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Auch in diesem Band sind Erzählungen des Weltreisenden Friedrich Gerstäcker (1816-1872) vereint, die den Leser noch heute fesseln und ihm ein getreues Bild der damaligen Zeit vermitteln. Ob es um das Wrack eines alten Piratenschiffes handelt, um eine Schiffsmannschaft, die sich nach dem Verlust ihres Schiffes durchschlagen will oder um ein Erlebnis aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wie zuletzt auch um eine groteske Geschichte um ein 'Irrenhaus' - Friedrich Gerstäcker versteht es, den Leser zu fesseln und vermittelt zugleich ein authentisches Bild seiner Zeit.
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Seitenzahl: 583
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Gesammelte Schriften
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweite Serie.
Zwölfter Band.
Volks- und Familien-Ausgabe.
Einheimisches und Fremdes
Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
___
Jena, Hermann Costenoble
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig, 2020
Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten! © 2020
Das Wrack des Piraten
1. La Pulperia
In dem Seitenstübchen einer kleinen, aber deshalb nicht unbedeutenden pulperia, oder Schenkwirthschaft, am westlichen Ende der Stadt Valparaiso, saß am Abend des 5. August des für Chile besonders wichtigen Jahres 1810 eine ziemliche Anzahl Gäste, die Nationen bunt genug durcheinander gemischt, versammelt, und besprach besonders die Hauptinteressen des Tages, die Absetzung des General-Capitains Carrasco, die am 18. Juli in San Jago, der Residenz des Landes, stattgefunden, und den Antrag des berühmten, über die Kordilleren zu ihnen herübergekommenen Alvarez de Jonte, eine Regierungs-Junta zusammen zu berufen und dadurch das spanische Joch, das noch auf ihren Schultern ruhte und ihnen mit jedem Jahre drückender und unerträglicher wurde, abzuwerfen.
Senora Fostero übrigens, die vortrefflichste lebendige Empfehlung, die je hinter einem Wirthstisch gesessen, und hier zugleich ehrbare Besitzerin dieses lebendigen Platzes, würde es uns sicher übelnehmen, wollten wir uns nicht erst einen Augenblick, und sei es nur durch kurzen Gruß, mit ihr beschäftigen, ehe wir uns ihren versammelten Gästen zuwenden.
Senora Fostero, oder kurzweg Senora, wie sie von den Fremden und tia mis oder Tantchen nicht selten von den älteren und mehr vertrauten Stammgästen genannt wurde, wog in der That zwei andere Schenkwirthinnen, nicht allein an Umsicht und Geistesgegenwart in schwierigen Verhältnissen, oder Erfahrung was das praktische Leben betraf, nein auch an wirklichem chilenischen Marktgewicht auf, und konnte in jeder /4/ Hinsicht, selbst in moralischer, was in Valparaiso nicht wenig sagen will, als Muster einer wahrhaft vortrefflichen Wirthin hingestellt werden. Ihre Jugendzeit war ihr aber nicht so ruhig und sorglos verflossen, als es ihr Alter, bei gutem Auskommen und kräftiger Gesundheit, zu werden versprach. Zweimal verheirathet, hatte sie beide Männer verloren. Der erste war ein wilder, unbändiger Gesell gewesen, der sich mit dem ordentlichen und ehrbaren Daheimsttzen, wie es einem verheiratheten Manne zukommt, nicht vertragen konnte, seinen unruhigen Neigungen zu Liebe deshalb mit seiner Frau Gelde einen kleinen Schoner kaufte und damit zwischen den Inseln und der chilenischen Küste Handel trieb. Die Sache ging auch mehrere Jahre vortrefflich, einmal aber verfloß die gewöhnliche Zeit seiner Rückkehr und er kam nicht - die arme Frau wartete ein, zwei, drei Jahre, er kam immer noch nicht, und so war sie endlich wohl genöthigt, dem Führer eines andern Schoners zu glauben, der mit Lorenzo Fajardo von Tahiti ausgelaufen, nicht weit von den Inseln einen der dort gerade nicht seltenen Typhoons erlebt hatte, dem er nur mit unendlicher Gefahr und Verlust beider Masten entging. Dieser wollte zwei Tage später Trümmer eines andern Fahrzeugs gefunden haben, die er, der Malerei nach, für die von Fajardo's Schuner hielt, und da der Unglückliche auch in späteren Jahren verschollen blieb, war kein Zweifel mehr, daß er seinen frühen Tod in den Wellen gefunden.
Seine Frau hatte mit ihm ein einziges Kind, eine Tochter. - Sechs Jahre nach dem Verlust ihres ersten Mannes verheirathete sie sich zum zweiten Mal mit einem geborenen Chilenen, Fostero; diese Ehe blieb aber kinderlos und auch Fostero starb schon im dritten Jahre ihrer Verbindung an den Folgen eines unglücklichen Sturzes von einem wildgewordenen Pferde. Senora Fostero heirathete aber nicht wieder, sondern führte, mehr um eine Beschäftigung zu haben, als wirklichen Broderwerbs wegen, ihre Wirthschaft allein fort, und gab ihre Tochter Manuela, als diese etwas herangewachsen war, nach Santiago zu einer Schwester, um sie dort in der Hauptstadt des Landes erziehen zu lasten. Valparaiso war damals nicht allein nur noch ein kleines, unbedeutendes Hafenstädtchen, /5/ sondern eine pulperia eben auch kein geeigneter Platz, ein junges hübsches Mädchen groß zu ziehen. -- Nur seit einigen Tagen befand sich Manuela zum kurzen Besuch bei ihrer Mutter.
Ihre Gäste zu bedienen, hatte Senora Fostero zwei junge Mädchen aus Guilotta in ihr Haus genommen, Marequita und Juana, die jetzt wie flüchtige Grazien in dem kleinen, aber nicht besonders erleuchteten Zimmer umherschlüpsten, bald hier bald da verlangte Getränke oder Früchte - Oliven, Orangen und Trauben - herbei zu schaffen. Die behaglichste und Hauptecke des kleinen Gemachs nahmen aber vier Personen ein, mit denen ich den Leser vor allen Dingen näher bekannt machen muß. Nicht gerade der Netteste von ihnen, aber doch jedenfalls der, der durch seine Persönlichkeit, und auch vielleicht einer kleinen Abweichung in der Kleidung wegen, manchem der nach ihm Eintretenden insoweit ausfiel, daß sie sich, wenn auch vergeblich, nach Namen und Stand des fremden Mannes erkundigten, verdient unsere eiste Beachtung. Er führte augenscheinlich das Wort, behandelte dabei Senora Fostero auf das Vertraulichste, ja ich möchte fast sagen protegirend, obgleich er heute zum ersten Mal ihre Schwelle betreten hatte, scherzte mit den beiden Auswärterinnen, ohne dabei jemals das Gesicht auch nur zu einem Lächeln zu verziehen, und betrug sich überhaupt in einer so ungezwungenen und freien, jedoch immer anständigen Weise, als ob er hier seit Jahren aus und ein gegangen fei, und doch erinnerte sich Keiner von ihnen, ihn auch nur je gesehen zu haben. Mit allen Ländern der Welt war er dabei bekannt - von den sich am entferntest liegenden Theilen der Erde sprach er so, daß man stets denken mußte, er rede von seiner Heimath, und sein sonngebräunter Teint, seine harten, wohl in Gefahren und Beschwerden gestählten Züge, wie das ganze Kräftige seines Körpers, straften diese Meinungen denn auch nicht Lügen.
Es war ein nicht gerade sehr großer, aber wohlgewachsener Mann, jedenfalls in einem südlichen Lande geboren, mit krausem schwarzen Haar und noch schwärzerem vollen gelockten und gut gehaltenen Bart, den die linke Hand gewöhnlich theilend von einander strich, wenn die rechte das volle Glas /6/ zu den Lippen führte. Ueber seine hohe Stirn lief aber, von oben aus dem Haar kommend bis nach der Nasenwurzel hinunter, ein schmales schwarzes Pflaster, was ihm ein eigenes und keineswegs freundliches Aussehen gab und von den beiden Mädchen schon seit seinem Eintreten mit heimlichem Grausen betrachtet und besprochen war. Seine dunkeln Augen verriethen, besonders wenn er sprach, Feuer und Geist; nahm er aber manchmal auf kurze Zeit an dem Gespräch keinen Theil und warf dann, wie in Gedanken versunken, lange forschende Blicke über das Zimmer und auch wohl über die darin versammelten Gäste, ja selbst nach der behaglichen Wirthin hinüber - der aber unter diesem Blicke nie wohl war und die sich scheute, ihm zu begegnen - dann glühten seine Augen, man könnte fast sagen, mit einem wilden, unheimlichen Glanz unter den buschigen Brauen und dem schwarzen Pflaster hervor. Selbst das reizende Antlitz Manuela's, die sich vor etwa einer halben Stunde neben ihrer Mutter - aber gewiß nicht seinetwegen - niedergelassen hatte, vermochte dann kaum, wenn der Blick des finstern Mannes auf sie fiel, den starren, harten Ausdruck in seinen Zügen zu mildern.
