Einfach gut kooperieren (E-Book) - Hans Berner - E-Book

Einfach gut kooperieren (E-Book) E-Book

Hans Berner

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Wenn die Zusammenarbeit von Erziehungsberechtigten und Lehrer*innen gut funktioniert, profitieren Kinder und Jugendliche enorm. Sie fühlen sich sicher, lernen motivierter und entwickeln Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dieses Buch stellt die wesentlichen Themen des Zusammenwirkens von Schule und Elternhaus kompakt dar. Es liefert praktische Hinweise, wie das Wohl der Heranwachsenden gemeinsam gestärkt werden kann.

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Seitenzahl: 185

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Hans Berner, Rudolf Isler, Wiltrud Weidinger

Einfach gut kooperieren

Eltern, Kinder und Schule – wie das Miteinander gelingen kann

ISBN Print: 978-3-0355-2218-1

ISBN E-Book: 978-3-0355-2219-8

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Für Hans Berner,unseren Freund und Kollegen, für diesen vornehmen, spannenden,humorvollen, liebenswerten, wunderbaren Menschen, der dasErscheinen unseres Buches nicht mehr erleben konnte.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1«Super war der Wildkräutertag mit Davids Mutter!»

Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule

2«Unser Kind freut sich, wenn die Schule ausfällt»

Zu Motivation und Interesse

3«Ich will unbedingt Ärztin werden!»

Einschulung, Übertritte und Erwartungen von Eltern

4«Mein Kind verdient doch eine viel bessere Note»

Zu Beurteilung und Notengebung

5«All diese Aufgaben zerstören unser Familienleben!»

Zum Sinn und der Bewältigung von Hausaufgaben

6«Meine Lehrerin mag mich nicht»

Rollen und Aufgaben von Eltern, Lehrpersonen und Schule

7«So innovativ habe ich die Schule noch nie erlebt!»

Digitale und mediale Welten in der Schule und zuhause

8«So kann das nicht weitergehen …»

Normen und Regeln – Sanktionen und Strafen

9«Ihr Kind ist ausgesprochen selbstbestimmt»

Erziehungsverständnis und Erziehungsstile

Anhang

Literaturangaben

Anmerkungen

Autoren

Einleitung

Wer als Mutter oder Vater ein Mail oder einen Brief mit einem Satzanfang wie «Ihr Sohn muss …» oder «Ihre Tochter hat …» liest, bekommt häufig ein mulmiges Gefühl. Vielleicht denkt man dabei intuitiv an eigene Schulerfahrungen zurück. Vielleicht erinnert man sich an irritierende Aussagen an einem Elternabend oder an einem Elterngespräch. Vielleicht an einen fast vergessenen Kommentar im Kontaktheft oder an eine beiläufige unverständliche Bemerkung des eigenen Kindes.

Die Aussage «We are only as strong as we are united, as weak as we are divided» von Albus Dumbledore in Harry Potter and the Goblet of Fire passt sehr gut für gelungene und misslungene Zusammenarbeit von Eltern, Lehrpersonen und Schulleitungen. In vielen Fällen ist das Zusammenwirken von Schule und Elternhaus zielorientiert und unkompliziert und bedeutet für Kinder und Jugendliche eine wichtige Unterstützung in ihrer Schulzeit. Gleichwohl fühlen sich Eltern immer wieder in ihren Anliegen für ihre Kinder von Lehrpersonen nicht verstanden und Lehrerinnen und Lehrer erachten die Zusammenarbeit mit Eltern bisweilen als belastend. Zum Glück sind diese Schwierigkeiten zwischen Schule und Elternhaus in der Realität nicht so krass wie im Film Frau Müller muss weg![1]. In diesem Film aus dem Jahre 2015 wollen die Eltern einiger Schüler*innen einer vierten Klasse in einer Dresdner Grundschule in einem turbulent verlaufenden Gespräch mit der Klassenlehrerin dafür sorgen, dass die Lehrerin die Klasse abgibt. Der Hauptgrund für die elterliche Unzufriedenheit und ihren Aktionismus sind die schlechter werdenden Schulnoten ihrer Kinder just zu dem Zeitpunkt, an dem das Zeugnis über den Zugang zum Gymnasium entscheidet.

