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Mit Unwissenheit und Naivität, aber auch mit ignoranter Hartnäckigkeit wird das Mega-Thema Komplexität immer noch unterschätzt. Mit gravierenden Konsequenzen: Projekte scheitern, Systeme funktionieren nicht, das Gewollte wird nicht erreicht. Die Beherrschung der zunehmenden Komplexität wird zur wichtigsten Fähigkeit in unserer Zeit. Vielfach scheitern Unternehmen, aber auch politische Organisationen, daran und schaffen oft mehr neue Probleme, anstatt die vorhandenen zu lösen. Einfach managen erklärt die Zusammenhänge und zeigt die Methoden, die Führungskräfte kennen und beherrschen müssen. Ausführlich wird erklärt, wie selbst hoch komplexe Aufgaben erfolgreich bewältigt werden. Anhand von vielen Beispielen und sofort anwendbaren Hilfsmitteln, Methoden und Lösungen erläutern die Autoren das Management der Einfachheit. Einfachheit ist nicht leicht, aber erlernbar!
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Seitenzahl: 210
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3., aktualisierte und überarbeitete Auflage 2010
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Redaktion: Jana Stahl, Heidelberg Umschlagabbildung: iStock Photo
Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech
Epub: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Epub 978-3-86414-325-0
Weitere Infos zum Thema
www.redline-verlag.de
»Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.«
Antoine de Saint-Exupéry
Vorwort
Teil I: Einfachheit ist der ANDERE Weg
1. Eine Übersicht
Prolog: Sortimentsentwicklung auf dem Fußboden
2. Überall Komplexität – nur wenige machen es einfach
Das ist komplex
Das ist einfach
Komplexität – eine Definition
Warum Einfachheit? Funktion und Wirksamkeit
Teil II: Warum machen wir es nicht einfach? Hindernisse auf dem Weg zur Einfachheit
3. Unklare Ziele – aller Komplexität Anfang
E-Commerce: das Einfache nicht begriffen
Die Hamburgischen Electricitätswerke handeln mit Kaffeemaschinen
Verwirrung im Vorstand der Deutschen Bahn: kurioses Preissystem
Bonussysteme – komplexes Teufelszeug
4. Angst: Komplexitätstreiber Nummer 1
Die Angst der Manager
Der Antreiber heißt: Sei perfekt
5. Mit Risikomanagement ins Risiko
Risikomanagement nach den Prinzipien der Einfachheit
6. Die Illusion vom Wissensmanagement
Neue Managementtheorien der nackten Kaiser
Prozesskostenrechnung – fast immer völlig überflüssig
McKinsey – ein Großmeister der Illusion vom Wissensmangement
Überall Marktforscher
Der Chief Ignorance Officer und Der Kleine Prinz
»Planung ist Mist«
7. Bürokratie, Trägheit und Ignoranz
Reporting – das Informationsunwesen
Perfektionismus aus Ignoranz
8. Reparaturverhalten und Selbstschutz
TEIL III: Eigenschaften und Haltungen, die Einfachheit fördern
9. Unternehmenskultur
10. Mut
11. Vertrauen und Kontrolle
Misstrauen schadet
Vertrauen ist eine gewinnbringende Tugend
Vertrauen durch Kontrolle
Vertrauen durch Berechenbarkeit: Gilt die rote Ampel?
12. Gesunder Menschenverstand – Erfahrung – Intuition
Orientierung statt Information. Weg mit Wissen – her mit Denken!
Intuition – der gute Riecher
»Fuzzy-Logic« – eine Idee für die Praxis
13. Die einfache Sprache
Der Nebelwerfer: Customer Relationship Management
Was viele Menschen als Quatsch empfinden, ist meistens auch Quatsch!
TEIL IV: In drei Schritten zur Einfachheit
14. Aspekte guter Führung und Organisation
15. Drei Grundaufgaben zur Einfachheit und ihre Instrumente
16. Erste Grundaufgabe: Komplexität vermeiden – Instrument: Klarheit und Verzicht
Das Wichtigste: Sinn und klare Ziele
Ziele müssen konkrete Handlungsanleitungen sein
Warum sollen die Leute mein Produkt kaufen?
Kleine Ziele
Projekte stinken am Anfang
Kundenorientierung
John Maedas Laws of Simplicity
17. Zweite Grundaufgabe: Komplexität reduzieren – Instrument: Klarheit und Verzicht
Wie lauten unsere Prinzipien?
