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Wie implementiert man in einem Großunternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern erfolgreich neue Prozesse, ohne den laufenden Betrieb mit unzähligen Workshops aufzuhalten? In den letzten Jahren wurde für die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen eine Reihe von Methoden entwickelt, die bei großen Gruppen effektiv und effizient eingesetzt werden können. Die Organisationsberaterin Ruth Seliger beschreibt in dieser Einführung die wichtigsten dieser Großgruppenmethoden: Zukunftskonferenz, Real Time Strategic Change (RTSC), Open Space, Appreciative Inquiry Summit und World Café. Die einzelnen Methoden werden mit ihren theoretischen Grundlagen, ihren Prinzipien und methodischen Besonderheiten vorgestellt. Zu jeder Methode werden praktische Hinweise zu Einsatzmöglichkeiten, Gestaltung und Durchführung geboten.
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Seitenzahl: 134
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Ruth Seliger
Vierte Auflage, 2020
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Umschlaggestaltung: Uwe Göbel
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Printed in the Czech Republic
Druck und Bindung: FINIDR, s. r. o.
Vierte Auflage, 2020
ISBN 978-3-89670-618-8 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8220-7 (ePub)
© 2008, 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22
1.Einleitung
2.Großgruppen – ein Unterschied in der Beratung
2.1Die Anfänge
2.2Sind Großgruppen große Gruppen?
2.3Was bringen Organisationskonferenzen?
2.4Gefahren und Risken von Großkonferenzen
3.Wurzeln und Grundlagen der Großgruppenarbeit
3.1Organisationsentwicklung
3.2Gruppendynamik
3.3Action Learning – Lernende Organisation
3.4Systemisches Denken
4.Gemeinsame Prinzipien in der Arbeit mit Großgruppen
4.1Das ganze System in einen Raum bringen
4.2Eigenverantwortung und Selbstorganisation
4.3Vorrang des Gemeinsamen vor dem Trennenden
4.4Fokus auf der Zukunft
4.5Fokus auf Ressourcen und Lösungen
4.6Systemischer Blick
4.7Organisationsdialog
4.8Emotionen und Energie
4.9Das Feuer am Lodern halten
4.10Kein Event, sondern ein Prozess
5.Die Praxis von Großgruppen-Methoden
5.1Groß-Konferenzen als Rahmen zur (Er-)Findung eines gemeinsamen Zukunftsbildes
5.2Groß-Konferenzen als Rahmen zur Schaffung neuer Organisationskulturen und Strukturen
5.3Groß-Konferenzen als Rahmen für Planung und Strukturierung von Zielen
5.4Die Zukunftskonferenz
5.5Real-Time-Strategic-Change-Konferenzen (RTSC)
5.6Appreciative Inquiry Summit
5.7Open Space
5.8The World Café
5.9Zusammenfassend
6.Empfehlungen für die praktische Arbeit mit Großgruppen
6.1Hilfreiche weiterführende Literatur und praktische Anregungen zum Einstieg
6.2Die Rolle des Moderators
6.3Beratungskompetenz – nicht Moderation – ist vor allem gefragt
6.4Genaue Vorbereitung ist mehr als die halbe Miete
6.5Die Bühne der Konferenz gehört den Kunden – nicht dem Moderator
6.6Umgang mit dem Management
6.7Keine Angst vor großen Gruppen
Übersicht über Großgruppen-Methoden
Literatur
Über die Autorin
Im Jahre 1996 steckte ich gerade in einem komplizierten Verfahren zur Klärung des Auftrags seitens eines österreichischen Energieunternehmens mit ca. 4000 Mitarbeitern. Das Management hatte sich für neue Prozesse in einem bestimmten Bereich, der das gesamte Unternehmen betraf, entschlossen. Nun sollte jemand diese neue Idee und das neue Verfahren in das Unternehmen und zu den Mitarbeitern transportieren. Die Personalentwicklung war mit dieser Frage betraut worden und suchte nun geeignete externe Partner, die die Botschaft ins Unternehmen tragen sollten. Vorgesehen war eine Serie von eintägigen Workshops mit jeweils etwa zwölf Personen. Das ergab eine Menge von mehr als 300 Workshops.