Dem ersten flüchtigen Eindruck nach schien er in die gewöhnliche chilenische Tracht und zwar der unteren Klassen gekleidet, denn einer jener ganz ordinären blauen Ponchos mit gelb und roth gemustertem Rand, wie sie sonst fast nur die Peons und ärmeren Farmer tragen, hing über seine Schultern und verhüllte dadurch den Oberkörper vollkommen, aber am Hals und aus der im Poncho befindlichen Oeffnung, durch welche der Kopf gesteckt wird, war der Kragen einer seinen tuchenen Jacke und eines schneeweißen Hemdes sichtbar, und unter dem Poncho, von dem niedern Stuhl bis fast zur Erde hinab reichend, hingen die beiden Quasten einer schwerseidenen chinesischen Schärpe nieder, wie sie eigentlich nur die vornehmen oder doch wohlhabenderen Chilenen oder vielleicht Seeleute trugen, die das chinesische Meer befahren haben. Sein breiträndiger schwarzer Filzhut, ebenfalls mit einer dicken rothseidenen Schnur umwunden, hing hinter ihm auf der Stuhllehne.
Der Zweite, der seinen Stuhl an dem Tisch aber nur /7/ eben belegt hielt und die meiste Zeit neben Senora Fostero und Manuela saß, mit diesen zu plaudern, und nur dann und wann, besonders wenn Manuela, der Mutter zu helfen, zuweilen das Zimmer verließ, zu seinem Sitz am Tisch zurückkehrte, war ein junger Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, mit leichtem, fast hellbraunem Schnurrbart und kastanienbraunem lockigen Haar und klarblauen, aber doch lebendigen Augen. Seine vom feinsten Stoff gefertigte Kleidung, mit dem goldenen Streifen um die blaue Tuchmütze, verrieth den englischen Seeofficier. Edward Wilkinson war Lieutenant auf Seiner Majestät Fregatte „Terpsichore", aber vor einiger Zeit bei einem feindlichen Zusammentreffen mit einem französischen Kriegsschiff so schwer verwundet worden, daß ihn sein Capitain, als er später Valparaiso erreichte und der junge Mann immer noch in Lebensgefahr an den Folgen der Wunde schwebte, dort ließ, um seine Heilung leichter und bei besserer Pflege zu bewerkstelligen. Sein Schiff, nach der peruanischen Küste bestimmt, wollte ihn dann bei seiner Rückkehr nach Valparaiso wieder mitnehmen.
Von der Schußwunde der Franzosen war er nun allerdings schon seit mehreren Wochen wiederhergestellt, dafür aber von einem andern Geschoß desto gefährlicher und Wohl unheilbar getroffen: von der Liebe zu dem holden Wirthskinde, das er in Santiago in dem Haus ihrer Tante kennen gelernt.
Er selbst war eine Waise; aber in seinen Vermögensverhältnissen unabhängig, folgte er der See mehr aus Neigung, als um seinen Lebenserwerb dadurch zu finden. Doch die Liebe zu dem holden Wesen, die sich mit dem wilden, Herumschweifenden Seeleben nicht vertrug, that dieser ersten Neigung bedeutend Abbruch, und er baute schon allerhand liebe hoffnungsreiche Pläne, sich in dem schönen Chile mit seiner jungen Gattin nieder zu lassen und dem Vaterland wie der wogenden See für immer zu entsagen. Der Erfüllung all' dieser heiß gehegten und mit so freudiger Sorgfalt gepflegten Wünsche stand aber noch ein arges, und wie es fast schien unübersteig liches Hinderniß entgegen. Er war protestantisch erzogen, und Manuela natürlich katholisch. Die spanischen Gesetze verboten auf das Strengste solche gemischte Ehen; hätte er aber auch die /8/ priesterliche Weihe erhalten können, so würde Manuela's Mutter, eine strenge und eifrige Katholikin, nie ihre Einwilligung dazu gegeben haben, ja das schöne fromme Mädchen selbst, das dem jungen Ketzer wohl recht innig zugethan war, suchte, als es all' diese Hindernisse, und oh wie mit wehem Herzen, erkannte, die Neigung, die schon mit ihrem innersten Leben verwachsen war, wieder zu lösen. - Sie wußte selbst nicht, wie lieb sie ihn hatte, und glaubte noch an die Möglichkeit einer Trennung, während ihr Herz doch schon immer, wenn auch heimlich, aber dafür desto stärker, nein, nein und immer wieder nein dazu sagte.
Senora Fostero hatte den jungen Mann wohl auch sonst gern, und wer je mit ihm näher bekannt wurde, mußte ihn lieb gewinnen; aber sie wünschte doch jetzt selber, daß er ihre Tochter nicht kennen gelernt habe, und nur die von ihrem Beichtvater eifrig genährte Hoffnung, sogar die Aufforderung desselben, zur Bekehrung des Ketzers eben durch die Liebe ihrer Tochter beizutragen, hatte sie bis jetzt daran verhindert, ihn förmlich und ernst zurück zu weisen. Der junge Mann war aus einer der ersten englischen Familien, und es lag der katholischen Geistlichkeit sehr viel daran, nicht nur die Be¬kehrung der Einzelnen, nein, das Beispiel für die Uebrigen zu haben.
Die zwei anderen, mit an dem Tisch sitzenden Gäste gehörten ebenfalls der See an - sie waren beide nicht allein die Führer kleiner chilenischer oder vielmehr spanischer Küstenfahrzeuge, sondern auch Stammgäste bei Senora Fostero, sobald sie nur je einmal kurze Zeit von den Strapazen des unruhigen Seelebens in dem freundlichen Valparaiso ausruhen konnten. Das Haus der Senora Fostero war in der That eins der besten Weinhäuser in Valparaiso, wenn nicht das beste; nichtsdestoweniger kamen auch viele der Gäste, wie diese beiden alten Capitaine, fast eben so viel der freundlichen Mädchengesichter wegen, dorthin, von denen sie sich dursten bedienen lassen. Seeleute besonders, die so lange und einsam auf der weiten öden See Herumtreiben, und fortwährend Gefahren und Beschwerden, ja nicht selten sogar dem Tod in das kalte grimme Angesicht schauen müssen, wissen es am besten zu /9/ schätzen, was so ein Paar liebe herzige Augen werth sind, selbst wenn sie uns nicht zu eigen gehören, und wie freundlich die melodischen Klänge von süßen Lippen gegen das dumpfe Brausen der See und das häßliche Pfeifen in Tauwerk und Blöcken abstechen. Alte Seebären selbst, die schon zwei Lebensalter auf den Wellen zugebracht, sitzen dann wohl und lauschen schmunzelnd den lieben, so lang entbehrten Lauten, die wie ferner Glockenklang in ihre starren, dem Schönen sonst nicht gerade so besonders zugänglichen Herzen klingen.
Die drei Letztgenannten hatten zuerst an dem kleinen, etwas von den Uebrigen abgeschiedenen Ecktischchen bei ein paar Flaschen französischen Weines gesessen, als der vorbeschriebene Fremde eintrat, die Anwesenden flüchtig einen Augenblick musterte und sich dann, eine Flasche Bordeaux von einem der ihm nächsten Mädchen fordernd, mit freundlichem, fast vertraulichem Gruß bei den drei Männern niederließ. Von da an schien er auch die Unterhaltung, wenn nicht allein zu führen, doch in Händen zu halten, da des jungen Engländers Aufmerksamkeit viel zu sehr mit einem andern, für ihn weit interessanteren Gegenstand beschäftigt war. Nur mit den neuen politischen Verhältnissen Chiles war er vollkommen unbekannt, und seiner Aussage nach auch erst heute Nachmittag mit einem kleinen, in die Bai eingelaufenen Schoner - „das Albatroß" - von Manila via Tahiti gekommen; auch mußte er sich nicht viel dafür interessiren, denn er gab dem Gespräch, sobald dieses auf sehr natürlichem Wege dorthin einlenkte, immer wieder eine andere Richtung. Der eine Capitain, dem der neue Zustand der Dinge nicht sehr zu behagen schien, oder der wenigstens fürchtete, daß die Handelsverhültnisse des Landes dadurch gestört werden möchten, äußerte seine Besorgniß, Spanien würde eine tüchtige Flotte herübersenden, ihre Häfen blokiren und ihr Land mit Soldaten überschwemmen.
„Bah, Freund!" rief der Fremde und füllte sich aus der schon eine Zeit lang vor ihm stehenden, noch unberührten Flasche sein erstes Glas - „das ist Unsinn - die Spanier haben nicht einmal Schisse genug, ihre Küste hier von Seeräubern frei zu halten, viel weniger - oh Marequita," unterbrach er sich hier plötzlich, „komm her, esrisims, und gieb mir /10/ eine andere Flasche Wein; tis mia, der Bordeaux ist sauer, und Du hast sicher bessern im Keller."