Disziplin und Konsequenz machen verlässlich
Worauf bedeutende Firmen verzichten
18. Dritte Grundaufgabe: Komplexität beherrschen – Instrument: Organisation
Autonomie und Verantwortung
Dezentralisation
Kontrolle
Sicher und schnell durch Versuch und Irrtum
19. Durch Verzicht zum Wesentlichen
Gelernt vom Vorbild
Aldi verzichtet
Die Falle heißt »nice to have«
Teil V: Anhang:
20. Checkliste zur Selbstprüfung: Mache ich es einfach?
Quellenverzeichnis
Literatur im Überblick
Vielen Dank!
Seit der ersten Ausgabe dieses Buches im Jahr 2002 habe ich zu meinem Thema der Einfachheit weiter gelernt, geprüft, zugehört und beobachtet. Manches habe ich erfahren aus Briefen von Lesern. Viel Unterstützung für meine Gedanken und Überzeugungen habe ich aus Veröffentlichungen gewonnen, die sich zunehmend mit dem Thema der Einfachheit auseinandersetzen und vor allem deren Notwendigkeit propagieren. Gegenwind gibt es kaum, nur immer mal wieder komplexe Erörterungen zum Thema. Immer wieder habe ich festgestellt: Einfachheit ist nicht leicht. In den letzten Jahren erschienen immer mal wieder Bücher zum Thema Einfachheit. Ein besonders erfolgreiches von Werner Tiki Küstenmacher Simplify your Life gibt viele gute Ratschläge für das tägliche Leben. In diesem Buch geht es dagegen um das aktive Handeln, um das Gestalten und Steuern von komplexen Systemen sowie um Entscheidungen in der Wirtschaft und bei der Führung von Organisationen ganz allgemein. Neu ist eine Reihe aktueller Beispiele. Neu sind auch weitere psychologisch begründete Ursachen zur Entstehung von Komplexität und eine Auseinandersetzung mit den Thesen des amerikanischen »Simplicity-Gurus« John Maeda.
Für den Erstleser hier einige Wesenselemente des Managements der Einfachheit:
Einfachheit ist kein Ziel an sich, keine neue Philosophie. Einfachheit ist ein Zustand, Vereinfachung ist eine Methode. Sie soll bewirken, dass Systeme, Absichten, Gesetze und Prozesse funktionieren und im Sinne des Erfinders wirksam sind, also die Absichten möglichst erfolgreich werden lassen.Die gute Regel für alle Aktivitäten auf dem Gebiet des einfachen Managens lautet: »Weniger ist mehr« – oder noch einen Tick besser: »Gerade genug ist besser.«Und für das einfache managen hilft uns eine wunderbare Definition des St. Gallener Professors Fredmund Malik: »Management ist die Gestaltung und Steuerung komplexer sozialer Systeme.«Einfachheit ist der andere Weg, der Weg jenseits von Komplexität, Bürokratie und Mittelmäßigkeit. Hin zum Wesentlichen, zum Erfolg mit angemessenen Mitteln nach dem ökonomischen Prinzip. Der Weg der Einfachheit hat wenig zu tun mit vielen herkömmlichen Methoden des Managements. Viele Unternehmen arbeiten bürokratisch und kompliziert. Die Erfolge, die sie trotzdem erzielen, beruhen vor allem darauf, dass bei ihnen Menschen mit Erfahrung, Fantasie und gesundem Menschenverstand tätig sind. Kleine und mittlere Unternehmen arbeiten dagegen meistens anders, weniger bürokratisch, einfach und erfolgreich, nur wird das kaum bemerkt.
Einfachheit als der andere Weg erfordert neues Denken, vielfach eine andere Kultur von Führung und Organisation. Jenseits von Angst und Perfektionismus, jenseits von der Illusion eines Wissensmanagements. Einfach ist nicht leicht. Denn Einfachheit braucht Klarheit, Dezentralisation und gesunden Menschenverstand. Einfachheit braucht Mut, gegen die alten Strömungen zu schwimmen und die immer wieder neuen Erfindungen von Komplexität abzuwehren. Die Arbeit nach den Prinzipien der Einfachheit braucht ein Menschenbild, in dem Vertrauen und die Gewährung von Freiheit und Autonomie eine bedeutende Rolle spielen. Menschen sind fähig und willig, das ist der Ausgangspunkt. Wer sich dieses Menschenbild, diese Kultur zu eigen macht, ist eher in der Lage, Einfachheit zu praktizieren.
