Einstein und Heisenberg - Konrad Kleinknecht - E-Book

Einstein und Heisenberg E-Book

Konrad Kleinknecht

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Beschreibung

Dieses Buch erzählt die spannende Geschichte zweier großartiger Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: der Einsteinschen Relativitätstheorie und der Heisenbergschen Quantenmechanik. Diese Entdeckungen schufen die Grundlagen der heutigen Physik, ohne die unsere digitalisierte Welt von Computern, Satelliten und neuen Werkstoffen nicht möglich wäre. Konrad Kleinknecht versteht es, komplizierte physikalische Zusammenhänge einfach und verständlich zu beschreiben. Gekonnt verbindet er die Geschichte der modernen Physik mit den Lebensläufen der beiden außergewöhnlichen Physiker. Dabei treten sowohl die Gemeinsamkeiten, etwa die Herkunft, aber auch fundamentale Kontroverse, etwa über die Bedeutung der Quantenmechanik, klar zu Tage. Kleinknecht zeigt anschaulich, wie das Wirken dieser beiden herausragenden Männer das 20. Jahrhundert zum Jahrhundert der Physik werden ließ.

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Der Autor

Konrad Kleinknecht ist Professor für experimentelle Physik, er forschte am CERN in Genf, an den Universitäten in Heidelberg, Dortmund, Mainz und München, am Caltech in Pasadena und am Fermilab bei Chicago. Im Winter 1988/1989 hielt er die Morris Loeb Lectures an der Harvard-Universität. Seine Arbeiten zur Physik der Elementarteilchen wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Leibniz-Preis der DFG, der Hochenergiepreis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft und die Stern-Gerlach-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Neben Forschungsarbeiten veröffentlichte er Bücher über die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie, über Teilchendetektoren und über die deutsche Energiepolitik.

Konrad Kleinknecht

Einstein und Heisenberg

Begründer der modernen Physik

2. erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

2. erweiterte und überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Umschlagbild: Pinterest: https://www.pinterest.de/pin/22306960626079952/?nic=1a [letzter Aufruf am 24.10.2019] und © Barbara Blum-Heisenberg, Chevry, Frankreich.

Print:

ISBN 978-3-17-037426-3

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-037427-0

epub:    ISBN 978-3-17-037428-7

mobi:    ISBN 978-3-17-037429-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Vorwort zur 1. Auflage

Vorwort zur 2. Auflage

1 Einsteins Jugend

1.1 Der Friedhof von Buchau

1.2 Die Familie in Ulm und München

1.3 Schüler am Luitpold-Gymnasium München

1.4 Einstein in Aarau und Zürich

1.5 Experte im Berner Patentamt

2 Heisenbergs Jugend

2.1 Heisenbergs Herkunft

2.2 Schulzeit in Würzburg und München

2.3 Jugendbewegung

2.4 Studium bei Sommerfeld

2.5 Heisenberg in Göttingen und Kopenhagen

3 Die Wunderjahre

3.1 Die Ruhe vor dem Sturm der Gedanken

3.2 Einsteins annus mirabilis

3.3 Professor in Zürich, Prag und wieder Zürich

3.4 Die Allgemeine Relativitätstheorie und Berlin

3.5 Heisenbergs Durchbruch zur Quantenmechanik

3.6 Die Vollendung der neuen Quantentheorie

4 Auswirkungen der Entdeckungen

4.1 Die fünfte Solvay-Konferenz 1927

4.2 Wirkung der Allgemeinen Relativitätstheorie

4.3 Lehren und Fördern

4.4 Wirkungen der Quantenmechanik

5 Vertreibung und Kriegsjahre

5.1 Einstein und Deutschland

5.2 Einsteins Pazifismus, die Bombe und der Franck-Report

5.3 Heisenberg, die Kriegsjahre und der Uranverein

6 Wahlverwandtschaften

6.1 Einsteins Frauen

6.2 Heisenbergs Familie

7 Religion und die Ordnung der Wirklichkeit

7.1 Einsteins Religion

7.2 Heisenbergs religiöse Philosophie

8 Die Rolle der Musik

9 Die späten Jahre

9.1 Einstein – der Weltweise in Princeton und seine »einheitliche Feldtheorie«

9.2 Heisenberg – der Regierungsberater in Göttingen und München, Wiederaufbau, Weltformel

9.3 Die letzte Begegnung 1954

10 Glossar

11 Literaturangaben

12 Abbildungsnachweis

13 Register

13.1 Sachregister

13.2 Personenregister

Vorwort zur 1. Auflage

 

 

 

Die Physik des 20. Jahrhunderts ruht auf zwei Fundamenten: Unser Ort im Universum, der Ursprung und die Entwicklung des Kosmos, die Bedeutung von Raum und Zeit wurden von Albert Einstein am Anfang des Jahrhunderts zu einem revolutionären neuen Bild zusammengefügt und mit der Relativitätstheorie mathematisch beschrieben. Damit sagte er eine Fülle von neuartigen Phänomenen im Kosmos vorher, die im Laufe der Zeit empirisch gefunden wurden: Lichtablenkung im Schwerefeld, Schwarze Löcher, Zeitdehnung bei schnell bewegten Objekten, Gravitationswellen. Wenig später gelang es Werner Heisenberg zum ersten Mal, das Verhalten der kleinsten Bausteine der Materie zu erklären, indem er die Gesetze der klassischen Physik ebenfalls einer revolutionären Wandlung unterwarf. Mit seiner Quantenmechanik eröffnete er uns die Welt der kleinsten Bausteine der Materie, der Atome, Atomkerne und Elementarteilchen. Sie ermöglicht auch die Beschreibung der physikalischen Eigenschaften von Molekülen, chemischen Verbindungen, Kristallen, Feststoffen und Halbleitern und ist so die Grundlage der heutigen Computertechnik. Heisenbergs Entdeckung der Unbestimmtheitsrelation hat weitreichende Konsequenzen für die Naturphilosophie und Erkenntnistheorie.

Beide großen Gelehrten wuchsen in München auf und gingen dort zur Schule, beide liebten die Musik. Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es auch wesentliche Unterschiede in ihrer Denkweise: Einstein glaubte, eine physikalische Theorie müsse die Vorgänge genau nach den Regeln der Kausalität vorhersagen, Heisenberg dagegen schloss aus den Phänomenen im atomaren Bereich, dass die Theorie nur die möglichen Prozesse und deren Wahrscheinlichkeit beschreibt.