Senora Fostero, ja selbst die übrigen Gäste sahen ihn bei dem vertraulichen tis inis groß an - die alte Dame war nicht gewohnt, das von einem Fremden so rasch zu hören, dieser aber fuhr, ohne im Mindesten darauf zu achten, und nur dem zu ihm tretenden Mädchen die angebrochene und nicht für gut gefundene Flasche reichend, fort: „Gar nicht weit von hier wurden wir von einem nichtswürdig aussehenden Schuner verfolgt, und wäre nicht zufällig eine größeres Kauffahrteischiff, das gerade unsern Cours kreuzte und dem Piraten wahrscheinlich eine bessere Beute schien, in Sicht gekommen, so daß er uns verließ und dem nachjagte, ich glaube schwerlich, daß ich heut Abend hier in Ihrer angenehmen Gesellschaft zubringen würde. So viel also für Ihre spanische Seemacht. Oh danke, danke," wandte er sich dann zugleich dem jungen Mädchen zu, das ihm mit etwas schüchternen Blicken - denn sie fürchtete die dunkeln unheimlichen Augen und das schwarze Pflaster des Mannes - eine andere Flasche auf den Tisch stellte - „und wenn es dieselbe Flasche wäre, Marequita, sie müßte unter Deinen süßen Händen ihre Schärfe verloren haben."
„Senor sind der Einzige, der an unserem Weine etwas auszusetzen findet," bemerkte jetzt mit etwas bitterem Tone, und trotz dem schmeichelnden tia mis des Fremden, die alte Dame, die der Tadel der letzten Flasche nicht wenig geärgert hatte, da er noch dazu so laut und bestimmt vor allen ihren gewöhnlichen Gästen ausgesprochen war - „wir beziehen ihn aus bester Quelle und zu höchsten Preisen."
„Kein Zweifel, Tantchen, kein Zweifel," sagte aber der nicht aus der Fassung zu bringende Fremde, indem er die neue Flasche, wie es schien, wohlgefällig kostete - „ein schlechter Kork verdirbt manchmal den besten Wein, wie ein schlechter Wein den besten Mann."
„Sie sind von einem Piraten verfolgt?" mischte sich der junge Engländer, der übrigens vollkommen Spanisch sprach, zum ersten Mal in die Unterhaltung, da es ein Thema berührte, was ihn selber interessirte; „In welcher Gegend ungefähr und wann?“ /11/
„Ja die Gegend kann ich Ihnen nicht so genau beschreiben, Senor," sagte der Fremde - „ich bin kein Seemann, und uns Landleuten sieht eine Stelle im Wasser gerade so aus wie die andere, aber es war etwa acht Tagereisen von hier, und muß wohl noch etwas südlicher gelegen sein, als Valparaiso liegt, denn ich weiß, daß ich auf unserer Herfahrt in den letzten Tagen das südliche Kreuz immer konnte hinter uns stehen sehen."
„Hoffentlich macht doch Ihr Capitain Anzeige davon bei der hiesigen Regierung?" sagte der juirge Mann. „Wir haben gerade jetzt viele Kriegsschiffe, sowohl englische als spanische, hier im Hafen, und es wäre schon der Mühe werth, einen Kreuzer danach auszuschicken."
„Hat also der Böse wieder einen solchen Teufel von Piraten unter Segel?" rief der eine alte Capitain; „ich glaubte, seit sie dem Tenares mit seiner Bande den Garaus gemacht, wäre die Rasse vollkommen ausgerottet, oder doch wenigstens einmal auf ein halb Dutzend Jahre zum Schweigen gebracht."
„Ja der Tenares soll ein wilder Bursche gewesen sein," sagte der Fremde, sein Glas auf einen Zug leerend; „welche Schiffe waren es doch, die ihn damals nahmen?"
„Der ‚San Antonio‘ und der ‚Pendenciero‘," erwiderte der Engländer.
„Wohl die Schiffe, die jetzt hier im Hafen liegen?" frug der Fremde dagegen.
„Nein," sagte der alte Capitain, „der ‚San Antonio‘ ist nach Spanien gesegelt und der ‚Pendenciero‘ kreuzt an der peruanischen Küste."
„Hm," murmelte der Fremde und nickte wie nachdenkend mit dem Kopfe — „doch was ich gleich sagen wollte - ja - wie hieß doch der Kaufmann, der, als der Schoner damals hier eingebracht wurde, ihn von der Regierung, ich glaube auf Auction erstand - war es nicht Don Pablo Manuto - es ist mir wenigstens so." Er hatte die Flasche wieder genommen, sein Glas auf's Neue zu füllen, und hielt, seinen Nachbar, den alten Capitain, dabei ansehend, den Hals derselben noch fest auf dem Glase ruhend.
„Ja, Don Pablo," erwiderte dieser und füllte sich sein /12/ Glas ebenfalls - „so hieß wenigstens der vorige Käufer des ‚Reconocido‘.“
„Der vorige Käufer!" rief der Fremde, und der Wein schoß ihm wie ein förmlicher Strahl über das Glas hinüber und auf den Tisch, ehe er sich so weit sammeln konnte, die Flasche rasch empor zu heben. Er hielt sie dann gegen das Licht, füllte sein Glas und trank es wieder leer.
„Caramba, Amigo!" rief der junge Officier und sah ihn erstaunt an - „Ihr scheint Interesse an dem Fahrzeug zu nehmen; hattet Ihr Absichten darauf?"
„Hm!" erwiderte der Fremde aber vollkommen ruhig und strich sich mit der linken Hand den Wein aus dem Barte, den Schnurrbart nach rechts und links mit dem dritten Finger von der Oberlippe zurückschiebend - „ich hätte auch wohl Ursache, Interesse an dem Fahrzeug zu nehmen, denn ich bin näher mit ihm zusammen gewesen, als ich je hoffe mit einem seines Gelichters wieder zusammen zu kommen - aber mein Erstaunen galt nicht dem Fahrzeuge, sondern dem Manne, von dem wir sprachen, und es war mir fast, als ob das vorige den Tod des alten Herrn bezeichnen sollte, was ich aber doch nicht hoffen will."
„Allerdings," sagte der Capitain, „Don Pablo Manuto starb zufälliger Weise an demselben Abend, nachdem er den dem Schoner abgeschlossen. Seine Vermögensverhältnisse befanden sich aber nach seinem Tode in solch' mißlichen Umständen, daß er für insolvent erklärt und der Schuner, nachdem er sich eine Zeit lang ohne Aufsicht in der Bai herumgetrieben und arg beschädigt worden war - zum zweiten Mal verkauft und durch mich" - er machte dabei eine leichte Verbeugung gegen den Fremden - „erstanden wurde. Doch das ist eine lange Geschichte, Senor, und da es schon ziemlich spät ist, denk ich, wirds wohl Zeit zum Aufbrechen sein - ich mug morgen -"
„Oh Caballeros," wandte sich aber der Fremde mit einer verbindlichen Verbeugung gegen seine Tischnachbarn - „ich bin heute den ersten Abend wieder nach langer Seereise auf festem Boden, und freue mich viel zu sehr, so liebe Gesellschaft gefunden zu haben, um sie auch so rasch wie/13/der aufgeben zu mögen. Juanita, amiga mia, noch zwei Flaschen von Deinem besten Wein, mein Herz, und frische Gläser!"
„Ich weiß nicht, Senor," sagte der alte Seemann etwas verlegen, als er das Mädchen rasch mit den bleibelegten Flaschenhälsen ankommen sah - „das ist eigentlich -"
„Sie dürfen mir die Freiheit nicht übel nehmen, Caballeros," unterbrach ihn aber bittend der Fremde. „Sie sind Alle, wie es scheint, ‚Wasserratten‘, und nicht an lange Ceremonien gewöhnt; erlauben Sie also auch einmal einer ‚Landratte‘, sich die wenigen Tage, die sie auf ihrem heimischen Element weilen darf, wohl zwischen Ihnen zu fühlen. Um Ihnen übrigens zu erklären, welches Interesse ich an dem ‚Reconocido‘ nehme, und welche Ursache ich dazu habe, brauche ich Ihnen nur zu sagen, daß ich eben durch diesen Seeräuber mein ganzes Vermögen einbüßte, und es läßt sich denken, daß es mir eine Art Genugthuung sein muß, das Nähere über den endlichen Schluß seiner verbrecherischen Laufbahn zu hören. Ah Marequita, chiquita, das sind die rechten Flaschen - alte liebe Bekannte aus schöneren, besseren Zeiten - ja es ist ein herrliches Land, die Champagne, ein wirkliches val paraiso - und nun, Caballeros - auf ein fröhliches Leben und einen raschen Tod!"
Die Gläser waren gefüllt - der Mann hatte etwas so Ueberredendes, Lebendiges in seinem ganzen Wesen, daß sich die beiden alten Seeleute schämten, ihm die Bitte abzuschlagen. Nur der junge Engländer entschuldigte sich mit seinem immer noch leidenden Zustande, keinen Wein mehr trinken zu dürfen, und die drei Männer leerten, dem mehr ernsten als fröhlichen Trinkspruch zu, die langen Kelche.
Der junge Mann hatte sich aber nicht allein seines Unwohlseins wegen von der Gesellschaft zurückgezogen, an deren Gespräch er jedoch noch dann und wann Theil nahm, sondern er wünschte hauptsächlich Manuela's Gegenwart mehr zu genießen. Dann gefiel ihm aber auch - er wußte freilich selber kaum weshalb - der Fremde nicht; der Mann hatte Etwas in seinem Wesen, das ihn abstieß, wenn er sich auch die Ursache nicht gleich erklären konnte.
