchschnittlichen Mittagstemperaturen betrugen gut dreißig Grad minus, aber in heißen Sommern wurde auch schon mal der Gefrierpunkt erreicht. Das war für die Energieversorgung der ersten Marsstädte, die man etwa ab 2070 unter die Oberfläche des Roten Planeten gebaut hatte, sehr wichtig gewesen.
Die erste dieser Städte war Mars Town gewesen. Sie lag auf etwa zwanzig Grad südlicher Breite auf halbem Weg zwischen dem Olympus Mons, dem mit 27.000 Höhenmetern höchsten Berg des Sonnensystems, dessen teilweise mit Eis bedeckte Kraterform man schon aus dem All mit bloßem Auge sehen konnte.
Mars Town war bis heute die Hauptstadt des Mars geblieben.
Hier war das Verwaltungs- und Handelszentrum des Roten Planeten, außerdem der nach New York wichtigste Börsenplatz der Humanen Welten. Fast zwanzig Millionen Menschen lebten in diesem unterirdischen Ballungsraum, der langsam aber sicher mit dem südlich gelegenen Port Sirenum zusammenwuchs.
Das Shuttle steuerte auf einen der Schächte zu, in die man in die submarsianischen Anlagen hineinfliegen konnte. Sie wurden durch Signallichter, Infrarotsender und Impulsgeber so gekennzeichnet, dass sie selbst bei miserablem Wetter noch ohne Probleme für jeden Gleiter zu orten waren – selbst dann, wenn dieser nicht mit Spitzentechnologie, sondern vielleicht nur mit einem einfachen Infrarotsichtgerät für den Nachtflug ausgerüstet war. Denn mit schlechter Sicht musste man in Anbetracht der Marsstürme, die mitunter gewaltige Areale verdunkelten, immer rechnen.
»Anflug auf Mars Town Raumhafen«, meldete der Captain des Shuttles.
Das Shuttle sank auf eine markierte Stelle auf der Oberfläche zu. Ein großes, kreisförmiges Schott öffnete sich. Die 295 D sank in die entstandene Öffnung und landete.
Vollautomatisch wurde eine schlauchartige Gangway an das Shuttle herangeführt und angedockt. Auf dem Landefeld des Raumhafens herrschten Marsschwerkraft und -atmosphäre, während innerhalb der hermetisch abgeschlossenen Gangway zumindest im Hinblick auf Temperatur und Atemluft Erdbedingungen anzutreffen waren.
Die Außenschleuse des Shuttles stellte einen Druckausgleich her.
David Kronstein war der Erste, der die schlauchartige Gangway betrat, über die er in den terraformierten Habitatbereich von Mars Town gelangen konnte.
»Seien Sie vorsichtig, im Bereich der Gangway herrscht Marsschwerkraft«, warnte der Kommandant des SOLAR SHUTTLE 295 D. »Halten Sie sich einfach vor Augen, dass jede Ihrer Bewegungen fast dreimal so heftig und mit dreimal so viel Kraft ausgeführt wird. Versuchen Sie sich etwas zurückzunehmen, dann stoßen Sie auch nicht gegen die Außenwandung der Gangway.« Aber die Warnung kam zu spät.
Kronstein war genau das bereits passiert. Er fluchte lauthals vor sich hin. »Wie oft habe ich das jetzt schon mitgemacht, und es passiert mir trotzdem immer wieder!«, schimpfte er.
*
Nachdem Sunfrost und ihre Gruppe die Gangway passiert hatten, gelangten sie in den inneren Bereich des Raumhafens. Sie wurden zunächst einer Identitätskontrolle unterzogen und gescannt, ehe sie diesen hermetisch abgeriegelten Bereich schließlich verlassen konnten.
Innerhalb des Ballungsraums Mars Town/Port Sirenum gab es ein Netz von Antigravbahnen, mit denen man innerhalb kürzester Zeit jeden Punkt in dieser submarsianischen Megalopole erreichen konnte. Bis zu hundert Stockwerke tief reichten die Wohndecks und Industrieanlagen dieser Stadt. Ein Vorteil der unterirdischen Bauweise war, dass die Bewohner weitaus besser vor den extremen Strahlungsschwankungen geschützt waren, als dies an der Oberfläche möglich gewesen wäre. Der Kern des Mars bestand zwar noch aus einem etwa zweitausend Kilometer durchmessenden Klumpen aus glühendem Metall, aber darüber lag inzwischen eine dicke, erkaltete Kruste, sodass kaum tektonische Bewegungen möglich waren – ganz zu schweigen von einem Magmafluss, wie er auf der Erde das Magnetfeld aufrecht erhielt.
Das Magnetfeld des Mars war schwach und damit war der Planet erhöhten Strahlungsbeschuss durch die Sonne ausgesetzt.
