Einstein - Walter Isaacson - E-Book

Einstein E-Book

Walter Isaacson

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Beschreibung

Die Bestsellerbiografie über Albert Einstein — jetzt endlich auf Deutsch

Walter Isaacson, der schon in seinen Bestsellern über Steve Jobs oder Leonardo da Vinci dem Zusammenhang von Kreativität und Freiheit nachspürte, arbeitet in seiner umfassenden Biografie Albert Einsteins überzeugend heraus, wie dessen geniale wissenschaftliche Einbildungskraft nicht zuletzt auch der rebellischen Natur seiner Persönlichkeit entsprang. Eingehend erkundet er, wie Einstein zeitlebens und schon in den 1900er-Jahren als fantasiebegabter »Angestellter dritter Klasse« beim Schweizer Patentamt — ein mit den Widrigkeiten des Lebens kämpfender Vater in einer problematischen Ehe, dem trotz hervorragender Begabung Promotion oder Assistentenstelle versagt blieb — überlieferte Gewissheiten konsequent hinterfragte. Einstein nämlich begann sich dort zu wundern, wo andere nur Altbekanntes am Werke sahen. Niemand vor ihm, so macht Isaacson auf fesselnde Weise deutlich, ist den Geheimnissen im atomaren wie zugleich im kosmischen Maßstab so nahe auf die Spur gekommen wie er.

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Buch

Walter Isaacson, der schon in seinen Bestsellern über Steve Jobs oder Leonardo da Vinci dem Zusammenhang von Kreativität und Freiheit nachspürte, arbeitet in seiner umfassenden Biografie Albert Einsteins überzeugend heraus, wie dessen geniale wissenschaftliche Einbildungskraft nicht zuletzt auch der rebellischen Natur seiner Persönlichkeit entsprang. Einstein nämlich begann sich dort zu wundern, wo andere nur Altbekanntes am Werke sahen. Niemand vor ihm, so macht Isaacson auf fesselnde Weise deutlich, ist den Geheimnissen im atomaren wie zugleich im kosmischen Maßstab so nahe auf die Spur gekommen wie er.

Autor

Walter Isaacson, geboren 1952, ist Journalist und Schriftsteller. Er begann seine Karriere bei der Sunday Times, bevor er zum Time Magazine wechselte, dessen Herausgeber er 1996 wurde. In der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war er als Vorstand bei CNN tätig, bis er 2003 die Leitung des Aspen Institute übernahm, die er bis 2018 innehatte, um sich danach einer Geschichtsprofessur an der Tulane University zu widmen. Walter Isaacson gilt als einer der renommiertesten Biografen unserer Zeit – wobei »Steve Jobs« zum Weltbestseller avancierte. Isaacson wurde 2021 mit der National Humanities Medal ausgezeichnet. Bei C.Bertelsmann erschienen zuletzt »The Innovators« (2018) und der internationale Bestseller »Elon Musk« (2023).

Walter Isaacson

Einstein

Die Biografie

Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober

Die Originalausgabe dieses Buches erschien 2007 unter dem Titel »Einstein. His Life and Universe« bei Simon & Schuster, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2007 Walter Isaacson

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe C.Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagmotiv: © imago/ZUMA Press

Fachliche Beratung bei der Übersetzung: Dr. Markus Pössel, Heidelberg

Reproduktion: Lorenz&Zeller, Inning a. Ammersee

Satz und E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-29389-5V001

www.cbertelsmann.de

Motto

© California Institute of Technology (Courtesy of the Archives)

In Santa Barbara, 1933 »Beim Menschen ist es wie beim Velo. Nur wenn er fährt, kann er bequem die Balance halten.« 1

Hauptfiguren

MICHELEANGELOBESSO (1873 – 1955). Einsteins engster Freund. Ein gewinnender, aber wenig ehrgeiziger Ingenieur, lernte er Einstein in Zürich kennen, folgte ihm nach Bern und nahm ebenfalls eine Stellung am Schweizer Patentamt an. Diente 1905 als Resonanzboden für den Aufsatz über die spezielle Relativitätstheorie. Heiratete Anna Winteler, die Schwester von Einsteins erster Freundin.

NIELSBOHR (1885 – 1962). Dänischer Wegbereiter der Quantentheorie. Auf den Solvay-Konferenzen und anderen wissenschaftlichen Zusammenkünften parierte er Einsteins vehemente Angriffe auf seine Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik.

MAXBORN (1882 – 1970). Deutscher Physiker und Mathematiker. Führte vierzig Jahre lang einen brillanten persönlichen Briefwechsel mit Einstein. Versuchte Einstein dazu zu bringen, sich mit der Quantenmechanik abzufinden; seine Frau Hedwig war mit Einsteins privaten Entscheidungen nicht immer einverstanden.

HELENDUKAS (1896 – 1982). Diente Einstein von 1928 bis zu seinem Ende als treue Sekretärin, unerbittliche Hüterin ihres Herrn und nach seinem Tod als Wächterin seines Vermächtnisses und seiner Schriften.

ARTHURSTANLEYEDDINGTON (1882 – 1944). Britischer Astrophysiker und Verfechter der Relativitätstheorie, der Einsteins Vorhersage einer bestimmten Lichtablenkung durch die Gravitation 1919 mit der Beobachtung einer Sonnenfinsternis spektakulär bestätigte.

PAULEHRENFEST (1880 – 1933). Aus Österreich stammender Physiker, schwermütig und unsicher, der sich mit Einstein bei einem Besuch in Prag anfreundete und Professor in Leiden wurde, wo Einstein häufig bei ihm zu Besuch weilte.

