Die heilige Johanna des Weltbrandes E-Book

Wolfgang Schmidbauer

• Herausgeber: Kursbuch
• Kategorie: Geisteswissenschaft
• Sprache: Deutsch
• Veröffentlichungsjahr: 2019

Seitenzahl: 22

Beschreibung

In der Haltung der Revolte kommt das Andere zum Ausdruck: andere Meinungen, andere Desiderate, andere Lebensvorstellungen. Psychologe Wolfgang Schmidbauer beobachtet in seinem Essay in Kursbuch 200 einen Zusammenhang zwischen Revoltebewegungen und Frauenfiguren – und untersucht die Beschaffenheit desselben anhand von Greta Thunberg, die er in einer Linie mit Katharina von Siena und Jeanne d´Arc sieht.

Leseprobe

Inhalt

Wolfgang SchmidbauerDie heilige Johanna des WeltbrandesGedanken zu Greta Thunberg

Der Autor

Impressum

Wolfgang SchmidbauerDie heilige Johanna des WeltbrandesGedanken zu Greta Thunberg

Man kann sich die Entwicklung der von heiligem Ernst getragenen Jungfrau als Folge einer Singularität vorstellen. Es gibt einen gesellschaftlichen Widerspruch, der so mächtig und einprägsam ist, dass er aus der Welt der Erwachsenen in das Erleben der Jugendlichen fällt wie das Staubkorn in eine gesättigte Lösung. Diese kristallisiert, und mit einem Schlag findet ein bisher nur von oben nach unten vorgetragenes Thema ein neuartiges Echo mit einer unerwarteten Durchschlagskraft.

Einigen unter den Millionen Zuschauern, die 2009 den Eurovisionswettbewerb der von ihren Nationen gekürten Sängerinnen und Sänger verfolgten, mag eine wunderschöne blonde Frau in einem tief ausgeschnittenen weißen Kleid in Erinnerung geblieben sein. Sie trat für Schweden auf, ihre Fans schwenkten Fahnen. Malena Ernman war damals 39 Jahre alt. Sie konnte, anders als viele ihrer Wettbewerberinnen, ausgezeichnet singen. Ihr Mezzosopran hatte ihr schon viel Beifall auf verschiedenen Opernbühnen eingetragen, prominente Dirigenten hatten mit ihr gearbeitet.

Vielleicht war eine der Zuschauerinnen ein damals sechsjähriges Mädchen, Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg, die erste Tochter von Malena Ernman und von Svante Thunberg, von Beruf Schauspieler, dann vor allem Manager seiner erfolgreichen Ehefrau und Produzent ihrer Musik, inzwischen Wächter und Manager seiner Tochter. Das Lied, mit dem Malena Ernman den schwedischen Wettbewerb gewann und beim Eurovision Song Contest in Moskau Platz 21 erreichte, stand viele Wochen in den schwedischen Charts. Es geht um eine innere Stimme, »La Voix«, der frau in Liebesdingen folgen muss.

Inzwischen hat der Ruhm der Tochter den der Mutter in den Schatten gestellt. Wer sich für die Dynamik von Mutter-Tochter-Beziehungen interessiert, kann im Internet den Auftritt der Mutter im Eurovisionswettbewerb mit den Videos vergleichen, auf denen die Tochter zu sehen ist: Bild und Gegenbild – eine glamourös geschminkte Sängerin, die Erotik ausstrahlt, und ein Mädchen, das ganz Sache, ganz Ziel ist und sich für ihr Aussehen wenig zu interessieren scheint.

Greta war im Januar 2019 gerade 16 Jahre alt geworden. Sie ist die Heldin einer Jugendbewegung. Zehntausende in Australien, in Deutschland oder Belgien bestreiken nach Gretas Vorbild jeden Freitag die Schule und demonstrieren für einen energischeren Kampf gegen die Klimakatastrophe. Greta fuhr 30 Stunden im Zug nach Davos zum Weltwirtschaftsgipfel und erntete mehr Publicity als viele Politiker. Sie ist überall in den Medien, wird zu Reden eingeladen, war zum Friedensnobelpreis vorgeschlagen, Reporter umschwärmen sie.