Ein Faktum, das jede dauerhafte Besiedlung der Oberfläche schwierig gestaltete – wenn auch nicht unmöglich, wie die Siedler der zwischen Olympus Mons und Marsäquator gelegenen Latanor Area und des Martian Queen Territorys nun schon seit gut zweihundert Jahren bewiesen hatten. Real Martians nannten sich diese inzwischen umweltangepassten Nachfahren der Besatzung eines in der Anfangszeit der Marsbesiedlung havarierten irdischen Raumschiffs.
Es gab Antigravbahnen und Kabinenschächte sowohl in vertikaler als auch horizontaler Richtung. Rena Sunfrost und die Mitglieder ihres zukünftigen Survival-Teams in Camp Latanor ließen sich in District C bringen. Rena hatte darauf bestanden, dass die vom Space Army Corps georderten Quartiere in räumlicher Nähe zueinander lagen. Die Auswahl von District C kam wiederum Lieutenant David Kronstein entgegen, dessen Freundin hier beheimatet war.
»Sie alle haben jetzt zwei Tage Urlaub«, erklärte Rena, bevor jeder in der Gruppe schließlich sein Quartier aufsuchte. »Die einzige Order, die ich Ihnen mit auf den Weg gebe ist, Ihre Kommunikatoren auf Empfang zu halten, damit ich Sie verständigen kann, sollte es im Hinblick auf die Teilnahme an unserem Survival-Kurs noch zu irgendwelchen kurzfristigen Änderungen kommen. Im Übrigen möchte ich jedem raten, sich in der zur Verfügung stehenden Zeit noch einmal mit den zum Kurs gehörenden Daten-Dossiers zu beschäftigen.«
»Sieben von sieben Teammitgliedern sind tot – schlimmer kann es nicht mehr werden, Captain«, meinte Wong.
Vielleicht hatte das tröstlich wirken sollen. Für Sunfrost war es nur das erneute Aufreißen einer Wunde…
*
Es ist das erste Mal, dass sie mich nicht am Raumhafen erwartet hat, ging es David Kronstein durch den Kopf, während er vor der Tür von Yona Rameshs Apartment stand. Warum?
Sicher gibt es eine einfache und einleuchtende Erklärung dafür…
Kronstein spürte einen Kloß in seinem Hals. Eine Ahnung sagte ihm, dass da etwas nicht stimmte oder zumindest nicht so war wie bisher. Er wusste, dass Yona extra Urlaub bei ihrer Firma genommen hatte. Es gab also keinen offensichtlichen Grund dafür, dass sie nicht am Raumhafen von Mars Town aufgetaucht war.
Die Tür öffnete sich, und Yona stand vor ihm.
»Hallo«, sagte sie. Ihr Gesicht wirkte seltsam ausdruckslos dabei.
David war irritiert. »Hey, ich dachte, du fällst mir um den Hals, Yona! Schließlich ist es eine Weile her, dass wir uns gesehen haben!« Er breitete die Arme aus.
Sie drehte sich von ihm weg und sagte dabei: »Komm herein. Kann ich dir was anbieten?«
»Nein, danke«, erwiderte Kronstein, dessen Verwirrung wuchs.
Er trat ein. Die Schiebetür des Apartments schloss sich hinter ihm. Er stellte die kleine Tasche, die er bei sich trug, auf den Boden und fasste nach Yonas Schulter.
»Hey, was ist, Yona?«, fragte er.
»Nichts.«
Aber irgendetwas muss geschehen sein, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, überlegte David Kronstein.
Die Veränderung war nicht wegzuleugnen.
Yona wirkte kühl, teilnahmslos, fast gleichgültig. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte. Es sah nicht echt aus.
Wo ist das Feuer in ihren Augen geblieben? – Oder bilde ich mir das alles nur ein?, fragte sich Kronstein. Er strich ihr sanft über das Haar. Vielleicht ist es auch etwas zu viel verlangt, nach Wochen im All einfach wieder aufzutauchen und so zu tun, als wäre seit dem letzten Zusammentreffen keine Zeit vergangen…
Vorsichtig zog er sie zu sich heran. Sie ließ es geschehen und legte den Kopf an seine Schulter.
»Es ist schön, dass du wieder da bist«, sagte sie.
Aber irgendwie klang es nicht so, als dass er es ihr hätte glauben können…
*
Später in der Nacht lag er neben ihr und konnte nicht schlafen.
Die Gedanken rasten nur so in seinem Hirn. Was war aus der zärtlichen jungen Frau geworden, mit der er noch von Spacedock 13 aus Kontakt gehabt hatte?
Zweimal hatte er sie gefragt, weshalb sie ihn nicht am Raumhafen abgeholt hatte, so wie sonst. Sie war ihm ausgewichen oder hatte seine Frage einfach ignoriert.