Einstein hat keine Autobiographie hinterlassen, er meinte, solche Bücher verdankten ihre Entstehung der Selbstliebe oder Gefühlen negativen Charakters gegen Mitmenschen. Deshalb müssen wir uns an seine Briefe und die Biographien halten. Besonders authentisch dürfte dabei die Lebensbeschreibung seines Freundes Philipp Frank sein, die in deutscher Sprache von 1939 bis 1941 in den USA geschrieben wurde, zu der Einstein 1942 ein Vorwort schrieb und die deshalb als autorisiert gelten kann. Einsteins Nachlass wird in der Hebräischen Universität Jerusalem aufbewahrt, seine gesammelten Schriften werden seit 1987 von der Princeton University Press in mehreren Bänden herausgegeben. Heisenberg dagegen hat mit seinem Werk Der Teil und das Ganze eine faszinierende Darstellung seines Lebens gegeben, die auch die wissenschaftlichen Durchbrüche beschreibt. Daneben sind zwei Bände erschienen, die seine Briefe an die Eltern und an seine Frau enthalten. Sein übriger Nachlass ist durch Vermittlung der Heisenberg-Gesellschaft in das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin verbracht worden, und die wissenschaftliche Korrespondenz mit seinem Freund Wolfgang Pauli liegt im Pauli-Archiv in Genf. Sein wissenschaftliches Werk und die Allgemeinverständlichen Schriften sind in der Gesamtausgabe bei den Verlagen Springer und Piper erschienen.

Für die Bereitstellung des Bildmaterials über Werner Heisenberg und für Gespräche über sein Verhältnis zur Musik danke ich Frau Barbara Blum-Heisenberg. Herr Professor Hans A. Kastrup machte mich auf den Brief Albert Einsteins über die Religion an den Schriftsteller und Philosophen Eric Gutkind aufmerksam. Herrn Dr. Daniel Kuhn danke ich für die Lektorierung des Buches und die Auswahl der Bilder und für die stets freundliche und konstruktive Zusammenarbeit.

 

München, April 2017

Konrad Kleinknecht

Vorwort zur 2. Auflage

 

 

 

Vor hundert Jahren, im Jahr 1919, wurde Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie durch die Beobachtung der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne bei der totalen Sonnenfinsternis bestätigt und Einstein wurde eine Größe der Weltgeschichte. Zur gleichen Zeit bereitete sich der Schüler Werner Heisenberg im chaotischen München der Räterepublik auf sein Abitur vor. Nur sechs Jahre später gelang Heisenberg auf Helgoland der Durchbruch zu einer neuen Mechanik der Atome, der Quantenmechanik. Diese beiden Genies haben die Physik des 20. Jahrhunderts geprägt. Ihre Lebenswege werden in diesem Buch verglichen.

Gegenüber der ersten Auflage ist die neue Ausgabe verbessert und erweitert. Sie enthält die Beschreibung neuer wissenschaftliche Entwicklungen wie die Sichtbarmachung eines Schwarzen Lochs sowie neues Bildmaterial. Für wertvolle Hinweise danke ich Professor Herbert Steiner (Berkeley), Professor Hans Sillescu (Mainz), Professor Achim Richter (Darmstadt) und Dr. Thomas Schmieden (Darmstadt).

Wie bisher steht die Kontroverse zwischen Einstein und Heisenberg über die Bedeutung der Quantenmechanik im Mittelpunkt ihrer Begegnungen. Hier haben Heisenberg und Bohr recht behalten.

Für die Lektorierung des Buches und die stets hilfreiche Betreuung im Verlag danke ich Frau Charlotte Kempf und Herrn Dr. Peter Kritzinger.

 

München, August 2019

Konrad Kleinknecht

1          Einsteins Jugend

 

 

1.1       Der Friedhof von Buchau

 

Zwischen hohen alten Bäumen liegt der jüdische Friedhof der ehemaligen freien Reichsstadt Buchau im Herzogtum Württemberg. Seit dem Jahr 1659 begruben hier die Juden aus der Stadt und den umliegenden Gemeinden des schwäbischen Oberlandes ihre Toten. Mehr als 800 Grabsteine oder Mazewot stehen hier, bei den ältesten sind die Schriftzeichen verwittert, bei den jüngeren ab dem 18. Jahrhundert sind die Inschriften gut lesbar, das letzte Begräbnis fand 2003 statt.

Buchau war neben dem benachbarten Laupheim eine der wenigen Reichsstädte in Württemberg, in der Juden vom 16. Jahrhundert an ungestört leben konnten, und sie war gesellschaftlich liberal. Deshalb zogen viele Juden aus der Umgebung nach Buchau. Bis zum Jahr 1760 hatte die Gemeinde noch keine Synagoge. Im Jahr 1828 wurden die Juden württembergische Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Um 1838 stellten sie ein Drittel der Bevölkerung von ca. 2 000 Menschen in Buchau, das war die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Württemberg.

Im Jahr 1838 wurde mit finanzieller Hilfe des württembergischen Königs Wilhelm und des Prinzen Maximilian von Thurn und Taxis eine neue Synagoge gebaut. Sie wurde in ganz Deutschland bekannt, weil sie als einzige einen Glockenturm nach dem Beispiel der umliegenden Barock-Kirchen wie die katholische Wallfahrtskirche Steinhausen hatte.

Der erste Bürger Buchaus mit dem Namen Einstein war Baruch Moses Ainstein, der 1665 in die Stadt aufgenommen wurde. Auf dem Friedhof nennen Dutzende Grabschriften Mitglieder der Familie Einstein,

Abb. 1: Grabsteine im jüdischen Friedhof von Buchau.

99 aus der Familie sind hier begraben. Auch der zweite Bürgermeister nach 1946, Siegbert Einstein, ein Großneffe Albert Einsteins, ist hier bestattet.

