Einführung in den Vedanta - Lothar-Rüdiger Lütge - E-Book

Einführung in den Vedanta E-Book

Lothar-Rüdiger Lütge

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Beschreibung

Im Vedanta geht es um das philosophische und erfahrungsmäßige Streben nach dem Höchsten Absoluten, das im Sanskrit mit dem Begriff Brahman bezeichnet wird. Brahman ist das Äquivalent für das, was im westlichen theologischen und philosophischen Denken allgemein als Gott oder als das Göttliche bezeichnet wird. Das Ziel von Vedanta ist es, eine persönliche und unmittelbare Kenntnis von Gott zu gewinnen! Die hier erstmals in deutscher Sprache veröffentlichten Vorträge von Sri Dharma Pravartaka Acharya stellen eine exzellente Einführung in die Grundlagen und in die zentralen Aspekte der Vedanta-Philosophie dar, so wie sie im Sanatana Dharma ursprünglich gemeint ist! Um die wahre Philosophie des Vedanta auf der Basis ihrer historischen Wurzeln zu verstehen, bedarf es eines solchen herausragenden Lehrers, dessen Unterweisungen den originären Traditionen der vedischen Quellen entsprechen! Sri Dharma Pravartaka Acharya gehört einer lebendigen vedischen Traditionslinie an. Er ist formal ordinierter Priester in der Vaishnava Tradition des Sanatana Dharma und besitzt zugleich einen akademischen Grad als Doktor der Philosophie, sowie unterschiedliche Titel und Auszeichnungen verschiedener amerikanischer Universitäten. In seiner Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika, ist er ein weithin bekannter und anerkannter, spiritueller Lehrer.

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Die Übersetzung der Vorträge aus dem Englischen erfolgte durch den Herausgeber.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Vedanta – Die Krone der Weisheit

Der vedische Weg der Gotterkenntnis

Siddhanta – Die Philosophie des Sanatana Dharma

Wer ist Brahman?

Non-Dualität und Personalität

Die drei Wege der vedischen Philosophie

Der Pfad der Hingabe

Anhang

Sanatana Dharma und Buddhismus

Weiterführende Informationen

Vorwort

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal in einem der Hauptwerke der Vedanta-Philosophie las – es waren Auszüge aus den Upanischaden –, wusste ich sofort, dass ich mit meiner spirituellen Suche an der Quelle der Wahrheit angekommen bin! Ich sagte spontan zu mir selbst: Was soll jetzt noch kommen! Du hast den Grund des Sees erreicht!

Was ich damals nicht wusste, war, dass es einer kompetenten und weisen Interpretation dieser Quellen-Texte bedarf, damit sie das Licht der Wahrheit offenbaren können. Denn, wie alles in dieser Welt, können auch die am hellsten strahlenden Sterne leicht verdunkelt werden, wenn man sie durch eine getönte Brille betrachtet oder wenn der Zeitgeist einen Vorhang vor sie schiebt. Und dies geschieht immer dann, wenn bei der Wiedergabe und Interpretation der vedischen Texte fremde philosophische Ansätze oder falsche persönliche Überzeugungen im Spiel sind, die dem ursprünglichen Sinn der Schriften widersprechen.

Es bedarf eines kompetenten und weisen Führers, der all die oft verborgenen Pfade, die zur Wahrheit führen, kennt und der die auftretenden Täuschungen und Hindernisse aus dem Weg räumen kann. Um einen solchen außerordentlichen Lehrer und Wegbegleiter handelt es sich bei Sri Dharma Pravartaka Acharya.

Jeder, der seine Vorträge hört oder seine Texte liest, erfasst intuitiv, dass er auf einen ganz außerordentlichen und ganz herausragendes Menschen gestoßen ist: Auf einen authentischen Lehrer des echten, unverfälschten Sanatana Dharma, der im Westen geboren wurde und in der westlichen Welt zuhause ist! Sri Dharma Pravartaka Acharya lehrt die wahren Werte des Sanatana Dharma, also die Werte der authentischen vedischen Philosophie, und setzt diese in Bezug zu unserer heutigen Welt, zu unserem Leben in der modernen westlichen Gesellschaft. So etwas hat es, in dieser Form und in dieser Qualität, bisher nicht gegeben!