Verantwortlich für Schwierigkeiten im Eltern-Schule-Verhältnis sind häufig ungeschickte Formulierungen von einer Seite, die von der anderen Seite als offene oder versteckte Schuldzuweisungen verstanden werden. Die folgende Blog-Aussage eines Lehrers in einer grossen Tageszeitung enthält Konfliktpotenzial durch den Charakter einer pauschalen Schuldzuweisung: «Viele Kinder werden heute von den Eltern extrem unselbständig gehalten, indem sie sie beispielsweise zur Schule fahren und ihnen zu Hause alles abnehmen. Es gibt Kinder, die es in der 3. Klasse nicht schaffen, ein Glas Wasser unfallfrei einzuschenken.»[2] Es kommt aber auch vor, dass Eltern aufgrund von negativen eigenen Schulerfahrungen Ängste und Wut unreflektiert auf die Lehrpersonen ihrer Kinder übertragen. Und es gibt nicht nur Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (Handke, 1970) und Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler (Brück, 1985), sondern auch die Angst der Lehrerinnen und Lehrer vor den Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler.

Es ist unbestritten: Wenn die Zusammenarbeit von Erziehungsberechtigten, Lehrpersonen und Schulleitenden gut funktioniert, profitieren Kinder und Jugendliche in hohem Masse. Sie fühlen sich sicher, sind optimistischer und können ohne störende Nebengeräusche lernen. So können sie Zu- und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in ihre Zukunft entwickeln.

Dieses Buch bietet Eltern Praxishilfen, welche das Zusammenwirken zugunsten der Kinder und Jugendlichen erleichtern und für alle Beteiligten gewinnbringend und erfreulich machen. Einerseits werden für eine bereits funktionierende Zusammenarbeit vielfältige weiterführende Ideen und Anregungen gegeben. Andererseits werden konkrete Hilfen angeboten, durch welche sich schwierige Situationen vermeiden oder lösen lassen und das gegenseitige Verständnis und Vertrauen gefördert wird.

In diesem Buch werden die wesentlichen Themen des Zusammenwirkens von Schule und Elternhaus in den drei Zyklen der Volksschule angesprochen. Es eignet sich für das Selbststudium von Eltern und kann in der Elternbildung verwendet werden. Aber auch angehende und erfahrene Lehrerinnen und Lehrer erhalten wertvolle Hinweise für eine produktive Zusammenarbeit mit den Eltern. Wir möchten schon ganz am Anfang darauf hinweisen, dass die Art der Kommunikation zwischen allen Beteiligten enorm wichtig ist. Wir machen deshalb im Buch immer wieder darauf aufmerksam, dass vorschnelle, emotionale und heftige Reaktionen und Affekte in Gesprächen fast immer bestehende Konflikte verschärfen, statt sie zu lösen. Als weiteren Punkt möchten wir als Basis für das Zusammenwirken aller Beteiligten – Schüler*innen, Erziehungsberechtigte, Lehrer*innen, Behörden, Spezialist*innen – die grundlegende Bedeutung einer vertrauensvollen, tragenden, ruhigen und wertschätzenden Beziehung zwischen allen hervorheben. Wir sprechen diesen Punkt manchmal nebenbei an, manchmal explizit. Genauer verweisen wir im Abschnitt «Pädagogisch-psychologisches Hintergrundwissen» in Kapitel 8 auf das, was unserer Auffassung nach eine gute Beziehung ausmacht. Ganz grundsätzlich geben die Abschnitte zum pädagogischen Background in allen Kapiteln Hintergrundinformationen, und oft weisen wir auch auf lohnende weiterführende Publikationen hin. Uns scheint das deshalb wichtig, weil wir zwar die zentralen Fragen ansprechen, aber viele so knapp behandeln, dass eine Vertiefung durchaus sinnvoll sein kann und manchmal sogar nötig ist.