Einsteins Vater Hermann wurde am 30. August 1847 als eines der sieben Kinder von Abraham und Helene Einstein in Buchau geboren. Nach Abschluss der Schule zog er 1869 mit seinen Brüdern nach Ulm. Er handelte mit Bettfedern und betrieb später dieses Unternehmen zusammen mit seinen Partnern Israel und Levi in Ulm. Im August 1876 heiratete er in Cannstatt bei Stuttgart seine Frau Pauline, Tochter des Getreidehändlers und königlich-württembergischen Hoflieferanten Julius Koch. Das Ehepaar zog nach der Hochzeit in die Bahnhofstraße in Ulm.

 

1.2       Die Familie in Ulm und München

 

Am 14. März 1879 wurde Albert Einstein in der Bahnhofstrasse in Ulm geboren. Seine Mutter vermerkte besorgt, er habe einen eckigen großen Hinterkopf. Erst mit zweieinhalb Jahren begann er zu sprechen. 33 Jahre später hatte sich die Schweigsamkeit ins Gegenteil verkehrt, der Physiker Max von Laue warnte einen Kollegen vor der ersten Begegnung mit Einstein mit den Worten: »Pass auf, dass Einstein dich nicht zu Tode redet. Er tut das nämlich gern.«

Abb. 2: Hermann und Pauline Einstein.

Der Vater Hermann war ein gutherziger Mann, der keinem eine Bitte abschlagen konnte, der aber auch nicht sehr geschäftstüchtig war. Die Mutter Pauline aus wohlhabendem Hause war humorvoll, musikalisch und spielte sehr gut Klavier.

Zweieinhalb Jahre nach Albert, im November 1881, wurde seine Schwester Maria, genannt Maja, geboren, mit der er zeitlebens innig verbunden war.

Abb. 3: Albert Einstein und seine Schwester Maria (Maja) 1885.

Sie hat später in einer Biographie Erlebnisse aus ihrer Kinderzeit beschrieben. Dabei ist ihr an ihrem Bruder insbesondere seine ausdauernde Geduld aufgefallen, mit der er alleine an seinen »Projekten« arbeitete. Aus Anker-Steinbaukästen konnte er Schlösser und Burgen bauen, aus Sperrholz mit der Laubsäge Figuren ausarbeiten, mit Karten hohe instabile Gebäude aufbauen. Dicke Bretter zu bohren war auch später in der Physik einer seiner Wesenszüge.

Wenn man in der Verwandtschaft Albert Einsteins nach speziellen mathematisch-physikalischen Begabungen sucht, findet man seinen Onkel Jakob (1850–1912). Hermann Einsteins jüngerer Bruder, hatte in Stuttgart an der Polytechnischen Schule Elektrotechnik studiert und dabei die gerade von James Maxwell entdeckten Gesetze der Elektrodynamik, die »Maxwell’schen Gleichungen«, kennengelernt. In ihrer endgültigen Form wurden sie 1864 formuliert. Jakob diente im 1870er Krieg als Ingenieuroffizier. Nach dem Krieg entschloss er sich, mit Hilfe seiner Kenntnisse eine Firma zum Bau von Generatoren von Gleichstrom und Elektromotoren in München zu gründen. Er selbst entwarf seine Maschinen und ließ sie in der Werkstatt bauen.

Jakob überredete seinen Bruder Hermann, sich an der Firma zu beteiligen und als kaufmännischer Leiter einzutreten. Hermann ging darauf ein und zog im Juni 1880 nach München um, zunächst in die Müllerstraße 3, wo Jakob sein Geschäft und seine Wohnung hatte. Die Elektrotechnische Fabrik J. Einstein & Cie. bot die »Ausführung elektrischer Kraftübertragungsanlagen« sowie die »Ausführung elektrischer Beleuchtungsanlagen, Fabrikation von Dynamo-Maschinen für Beleuchtung, Kraftübertragung und Elektrolyse« an und hatte damit Erfolg. Die von Oskar von Miller, dem späteren Gründer des Deutschen Museums, organisierte Internationale Electricitäts-Ausstellung 1882 im Glaspalast in München brachte die neue Technik in das Zentrum des Interesses. Die Firma Einstein & Cie. zeigte ihre Dynamos und auch eine Telefonzentrale. 1885 kauften die Einsteins ein neues Betriebsgelände in der Lindwurmstraße, sie wohnten in der Adzlreiterstraße 14, die heute eine Gedenktafel trägt.

Die gesamte Groß-Familie war in dem Haus versammelt, Familie Hermann und Pauline mit Albert und Maria in der Bel-Etage, Onkel Jakob mit seiner Frau Ida und Paulines Vater Julius Koch im Erdgeschoß. Die beiden Familien speisten gemeinsam und natürlich sprach dabei Onkel Jakob über sein Arbeitsgebiet, die Elektrodynamik und deren Anwendungen. Albert war wahrscheinlich der einzige 15-jährige Schüler in Deutschland, dem die Maxwell’schen Gleichungen beim Mittagstisch ständige Begleiter waren. Die merkwürdige Tatsache, dass in diesen Gleichungen eine Zahl c auftaucht, die Lichtgeschwindigkeit, muss ihm schon damals aufgefallen sein. Alberts großes Interesse galt der Mathematik, bei der man die Richtigkeit von Aussagen selbst nachprüfen konnte. Ein kleines Büchlein mit den Sätzen der euklidischen Geometrie war ihm heilig. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war für ihn ein Kompass, den ihm sein Vater zeigte. Die Kraft, die die Kompassna-

Abb. 4: Das Wohnhaus der Familie Einstein in der Adlzreiterstraße 14 in München.

del in die nördliche Richtung dreht, faszinierte den Jungen. Dieses geheimnisvolle Phänomen wollte er verstehen.

Zunächst aber ging Albert ab 1885 in die katholische Sankt-Peters-Volksschule, in der ein strenges Regiment herrschte. Der Drill behagte ihm gar nicht, da er auf Fragen nicht auswendig Gelerntes wiedergeben, sondern selbst nachdenken wollte. Er war der Primus der Klasse und seine Intelligenz verschaffte ihm Respekt. Als einziger Jude in der Klasse nahm er am katholischen Religionsunterricht teil und lernte die biblischen Geschichten des Alten und Neuen Testaments kennen.

