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"Je mehr Ängste eine Person abwehren muss, desto mehr wächst auch die Sehnsucht nach einem angstfreien Zustand." Dient Wissen der Beziehung mehr als Unwissenheit? Besonders auf heiklen Gebieten wie sexueller Vergangenheit oder erotischen Fantasien scheint die Antwort nicht so eindeutig zu sein. Wolfgang Schmidbauer beschäftigt sich aus paartherapeutischer Perspektive mit verschiedenen Dimensionen von Beziehungen. Unter Verwendung humoröser Beispielszenarien geht es um Verlustängste, romantische Illusionen, gegenseitige Vorwürfe und Rummäkeleien, sowie den Spagat zwischen dem Ich und dem Wir.
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Seitenzahl: 27
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Wolfgang Schmidbauer
Muss der Partner einen Seitensprung gestehen?
Über das erfolglose Streben nach Symbiose
Wie Gott im Mythos den Menschen aus Ton formt und ihm Leben einhaucht, so hat die Evolution die menschliche Paarbindung aus der Symbiose zwischen Mutter und Kind geformt und ihr das sexuelle Element aufgepfropft. Es war sozusagen ein kleiner Schritt für die Biologie, aber ein großer für die Menschheit. Hier verband sich die biologische Evolution mit der kulturellen. Unsere nächsten Verwandten im Tierreich sind promiskuös, was die Sexualität angeht, aber eng und liebevoll an ihre Mütter und ihre Geschwister gebunden.
Das Motivgemisch, welches unsere Liebesbeziehungen bestimmt, ist komplex, zum guten Teil unbewusst und – gefährlich. Aus gutem Grund ist nach einem Mord der Liebespartner stets der erste Verdächtige. Auch das unterscheidet den Menschen von anderen Primaten. Die analytische Aufklärung zeigt, dass solche Ereignisse mit Regressionen verbunden sind. Die Regression im Sinne der Macht kindlicher Elemente im erwachsenen Leben ist ein Risiko der kulturellen Evolution. Die Gesellschaft bietet dem Menschen eine Art Außenskelett an, das freilich nur erlernt und daher weit weniger fest ist als der Chitinpanzer eines Käfers.
Was das mitunter bedeutet, beobachtet vielleicht niemand betroffener und manchmal hilfloser als der Paaranalytiker. Er wird gerufen, wenn die Liebesschwüre der Familiengründung nicht mehr tragen. Er sieht, wie aus Liebe Hass, aus Fürsorge Grausamkeit werden kann. Wie Stalker ein Objekt quälen, von dem sie sich Aufmerksamkeit und Zuneigung wünschen. Wie die kostbare Fähigkeit zur Empathie unter dem Angriff von Verlustängsten verloren geht und der Zerfall einer sexuellen Bindung auch die bisher zärtliche Rücksicht auf die Kinder zerfallen lässt.
Aus dieser Unsicherheit wachsen Fragen. Kaum eine davon ist schwerer zu beantworten als die nach dem zuträglichen Maß an Wissen über die nicht gemeinsamen erotischen Erlebnisse. Eisern verschweigen, sagen die einen. Unbedingt aufdecken, sagen die anderen. Auch wenn im oft gebrauchten Pleonasmus von offen und ehrlich geheimer Zweifel steckt.
Man könnte sagen: Orientieren wir uns doch an dem Vorgehen, das funktioniert, das am meisten zum Wohlbefinden von Paaren beiträgt und die besten Chancen bietet, dass der Umgang mit einem Seitensprung nicht mehr zerbricht als nötig. Aber auch das ist schwierig, wenn wir Paare in solchen Situationen beobachten.
Eine Frau hat ihren Mann auf die Anklagebank gezerrt und ihm nächtelang vorgeworfen, dass er ihr seinen Seitensprung nicht offen und ehrlich gestanden hat! Jetzt hat sie selbst einen Geliebten und heftige Schuldgefühle, weil sie es nicht fertigbringt, ihm das zu sagen. Das würde alles kaputt machen! Sie will die Beziehung genießen, aber doch bitte nicht die ganze Familie in Aufruhr bringen.