Irgendetwas muss geschehen sein!, stand für den Kommunikations- und Ortungsoffizier der STERNENKRIEGER fest.
Aber was konnte es sein, dass nun zwischen ihnen stand? Er hörte ihren regelmäßigen Atem neben sich. Wie eine Fremde kam sie ihm auf einmal vor.
Vielleicht kenne ich sie einfach nur noch nicht gut genug, dachte er.
Auf jeden Fall war er sich absolut sicher, nie zuvor an ihr eine derart drastische Stimmungsschwankung festgestellt zu haben. Sie war nicht abweisend, nur gleichgültig. Und wenn er sie darauf ansprach, was denn mit ihr los sei, so reagierte sie entweder überhaupt nicht oder stellte eine verwunderte Gegenfrage.
David Kronstein setzte sich im Bett auf. Ein paar fluoreszierende Elemente in den Wänden sorgten dafür, dass es nicht stockdunkel in Yonas Apartment war. Trotz der Tatsache, dass die Beleuchtung ausgeschaltet war, konnte man mühelos alles erkennen. Die fluoreszierenden, jeweils etwa handgroßen und in die Wand eingelassenen Elemente tauchten alles in ein leicht diffuses, bläuliches Dämmerlicht, das aber vollkommen ausreichte, um sich zu orientieren.
Was ist nur los?, fragte sich David Kronstein nicht zum ersten Mal voll tief empfundener Verzweiflung.
Schließlich liebte er die Frau, die so teilnahmslos neben ihm im Bett lag, von ganzem Herzen und konnte sich ihre Wesensveränderung einfach nicht erklären. Die ganze Situation erschien ihm albtraumhaft.
Es wird Zeit, dass ich daraus erwache, dachte er.
Yona drehte sich im Schlaf herum. Sie wandte ihm jetzt den nackten Rücken zu.
Etwas schien sich plötzlich an einer Stelle darunter hervorzuwölben.
Im ersten Moment glaubte David Kronstein, seinen Augen nicht zu trauen. War er in dem bläulichen Dämmerlicht einer optischen Täuschung aufgesessen? Kronstein starrte ihren Rücken wie entgeistert an.
Er war jetzt auf einmal hellwach. Dieses Etwas, das er gesehen hatte, sorgte dafür, dass sein Adrenalin-Spiegel innerhalb eines Sekundenbruchteils nach oben schnellte.
Wieder glaubte er, dass sich an einer Stelle etwas unter ihrer Haut hervorwölbte. Diesmal ein paar Zentimeter tiefer, am Rückgrat.
Kein Zweifel, da war etwas.
Kronstein wollte schon aufspringen, um Licht zu machen, als mehrere wurmartige, nur etwa fingergroße Wesen aus Yonas Rücken hervorschnellten. Sie durchdrangen ihre Haut, ohne dabei auch nur die geringste Wunde zu hinterlassen. Das fluoreszierende Licht ließ ihre transparente Oberfläche bläulich schimmern. Das Innere aus pulsierenden Organen war ebenso gut zu erkennen, wie das bizarre, zahnlose Maul an der Vorderseite.
Kronstein schnellte zur Seite.
Ein entsetzter Laut kam über seine Lippen.
Einen Sekundenbruchteil später erkannte er, dass er zu spät reagiert hatte. Eines der wurmartigen, fingergroßen Wesen hatte ihn bereits angesprungen und sich an der Außenseite seiner Hand festgesaugt.
Dort, wo das Maul an der Vorderseite des transparenten Wurms auf seine Haut traf, kribbelte diese mit einer fast schmerzhaften Intensität.
Kronstein versuchte instinktiv, das Wesen loszuwerden. Er schüttelte die Hand, aber dieses Ding ließ sich nicht so einfach vertreiben. Entsetzt stellte David fest, dass es in seiner Hand zu verschwinden begann. Einige Augenblicke noch sah er die äußeren Konturen des sich wie eine Schlange unter der Haut vorwärtsbewegenden Wesens, das sich am Unterarm voran arbeitete. Ein Kribbeln war dort zu spüren, wo sich das Wesen im Augenblick befand.
Kronstein sprang aus dem Bett, stieß einen entsetzten Schrei aus.
Gleichzeitig dämmerte ihm, dass es nichts gab, was er im Augenblick gegen dieses Wesen tun konnte.
Mit ohnmächtiger Wut musste er mit ansehen, wie sich das Wesen, das in seinen Körper eingedrungen war, den Arm entlang arbeitete. Nach nur wenigen Augenblicken hatte es den Oberarm erreicht. Das Kribbeln wurde geradezu unerträglich und machte Kronstein halb wahnsinnig.
Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern taumelte stattdessen nur noch durch das Apartment. Er stützte sich an der Wand ab, spürte den Lichtschalter unter seiner Hand, betätigte ihn und fand sich wenig später in einem Meer aus gleißender Helligkeit wider, die in den Augen schmerzte.
»Yona!«, hörte er seine eigene Stimme rufen und sie klang dabei für ihn wie die Stimme eines Fremden.
Es war ein eigenartiges Gefühl. Verzweifelt versuchte Kronstein, einen klaren Gedanken zu fassen, aber in seinem Bewusstsein herrschte das blanke Chaos. Irgendwie herrschte tief in seinem Inneren die diffuse Vorstellung, dass er jemandem Bescheid sagen, sich jemandem anvertrauen musste. Er starrte auf die zum Apartment gehörende All-in-one-Konsole, mit der sämtliche Systeme der Wohnung zu steuern waren.
Angefangen von der zur Verfügung stehenden Unterhaltungselektronik bis hin zur Bewässerung von Zimmerpflanzen. Aber auf dem Weg dorthin stolperte er fast über seine Sachen, von denen er einen Großteil ursprünglich über die Lehne eines Schalensessels gehängt hatte. Er griff nach seinem – wie von Sunfrost befohlen – ständig empfangsbereiten Armbandkommunikator, den er in der Nacht allerdings abgenommen hatte.
Aber noch ehe er sich daran erinnern konnte, was er mit dem Kommunikator eigentlich gewollt hatte, durchlief ein Ruck seinen schlanken Körper.
Das wurmähnliche Wesen war das Rückgrat emporgeklettert und hielt sich Kronsteins Gefühl nach nun in der Nackengegend auf. Für einen kurzen Moment erfasste ihn ein geradezu mörderischer Schmerz, der ihn kurz aufstöhnen ließ.
Im nächsten Augenblick war es vorbei.
Yona Ramesh richtete sich nun ebenfalls auf. Sie hatte die Veränderung bei David Kronstein längst registriert.
»David!«, flüsterte sie und kniff dabei die Augen zusammen, um sich vor dem ungewohnt grellen Licht zu schützen.
Alles war nach dem kurzen Moment des intensiven Schmerzes, der Kronstein erfasst hatte, anders geworden. Agonie und Gleichgültigkeit hüllten sein Bewusstsein ein. Da waren nur noch vage Erinnerungen, die sich irgendwie nicht so recht einordnen ließen. Viele hatten mit einem Raumschiff zu tun, dessen Namen Kronstein auch erst nach längerer Überlegung wieder einfallen wollte.
STERNENKRIEGER…
Dass sich aus Yonas Rücken für einen kurzen Moment ein fast fünfzig Zentimeter langer Wurm herausdrückte, der anschließend wieder im Inneren ihres Körpers verschwand, nahm Kronstein gar nicht mehr wahr.
Es hatte keine Bedeutung.
Wie so vieles andere, das er noch vor kurzem für so überaus wichtig gehalten hatte, ebenfalls…
*
»Alles in Ordnung?«, fragte Bruder Guillermo, als sich das Team zwei Tage später an der Antigrav-Bahnstation 431 im District C von Mars Town traf.
David Kronstein, dem diese Frage gegolten hatte, reagierte nicht.
Sein Blick war starr und teilnahmslos. Plötzlich durchlief ein Ruck seinen Körper. Er wandte den Kopf in Bruder Guillermos Richtung, sagte aber nichts.
»Lieutenant?«, fragte der Olvanorer.
»Es ist alles in Ordnung«, erwiderte Kronstein. Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Ich freue mich auf eine erfolgreiche Absolvierung des Survival Kurses in Camp Latanor.«
Bruder Guillermo hob verwundert die Augenbrauen. »Was ist in den vergangenen zwei Tagen geschehen, dass Sie Ihre Meinung so grundlegend geändert haben, Lieutenant?«
»Nichts«, behauptete Kronstein. »Es ist nichts geschehen.«
Seine Worte klangen so leer wie sein Blick.
Bruder Guillermo zuckte die Achseln. Auf Sunfrost machte das junge Mitglied des Wissenschaftler-Ordens der Olvanorer in diesem Moment einen ratlosen Eindruck, was ziemlich selten vorkam. Auch wenn seine schüchterne Art mitunter darüber hinwegtäuschte, so hatte er doch ein sehr fundiertes Urteil und war vor allem in der Einschätzung von zwischenmenschlichen Prozessen ausgesprochen sicher. Ein Umstand, der Sunfrost wiederholt irritiert hatte, stand er doch etwas im Widerspruch zu seiner noch vergleichsweise bescheidenen Lebenserfahrung.
Die Gruppe bestieg eine der Kabinen, die in den Schächten der Antigravbahnen vertikal und horizontal durch das submarsianische Labyrinth des Ballungsraums Mars Town/Port Sirenum geschickt wurden.