Die Reihenfolge der Kapitel haben wir so angeordnet, dass wir mit praktischeren Fragen – Wildkräutertag! – beginnen und zusehends auch allgemeinere Fragen zum Thema machen. Den Abschluss bilden grundsätzliche Überlegungen zum Thema des Erziehungsstils – zuhause und in der Schule.

Ein Wort noch zur Sprache: Wir sprechen oft von «Eltern», manchmal von «Familien», aber auch von «Erziehungsberechtigten»; um den Text lesbar zu machen, haben wir zudem gängige Formulierungen wie zum Beispiel «Schule und Elternhaus» verwendet. Immer aber sind ganz unterschiedliche Konstellationen des Zusammenlebens von Erziehungsberechtigten in unserem Blick: Familien, Alleinerziehende, gleichgeschlechtlichen Paare, Patchworkfamilien. Was die genderkonforme Schreibweise betrifft, wählen wir neutrale Begriffe wie Lehrpersonen oder wir sprechen von Schülerinnen und Schülern. Wenn wir Kurzformen verwenden, halten wir uns an die Empfehlung des Verlags: Schüler*innen.

Und schliesslich spielen in diesem Praxisbuch Fragen eine wichtige Rolle – ganz im Sinne des Schriftstellers Kurt Marti: Fragen bleiben jung, Antworten altern rasch. Diese Fragen sollen Sie, liebe Leserinnen und Leser, zu einer Reflexion Ihrer Erfahrungen anregen – ganz im Sinne des modifizierten Sprichwortes Durch reflektierte Erfahrungen kann man klüger werden.

Zürich, im September 2022

Hans Berner / Rudolf Isler / Wiltrud Weidinger

«Super war der Wildkräutertag mit Davids Mutter!»

Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule

1

 

«COMING TOGETHER IS A BEGINNING.

KEEPING TOGETHER IS PROGRESS.

WORKING TOGETHER IS SUCCESS.»

Henry Ford (1863–1947)

 

Stimmt die von anderen Eltern immer wieder gehörte Kritik, dass Elternabende reine Zeitverschwendung seien? Hat man als Elternrat nur eine Alibifunktion, indem man für einen gesunden Znüni Apfelschnitze schneiden darf? Haben wir als Eltern überhaupt relevante Möglichkeiten, um in der Schule mitwirken und mitentscheiden zu können? Verstehen sich Lehrerinnen und Lehrer eigentlich immer noch als schulische Alleinherrschende, ganz nach dem absolutistischen Motto «L’école c’est moi»? Sollen und können wir Eltern bei bestimmten Themen den Unterricht mitgestalten? Die Lehrerin unseres Kindes hat sich bei uns für einen Hausbesuch gemeldet: Finde ich das als Mutter oder Vater eine gute Idee? Oder muss das wirklich nicht sein?

Viele Fragen – nicht immer ganz einfache Antworten.

Worum geht es?

Um die Grundsatzfrage, ob die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus eher Pflicht oder Kür ist.Um die Möglichkeiten und Erfolgsfaktoren einer guten Zusammenarbeit von Schule, Lehrpersonen und Erziehungsberechtigten.Um das Überwinden von Vorurteilen, die eine gute Zusammenarbeit erschweren oder behindern.Um das Wissen, welche Möglichkeiten der Mitverantwortung und Mitarbeit die Eltern haben.

# Ihre Meinung – welche Angebote für Kontakte zwischen Schule und Elternhaus sind wichtig?

In der folgenden Tabelle finden Sie eine Reihe von Möglichkeiten für die Förderung einer guten Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern. Entscheiden Sie, was für Sie wichtig und geeignet ist und welche Angebote sie gerne nutzen würden.[3]

Angebote

 

Finde ich geeignet

 

Finde ich ungeeignet

 

Würde ich gerne nutzen

 1 Ständig aktualisierte Schul-Homepage

 

 

 

 2 Broschüre über die Schule

 

 

 

 3 Informations-Elternabend vor Schulbeginn

 

 

 

 4 Begrüssungsblatt mit wichtigen Angaben

 

 

 

 5 Treffen aller Eltern am ersten Schultag

 