In der Person von Sri Dharma Pravartaka Acharya haben wir einen anerkannten und geachteten Vertreter und Lehrer der ursprünglichen vedischen Philosophie und der vedischen Kultur vor uns, der in der Lage ist, uns die Inhalte und Lehren des Santana Dharma, der ewigen, universell gültigen, geistigen Gesetze des Seins, so zu präsentieren, dass wir sie auch in unserer heutigen westlichen Kultur verstehen und anwenden können. Seine Unterweisungen führen uns nicht zu einer weltabgewandten Haltung, sie wollen uns vielmehr, ganz im Gegenteil, dabei helfen, ein aktives Leben im Licht der ewigen universellen Wahrheit zu führen.

Nach seiner Auffassung ist es unsere Aufgabe, eine Balance zu finden, zwischen Yoga, Meditation und dem Studium der vedischen Schriften auf der einen Seite sowie unserem familiären, beruflichen, gesellschaftlichen oder auch politischen Engagement auf der anderen Seite. Beides gehört zusammen, soll eine Einheit bilden und in ausgewogener Harmonie im Licht der Wahrheit von uns gelebt werden. Er selbst dient als Beispiel für diese gelebte Synthese aus Ost und West, denn er ist sowohl formal ordinierter Priester in der Vaishnava-Tradition des Sanatana Dharma und besitzt zugleich einen akademischen Grad als Doktor der Philosophie sowie unterschiedliche Titel und Auszeichnungen verschiedener Universitäten.

Mit Sri Dharma Pravartaka Acharya haben wir also keinen weiteren, beliebigen New-Age-Guru vor uns, der uns mit einem farbenfrohen Hinduismus-Light beglückt, und auch keinen Vertreter des heute oft üblichen, radikalen Universalismus, der alle Religionen und alle Formen der Spiritualität in einen Topf wirft und unsortierte Einheit predigt. Stattdessen begegnen wir hier einem ernsthaften Vertreter des wahren, traditionellen Sanatana Dharma, der einer lebendigen vedischen Traditionslinie angehört (Vishnuismus/Shri-Sampradaya) und in seiner Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika, ein weithin bekannter und anerkannter spiritueller Lehrer ist.

Die hier veröffentlichten Vorträge von Sri Dharma Pravartaka Acharya wurden von ihm in den zurückliegenden Jahren vor seiner Schülern an unterschiedlichen Orten in den USA gehalten. Sie ergeben in ihrer Gesamtheit eine hervorragende Einführung in die Grundlagen und in die zentralen Aspekte der Vedanta-Philosophie, so wie sie im Sanatana Dharma ursprünglich gemeint ist! Um die wahre Philosophie des Vedanta von ihren Grundlagen her zu verstehen, bedarf es eines solchen herausragenden Lehrers, dessen Unterweisungen den originären Traditionen der vedischen Quellen entsprechen!

Ich freue mich sehr und fühle mich geehrt, dass Sri Dharma Pravartaka Acharya mit der Übersetzung und Veröffentlichung seiner Reden auf Deutsch sofort einverstanden war und dieses Vorhaben von Anfang an aktiv unterstützt hat. Ich habe mich bemüht, die Übertragung des gesprochenen Wortes aus dem Englischen ins Deutsche so behutsam vorzunehmen, dass ein gut lesbarer deutscher Text entsteht, ohne dass inhaltlich substanzielle Änderungen erfolgt sind.

Allen Lesern wünsche ich, durch die besonderen Vorträge dieses außergewöhnlichen Lehrers berührt und bereichert zu werden.

Hamburg, den 25. Mai 2017

Lothar-Rüdiger Lütge

Einführung

Es ist mir eine große Freude, mich persönlich an die Leser meiner Bücher in Deutschland wenden zu können.