Vereinfachung braucht ein Veränderungsprogramm. Das wird oft unterschätzt. Änderungen hin zur Einfachheit erfordern Anstrengungen. So ganz einfach ist das nicht. Die Angewohnheit, immer fertige Antworten zu haben, muss aufgegeben werden. Das Verständnis für Einfachheit wird erschwert, weil die einfachen Zusammenhänge und Verfahrensweisen oft trügerisch simpel wirken und leicht als trivial abgetan werden.
Herb Kelleher, Chef und Gründer von Southwest-Airlines, einem Unternehmen der Einfachheit1: »Es ist interessant, die Leute von anderen Firmen besuchen uns bei Southwest und sagen, sie wollten eine ähnliche Unternehmenskultur wie bei uns aufbauen. Wir erzählen ihnen, dass wir einfach nur die Leute richtig behandeln. Aber das klingt ihnen zu einfach. Sie suchen nach etwas Komplexem. Sie glauben es nicht.«
Diesen und vielen anderen »Ungläubigen« fehlen die Vorstellungskraft und eigene Erfahrungen. »Versucht es doch einmal mit der Einfachheit«, wäre ihnen zuzurufen. Macht es doch einfach! Einfachheit ist ein Mittel zum Erfolg. Ohne Mut geht es nicht, aber wer einmal überzeugt ist, dem fällt es leichter. Der wird souverän die Kritiker abwehren können, die meinen, komplexe Situationen könne man nicht mit Einfachheit bewältigen. Mit Leonardo da Vinci möchte ich den Skeptikern zurufen: »Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung.«
Leitfaden zur Einfachheit für jedermann
Philosophische Grundlage:
Mache nicht alles, was du machen kannst.Suche das Wesentliche.Lerne verzichten.Sei zunächst nicht perfekt.Sei konsequent.Hab Vertrauen zu dir und anderen.Sei mutig, anders zu arbeiten als die anderen.Handlungsorientierte Grundlage:
Formuliere dein Ziel für jedermann verständlich.Formuliere dein Ziel handlungsorientiert und konkret.Konzentriere dich auf dieses Ziel.Beginne und lerne.Mach einen Versuch und vergiss den großen Entwurf.Geh in kleinen Schritten voran, riskiere nicht alles.Korrigiere und verbessere täglich.Einfachheit und Komplexität – eine Übersicht
Das fördert Komplexität und behindert Einfachheit:
Unklare Ziele: den Kunden aus dem Auge verlorenAngst: Komplexitätstreiber Nummer 1Die Illusion vom WissensmanagementBürokratie und IgnoranzSelbstschutzEigenschaften und Haltungen, die Einfachheit fördern und Komplexität verringern:
MutVertrauen und Kontrollegesunder MenschenverstandErfahrung und Intuitioneine einfache Sprachekein Stress mit Versuch und IrrtumIm Jahre 1995 begann eine türkische Unternehmergruppe mit der Errichtung eines völlig neuen Lebensmittel-Filialunternehmens in Istanbul, das so gut wie irgend möglich die Prinzipien und Verfahren von Aldi berücksichtigen sollte. Ich wurde als Berater engagiert. Eine Kerntruppe von drei Mutigen hatte sich schon ein Jahr mit dem Projekt beschäftigt und dabei eine Reihe von Supermarktunternehmen selbst in den USA besucht, um für die Türkei das Passende herauszufinden. Man hatte schon einige Zigtausend Dollar ausgegeben für Verbrauchsanalysen und für die Ideen einer Werbeagentur, die einen Namen und ein schönes Logo finden sollte. Zu diesem Zeitpunkt kam ich dazu. Auch ich war fest überzeugt, dass das Aldi-Modell in der Türkei erfolgreich sein würde – das war mein einziger Ausgangspunkt.
Dazu musste die zentrale Frage »Warum sollen die Kunden in meinem Laden einkaufen?« die weiteren Überlegungen bestimmen. Jeder, der mit Einzelhandel befasst ist, weiß, dass Sortiment, Preis und Standort die Frage beantworten. Ich begann mit dem Wichtigsten, dem Sortiment. Dafür lagen zwei umfangreiche Untersuchungen von Marktforschungsinstituten vor. Diese Untersuchungen ignorierte ich und ging vor wie folgt:
Wir definierten die Grundlagen wie bei Aldi: Es sollten Lebensmittel des täglichen Bedarfs verkauft werden. Das durften keine sehr problematischen Artikel sein wie Fleisch und Fisch. Die Artikelzahl sollte auf 500 begrenzt sein.