 

 

 6 Tag der offenen Schulhaus- und Schultüren

 

 

 

 7 Kennenlernveranstaltung mit den Eltern der Mitschülerinnen und Mitschüler

 

 

 

 8 Regelmässige Treffen mit anderen Eltern

 

 

 

 9 Regelmässige Elternabende während des Schuljahres

 

 

 

10 Themenbezogene Elternbriefe mit Programmvorschau und Terminen

 

 

 

11 Sprechstunde von Lehrpersonen und Schulleitung

 

 

 

12 Hausbesuche bei den Eltern

 

 

 

13 Lehrer-Eltern-Stammtisch

 

 

 

14 Telefonate mit Lehrpersonen

 

 

 

15 Für Eltern stets offene Klassentüren

 

 

 

16 Für Eltern an bestimmten Besuchstagen offene Klassentüren

 

 

 

17 Elternveranstaltungen mit Fachreferaten und Diskussionen

 

 

 

18 Teilnahmemöglichkeit für Eltern an bestimmten schulischen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen

 

 

 

19 Elternrat mit gewählten Elterndelegationen aus allen Klassen

 

 

 

20 Projekt, in dem Eltern für einige Lektionen den Unterricht gestalten

 

 

 

Was fehlt Ihrer Meinung nach in dieser Liste?

Wenn Sie bei 15 oder mehr der obengenannten Angebote «Finde ich geeignet» und «Würde ich gerne nutzen» angekreuzt haben, zeigen Sie eine hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Schule. Man könnte sagen, dass Sie die Eltern-Schule-Kontakte als Kür verstehen.

Wenn Sie bei fünf oder weniger der obengenannten Angebote «Finde ich geeignet» und «Würde ich gerne nutzen» angekreuzt haben, ist Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Schule niedrig. Man könnte sagen, dass Sie die Eltern-Schule-Kontakte als Pflicht verstehen. Welche Gründe sind für Sie ausschlaggebend dafür, dass Sie diese Kontakte auf ein Minimum beschränken möchten?

# Kontakte Schule–Elternhaus – sind diese Kontakte Ihrer Meinung nach mehr Pflicht oder Kür?

Ein vergleichender Blick in die Vergangenheit zeigt, dass heute deutlich mehr Kontakte zwischen Schule und Elternhaus angeboten und wahrgenommen werden. Schulleitungen und Lehrpersonen sind sich zunehmend bewusst, dass das Einladen eine Geste der Willkommenskultur ist. In der Lehreraus- und -weiterbildung wird das Thema Elternarbeit stärker gewichtet und es entspricht einem klar geäusserten Bedürfnis angehender oder bestandener Lehrpersonen.

Trotzdem sind die Kontakte zwischen Erziehungsberechtigten und Schule nicht überall so beliebt, dass aus der Pflicht eine Kür geworden ist.

– Es gibt einige Gründe dafür, dass einige Lehrpersonen Elternkontakte auf ein vorgegebenes gefordertes Minimum beschränken. Elternarbeit ist zeitaufwändig und aufwändige Elternarbeitsstunden sind nicht vollumfänglich Bestandteil der Gesamtarbeit der Lehrpersonen. Manche Lehrpersonen vertreten zudem die Meinung, dass viele Eltern vor allem bei Klagen oder Beschwerden Verbindung mit der Schule aufnehmen. Es gibt aber auch Lehrpersonen, die sich durch Elternkontakte und Elterneinflussmöglichkeiten kontrolliert und eingeschränkt fühlen – im Sinne der karikaturistischen Übertreibung «L’école, c’est moi».

– Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Gründe dafür, dass Eltern ihre Kontakte mit der Schule gerne auf ein Minimum beschränken möchten. Einige Eltern haben aufgrund ihres Arbeitspensums und ihrer Verpflichtungen wenig Zeit, um in den angebotenen Zeitfenstern einen Schulbesuch einzuplanen und an schulischen Anlässen teilzunehmen. Es gibt Eltern, die befürchten, dass sie in der Schule vor allem negative Kommentare über die Leistungen und Verhaltensweisen ihrer Kinder zu hören bekommen. Und gewisse Eltern werden durch ihre seit der eigenen Schulzeit aufgebaute Schwellenangst vor der Institution und vor Lehrpersonen von Schulkontakten abgehalten.[4]

# Elternängste – gibt es Ihrer Meinung nach so etwas wie Ängste der Eltern vor Lehrpersonen?

Haben Sie schon festgestellt, dass Sie beim Betreten eines Schulhauses, in Schulgebäuden oder in Schulzimmern an Ihre eigene Schulzeit erinnert werden? Haben Sie schon festgestellt, dass das nicht nur beglückende Erinnerungen sind, sondern dass auch Gefühle der Unterlegenheit oder des Ausgeliefertseins wach werden? Erinnert Sie ein Elternabend mit der Aufforderung, sich vor allen vorzustellen, an unerfreuliche Erfahrungen aus Ihrer Schulzeit? Haben Sie sich schon dabei ertappt, dass Sie versucht haben, als Mutter oder Vater Unsicherheiten in schulischen Situationen mit bewusst forschem Auftreten wettzumachen?

Die Psychologin Helga Gürtler hat im Zusammenhang mit solchen Erinnerungen und Gefühlen einige interessante Fragen formuliert, die für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit persönlichen mehr oder weniger bewussten Schulerinnerungen sehr geeignet sind:

– Welche Rolle spielen Ihre eigenen Schulerfahrungen bei der Art, wie Sie Lehrpersonen heute einschätzen und heute mit ihnen umgehen?

– Glauben Sie an eine Unfehlbarkeit der Lehrpersonen und an Ihre eigene Unterlegenheit?

– Unterstellen Sie den Lehrpersonen Motive und Verhaltensweisen, unter denen Sie selbst früher gelitten haben?

– Möchten Sie Lehrerinnen und Lehrer von einem zu hohen Sockel herunterholen, weil Sie Ihre eigenen Lehrpersonen als übermächtig erlebt haben?

– Möchten Sie sich und andern in bestimmten Situationen beweisen, dass Sie jemand sind und es nicht mehr nötig haben, sich von Lehrpersonen etwas sagen zu lassen?[5]

Wenn Sie einige dieser Fragen irritiert oder nachdenklich gemacht haben, lohnt es sich im Hinblick auf eine gute, unbelastete Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern Ihrer Kinder, sich früher empfundene Gefühle bewusst zu machen und sich über den Einfluss der eigenen unbewussten Erfahrungen klarer zu werden.

Pädagogisch-psychologisches Hintergrundwissen

Was ist gemeint mit der eigenartigen Formulierung «Erziehende stehen vor zwei Kindern»?

Siegfried Bernfeld hat vor rund hundert Jahren in seinem Klassiker Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung eine gleichermassen irritierende und provozierende Behauptung aufgestellt: «So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten in ihm. Er kann gar nicht anders, als jenes zu behandeln, wie er dieses erlebte.»[6]

Aus einer psychoanalytischen Perspektive argumentiert Bernfeld, dass Eltern bei ihren Erziehungshandlungen von ihren eigenen unbewussten Erfahrungen beeinflusst werden und dass sie in einem gewissen Sinn «Gefangene ihrer verdrängten Gefühlswelt» sind. Deshalb die Aufforderung, dass man etwas wissen muss über das Kind in sich, damit man nicht unreflektiert und blind dem Kind vor sich begegnet. Psychologisch gesprochen geht es um eine Kontrolle der Gegenübertragung, die jede Beziehung zwischen Erziehenden und Kindern beeinflusst. Damit man das Kind in sich nicht mit dem vor sich verwechselt, braucht es eine kritische Selbstreflexion.

Das Phänomen der beiden Kinder betrifft nicht nur Eltern, sondern auch Lehrpersonen. Auch sie müssen sich bewusst sein, dass sie in ihrer Rolle als Lehrpersonen in bestimmten Situationen vor zwei Kindern stehen: der Schülerin oder dem Schüler vor sich und dem Kind in sich. Auch Lehrpersonen sollten aufgrund der Kenntnis ihrer Lebensgeschichte verhindern, dass sie eigene Anteile und unverarbeitete Konflikte unbewusst auf ihre Schülerinnen und Schüler projizieren.