Die Menschen in Deutschland hatten während meines Lebens immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen und ich hatte für sie immer einen tiefen Respekt; wegen ihrer besonderen Geschichte, wegen ihrer Literatur und ihrer Philosophie und wegen der unzähligen sonstigen Beiträgen des deutschen Geistes, die zu den Grundlagen des Europäischen und Nordamerikanischen Fortschritts zählen. Die Welt verdankt Deutschland im Laufe der Geschichte viele große Persönlichkeiten, die dazu beigetragen haben, die Entwicklung der Menschheit voranzutreiben.

Was den meisten Menschen unbekannt ist, ist die Tatsache, dass die vedische Spiritualität und das historische germanische Volk tatsächlich eine sehr lange und enge Geschichte miteinander teilen, eine Nähe, die bis in die vorchristliche Ära zurückreicht und sich zugleich bis in die Gegenwart erstreckt.

Wie ich in einigen meiner Bücher, zum Beispiel in Sanatana Dharma – The Eternal Natural Way oder auch in Dharma-Manifesto beschrieben habe, sind eine sehr große Anzahl vorchristlicher, germanischer religiöser Konzepte, Praktiken und Symbole in vielerlei Hinsicht mit der Kern-Essenz der vedischen Tradition und mit dem Sanatana Dharma sehr nahe verwandt.

Die antike germanische Spiritualität ist bekannt dafür, dass sie über ähnliche Werte, einen ähnlichen Ethos und eine ähnliche Weltanschauung verfügt hat wie die vedische Kultur. Ebenso entspricht die Art und Weise der Verehrung der Götter, der Vorfahren und der Naturkräfte den entsprechenden Vorgängen, die in der vedischen Kultur gefunden werden.

Tatsächlich habe ich in der Vergangenheit immer wieder gesagt, dass die vorchristliche germanische Religion und das Sanatana Dharma nicht nur Schwestertraditionen sind, sondern dass es sich sogar um Zwillingsschwestern handelt! Da sowohl die germanischen als auch die vedischen Traditionen zu den ältesten indoeuropäischen Kulturen gehören, sollte diese Tatsache niemanden überraschen.

In späterer Zeit haben sich auch die deutschen intellektuellen Entwicklungen tief im Geiste der vedischen Tradition vollzogen. Die philosophischen Aussagen herausragender intellektueller Größen wie Leibniz, Hegel und Schopenhauer sind ein Widerhall der viel älteren ontologischen Sätze von Patanjali, Vyasa und Ramanuja. Das Leben und die Lehren namhafter deutscher Mystiker wie Meister Eckhart, Johannes Tauler und Hildegard von Bingen gleichen den inspirierenden Beispielen vedischer Mystiker wie Devarshi Narada, den zwölf Alvars und Chaitanya Mahaprabhu.

Philosophische Repräsentanten der deutschen und der vedischen Denkschulen haben in bestimmten Bereichen der Philosophie, wie z.B. der Erkenntnistheorie, der Metaphysik, der Ontologie, der Ästhetik und der Ethik, historisch unvergleichliche Höhen erreicht.

Aus diesem Grund ist die vedische Schule des Vedanta seit über zwei Jahrhunderten für die deutschen Gelehrten und die deutsche Öffentlichkeit interessant. Vedanta stellt nicht nur das am höchsten entwickelte philosophische System in der asiatischen Philosophie dar, sondern darüber hinaus wohl auch das am höchsten entwickelte philosophische System im Bereich der gesamten Philosophie, sowohl der östlichen als auch der westlichen.

Der Begriff Vedanta selbst besteht aus einer Kombination von zwei Sanskrit-Wörtern: Veda, das bedeutet Wissen bzw. Weisheit; und: Anta, das bedeutet Höhepunkt oder auch Krönung. Daher steht Vedanta für den Höhepunkt oder die Krönung des Wissens bzw. der Weisheit.

Im Vedanta geht es um das philosophische und erfahrungsmäßige Streben nach dem Höchsten Absoluten, das im Sanskrit mit dem Begriff Brahman bezeichnet wird. Brahman ist das Äquivalent für das, was im westlichen theologischen und philosophischen Denken allgemein als Gott oder als das Göttliche bezeichnet wird.

