Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im letzten Teil der Trilogie "Eine Woche und sieben Tage" begeben sich Nicole, Thomas und Andreas auf der Suche nach Susanne erneut zum Sternenhaus. Als Nicole und Thomas Conchita einen weiteren Besuch abstatten wollen, sehen sie, wie diese mit ihren Kindern fortgebracht wird. Auch Carlos ist unter merkwürdigen Umständen verschwunden. Die Situation spitzt sich zu, als Don Alfredo den Ring bei Thomas entdeckt. Das Aufeinandertreffen von Don Martinez, Don Francesco und José führt schließlich dazu, daß der Kreis sich schließt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 182
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Donnerstag, 16. April
Freitag, 17. April
Samstag, 18. April
Sonntag, 19. April
Montag, 20. April
„Und, wie hast du geschlafen?“ Thomas sah Nicole an, die gerade den Raum betreten hatte, in dem Andreas und er am wie immer reichlich gedeckten Frühstückstisch saßen. Beide hatten eine Tasse Kaffee vor sich stehen und ihre Teller machten einen wenig benutzten Eindruck.
„Wie ihr wahrscheinlich auch, wenn ich euch so ansehe!“ Sie setzte sich auf ihren Stammplatz und stocherte mit ihrer Gabel in einer Schale mit Marmelade herum. „Habt ihr auch keinen Hunger?“
„Überhaupt nicht!“ sagte Andreas, „wenn Susanne hier wäre…“ Er schwieg betreten.
„Es hilft nichts“, Thomas nahm eines der Brötchen, „wir müssen es so sehen, wie es ist: Susanne ist verschwunden und wir werden sie suchen und wiederfinden.“ Er schaute in zwei nicht so sehr überzeugt aussehende Gesichter. „Wie? Glaubt ihr nicht daran! Ihr seid mir ja eine tolle Unterstützung.“
„Deine Zuversicht möchte ich haben“, Andreas starrte in seine halbvolle Tasse.
„Was denn, wer hat mir denn gestern vorgeworfen, immer alles so schwarz zu sehen?“ Thomas schaute in die Runde: „Also, so helfen wir Susanne bestimmt nicht! Wenn wir überhaupt was erreichen wollen, müssen wir unsere Kräfte zusammennehmen und dazu gehört nun einmal, daß dem Körper ein gewisses Maß an Energie zugeführt werden muß, welches er dann wieder verbrauchen kann.“ Er nahm den Korb mit den Brötchen und hielt ihn erst Andreas hin: „Essen, los! Stell dir einfach vor, du bist Susanne!“
Widerwillig griff Andreas eines der Backwerke. „Das ist ja schlimmer als bei meiner Mutter“, sagte er und mußte grinsen als er Thomas anschaute. Der versuchte mühsam, ernst zu bleiben, was ihm aber nicht gelang.
„Meine Mutter war da anders!“ sagte Nicole. Thomas und Andreas schauten sie an. „Wir haben nie zusammen gefrühstückt! Also, gib schon her!“ sie griff mit beiden Händen in den Korb: „Eins für mich und zwei für Susanne!“
„Genau!“ Andreas griff erneut zu: „Zwei für mich und vier für Susanne!“
„Na also, es scheint dir besser zu gehen, du übertreibst schon wieder“, sagte Thomas fröhlich.
„Na gut“, maulte Andreas, „dann eben eins für mich und fünf für Susanne.“
Eine Stunde später bewegten sich drei gesättigte und positiv gestimmte junge Leute in Richtung Sternenhaus.
„Hat Don Alfredo es geschluckt?“ fragte Andreas.
„Ja“, sagte Nicole, „warum auch nicht, er hat das mit Antonio ja mitbekommen und Susanne ist alt genug zu entscheiden, wo und mit wem sie ihre Nächte verbringt.“
„Sehr schön.“ Thomas Laune stieg von Minute zu Minute.