Zum Weiterlesen für Interessierte

Bernfeld, Siegfried. 2000. Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Suhrkamp. 14. Auflage.

# Lehrer*innenmacht – haben Lehrpersonen einen Heimspiel-Vorteil? Und nutzen sie diesen aus?

Es ist zum Glück selten geworden, dass Lehrpersonen an Elternabenden oder Elterngesprächen die Eltern auf Schülerstühlen sitzen lassen, für sich den bequemen Lehrerstuhl reserviert haben und die Sitzordnung des Frontalunterrichts anwenden. Gespräche auf Augenhöhe an runden Tischen mit gleichen Stühlen sind an vielen Orten die Regel geworden – oder sollten es zumindest sein.

Trotz des offensichtlichen Abbaus von Hierarchien und Autoritätsgebaren in Schulen haben die Lehrpersonen nach wie vor eine besondere Machtstellung. Deshalb haben bestimmte Vorbehalte von Eltern durchaus auch eine reale Basis und können nicht nur als unverarbeitete Unsicherheits- und Ohnmachtsgefühle kleingeredet werden:

– Weil fast alle Elternkontakte in der Schule stattfinden, profitieren die Lehrpersonen von einem Heimvorteil.

– Weil Lehrerinnen und Lehrer über Fachkenntnisse und Schulwissen verfügen, das bei vielen Eltern nicht oder kaum vorhanden ist, und weil Lehrpersonen die Rückendeckung durch die Institution Schule geniessen, können bei den Eltern Ohnmachtsgefühle entstehen.

– Weil Lehrpersonen mit Noten und Empfehlungen einen grossen Einfluss auf die schulische Karriere und damit auf die Berufschancen der Kinder und Jugendlichen haben (vgl. Kapitel 3 und 4), kann bei den Eltern das Gefühl des Ausgeliefertseins entstehen.[7]

Die elterlichen Gefühle der Unterlegenheit oder gar Ohnmacht haben ihren Ursprung häufig auch darin, dass Eltern zu wenig über ihre Mitsprache-, Mitbestimmungs- und Mitverantwortungsrechte Bescheid wissen.

# Möglichkeiten der Eltern – kennen Sie Ihre Mitarbeitsmöglichkeiten als Eltern?

Eltern müssen wissen, in welchen schulischen Bereichen sie mitsprechen und mitbestimmen können und in welchen Bereichen die Schule darauf zählt, dass sie mitarbeiten und Verantwortung mittragen. Wichtig ist aber auch zu wissen, in welchen Bereichen die Schule die alleinige Verantwortung trägt. Eine Vorbemerkung: Das schweizerische Bildungssystem liegt aufgrund des Föderalismus nur teilweise in der Verantwortung des Bundes. Die einzelnen Kantone haben ihre eigenen Schulgesetze, wobei man aufgrund von interkantonalen Abkommen wie HarmoS-Konkordat und Lehrplan 21 trotzdem von einem Schweizer Schul- oder Bildungssystem sprechen kann. Im Berner Volksschulgesetz[8] werden beispielsweise klar formulierte Rechte und Pflichten von Erziehungsberechtigten sowie von Schülerinnen und Schülern definiert und die verschiedenen Mitwirkungsrechte für Schülerinnen, Schüler und Eltern genannt.

Die folgende Zusammenfassung ist eine allgemein gehaltene, nicht auf einen bestimmten Schweizer Kanton bezogene Darstellung der elterlichen Möglichkeiten.