 

1.3       Schüler am Luitpold-Gymnasium München

 

Im Oktober 1888 trat Albert in das Luitpold-Gymnasium ein. Klassenkameraden waren u. a. Robert Kaulbach, ein Mitglied der berühmten Malerfamilie, und Paul Marc, der ältere Bruder von Franz Marc. Franz Marc wurde mit der Gründung des Blauen Reiters zusammen mit Wassily Kandinsky ein Revolutionär in der Malerei wie Einstein in der Physik. Im humanistischen Luitpold-Gymnasium war Einstein ein hervorragender Schüler, der insbesondere in Mathematik glänzte.

Abb. 5: Albert Einstein im Alter von 14 Jahren.

Jede Art von Autorität war ihm zuwider, mechanisches Auswendiglernen von lateinischen und griechischen Vokabeln hasste er. Wenn aber dann die Inhalte der antiken Kultur mit Hilfe der Sprache vermittelt wurden, war er begeistert dabei. Am meisten imponierte ihm sein Lehrer Rueß, der die antiken Ideen und deren Wirkungen auf die deutsche Kultur lebendig vermitteln konnte. Dabei kamen wohl auch die Vorstellungen der griechischen Philosophen über die Natur und ihre Spekulationen über Symmetrien und mathematische Gesetzmäßigkeiten zur Sprache, die Einsteins künstlerischer Natur entgegenkamen. Deshalb hatte Einstein auch in den alten Sprachen immer gute oder sogar sehr gute Noten. Der Lehrer Rueß unterrichtete auch deutsche Literatur, davon ist bei Einstein am stärksten die Lektüre von Goethes Hermann und Dorothea in Erinnerung geblieben. Aber auch Schillers Dramen mit ihren idealistischen Helden hatten ihren Stellenwert.

Einsteins Ablehnung jeglicher Art von Autorität führte zu einem gespannten Verhältnis zu manchen Lehrern. Auch hatte er die Eigenart, die Lehrer seine intellektuelle Überlegenheit spüren zu lassen. Später beim Studium am Eidgenössischen Polytechnikum verhielt er sich ähnlich. Einer seiner Professoren dort sagte zu ihm: »Sie sind ein gescheiter Junge, Einstein, ein ganz gescheiter Junge. Aber Sie haben einen großen Fehler. Sie lassen sich nichts sagen.«

Seine Skepsis gegen Autoritäten speiste sich auch aus der Erkenntnis, dass die religiösen Wahrheiten in der Bibel bei näherer Betrachtung der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge »nicht stimmen konnten«. Im bayerischen Gymnasium war Religionsunterricht Pflicht, es gab das Schulfach »Israelitische Religionslehre«, an dem er teilnahm. Dieses Mal war er nicht nur unbeteiligter Zuhörer, wie im katholischen Religionsunterricht in der Volksschule, sondern regulärer Teilnehmer. Obwohl Einsteins Eltern die Traditionen des Judentums nicht praktizierten, wurde er hier in den Talmud und das Alte Testament eingeführt, so wie vorher in der Volksschule in das Neue Testament. Die Schüler mussten natürlich am Gottesdienst in der Synagoge teilnehmen. Einstein empfand das als Zwang und formale Routine. Mit zwölf Jahren las er populärwissenschaftliche Bücher, z. B. die Naturwissenschaftlichen Volksbücher von Aaron Bernstein. Dabei kam ihm der Widerspruch zwischen den biblischen Geschichten und der Wissenschaft zum Bewusstsein. Er wurde zum Freigeist. Seine Folgerung aus dieser Erkenntnis war: Wenn die Jugend bei der religiösen Erziehung absichtlich belogen wird, sind vielleicht auch die Wahrheiten in den Schulbüchern falsch. Sein Misstrauen gegen jede Art Autorität wurde bestätigt. Er überlegte sogar, nach dem Gymnasium aus der jüdischen Religionsgemeinschaft auszutreten, was er dann aber erst später verwirklichte.

Einen wesentlichen Einfluss auf Einstein hatte sein Onkel Jakob, der ja mit der Familie im selben Haus wohnte. Er stellte Albert mathematische Aufgaben, mit der Bemerkung, sie seien zu schwer für den Jungen. Natürlich löste Albert sie trotzdem. Als der Onkel den Satz des Pythagoras erwähnte, setzte der zwölfjährige Albert seinen Ehrgeiz darein, einen Beweis zu finden. Er brauchte dazu drei Wochen, aber er blieb dabei, bis er eine Lösung gefunden hatte.

Auch in der Musik setzte er diese geduldige Energie ein, sobald ihn der Inhalt der Stücke innerlich ergriff. Während in den ersten Jahren des Geigenspiels die technischen Voraussetzungen für die Beherrschung des Instruments geschaffen werden müssen, sind die zu übenden Etüden oft langweilig und musikalisch unergiebig. Dazu hatte Albert wenig Lust. Sobald aber die großen Werke in sein Blickfeld kamen, stieg sein Interesse, und er bemühte sich, sich die technischen Hilfsmittel anzueignen, die nötig waren, um die von ihm geliebten Violinsonaten von Mozart zu spielen. Seine Liebe zur Musik blieb sein Leben lang erhalten.

Derweil machte die Elektrizitätsgesellschaft J. Einstein & Cie. gute Geschäfte. Albert ging gelegentlich durch die Fabrik und lernte so die Anwendung der Theorie des Elektromagnetismus kennen. Als er dort auf ein Problem in der Fertigung aufmerksam wurde, über das der Onkel Jakob tagelang ohne Erfolg nachgedacht hatte, fand er die Lösung in kurzer Zeit, zum Stolze seines Onkels.

Um ihre Firma bekannt zu machen, legten die Einsteins zum Oktoberfest 1885 eine Leitung von ihrer Fabrik in der Lindwurmstraße zur Theresienwiese. Mit dem Strom aus den Einstein’schen Dynamos wurden die Festzelte beleuchtet. Daneben wurde auch noch Petroleumlampen verwendet. Wegen eines durch eine solche Lampe verursachten Brandes beim Oktoberfest 1887 wurde die elektrische Beleuchtung 1888 ganz auf Elektrizität umgestellt, die Firma Einstein bekam den Auftrag. Im selben Jahr wurde die Umstellung der Straßenbeleuchtung des Münchner Stadtteils Schwabing von Gas auf Elektrizität ausgeschrieben, und wieder erhielt die Firma Einstein den Zuschlag. Mit großem Pomp wurde die neue Beleuchtung im Februar 1889 eingeweiht. Die Festveranstaltung endete mit einem Feuerwerk, Raketen und Böllern, Jakob Einstein übergab die Anlage der Stadt München.

