Einsichten und Ausblicke - Gerhart Hauptmann - E-Book

Einsichten und Ausblicke E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

Gerhart Hauptmann Einsichten und Ausblicke - Aphorismen Zuerst erschienen 1942 Nicht als Leitfaden oder etwa, daß man sich darnach richten soll, sammle ich diese Aussprüche, sondern nur, damit der, welcher Lust hat, nehmen und besitzen möge, was sein wie mein ist.

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Aphorismen

Zuerst erschienen 1942

Nicht als Leitfaden oder etwa, daß man sich darnach richten soll, sammle ich diese Aussprüche, sondern nur, damit der, welcher Lust hat, nehmen und besitzen möge, was sein wie mein ist.

Inhalt

Leben und Menschheit

Kunst und Literatur

Dramaturgie

Polemisches

Leben und Menschheit

Ex corde lux!

*

Wonach ich mich sehne? Nach gläubigen Menschen aller Art.

*

Ich will etwas, das von Klein und Groß ebenso unabhängig ist als von

Gut und Böse.

*

Ihr glaubt mich zu überschätzen? Schätzt mich nur als das, was ich bin,

so verliere ich nichts.

*

Wo willst du stehn? Hoch oder niedrig? verborgen oder öffentlich: auf

der Rednerbühne? auf der Kommandobrücke eines Schiffes oder eines

Staates?

Dort will ich stehen, wo ich zu mir und andern sagen muß: »Hier stehe

ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!«

*

Ich habe niemals eine andere Würde bekleidet als die mir

innewohnende.

*

Soll ich mich in die Gegenwart drängen wie eine Zeitung?

*

Es konnte mir nichts Besseres passieren, als daß der Antagonismus der

Welt mich immer wieder auf mich und in mich zurückwies.

*

Ich hasse die geistigen Ameisen. Ich liebe die geistigen Bienen.

Da ich mich schon entschlossen habe, im Geistigen zu leben,

lebe ich viel zu wenig im Geistigen.

*

Der Himmel möge mir das Glück erhalten, mich täglich über das

Lokale und allzu Persönliche ins Unendliche und Ewige erheben zu

können, will heißen: vom zeitlichen ins ewige Schicksal.

*

Von dem, was die Welt beherrscht und allgemeinste Verbreitung hat,

von der Arglist, ist bis jetzt wenig in meinem Werk. Trotzdem habe ich

sie von Jugend auf gekannt, gewußt, gesehen, gefühlt und mich gegen

sie aufgebäumt: immer ohne sie eigentlich für möglich zu halten. Sie

ist das wahrhaft Niederträchtige und im Nur-Irdischen das wahrhaft

Erfolgreiche. Bosheit ist nur eine impotente Abart der Arglist.

*

Indem ich meine Geschäfte besorge,

besorge ich weiß Gott wessen Geschäfte.

*

Ich hatte mitunter viel Zeit für fremdes Leid.

Allmählich bekam ich mehr zu tun mit dem eigenen.

*

Oft, wenn ich Schwächen meiner Natur freimütig bekannte, fand ich

einen Menschen, der sich gleicher Schwächen rühmte.

*

Vogelstraußpolitik ist nicht immer ganz vom Übel. Ich erfahre es oft in

den Kämpfen meiner Seele, in denen ich zugrunde gehen müßte, wenn

ich nicht einen vorübergehenden Frieden auf Vogelstraußmanier

mitunter erzwänge.

*

Die Hand am Ruder, kenn' ich keine Furcht,

wohl aber als untätiger Passagier.

Mein Frühjahr muß früh sein, mein Herbst spät,

wenn Früchte reifen sollen.

*

Die glücklichsten unter meinen Tagen begannen zuweilen

hoffnungslos, die übelsten wie Gottes Sonntag.

*

Mein Leben an einem Tage ohne Einsamkeit ist das Leben des Fisches

in einem Teiche ohne Wasser.

*

Mehr ist weniger: im Verkehr mit Menschen.

*

Haus Gottes, Kirche. Welchen Besudelungen ausgesetzt!

Wie rein dagegen mein Haus!

*

Mich beschäftigt nicht nur die Sache der Lebendigen,

sondern auch die der Toten.

*

Ich fühle, daß ich wirke, und das macht mich, im Augenblick, wo ich

es fühle ... nicht glücklich, nicht zufrieden, nicht stolz, aber ... im

Wirken wahrhaft wirklich.

*

Glaubt ihr, daß ich alles nicht kann,

was ich ungetan lasse?