# Möglichkeiten der Eltern – wo können Sie als Eltern mitsprechen und mitwirken?

Eltern können in Absprache mit der jeweiligen Schule in folgenden Bereichen mitsprechen: bei der schulischen Qualitätssicherung durch Feedback, beim Einsetzen eines Elternrats, beim Erarbeiten eines Verhaltenskodexes, bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung des Leitbilds. Eltern können in Absprache mit der jeweiligen Schule in ganz verschiedenen Bereichen mitwirken: bei der Pausenplatzgestaltung, an Aktionstagen und Festen, an Erzählnächten, an Sporttagen, bei der Aufgabenbetreuung, im Rahmen von Projekten zur Sucht- und Gewaltprävention, bei der Integration von fremdsprachigen Kindern und ihren Eltern, bei der Gesundheitsförderung, bei Angeboten für die Elternbildung, bei der Berufswahl-Information.

# Möglichkeiten der Eltern – wo können Sie als Eltern mitbestimmen?

Eltern können mitbestimmen, wenn es um die schulische Laufbahn ihrer Kinder geht. Als Stimm- und Wahlberechtigte entscheiden die Eltern bei kantonalen Abstimmungen zum Beispiel über Schulgesetze mit. Auf lokaler Ebene beteiligen Eltern sich an der Wahl der Schulbehörde oder bestimmen bei Schulhausneubauten mit.

# Möglichkeiten der Eltern – wo müssen Sie als Eltern Mitverantwortung übernehmen?

Eltern sind durch ihre Erziehungspflicht auch für die Schulzeit ihrer Kinder mitverantwortlich. Eltern haben die Pflicht, ihre Kinder zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie den Unterricht regelmässig, pünktlich, ausgeruht und gesund ernährt besuchen. Eltern haben den Kindern einen geeigneten Arbeitsplatz einzurichten, für die Schulwegsicherheit zu sorgen und den Medienkonsum zuhause zu regeln (vgl. Kapitel 7). Sie haben eine Informationspflicht, indem sie die Lehrpersonen über gesundheitliche und andere Probleme informieren, die das Kind in seiner schulischen Entwicklung und Aufmerksamkeit beeinträchtigen. Eltern haben eine Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Schule, indem sie an Elternabenden, Besuchstagen und Elterngesprächen teilnehmen und indem sie ihre Kinder dabei unterstützen, die Schulregeln einzuhalten. Eltern haben das Recht, informiert und angehört zu werden sowie Gesuche und andere Rechtsmittel einzureichen.

# Möglichkeiten der Eltern – wissen Sie, in welchen Bereichen die Schule allein verantwortlich ist?

In bestimmten Bereichen ist die Schule allein verantwortlich. Bestimmte schulische Bereiche sind von der institutionalisierten Elternmitwirkung explizit ausgeschlossen. Dies betrifft personelle Entscheide, pädagogisch-didaktische Entscheidungen, die Umsetzung des Lehrplans, den Unterricht, die Stundenplangestaltung, die Wahl von Lehrmitteln, die Bestimmung der Anzahl Klassen und die Klassen- und Gruppenzuteilungen, die Schulaufsicht. Als ausgebildete Fachleute sind Schulleitungen und Lehrpersonen alleinverantwortlich für alle pädagogisch-didaktischen Entscheidungen und für die Umsetzung des Lehrplans gemäss den gesetzlichen Vorgaben, den beschlossenen Reformen und den politischen Entscheidungen.[9]

# Zusammenarbeit – wie gelingt eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus?

In einem Leitfaden hat der Dachverband der Lehrpersonen Schweiz 2017 die wichtigsten pädagogischen und rechtlichen Erkenntnisse aus der Schulpraxis und Studien über bewährte Formen einer wertschätzenden Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus zusammengestellt. Hervorgehoben werden die folgenden drei Qualitätsmerkmalsbereiche: Willkommenskultur, Respekt für die jeweiligen Rollen sowie transparente Information.[10]