„Gut, wenn Sie denn Interesse an dem Piratenschiff /14/ nehmen, so kann ich Ihnen mit sehr kurzen Worten die ganze Geschichte erzählen," nahm endlich der alte Capitain das Gespräch wieder auf. „Der Schoner lag hier natürlich, während die Nachlassenschaft seines vorigen Eigenthümers in den Händen der Gesetze herumgearbeitet wurde, Jahre lang in der Bai, ohne daß sich Jemand besonders um ihn bekümmert hätte - er gehörte gewissermaßen Niemandem, und so kam es auch, daß er einmal bei einem schweren Norder - unsere Geißel hier überhaupt in der Bai - wie schon erwähnt, auf die Klippen trieb und dermaßen beschädigt wurde, um nur je an eine Ausbesserung denken zu können."
„Das ist schade," sagte der Fremde, „es soll ein ausgezeichnetes Seeboot gewesen sein, und am Golf von Mexiko wußten sie nicht genug von seiner Schnelle und Furchtbarkeit zu erzählen."
„Ja, dazu mag ihn auch wohl Don Pablo gekauft haben, aber wie gesagt, der Norder vereitelte das, und jetzt würde eine vollständige Reparatur wohl eben so viel kosten als ein neues Fahrzeug. Als die Sachen deshalb, nach endlicher Regulirung der Geschäfte, zur Auction kamen, wollte im Anfang gar Niemand auf den Schuner bieten, und ich kaufte das Wrack endlich billig genug, um noch daraus zu benutzen, was sich eben benutzen läßt, und so meinen Preis wieder heraus zu schlagen. Die Masten, die noch vollkommen gut waren, habe ich deshalb schon ausheben lassen und will sie in mein eigenes Fahrzeug nehmen, ebenso werde ich die innere Einrichtung der Kajüte, die auf das Geschmackvollste hergestellt ist, für mich selber benutzen, und mit Takelwerk und Ketten, was schon meist an Land liegt, hoffe ich doch meine Auslagen und Arbeit bei dem Kauf bezahlt zu bekommen."
„Es würde mir ungemeines Vergnügen machen," sagte hier der Fremde, als der Andere geendet hatte, „wenn ich das berüchtigte Fahrzeug, ehe es ganz auseinander genommen wäre, einmal besuchen könnte - ich war so nahe daran, als Gefangener an Bord desselben geschleppt zu werden, daß ich die Planken jetzt gern einmal mit größerer Sicherheit betreten möchte, die mir damals vielleicht zum Schaffott gedient hätten - wäre das wohl möglich?" /15/ „Warum nicht?" erwiderte der Capitain - „wenn Sie Lust haben, können Sie morgen früh mit mir an Bord fahren und - warten Sie einmal, ja dann kann ich Sie, wenn Ihnen das recht ist, hier bei Senora Fostero um zehn Uhr abholen; ich habe doch vorher noch Einiges zu besorgen."
„Bueno!" rief der Fremde mit einer dankenden Verneigung des Kopfes - „und doppelt Dank, daß Sie mir ein so liebenswürdiges Rendezvous gesetzt haben," fügte er mit einem ziemlich gravitätischen Kompliment gegen Senora Fostero bei, während die beiden Mädchen schon unter sich über den wunderlichen Fremden kicherten.
„Es ist allerdings von einem gewissen, wenn auch etwas schauerlichen Interesse," warf hier der junge Mann ein, „das Fahrzeug einmal zu besuchen, an dessen Deck schon so entsetzlich viel Blut geflossen, und wenn Sie mir erlauben, Capitain, so bin ich mit von der Partie - ich hatte es mir überhaupt schon lange vorgenommen, zu dem Wrack einmal hinüber zu fahren. So ist aber der Mensch, was er haben kann, danach verlangt er nicht, nur was ihm unerreichbar ist, danach strebt er, und wenn er sein Kostbarstes daran setzen sollte. Jetzt hätte ich alle Tage zu dem Schoner kommen können, und bin nicht gegangen, und vor noch gar nicht so langen Jahren sind wir mit der ‚Terpsichore‘ dem Wetterding Tag und Nacht und um die halbe Welt herum nachgesegelt, ohne ihn erwischen zu können, und was hätte ich nicht damals darum gegeben, mit dem Cutlas in der Faust auf sein Deck springen zu können!"
„Das wäre doch vielleicht ein etwas theures Vergnügen gewesen," warf der Fremde hier ein - „wie mir erzählt ist, ließ dieser berüchtigte Freibeuter wohl sehr viele Menschen von seinem Deck hinunter springen, aber ich weiß von keinem, der hinaus gesprungen wäre und nachher davon erzählen konnte - den letzten Fall ausgenommen, wo er durch einen unglücklichen Schuß - das heißt für ihn unglücklich - des ‚San Antonio‘ beide Masten verlor und nun natürlich der Uebermacht nicht mehr widerstehen konnte. Es ist mir nur noch immer ein Räthsel, wie sie ihn damals aufgefunden haben, denn die vortreffliche Stellung der beiden Kriegsschiffe konnte kaum ein Zufall sein." /16/ „Sie scheinen ausgezeichnet von den Einzelheiten unterrichtet," sagte Edward Wilkinson.
„Nur theilweise," erwiderte der Fremde ruhig, „ich hatte das Vergnügen, in Manila einen jungen Arzt vom ‚Pendenciero‘, der von dem Schiffe abgegangen war, um seine Eltern dort zu besuchen, kennen zu lernen, und der hat mir Manches davon erzählt, wußte mir aber nie den Grund jenes Zusammentreffens anzugeben."
„Das ist möglich," sagte der junge Engländer, „denn die Capitaine der Kriegsschiffe hielten, als sie von hier ausliefen, die Sache ziemlich geheim. Sie erfuhren den wirklichen Aufenthaltsort des Piraten aber eigentlich durch einen Zufall, oder vielmehr durch eine seiner eigenen Greuelthaten - vielleicht seiner letzten. Er hatte ein Schiff geentert und geplündert, ließ die Leute an verschiedenen Stellen festbinden und bohrte das Schiff an, die Unglücklichen ihrem Schicksal überlassend. Nur der Kajütenjunge war, wie es scheint, nicht fest genug geknebelt gewesen, denn kurz vor dem Sinken des Schiffs gelang es ihm, sich zu befreien, obgleich er nicht mehr im Stande war, den Uebrigen zu Hülfe zu eilen. Auf einem Stück Holz hielt er sich mehrere Tage in See und wurde endlich von einem spanischen Kreuzer aufgefischt. Der Kajütenjunge hatte aber zufällig gehört, daß das Räuberschiff nach Tahiti bestimmt sei, denn die Leute dachten nicht daran, ihre Worte vor Menschen zu wahren, die doch in sechs bis acht Stunden auf dem Boden der See lagen, und so kam es, daß die rasch nach ihnen ausgesandten Schiffe sie glücklich noch an Ort und Stelle fanden."
„Ja, es ist eine unsichere Sache mit dem Festbinden," sagte der Fremde, indem er sein Glas leerte; „sonderbar," setzte er dann hinzu, „wie solche Dinge doch immer an's Licht kommen! Der Capitain wurde gehangen, nicht wahr? - ich glaube, daß es der Doctor so erzählte."
„Nein, bewahre," sagte der Engländer - „genau weiß man eigentlich gar nicht, was aus ihm geworden, denn seine Leiche ist nirgends gefunden. Die Mannschaft wehrte sich natürlich wie Verzweifelte, und Tenares selber erhielt von dem Capitain des ‚San Antonio‘, der mitten unter seinen /17/ Leuten kämpfte, einen Hieb über den Kopf; nachher war er aber verschwunden, und er muß mit seinen übrigen Kameraden, die über Bord sprangen, um dem Strick zu entgehen, sein Grab in den Wogen gefunden haben. Es soll ein furchtbarer Anblick gewesen sein, wie die Haifische, die sich in Schaaren bei den Schiffen eingefunden hatten, zwischen den Opfern wütheten."
„Ich weiß nicht," rief der alte Capitain schaudernd - „ob ich mich da nicht eher lieber hängen ließe, ehe ich zwischen die verdammten Bestien, die Haifische, hineinspränge."
„Contra gusto no hay disputa," sagte der Fremde trocken. „Aber was ich noch fragen wollte, die Schiffe, die den ‚Reconocido‘ einbrachten, müssen vortreffliche Prisengelder gemacht haben - caramba, amigo, im Golf von Mexiko nahm er damals ein paar Schiffe, die sich gewaschen hatten. - Wir selber, mit einer Ladung, die ihre Achtmalhunderttausend werth war, glitten ihm nur so eben durch die Finger, und das Gerücht ging dort überall, daß er enorme Schätze an Bord führe."
„Wenn das der Fall gewesen," sagte der junge Engländer, „so hat er sie vorher entweder gut unterzubringen gewußt oder über Bord geworfen, denn man hat wenig oder gar kein Geld bei ihm gefunden, was damals auch Viele in Erstaunen setzte."
„Auch keine Diamanten?" frug der Fremde; „es wurde zu jener Zeit im Golf viel von einem Schiff gesprochen, das er angegriffen, und das eine bedeutende Partie nach Portugal bestimmte brasilianische Edelsteine an Bord gehabt haben sollte."