*

Was ich vielleicht habe und was mein ist, wird mir fremd wie einem

Fremden. Aber ich behalte keine Möglichkeit, es mir wie dieser

vertraut zu machen.

Wir haben ein Recht, über Unsinn zu klagen. Wir müssen schwerste

Anklagen geduldig und schweigend anhören mit den lebendigsten

Gegenbeweisen in der Hand. Unsere Richter sind so geartet, daß sie

ganz bestimmt und gelassen wissen: ihr Justizmord sei reinste

Gerechtigkeit. O wann wird der Tag kommen, diese Richter vor

Gericht zu stellen? Niemals!

*

Es kommt vor, daß eine Gesamtheit sich entschließt, dir großmütig das

zu verehren, was schon seit Jahrzehnten dein schönstes Eigentum ist.

*

Bewunderung, die man erfährt, macht klein; Geringschätzung groß.

*

Wahrer Zynismus ist auf Grund eines höheren Sinnes für das Häßliche

– nach Analogie des Schönheitssinnes! – volle Opposition gegen das

Häßliche.

*

Der Dummstolz ist der undurchdringlichste Panzer:

aber ich mag wider ihn nicht einmal die goldene Rüstung meines

echten Stolzes anlegen! Warum nicht? weil sie ein wenig jenem andern

Panzer ähnlich sieht.

*

Zwei Dinge unterschätzen meine Gegner, meinen Hochmut und

meinen Gleichmut.

*

Was habt ihr gegen die Eigenliebe? Ist es ein Verbrechen, wenn

jemand bittet: Laß mich mir selbst gehören! –?

Nein, ich liebe nicht alle Menschen, und sie haben es auch wahrhaftig

nicht alle nötig.

*

Es gab eine Zeit, wo ich für mutig galt. Heut bin ich es.

Ich habe dem Politiker in mir jeden Tag mit einem Hammer den

Schädel einschlagen müssen, um zu leben: es wäre verkauftes

Menschentum, hätte ich es in meinem besonderen Falle nicht getan.

*

Im April 1913 sprang mein Kätzchen in den weißglühenden Kamin

und wieder heraus. Es war vollständig nackt gesengt.

Am 31. Mai 1913 tat ich dasselbe.

(Nach dem Festspielverbot.)

*

Glaubt jemand vielleicht, ich könnte mich je als Kohlhaas auftun und

nach Gerechtigkeit schreien? Der irrt sich.

*

Meine Feinde kennen den Grad der Verachtung nicht,

dessen ich fähig bin.

*

»Und wissen Sie was? Ich kann schweigend lachen!«

Die wenigsten Menschen können das.

*

Man muß sich eingestehen,

daß man immer Großes erlebt und nur Kleines weiß.

*

Menschen klagen zuweilen über Mangel an Persönlichkeit bei anderen:

meistens sind es Leute, die Persönlichkeit weder haben noch dulden

können, wo sie ihnen entgegentritt.

*

Man sagt, eine Persönlichkeit sei bedeutend oder nicht. Nennen wir sie

bedeutend, so lassen wir das außer acht, was sie ist. Was bedeutet ein

Mensch? Das zu wissen ist wichtiger als die richtige Antwort auf die

Frage: Was ist er? –?

Im Tropfen ist das ganze Meer.

Blick und Gedanke sind nicht zu trennen.

*

Man redet von öffentlichen Charakteren: es gibt überhaupt keine

anderen. Das, was wir Charakter nennen, ist eine Form, die nur im

Betrachter entsteht. Je intuitiver die Betrachtung ist, je tiefer sie auf

Wesenhaftes drängt, um so weniger Charakteristisches wird sie

bemerken. Der Künstler ist der sicherste, geduldigste, am wenigsten

voreingenommene Betrachter. Wenn auch das Künstlerische in jedem

Kinde und Menschen enthalten ist, so ist es doch meist verkümmert,

und die Künstler sind eine kleine Gemeinde. Ihre Propaganda der Tat

wirkt nicht so weit – weil nur auf Eingeweihte –, wie die Propaganda

des Wortes, die von den Schulmeistern ausgeht. Sie, diese Schulmeister,

haben den guten und schlechten, den schwachen und starken

Charakter erfunden. Ihrem oberflächlichen Blick genügen wenige

Züge, und der Masse wiederum behagen die wenigen Merkmale, die

ihr an die Hand gegeben werden, um »richtig« über Menschen urteilen

zu können. Überdies will der Schulmeister mit etwas »fertig« werden

oder »fertig« sein: sonst läßt sich darüber nichts »Richtiges« sagen.

*

Sprechen ist durchweg geistiges Gestaltersein.