Dann baten wir eine Reihe von Bekannten und Frauen von Beschäftigten, bei den größten Mitbewerbern in Istanbul Artikel einzukaufen, die diese Anforderungen erfüllten. Sie sollten Artikel kaufen, die sie persönlich in einem solchen Laden zu finden wünschten. Zur Erleichterung des Verfahrens teilten wir die Käufer ein in verschiedene Gruppen, nach Sortimentsbereichen, also für Konserven, für Getränke, für Waschmittel und so weiter.
Innerhalb von zwei Tagen hatten wir die gesamte Ware in unserem noch leeren Büro. Dort zeichneten wir auf dem Boden Abschnitte für Warenplatzierung und Gänge für den Kundendurchlauf ein. Dann stellten wir die Ware in die imaginären Regale, so als wäre das Büro unser richtiger Laden.
Wir holten dann nacheinander verschiedene Mitarbeiter in unseren Laden und ließen sie über das Sortiment urteilen. Manche Artikel wurden aussortiert, weil sie als unpassend beurteilt wurden oder weil sie doppelt und dreifach vorhanden waren. Jeder Käufer hatte ja unabhängig von den anderen gekauft, was er persönlich für richtig hielt. Aussortiert wurde auch nach der Überlegung, ob es besser wäre, 500 g oder 1000 g Joghurt anzubieten. Natürlich bemerkten wir auch, dass noch einige Artikel fehlten.
Auf diese Weise legten wir 500 Artikel fest. Sie wurden katalogisiert und bildeten dann die Grundlage für die Arbeit der Einkäufer und die Verhandlungen mit möglichen Lieferanten.
Es zeigte sich, dass dieses Sortiment eine echte, wirklichkeitsnahe Grundlage für die Entwicklung des Unternehmens darstellte. Kompetente Verbraucher hatten ihre Vorschläge gemacht. Diese Sortimentsbildung hatte praktisch nichts gekostet. Die Arbeit war in weniger als einer Woche erledigt. Das war ein wirklich einfaches und sehr effektives Verfahren.
Das sind Verfahren der Anfänger, der Macher, der Heißhungrigen, die nach schnellen Erkenntnissen streben. Ein wunderbarer Nebeneffekt: Wer an diesem Verfahren mitgewirkt hatte, verinnerlichte Sinn, Kultur und System dieses neuen Geschäftsmodells ohne große Predigten und Seminare.
Das Unternehmen ist heute mit 2600 Läden, über 3 Milliarden Euro Umsatz und 15.000 Mitarbeitern der größte und erfolgreichste Filialist in der Türkei. Mit über 4 Prozent Gewinn vor Steuern erreicht BIM das Aldi-Niveau. Aus kleinen Anfängen mit einer Investition von 15 Millionen Euro entstand ein Unternehmen mit einem Börsenwert von heute 2,6 Milliarden Euro, und das alles ohne Bankkredite.
MQ Management und Qualität 07-08/2002
Wir leben in der sogenannten Informationsgesellschaft. Wir reisen in alle Welt. Wir können mehr als 80 Fernsehprogramme empfangen. Die Unternehmen arbeiten mit TQM (Total Quality Management) und ISO 9000 (International Standardisation Organisation) sowie mit Customer Relation Management oder gar – in Deutschland! – mit Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR). Globalisierung und Finanzkrise haben gezeigt, welche komplexen Verschachtelungen unser Leben beeinflussen. Das Internet wirkt mit, löst vieles sehr leicht wie die E-Mail-Post, aber schafft viele neue Themen und Unübersichtlichkeit. Viele Chefs unterhalten sich mit ihren Mitarbeitern nur noch via E-Mail. Der Mobilfunk mit seinen komplexen Tarifsystemen macht uns das Leben schwer. Schließlich gibt es viel Angst vor Fehlern. Mangel an Mut und fehlende Risikobereitschaft tun das ihre, um die Dinge zu komplizieren. Wenige Beispiele sollen die Probleme von Komplexität und die Chancen der Einfachheit deutlich machen. Wenn dabei einiges Erschrecken oder ironisches Schmunzeln ausgelöst wird, so ist das beabsichtigt. Beruhigung erfährt der Leser dann durch einige Beispiele der Einfachheit.
