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Der Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer bezeichnet seine Berufskollegen als krisengeschüttelte Hofnarren im System berufsständischer und ökonomischer Zurichtung.
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Seitenzahl: 33
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Wolfgang Schmidbauer
Mehr Hofnarr als Hofrat
Über die Krisen der Psychotherapie
Moderne Gesellschaften überlasten die Psyche. In zwei Jahrzehnten einer Biografie von heute sollen kleine Wilde, die ihre Affekte auf ein kurzes, heißes Leben in der paläolithischen Steppe vorbereitet haben, zu – sagen wir – einem Bankangestellten geformt werden, der geduldig seinen Dienst tut, sich scheinbar nicht ärgert, wenn er von einem Kunden beleidigt wird, und neun Stunden im Büro aushält, auch wenn es ihn noch so juckt, hinauszuziehen und Beute zu machen.
Die moderne »Nervosität«, die Freud keineswegs als Erster, aber doch nachdrücklicher und methodischer als seine Vorgänger thematisiert hat, wird durch ein archaisches Erbe schneller Affekte geprägt, die um der Kultur willen verlangsamt, unterdrückt und umgewandelt werden müssen. Das ist ein komplizierter Prozess, der oft genug scheitert. Menschen sind geschaffen, durch die Welt zu wandern, nicht irgendwo in ihr bewegungslos festzusitzen. Sie können (und wollen) schnell entscheiden, ob ein Bündel an Reizen sie zur Beute zu machen droht oder ihre Beute werden kann. Ihre Gefühle drängen zur Tat.
Was Folgen hat: Je weniger affektbestimmte Handlungsmöglichkeiten es in einer verwalteten Welt gibt, desto mehr wächst die Zahl von Menschen, die dem Druck nicht standhalten. Zu Freuds Zeiten nannten wir sie hysterisch, heute nennen wir die Unruhigen manisch oder schreiben ihnen eine Aufmerksamkeitsstörung zu. Die von erzwungener Ruhe Erschöpften stellen das Heer der Depressiven. Es wird immer unglaubwürdiger, psychische Krankheiten zu konstruieren, ohne zu berücksichtigen, dass wir eine Welt geschaffen haben, die unseren Gefühlen widerspricht.
Ein Leben in der Fremde
Freud schlug vor, als Erwachsener noch einmal zu betrachten, was dem abhängigen und hilflosen Kind geschehen ist, sprich: die damals entstandenen Ängste, Vermeidungen und Einschränkungen zu prüfen und Entscheidungen zu treffen, welche die gewachsene Kraft berücksichtigen. Dieses Modell wird uns noch beschäftigen, aber es ist nicht zu leugnen, dass die Folgen dieser kindlichen Einschränkungen längst nicht so schwer wiegen würden, wenn die modernen Lebensbedingungen sich nicht so weit von den sinnlichen Bedürfnissen entfernt hätten.
Es ist oft beschrieben worden, dass neurotische Symptome verschwinden, wenn Menschen aus ihrem sesshaften Zustand herausgerissen werden und sich dem nomadischen Modus wieder nähern. Wie wichtig allein der Blick ins Grüne ist, zeigt eine Untersuchung an der University of Pennsylvania: Dort wurden Patienten verglichen, die eine chirurgische Operation auskurieren mussten. Die unter ihnen, welche in Zimmern mit einem Blick auf den Krankenhauspark lagen, genasen nicht nur schneller, sie waren auch freundlicher zum Pflegepersonal.
Das Verstehen der Kindheit, ihrer Ängste und Abwehrstrategien ist in der mobilen Moderne von großem Wert für Menschen, wie Freud selbst einer war: zielstrebige, intelligente und energische Personen, die sich in einer ganz anderen Gegenwart zurechtfinden müssen, als es ihre Vergangenheit und die Tradition in ihrer Ursprungsfamilie nahegelegt haben. Freud war der erste Sohn einer armen jüdischen Familie, der das Gymnasium besuchte, studierte und in einer Großstadt Karriere machte. Kein Wunder: Den größten kulturellen Erfolg hatte die Psychoanalyse in den USA, wo solche Biografien noch viel verbreiteter sind als in Europa.
Seit nun aber die globalisierte Konsumgesellschaft angefangen hat, sich so schnell zu verändern, dass sozusagen jede Generation ihr eigenes Migrationserlebnis hat, seit parallel dazu die Freisetzungs- und Individualisierungsprozesse ein Füllhorn von Selbstverwirklichungschancen über uns ausschütten, seit endlich die Massenmedien Jung und Alt pausenlos die Teilnahme an perfekten Lebensentwürfen frei Haus liefern, kurz: Seit das Zeitalter des Narzissmus begonnen hat, musste die Psychotherapie in eine Krise geraten.
Therapie in der Konsumgesellschaft: die Sehnsucht nach Entschädigung
Es gibt einen jüdischen Witz, der die Erosion von Haltungen in der Konsumgesellschaft beleuchtet: Zum todkranken Versicherungsmakler wird der Rabbi gerufen, damit er den Gottlosen bekehre. Lange sprechen beide am Krankenbett. Dann öffnet sich die Tür: Der Makler ist unbekehrt, der Rabbi versichert.