Während in der westlichen Welt bereits die Frage, ob es überhaupt möglich ist, eine genaue Kenntnis von Gott zu erlangen, für erbitterte Diskussionen sorgt, beginnt Vedanta dagegen mit der entschlossenen Behauptung, dass Gott nicht nur erkannt werden kann, Vedanta sagt darüber hinaus, dass man sogleich damit beginnen soll, Gott persönlich zu begegnen.

So beginnen die Brahma Sutras, der maßgeblichste vedantische Text, mit den Worten: Athato brahma jijnasa: Jetzt ist es an der Zeit, sich mit der Natur Brahmans (des Absoluten) zu beschäftigen. (Brahma Sutra, 1.1.1)

Das Ziel von Vedanta ist es, eine persönliche und unmittelbare Kenntnis von Gott zu gewinnen!

Das vorliegende Buch besteht aus der Niederschrift einer Reihe von Vorträgen, die ich vor unterschiedlichem Publikum gehalten habe. Die Vorträge waren dazu bestimmt, den Zuhörern bei ihrer Suche nach dem Wesen und der Natur des Absoluten zu helfen. Und ich wollte dabei zugleich aufzeigen, wie dies in einer Art und Weise geschieht, die mit dem orthodoxen vedischen Verständnis und den philosophischen Schlussfolgerungen des Vedanta übereinstimmt.

Es ist meine aufrichtige Hoffnung, dass dieses Buch dazu dienen wird, sowohl den Intellekt als auch das Herz seiner Leser zu befriedigen, und dass es dazu dienen wird, die Leser zu ermutigen, die tiefgründige Weltanschauung und die spirituellen Praktiken der alten vedischen Tradition noch tiefer zu erforschen.

Wenn man sich mit Aufrichtigkeit und Demut auf den Weg des Vedanta begibt, sich dabei sowohl von seinem scharfen Verstand als auch von dem intensiven Wunsch, Gott zu erkennen, leiten lässt und all dies mit der unentbehrlichen Anleitung durch einen authentischen Guru (spiritueller Lehrer) verbindet, dann führt das eigene Streben mit Sicherheit zum Erfolg!

Abschließend möchte ich Lothar-Rüdiger Lütge für seine göttlich inspirierte Idee danken, meine Vedanta-Vorträge in Buchform in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Ich danke ihm für seine selbstlose Arbeit bei der Niederschrift und der Übertragung des englischen Originaltextes und für die mit der Veröffentlichung und Herausgabe des Buchs verbundene Arbeit.

Darüber hinaus möchte ich Tulasi Devi Mandaleshvari für ihre unschätzbare Hilfe bei der Erstellung des Cover-Designs danken. Herzlich danken muss ich ferner Vaidya Savitri Devi für ihre unendliche Unterstützung und Ermutigung.

Aum Tat Sat

Sri Dharma Pravartaka Acharya

International Sanatana Dharma Society

Dharmacentral.com

5. April 2017

Vedanta – Die Krone der Weisheit

Für diejenigen, die sich dessen vielleicht nicht bewusst sind: Unser gemeinsames Singen in den zurückliegenden Minuten, das war Vedanta! Wir praktizierten Vedanta! Wir sprachen nicht über Vedanta, wir dachten nicht an Vedanta, und wir diskutierten auch nicht über Vedanta, stattdessen führten wir Vedanta aus, indem wir diese wunderbaren Mantren gesungen haben.

Was bedeutet Vedanta? Wie sicher viele bereits wissen, setzt sich der Begriff Vedanta aus zwei Wörtern zusammen: Veda und Anta! Veda ist ein interessanter Begriff. Veda bedeutet ganz einfach: etwas zu wissen! Kenntnis über etwas besitzen! Gemeint ist hier sowohl Wissen in einem ganz allgemeinen, breiten Sinne, aber gemeint ist auch Wissen im spezifischen Sinn, bezogen auf die Shastras, also auf die Texte des Santana Dharma. Der Begriff Anta auf der anderen Seite meint schlicht das Ende, die Schlussfolgerung, den Höhepunkt von etwas. Zusammengenommen bedeutet das: Wenn wir über Vedanta sprechen, sprechen wir vom tatsächlichen, endgültigen Zweck des Veda!