„Ich wollte noch zu Carlos und ihm von gestern berichten“, sagte Nicole, „aber Anna war gerade bei ihm und da habe ich nur kurz von der Tür aus gewinkt.“
„Vielleicht haben wir heute Abend Zeit.“
„Unseren Besuch bei Cassiopeia müssen wir ja auch verschieben.“ Nicoles Stimme klang ein wenig traurig.
„Es läuft uns ja nicht weg“, versuchte Thomas, sie wieder aufzumuntern, „aber Susanne ist erstmal wichtiger.“
„Sind sie weg?“
„Ja, Francesco, du kannst rauskommen!“ Francesco betrat durch eine kleine Tür, die normalerweise dem Personal vorbehalten war, die Bibliothek, in der Don Alfredo in einem der Sessel saß und ein halbgefülltes Glas in der Hand hielt. „Nimm dir auch einen!“ sagte er zu Francesco.
„Danke, gerne.“ Nachdem er sein Glas gefüllt hatte, setzte er sich in den anderen Sessel und die beiden sahen sich eine ganze Weile schweigend an.
„Und?“ brach Alfredo schließlich das Schweigen.
„Es war nicht einfach, aber wir sind einen Schritt weiter, Alfredo.“
„Das ist gut. Und das Mädchen?“
„Soweit es in meinen Händen lag, habe ich alles getan, sie zu schützen.“
„Hat sie etwas gemerkt?“
„Nein, ich denke nicht.“
"Das ist gut. Wo ist sie jetzt?"
„Ich habe keine Ahnung.“
Alfredo schaute seinen Freund fragend an.
„Nachdem ich José und die anderen sicher aus dem Haus gebracht hatte, habe ich mich um Bernardo gekümmert. Anschließend wollte ich das Mädchen holen, aber es war verschwunden!“
„Verschwunden?“
„Ja, Alfredo.“
„Hast du sie gesucht?“
„Wollte ich erst, aber es war zu gefährlich für mich, noch länger dort zu bleiben.“
„Das verstehe ich.“
„Sie wird noch in dem Haus sein und ich werde sie später holen lassen. Mit den anderen.“ Francesco füllte sich sein Glas erneut: „Und bei dir?“
„Ich habe alle Vorbereitungen getroffen, die nötig sind.“
„Wann?“
„Heute Nacht.“
„Sobald schon?“
„Es geht nicht anders. Morgen kommen die Kinder, dann wird es zu riskant.“
„Ich vergaß. Wie geht es ihnen?“
„Sie sind wohlauf und Isabella wird ihren Brüdern noch was vormachen.“
„Du setzt deine Hoffnung in sie?“
„Nicht nur, aber hauptsächlich. Du weißt, die Frauen in unseren Familien waren oft die Stärkeren.“
„Ja, Alfredo, du sagst es.“ Francesco machte eine lange Pause, „aber oft auch die Maßloseren.“
„Isabella ist nicht so.“
„Du wirst es wissen.“ Eine gewisse Ironie in Francescos Stimme zeigte, daß er die Meinung seines Freundes in Bezug auf diesen Punkt nicht ganz zu teilen schien.
„Es ist lange her, Francesco und es war nicht deine Schuld!“
„Ich weiß, Alfredo, entschuldige.“
„Vergiss es. Umgekehrt wäre es mir nicht anders gegangen und ich weiß nicht, ob ich das alles so gut verarbeitet hätte, wie du.“
„Danke, alter Freund. Du warst mir immer eine Stütze.“
„Und du mir.“ Die beiden füllten sich ihre inzwischen leeren Gläser. „Was du noch nicht gesagt hast“, Don Alfredo lehnte sich vor: „Wo willst du sie hinbringen?“
„Du meinst, die…“, Francesco überlegte einen Moment, „leblosen Körper?“
„Ja, was willst du mit ihnen machen?“
„Es ist besser, wenn du es noch nicht weißt, aber du wirst es bald erfahren und glaube mir“, Francesco nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich genüsslich zurück: „Es wird dir gefallen.“
„Wenn du es sagst, dann ist es so. Und nun lass uns nach nebenan gehen. Anna hat sich bestimmt wieder selbst übertroffen.“
Und wieder stand die Sonne hoch und schickte ihre Strahlen durch die sanft im Wind schwingenden Palmwedel. Und wieder lagen Susanne und Andreas an dem weißen Sandstrand, keine zehn Meter vom türkisblauen Meer entfernt. Diesmal aber waren sie nicht allein: um sie herum herrschte reges Treiben.