Mein erster Gedanke war Cats, das Musical, das über viele Jahre täglich gespielt wurde und von dem man sich erzählte, dass die Darsteller nach der 400. Aufführung am Rande des Wahnsinns waren und ausgetauscht werden mussten.
Ich wusste damals, dass dieser Weg für einen Erneuerungsprozess nicht erfolgreich sein konnte. Zwar waren Management und Personalentwicklung bemüht, die „Betroffenen zu Beteiligten“ zu machen, aber es war abzusehen, dass die Welt und damit das Unternehmen sich verändern würde, während man beim 150. Workshop noch die Entscheidungen des Vorjahres vortragen und diskutieren würde.
Ich lehnte die Anfrage ab. Ich hatte damals keine adäquate Methode zur Verfügung, um das Problem dieser Organisation zu lösen.
Kurz darauf, genau genommen ebenfalls noch im Jahr 1996, habe ich erstmals über Großgruppearbeit gelesen. Die Zeitschrift Organisationsentwicklung brachte eine ganze Serie von Berichten über eine Methode, die für mich einen spontanen Perspektivenwechsel auslöste. Obwohl ich mich damals schon als systemische Organisationsberaterin verstand, war meine Arbeit bis dahin von den Ideen und Regeln der klassischen Organisationsentwicklung geprägt gewesen. So fragten wir zwar zirkulär, betrachteten aber die Gruppe oder das Team weiterhin als den wichtigsten Hebel von Veränderungen. Der Workshop war das Basissetting. Wir waren es gewohnt, Organisationen in viele Teams und Gruppen und Prozesse zu zerlegen und sie in eine sequentielle Abfolge von immer wieder den gleichen Settings von Workshops mit ca. zwölf Personen zu bringen. Mit dem ganzen System zu arbeiten war ein neuer, faszinierender Gedanke: Das Ziel war die Gleichzeitigkeit und Gemeinsamkeit von Veränderungsprozessen in komplexen Systemen.
Matthias zur Bonsen bot in jenem Jahr einen Workshop an, in dem er die drei wichtigsten Methoden vorstellte: Zukunftskonferenzen, Real Time Strategic Change-Konferenzen (RTSC) und Open Space. Obwohl schon früher im Rahmen der Gruppendynamik gemeinsam mit Marvin Weisbord über Zukunftskonferenzen gelernt worden war, war dieser Workshop der Beginn der Erfolgsgeschichte von Großgruppen in Deutschland und Österreich.
Noch während des Workshops vereinbarte ich mit Matthias zur Bonsen, diese neuen Methoden in Österreich vorzustellen. Viele Jahre lang bildeten wir gemeinsam die österreichische Beraterszene aus und machten diese Methoden bekannt.
Mein Institut lud die Pioniere aus den USA nach Wien ein, ihre Methoden persönlich zu präsentieren: Marvin Weisbord und Sandra Janoff hielten einen Workshop über Zukunftskonferenzen ab, Sylvia James und Paul D. Tolchinsky stellten RTSC-Konferenzen vor, Harrison Owen präsentierte den Open Space. Im Jahr 2000 kamen auf Einladung von Matthias zur Bonsen die beiden Pioniere von Appreciative Inquiry nach Europa, um ihren Ansatz vorzustellen. David Cooperrider und Diana Whitney gaben in Riccione an der italienischen Adria einen Workshop über Appreciative Inquiry, und etwa 90 Berater aus ganz Europa, Südafrika und Japan hatten Gelegenheit, diesen Ansatz direkt von den „Erfindern“ kennenzulernen.
Mittlerweile sind viele Jahre vergangen, in denen Großgruppenmethoden zu meinem wichtigsten Werkzeug und zur Basis meines Zugangs zu Change Management geworden sind. Großgruppen gehören für mich zu den beinahe selbstverständlichen Elementen von Veränderungsprozessen.
Ich habe alle Methoden in sehr unterschiedlichen Organisationen – großen und kleinen, Wirtschaftsunternehmen, Non-Profit-Organisationen und öffentlichen Einrichtungen – zu sehr unterschiedlichen Themen und unterschiedlich komplexen Aufgaben eingesetzt. Es hat immer „funktioniert“.