Was ist der tatsächliche Zweck von spirituellem Wissen, von spiritueller Wahrheit, von der Wahrheit selbst? Was ist es eigentlich, das wir tatsächlich wissen wollen? Veda bedeutet ja, etwas zu wissen. Und was wollen wir wissen? Als lebende Wesen können wir nicht anders, als Dinge wissen zu wollen! Es ist einer der Aspekte, ein Mensch zu sein, dass wir Dinge wissen wollen. Sogar dann, wenn wir nicht besonders philosophisch veranlagt sind, lesen wir Zeitung, wir benutzen das Internet und hören auf das, was so erzählt wird. Wir wollen Dinge erfahren. Es ist tatsächlich eine der Bedeutungen, ein lebendes Wesen, ein Atman, zu sein, dass wir dieses Bewusstsein, diese Fähigkeit haben, Dinge wissen zu wollen und wissen zu können.

Was bedeutet es nun ganz speziell, etwas Spirituelles zu wissen? Nun, spirituell etwas zu wissen bedeutet, dass wir dasjenige, um das es geht, auch konkret erfahren! Genau darin unterscheidet sich die spirituelle Wirklichkeit von der rationalen Wirklichkeit. Wenn ich zu ihnen sage: Ich kann ihnen alles über Japan erzählen. Ich kann ihnen alles über die geografischen Gegebenheiten in Japan erzählen, über die ökonomischen Faktoren und die Geschichte Japans. Dann ist das schön und gut. Wenn ich allerdings niemals dort gewesen bin und ich keine eigenen Erfahrungen habe, dann existiert das alles nur in meinem Kopf, es ist nichts, was mich tatsächlich berührt hat und in mein Sein eingedrungen ist. Wenn ich dorthin reise, habe ich eine ganz andere Wahrnehmung von Japan. Jetzt rieche ich es, ich sehe es, ich erfahre etwas, das man aus Büchern nicht lernen kann. In gleicher Weise bedeutet das: Der einzige Weg, auf dem wir etwas Spirituelles wirklich verstehen können, ist, es konkret zu erleben.

Als menschliche Wesen gibt es bei uns allen ein universelles Phänomen: Alle menschlichen Wesen hinterfragen ihre Existenz! An diesem oder jenem Punkt in unserem Leben halten wir inne und fragen uns: Um was geht es hier eigentlich? Warum bin ich da? Wie ist die Natur dieser Realität? Wie kommt es, dass ich von all den Dingen umgeben bin, wenn ich meine Augen öffne? Obwohl da eigentlich auch Nichts sein könnte. Es könnte tatsächlich sehr leicht auch Nichts vorhanden sein, aber wenn wir morgens unsere Augen öffnen, sind all die Dinge um uns herum vorhanden. Wir erleben dann unsere bekannte Realität.

Wenn wir nun an den Punkt kommen, dass wir uns selbst diese philosophischen Fragen stellen und uns das Universum um uns herum ansehen, dann gibt es auf unsere Fragen interessanterweise nur zwei unterschiedliche Antworten. Es sind tatsächlich nur zwei Antworten, die dann später noch ergänzt werden. Die erste Antwort lautet wie folgt: Wenn ich mich umsehe und über den Kosmos nachdenke, komme ich zu der Schlussfolgerung, dass es keinen dahinterstehenden Sinn gibt. Es gibt keine göttliche Intelligenz hinter den Dingen. Alles geschieht zufällig und auf chaotische Weise. Nichts hat irgendeine Bedeutung. Es gibt keinen verborgenen Sinn und keinen verborgenen Inhalt hinter den Dingen, die ich erlebe oder die mir widerfahren. Darum lass mich einfach mein Leben leben, bis ich schließlich sterbe. Und das war es dann! Das ist die erste Schlussfolgerung, die wir wählen können.