# Zusammenarbeit – es braucht eine schulische Willkommenskultur!

Die Mehrzahl der Eltern erwartet von ihren schulischen Ansprechpersonen eine gelebte und erlebte Willkommenskultur in der Schule ihres Kindes. Um diese Bereitschaft der Eltern zum Beziehungsaufbau zu nutzen, gibt es von Seiten der Schulen viele bewährte und innovative Gelegenheiten. Durch Unterrichtsbesuche und durch die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten wie Feiern, Festen, Sporttagen, Projekttagen, Vorführungen und Ausstellungen erhalten die Eltern vielfältige Einblicke in das Schulleben ihres Kindes. Alle Informationen für diese Angebote und Anlässe erreichen die Eltern durch verschiedene schulspezifische Kanäle. Das können professionell gestaltete schriftliche persönliche Einladungen sein, die schulische Website oder eine Schulbroschüre. Einen wichtigen Teil einer gelebten Willkommenskultur bilden Austauschmöglichkeiten zwischen Schule und Elternhaus in Form von formellen Elterngesprächen, Elternabenden, speziellen Anlässen sowie niederschwelligen Kontaktmöglichkeiten in digitaler Form, durch ein Telefongespräch oder ein kurzes, auch informelles Gespräch nach Schulschluss. Notwendig ist, dass die Eltern ihre Ansprechpersonen an der Schule kennen, ebenso wie die Lehrpersonen die Erziehungsberechtigten und allfällige weitere wichtige Betreuungspersonen. Die gegenseitige Erreichbarkeit der wichtigen Kontaktpersonen muss durch Notfallnummern gewährleistet sein. Ein wesentlicher Teil einer Willkommenskultur ist, dass die Eltern Anregungen, Wünsche, Optimierungsvorschläge und Kritik einbringen können.[11]

Was manchmal von beiden Seiten in einer gewissen Hektik des Alltags und der Tagesgeschäfte fast vergessen wird: Auch Lob ist möglich. Dazu ein Beispiel von einem Lehrer: «Sehr geehrte Frau Müller, ein Brief aus der Schule flattert Ihnen ins Haus. Aber bitte keine Aufregung. Keine Beschwerde! Kein Tadel. Im Gegenteil. Ich finde, auch Eltern haben einmal Lob verdient. Ihre Bemühungen um den Abbau von Jans Verhaltensstörung haben Erfolg gehabt. Da möchte ich Ihnen meine Anerkennung ausdrücken.»[12] Das Beispiel zeigt: Lob ist nicht nur möglich, sondern es tut auch gut.

# Zusammenarbeit – es braucht transparente Informationen!

Eltern haben den Anspruch, dass sie angemessen über die aktuellen schulischen Herausforderungen, die Lernziele, die Regeln und über besondere Unterrichtsvorhaben und Veranstaltungen informiert werden. Sie möchten zudem persönlich über die spezifische schulische Situation ihres Kindes, sein Lernen und seine Leistungen, über sein Befinden in der Klasse und über mögliche Fördermassnahmen informiert werden. In der Phase der Berufswahlvorbereitung sollen die Eltern die Angebote für die berufliche Orientierung und die Anforderungen für mögliche Bildungswege und Übergänge kennen (vgl. Kapitel 3).

Auch die Lehrpersonen sind auf Informationen von Elternseite angewiesen: über Probleme bei Hausaufgaben, fehlendes Wohlbefinden an der Schule, Abwesenheiten, besondere familiäre Situationen wie Krankheit, Unfall, Todesfall oder Arbeitslosigkeit in der Familie. Eine wichtige Information für die Schule sind Veränderungen der erzieherischen Betreuung. Entscheidend ist, dass von beiden Seiten Störungen rechtzeitig angesprochen werden.

Die Informationen der Schule sollen übersichtlich und adressatengerecht sein, wobei besonders wichtige Informationen in andere Sprachen übersetzt sind. Suchfunktionen auf der Website der Schule erleichtern die Kommunikation. Die Kommunikationsverbindungen und die Datenaufbewahrung müssen sicher sein, die Kommunikationswege geklärt.

Die Eltern sollen über ihre individuellen und kollektiven Mitwirkungsmöglichkeiten an der Schule informiert sein – ebenso über institutionalisierte Mitwirkungsmöglichkeiten an der Schule und weitere Möglichkeiten der Mitwirkung in Elternorganisationen, Kulturvereinen und quartierspezifischen Angeboten.[13]

In ihren allgemeinen Empfehlungen mit dem Titel Bildung und Erziehung als gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule