Einfach gut lernen (E-Book) - Hans Berner - E-Book

Einfach gut lernen (E-Book) E-Book

Hans Berner

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Wie können Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernen unterstützt werden? Wie kann sinnvolles, lustvolles und kreatives Lernen gefördert werden? Kindern und Jugendlichen soll es gelingen, ihr Lernen erfolgreich zu gestalten, sich beim Lernen wohl und sicher zu fühlen und selbst die Verantwortung für ihre schulische Entwicklung zu übernehmen. Wie bereits im Buch "Einfach gut unterrichten" finden angehende und erfahrene Lehrpersonen Anregungen, Praxistipps und knappe theoriegestützte Analysen. Auch interessierte Eltern finden Hinweise, wie sie ihre Kinder beim Lernen begleiten können. Speziell berücksichtigt werden zudem Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben haben.

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Hans Berner, Rudolf Isler, Wiltrud Weidinger

Einfach gut lernen

ISBN Print: 978-3-0355-1888-7

ISBN E-Book: 978-3-0355-1889-4

Gestaltung Inhalt: Salzmann Gertsch

Gestaltung Umschlag: hold Kommunikationsdesign

Illustrationen: Serafine Frey

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1. Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept

«Lernen bedeutet für mich Verlangsamung, Wiederholung, Schürfwunde, Begreifen, Glück.» Stephan Eicher

2. Selbstregulation und Regeln

« Mein bisher geheimer Lerntrick: Tu es für dich selbst und nicht für andere. » Lisa Christ

3. Aufmerksamkeit und Konzentration

« Lernen bedeutet für mich, sich in der Welt durch Erfahrenes, Gelesenes und Geübtes optimal zurechtzufinden. » Stephanie von Orelli

4. Themen und Lerninhalte

« Lernen bedeutet für mich Anstrengung, die sich in jedem Fall lohnt, und ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. » Pedro Lenz

5. Neugierde und Interesse

« Lernen ist entdecken. » Roger de Weck

6. Motivation und Anregung

«Ich ermuntere mich, dass ich es schaffe.» Malina Meister

7. Lernklima und Schulatmosphäre

« Um gut lernen zu können, braucht es Ruhe, Konzentration, Wille, eine positive Einstellung und ein förderliches Umfeld. » Urs Fischer

8. Lernräume und Raumgestaltung

« Lernen bedeutet für mich, nicht nur nach Regeln und Strukturen zu lernen, sondern möglichst das Gelernte in den Alltag einbinden. » Kacem El Ghazzali

9. Partizipation und Verantwortung

« Lernen bedeutet für mich, sich weiterzuentwickeln und ein besserer Mensch zu werden. » Nicola Spirig

10. Unser Fazit, Unsere Botschaft

« Lernen bedeutet für mich Neues entdecken, Zusammenhänge verstehen, unabhängig werden. » Lena-Lisa Wüstendörfer

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

« Lernen bedeutet für mich Verlangsamung, Wiederholung, Schürfwunde, Begreifen, Glück. »

Stephan Eicher (1960*)

« Lernen bedeutet für mich das A und O des Lebens. Lernen heisst, sich weiterzuentwickeln und ein besserer Mensch zu werden. »

Nicola Spirig (1982*)

 

EINLEITUNG

Der Titel « Einfach gut lernen » weckt ganz verschiedene Assoziationen. Viele denken spontan an Lerntipps im Stil von « Mach genügend Pausen » oder « Finde heraus, was für ein Lerntyp du bist ». Andere denken an Instant-Relief-Rezepte wie « Schnell lernen, leicht lernen, einfach lernen », wie das von einem « Rhetorik-Event der Superlative » vollmundig angepriesen wird –, verbunden mit dem grossartigen Versprechen, « Menschen zu Meinungsführern » zu machen.[1] Auf eine immer wieder beliebte Frage wie « Ist es gut, wenn ich immer mit Musik lerne? » finden sich im Netz verschiedenste Antworten mit ganz konkreten Tipps wie « Metallica oder deutscher Rap ist tabu, weil es uns entweder zu sehr aufregt oder die Texte ablenken, gut sind klassische Musik oder Chill-out »[2]. In einem Blog für Mütter findet sich mit Bezug auf ein Experiment mit Sechstklässlern der Hinweis, dass Duftstäbchen mit Rosenduft beim Lernen helfen. Hier wird auch ein Lehr- und Lernforscher mit dem einfachen (im Sinne von banalen) Rezept zitiert: « Störquellen wie das Smartphone, das auf dem Pult ständig piepst, sollte man ausschalten. »[3]

Uns geht es in diesem Buch um etwas ganz anderes. Wir sind überzeugt, dass der Schriftsteller Pedro Lenz mit seiner Einschätzung zu Lerntipps und -tricks recht hat: « Es gibt keine geheimen Tricks und keine Abkürzungen. Das Wesentliche sind Motivation, Wiederholung und wieder Wiederholung. »[4] Wir wollen in diesem Buch auf differenzierte Art und Weise aufzeigen, wie Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernen wirksam und nachhaltig unterstützen können. Wenn es den Kindern und Jugendlichen nämlich gelingt, ihr Lernen produktiv zu gestalten, wenn sie sich beim Lernen wohl und sicher fühlen und immer mehr selbst die Verantwortung für ihre schulische Entwicklung übernehmen können, haben sie eine unschätzbare Basis für ihr ganzes Leben gewonnen. Im Folgenden zeigen wir die wichtigsten Bedingungen dafür auf. Angehende und erfahrene Lehrerinnen und Lehrer finden in diesem Buch theoriegestützte Analysen sowie Aufgaben und Beispiele zum Nachdenken und Weiterentwickeln ihrer eigenen Praxis für eine Pädagogik, die das Wohl und das Vorankommen der Lernenden ins Zentrum stellt. Auch interessierte Eltern erfahren, wie sie ihre Kinder beim Lernen unterstützen können. Ein spezielles Augenmerk gilt den markanten Veränderungen, die das schulische Lernen durch die stärkere Digitalisierung erfahren hat.

 

Was braucht es, um gut lernen zu können?

In den zusammenhängenden Kapiteln 1 bis 9 werden im Folgenden erfahrungsorientiert, theoriegestützt und praxisorientiert die entscheidenden Aspekte für produktives Lernen vorgestellt. Damit Lernen gelingt, braucht es neben den Hauptakteuren Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler die Unterstützung durch Eltern und Familie sowie die Verpflichtung von Gesellschaft und Kultur.

Abbildung1

Struktur des Buches Einfach gut lernen

Umrahmt werden die einzelnen Kapitel durch persönliche Statements zum Thema Lernen von Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Diese pointierten, kreativen und unerwarteten Stellungnahmen basieren auf persönlichen Lebenserfahrungen aus Bereichen wie Sport oder Kultur und eröffnen spannende neue Perspektiven auf das faszinierende Feld des Lernens.

Im abschliessenden 10. Kapitel Unser Fazit. Unsere Botschaft werden wir unsere Sicht der Bedeutung der vier umfassenden Einflussfaktoren Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Eltern und Gesellschaft in Form von persönlichen Statements darlegen und zur Diskussion stellen.

Wie sind die Kapitel strukturiert?

Die Kapitel 1 bis 9 sind gleich aufgebaut und beziehen Sie als Leserin, als Leser aktiv mit ein. In den einzelnen Kapiteln sind Sie in einem ersten Schritt dazu aufgefordert, sich mit Ihren eigenen schulischen Erfahrungen oder aktuellen Fragen zu den jeweiligen Themen auseinanderzusetzen. Sie sollen Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse festhalten und diese mit Kolleginnen und Kollegen diskutieren. In einem zweiten Schritt lernen Sie die Eckpunkte aktueller theoretischer Erkenntnisse und die wichtigsten Informationen in kompakter Form kennen. In einem dritten Schritt folgen generelle Anwendungsvorschläge und in einem vierten Schritt Übungen und Beispiele aus der Praxis.

Abbildung2

Struktur der Kapitel Einfach gut lernen

Das ist Ihre erste Aufgabe

Die Reflexion von persönlichen Lernerlebnissen und Lernerfahrungen spielt in diesem Buch eine wichtige Rolle. Der Physiker, Naturforscher, Mathematiker und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg hatte unserer Meinung nach Recht, als er vor rund 250 Jahren schrieb: « Der allzu schnelle Zuwachs an Kenntnissen, der mit zu wenigem eigenem Zutun erhalten wird, ist nicht sehr fruchtbar. Was man sich selbst erfinden muss, lässt im Verstand die Bahn zurück, die auch bei einer anderen Gelegenheit gebraucht werden kann. »[5]

Es lohnt sich also, wenn Sie sich Zeit nehmen und die folgenden Statements ergänzen – so wie es in diesem Buch auch zehn Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben tun.

•Lernen bedeutet für mich …

•Mein schönstes Lernerlebnis als Kind …

•Mein schönstes Lernerlebnis als Erwachsene(r) …

•« Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss » heisst es im Buch Max und Moritz von Wilhelm Busch. Was denn?

•Um gut lernen zu können …

•Meine besten Lerntipps …

•Mein bisher geheimer Lerntrick …

•Was ich unbedingt noch lernen will …

Unser Vorgehen, unser Dank, unser Lernprozess

Wie bei unserem ersten gemeinsamen Buch « Einfach gut unterrichten » haben wir uns auch bei diesem Buch der Herausforderung gestellt, ein Buch zu schreiben und zu gestalten, das möglichst viele Leserinnen und Leser mit durchdachten Übungsformen erreicht, fachrichtig wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt und einen Spannungsbogen durchhält. Wir haben auf der Basis eines reichen Erfahrungsschatzes aus unseren Tätigkeiten in verschiedenen Stufen der Schule und Hochschule die von uns als am geeignetsten eingeschätzten Inhalte und Übungsformen aus den jeweiligen Themenbereichen ausgewählt. Von entscheidender Bedeutung war unsere enge gemeinsame Arbeitsweise als Autorinnen und Autoren mit einem regelmässigen Face-to-Face-Austausch auf Augenhöhe – gleich einem fachlichen Pingpongspiel. In Zeiten der Corona-Krise haben wir zudem die elektronischen Austauschmöglichkeiten effizient nutzen und schätzen gelernt.

Es gibt viele Menschen, die einen wichtigen Beitrag zur Entstehung dieses Buches geleistet haben. Ihnen allen möchten wir herzlich danken. Hervorheben möchten wir vom hep Verlag Peter Egger, der uns freundschaftlich zu diesem Nachfolgebuch ermuntert hat, und Christian de Simoni als zuverlässige und kompetente direkte Ansprechperson für all unsere Anliegen. Ein ganz besonderer Dank geht an alle Persönlichkeiten, die mit ihren sehr persönlichen Aussagen den Blick auf das Lernen auf faszinierende Art und Weise erweitert haben. Ihre spontanen Zusagen haben uns ebenso gefreut wie ihre spannenden Antworten. Weiter danken wir unserem langjährigen Kollegen Donat Bräm für seine gestalterische und fotografische Unterstützung.

Stephan Eicher hat unsere Lernprozesse beim Schreiben und Diskutieren auf einen wunderbar formulierten einfachen Nenner gebracht: Verlangsamung, Wiederholung, Schürfwunde, Begreifen, Glück. Es würde uns freuen, wenn Sie, liebe Leserin, und Sie, lieber Leser, bei Ihrer Lektüre und beim Diskutieren Ähnliches erfahren würden.

Zürich, im März 2021

Hans Berner

Rudolf Isler

Wiltrud Weidinger

 

Literaturangaben

[1]Matthias Pöhm: Das Rhetorik-Seminar, online unter: http://www.rhetorik-seminar-online.com/gratis-nutzen-fur-sie/lernen-einfach-gemacht/ [14.11.2020]

[2]Martin Krengel: Lerntipps für Prüfungen, online unter: https://www.studienstrategie.de/lernen/lerntipps-fuer-pruefungen-wie-lernen-studenten-und-schueler-am-besten/ [14.11.2020]

[3]Tages-Anzeiger: Die besten Lerntricks für Kinder, Mamablog, online unter; https://www.tagesanzeiger.ch/die-besten-lerntricks-fuer-kinder-853852526317 [14.11.2020]

[4] Aus dem Beitrag von Pedro Lenz in diesem Buch: « Lernen bedeutet für mich Anstrengung, die sich in jedem Fall lohnt, und ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. »

[5]Lichtenberg: Schriften und Briefe. Band 1: Sudelbücher I. 1994, S. 196.

1.

Das Kapitel geht auf diese Themen ein und beantwortet folgende Fragen

• Was versteht man unter Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept, und welche Bedeutung haben beide für das Lernen ?

• Wie kann man die Selbstwirksamkeit von Schülerinnen und Schülern stärken und ein positives Selbstkonzept fördern – und insgesamt auf ein « dynamisches Selbstbild » hinarbeiten, das Zukunftsoffenheit und Weiterentwicklung verspricht ?

• Wie erkennen wir eine unterminierte Selbstwirksamkeit oder ein problematisches Selbstkonzept ? Welche Kinder und Jugendlichen sind gefährdet ? Was können wir tun ?

• Welche gesellschaftlichen Entwicklungen machen eine hohe Selbstwirksamkeit und ein positives Selbstkonzept so wichtig, und wie wirkt das kulturelle Umfeld auf beide ?

 

« Wir sind, ein jeder von uns, reicher, als wir glauben. »

Nach Michel de Montaigne (1533–1592)

« What is really important is the state of mind from which you do it. »

Marina Abramović (* 1946)

 

SELBSTWIRKSAMKEIT UND SELBSTKONZEPT

Wir alle wissen aus unserer täglichen Erfahrung, dass das Selbstvertrauen für uns Menschen in fast allen Lebenslagen eine entscheidende Rolle spielt. Wenn wir uns sicher fühlen, gehen wir optimistischer durchs Leben. Was auf uns zukommt, scheint uns dann leichter zu bewältigen. Wir haben mehr Mut, etwas Neues auszuprobieren, etwas zu wagen, unserem Leben eine neue Richtung zu geben oder etwas in Angriff zu nehmen, vor dem wir grossen Respekt haben.

Es erstaunt deshalb nicht, dass es eine riesige Anzahl von Ratgebern zum Thema gibt[1] und dass das Netz voll von gutgemeinten Ratschlägen ist: « Selbstvertrauen aufbauen: 20 Power-Tipps für den Alltag » oder « 108 Tipps für ein starkes Selbstbewusstsein » sind nur zwei davon. So problematisch und vereinfachend die Anleitungen oft sind, so deutlich widerspiegeln sie die Wichtigkeit der Thematik – einer Thematik, die speziell für das Lernen von grösster Bedeutung ist.

Wir werden uns der Frage, wie man Selbstvertrauen aufbaut, über die psychologischen Begriffe der Selbstwirksamkeit und des Selbstkonzepts annähern. Damit befinden wir uns einerseits auf einem evidenzbasierten Boden und schaffen die notwendige Differenz. Andererseits bewegen wir uns im Bereich von Konzepten, die für die Pädagogik nachvollziehbare Hinweise liefern, wie das gefördert werden kann, was umgangssprachlich mit Selbstvertrauen gemeint ist.

Es sind technische, gesellschaftliche und didaktische Entwicklungen, auf die wir in diesem Kapitel hinweisen werden und die ganz neue Anforderungen an Kinder und Jugendliche stellen – Anforderungen, welche Schülerinnen und Schüler mit einer stabilen Selbstwirksamkeit und einem günstigen Selbstkonzept besser meistern werden. Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept sind für das schulische Lernen, für das berufliche Vorankommen und für das Wohlbefinden in unserer Zeit fundamental.

DAS IST IHRE AUFGABE

1.Kann man aus einem Fiat einen Ferrari machen ?

Nachdem Eltern in einem Gespräch zum Übertritt von der Primar- in die Sekundarschule höhere Erwartungen formuliert haben, sagt eine Kollegin/ein Kollege zu den Eltern: « Aus einem Fiat kann man eben keinen Ferrari machen! » Welche Fragen gehen Ihnen zu dieser Situation durch den Kopf ? Welche Position nehmen Sie dazu ein ? Wie würden Sie als Mutter oder Vater im Übertrittsgespräch in dieser die Situation reagieren ?

2.« Ich kann alles lernen – das kann ich nie lernen! »

Gibt es in Ihrer Biographie ein erfolgreiches Lernerlebnis, nach dem Sie das Gefühl hatten: « Jetzt kann ich alles lernen in dieser Welt! ». Oder ein Erlebnis in Schule, Familie, Sport, Musik oder Freizeit: « Das, was der oder die kann, das kann ich sicher auch! » Oder umgekehrt: « Was der oder die kann, werde ich niemals können. » Was war ausschlaggebend für Ihre Einschätzungen ? Tauschen Sie sich mit einer Kollegin oder einem Kollegen über diese Fragen aus! Gibt es einzelne Erlebnisse oder länger andauernde Konstellationen, die Ihr Selbstvertrauen im schulischen Lernen positiv oder negativ beeinflusst haben ?

3.Wie schätzen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler ein ?

Nehmen Sie Ihre Klassenliste zur Hand oder vergegenwärtigen Sie sich die Schülerinnen und Schüler Ihrer letzten Praktikumsklasse anhand eines Klassenspiegels. Versuchen Sie eine Einschätzung: Glauben die Schülerinnen und Schüler daran, aus eigener Kraft Schwierigkeiten, denen sie begegnen, bewältigen zu können ? Markieren Sie mit:

 = eher ja,

 = eher nein,

 = ich bin mir unsicher.

Setzen Sie zudem ein Ausrufezeichen, wenn Sie annehmen, dass die Deklaration oder die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler wesentlich von der effektiven Leistungsfähigkeit abweichen. Welches Fazit ziehen Sie aus den Beobachtungen ? Haben Sie bereits Ideen, wie unsichere Schülerinnen und Schüler im Glauben an sich selbst gestärkt werden könnten ?

4.Spring ich vom Drei-Meter-Brett oder bleib ich unten ?

« Spring ich vom Drei-Meter-Brett oder bleib ich unten ? » Sammeln Sie zehn Fragen aus verschiedenen Lebensbereichen und Altersklassen, die auf Situationen und Entscheidungen verweisen, welche Rückschlüsse auf Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept ermöglichen.

5.Kann man sich als Schülerin oder als Schüler einer Lehrperson anvertrauen ?

Hatten Sie eine Lehrerin oder einen Lehrer, mit der oder dem Sie in der Pubertät über persönliche Fragen vertrauensvoll sprechen konnten (zum Beispiel über Ängste und Selbstzweifel bezüglich ihrer schulischen Laufbahn, über Unsicherheiten im sozialen oder körperlichen Bereich, über Konflikte mit den Eltern) ? Wenn ja, was hat es ausgemacht, dass das möglich war ? Wenn nein, was wäre nötig gewesen, damit Sie ein vertrauensvolles Gespräch gesucht hätten ? Mit wem haben Sie stattdessen gesprochen ?

DAS MÜSSEN SIE WISSEN

1 Was bedeutet Selbstwirksamkeit und wie kann sie gefördert werden ?

Der Begriff der Selbstwirksamkeit – oder präziser: Selbstwirksamkeitsüberzeugung – erschien noch vor einigen Jahren als eher sperrig, aber er hat sich immer selbstverständlicher ins pädagogische Vokabular eingefügt. Er entstammt der sozial-kognitiven Lerntheorie von Albert Bandura[2] und ist so klar gefasst, dass sich daraus eindeutige Hinweise ableiten lassen, wie Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernen unterstützt werden können. Zwar haben fast alle psychologischen Richtungen und pädagogischen Ansätze sich in irgendeiner Art mit dem Hintergrund des alltagssprachlichen « Selbstvertrauens » auseinandergesetzt und dabei ihre eigene Begrifflichkeit entwickelt – Kompetenzüberzeugung, Ich-Stärke, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und viele mehr. Aber der Zugang von Bandura ist unserer Auffassung nach für die Pädagogik am hilfreichsten.

In einer viel zitierten kurzen Formel fasst Bandura zusammen, was Selbstwirksamkeit so bedeutend macht: « Motivation, Gefühle und Handlungen von Menschen resultieren in stärkerem Maße daraus, woran sie glauben oder wovon sie überzeugt sind, und weniger daraus, was objektiv der Fall ist. »[3] Es ist also der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, der entscheidend ist. Definiert wird Selbstwirksamkeit folgerichtig als subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können. Es geht dabei nicht um Aufgaben oder Probleme, die durch einfache Routine lösbar sind – wie zum Beispiel Fahrrad fahren –, sondern um solche, deren Schwierigkeitsgrad die Investition von Anstrengung und Ausdauer nötig macht.[4]

Wie selbstwirksam sich Schülerinnen und Schüler empfinden, lässt sich über einen Fragebogen erheben, der eher einfach scheint und dessen Auswertung vor allem als Grundlage für Gespräche mit Schülerinnen und Schülern dienen kann (siehe Übungen und Beispiele). Aber auch durch Beobachtung können wir uns ein Bild machen. Bestimmte Haltungen von Kindern deuten auf eine hohe Selbstwirksamkeit hin, zum Beispiel eine grosse Ausdauer, eine hohe Anstrengungsbereitschaft, ein hohes Anspruchsniveau, ein effektives Zeitmanagement, eine gewisse Flexibilität beim Problemlösen, eine realistische Einschätzung der eigenen Leistung oder selbstwertförderliche Ursachenzuschreibungen (Attributionen). Nicht restlos erforscht ist, wie die Unterschiede in den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Kindern zu erklären sind. Auch wenn der familiäre Background einen überragenden Einfluss auf die Selbstwirksamkeit hat, können Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler im Unterricht unterstützen. Es gibt im Prinzip vier Wege, Selbstwirksamkeit zu stärken:[5]

Weg

Begriff bei Bandura

Effektstärke

Durch eigene Erfolgserfahrungen

Experience of Mastery

sehr hoch

Über inspirierende Modelle

Vicarious Experience

hoch

Durch verbale Überzeugung

Verbal Persuasion

erkennbar

Durch Verstärken positiver Emotionen

Emotional Arousal

gering

•Eigene Erfolgs- oder Kompetenzerfahrungen wirken am stärksten. Wenn es Heranwachsenden gelingt, aus eigener Kraft Aufgaben zu lösen und Lernerfolge zu erzielen, fühlen sie sich selbstwirksam. Im Psychischen ist jeder Kraftzuwachs die Folge der Überwindung von Schwierigkeiten.[6] Als Lehrpersonen sollte man Schülerinnen und Schüler dabei nicht alleinlassen, jedoch gleichzeitig von ihnen fordern, dass sie Schwierigkeiten selbst überwinden – nach dem Grundgedanken der Montessoripädagogik: « Hilf mir, es selbst zu tun! ». Wenn Kinder eine Hürde genommen haben, sollte man ihnen bewusst machen, was sie geleistet haben. Das setzt voraus, dass man sie genau beobachtet und ihr Lernen verfolgt.

• Die zweitstärkste Quelle von Selbstwirksamkeit sind – entgegen der pädagogischen Intuition – Modelle, die zeigen, dass etwas möglich ist. Wenn Schülerinnen und Schüler sehen und von den Lehrpersonen auch darauf hingewiesen werden, dass anderen dieses oder jenes gelungen ist, ist die Chance hoch, dass sie einen Optimismus entwickeln, ähnliche Herausforderungen ebenfalls anzunehmen.

• Fast etwas zu Unrecht sind verbale Überzeugungsversuche in der pädagogischen Praxis verbreiteter als die ersten beiden Impulse. Verbale Ermutigung wirkt zwar auch, aber weniger stark und weniger dauerhaft als Kompetenzerleben und Modelle. Zudem ist es nicht immer ganz einfach, die richtigen ermutigenden Worte zu finden: « Du schaffst das, es ist ganz einfach! » könnte durchaus auch entmutigend wirken – dann nämlich, wenn dem Kind die Aufgabe nicht gelingt.

• Schliesslich hängt Selbstwirksamkeit mit Gefühlslagen zusammen. Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt guter Stimmung ist und positive Emotionen erlebt, fühlt sich selbstwirksamer. Dieser Befund verweist darauf, dass es wichtig ist, dass die Lehrperson die emotionale Befindlichkeit jedes und jeder Einzelnen im Auge hat.[7]

Schülerinnen und Schüler mit einer schwächeren Selbstwirksamkeitsüberzeugung neigen dazu, Erfolge und Misserfolge nicht richtig einzuordnen. Sie sehen die Ursachen von Misserfolgen im Ungenügen ihrer eigenen Person, attribuieren diese also internal, und schreiben Erfolge den äusseren Umständen zu, attribuieren dann external.[8] Um die Selbstwirksamkeit zu stärken, ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler erkennen lernen, wie eine gute Note mit ihrer Lernanstrengung zusammenhängt und dass eine Prüfungssituation kontrollierbar und nicht dem Zufall überlassen ist. Da Attribuierungsprozesse auch in einem engen Zusammenhang zur Motivation stehen, wird diese Frage in Kapitel 6, Motivation und Anregung, nochmals aufgegriffen.

Weiter ist für die Praxis relevant, zwischen genereller und spezifischer Selbstwirksamkeit zu unterscheiden.[9] Wer sich zutraut, seine sozialen Kontakte zu pflegen, muss sich nicht zwingend auch zutrauen, Lösungen für Geometrieaufgaben zu finden. Viele Beispiele zeigen aber: Wenn es in einem spezifischen Bereich, in dem die Selbstwirksamkeit eines Menschen eher gering ist, gelingt, einen Erfolg zu erlangen, strahlt dieser Erfolg auf andere Bereiche aus.[10] Deshalb soll man mit Schülerinnen und Schülern nicht nur Stärken stärken, sondern auch Schwächen schwächen. Das heisst: Heranwachsende sollen in ihrem Lernen zwar unterstützt werden, indem man bei ihren Stärken ansetzt. Ebenso wichtig sind aber Erfahrungen, in einem Fach, das man sich ganz und gar nicht zutraut, besser, ja gut zu werden. Wenn das gelingt, ist für das ganze Leben mehr Sicherheit gewonnen.

2 Wie wichtig ist das Selbstkonzept von Kindern und Jugendlichen für ihr Lernen ?

Selbstkonzept ist etwas schwieriger zu fassen als Selbstwirksamkeit, weil der Begriff in ganz verschiedenen theoretischen Zusammenhängen unterschiedlich verwendet wird. Als gemeinsamer Nenner kann gelten, dass das Selbstkonzept auf die Frage « Wer bin ich ? » antwortet und die Art und Weise beinhaltet, wie wir über uns selbst denken – über unsere Fähigkeiten, über unsere sozialen Beziehungen und über unsere Körperlichkeit.[11] Es geht also um das Wissen und die Überzeugungen, die ein Mensch insgesamt von sich hat. Die ergänzenden Begriffe « Selbstwert » oder « Selbstwertgefühl » stehen dagegen für die Gefühle, die man sich selbst gegenüber empfindet, für das affektive Urteil über den eigenen Wert.[12] Da « Selbstkonzept » wie auch der Teilbegriff « Selbst » sowie verwandte Begriffe wie Identität in verschiedenen Disziplinen verwurzelt sind – Soziologie, Philosophie, psychotherapeutische Schulen –, lässt sich der Begriff nicht ganz trennscharf fassen.

Trotz dieser begrifflichen Schwierigkeiten ergeben sich aus der Beschäftigung mit den Befunden zum Selbstkonzept hilfreiche Hinweise für das Lernen:

• Vor allem Kindergartenkinder, aber auch noch Primarschulkinder haben tendenziell bezüglich der eigenen Fähigkeiten ein eher zu optimistisches Selbstkonzept, sie schätzen sich besser ein, als sie sind. Mit zunehmendem Alter werden sie normalerweise realistischer. Eine fehlende Übereinstimmung mit der Realität ist längerfristig problematisch, weil es zu Differenzen zwischen Selbstbild und Fremdbild kommt. Pädagogisch ist es sinnvoll, diese Übereinstimmung zu fördern, aber nicht zu forcieren, denn eine unvorsichtige Konfrontation mit der Realität birgt die Gefahr von Resignation und Entmutigung in sich.

• In der Diskussion um das Selbstkonzept werden verschiedene Teilaspekte unterschieden. Insbesondere das Fähigkeitsselbstkonzept – und dieses in verschiedenen Schulfächern – verdient pädagogische Beachtung. Im Gegensatz zur Selbstwirksamkeit, die prospektiv ausgerichtet ist, ist das Selbstkonzept bilanzierend. Wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler im Bereich ihres Fähigkeitsselbstkonzepts nicht nur sehen, was sie nicht können, sondern auch was sie können.

• Dabei spielt die Umgebung eine grosse Rolle, denn das Fähigkeitsselbstkonzept entwickelt sich zum Teil im Vergleich mit anderen Kindern. Besonders berücksichtigt werden muss, was Herbert Marsh unter dem Begriff « Grosser-Fisch-im-kleinen-Teich-Effekt »[13],[14] beschrieben hat: Wer sich in einer Umgebung leistungsschwächerer Mitschülerinnen und Mitschüler befindet, fühlt sich stärker und lernt motivierter – und umgekehrt. Vor allem bei Übertritten, zum Beispiel von der Primarschule ins Gymnasium, muss beachtet werden, dass die neue Umgebung von vielen Leistungsstarken zu Zweifeln am eigenen Fähigkeitsselbstkonzept führen kann.

• Nach wie vor ist es zudem so, dass Knaben durchschnittlich ein besseres Fähigkeitsselbstkonzept im Bereich von Mathematik und Sport haben, Mädchen dagegen im Bereich der Sprachen und der Musik – was nicht direkt mit den effektiven Leistungen korrespondiert.[15] Bei Mädchen sinkt das Fähigkeitsselbstkonzept ab etwa dem dritten Schuljahr ab – etwas schneller als das bei Buben ebenfalls der Fall ist. Zudem scheinen Mädchen deutlich mehr von gruppendynamischen Phänomenen beeinflusst. Zu einer Gruppe gehören zu wollen führt bei Mädchen dazu, dass sie sich zum Teil schlechter einschätzen, als sie eigentlich sind. Dies sollte im Umgang mit Mädchen bedacht werden.

• Ein Versuch, « Selbstkonzept » zu fassen, ist das hierarchisch strukturierte Modell von Shavelson.[16] Es lenkt den Blick auf ein ausgewogenes Selbstkonzept. Seine empirische Überprüfung hat später für das schulische Selbstkonzept zu einer klaren Differenz zwischen einem generell mathematischen und einem generell sprachlichen Selbstkonzept geführt.[17]

Abbildung3

Hierarchisch strukturiertes Selbstkonzept nach Shavelson

Der Ansatz von Shavelson verweist darauf, dass es vor allem in der Pubertät notwendig ist, die gesamte Entwicklung der jungen Menschen im Auge zu haben und die Heranwachsenden in der Schule nicht nur im Bereich ihres schulischen Selbstkonzepts zu unterstützen, sondern auch die nichtschulischen Aspekte einzubeziehen. Problematische Selbsteinschätzungen im sozialen, emotionalen und körperlichen Bereich haben Rückwirkungen auf das globale Selbstkonzept und dieses wiederum auf das schulische Selbstkonzept.

• Ebenfalls in der Zeit der späten Kindheit und der frühen Jugend sind pädagogische Massnahmen zur Stärkung des Selbstwertes besonders angezeigt; Erkenntnisse über Entwicklungsverläufe legen dies nahe. Auch wenn es keine präzise Übereinstimmung zwischen Selbstkonzept und Selbstwert gibt, so ist eine tendenzielle gegenseitige Beeinflussung belegt. Heranwachsende mit einem geringen Selbstwert zeigen auch Unsicherheiten in ihrem Selbstkonzept.[18] Deshalb scheint die gleichzeitige Förderung eines positiven Selbstkonzepts und eines hohen Selbstwertes angezeigt.

• Informationstheoretische Ansätze, wie zum Beispiel derjenige von Sigrun-Heide Filipp, gehen davon aus, dass die Heranwachsenden sich ihr Wissen über ihre Person selbst konstruieren. Dies geschieht in einem kontinuierlichen Verarbeitungsprozess von Prädikatszuweisungen durch andere und von Prädikatsselbstzuweisungen: Jedes Kind nimmt wahr, wie sich andere Menschen verbal und – mindestens so wichtig – nonverbal ihm gegenüber äussern, und es beginnt mit zunehmendem Alter auch über Vergleich und Reflexion sich selbst zu definieren.[19] Aktualisiert wird das so gewonnene Selbstkonzept in Handlungssituationen. Pädagogisch hilfreich dabei ist der dreifache Fokus, den dieses Modell für die Förderung eines positiven Selbstkonzepts nahelegt: äussere Einflüsse, Vergleich und Reflexion über sich selbst.

Wie ein positives und gleichzeitig realistisches Selbstkonzept gefördert werden kann, lässt sich nicht so klar beantworten, wie das für die Stärkung für die Selbstwirksamkeit möglich ist. Auf jeden Fall gibt es keine einfachen Techniken, die Aufgabe ist zu global. Sie ist mit der gesamten Entwicklung der Heranwachsenden verbunden. Sicher sind verschiedene Instrumente, die in Kapitel 2Selbstregulation und Regeln im Zusammenhang mit geregelten schulischen Lernbedingungen erwähnt werden, hilfreich, zum Beispiel PFADE, das den Fokus darauf legt, dass sich Schülerinnen und Schüler besser kennenlernen. Ein pädagogisch interessanter, grundlegender Hinweis findet sich auch bei der Stanford-Psychologin Carol Dweck.

3 Ein dynamisches Selbstbild als Ziel – ein Versprechen für Zukunftsoffenheit

In ihrem viel beachteten Buch Selbstbild schreibt Dweck: « Die Frage, ob menschliche Eigenschaften in Stein gemeisselt oder veränderbar sind, ist alt. Doch die Frage, welchen Einfluss es auf unser Leben hat, wenn wir das eine oder das andere glauben, wird erst seit kurzem gestellt: Was ist die Konsequenz, wenn wir glauben, dass wir unsere Intelligenz und unsere Persönlichkeit weiterentwickeln können, statt zu glauben, es handle sich um unveränderbare und tief verwurzelte Eigenschaften ? »[20]

Bei einem statischen Selbstbild, so die Terminologie von Dweck, geht man davon aus, dass die Menschen ihre Eigenschaften von Geburt aus mitbekommen wie ein Pokerblatt, das ausgegeben wird und so bleibt, wie es ist. Bei einem dynamischen Selbstbild dagegen geht man davon aus, « dass Sie Ihre Grundeigenschaften durch eigene Anstrengungen weiterentwickeln können ».[21] Dweck postuliert nicht, dass alle alles erreichen können, aber sie insistiert darauf, dass das Potenzial eines Menschen nicht von Anfang an erkennbar ist und dass man nicht vorhersagen kann, was ein Mensch durch Leidenschaft, Übung und Einsatz in seinem Leben zu erreichen vermag.

Schülerinnen und Schüler mit einem statischen oder einem dynamischen Selbstbild unterscheiden sich gemäss Dweck in fast allen Belangen, die für das Lernen wichtig sind. Exemplarisch werden hier ein paar Aspekte einander gegenübergestellt:

Statisches Selbstbild

Dynamisches Selbstbild

Fähigkeiten sind angeboren und nicht veränderbar. Nur Talent zählt.

Fähigkeiten lassen sich durch eigene Anstrengungen weiterentwickeln.

Wer sich anstrengen muss, hat zu wenig Talent respektive Intelligenz.

Anstrengung führt zu Talent und Intelligenz.

Ein Misserfolg bedeutet Scheitern.

Ein Misserfolg ist eine Lernchance.

Schwächen sind ein Tabu, weil sie als nicht veränderbar gelten.

Man kann sich Schwächen eingestehen, da sie veränderbar sind.

Zwar gibt es Kritik an Carol Dweck, es wird beanstandet, dass ihre Forschungsarbeiten nicht replizierbar seien und dass ihre Auffassungen eine zu wenig breite empirische Basis hätten. Diese Kritik wird allerdings nicht in etablierten Publikationen geäussert und ist nicht über alle Zweifel erhaben.[22] Für die pädagogische Aufgabe, bei Heranwachsenden ein optimistisches Selbstkonzept und eine gute Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu fördern, scheint uns der Ansatz von Dweck in hohem Maße brauchbar. Schülerinnen und Schüler mit einem dynamischen Selbstbild werden eher in der Lage sein, sich diesbezüglich positiv zu entwickeln.

4 Welche Kinder sind gefährdet, wo liegen die Gefahren und was können wir tun ?

Als erster Hinweis darauf, welche Kinder im Bereich von Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit gefährdet sind, mag ein grundsätzlicher Befund aus der 16. Shell-Jugendstudie dienen.

Abbildung4

Lebenszufriedenheit von 12- bis 25-Jährigen in Prozent

Auch wenn die aus der Abbildung ersichtliche faktische Ausgrenzung der sozioökonomisch schwächsten Mitglieder der Gesellschaft von Lebenszufriedenheit viele Aspekte beinhaltet, so verweist sie doch auch auf Defizite im Bereich des Selbstkonzeptes und der Selbstwirksamkeit. Unter der Überschrift « Die Rückkehr der sozialen Frage » bestätigt der Individualpsychologe Martin Schürz den Zusammenhang.[23] Kinder aus tieferen sozialen Schichten mit Armutsrisiko – vor allem aus Alleinerzieherinnen-Familien und Mehrkinderfamilien –, deren Eltern zumal geringere Bildungsabschlüsse besitzen, haben nicht nur objektiv schlechtere Startbedingungen. Was wichtiger ist: « Ihnen fehlt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten », so Schürz.

Die Stärkung der Selbstwirksamkeit von gefährdeten Kindern ist eine schwierige Aufgabe für Lehrerinnen und Lehrer. Matthias Jerusalem hat gezeigt, dass sie sich durch Misserfolge enorm viel stärker verunsichern lassen als Kinder mit einer stabilen Selbstwirksamkeit. Es braucht deshalb eine grosse Sensibilität und Menschenkenntnis,

• sie einerseits zu fordern und Ansprüche an sie zu stellen, damit sie echte Leistungen erbringen und Erfolge erzielen können,

• sie aber andererseits nicht zu vielen Misserfolgen auszusetzen, weil sie durch Misserfolge sofort verunsichert werden.

Auch problematische Selbstkonzepte – eine mangelnde Übereinstimmung zwischen Realität und Selbstkonzept, keine Wahrnehmung eigener Stärken, ein statisches Selbstbild, ein geringer Selbstwert – sind bei Kindern mit sozial schwierigen Startbedingungen wahrscheinlicher. Da es im Bereich des Selbstkonzepts um ganz globale Entwicklungsfragen geht, braucht es umfassende Ansätze, um unterstützend zu wirken. Zuerst gilt es, Vertrauen zu schaffen und eine tragfähige Beziehung zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern zu etablieren. Auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung können regelmässige Gespräche über die oben angesprochenen Aspekte des Selbstkonzeptes viel bewirken.

Speziell von Interesse ist, dass es immer wieder Kinder und Jugendliche gibt, die sich trotz schlechter Startbedingungen gut entwickeln. Das Phänomen wird unter dem Begriff der Resilienz seit einiger Zeit breiter diskutiert. Remo Largo hat sich kürzlich sehr hilfreich dazu geäussert, indem er auf den Ursprung des Begriffs bei Emmy Werner in den 1950er-Jahren hingewiesen hat. Werner hat in ihren Langzeituntersuchungen auf einer Hawaii-Insel festgestellt, dass ein Drittel der Kinder mit schlechten Voraussetzungen recht gut durchs Leben kamen.[24] Largo hat im Rückblick auf Werners Forschungen hervorgehoben, dass dieses Drittel « attraktive » Kinder gewesen seien, Kinder also, die in irgendeiner Weise – durch angelegte Fähigkeiten, durch ihr Äusseres, durch ihre ansprechende soziale Art usw. – etwas an sich hatten, was bei Eltern sowie bei Lehrpersonen und Betreuenden ein zugewandtes und helfendes Verhalten ausgelöst hat.[25] Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass Lehrpersonen bei sozial benachteiligten Kindern hilfreich sein können, wenn es ihnen gelingt, das « Attraktive » an diesen Kindern zu entdecken, das es ihnen erlaubt, einen positiven Zugang zu finden. Resilienz ist kein aus sich selbst heraus wirksames Prinzip, das man einfach arbeiten lassen kann.

5 Hilft der Blick auf die eigene Kultur und auf fremde Kulturen ?

Die HBSC-Studien (Health Behavior in School-aged Children) der WHO erfragen in 50 Ländern verschiedene Aspekte des Gesundheitsverhaltens und der Lebensstile von Schulkindern. Die 2018 durchgeführte Studie zeigte für die Schweiz unter anderem folgende Resultate:[26]

• 52,9 % der 14- bis 15-jährigen Jungen und 30,6 % der gleichaltrigen Mädchen sind mit ihrem Aussehen zufrieden.

• 35,9 % der 14- bis 15-jährigen Jungen und 17,6 % der gleichaltrigen Mädchen wünschen sich, muskulöser zu sein.

• 15,5 % der 14- bis 15-jährigen Jungen und 32,4 % der gleichaltrigen Mädchen wünschen sich, weniger Körperfett zu haben.

Auf der einen Seite zeigen diese Zahlen deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede im Bereich des Körperselbstkonzepts, deutlichere als die weiter oben angesprochenen Unterschiede im Bereich des Fähigkeitsselbstkonzepts. Das tendenziell weniger stabile Selbstkonzept der Mädchen bezüglich ihres Körpers erfordert pädagogische Antworten: einfühlsame Gespräche mit Lehrerinnen, einen auf ein gutes Körpergefühl ausgerichteten Sportunterricht usw. Auf der anderen Seite wird klar, was auch Lohaus und Vierhaus in ihrem Standardwerk zur Entwicklungspsychologie betonen: Das negativere Selbstbild von Mädchen erklärt sich durch die Übernahme einer Geschlechtsrollenidentität, die sich an gesellschaftlichen Schönheitsidealen orientiert.[27]

Ganz grundsätzlich ergeben sich durch den Blick auf die gesellschaftliche Umgebung, in der wir aufwachsen, und auf die kulturellen Eigenheiten, mit denen wir konfrontiert werden, äusserst wertvolle Anregungen und Fragen für die Arbeit mit Heranwachsenden und für die Hilfen, die wir ihnen für die Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit und für den Aufbau eines positiven Selbstkonzepts anbieten können:

• In seinem Artikel Der Umgang mit Niederlagen – eine Frage der Kultur[28] vergleicht Claus Schreier den Umgang mit Scheitern in der Schweiz und in den USA. Während Amerikaner nach Niederlagen gewohnt sind, aufzustehen und sich gewissermassen « selbst am Schopf aus dem Sumpf » zu ziehen, sind bei Schweizerinnen und Schweizern Fehlerfreiheit, Absicherung, Beschönigen und Rechtfertigen hoch im Kurs. Scheitern dagegen ist negativ. Auch wenn kritisch Distanz geboten ist, kann man sich fragen, ob für das Weiterlernen nach Misserfolgen die amerikanische Kultur möglicherweise Inspiration und Ermutigung sein könnte.

• Im Artikel Ansprüche ? Pflichten![29] legt Urs Schoettli dar, dass in westlichen Industriegesellschaften eine Anspruchs- und Anrechtsmentalität im Vordergrund stehe. In asiatischen Gesellschaften ragen hingegen die Werte Pflicht und Harmonie heraus. Pflicht wird zu einem Push-Faktor für Anstrengung und Selbstwirksamkeit, und erzwungene Harmonie sorgt dafür, dass diese Pflicht nicht verletzt wird. Als Rahmenbedingungen für das Lernen kommen Achtsamkeit und Beflissenheit hinzu. Der Aufstieg der konfuzianisch geprägten Gesellschaften und auch der Erfolg ihrer Lernenden stehen in einem Zusammenhang zu diesen kulturellen Werten. Sicher gibt es berechtigte Einwände gegen den asiatischen Weg. Bei uns fasst niemand ins Auge, ihn unbesehen zu beschreiten. Er könnte jedoch dazu anregen, sich Gedanken zu machen, welcher alternative Umgang mit Heranwachsenden, die gegenüber den Anforderungen der Schule eine zu coole Haltung einnehmen, sinnvoll wäre.

• Im Artikel Das vietnamesische Wunder[30] weist Martin Spiewak darauf hin, dass die Kinder der vietnamesischen Wanderarbeiter im Osten Deutschlands – auf den ersten Blick völlig überraschend – in den zwei Jahrzehnten nach der Wende hervorragende Schulleistungen erbrachten. Dies, obwohl ihr Background zu grossen Teilen dem entsprach, was man sich bei der Wendung Kinder mit Migrationshintergrund vorstellt: « Ihre Eltern arbeiteten in Hilfsberufen, nicht selten 60 Stunden pro Woche, oder sie hatten eigene Kleinunternehmen, z. B. eine Art rollende Restaurants, und waren bis in die Nacht hinein beschäftigt. Zum Teil mussten die Kinder mithelfen. Sie wohnten sehr oft in beengenden Verhältnissen, meist in vietnamesischen Enklaven, in denen keine Deutschen wohnten – sie bildeten kleine Parallelgesellschaften. Deutsch konnten die Eltern im Allgemeinen sehr mangelhaft, und in ihren Wohnungen gab es kaum Bücher. »[31] Auf die Frage, weshalb ihre Kinder trotzdem so gut seien, antwortete ein Vater: « … weil alle vietnamesischen Eltern wollen, dass ihre Kinder gut sind in der Schule! » So banal die Antwort klingt, so präzis fängt sie ein, was als Kraft der Kultur bezeichnet werden kann.