„Ich erinnere mich nicht, je etwas davon gehört zu haben," lautete die Antwort - „nein, die Beute soll höchst unbedeutend gewesen sein. Der ‚Reconocido‘ war übrigens kurz vorher mit falschen Papieren an der südamerikanischen Küste gewesen, und es ist wohl möglich, daß sie dort ihr so leicht erworbenes Gold auch eben so leicht wieder vergeudet haben. Die Leute, die sie nahmen, bekamen jedenfalls mehr Wunden als Dollars."
Die Lippen des Fremden zuckten fast wie zu einem Lächeln zusammen, hatte es aber ein solches werden sollen, so starb es in der Geburt auf den eisernen Zügen, und er sagte gleichgültig: /18/ „Ja, ja, so geht's gewöhnlich bei derartigen Gelegenheiten. Leute, die einen Soldatentod vor sich und einen Galgen hinter sich haben, kämpfen immer besser wie solche, die ihren Rücken frei wissen, und es wäre das Letzte, was ich mir wünschte, einen zur Verzweiflung getriebenen Piraten zu entern, obgleich ich schon manchen schweren Tag und manche Beule in meinem Leben gesehen habe."
Die beiden anderen Capitaine ließen indessen auch noch Wein herbeibringen, und das Gespräch wandte sich von dem Piraten wieder auf die ihnen näher liegenden Verhältnisse; um zehn Uhr erklärten die Seeleute aber jedenfalls an Bord ihrer Schiffe fahren zu müssen und brachen auf.
„Also auf Wiedersehen morgen früh, Caballeros!" sagte der Aelteste von ihnen, als er aufgestanden war und sich der Thür mit seinem Kameraden zuwandte. „Schlag zehn Uhr morgen früh bin ich hier!" Und mit einem freundlichen aber achtungsvollen Gruß gegen die Senora und ihre Tochter, wie einem vertraulichen Kopfnicken gegen die beiden Mädchen, verließen Beide das Haus.
Der Fremde machte ebenfalls Anstalt zum Ausbruch, nachdem er noch eine Weile allein, den Kopf in die Hand gestützt, am Tische gesessen, dabei aber oft den Blick zu dem holden Töchterlein der Wirthin erhoben und sie einige Mal so düster mit seinen dunkeln Augen angestiert hatte, daß es dem armen Mädchen schon ganz unheimlich um's Herz wurde, und sie es endlich sogar nichl mehr aushalten konnte und das Zimmer verließ. Gleich darauf stand der Fremde auf, leerte sein Glas, trat an den Tisch, um seine Zeche zu bezahlen, und drückte sich dann - ebenfalls noch wie ganz in Gedanken - den breiten Filzhut wieder in die Stirne.
„.A propos, tia mia!" sagte er aber plötzlich, sich voll wieder gegen die alte Dame wendend, „Ihr werdet hier jetzt Senora Fostero genannt - aber ich müßte mich sehr irren, wenn Ihr nicht früher einen andern Namen getragen hättet - doch will ich es nicht als gewiß behaupten."
„Mein erster Mann ist auf der See umgekommen," sagte die alte Dame leicht errathend, aber doch durch das tia mia /19/ nicht mehr so beleidigt, denn des Fremden letzte Freigebigkeit hatte sie wieder in etwas mit ihm ausgesöhnt.
„Und lebt Senor Fostero noch?" fuhr dieser fort - „ich habe doch heute nicht das Vergnügen gehabt –“
„Er ist schon viele Jahre todt," sagte die alte Dame seufzend, „aber," fuhr sie dann schneller fort, „von woher kennt Ihr denn mich und meinen Namen, Senor? - ich weiß doch nicht -"
„Oh carisima, habt Ihr einen alten Bekannten so ganz vergessen?" sagte der Fremde kopfschüttelnd und mit einem freundlichen Vorwurf in der Stimme.
„Ich weiß nicht," sagte die würdige Senora etwas verlegen, indem sie ihm scharf in die Augen sah, „Euer Gesicht ist mir bekannt vorgekommen, und ich habe mich schon den ganzen Abend darauf besonnen, wo ich es wohl gesehen haben möchte - ich kann mich aber doch nicht mehr erinnern. Ihr wäret schon früher einmal in Valparaiso?"
„Oh sicher, tia mia, und zwar in dieser selben süßen pulperia manchen langen, langen Abend - haben aber Deine Schuldbücher kein besseres Gedächtniß als Du, Liebwertheste?"
„Meine Schuldbücher?" fragte Senora Fostero rasch, denn das hieß sie an ihrer schwachen Seite gepackt, „oh, ich hoffe doch nicht, daß ein so wackerer Herr schon so lange Jahre in so schlechter Gesellschaft sein sollte?"
Es zuckte fast wie ein Lächeln um die Mundwinkel des Fremden, der krause Bart wenigstens bewegte sich ein paar Mal scharf in der Gegend, der obere Theil des Gesichts blieb aber so kalt als vorher, und er sagte seufzend und mit fast komischem Ernst:
„Lieber Gott, Tantchen, ein Mann muß sich manchmal in wunderlicher Gesellschaft durch's Leben schlagen, - wenn ich aber nie in schlechterer Gesellschaft gewesen wäre, wollte ich das noch gern vor meinem Beichtvater verantworten - es war damals ein lustiges, fröhliches Völkchen hier zusammen, und ich glaube doch gewiß, daß sich Jeder von ihnen in dbuein Stammbuch geschrieben hat."
„Unsere liebe Frau schütze mich!" rief die alte Dame, die Augen zum Himmel ausschlagend und die Hand aus die Fett-/20/fläche legend, unter der, anatomischen Erfahrungen nach, ihr Herz liegen mußte, „es ist wahr, und eine Schande für die Männer im Allgemeinen und die Einzelnen insbesondere, wie wenig sie sich daraus machen, das bischen Gut einer armen Wittwe durch die Gurgel zu jagen, ohne sich nachher auch nur so viel daran zu kehren, ob die, die sie mit Speise und Trank so reichlich versorgt hat, selber einen Bissen zu essen oder einen Schluck zu trinken übrig behält. Sie sind nicht alle so ehrlich wie Ihr, Caballero, daß sie nach langen Jahren wiederkommen, die Jugendsünde gut zu machen - wie mag aber nur Euer Name sein, Senor?"
„Mein Name?" sagte der Fremde und strich sich wie besinnend den Bart - „mein Name ist - aber wir kommen ja noch mehr zusammen, tia mia, und ich will Euch den heut Abend als ein bequem zu lösendes Räthsel aufgeben. - Sucht einmal in Euerm Katalog nach, und um es Euch noch zu erleichtern: der, hinter dem eine hübsche runde Summe steht, das ist der Mann. Aber jetzt buenas noches, Sennoritas!“ und mit freundlicher Handbewegung, ohne sich weiter umzusehen, verließ er das Zimmer und das Haus, und schritt langsam die stille Straße nieder.
„Ave Maria purisima!“ sagte Manuela, die in demselben Augenblick wieder zurückkam, als er die Thür hinter sich in's Schloß gedrückt hatte, sich fromm dabei bekreuzigend - „mir fällt ein Stein vom Herzen, daß der Mann aus dem Zimmer ist."
„Ja, mir war auch unheimlich bei ihm zu Muthe," flüsterte Marequita, als ob sie noch fürchtete, daß er sie vielleicht draußen hören könne - „ich habe ihn doch nun die ganze Zeit beobachtet, daß er dasaß, und ob er auch nur ein einziges Mal gelächelt hätte, von Lachen will ich gar nicht reden. Nein, sein Gesicht war so kalt und starr wie das Eis der Cordillere, und seine Augen glühten ordentlich unheimlich unter den düsteren Brauen und dem gräßlichen schwarzen Pflaster vor, das ihm über die Stirn lief."
„Wenn Du ihm nur nicht zu tief in die Augen geschaut hast, Marequita!" lächelte der junge Mann, der ebenfalls aufgestanden war und sich zum Fortgehen rüstete.
„Heilige Mutter Gottes!" rief aber das Mädchen schaudernd /21/ und einen scheuen Blick um sich werfend, „wie können Sie so etwas auch nur im Scherz sagen, Don Edoardo."
„Und was sagt Juana zu dem wunderlichen Fremden?" wandte sich der junge Engländer an diese.
„Daß es das entsetzlichste Wesen ist, was mir je vorgekommen!" rief das Mädchen rasch und fast heftig, „er hat einen Blick wie der Böse und ein Gesicht, als ob er schon acht Tage im Grabe gelegen - die heilige Jungfrau beschütze uns, aber ich glaube kaum, daß es ein wirklicher Mensch gewesen ist."
Die alte Dame war schon lange auf ihr Zimmer gegangen und saß dort über ihren Büchern brütend, aus dem Schatz ihrer Erinnerung und aus dem Chaos der alten Namen und Zahlenden fremden Mann wieder an die Oberfläche zu arbeiten. Marequita und Juana waren mit den wenigen noch übrigen Gästen beschäftigt, und als Manuela in das Vorzimmer ging, folgte ihr Edward Wilkinson oder Don Edoardo, wie er von seinen spanischen Bekannten genannt wurde, dorthin.
„Gute Nacht, Manuelita!" sagte er hier, als er ihr die Hand bot und mit einem mehr als freundlichen Blick in die lieben klaren Augen schaute.
„Buenas noches, Don Edoardo!“ erwiderte die Jungfrau befangen und wandte sich von ihm ab.
„Und soll ich mit dem kalten Wort allein heute Nacht von Manuela scheiden?" bat der junge Mann traurig und suchte schmeichelnd ihre Hand zu ergreifen, die sie ihm einen Augenblick überließ, dann aber langsam wieder entzog - „Manuela, soll ich gar keinen Trost haben?"
„Ihr wißt recht gut, Edoardo, was ich Euch allein darauf antworten kann," sagte aber das junge Mädchen ernst. „Ihr wisst“, fuhr sie erröthend fort, „wie – wie gut ich Euch bin, aber das Gesetz sowohl als meine Mutter bestehen fest darauf, daß ein Protestant keine Katholikin heirathen darf, und Ihr könnt nicht verlangen, daß ich mein Seelenheil, selbst Euch zu Liebe, opfern soll."
„Aber Deine Mutter ist stets freundlich gegen mich, Manuela, und sie weiß ja doch, welche Hoffnungen ich hege, - könnte sie das sein, wenn sie denselben ganz entgegen wäre?"
„Meine Mutter täuscht sich mit einer Hoffnung," sagte /22/ das junge Mädchen traurig, „die ich selber schon lange aufgegeben habe. Nein, Edoardo!" fuhr sie dann mit weicherer, fast zärtlicher Stimme fort - „unsere Wege führen nicht zusammen, so weh das auch meinem Herzen thut. - Deine Verwandten sind wahrscheinlich strenge Protestanten und würden - nie darein willigen, Einen ihrer Abstammung eine Katholikin heiraten zu sehen, selbst wenn sie sich mit dem Gedanken versöhnten, die arme Tochter einer Schenkwirthin anzuerkennen. Aber das nicht allein, nein, ich selber kann und werde nie gegen unsere Gesetze, gegen unsere Religion so weit verstoßen, daß ich mit einem unserer Religion feindlich gesinnten Manne, selbst wenn es Deine Geistlichen gestatten wollten, zum Altare träte." .
„Wer sagt Dir aber, Mädchen, daß ich der katholischen Religion feindlich gesinnt bin?" frug Edward schnell; „wer sagt Dir, daß ich sie nicht eben so hoch schätze, als die unsere - oder vielmehr beide auf einen Rang stelle?"
Das junge Mädchen sah ihn mit ihren großen dunkeln Augen einen Moment wohl staunend an, dann aber sagte sie rasch und fast bittend, indem sie seine Hand ergriff:
„Nein, nein, Edoardo, sprich nicht so, Du schneidest mir da mit rauher Hand in das tiefste, innerste Herz - einen Glauben muß der Mensch haben, und Du wirst mich nie dahin bringen, so schlecht von Dir zu denken, sogar wenn Du Dich selbst bei mir verleumdetest."
„Und würdest Du mich lieben können, wenn ich meinen Glauben abschwüre und den Deinen, den Du für den allein richtigen hältst, annähme?" sagte der junge Mann plötzlich ganz ernst und sah ihr dabei fest in die thränengefüllten Augen.
„Oh, wenn Du es aus Ueberzeugung thätest," rief das schwärmerische Mädchen rasch und begeistert - „mit welcher Innigkeit, mit welcher Dankbarkeit gegen das, höchste Wesen! Aber -", setzte sie dann langsam und traurig hinzu - „Du würdest es nur meiner selbst wegen thun, Edoardo! - Der Priester sagt freilich, auch dann wäre es ein Gott wohlgefälliges Werk, doch mir selbst würde es immer noch wie Sünde vorkommen, und ich weiß kaum, ob ich mich darin irre oder, nicht." /23/
Der junge Mann stand lange schweigend, die Stirn in die Hand gepreßt, und sagte endlich mit leiser Stimme:
„So raubst Du mir denn jede Hoffnung, Manuela?"
„Das möchte ich nicht meinem ärgsten Feinde thun, Edoardo," sagte das schöne Mädchen leise, unter Thränen hervorlächelnd - „wie viel weniger Dir, nein, ich will beten, recht brünstig beten, daß Dich Gott erleuchten möge, und sei versichert, Edoardo! es gäbe dann kein glücklicheres Wesen auf dem ganzen Erdenrund, als die arme Manuela."
Damit reichte sie ihm jetzt aus freien Stücken die Hand, die er nahm und innig an die Lippen drückte, preßte die seinige leise und verließ dann rasch das Zimmer.
2. Das Wrack.
Am andern Morgen saß die Senora allein in dem noch von Gästen leeren Zimmer und hatte ihr Nähzeug vor sich auf dem Schooße; die sonst so geschäftige Nadel ruhte aber in ihrer Hand, und sie sah, ebenfalls ein höchst ungewöhnlicher Fall bei ihr, nachdenkend vor sich nieder. Aufrichtig gesagt, ging ihr der Fremde im Kopfe herum. Sie hatte fast bis Mitternacht, von Manuela dabei unterstützt, all' die alten Schuldner ihrer Kreide, und es waren das in der That nicht wenige, Chilenen und Engländer, Franzosen und Deutsche, Amerikaner und Italiener und wie sie das Schicksal sonst an ihre Küste geworfen, von A bis Z nachgesucht, und keinen Einzigen unter ihnen gefunden, der mit Person oder Rechnung nur im Mindesten zu dem wunderlichen Fremden stimmte. Die alte Dame erfreute sich eines ausgezeichneten Gedächtnisses, und es gab wenige Namen in ihrem Buche, zu denen sie sich nicht noch, wenn sie eine Weile nachdachte, die ungefähre Gestalt ihres Eigenthümers heraufbeschwören konnte; der gewaltige /24/ Bart aber und das tiefe, über die linke Seite des Gesichts niederfallende Haar wollte zu Keinem passen. Das schwarze Pflaster, das von den Haaren ab bis auf die Nase breit niederging, verdeckte ebenfalls viel von dem Wenigen, was der Bart überhaupt frei gelassen. Das Schlimmste dabei war, daß bei den wenigen Namen, bei denen sie sich wirklich die Leute gar nicht mehr denken konnte, so kleine Rechnungen wie für zwei oder drei Dollars standen, daß von denen also auch keine dazu paßte, denn der Caballero hatte ja selber gesagt, wie hinter seinem Namen eine runde Summe stehen müsse - wer in aller Welt konnte das also nur sein?
Als sie noch darüber brütete und grübelte, ging die Thür auf, und das Herz klopfte ihr ordentlich, wie der Fremde auf einmal darin stand, einen flüchtigen Blick im Zimmer umherwarf und, da Niemand weiter gegenwärtig war, auf sie zukam, ihr die Hand reichte und sich auf das Freundlichste aber auch Unbefangenste nach ihrem Befinden erkundigte.
„Und habt Ihr meinen Namen in Eurem Gedächtniß oder Euren gewiß treueren Büchern gefunden?" sagte er endlich, als er an einem der Tische Platz genommen, die hereintretende Juana gegrüßt und sie um eine Flasche Wein gebeten hatte - „wie heiß' ich?"
„Senor," erwiderte aber die alte Dame verlegen, „Ihr müßt mir schon selber zu Hülfe kommen, denn ich kann mich weder auf Eure Züge noch Eure Rechnung besinnen, und meine Bücher sind doch sonst in musterhafter Ordnung."
„Habt Ihr sie alle durchgesehen, Senora?" frug der Fremde, füllte sich dabei fein Glas und schlürfte langsam den Wein.
„Alle, wenigstens sämmtliche Namenregister und Summen, aber ich weiß wahrhaftig nicht -"
„Führt Ihr auch Buch über das, was Ihr anderen Leuten schuldet?" frug der Fremde jetzt und hielt das Glas am Munde, so daß er mit der Hand und dem Glas seinen ganzen Bart verdeckte, der breitrandige Filzhut, den er noch nichr abgesetzt hatte, beschattete dabei vollkommen seine Stirn mit dem breiten langen Pflaster, und nur die dunkeln Augen blitzten in diesem Moment mit einem so wunderlichen Humor /25/
und so eigenthümlichen Feuer nach ihr hinüber, daß es ihr ordentlich einen Stich durch's Herz gab und sie im ersten Schreck schon glaubte, es seien die Augen gewesen, die das gethan hätten. Die Worte, die der Fremde dabei sprach, überwogen dennoch den Eindruck, denn sie fielen ihr wie eine Centnerlast auf die Seele. Was sie Anderen schuldete, davon sprach er, darauf bezog sich auch am Ende die runde Summe, die er gestern erwähnt. - Heilige Mutter Gottes! an solche Schulden hatte sie allerdings nicht gedacht, und der Athem stockte ihr ordentlich vor plötzlicher Bestürzung.
Ehe sie aber etwas darauf erwidern konnte, traten die Herren von gestern Abend, der alte Capitain und der junge Seemann, in's Zimmer, und da der Erstere versicherte, sein Boot warte schon auf sie, und je eher sie hinuntergingen, desto besser, so verließen sie gleich darauf mitsammen das Haus.
Wer aber in der peinlichsten Verlegenheit zurückblieb, war Senora Fostero, die jetzt keinen Augenblick mehr daran zweifelte, wie einer ihrer „nichtsnutzigen Ehehälften" vielleicht gar einen Wechsel auf sie gezogen habe, und sie jetzt arme, verrathene und verkaufte Wittwe, die sie war, aufgefordert werden sollte, ihn zu honoriren. Ihr Entschluß schien aber bald gefaßt - nicht ein Dollar von ihrem Gelde sollte hin-ausgehen, um die liederlichen Ausschweifungen von Menschen zu decken, die ihr, so lange sie noch auf Erden herumwandelten, das Leben verbitterten und sie auch sogar noch nach ihrem Tode mit Schuldforderungen quälen wollten.
„Und komm Du mir nur wieder mit Deinem tia mia!“ rief sie plötzlich, als sie sich erst in die rechte Laune und Stimmung hineingearbeitet hatte, „ich will Dich betia mian, Du - Du Schleicher Du!"
Senora Fostero war ordentlich böse geworden und ärgerte sich jetzt noch besonders, daß sie den ganzen vorigen Abend so schmählich damit vergeudet habe, alte Schuldenregister - ein überdies höchst unangenehmes und, was mehr ist, höchst undankbares Geschäft - durchzustudiren.
Die drei Männer gingen indessen mit raschen Schritten eine der kleinen Querstraßen hinunter, die zum Wasser führten, /26/ und stiegen dort, da gerade Fluth war, in das auf sie wartende Boot, das sie in wenigen Minuten, von vier rüstigen Armen hinausgerudert, an die Stelle brachte, wo das Wrack des früheren Piraten, des einst so gefürchteten ‚Reconocido‘, ein trauriges Bild vergangener Größe, kahl und traurig auf den Klippen saß.
Der Capitain stieg, die Rüsten-Eisen erfassend, welche, den Wanten Festigkeit gebend, außen an Bord sitzen, zuerst hinauf, denn eine Fallreepstreppe hing natürlich nicht herunter, und es war Niemand oben, der ihnen hätte hülfreiche Hand leisten können. Ihm folgte, und zwar mit einer Ungeduld, die er kaum zu bezähmen wußte, der Fremde, und der Letzte war unser junger Engländer.
„Nun," sagte dieser lachend, als er hinter dem Fremden her sich über die Schanzkleidung auf das innere Deck des Schuoners schwang, „für eine „Landratte", wie Ihr Euch gestern selber nanntet, Senor, wißt Ihr ziemlich geschickt an der Seite eines Schiffes hinauf zu kommen." Der Fremde erwiderte aber nichts; er hatte die Bemerkung wohl kaum gehört, und wenn auch die Worte, doch nicht den Sinn; sein Auge überflog rasch und mit einem eigenen, unheimlichen Ausdruck das Deck des kleinen schlankgebauten Fahrzeugs, und er wandte sich von den Männern ab und ging rasch nach dem Quarterdeck, über das er wohl eine volle Minute hinausschaute.
Als er zurückkam, war sein Auge so kalt und ruhig als vorher, sein Gesicht aber todtenbleich geworden, und er sagte jetzt, mit prüfenden Blicken den ganzen Bau des kleinen Schoners überschauend:
„Es ist fast schade darum, daß das arme kleine Ding hier so zu Ende gekommen; es soll ein vortrefflich segelndes Fahrzeug gewesen sein und hätte gewiß, zu ehrlichen Zwecken benutzt, seinen Eignern noch viel Geld verdienen können."
„Ja, es ist ein wackeres Modell," versicherte der alte Capitain wohlgefällig - „es soll in den Yankeestaaten gebaut sein, war auch vollkommen amerikanisch aufgetakelt, und die Amerikaner haben in diesen Schonern eine eigene, noch unübertroffene Geschicklichkeit. Was aber das Wieder /27/ fahren betrifft, so ist's vielleicht so besser, denn ich für meinen Theil gestehe aufrichtig, ich möchte nicht mit einem Fahrzeug wieder in See gehen, das zu solchen Zwecken benutzt wurde, wie der ‚Reconocido‘, und an dessen Bord solche entsetzliche Grausamkeiten verübt sind, wie man sich von dem furchtbaren Capitain desselben, dem blutigen Tenares, erzählt."
„Bah," meinte der Fremde, „was geschehen ist, ist geschehen, und das todte Material läßt sich eben so leicht zu einem Crucifix wie zu einem Dolch verarbeiten. Von allen denen, die mit dem Fahrzeug wieder in See gingen, würde vielleicht Keiner mehr daran gedacht haben, was früher an seinem Bord geschehen sei."
„Dann möchte sie das Schiff selber doch vielleicht daran erinnert haben!" lächelte der alte Mann auf eine etwas geheimnißvolle Weise - „man munkelt darüber allerlei wunderliche Geschichten."
„In der That?" frug der Fremde rasch - „und welcher Art sind die, wenn man fragen darf?"
„Oh, Aberglauben," sagte der alte Mann etwas verlegen, „ich selber glaube nicht ein Wort davon, aber das Volk will ja doch immer gern etwas zu schwatzen und zu erzählen haben. So soll also am Jahrestag, wo der Schoner genommen wurde - warten Sie einmal, am - alle Wetter, wir haben ihn ja in diesen Tagen - am 8. August, der furchtbare Tenares in der Nacht von zwölf bis ein Uhr sein altes Schiff wieder besuchen. Matrosen, die Abends von dem Kirchhofe zurückruderten - denn Sie wissen ja, Senor, daß die Leichen hier sämmtlich um Mitternacht beerdigt werden müssen - schwören darauf, ihn mit seinein bleichen, wundenbedeckten Gesicht stehen gesehen zu haben, und, wahr oder nicht wahr, ich glaube nicht, daß es hier einen Menschen in der ganzen Stadt gäbe, der für wahrhaft peruanische Schätze bewogen werden könnte, die Nacht vom 8. auf den 9. an Bord des ‚Reconocido‘ allein zuzubringen."
„Das Merkwürdigste ist dabei," lachte der junge Mann, „daß er nicht nur einen, sondern jeden Jahrestag bis jetzt gesehen worden sein soll, und die ersten zwei Jahre erregte es /28/ ordentliches Aufsehen; da sich aber, wie man erzählte, das Gespenst einzig und allein damit begnügte, auf Deck zu stehen und über Bord zu schauen, so nahm man weiter keine Notiz davon, und ich glaube nicht einmal, daß es im letzten Jahre geschehen ist."
„Bitt' um Verzeihung," erwiderte ihm der Alte, „im letzten Jahre haben ihn die Leute von meinem eigenen Schiffe selber gesehen. Es war gerade mein Koch gestorben, und wie sie, vielleicht ein paar Minuten nach Mitternacht, dort vorbeiruderten, soll noch Alles dunkel und ruhig an dem alten Schiff gewesen sein, mein Steuermann hielt mit Willen etwas dicht hinan. Als sie aber wieder zurückkamen, und wohl eine gute Stunde später, denn der Koch war ein schwerer Mann und sie konnten nur langsam mit ihm den steilen Berg zum Kirchhof hinaufgehen, sahen sie ein Licht am Bord."
„Ein Licht?" wiederholte der Fremde rasch.
„Ja, ein Licht," bestätigte der Alte, „aber kein gewöhnliches Licht wie von einer Lampe oder Laterne, das seinen gelben oder röthlichen Schein auswirft, sondern mehr ein Licht wie die Quallen im Meere leuchten oder das Sankt-Andreas-Feuer, matt und kalt; - mein Steuermann, ein beherzter Kerl, der sich vor dem Teufel nicht fürchtet, wollte nun gerade darauf zu halten und an Bord gehen, oder doch wenigstens sehen, ob ein Boot irgendwo angehangen sei; aber lieber Gott, ich glaube, wenn er den Leuten Jedem hundert Dollars versprochen, sie hätten ihn nicht dorthin gerudert, denn am Mast, der damals noch drin stand, konnten sie deutlich eine mattlichte Gestalt unterscheiden, und der eine Matrose schwur bei Allem, was er auf der Welt wußte, daß er gesehen hätte, wie der Weiße den Arm nach ihnen ausstreckte. Davon wollte nun zwar mein Steuermann nichts wissen, aber die Gestalt versicherte er auch gesehen zu haben, wenigstens war es ihm ganz so vorgekommen."
Der Fremde hatte diesem Bericht mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gelauscht und dabei besonders forschend die Physiognomien seiner beiden Begleiter betrachtet, in diesen zu lesen, was ihre eigene Ansicht über die Sache sei. So sehr übrigens der Capitain auch behauptete, das Ganze wäre nur /29/ ein toller Aberglauben der Leute, so deutlich war es ihm doch anzusehen, daß er nicht im Mindesten an der Möglichkeit einer solchen Erscheinung zweifelte, während der junge, weit gebildetere Seemann nur mit Mühe, und jedenfalls aus Artigkeit gegen den älteren Begleiter, seinen Spott zurückhielt.
„Und was sagt die Stadt über diese Sache?" wandte er sich endlich an diesen.
„Nicht viel," lautete die jedenfalls ausweichende Antwort, „trotzdem kennt man das Wrack jetzt unter dem Namen des Gespensterschoners oder Spukschiffes, und es ist ziemlich natürlich, daß die Leute mit der großen Anzahl blutiger Thaten, die an diesem Bord verübt sein mögen, nur zu leicht übernatürliche, gewissermaßen strafende Erscheinungen in Einklang zu bringen suchen. Aber wollen wir nicht einmal in die Kajüte gehen? — ich bin selber noch nicht unten gewesen."
„Es sieht nur ein wenig wild unten aus," sagte der alte Capitain, indem er, dem Wunsche Folge zu leisten, als eine Art Wirth voranging; „ich habe schon einzelne Gefache herausnehmen lassen, und nicht einmal eine Flasche Wein an Bord, um sie den Herren vorzusetzen."
Die beiden Männer schienen die Entschuldigungen aber gar nicht zu hören, denn jeder war in diesem Augenblick viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Als sie die schmale, aber mit eleganten Bronzestangen beschützte Kajütentreppe hinabstiegen, kam ihnen ein höchst angenehmer Sandelholzgeruch entgegen, und in der That waren auch die Säulen der inneren Gefache von diesem kostbaren Holze gefertigt; die mittleren Felder der Wände bildeten breite Mahagoniplatten, an den Rändern nut Elfenbein und Perlmutter auf das Künstlichste eingelegt, und man konnte dem alten Capitain wohl glauben, wenn er behauptete, die Kajüte in diesem kleinen Fahrzeug habe allein mehr an Arbeitslohn gekostet, als er für den ganzen Schoner und Ketten gegeben hätte. Hier unten schien übrigens noch ziemlich Alles unverändert geblieben, nur auf der einen Seite waren schon Arbeiter beschäftigt gewesen, zwei Gefache auszunehmen, und befanden sich eben mit denselben, wie der alte Capitain sagte, an Bord seines eigenen neuen Schoners, um sie dort einzupassen. Heute Nachmittag sollten /30/ sie hier wieder anfangen und dann gleich ohne Unterbrechung die Kajüte vollständig herausnehmen.
Der Fremde schien auf eigenthümliche Weise bewegt, sein Gesicht hatte eine förmlich aschgraue Färbung angenommen, und er mußte sich aus das einst mit dem prachtvollsten Sammet überzogene, aber jetzt arg beschädigte Sopha niedersetzen.
„Um Gott, Senor, Ihr seid unwohl!" rief der junge Mann, der seine Bewegung zuerst bemerkte. „Ihr seht mehr einer Leiche ähnlich, als einem lebendigen Menschen - was fehlt Euch?''
„Oh nichts - nichts!" wies ihn dieser aber zurück - „ich habe das in der letzten Zeit mehrmals gehabt - ich glaube, es ist der starke Geruch des Sandelholzes, vielleicht auch die Aufregung, ein solches Fahrzeug wie dieses zu betreten, - oh Senor Capirano - sollte vielleicht hier ein Tropfen Wasser an Bord sein?"
„Wahrscheinlich," sagte der alte Mann schnell, der jetzt selbst über das bleiche Aussehen des fremden Mannes erschrak; „die Zimmerleute haben hier in dem kleinen Spint'ge stets einen steinernen Krug stehen - ah! da ist auch eine Flasche aguardiente, ein Tropfen davon wird Euch besser thun als ein ganzer Eimer Wasser." Er füllte rasch ein Glas mit dem Glühtranke und reichte es dem Kranken, der es mit einem Zuge leerte, dann aufsprang und ein paar Mal mit schnellen Schritten in der Kajüte auf und ab ging. Er hatte die rechte Hand unter der Zeit fest gegen die Augen gepreßt, und als er sie zuletzt fortnahm, zeigte er wieder ganz die kalten, ruhigen, fast gleichgültigen Züge von früher.
„Nun, wie ist Ihnen, Senor, besser?" frug der Alte.
„Vollkommen wohl wieder," entgegnete dieser ihm aber verbindlich - „es thut mir nur leid, daß ich Ihnen hier Mühe und Angst gemacht, - ich muß doch einmal einen Arzt zu Rathe ziehen, denn ich habe diese Anfälle in letzter Zeit öfter gehabt, als mir lieb ist."
„Bah, was kann Ihnen ein Arzt helfen?" lachte der Alte; „bei kräftigen Naturen kommt so etwas wohl manchmal, geht aber auch immer gleich wieder vorüber - es wird Einem einmal irgendwo im Gehirn ein Tau locker, und springt auch wohl /31/ hier und da einmal eine kleine Faser, wenn sie fortwährend zu straff angespannt bleiben; das schließt sich aber immer von selber an, und beim ersten Mal Anbrassen ist Alles wieder in Ordnung. - Ja, das ist schade," unterbrach er sich hier und trat zu dem Fremden, der vor einer der Tafeln stehen geblieben war und mit untergeschlagenen Armen eine etwas defecte Stelle daran, wie es schien, aufmerksam betrachtete - „da muß einmal Jemand mit einem Beil oder etwas Derartigem dagegen geschlagen haben; und das Schlimmste ist, ich kann jetzt von dem Holz gar nichts in Valparaiso bekommen, um es ordentlich repariren zu lassen; anderes mag ich auch nicht hineinflicken, und da werde ich die Stelle so lassen müssen, bis sich einmal eine bessere Gelegenheit dazu findet."
Gerade an einer der Sandelholzsäulen, und zwar so, daß er diese und das Mahagonigetäfel durchschnitt und zugleich eine der Elfenbein- und Perlmutterkränze, die es umgaben, getrennt hatte, war ein scharfer Schlag eines breiten Meissels oder, wie der alte Capitain sagte, vielleicht eines Beils durchgegangen und tief in das Holz eingedrungen.
„Wer weiß, welche Greuelthat hier vielleicht verübt wurde," sagte der junge Mann, als er die Stelle untersucht hatte und sich schaudernd davon abwandte - „aber die Lippen, die davon Kunde geben könnten, sind auf ewig geschlossen - der Mörder wie seine Opfer schlafen zusammen in der Tiefe. Was meinen Sie, Senor, was das gewesen sein könnte?"
„Wer? - ich?" sagte dieser rasch - „oh - oh es ist ein fataler Fleck, der sich aber wohl wieder repariren läßt, vorn im Schiff muß noch ein Stück Sandelholz - oh entschuldigen Sie," unterbrach er sich aber schnell, und das Blut schoß ihm wie beschämt zu Kopfe - „ich glaubte wahrhaftig in dem Augenblick, ich wäre an Bord desselben kleinen Fahrzeugs, mit dem ich gestern hier gelandet bin. Dort hatten die Matrosen, wenn ich nicht irre, ein Stück Sandelholz, und Sie könnten es von dort vielleicht bekommen, Capitain."
„So? Oh das wäre mir lieb" - erwiderte dieser schnell - „wie heißt das Fahrzeug?"
„Das ‚Albatroß‘ von Tahiti - doch sie haben es vielleicht auch hier schon verkauft. - Sie wollen also Alles hier heraus-/32/nehmen lassen? - die ganze vollkommene Einrichtung in Ihre Kajüte nehmen?"
„Ja, es geht vortrefflich, denn die Größe ist ungefähr dieselbe, und ich brauche nur etwa eine zwei Zoll hohe schwarze Querleiste unten einzulegen, so viel wird meine Kajüte ungefähr höher sein."
„Hier scheint auch eine Fallthür zu sein," meinte der Fremde gleichgültig, auf einen kleinen messingenen Ring zeigend, der in den Fußboden eingelassen war.
„Ja," meinte der alte Capitain, sie öffnend, denn der Tisch, der darüber gestanden hatte, war hinausgenommen, „es soll früher wohl eine Art Speisekammer gewesen sein."
„Wie geräumig das im Innern ist!" sagte der Fremde und sprang hinunter.
„Ja, und merkwürdig starke Balken haben sie dazu genommen, um die leichte Kajütendecke zu tragen," sagte der Alte - „auf einem Linienschiff könnten sie nicht stärker unter einem Kanonendeck sein, und das ganze Schiff ist sonst gar nicht so unmäßig stark gebaut. Ueberhaupt sind mir die Balken schon aufgefallen, denn sie gehen gar nicht weit nach vorn, können also auch nicht im Mindesten zur Festigkeit des Ganzen beitragen, und scheinen mir weit später eingesetzt, als das Schiff selber gebaut ist - das kann man schon am Holz sehen. Der Schoner selbst ist von amerikanischen Bäumen gezimmert, und dieser Balken - sehen Sie, wo hier der Spahn ab ist, scheint eine Art solchen Cedernholzes zu sein, wie Sie es in Masse auf Singapore bekommen. Ich habe es auch schon den Zimmerleuten gesagt, sie sollen mir die Balken in diesen Tagen herausnehmen, und ich will sie hier zu Planken zersägen lassen, sie geben herrliche Thüren, denn es ist gerade kein sehr schweres, aber leicht zu arbeitendes und doch festes Holz."
Der Fremde war gebückt darunter hingegangen und hatte an dem einen Rande derselben langsam und wie prüfend hingefühlt; er kam jetzt wieder zurück, stieg herauf und sagte gleichgültig: „Ja, ich glaube, zu solchem Zweck wird das Holz vortrefflich sein; doch ich denke, wir haben Ihre Zeit genug in Anspruch genommen, Senor, und es möchte gerathen sein, wieder an Land zu fahren." /33/
„Ich möchte doch gern einmal sein unteres Deck sehen," sagte jetzt der junge Mann, „das heißt, wenn ich Sie Beide nicht zu lange dadurch aufhalte."