„Die Kamera weiter nach links!“ rief der Regisseur. Die Maskenbildnerin machte sich an dem Gesicht von Andreas zu schaffen und der Best Boy schleppte Getränke von einem zum anderen. Susanne lag gelangweilt auf ihrer Liege und wartete, bis endlich alle soweit waren, daß man mit dem Dreh beginnen konnte. Sie schaute zu Andreas und mußte blinzeln, weil sie ein heller Strahl direkt in die Augen traf:
„Nimm doch den blöden Scheinwerfer weg!“ rief sie und fuchtelte mit den Armen in der Gegend herum. Dann mußte sie husten und es gab ein ziemlich lautes Getöse. Sie blinzelte erneut und schaute wieder in grelles Licht: Ein Sonnenstrahl fiel direkt durch eine kleine Öffnung kurz unter der Decke. Susanne blickte um sich: Keine Palmen, kein Strand! Sie befand sich in einem kleinen Raum voller Gerümpel, ähnlich dem, in dem sie den leblosen Körper gefunden hatte. Oder hatte sie das alles nur geträumt? Ihr Schädel schmerzte noch immer. Sie fasste an ihre Stirn und zuckte zusammen. Hätte sie einen Spiegel gehabt, sie hätte keinen Blick hinein gewagt: auf ihrer Stirn mußte eine Beule enormen Ausmaßes prangen.
„Ja, jetzt erinnere ich mich!“ sagte sie und zuckte erneut zusammen. Nachdem sie von Irgendetwas oder Irgendjemandem ins Land der Träume geschickt worden war, war sie durch diese Katze ins Leben zurückgeholt worden. Anschließend hatte sie sich aufgemacht, um einen Weg aus diesem Keller zu finden. Die Katze war dicht bei ihr und sie tastete sich langsam an der Wand entlang aus dem Raum in einen langen Gang. Plötzlich miaute Andreas und verschwand in einem dunklen Loch vor ihr. Sie folgte ihm spontan und das letzte, an das sie sich dann erinnerte war ein dumpfes Geräusch in Höhe ihres Kopfes. Jetzt, da etwas Sonnenlicht in den Raum drang, wurde ihr klar, was geschehen war: Die Tür war ziemlich niedrig und sie mußte in der Dunkelheit gegen den oberen Balken gerannt sein.
„Warum ich?“ sagte sie wieder, „Andreas, miez, miez, wo bist du?“ Susanne ließ enttäuscht ihre Arme sinken, denn keine Katze erschien. „Dann eben nicht! Laß mich nur allein, du dumme Katze! Lasst mich doch alle allein! Ich brauche euch nicht, ich komm hier auch alleine wieder raus. Ihr werdet schon sehen! Au!“ Susanne hatte sich in Richtung Tür aufgemacht und, während sie ihrem Ärger Luft machte, vergessen, daß sie beim Verlassen des Raumes ihren Kopf senken mußte.
Mit der rechten Hand an die schmerzende Stirn gepreßt bewegte sie sich durch einen langen, engen Gang. Die Finger ihrer anderen Hand tasteten sich vorsichtig an der Wand entlang und ganz langsam setzte sie ein Bein vor das andere. Ihre Augen nahmen nur schemenhafte Umrisse in nächster Nähe wahr. In unregelmäßigen Abständen befanden sich Öffnungen in der Wand, die zu irgendwelchen dahinter liegenden Räumen führen mussten.
„Geradeaus!“ sagte sie zu sich selbst, „immer geradeaus, dann kommst du raus aus diesem Kerker!“
Nach einer halben Ewigkeit stieß ihr Fuß gegen etwas am Boden.
„Au! Nicht schon wieder!“ Susanne bückte sich und tastete den Boden ab: vor ihr lag eine Stufe und eine zweite folgte.