Zu dieser Zeit beschäftigte die Firma Einstein 200 Arbeiter, die Familie wurde wohlhabend. Aber schon in den nächsten Jahren traten mächtige Konkurrenten auf den Plan, darunter Schuckert & Co. in Nürnberg, AEG und Siemens & Halske, die die Wechselstromtechnik verwendeten. Im Jahr 1892 wurde dann die gesamte Münchner Straßenbeleuchtung ausgeschrieben, alle Konkurrenten gaben Angebote ab. Das günstigste Angebot von Schuckert bekam den Zuschlag, J. Einstein & Cie. lag im Preis weit darüber.

Nach diesem Misserfolg musste die Firma Einstein viele Mitarbeiter entlassen, die Konkurrenz übernahm die lukrativen Aufträge. Hermann und Jakob Einstein entschlossen sich im Sommer 1894, ihre Firma zu liquidieren und in Italien neu anzufangen, wo Verwandte ihrer Familie lebten. Sie eröffneten eine ähnliche Firma in Pavia.

Nachdem die Eltern nach Italien umgezogen waren, sollte Albert allein in München bleiben und das Abitur als Voraussetzung für ein Studium ablegen. Er kam im Herbst in die 7. Klasse (heute 11. Klasse) des Gymnasiums. Da er mit dem Klassenleiter nicht zurechtkam und die mechanischen Lernmethoden ihm unerträglich schienen, reifte in ihm der Entschluss, die Schule zu verlassen. Ein Motiv kann dabei auch gewesen sein, dass es nach dem 16. Lebensjahr schwieriger geworden wäre, die deutsche bzw. württembergische Staatsangehörigkeit abzugeben und den Militärdienst zu vermeiden. Albert beschaffte sich also von einem befreundeten Arzt ein Zeugnis, das ihm eine Nervenzerrüttung bescheinigte. Deswegen sei ein halbjähriger Erholungsurlaub bei seinen Eltern in Italien ärztlich geboten. Da er wusste, dass er einen Abschluss brauchen würde, ließ er sich von seinem Mathematiklehrer eine Bescheinigung geben, in der ihm außergewöhnliche Kenntnisse in Mathematik attestiert wurden, die ihn zur Aufnahme in einem anderen Gymnasium befähigten. Das Ausscheiden aus dem Luitpold-Gymnasium war dann überraschend leicht, denn sein Verhalten provozierte im Dezember 1894 einen Eklat: Der Lehrer forderte Albert auf, die Schule zu verlassen, weil seine bloße Anwesenheit den Respekt vor dem Lehrer in der Klasse verderbe. Am 29. Dezember 1894 verließ er die Schule und reiste zu seinen Eltern nach Italien.

 

1.4       Einstein in Aarau und Zürich

 

Nach seiner Flucht aus München im Dezember 1894 reiste Einstein zu seiner Familie und genoss ein halbes Jahr das Leben in Italien. Er erklärte seinem Vater, dass er die württembergische Staatsangehörigkeit abgeben wolle und trat aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus. Er hatte im Sommer 1895 keine genauen Vorstellungen, wie es weitergehen sollte. Zwischenzeitlich überlegte er, in die Firma seines Vaters einzutreten. Diese Idee gab er auf, als sich das Unternehmen seines Vaters weder in Pavia noch in Mailand positiv entwickelte. Es wurde ihm nun klar, dass er seine berufliche Zukunft planen musste. Er hoffte, an dem Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, einer der besten technischen Hochschulen in Europa, ein Studium beginnen zu können. Sein Vater sprach mit einem in Zürich lebenden Freund und dieser wandte sich persönlich an den Direktor des Polytechnikums. Er erlaubte Einstein, an der Aufnahmeprüfung für das Studium des Lehramts für Mathematik und Physik teilzunehmen. Bei dieser Prüfung glänzte Einstein in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern, aber seine Kenntnisse in den modernen Sprachen, in Literaturgeschichte, Zoologie und Botanik waren nicht ausreichend. Er wurde nicht aufgenommen.

Nun war guter Rat teuer. Der kam vom Direktor des Polytechnikums Albin Herzog. Er war der Meinung, auch Wunderkinder müssten Abitur machen, und empfahl dafür die Kantonsschule in Aarau. Dieses Gymnasium war mit einem Physik- und Chemielabor, einer zoologischen Sammlung und geographischem Anschauungsmaterial sehr gut ausgestattet, sogar ein Mikroskop war vorhanden. Einstein hatte das Glück, als Pensionsgast in das Haus eines Lehrers, des Professors Jost Winteler, der Griechisch und Geschichte unterrichtete, aufgenommen zu werden. Winteler betreute ihn, machte Ausflüge ins Gebirge mit ihm und seinen beiden Kindern und mit ihm führte Einstein viele Gespräche über die Politik in der demokratischen Schweiz im Vergleich zum wilhelminischen Deutschland.

Nach einem knappen Jahr legte Einstein an der Kantonsschule das Abitur ab. Im September 1896 folgte auf die schriftlichen Prüfungen der mündliche Teil der Matura. In einem französischen Aufsatz über Mes projets d’avenir (Meine zukünftigen Projekte) gibt der 17-jährige an, er wolle Physik und Mathematik studieren und Professor in theoretischer Physik werden. Während der Zeit in Aarau hat er sich also von dem auch vom Vater gewünschten Berufsziel eines Ingenieurs – nach Vorbild des Onkels Jakob – abgewandt und seine wahre Neigung zur theoretischen Betrachtung der Natur entdeckt.

Sein Maturitätszeugnis war das Beste seiner Klasse. In den beiden mathematischen Fächern Geometrie und Algebra hatte er die Bestnote 6, in Physik 5–6. Die von der deutschen abweichende Notengebung hat später zu mancher Verwirrung in deutschen Berichten geführt, Einstein sei ein schlechter Schüler gewesen. Es mag für schlechte Schüler ein tröstlicher Gedanke gewesen sein, das berühmte Genie sei ein Schulversager gewesen, aber das Gegenteil ist richtig.