Kulturelle Einflüsse können pädagogisch nicht ohne Weiteres übersteuert werden. Ihre Berücksichtigung kann aber gleichzeitig Verständnis erzeugen und Inspiration darstellen. Bis heute wissen wir zu wenig über interkulturelle und vergleichende Pädagogik. Wir verstehen zu wenig, wie sich der kulturelle Einfluss von jungen Menschen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder aus der Karibik, die durch Notlagen und Flucht zu uns in die Schulen kommen, auf ihr Selbstkonzept, ihre Selbstwirksamkeit und ihr Lernen auswirkt. Dasselbe gilt für Kinder – vor allem für Knaben – aus dem Balkan, der Türkei oder aus Portugal, die in den letzten drei Jahrzehnten gegenüber der Mehrheitsbevölkerung geringeren Schulerfolg haben.[32] Lehrerinnen und Lehrer haben hier zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Zukunft eine wichtige Aufgabe vor sich. Insgesamt soll der Blick auf andere Kulturen schliesslich auch dazu führen, Diskriminierung und Rassismus keinen Raum zu geben.

6 Weshalb werden Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit immer wichtiger für das Lernen ?

Der gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte rückt die Beschäftigung mit Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept ganz entschieden und unabweisbar ins Zentrum der Unterstützung von Lernenden. Drei Entwicklungen sind dabei herausragend:

1.Die Digitalisierung als über technischen Fortschritt initiierte Entwicklung mit weitreichenden Folgen:

Jöran Muuss-Merholz, ein Spezialist für Online-Fortbildung und Verfechter einer neuen digitalen Bildung, stellt fest, dass das Thema Digitalisierung lange ignoriert wurde, dass wir nun aber « nicht einen Hype, sondern geradezu Hysterie zur Digitalisierung der Schule » sehen.[33] Leider sei aber oft nicht alles so neu, wie es scheine, und mit digitalen Medien würden aktuell lediglich zwei Bereiche modernisiert: Input mit Visualisierung und Übung mit Feedback. Dabei muss es aber für Muuss-Merholz in einer zukunftsorientierten digitalen Pädagogik um mehr gehen, nämlich um neue Dimensionen von Bildung:

a. um Wissen,

b. um Skills (z. B. kritisches Denken, Kreativität),

c. um Charakter (z. B. Achtsamkeit, Resilienz, Neugier),

d. um Metalernen.

Bezüglich der methodischen Umsetzung spricht Muuss-Merholz auffallend oft von selbstorganisiertem Lernen, von Lernenden, denen « eine aktive und selbstbestimmte Rolle zugemutet wird », vom Empowerment der Lernenden, « die ihr Lernen selbst in die Hand nehmen ».[34] Auch wenn man die Digitalisierung der Schule nicht so radikal mit Schulreform verbindet, wie das viele Exponenten einer digitalen Bildung tun, so ist doch unzweifelhaft, dass dem selbstständigen Lernen eine grössere Bedeutung zukommen wird.

2.Die gesellschaftliche Individualisierung und Singularisierung als vielfach bestätigte soziologische Zeitdiagnose:

In seiner breit rezipierten Publikation « Die Gesellschaft der Singularitäten »[35] beschreibt Andreas Reckwitz die Digitalisierung als Teilaspekt einer umfassenden Singularisierung, die sich in der späten Moderne in den hoch industrialisierten Gesellschaften vollzieht. Im Anschluss an die in den letzten vierzig Jahren entstandenen soziologischen Analysen von Ulrich Beck, Anthony Giddens, Zygmunt Bauman oder Richard Sennett kommt Reckwitz zum Schluss, dass sich eine neue Mittelklasse mit einem « singularistischen Lebensstil » entwickelt hat. Diese Mittelklasse umfasst etwa ein Drittel der Bevölkerung, ihr Lebensstil ist dominant und er strahlt auf alle anderen Teile der Gesellschaft aus: Es geht um « Authentizität, Selbstverwirklichung, kulturelle Offenheit, Diversität, Lebensqualität und Kreativität ».[36] Der Tendenz nach handelt es sich dabei um ein Leben, das jeder Einzelne selbst und aus eigener Kraft bewältigen muss, denn für diesen Lebensstil gibt es keine Richtlinien. Zudem lösen sich traditionelle Bindungen, die in der klassischen Moderne den Einzelnen getragen haben, zusehends auf – Bindungen an Klasse, Schicht, Beruf, Familie, Kirche, Gewerkschaft, Nachbarschaft. Was bleibt, ist ein gesellschaftlich forcierter Selbstbezug, eine unabweisbare Aufgabe für jeden, seine Biografie zu konstruieren und sich zum Zentrum des eignen Lebens zu machen.[37]

3.Das selbständige Lernen als didaktischer Megatrend:

Sowohl Digitalisierung und in viel stärkerem Masse noch gesellschaftliche Singularisierung und Individualisierung verleihen dem Trend zu selbstständigem, selbstverantwortetem und selbstorganisiertem Lernen enormen Schub (vgl. Kapitel 9). Lernen in Lernlandschaften, in Ateliers, projektartiges Lernen, Projekte und viele Formen mehr sind mit beiden Phänomenen eng verbunden. Seit Beginn der Corona-Pandemie verstärkt sich diese Orientierung in der Schule. Eine kürzlich erfolgte Umfrage bei Lehrpersonen in der ersten Phase des Online-Unterrichts ergab 67 Prozent Zustimmung zur Aussage: « Ich werde Schülern mehr Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess geben. »[38]

Digitalisierung, Singularisierung und selbständiges Lernen erfordern von jungen Menschen eine hohe Selbstwirksamkeit, ein stabiles, positives Selbstkonzept und ein dynamisches Selbstbild.

7 Selbst, selbst, selbst – und wo bleibt das Wir ?

Je stärker das Individuum auf sich gestellt ist, desto mehr braucht es als Ergänzung die Gemeinschaft. Je digitaler gelernt wird, um so wichtiger wird das Analoge, die Beziehung zwischen Menschen – zwischen Schülerinnen und Schülern und zwischen ihnen und den Lehrpersonen.

Die zwischenmenschliche Beziehung zu pflegen, der Beziehung im Schulalltag Raum zu geben, Vertrauen aufzubauen, Feste und Schulanlässe zu feiern, verbindende Erlebnisse zu ermöglichen – all das bekommt gerade in einer Zeit zunehmender Digitalisierung und Individualisierung grösste Bedeutung. Nur auf dem Boden von Beziehung und gegenseitigem Vertrauen ist es möglich, die Heranwachsenden in den in diesem Kapitel besprochenen Bereichen zu unterstützen.

Nicht zuletzt deshalb haben Selbstwirksamkeitsforscher darauf hingewiesen, dass kooperatives Lernen und ein positives Klassen- und Unterrichtsklima geeignete Rahmenbedingungen für die Förderung der Selbstwirksamkeit darstellen.[39] Zudem haben sie darüber nachgedacht, ob es in der Schule nicht auch darum gehen müsste, eine kollektive Selbstwirksamkeit anzustreben.[40]

SO KÖNNEN SIE DAS ANWENDEN

1 Stellen Sie hohe Anforderungen

Schülerinnen und Schüler sollen weder über- noch unterfordert werden – eine Binsenwahrheit für alle Lehrpersonen. Indessen weiss man, dass für erfolgreiches Lernen eine hohe, positive Erwartungshaltung von Lehrerinnen und Lehrern und auch von Eltern entscheidend ist.[41] Eine leicht überfordernde Haltung scheint auf jeden Fall besser als Unterforderung; Unterforderung drückt implizit aus: « Ich erwarte eh nicht von dir, dass du viel leisten kannst! »

Überdeutlich hat das der bekannte russische Reformpädagoge Makarenko ausgedrückt. Seine Aussage kann trotz oder gerade wegen der Prägnanz auch heute noch Denkanstoss für jede Lernbegleitung sein: « Mein Grundprinzip … war immer: möglichst hohe Forderungen an einen Menschen, gleichzeitig aber auch möglichst hohe Achtung vor ihm. In unserer Dialektik ist dies im Grunde genommen ein und dasselbe. Von einem Menschen, den wir nicht achten, können wir nicht das Höchste verlangen. »[42]

Wenn Schülerinnen und Schüler die Erwartung spüren, dass sie aus eigener Kraft Schwierigkeiten bewältigen sollen, wird ihnen das helfen. So werden sie die stärkste Quelle von Selbstwirksamkeit am ehesten nutzen: die Erfolgserfahrung.