A.T. Kearney – ein erschreckender Komplexitätstreiber
Ein konkretes Erschrecken hat sich bei mir selbst eingestellt, als ich eine Veröffentlichung der Unternehmensberatung A.T. Kearney zum Thema »Was kostet Komplexität wirklich?« las. Trotz einiger Abgebrühtheit, die ich inzwischen mit Erfahrungen von Komplexität entwickelt habe, war ich entsetzt über diesen Eigenartikel aus dem Jahre 2008 (A.T. Kearney, Inc., Autoren Sieghart Scheiter, Oliver Scheel, Götz Klink). Zu Recht wird festgestellt, dass die Komplexität dramatisch zunimmt. Eine ständig wachsende Zahl von Komplexitätsfeldern in den Unternehmen wird benannt. ATK fordert, dass die Komplexitätskosten über die gesamte Wertschöpfungskette transparent gemacht werden. Der Kernsatz der Studie lautet: »Um die realen Komplexitätskosten je Produkt ermitteln zu können, ist eine pragmatische aktivitätenbasierte Kostenkalkulation notwendig.« Dafür nutzt ATK eine Complexity Scorecard. Abenteuerliche Sätze werden mit dem Thema Komplexität verbunden, zum Beispiel: »Steht einem attraktiven, strategischen Wert (eines Produktes) eine zu geringe reale Profitabilität gegenüber, wird der Kunde durch Preiserhöhungen dazu gebracht, die Komplexität zu bezahlen.« ATK will also den Kunden Komplexitätskosten berechnen, die diese offenbar verschuldet haben. Dafür sollen diese Kosten zuvor pro Produkt ermittelt werden, eine unsinnige, aber vor allem unmögliche Sache. Ein echtes »nice to have«-Produkt eines Unternehmensberaters, das keine Erkenntnis bringen kann, weil es gegen Grundforderungen der Logik verstößt (Kostenschlüsselung) und das keinen Nutzen stiften kann und nur eines bewirkt: der in welcher Art auch immer bereits vorhandenen Komplexität eine weitere hinzuzufügen. Vielleicht fühlen sich die Autoren der Studie nun selbst überfordert und wollen deshalb einen Komplexitätsmanager mit weitreichenden Kompetenzen einsetzen.
Um Komplexität zu vermeiden, zu verringern und letztlich zu beherrschen, muss man nicht die Kosten kennen, die durch Komplexität entstehen. Es wird auch völlig übersehen, dass Komplexität fast immer Gemeinkosten verursacht, deren Merkmal es ist, dass sie kaum wirklich zu ermitteln sind, aber schon gar nicht einem Produkt zuzurechnen sind. Nehmen wir ein tatsächliches Beispiel aus unserer Unternehmenswirklichkeit:
Ein weltweit führender Hersteller von elektronischen Druckern praktiziert ein unglaublich detailliertes Marketing-Budgeting. Innerhalb dieses Systems werden Ausgabenanträge der Verkaufsmanager im Rahmen oder auch bei Abweichung vom Budget über 27 Stufen verfolgt. Beteiligt sind neun verschiedene Personen beziehungsweise Abteilungen am Durchlauf des Antrages durch das Ordnungssystem des Betriebes. Die Abteilung Budget/Controlling wird beim Durchlauf neun Mal in verschiedenen Phasen berührt. Diese interne Regelung hat mit dem Produkt und den Kunden überhaupt nichts zu tun. Die Kosten sind kaum zu ermitteln, denn man müsste über eine gedankliche stückweise Reduzierung von Elementen und Abhängigkeiten mit Grenzkostenüberlegungen die Kosten einzelner Funktionen ermitteln und sie dann noch den Produkten (aber welchen?) zurechnen. Die für eine Kostenzurechnung notwendige Kausalität der Verursachung durch ein Produkt ist nicht gegeben. Verursacher ist allein eine bürokratische interne Misstrauensorganisation. Zur Vermeidung oder Reduktion der Komplexität müsste man nur prüfen und bewerten: Was soll mit diesem umfangreichen Marketing-Ablaufprozess erreicht werden? Was kann entfallen? Wie kann der vermeintlich notwendige Rest an Regelungen gut funktionieren? Für diese Entscheidungen und Handlungen braucht man keine Kenntnis der Kosten.