Während der Aarauer Zeit hatte sich ein besonders inniges Verhältnis zur Tochter des Lehrers Winteler, Marie, entwickelt. Sie war zwei Jahre älter und liebte Albert schwärmerisch. Aber sobald Einstein das schweizerische Reifezeugnis in der Tasche hatte, war sein Ziel das Polytechnikum in Zürich. Dort begann er im Oktober 1896 sein Studium, musste sich darauf konzentrieren und konnte keine Ablenkung brauchen. Das Studium beanspruchte seine volle »geistige Anstrengung«, weshalb er vor den möglichen Verwicklungen floh und weitere Besuche in Aarau vermied. Die Verbindung zur Familie Winteler blieb aber erhalten, auch weil Alberts Schwester Maja später Wintelers jüngsten Sohn Paul heiratete.

Das Polytechnikum in Zürich war die einzige von der Schweizer Bundesregierung finanzierte Hochschule, im Gegensatz zu den von den Kantonen unterhaltenen Universitäten. In dem von Gottfried Semper aus Dresden entworfenen Prachtbau residiert noch heute die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH). Einstein schrieb sich für den Studiengang »Fachlehrer mathematischer und naturwissenschaftlicher Richtung« ein. Unter dem Dutzend Studenten dieser Ausrichtung war eine junge Frau, die Serbin Mileva Marić.

Für die Vorlesung des Professors Heinrich Friedrich Weber über Wärmelehre interessierte sich Einstein sehr, dagegen überhaupt nicht für das »Physikalische Praktikum für Anfänger«, in dem die Grundzüge der Experimentalphysik vermittelt wurden. Hier erhielt er einen Verweis »wegen Unfleiß« und die schlechteste Note 1. Auch die mathematische Ausbildung vernachlässigte er, weil er dachte, sein Wissen genüge. Deshalb musste er später bei der Formulierung seiner theoretischen Arbeiten oft die Hilfe von Mathematikern in Anspruch nehmen.

Beim Studium war Mileva bald mehr als eine verständnisvolle Kommilitonin. Sie teilte seine wissenschaftlichen Interessen und so brach er

Abb. 6: Mileva Marić 1900.

den Kontakt zu Marie Winteler in Aarau ab. Mileva studierte ein Semester in Heidelberg. In seinen Briefen an sie bestärkte er sie darin, zurückzukommen: Er sei sehr erfreut über ihre Absicht, wieder hier weiter zu studieren, und er gebe ihr ganz selbstlos den Rat, möglichst bald hierher zu kommen. Nach ihrer Rückkehr setzten die beiden ihr Privatstudium fort, erst im letzten Studienjahr benutzten sie das vertrauliche »Du«, er nannte sie Doxerl, sich selbst Johonserl. Die beiden Diplomarbeiten bei Professor Weber hatten das Thema »Wärmeleitung« und waren für Albert »ohne irgendwelches Interesse«. Bei der schriftlichen Prüfung kam Einstein auf einen Notendurchschnitt von 4,91 oder genügend, Mileva schrieb in Funktionentheorie eine 2,5 oder ungenügend und erhielt das Diplom nicht. Sie musste die Prüfungen im folgenden Jahr wiederholen, bestand sie aber auch dann nicht.

 

1.5       Experte im Berner Patentamt

 

Nach seinem Züricher Lehrerexamen am Polytechnikum in Zürich im Juli 1900 hoffte Einstein, eine Assistentenstelle am Lehrstuhl seines Professors Heinrich Friedrich Weber zu bekommen. Für ihn stand fest, dass er Mileva heiraten wollte, sodass sich die Frage nach dem Lebensunterhalt stellte. Ihm schwebte eine Hochschullaufbahn in der Schweiz vor und er konnte annehmen, dass die schweizerische Staatsangehörigkeit dabei ein Vorteil sein könnte. Er war ja staatenlos, seit er seine württembergische und deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben hatte. Also sparte er die Summe von 600 Franken an, die nötig war, um einen Antrag auf die Schweizer Staatsangehörigkeit zu stellen. Die Einbürgerungskommission der Stadt Zürich war vorwiegend an den finanziellen Verhältnissen des Kandidaten interessiert. Nachdem er die Summe vorweisen konnte und auch die Kantonsbehörden zugestimmt hatten, wurde er im Februar 1901 Bürger der Stadt Zürich und Schweizer. Zwar wurde er nach seiner Einbürgerung gemustert, aber wegen Krampfadern, Plattfüßen und Fußschweiß für untauglich erklärt. Dadurch blieb ihm der militärische Drill erspart, vor dem er aus Deutschland geflohen war. So konnte auch das positive Bild der demokratischen Schweiz unangetastet bleiben, das ihm sein Aarauer Lehrer Winteler vermittelt hatte. Doch seinem Wesen und seiner Sprache nach blieb er Schwabe.

Die erhoffte Assistentenstelle bei Professor Weber bekam Albert nicht, auch die Bewerbungen, die er an viele europäische Institute schickte, hatten keinen Erfolg. Er bewarb sich bei Friedrich Wilhelm Ostwald in Leipzig und bei Heike Kamerlingh Onnes in Leiden, ohne eine Antwort zu erhalten. Er war ja bisher in der akademischen Welt völlig unbekannt und hatte noch nicht einmal promoviert. – Bemerkenswerterweise war Ostwald später im Jahr 1910 der erste, der Einstein für den Nobelpreis vorschlug. – So musste sich Einstein um Stellen als Lehrer bewerben. Die erste kurze Anstellung fand er 1901 als Hilfslehrer an einem Gymnasium in Winterthur. Im Herbst ergab sich dann die Möglichkeit, eine Stelle als Privatlehrer im Dienst eines Mathematiklehrers an einem Gymnasium in Schaffhausen am Rhein anzunehmen. Er sollte als Nachhilfelehrer einen Schüler auf die Matura vorbereiten. Die Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit, um in zwei Monaten eine Dissertation über kinetische Gastheorie zu verfassen, die er bei der Universität Zürich einreichte. Sie wurde nicht angenommen. Am Polytechnikum konnte er die Arbeit nicht einreichen, weil diese Hochschule das Recht zur Promotion noch nicht hatte.