Aber wir können auch die zweite Schlussfolgerung wählen, wenn wir uns das Universum um uns herum ansehen. Und diese zweite Schlussfolgerung lautet wie folgt: Wenn ich meine Augen öffne und mich umsehe, staune ich! Ich kann erkennen, dass die Dinge, auch wenn sie manchmal chaotisch erscheinen, einer dahinterstehenden Ordnung folgen. Dass es eine Harmonie hinter den Dingen gibt. Dass es tatsächlich eine Wirklichkeit über und hinter der physischen, materiellen Wirklichkeit gibt, die ich mit meinen Augen sehen und mit meinen Ohren hören kann. Dass tatsächlich hinter allem eine göttliche Intelligenz steht. Wenn ich nur für kurze Zeit und nur in kleinen Ausschnitten auf die Welt schaue, scheinen die Dinge vielleicht chaotisch zu sein, aber wenn ich größere Zusammenhänge und längere Zeiträume betrachte, beginnen viele Dinge einen Sinn zu bekommen. Es gibt eine Ordnung, es gibt Prinzipien, es gibt ein Gesetz im Universum, und das ist ein göttliches Gesetz, ein Naturgesetz, und dieses Gesetz heißt: Dharma! Dies ist also die zweite Option, die wir haben, wenn wir das Universum betrachten. Und wenn wir in dieser zweiten alternativen Weise die Welt betrachten, dann ist das Universum plötzlich, wie gerade beschrieben, voll Bedeutung, und dies genau nennt man Dharma. Das ist die Bedeutung von diesem sehr wichtigen Sanskrit-Wort: Dharma.

Oft bitten mich die Menschen, den Hinduismus in ein, zwei Sätzen zu beschreiben, was, wie ihr wisst, sehr schwierig ist. Historisch gesehen ist der Hinduismus mindestens 5.000 Jahre alt. Das ist die historische Betrachtung. Tatsächlich allerdings ist die Lehre: Sanatana, das ist ebenfalls ein Sanskritbegriff und bedeutet: ewig. Wie soll man das in wenigen Sätzen erklären? Wie kann man etwas so Reichhaltiges und Tiefes wie die vedische Kultur in wenigen Sätzen beschreiben? Wenn ich trotzdem gezwungen bin, genau das zu versuchen, dann erzähle ich folgendes: Es geht im Hinduismus um die Lehre des Sanatana Dharma, d.h. um das ewige Gesetz des Seins. Wenn man diese beiden kleinen Worte versteht, die so bedeutungsvoll und so inhaltsschwer sind, dann sieht man in das Herz des Hinduismus. Die beiden Wörter können auf ein kleines Stück Papier geschrieben werden, aber ihre Bedeutung ist so tief wie ein grenzenloser Ozean. Sanatana Dharma stellt das Zentrum des Hinduismus dar, die beiden Wörter stehen für das ewige natürliche Gesetz des Seins, und damit stehen sie für die ewige Wahrheit, und wenn diese Wahrheit tatsächlich etwas Bedeutungsvolles und etwas Ewiges ist, dann zeigt sie sich umgekehrt im Sanatana Dharma, im ewigen Gesetz des Seins. Mit anderen Worten: Die Wahrheit, die ewige Wahrheit, verändert sich nicht. Wahrheit ist nicht von Meinungen abhängig. Sie unterliegt auch nicht irgendwelchen Spekulationen. Wahrheit unterliegt auch nicht der Mode und sie ist keine Modeerscheinung. Stattdessen ist die Wahrheit zum Ersten ewig und unwandelbar, und zum Zweiten muss die Wahrheit etwas sein, das alle menschlichen Grenzen, incl. die Grenzen der Religion, übersteigt!