Intelligente Kleidung
In der Zukunft soll es »intelligente Kleidung« geben.2 In den Stoff der Zukunft sind Computer, Sensoren, Mobiltelefone und Navigationssysteme eingewebt. Philips-Forscher arbeiten an einer Kleidung, in die ein Satellitenortungssystem (GPS) und damit gekoppelt ein Mobiltelefon integriert wird. So lassen sich kleine Kinder, die weggelaufen sind, auf wenige Meter genau orten. Sehr sinnvoll. Genau so sinnvoll vielleicht wie eine Zudecke, die den Gesundheitszustand von Patienten überwachen kann. Aber Teppiche, die einen musikalischen Willkommensgruß auslösen, wenn jemand sie betritt? So gibt es immer Sinnvolles und Übertriebenes, die zwei Seiten der gleichen Medaille. Aber darauf kommt es nicht an. Das Leben wird komplexer. Nichts verschwindet, nichts wird aufgegeben.
Handys: Irre komplex und einfach schön
Nokias Über-Handy N97 ist nur mit einem Ingenieur zu bedienen (Thorsten Riedl in Süddeutsche Zeitung Nr. 162 – 2009). Es gibt keine Funktion, die das Nokia-Handy nicht beherrscht. Doch es gibt auch kaum einen Nicht-Techniker, dem es gelingen würde, einen Bruchteil dieser Vielfalt zu bedienen. Dagegen gibt es ein Vodafone simply, mit dem man keine Fotos machen kann, keine Musik abspielen und nicht im Internet surfen, dafür aber ganz einfach telefonieren kann.
Das Samsung SGH X830 (SZ 5.9.2007 »Irre komplex«) hat eine besondere Betriebsanleitung mit dem besten Satz: »MFV senden: Sendet MFV-Töne (Duales Mehrfrequenzverfahren) als Gruppe, DMFV-Töne werden vom Telefon für das Mehrfrequenzwahlverfahren verwendet und beim Drücken der Zifferntaste erzeugt.« Etwas anders das Urteil über das iPod Nano von Apple (SZ »Einfach schön«): »Optimale Benutzerfreundlichkeit. Übersichtlicher kann man ein Gerät kaum gestalten. Die Funktionen erklären sich von selbst.«
Senioren-Handys sind der neue Renner. Große Tasten, gut erkennbares Display und vereinfachtes Menü sind positiv. Eine intelligente Notfalltaste wählt nacheinander fünf gespeicherte Nummern an. Aber ohne Komplexität geht es offenbar nicht. Da gibt es Handys, die den Blutzuckerspiegel für Diabetiker bestimmen können. Sturzhandys können unterscheiden, ob das Handy oder gar die Großmutter zu Boden gefallen ist. Immer mehr »nice to have«, denn technisch ist so vieles möglich.
4000 Staubsaugerbeutel
Für Ihren Siemens-Staubsauger brauchen Sie den Staubsaugerbeutel TA-592/8 – Baureihe 9c.3 Eine Bösartigkeit? Es gibt 4000 unterschiedliche Modelle. Sie müssen sich Ihren Typ genau merken. Der Händler soll alles vorrätig haben. Unmöglich!
200 E-Mails am Tag
In verschiedenen Veröffentlichungen äußerten sich deutsche Top-Manager über ihren Umgang mit der elektronischen Post. Seit der Veröffentlichung in der ersten Ausgabe dieses Buches hat sich nichts verändert. Die Beispiele sind ebenfalls zeitlos:
Thomas Middelhoff, damals noch Bertelsmann, bearbeitete täglich 100 bis 120 E-Mails. Jürgen Schrempp, Daimler Vorstandsvorsitzender, brachte es auf Hunderte. IBM-Direktor Dietmar Wendt schaffte täglich die Bearbeitung von bis zu 250 E-Mails. Hilmar Kopper, damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank: »Ich ersticke hier in Komplexität.« Heinrich von Pierer, Ex-Vorstandsvorsitzender von Siemens: »Um nur halbwegs über die Vorgänge im Unternehmen à jour zu sein, müsste ich 24 Stunden am Tag lesen.«
Machen die Herren etwas falsch?
Vielleicht haben sie in ihren Interviews ja übertrieben. Wenn die Bearbeitung (Lesen mit oder ohne Beantwortung) im Durchschnitt mit zwei Minuten berechnet wird, so beansprucht die tägliche Beschäftigung mit 100 E-Mails doch kalkulatorisch 3 Stunden. Ist das ein neues, äußeres Zeichen von Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit? Oder ist das vielmehr die Tatsache, dass die vorhandenen eleganten Möglichkeiten der Technik genutzt werden, weil sie nun einmal da sind? Neben den Handys auch hier der Terror ständiger Erreichbarkeit – eine neue Droge, ein neues Krankheitsbild in der Informationsgesellschaft. Warum? Aus Angst, etwas zu verpassen?