Während dieser Zeit blieb seine Freundin Mileva zunächst in Zürich, kehrte aber im Juli 1901 zu ihren Eltern in die serbische Stadt Novi Sad (Neusatz) zurück, die zu Österreich-Ungarn gehörte. Sie war von Albert schwanger geworden und hatte das Diplom-Examen auch im zweiten Versuch nicht bestanden. Außerdem wusste sie, dass Alberts Eltern sie als Schwiegertochter ablehnten. Sie schrieben sogar an Milevas Eltern, dass sie die Heirat nicht wünschten. Im Oktober besuchte Mileva Albert in Schaffhausen, wohnte aber in einem Hotel in Stein am Rhein, um kein Aufsehen zu erregen. Nach zwei Wochen reiste sie zurück nach Novi Sad und brachte im Januar 1902 die gemeinsame Tochter zur Welt. Albert schrieb ihr im Februar und erkundigte sich nach dem Kind. Er hatte inzwischen von seinem Studienfreund Marcel Grossmann erfahren, dass er sich um eine Beamtenstelle am Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum, dem Patentamt in Bern bewerben könne. Grossmann vermittelte ein Gespräch mit dem Direktor des Amtes Friedrich Haller. Danach schickte Einstein seine Bewerbung ein und war sich ziemlich sicher, dass er die Stelle bekommen würde. Er kündigte in Schaffhausen »mit einem Knalleffekt« und zog nach Bern um. In dieser Situation wollte er nicht, dass Mileva das Kind bei ihrer Rückkehr in die Schweiz mitbrachte, er fürchtete wohl, ein uneheliches Kind könnte seine Bewerbung um die Beamtenstelle am Patentamt gefährden. Außerdem war es nach dem damaligen Züricher Zivilrecht nur möglich, das uneheliche Kind durch ein förmliches Adoptionsverfahren anzuerkennen, was Aufsehen erregt hätte. Also blieb das Kind, das seine Eltern Lieserl nannten, in Novi Sad. Seit dem Sommer 1903 sind keine Briefe erhalten, in denen von ihr die Rede wäre. Sie wurde systematisch verschwiegen und Einstein hat zeitlebens nie mehr von ihr gesprochen. Ihr weiteres Schicksal ist umstritten. Möglicherweise wurde sie nach Deutschland gebracht und dort von einem Ehepaar Gießler adoptiert und hat bis 1980 als Marta Zolg, geb. Gießler, in Bietingen bei Konstanz gelebt (Kap. 6 Einsteins Frauen).

Im Juni 1902 war endlich die Anstellung beim Patentamt vom Bundesrat beschlossen worden. Die Beamtenstelle am Patentamt in Bern sagte Einstein viel besser zu als die Tätigkeit als Lehrer, weil sie ihm neben der Arbeit als Patentprüfer viel freie Zeit für seine eigenen Forschungsinteressen ließ.

Abb. 7: Einstein im Patentamt Bern 1905.

Auch fiel ihm die Arbeit am Patentamt leicht, da er schon als Schüler in München im väterlichen Unternehmen Einstein & Cie. die technischen Details von elektromagnetischen Generatoren und Motoren kennengelernt hatte. Einstein beurteilte die Arbeit bei der Bewertung der Patentanträge als ungemein abwechslungsreich, sie gebe ihm viel zu denken. In einer erhaltenen Expertise lehnt er einen Patentantrag der AEG Berlin für eine Wechselstromkollektormaschine ab, weil der Anspruch inkorrekt, ungenau und unklar redigiert sei.

Die Heirat mit Mileva gestaltete sich als schwierig. Einsteins Mutter Pauline schrieb an eine Freundin: »Läge es in meiner Macht, ich würde alles aufbieten, sie aus unserem Gesichtskreis zu bannen, sie ist mir förmlich antipathisch«. Auch Vater Hermann war gegen die Hochzeit. Erst auf dem Sterbebett in Herbst 1902 in Mailand gab er endlich die Erlaubnis zur Heirat. Im Januar 1903 fand die Hochzeit statt, ohne Beteiligung der beiden Familien:

Abb. 8: Albert und Mileva Einstein in Bern um 1905.

Dadurch wurde Mileva Schweizerin, während die Tochter »Lieserl« (oder Marta) Marić zunächst österreichisch-ungarische Staatsangehörige blieb. 1904 wurde in Bern der ältere Sohn Hans Albert geboren, 1910 folgte in Zürich der zweite Sohn Eduard.

Die Verdrängung der Tochter aus ihrem Leben, die wohl auf Alberts Betreiben zurückging, hat die Ehe der beiden von Anfang an belastet, wie der Sohn Hans Albert später einem Journalisten gegenüber andeutete. Hans Albert wusste zwar damals nichts von seiner Schwester, aber seine Mutter habe ihm erzählt, es sei etwas zwischen den beiden vorgefallen, an dem Albert die Schuld habe.

Schon vor Antritt der Stelle am Patentamt hatte Einstein in Bern zwei Freunde gefunden, mit denen er philosophische, naturwissenschaftliche und literarische Texte lesen und diskutieren konnte. Der eine war ein rumänischer Philosophiestudent Maurice Solovine, der andere ein Schweizer Mathematikstudent Conrad Habicht. Die drei gründeten die Akademie Olympia, einen Lesezirkel, zu dem sie sich regelmäßig bei Tee und Wurst- und Käsebrot trafen und gemeinsam diskutierten. Sie lasen philosophische Werke mit einem Bezug zu naturwissenschaftlichen Themen, wie etwa von David Hume, Immanuel Kant, Ernst Mach und Henri Poincaré, aber auch »zur Erbauung« rein philosophische Schriften von Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Von Schopenhauer, der die »Weiber« als »zeitlebens große Kinder« bezeichnete, während der Mann »der eigentliche Mensch« sei, könnte Einsteins Frauenbild geprägt worden sein.

An David Hume, den Vertreter der englischen Aufklärung, schätzte Einstein die Auffassung, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf der Erfahrung beruhen und dass sie mathematisch beschrieben werden können. Hume kritisierte die Methode der Induktion, bei der man von Einzelfällen auf ein allgemeines Gesetz schließt. Er lehrte, dass die Beobachtungen nur zeigen, welche Vorgänge regelmäßig ablaufen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, dass wir darüber hinaus aber nicht auf eine Ursache schließen können.