2 Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler ihr Leben im Rückspiegel betrachten

Der Psychologe Franz Petermann hat zur Stärkung von Selbstwirksamkeit und zu einer hilfreichen Attribution das Verfahren « Das Leben im Rückspiegel » vorgeschlagen.[43] Indem Schülerinnen und Schüler auf positiv verlaufene Lernsituationen zurückblicken, entwickeln sie Vertrauen, auch vor ihnen liegende Situationen bewältigen zu können. Das geschieht durch:

• einen gemeinsamen Rückblick auf schwierige Lernsituationen, die in der Vergangenheit erfolgreich bewältigt wurden

• das Zulassen von Stolz aufgrund von « Trotzdem-Erfolgen », von Erfolgen, die nicht unbedingt zu erwarten waren

Die Lehrperson kann dabei Fragen stellen wie:

• Wie konntest du diese Aufgabe, die fast über deine Kräfte ging, bewältigen ?

• Wenn du an die Lernsituation von damals denkst, was hilft dir heute noch dabei, eine Lernkrise zu überwinden ?

Abbildung5

Das Leben im Rückspiegel

3 Helfen Sie den Schülerinnen und Schülern lernförderlich zu attribuieren

Verwenden Sie viel Zeit darauf, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, was sie gelernt haben, was sie nun können und zuvor noch nicht gekonnt haben. Tun Sie das äusserst regelmässig und ritualisiert.

• Schon die Reformpädagogen haben darauf Wert gelegt, wie die nachfolgende Aussage von Alfons Simon aus der Zeit belegt, als am Samstag noch Schule war: « Keine Stunde wird beschlossen ohne die letzte Frage: Was haben wir erreicht ? Keinen Tag gehen wir nach Hause, ehe nicht zwei oder drei Minuten an diese Überlegung gewendet worden sind. […] Demselben Zweck dient der ganze Samstagsunterricht. »[44]

• Legen Sie für eine Schülerin oder einen Schüler zwei ihrer Hefte nebeneinander, eines aus der Mitte der ersten Klasse und eines aus der Mitte der dritten Klasse. Zeigen Sie, wie viel schöner und korrekter sie schreiben. Machen Sie klar, dass die Fortschritte durch Lernen und Üben entstanden sind.

• Führen Sie mit Schülerinnen und Schülern in einem bestimmten Fach (Mathematik, Sport etc.) ein sogenanntes « Kann-Buch »: Darin wird alles eingetragen, was sie durch ihr Lernen und Üben jetzt können.

Suchen Sie nach weiteren Möglichkeiten, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, was sie gelernt haben. So lernen sie ihren Fortschritt wahrzunehmen und mit der eigenen Leistung zu verbinden.

4 Arbeiten Sie auf eine leichte Überschätzung der Kompetenzüberzeugungen hin

In einem Forschungsprojekt der Pädagogischen Hochschule Zürich zu Kompetenzüberzeugungen haben Alex Buff und Iris Dinkelmann belegt, dass zwar Kompetenzüberzeugungen allein noch kein Garant für gutes Lernen darstellen, dass aber eine leichte Überschätzung der eigenen Kompetenzen für das Lernen vorteilhaft ist.[45]

Als Lehrpersonen scheint es richtig, eine realistische, aber eher positiv getönte Selbsteinschätzung bei den Lernenden zu unterstützen und anzustreben. Lernende, die sich leicht überschätzen, sollten auf keinen Fall auf den « Boden der Realität » zurückgeholt werden.

5 Bedenken Sie genau: Wie, wann und wofür wollen Sie loben – und ermutigen ?

Der amerikanische Psychologe Alfie Kohn hat mit seinem Buch Liebe und Eigenständigkeit[46] viel Aufmerksamkeit erreicht, nicht zuletzt, weil er postuliert, dass in der Erziehung gänzlich auf Lob verzichtet werden soll. Lob verschiebt für ihn das Interesse an einer Sache auf das Erheischen von weiterem Lob. Es manipuliert und macht Kinder und Jugendliche süchtig danach. Lob schadet doppelt: Es setzt extrinsische Anreize und verringert die intrinsische Motivation. Es sagt den Kindern, dass sie uns dann viel bedeuten, wenn sie tun, was wir erwarten.

Auch wenn Kohns Ansatz radikal ist – es scheint doch eher unnatürlich, in nahen, herzlichen Beziehungen zu leben, ohne spontan auch Lob und Anerkennung für eine Handlung unseres Gegenübers zu äussern –, so sensibilisiert er doch dafür, bewusst mit Lob umzugehen und sich selbst zu kontrollieren, wie, wann und wofür wir loben.

Wichtig scheint:

• für die Anstrengung loben, nicht für die Fähigkeit: « Da hast du dir aber Mühe gegeben! » und nicht: « Du bist aber gut in Mathe! »

• Bemühungen loben, auch wenn diese nicht zum Ziel (der richtigen Lösung) geführt haben

• nicht permanent und für Kleinigkeiten loben, zu häufiges Lob entwertet sich selbst

• auf Lob verzichten, wenn wenig Einsatz und Anstrengung erkennbar sind

• eher für Initiative, Kreativität, Eigenständigkeit, Einsatz als für korrektes, angepasstes, erwartetes Verhalten loben

Für Ermutigung gilt analog:

• dazu ermutigen, Aufgaben anzugehen und Lösungen zu suchen: « Probier es, wenn’s nicht geht, helf ich dir! » und nicht: « Das ist ganz einfach, das schaffst du! »

• dazu ermutigen, sich Hilfen zu holen und sich mit Kolleginnen und Kollegen über mögliche Lösungswege auszutauschen

• dazu ermutigen, durchzuhalten, länger zu versuchen, immer wieder zu üben etc.

 

«Lernen bedeutet für mich Verlangsamung, Wiederholung, Schürfwunde, Begreifen, Glück.»

Stephan Eicher

Stephan Eicher

Musiker und Chansonnier

geboren 1960 in Münchenbuchsee bei Bern

Mit Mehrfach-Gold- und Platin-ausgezeichnete

Alben in Frankreich und der Schweiz

Preise (unter anderen): Kunstpreis der Stadt

Zürich (2009), Swiss Music Awards für sein

Lebenswerk (2020)

 

Lernen bedeutet für mich

Verlangsamung, Wiederholung, Schürfwunde, Begreifen, Glück.

Mein schönstes Lernerlebnis als Kind

Meinen Namen zu schreiben.

Mein schönstes Lernerlebnis als Erwachsener

Zu wissen, dass, was ich meinem Kind beibringen wollte, was im Moment meist einfach Zweifel, Unglaube, ja Geschrei hervorbrachte, dann irgendwann, mit genügend Zeit, einfach da war.

«Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss.»So heisst es im Max und Moritz von Wilhelm Busch. Was denn?

Ich glaube, das «muss» steht einfach da, um sich auf «Beschluss» zu reimen, das habe ich beim Liederschreiben auch so gelernt.

Um gut lernen zu können

Ist es toll, wenn es bei einem Spaziergang erledigt werden kann. Geht leider nicht immer (Klaviere sind schwer), aber oft. Ein anderer Horizont hilft, etwas im Hirn abrufbereit abzulegen (einfältige Definition von lernen?).

Meine besten Lerntipps

Auf Youtube nachschauen?

Mein bisher geheimer Lerntrick

Auf Youtube nachschauen!

Was ich unbedingt noch lernen will

Etwas zaubern.

Sowohl Lob als auch Ermutigung können einen Beitrag zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und zu einem positiv gefärbten Selbstkonzept leisten. Allerdings wirken sie kaum, wenn sie nur kommunikative Technik und nicht Ausdruck einer echten Einschätzung sind. Um den Zusammenhang zur Motivation zu klären, wird die Frage in Kapitel 6