„Eine Treppe!“ jauchzte Susanne, „wo eine Treppe ist, geht es nach oben und wo es nach oben geht, da gibt es Licht und Hilfe!“ Sie atmete tief durch: „und vielleicht etwas zu Essen!“ Der Gedanke beflügelte sie und auf allen Vieren bewegte sie sich nach oben. Stufe für Stufe ging es aufwärts. Schließlich sah sie einen schwachen Lichtschein über sich durch eine Ritze dringen. Susanne richtete sich auf und tastete die vor ihr liegende Wand ab, bis sie auf einen metallenen Gegenstand stieß: „Das ist eine Tür!“ rief sie und drückte den Griff herunter.
Die Tür öffnete sich und gleißendes Licht durchflutete die Dunkelheit. Geblendet schloß Susanne die Augen und öffnete sie erst nach einer ganzen Weile wieder. Vor ihr lag ein großer Raum mit hohen Fenstern, alten Möbeln und einer großen, geöffneten Tür, durch die Vogelgezwitscher in das Innere des Hauses drang. Susanne strahlte und hüpfte vor Freude auf der Stelle.
Ihre Blicke wanderten durch den Raum. Zuerst an den Wänden entlang, dann über die Möbel und zuletzt betrachtete sie den Boden. Sie erstarrte und ihre Kehle zog sich für einen Augenblick zusammen: etwa einen Meter vor ihr ragte der Schaft eines Messers aus einem leblosen Körper! Susanne senkte ihren Blick, was sie lieber hätte lassen sollen: Sie stand mitten in einer Blutlache, die von einem weiteren leblosen Körper stammte, der direkt neben ihr am Boden lag. Unfähig, sich zu bewegen stand sie einfach nur da und starrte an sich herab. Dann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und ein langer, spitzer Schrei suchte sich seinen Weg durch den Raum ins Freie.
„Hallo? Ist da wer?“ rief Nicole. Sie und Thomas standen an etwa der Stelle, an der sie gestern beschlossen hatten, die Suche nach Susanne abzubrechen. „Das war doch ein Schrei!“ Nicole sah Thomas leicht zweifelnden Blick:
„Wohl eher eine Katze!“
„Nein, ein Schrei, sicher“, beharrte Nicole. „Und es hat sich nach Andreas angehört!“
„Andreas? Warum sollte der schreien?“ Thomas schaute sich um: „Wo ist der eigentlich? Andreas? Hallo!“
„Andreas, wo bist du? Hörst du uns?“ Nicole bewegte sich in einer regelmäßigen Kreisbewegung um Thomas herum und wiederholte immer wieder ihre Sätze.
„Nicole, bitte!“
„Was?“
„Findest du nicht, daß du etwas überreagierst?“
„Ich? Nein. Wieso?“ Sie war stehengeblieben und schaute Thomas direkt in die Augen. Ihre Lippen waren weniger als zehn Zentimeter von seinen entfernt. Thomas schloß seine Augen und wartete. Nicoles Lippen berührten zärtlich seine und er legte seine Arme um ihre Hüften.
„Hat das weh getan?“ wollte Nicole wissen.
„Wieso weh getan?“
„Weil du so gestöhnt hast.“
„Ich habe nicht gestöhnt.“
„Nicht?“
„Nein, nicht.“ Thomas lehnte sich an die Wand des Hauses hinter ihm und schaute Nicole durchdringend an: Sie schien ernst zu meinen, was sie gesagt hatte.
„Da! Da war es wieder!“ Nicole spitzte ihre Ohren. Diesmal hatte Thomas auch etwas gehört. Es schien aus dem Innern des Hauses und gleichzeitig von unten zu kommen.
„Andreas?“ Thomas legte sein Ohr an die Wand.
„Und?“ fragte Nicole gespannt.
„Pssst!“ sagte Thomas und drückte sich noch fester gegen die Mauer: „Da, da ist was!“
„Was?“
„Ein Stöhnen. Da ist ein Stöhnen.“
„Andreas!“ rief Nicole und hämmerte dabei mit ihren Fäusten auf die Steine ein.