Das Letzte mag für manche Menschen etwas radikal klingen, das sollte es aber nicht, wenn man Sanatana Dharma wirklich kennt und versteht. Religion im menschlichen, also in dem vom Menschen gemachten Sinne, hat mit der Wahrheit nichts zu tun und hat daher also auch mit Sanatana Dharma nichts zu tun. Religion kann manchmal als Instrument für die Wahrheit dienen, tatsächlich jedoch transzendiert, also übersteigt, die Wahrheit alle menschengemachten Dinge, incl. der religiösen Lehren und Praktiken. Das Wort Dharma bedeutet denn auch nicht Religion, sondern: natürliches Gesetz des Seins. Dieses Gesetz existiert immer und kann von allen Wesen erkannt werden.

Darum geht es also beim Sanatana Dharma, um das ewige natürliche Gesetz des Seins. Und wie stellt sich Sanatana Dharma konkret dar? Wie können wir als lebende Wesen Zugang zu dieser sehr hoch klingenden Wahrheit haben? Nun, wir haben tatsächlich auf verschiedene Weise direkten Zugang dazu. Zuerst einmal sind wir selbst Manifestationen dieser Wahrheit. Wenn wir herausfinden, was und wer wir wirklich sind, in unserem innersten Sein, dann entdecken wir in uns diesen wunderbaren inneren Kern, Atman, der eine Reflektion des Göttlichen ist. Wenn wir also über die Wahrheit sprechen, dann sprechen wir nicht über etwas, das weit entfernt und so transzendent ist, dass wir nur darüber spekulieren können, das wir aber nie erreichen. Nein, ganz im Gegenteil, die Wahrheit ist uns näher, als wir selbst es sind. Die Wahrheit ist uns näher, als wir es uns überhaupt vorstellen können. Näher als alles, was wir erkennen und berühren können. Und wenn ich diese Blumen, hier neben mir, jetzt sehr leicht berühren kann, so ist die Wahrheit dennoch noch viel näher und leichter erreichbar. Ganz besonders und ganz praktisch gesprochen, nähern wir uns der Wahrheit durch die vedische Kultur, durch die vedische Religion, die vedische Spiritualität.

Eine Besonderheit der vedischen Kultur und der vedischen Spiritualität, die mich immer wieder verblüfft, liegt in Folgendem: Bei nahezu jeder anderen menschengemachten Religion auf der Welt ist es so, dass jeder einzelne Mensch sich in der Regel verändern muss, um den Anforderungen der Religion zu entsprechen. Wie wird man ein Mitglied der jeweiligen Religion? Indem man sich ändert, um in das System hineinzupassen und dessen Anforderungen zu genügen. Das ganz Besondere der vedischen Kultur bzw. der vedischen Religion liegt darin, dass sie jeden akzeptiert, unabhängig davon, wer wir sind und wo wir uns selbst einordnen. Und das hat einen Grund. Die vedische Kultur versteht, dass wir als ewige Wesen alle bereits seit einer langen Zeit hier sind. Wir alle haben bereits umfangreiche Erfahrungen, und als Ergebnis davon sind wir alle anders und unterschiedlich.

Einige von uns sind sehr spirituell, andere sind nicht besonders spirituell. Und wenn wir spirituell sind, so sind wir es auf unterschiedliche Arten. Es ist interessant, dass die Menschen, die nur wenig über Spiritualität wissen, alle spirituellen Menschen gern in einen großen gemeinsamen Topf werfen, aber das stimmt nicht, es gibt tatsächlich große Unterschiede zwischen den Menschen, die sich selbst als spirituell bezeichnen. Auch müssen die Menschen, die spirituell sind, nicht unbedingt das gleiche Ziel anstreben. Die Menschen werden von allen Arten unterschiedlicher Wünsche angetrieben. Dies gilt auch, wenn sie beginnen, sich für Spiritualität zu interessieren. Wir können das überall beobachten. Auf der einen Seite kann sich eine Person als spirituell bezeichnen und niemals auch nur einem kleinen Insekt ein Haar krümmen und auf der anderen Seite gibt es jemanden wie Osama Bin Laden. Wie kann man diese große Bandbreite erklären? Das liegt daran, dass die Menschen durch unterschiedliche Dinge motiviert werden, auch in der Religion, auch in der Spiritualität. Wir sollten im Auge behalten, dass das Geniale an der vedischen Kultur und der vedischen Spiritualität darin liegt, dass jeder berücksichtigt wird.