Meine anfängliche Begeisterung ist geblieben. In diesem Buch werden Sie meine Zustimmung zu diesen Methoden spüren können. Ich gehöre nicht zu den Zweiflern und Kritikern, sondern habe hier eindeutig positive Schlagseite und bin davon überzeugt, dass wir es mit einem Instrumentarium zu tun haben, das – die Kompetenz und Haltung der Berater vorausgesetzt – nicht nur zu einem „schnellen Wandel“ von Organisationen beitragen kann, sondern auch zu einer neuen Kultur der Kooperation in Organisationen.
In dieses kleine Büchlein sind viele Erfahrungen mit Großgruppen eingegangen. Ich bedanke mich vor allem bei meinen Kunden, die mir Gelegenheiten gaben, mit dieser Methode zu arbeiten und zu experimentieren, und die den Mut hatten, Neues auszuprobieren.
In dieser Einführung erfahren Sie:
•welche theoretischen Wurzeln Großgruppenarbeit hat
•welchen systemtheoretischen Bezug es dazu gibt
•welche Prinzipien allen Methoden von Großgruppenarbeit zu Grunde liegen
•welche Formen und Schwerpunkte die einzelnen Methoden aufweisen
•worauf es bei der Planung und Durchführung von Großgruppenkonferenzen ankommt.
Ich bitte um Verständnis, dass ich im Sinne der Lesbarkeit auf eine Gender-Differenzierung der Sprache verzichte. Die männlichen Sprachformen beinhalten auch die weiblichen Adressatinnen.
Stellen Sie sich einen großen, einen wirklich großen Raum vor, in dem sich ungefähr 250 Menschen befinden. Es sind Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten. Das Topmanagement ist da, Vertreter aller Führungsebenen, Mitarbeiter aus allen Bereichen, der Betriebsrat. Sogar ein paar Kunden sind anwesend. Das können Sie an den Namenskärtchen erkennen.
Die Menschen sitzen in Stuhlkreisen zu jeweils acht Personen. Sie als Beobachter können gerade sehen, dass in allen Gruppen heftig diskutiert wird, bei jedem Kreis ist ein Flipchart aufgestellt, bei dem eine Person steht und schreibt. Der Raum ist erfüllt von Stimmegewirr, man kann sein eigenes Wort kaum verstehen.
Plötzlich erklingt die Stimme eines Moderators durch den Lautsprecher: Die Sprecher mögen die Ergebnisse ihrer Gruppen vorstellen. Es wird ruhig im Raum, und nach und nach stehen Sprecher auf und berichten über die Ergebnisse ihrer Gruppendiskussionen.
Man kann erkennen, dass einige Sprecher sehr aufgeregt sind: Sie sprechen das erste Mal in ihrem Leben vor einer so großen Menschenmenge, noch dazu in Gegenwart des Managements. Manche vergessen, dass sie ins Mikrofon sprechen müssen, und erzählen ihre Geschichte dem Moderator. Dieser hilft immer wieder ein wenig nach. Aber auch der Vertreter des Managements ist ein wenig aufgeregt und räuspert sich mehrmals während seines Berichts.
Als Sie einige Stunden später wieder in denselben Raum kommen, ist die Lage vollkommen verändert: Die Menschen sitzen in anderer Zusammensetzung in anderen Gruppen und diskutieren nicht, sondern schneiden Krepppapier in Streifen, das sie sich in die Haare binden, manche haben bunte Pfeifenputzer, zu riesigen Brillen geformt, auf ihren Nasen und Luftballons an einer Schnur um die Hüften gebunden. Eine Gruppe probt gerade ein Lied, eine andere Gruppe lacht sich über irgendetwas halb kaputt, wieder eine andere Gruppe hat offenbar noch keine Idee und brütet noch still einen Einfall herbei.
Sie beobachten, dass der oberste Manager mit hochroten Backen mit einer Kinderschere an Buntpapier herumschnippelt, und fragen sich, wohin das Schicksal Sie wohl gerade verschlagen hat.
Sie sind in eine Großgruppenkonferenz geraten!