Thomas zuckte zusammen und sprang von der Mauer zurück: „Was machst du denn da! Willst du, daß mir das Trommelfell platzt?“
„Oh, ja, entschuldige bitte, daran hatte ich gar nicht gedacht!“ Nicole setzte ihr „Ich-kann-doch-kein-Wässerchen-trüben-Gesicht“ auf.
„Ist gut, aber sei jetzt bitte etwas zurückhaltender!“ Thomas bewegte sich Stück für Stück, das eine Ohr immer an der Wand, am Haus entlang. Seine Hände tasteten dabei die Steine ab. „Hier!“ rief er plötzlich, „hier ist es!“
„Wo? Was?“ Nicole war dicht neben ihm.
Thomas drückte gegen die scheinbar feste Wand und sie gab nach.
„Eine Öffnung!“ sagte Nicole begeistert. „Und Andreas!“ fügte sie hinzu, nachdem sie ihren Kopf in das dunkle Loch gesteckt hatte. „Er ist da unten!“
Thomas zwängte seinen Kopf neben Nicoles durch die Öffnung: „Du drückst dich auch vor jeder Arbeit!“ rief er nach unten, „jetzt ist nicht die Zeit für eine Siesta!“
„Haha!“ hörte man Andreas Stimme von unten, „wer den Schaden hat, ah!“
„Was ist?“
„Meine Schulter! Ich glaube, diesmal ist es schlimmer als das letzte Mal!“
„Warte, wir kommen zu dir!“
„Nein, das ist zu gefährlich!“
„Ach was. Wie tief ist es?“
„So drei, vier Meter vielleicht. Das ist so eine Art Kohlenrutsche, ihr müsst euch…“
Ein kurzer Schrei sagte Andreas, daß Thomas den Rest seiner Ausführungen nicht mehr verfolgt hatte. Und richtig, einen Moment später tauchte sein Kopf vor ihm auf und krachte mit einem dumpfen Knall gegen Andreas Oberkörper. Beide fielen zu Boden.
„Thomas, willst du mich umbringen?“ Andreas preßte seine rechte Hand in seine Magengrube.
„Ich dich?“ sagte Thomas und drückte beide Hände auf seine Stirn, „du doch wohl eher mich!“ Die beiden rappelten sich auf und fielen sich lachend in die Arme.
„Wo ist Nicole?“ wollte Andreas wissen. Die Antwort kam schneller, als ihm lieb war und sie kam in Form der einer Kanonenkugel gleich hinab sausenden Nicole. Thomas und Andreas hatten noch Zeit, „oh, nein!“ zu sagen, dann wurden sie zu Boden geschmettert.
„Ganz ruhig, Señorita Susanne!“
Susanne kannte diese Stimme: „Antonio? Antonio, bist du es?“ Sie drehte sich langsam um und wirklich, es war Antonio, der hinter ihr stand und sie anlächelte. „Ach, Antonio, du ahnst gar nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen“, rief sie und schlang ihre Arme um seinen Körper um ihren Kopf darin zu vergraben, wie es ein kleines Mädchen tut, das bei seinem Vater Schutz und Geborgenheit sucht.
„Schon gut, kleine Señorita“, beruhigte sie Antonio, „alles wird gut!“
Susanne ließ ihren Gefühlen freien Lauf und die Tränen flossen ihr in Strömen über die Wangen. „Alles wird gut!“ schluchzte sie, „das höre ich dauernd und es wird immer schlimmer!“
„Jetzt ist es vorbei. Das verspreche ich“, sagte Antonio und wischte ihr die Tränen mit seinem Hemd aus dem Gesicht. „Wir müssen gehen, Señorita Susanne“, sagte er dann. Susanne wollte sich in Richtung Tür in Bewegung setzen. „Nein, nicht da lang, hier…“ er zeigte auf die Tür, aus der sie vor noch nicht allzu langer Zeit den Weg aus der Dunkelheit gefunden hatte.