Und dennoch gibt es erfahrene Manager wie Klaus Ostendorf, die tatsächlich bewusst ohne E-Mail auskommen. Ostendorf, seinerzeit Vorstandsmitglied der Kamps AG und der Macher des größten deutschen industriellen Brotherstellers, Wendeln, besteht darauf, seinen Gesprächspartnern ins Auge zu sehen. Dann könne man erkennen, ob man richtig verstanden worden sei. Seine Partner haben sich daran gewöhnt, dass er auf das Kommunikationsmittel E-Mail verzichten will. Seinen Schreibtisch ziert auch kein Computer; er arbeitet mit Papier und Bleistift. Sehr eigenwillig, aber auch erfolgreich.
Viele Absender überschütten ihre Umgebung mit der elektronischen Post. Jemand meinte dazu: »Wer nichts zu sagen hat, sondert eine E-Mail nach der anderen ab.« Und dennoch: E-Mails sind eine fantastische Neuerung, die vielleicht der Erfindung des Telefons nahe kommt. Wie bei allen Neuerungen, bei allen Möglichkeiten, die das Leben bietet: Es kommt auf die sinnvolle Nutzung an.
Eine Unart, die möglicherweise die große Zahl von E-Mails erst begründet, sind die vielen Kopien, die CCs. Die werden wohl verschickt, um zu sagen:
»Ich weiß etwas – und will euch damit beglücken!«»Ich will mich von Verantwortung entlasten, denn jetzt seid ihr ja auch informiert!«Die Lösung dieses zu viel Unsicherheit führenden Themas ist die Erkenntnis, dass E-Mails ja erstens Informationen und Informationen zweitens Holschulden sind. Ich habe meine Aufgabe und meine Verantwortung. Ich bin dafür verantwortlich, mir die Informationen zu besorgen, die ich brauche. Das muss ich organisieren. Ich kann mich nicht darauf berufen, jemand hätte mich nicht informiert, wenn ich das nicht zuvor ausdrücklich geregelt habe. Allein außergewöhnliche Fälle müssen zu Kopien führen. Jeder, der Kopien verschickt, sollte sorgfältig das Notwendige (eine Vereinbarung, Regelung) und das Sinnvolle beachten. Da sind wir wieder beim »nice to have«.
Computer: ständig steigende Komplexität
David Gelernter, Computer-Wissenschaftler an der Yale University (Gespräch in GDI Impuls, Frühling 2008): »Es gibt heute enorm viel Frustration und Unzufriedenheit mit Computern und Computersoftware. Die Betriebssysteme von Microsoft, Linux und in geringerem Maße auch Apple sind zu kompliziert, schlecht gemacht und nicht intuitiv. Da hat sich in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas gebessert. Ich beobachte viele Leute, die es gerade noch so knapp schaffen, einen Computer zu bedienen. Viele geben sich selbst die Schuld – dabei liegt es an der lausigen Software. Anstatt dass Computer unseren Alltag erleichtern, sind sie eine einzige Quelle des Ärgers … Die Software-Industrie ist verhaftet in alten Konzepten. Das hat mit mangelnder Vorstellungskraft zu tun, aber auch mit Gewinnsucht.«
Personalpolitik im ehemals bedeutendsten deutschen Kaufhauskonzern
Diese Organisation der Entscheidungen im Personalbereich ist ein Muster überorganisierter Systeme. Das Unternehmen wird nur noch verwaltet und das führt nicht nur zum Systemtod, sondern möglicherweise zum Unternehmenstod. In diesem Unternehmen gibt es, wie vielfach üblich, eine Unternehmenszentrale, regionale Einheiten mit mehreren Kaufhäusern und schließlich die einzelnen Häuser vor Ort. Leicht kann es passieren, dass in solchen Organisationen die zentralen Bereiche besondere Macht- und Entscheidungsbefugnisse erhalten, denn sie sind ja die »Experten«. So passiert es auch, dass Mitarbeiter bis zu drei Vorgesetzten unterstellt werden. Nach den Gedanken der Einfachheit sollte ein Mitarbeiter immer nur einem Vorgesetzten unterstellt sein. Dieser muss auch in der Lage sein, den Mitarbeiter in Grundfragen der fachlichen Tätigkeit zu beurteilen und zu begleiten. Ohne Frage kann und muss er die disziplinarischen Themen beherrschen. Der Vorgesetzte kann in beiden Fällen von Regeln und allgemeinen Anweisungen unterstützt werden.
Viele machen sich etwas vor
Die großen Handelsgruppen wie Rewe, Metro oder Tengelmann wissen oft nicht, was sie tun. Sie betreiben Verbrauchermärkte, Supermärkte und Discountketten. Der Lieferant Unilever oder Nestlé bietet extra Preisnachlässe, wenn ein neuer Artikel nicht nur in den Supermärkten, sondern auch in den anderen Vertriebszweigen, den Verbrauchermärkten und der Discountkette, geführt wird. Der Lieferant will damit einen höheren Umsatz erzielen und bietet dem Einkäufer dafür einen besonderen Preisnachlass. Der Einkäufer meint im Sinne des Ganzen zu handeln, wenn er das Angebot akzeptiert. Er folgt der Versuchung, den Preisvorteil zu kassieren, und nimmt einen Zuwachs an Komplexität in Kauf. Denn Strategie, Sortimentsziele und Preispolitik der einzelnen Gruppen sind unterschiedlich. Wenn dieses Verfahren der scheinbaren Optimierung für alle Artikel und alle Lieferanten fortgesetzt würde, gelangt man an den Punkt, wo das System so überfordert ist, dass es seine eigene Komplexität nicht mehr bewältigen kann. Das Ziel niedriger Einkaufspreis kann nicht unbegrenzt kombiniert werden mit den unterschiedlichen Zielen der verschiedenen Vertriebszweige. Die gefährliche Folge dieser nicht beherrschbaren Komplexität ist fast immer, dass die Unternehmen ihre spezifisch definierten und am Markt ausgerichteten Unternehmensziele nicht mehr erfüllen.
Hinter einem solch komplexen System verbirgt sich oft die Unfähigkeit, die Grundaufgaben richtig wahrzunehmen. Eine Grundfrage wäre, welches denn die Existenzberechtigung des einen oder anderen Vertriebszweiges am Markt ist. Warum sollen die Kunden im Supermarkt kaufen?
Ein Beispiel: Die zentrale Einkaufsabteilung verhandelt mit einem Lieferanten über einen Artikel. Die Handelsgruppe betreibt drei verschiedene Geschäftstypen.
Supermärkte
Verbrauchermärkte
Discountmärkte
Lieferant
Strategie
Ziel A
Ziel B
Ziel C
Ziel X
Sortiment
Politik 1
Politik 2
Politik 3
Angebot Y
Preis
Politik a
Politik b
Politik c
Angebot Z
Wenn man nur diese Faktoren anschaut, die ja in der Einkaufsentscheidung eine Rolle spielen, so ergeben sich bereits 12 verschiedene Elemente bei der isolierten Entscheidung über einen einzigen Artikel. Die Komplexität ist schon in diesem Beispiel nicht mehr beherrschbar. Sie wird unvorstellbar, wenn das Beispiel ausgedehnt wird auf die vielen Tausend Artikel und Lieferanten.
Die Gedanken aus diesem Beispiel können übertragen werden in andere Bereiche. Wie viele Leute sind mit welchen Zielen und Kriterien an welchen Entscheidungen gemeinsam beteiligt?
Mitarbeiter kämpfen gegen Komplexität
In einem der größten und renommiertesten internationalen Unternehmen der IT-Branche beklagen sich die leitenden Mitarbeiter über zunehmende Komplexität im Unternehmen. Sie fühlen sich behindert, erfolgreich zu arbeiten. Als Ursache machen sie die von der Geschäftsführung gesetzten Rahmenbedingungen verantwortlich. Sie haben mehr mit der Bewältigung der internen Prozesse und dem internen Reporting zu tun als mit dem Kundengeschäft.
Die Mitarbeiter beklagen im Einzelnen:
»Administrative Vorgänge belasten mich. Wenn der Kunde ein Projekt machen will, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter, wenn ich mir vorstelle, wie ich das alles innerhalb der Firma anschieben soll. Es werden ständig neue Prozesse hinzugefügt, statt die vorhandenen zu optimieren.«»Einen Vertrag erstellen zu lassen ist eine Katastrophe. Der Prozess ist zergliedert, es gibt zu viele Instanzen und keiner traut sich was, denn im Fall des Misserfolgs wird er aufgespießt.«»Übervorsicht aus Angst, man hält sich also an das Regelwerk. Alles ist überfrachtet mit Institutionen. Es ist alles überreguliert.«