Als Mitte der 90er Jahre die ersten Artikel über die Arbeit mit großen Gruppen im deutschsprachigen Raum erschienen (zur Bonsen 1995; Weisbord 1996: Petri 1996), ging ein kleines Beben durch die Beraterwelt. Kaum eine neue Methodik hat Beratungsarbeit so stark verändert und erweitert wie die Arbeit mit großen Gruppen.
Die Organisationsberatung hatte Mitte der 80er Jahre ihren ersten großen Paradigmenwechsel erlebt. Systemisches Denken löste die bisherigen Konzepte und Prinzipien der klassischen Organisationsentwicklung ab. Die gruppendynamisch ausgelegte Organisationsentwicklung der 60er und 70er Jahre war davon ausgegangen, dass Organisationen sich verändern lassen, wenn es gelingt, die Menschen zu verändern (Wimmer 2004). Daher waren Organisationsentwicklungsprozesse zumeist mehrjährige Projekte, die auf Lernen der Menschen und Entwicklung ihrer Beziehungen aus waren. Die Autonomie des Einzelnen wurde den Zugriffen der Hierarchie gegenüberstellt.
Dieser pädagogisch-emanzipatorische Ansatz wurde mit dem neu entstandenen systemischen Paradigma großteils fallengelassen. Systemisches Denken brachte neue Grundannahmen in die Beratung. Vor allem die Überlegung, dass Organisationen eigene soziale Systeme sind und Menschen nicht als ihre „Elemente“, sondern als ihre Umwelten gesehen werden, veränderte die Beratung und viele ihrer Instrumente.
Trotz dieser neuen Gedanken und trotz neuer Kommunikations-Tools, wie des zirkulären Fragens, blieben die meisten Methoden der systemischen Beratung aber nach wie vor im gruppendynamischen Feld beheimatet. Workshops von zwölf bis 15 Personen mit der Möglichkeit der Face-to-Face-Kommunikation waren nach wie vor das favorisierte Arbeitsformat der systemischen Beratung. Die „Gruppe“ bzw. das „Team“ war weiterhin Drehscheibe von Veränderungen, auch wenn die Inhalte und Instrumente der Kommunikation sich verändert hatten. Waren im Rahmen der Organisationsentwicklung vor allem die inneren Beziehungen der Mitglieder der Gruppe thematisiert worden, so beschäftigte man sich in der systemischen Beratung mit den Aufgaben, Zielen und Umwelten der Gruppe. Dennoch: Die Gruppe blieb das bevorzugte Setting.
Vermutlich war es einfach nur der Mangel an neuen Ideen, der die gruppendynamische Methodik noch eine Weile am Leben hielt. Die Arbeit in Workshops hatte zur Folge, dass Veränderungen in diesen kleinen Formaten nur langsam und nur sequentiell, also Schritt für Schritt erfolgen konnten. Es braucht ebene seine Zeit, bis viele Menschen in Gruppen zu zwölf bis 15 Personen zusammengesetzt und in Veränderungsprozesse eingebunden sind. Das galt auch für die systemische Beratung, die ihre spezifischen Methoden aus dem Feld der Familientherapie bezog: zirkuläres Fragen oder Reflecting Teams.
Die Liberalisierung der Finanzmärkte Ende der 80er Jahre und die daraufhin einsetzende Dynamik in den Unternehmen brachte neue Herausforderungen für Organisationen und damit für die Beratung. Die sequentiellen Veränderungsprozesse erwiesen sich als zu langsam für den neuen Taktschlag der Wirtschaft, die zugleich globaler, komplexer, internationaler und beweglicher wurde.
Systemische Beratung war und ist eine Antwort auf diese Entwicklungen. Die Stärke der systemischen Perspektive liegt darin, mit Komplexität angemessen zu arbeiten. Komplexität wird in der systemischen Beratung nicht einfach nur heruntergebrochen, sondern je nach Gegebenheit erweitert oder reduziert. Der gedankliche Kunstkniff der Systemtheorie und der systemischen Beratung, Systeme (und ihre Umwelten) zu definieren, sinnvolle Grenzen zwischen „innen“ und „außen“ zu ziehen, macht es möglich, Komplexität zu nutzen, auf ihr zu surfen.
Dennoch waren die Methoden und Instrumente noch nicht entwickelt, die es ermöglicht hätten, auf die neuen Bedingungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Organisationen zu reagieren. Die Instrumente der systemischen Organisationsberatung waren zu diesem Zeitpunkt allesamt Leihgaben aus der systemischen Familientherapie oder der Gruppendynamik.
In diese Situationen hinein platzte die Information über die Arbeit mit Großgruppen. Die Methoden waren auch bei uns zwar nicht ganz neu, wurden aber vor allem im Feld der Spiel- und Erlebnispädagogik eingesetzt (Reichel, Rabenstein u. Thanhoffer 1982). Die Arbeit mit Großgruppen in Organisationen mit der Absicht, damit Veränderungsprozesse zu gestalten, war vollkommen neu und machte einen gewaltigen Unterschied in der Beratung.
Die Bezeichnung „Großgruppe“ ist ein Relikt aus der Zeit der Gruppendynamik und der Organisationsentwicklung. Von Anfang an hat sich der Begriff der Großgruppe etabliert. Offenkundig war es ein Versuch, diese neue Methode anschlussfähig für die gruppendynamische Tradition zu machen.
Die Pioniere selbst sprechen von „Large Groups“. Es ist aber einen Versuch wert, diese Selbstverständlichkeit zu hinterfragen, denn Worte transportieren bestimmte Vorstellungen. Es lohnt daher, eine Begriffsschärfung vorzunehmen, um Unterschiede zu machen. Im Zusammenhang mit „Großgruppe“ werden gerne drei Begriffe vermischt: Gruppe, Masse und Großgruppe.
Aus gruppendynamischer Sicht sind Gruppen soziale Systeme, die
•drei bis ca. 20 Personen umfassen,
•eine gemeinsame Aufgabe oder ein sie verbindendes Thema haben und
•in denen Face-to-Face-Kommunikation möglich ist (vgl. König u. Schattenhofer 2007, S. 15).
Gruppen konstituieren sich über Personen, ihre Beziehungen und die Möglichkeit der direkten Kommunikation. Wenn Mitglieder von Gruppen wechseln, dann verändert sich damit die Gruppe.
Großgruppen weisen keines dieser Merkmale auf: Weder stehen die einzelnen Personen oder ihre emotionalen Beziehungen im Vordergrund von Großgruppenveranstaltungen, noch ist Face-to-Face-Kommunikation möglich.
Auch dieser Begriff wird im Zusammenhang mit „Großgruppe“ mitunter ins Spiel gebracht (Heintel 2000, S. 45 ff.). Von Massen sprechen wir bei einer großen Menge von Menschen, deren Aufmerksamkeit „sich nicht aufeinander, sondern auf ein Drittes“ richtet, etwa auf einen Redner oder die Spieler auf dem Fußballfeld. Massen sind unstrukturierte oder wenig strukturierte Ansammlungen von vielen Menschen.
Großgruppen sind keine „Massen“. Die Mitglieder von Großgruppen sind im Allgemeinen nicht über Personen, sondern über einen gemeinsamen Kontext, in der Regel eine Organisation, und ein gemeinsames Thema, etwa die Veränderung dieser Organisation, miteinander verbunden. Die Aufmerksamkeit richtet sich zum einen auf das gemeinsame Dritte, aber das Wesen der Konferenzen liegt zum anderen darin, möglichst viele Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und sie damit in die Prozesse einzubinden. In Großkonferenzen geht es gerade darum, die Isolation des Individuums in der Masse aufzuheben und einen Rahmen für Dialog zu schaffen.
Großgruppen sind Veranstaltungen, an denen von 30 bis zu mehreren Hundert, mitunter sogar bis zu 2000 Personen teilnehmen und gemeinsam an einem Thema arbeiten. Großgruppen finden im Allgemeinen in einem bestimmten Kontext – einer Organisation oder Institution oder zu einem gemeinsamen Thema – statt. Wenn wir von Großgruppen sprechen, dann ist der Kontext mitzudenken, in dem sie jeweils stattfinden.
Im Vordergrund von Großgruppen stehen nicht die einzelnen Menschen und ihre persönlichen Beziehungen, sondern die professionellen Rollen, Funktionen und Positionen, die die Personen in ihrer Organisation einnehmen. Die Beziehungen sind Arbeitsbeziehungen,