Susanne schüttelte ihren Kopf: „Ich will da nicht mehr runter, bitte!“
„Señorita Susanne“, Antonios Stimme klang nun sehr bestimmt und hatte trotzdem eine beruhigende Wirkung auf sie, „es geht hier um Dinge, die auch ich nicht ganz verstehe, aber die Leute, die damit zu tun haben, sind sehr gefährlich und, wenn sie uns hier finden, dann weiß ich nicht, was sie tun werden.“ Er deutete auf den Mann am Boden neben Susanne. „Wir müssen schnell verschwinden und man darf uns nicht sehen. Solche Leute mögen keine Zeugen.“
Susanne nickte. Sie wußte, daß er Recht hatte. Welche Wahl hatte sie: Sie konnte Antonio vertrauen und ihm folgen oder sie konnte alleine zur Vordertür hinaus spazieren und sehen, wie sie von hier weg kam. Die Entscheidung fiel ihr nicht besonders schwer.
„Gehen wir“, sagte sie und klammerte sich wie ein kleiner Affe an Antonio, der mit ihr durch die Kellertür verschwand.
„Pssst!“ Nicole preßte einen Finger auf ihre Lippen, „habt ihr das gehört?“
„Was denn nun schon wieder?“ stöhnte Thomas, der gerade überlegte, ob der Zusammenstoß mit Andreas oder der mit Nicole schmerzhafter gewesen war.
„Da war was!“
„Ja, das ist mein Körper“, sagte Andreas, der noch immer am Boden saß, „der nicht weiß, wo er zuerst schreien soll!“ Thomas mußte lachen.
„Im Ernst: Seid ruhig, da war was.“ Der Ernst in Nicoles Stimme ließ die beiden schweigen. Immerhin hatte sie auch Andreas gehört. Die drei lauschten in die Stille. Gerade als Thomas Nicole erklären wollte, daß sie sich diesmal geirrt hatte, hörte er es auch: Ein leises Schluchzen, das langsam näher kam. Andreas hielt die Luft an und Nicole und Thomas drückten sich zusammen in eine Ecke hinter die Tür des Raumes. Das Schluchzen kam näher und dann hörten sie Schritte von mindestens zwei Personen den Gang entlanggehen, die sich auf der anderen Seite wieder entfernten. Schließlich war es ruhig.
„Was jetzt?“ wollte Andreas wissen, nachdem geraume Zeit verstrichen war.
„Wir müssen hier raus“, sagte Thomas knapp.
„Wir müssen hier raus“, äffte Andreas seinen Freund nach, „Witzbold, das ist mir klar. Aber, wie kommen wir hier raus, das ist doch die Frage!“
„Das ist zu glatt und zu hoch“, sagte Thomas, der die Rutsche untersuchte, die sie in ihr Gefängnis geführt hatte.
„Also“, hörte man Nicoles Stimme, „dann bleibt nur die andere Richtung!“ Vorsichtig tastete sie sich in den Gang hinaus, der trotz des Sonnenlichtes draußen fast im Dunkeln lag. „Links oder rechts? Thomas?“
„Hmm, die anderen sind von links gekommen, gehen wir dahin.“
„Und wenn da noch mehr sind?“ Unbehagen und Furcht lagen in Andreas Stimme, „folgen wir ihnen lieber.“
„ Und woher weißt du, daß dort niemand ist?“ Thomas blickte in die Richtung, in der er Andreas vermutete.
„Wie auch immer, wir müssen uns entscheiden und, wir sollten zusammenbleiben“, sagte Nicole. Sie schloß die Augen und vollführte einige seltsame Bewegungen mit den Armen in der Luft und zeigte schließlich nach links:
„Dort geht es zum Hauptgebäude!“
„Woher weißt du das?“ wunderte sich Thomas.
„Logik: Als wir vor dem Haus standen, war der Hauptkomplex links von uns, wir sind die Rutsche runter und…“
„Schon verstanden, alles klar“, winkte Andreas ab, „gehen wir nach links.“
Die drei setzten sich in Bewegung und standen am Ende hinter jener Tür, durch die auch Susanne den Keller verlassen und später wieder betreten hatte. In dem Raum hinter der Tür waren Stimmen zu hören.
„Da ist jemand“, sagte Thomas.
„Freund oder Feind?“ wollte Andreas wissen.
"Woher soll ich das denn bitte wissen!“, flüsterte Thomas, „Nicole, komm du nach vorne, du verstehst vielleicht etwas von dem, was sie sagen.“
Nicole drückte sich an Andreas und Thomas vorbei und legte vorsichtig ihr Ohr an die Tür. Im Raum dahinter schien ein reges Treiben zu herrschen: Personen bewegten sich hin und her, Befehle wurden gegeben, Lasten schienen bewegt zu werden. Autotüren wurden geöffnet und geschlossen. Motoren heulten auf und mehrere Fahrzeuge schienen sich in Bewegung zu setzen.
Nicole drückte die Klinke herunter und wollte die Tür öffnen.
„Was machst du?“ fragte Andreas entsetzt, „wenn da noch jemand ist!“
„Keine Angst, sie sind weg.“
„Woher willst du das wissen?“
„Sie haben es gesagt!“ sagte Nicole knapp. Die Tür schwang auf und die drei betraten den Raum. Es befand sich niemand außer ihnen dort.
„Worüber haben sie gesprochen“, fragte Thomas, der sich rittlings auf einen der Stühle setzte und den Kopf auf die Hände stützte, die er auf die Lehne gelegt hatte. Nicole wollte ihm gerade antworten, als Andreas rief:
„Schaut euch das an, ist das Blut?“ Er stand in der Nähe der Außentür und starrte auf einen großen Fleck vor ihm auf dem Boden. Er tauchte seinen Finger in die Flüssigkeit und als er ihn wieder herauszog, schwankte er leicht: „Es ist Blut!“ stammelte er, „wo kommt soviel Blut her?“
„Hier ist noch mehr!“ sagte Nicole, die sich inzwischen etwas umgesehen hatte, „und da und da!“ sie zeigte auf verschiedene Stellen am Boden.
Thomas war aufgestanden: „Was mag hier passiert sein? Und, wo ist Su…“ er hielt inne. Nicole und Andreas starrten ihn entsetzt an.
„Susanne?“ kreischte Nicole, „du meinst, das Blut? Nein!“ Nicole brach in Tränen aus.
Thomas nahm sie in den Arm und versuchte, sie zu beruhigen: „Es gibt bestimmt eine andere Erklärung dafür, beruhige dich.“
„Ja, Wilderer!“ sagte Andreas. Als er Thomas verständnislosen Blick sah, erläuterte er: „Wilderer haben das Haus benutzt, hier ist ja nie jemand, und haben die Tiere hier ausbluten lassen, bevor sie sie abtransportiert haben. Da waren doch Leute vorhin und Autos, nicht?“ Hilfesuchend sah er zu Nicole. Die sah ihn aus ihren noch immer feuchten Augen an und nickte.
„Das, was sie gesagt haben, das könnte zu deiner Theorie passen“, flüsterte sie.
„Na also!“ sagte Andreas beruhigt und atmete innerlich erleichtert auf. Er hatte eine Theorie entwickelt, die, für den Augenblick zumindest, bestehen konnte.
„Das wäre auch eine Erklärung für die Spukgeschichten, die die Leute um das Haus erzählen“, bekräftigte Thomas die Worte von Andreas, „so hält man die Menschen von hier fern und die Gangster können ungestört ihren Geschäften nachgehen!“
„Das glaube ich erst, wenn ich Susanne vor mir stehen sehe!“ schluchzte Nicole.
„Dann wollen wir weiter nach ihr suchen!“ sagte Thomas, „am besten wir teilen uns auf, dann geht es schneller, das Haus ist riesig.“
„Ich gehe keinen Schritt alleine“, sagte Nicole, „wer weiß, was noch alles hier verborgen ist!“
„Und ich fühle mich nicht so sehr nach großer Erkundung“, hörte man Andreas leise sagen.