*

Ergo: Ihr sollt nicht einen »Charakter« aus mir machen wollen, und

sucht ihr an mir feste Merkmale, werdet ihr letzten Endes nur auf das

stoßen, was allen Menschen gemeinsam ist.

*

Ein Minister, mehr noch ein Parteipolitiker, ist ein Charakter. Ich nicht.

Die Gesichter aber, welche diese Leute jahrzehntelang der Öffentlichkeit

zukehren, sind nicht ihre eigenen, sondern Masken. Hinter jeder

steckt ein Charakterloser, der mich tiefer als der Charakter interessiert.

Charaktere wollen und müssen sich darstellen. Ich aber muß weder,

noch will ich einen Charakter darstellen, sondern mich, mich selbst.

Wenn ihr nach meinem Charakter sucht, so ist das als ob ihr nach

meiner Staatsuniform sucht: ich habe keine. Aber ich denke mehr wert

zu sein als das Werk eines Schneiders, und wenn ich auch selbst der

Schneider wäre.

Jedes Menschen Geist ist über alles hinaus synthetisch, und auch

Goethes Kraft zur Synthese war diese natürlichste, nicht außergewöhnliche

Kraft. Aber daß er sie in ihrer Wirksamkeit erkannte und

gelten ließ, auch über alle logischen Widersprüche hinaus, gab ihr die

große Entfaltung. Sie wird in vielen Fällen verkannt, negiert und in

Bann getan zugunsten der reinen Logik, die auf gewissen Gebieten die

großartigsten Synthesen zuwege bringt. Die reine Logik als

synthetische Kraft ist immer nur eine Teilkraft der großen

synthetischen Kraft der Persönlichkeit.

*

Der Mensch beruhigt sich dem Mitmenschen gegenüber niemals

gänzlich. Seelenruhe ist unsozial, man muß sie geheimhalten. Man

gewinnt sie einzig aus sich und in sich. Jeder andere muß sie, selbst

wenn er nicht will, zerstören.

*

Was ist mein eigen? Alles und nichts! Mit größter Wahrscheinlichkeit

ein feinstes formales Element, welches in der Gesamtäußerung der

Persönlichkeit am stärksten hervortritt. Diese Gesamtäußerung kann

aber nie eintreten; es wird sich also um Teile handeln, in denen aber

das Eigenelement schwerer nachzuweisen ist.

*

Eine Sache gewinnt oder verliert durch den Mann, der sich für sie

einsetzt, auch ein Gedanke und eine Meinung.

*

Schroff, eckig, unabgeschliffen, schmerzend im Reagieren muß der

Echte zur Tiefe gezwungen sein: er muß Tyrann, Narr, Hysteriker

scheinen! – Anders geht er den Weg der Verflachung.

*

Es ist wohl der Beweis einer kräftigen Seele, wenn sie, jahrzehntelang

öffentlichen Angriffen ausgesetzt, von den übrigen Leiden abgesehen,

sich weder zum Rundspiegel wölben noch zum Hohlspiegel

einschlagen läßt, sondern richtig und gerade nach wie vor Gott,

Mensch und Welt widerspiegelt.

*

Was verwandelt die geistige Atmosphäre in ein Vakuum?

Nichts Eigenes mehr sein zu dürfen.

*

Bekenntnisse sind ihrem Wesen nach flach; aber dieser Art Flachheit

soll man sich niemals schämen, sie ist urlebendig.

*

Wir sehen überall Individualitäten, selbst in einem halb verkohlten

Stück Holz; aber ebensowenig wie dieses in sich, würden wir ohne

andere imstande sein, Individualität an uns selbst festzustellen.

*

Wenn der moderne Fortschritt mit Hilfe der Wissenschaft auch den

Wagen gebaut hat, wohin wollt ihr reisen? Zu einem Menschen wollt

ihr reisen? So achtet darauf, daß noch irgendwo in dem Wirbel der

Zivilisation einer übrigbleibt!

*

Es liegt ein dunkler, gewaltiger Rhythmus in der Natur. Wir hören ihn

nicht mehr! Wer ihn hört, wird fortgerissen zum tanzenden Sein und

Sehertum, zum Dithyrambus des Alls.

*

Abhängigkeiten? Ja! Durch Liebe, aber nicht durch Furcht

Etwas sein ist nicht so viel als etwas werden, am allerwenigsten etwas

sein, ohne es geworden zu sein.

*

Gerade wir, die wir den Bund der wahren Menschheit

wiederherstellen wollen, wir können leben ohne Bund,

und doch, und doch: einigt euch, ihr Einigen!

*