Wenn wir jetzt noch einmal zum Veda zurückkommen und uns die Schriften des Sanatana Dharma, des Hinduismus, ansehen, dann verstehen wir, warum wir nicht nur ein einziges Buch haben. Ich kenne so viele Menschen, die als Hindu geboren wurden und die zu mir kommen und sagen: Warum können wir nicht nur ein einziges Buch haben, wie all die westlichen Religionen? Warum können wir nicht nur ein Buch, wie z.B. den Koran, haben? Ein Buch, das sehr einfach ist, und wenn man es in seine Tasche steckt, hat man alle Antworten bei sich. Und das war’s! Und ich antworte ihnen dann wie folgt: Ich weiß, dass es etwas entmutigend ist, insbesondere wenn man nicht gerade ein begeisterte Leser ist oder wenn man nur wenig Zeit hat, aber der Reichtum dieser Kultur liegt gerade darin, dass wir so viele Schriften haben, um all die unterschiedlichen Menschen anzusprechen, unabhängig davon, wie sie sind und welche Interessen sie verfolgen. Darum haben wir auch Schriften für Menschen, die zwar an Spiritualität interessiert sind, die aber Spiritualität lediglich als einen Zeitvertreib sehen und keine Fortschritte machen wollen. So gut wie keine andere Religion hat so etwas, aber wir. Wo bleiben also all die Menschen, die zwar an Spiritualität interessiert sind, die aber weder das Ziel haben, Gott zu erkennen, noch an Selbsterkenntnis interessiert sind. Ihr Ziel ist es auch nicht, aus Samsara, dem ewigen Kreislauf von Leben und Tod, auszubrechen. Stattdessen wollen sie einfach gute, ordentliche Menschen sein und ein gutes Leben in der Welt haben. Und, sie werden es ahnen, ja, es gibt im Hinduismus auch Schriften für diese Menschen. Der Sanskrit-Begriff dafür lautet Karma Kanda. Karma Kanda bezeichnet die Teile der Schriften, die insbesondere für die Menschen interessant sind, die sich einen Aufstieg in der materiellen Welt wünschen, aber keine Interessen haben, die über die materielle Welt hinausgehen. Diese Schriften umfassen große Teile der Veden sowie die Brahmanas und Teile der Aranyakas. Es werden also auch die Menschen berücksichtigt, die Fortschritte in der materiellen Welt machen wollen und dies auf eine halbwegs spirituelle Art und Weise erreichen möchten.

Für die Menschen allerdings, die tatsächlich die Wahrheit erkennen wollen, die wirklich Gott erkennen möchten, die die Gottes Gegenwart in ihrem Leben wirklich erleben wollen und dem Sinn des Leben entsprechen möchten, für diese Menschen gibt es die zweite Gruppe von Schriften, die mit dem Sanskrit-Begriff Jnana Kanda bezeichnet wird. Hier handelt es sich insbesondere um die Upanischaden. Dies ist der Pfad für die Menschen, die wirklich wissen wollen, wer sie sind, die ihren Atman, ihr wahres Selbst, erkennen möchten und Gott erkennen wollen. Und dies ist Vedanta.

Wenn wir über die Vedanta-Philosophie sprechen, dann sprechen wir im Wesentlichen über die Philosophie aus den folgenden drei Arten von Schriften. Zum einen sind da die Upanischaden, und zwar insbesondere die 12 Hauptexte. Wir wissen, dass es insgesamt 108 Upanischaden gibt, von besonderer Bedeutung sind jedoch hier die 12 Haupttexte. Neben den Upanischaden sprechen wir als zweites über die Bhagavad Gita und dann als drittes über ein weiteres wundervolles Buch, die Brahma Sutras. Das ist das Schriften-Fundament der Philosophie, die als Vedanta bekannt ist.