Auch der Philosoph Ernst Mach beeindruckte die Lesegruppe der Akademie Olympia mit seinem Positivismus. Er stellte einige grundlegende Begriffe der Newton’schen Mechanik auf den Prüfstand und fand, dass es keine empirische Begründung für solche Vorstellungen wie den »absoluten Raum« und die »absolute Zeit« gebe. Hier findet sich ein Ansatzpunkt für Einsteins spätere Erkenntnis, dass alle relativ zueinander gleichförmig bewegten Bezugssysteme gleichberechtigt sind.

An Immanuel Kant überzeugte Einstein die Rolle, die er der menschlichen Vernunft zuschrieb. Allerdings lehnte er die Kant’sche Vorstellung ab, dass die Vernunft Gesetze erkennen könne, die »a priori« und für alle Zeiten gelten. Hier fehlte offenbar der Bezug zur Empirie, den die Positivisten als Grundlage der Naturerkenntnis sahen.

Die Zeit am Patentamt in Bern war eine glückliche Zeit für Einstein. Mileva kümmerte sich um die kleine Familie mit dem Sohn Hans Albert, Einstein fand Befriedigung bei der Tätigkeit als Patentprüfer, die ihm ein sorgloses Leben ermöglichte. Ein praktischer Beruf, schrieb er später im Rückblick, sei für Menschen seiner Art ein Segen. Menschen mit tieferen wissenschaftlichen Interessen könnten sich neben ihrer Pflichtarbeit in ihre Lieblingsprobleme versenken. Die freie Zeit, die er neben der Arbeit am Patentamt hatte, nutzte Einstein, um im Alleingang die Welt der Physik umzustürzen.

2          Heisenbergs Jugend

 

 

2.1       Heisenbergs Herkunft

 

Heisenbergs Eltern kamen aus verschiedenen Gegenden. Der Großvater Wilhelm August Heisenberg stammte aus einer westfälischen Handwerkerfamilie. Seine Vorfahren waren Branntweinbrenner und Böttchermeister in Detmold und Osnabrück, er selbst betrieb eine Schlosserwerkstatt in Osnabrück und engagierte sich sozial als Armenpfleger. August Heisenberg, der Vater von Werner, wurde 1869 in Osnabrück geboren. Er besuchte die Bürgerschule und das Realgymnasium und brach dann mit der Tradition der Handwerkerfamilie, indem er ab 1888 an der Universität Marburg studierte. Er schwankte zunächst zwischen Philosophie und Theologie, bis ihm der Theologe Adolf von Harnack zum Studium der Philosophie riet. Wegen seiner Liebe zur Musik wechselte er an die Münchner Universität, wo durch die Bekanntschaft mit Karl Krumbacher sein Interesse an der altgriechischen Kultur geweckt wurde. Nach seinem Lehrerexamen kam er in das pädagogische Praktikum am Maximiliansgymnasium und lernte seinen zukünftigen Schwiegervater Nikolaus Wecklein kennen. Nach seiner Assistentenzeit in Landau in der bayerischen Pfalz, beim Militärdienst in Osnabrück und als Lehrer am Münchner Maximiliansgymnasium trat er seine erste Studienlehrerstelle in Lindau am Bodensee an, nachdem er sich vorher mit der ältesten Tochter Weckleins verlobt hatte. Er muss ein sehr lustiger, unternehmender Mann gewesen sein, dem das Unterrichten Spaß machte und der mit seiner pädagogischen Begabung großen Erfolg bei den Schülern hatte. Doch sein wissenschaftliches Interesse bewog ihn, sich um das bayerische Archäologische Staatsstipendium zu bewerben. Er hatte damit Erfolg und verbrachte 1898 und 1899 in Italien und Griechenland. Er kam zurück an das Luitpold-Gymnasium in München mit dem Entschluss, seine »Kraft fortan der Erforschung der griechischen und neugriechischen Kultur zu widmen« und heiratete 1899 Anna Wecklein. Der Sohn Erwin wurde im März 1900 geboren, sein jüngerer Bruder Werner im Dezember 1901. Im Jahr 1901 wurde August Heisenberg an ein Gymnasium nach Würzburg versetzt. Dort unterrichtete er Latein, Deutsch und Geographie. Daneben forschte er weiter in seinem zweiten Beruf, der Byzantinistik, hielt Vorlesungen an der Universität und publizierte 50 wissenschaftliche Arbeiten.

Bei der parallelen Arbeit für die Schule half ihm seine Frau Anna. Sie lernte Russisch, um ihrem Mann durch die Übersetzung russischer Quellen zur Byzantinistik zu helfen. Annie, wie sie in der Familie genannt wurde, wandte dem jüngeren Sohn Werner ihre ganze Fürsorge zu, der Vater favorisierte den älteren Erwin. Vom Vater hat Werner die unermüdliche Schaffenskraft und den Optimismus geerbt.

August Heisenberg forschte über byzantinische Kultur und Kunst in der Türkei. Schließlich erhielt er in München den Lehrstuhl für Byzantinistik. Er starb am 22. November 1930 an Typhus, den er sich auf einer Reise nach Sizilien und Griechenland zugezogen hatte.

Während August Heisenberg als temperamentvoll beschrieben wird, war seine Frau Annie eine eher ruhige, ausgleichende Person. In der mütterlichen Familie Wecklein gab es Händler, Bauern, Pfarrer, Künstler und Akademiker. Darunter war auch der Violinvirtuose August Zeising. Dessen Sohn Adolf nahm an der 1848er Revolution teil und wurde später Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Seine Tochter Magdalena heiratete den Altphilologen Nikolaus Wecklein (geb. 1843), der 1865 über die griechischen Sophisten promovierte. Nach einigen Jahren Schuldienst am Ludwigs- und Maximiliansgymnasium in München habilitierte er sich 1869 mit einer Abhandlung über griechische Inschriften. Nach einigen Zwischenstationen in Bamberg und Passau wurde er schließlich Rektor des Maximiliansgymnasiums in München und geheimer Hofrat. In seiner Schule wuchsen seine Enkel Erwin und Werner Heisenberg auf.