EDUARDEINSTEIN (1910 – 1965). Zweiter Sohn von Mileva Marić und Einstein. Klug und künstlerisch veranlagt, war er von Freud besessen und hoffte, Psychiater zu werden, verfiel aber in seinen Zwanzigern den eigenen schizophrenen Dämonen und verbrachte den größten Teil seines weiteren Lebens in einer Schweizer Anstalt.

ELSAEINSTEIN (1876 – 1936). Einsteins Cousine ersten Grades und zweite Ehefrau. Mutter von Margot und Ilse Einstein aus ihrer ersten Ehe mit dem Textilkaufmann Max Löwenthal. Sie und ihre Töchter nahmen nach der Scheidung 1908 wieder Elsas Geburtsnamen an. Heiratete Einstein 1919. Klüger, als sie scheinen wollte, wusste sie ihn zu nehmen.

HANSALBERTEINSTEIN (1904 – 1973). Mileva Marić’ und Einsteins erster Sohn, eine schwierige Rolle, die er souverän meisterte. Studierte Ingenieurwesen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Heiratete 1927 Frieda Knecht (1895 – 1958). Sie hatten zwei Söhne, Bernhard (1930 – 2008) und Klaus (1932 – 1938), sowie die Adoptivtochter Evelyn (1941 – 2011). Emigrierte 1938 in die Vereinigen Staaten und wurde schließlich Professor für Hydraulik in Berkeley. Nach Friedas Tod heiratete er 1959 Elizabeth Roboz (1904 – 1995). Bernhard hatte fünf Kinder, die einzigen bekannten Urenkel von Albert Einstein.

HERMANNEINSTEIN (1847 – 1902). Einsteins Vater, stammte aus einer oberschwäbischen jüdischen Familie. Mit seinem Bruder Jakob leitete er Elektrounternehmen in München und später in Italien, aber ohne großen Erfolg.

ILSEEINSTEIN (1897 – 1934). Elsa Einsteins Tochter aus erster Ehe. Hatte eine flüchtige Beziehung zu dem höchst unbürgerlichen Arzt Georg Nicolai und heiratete 1924 den Redakteur und Literaturhistoriker Rudolf Kayser, der später unter dem Pseudonym Anton Reiser ein Buch über Einstein schrieb.

LIESERLEINSTEIN (1902–?). Voreheliche Tochter von Einstein und Mileva Marić. Vermutlich hat Einstein sie nie gesehen. Wurde wahrscheinlich in Novi Sad, der serbischen Heimatstadt der Mutter, zur Adoption freigegeben und ist möglicherweise Ende 1903 an Scharlach gestorben.

MARGOTEINSTEIN (1899 – 1986). Elsa Einsteins Tochter aus erster Ehe. Eine scheue Bildhauerin. Heiratete 1930 den Russen Dimitri Marianoff; keine Kinder. Später schrieb er ein Buch über Einstein. 1937 ließ sie sich von ihm scheiden, emigrierte mit Einstein nach Princeton und lebte dort unter Einsteins Adresse 112 Mercer Street bis zu ihrem Tod.

MARIA »MAJA« EINSTEIN (1881 – 1951). Einsteins einziges Geschwister und eine seiner engsten Vertrauten. Heiratete Paul Winteler, hatte keine Kinder und zog 1938 ohne ihn von Italien nach Princeton, um bei ihrem Bruder zu leben.

PAULINEEINSTEIN, geb. Koch (1858 – 1920). Einsteins willensstarke und praktische Mutter. Tochter eines wohlhabenden Getreidehändlers aus Württemberg. Heiratete Hermann Einstein 1876.

ABRAHAMFLEXNER (1866 – 1959). Amerikanischer Reformer des Bildungswesens. Gründete das Institute for Advanced Study in Princeton und holte Einstein an das Institut.

PHILIPPFRANK (1884 – 1966). Österreichischer Physiker. Folgte seinem Freund Einstein an die Deutsche Universität Prag und schrieb später ein Buch über ihn.

MARCELGROSSMANN (1878 – 1936). Fleißiger Kommilitone am Züricher Polytechnikum, der für Einstein Matheaufzeichnungen machte und ihm half, die Stellung am Patentamt zu bekommen. Als Professor für darstellende Geometrie half er Einstein, die mathematischen Grundlagen zu finden, die er für die allgemeine Relativitätstheorie brauchte.

FRITZHABER (1868 – 1934). Deutscher Chemiker und Pionier des Gaskriegs. Trug dazu bei, dass Einstein nach Berlin kam, und vermittelte zwischen ihm und Marić. Ein Jude, der in seinem Bemühen, ein guter Deutscher zu sein, zum Christentum übertrat und Einstein den Wert der Assimilation pries, bis die Nazis an die Macht kamen.

CONRADHABICHT (1876 – 1958). Mathematiker und Amateurerfinder, Mitglied des Berner Diskussionstrios, das sich »Akademie Olympia« nannte, und Empfänger zweier berühmter Briefe, in denen Einstein bevorstehende Arbeiten ankündigte.

WERNERHEISENBERG (1901 – 1976). Deutscher Physiker. Ein Wegbereiter der Quantenmechanik, formulierte er die Unschärferelation, gegen die Einstein jahrelang Widerstand leistete.

DAVIDHILBERT (1862 – 1943). Deutscher Mathematiker, der 1915 in einem Wettrennen mit Einstein die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie entwickelte.

BANESHHOFFMANN (1906 – 1986). Mathematiker und Physiker, der in Princeton mit Einstein zusammenarbeitete und später ein Buch über ihn schrieb.

PHILIPPLENARD (1862 – 1947). Ungarisch-deutscher Physiker, dessen experimentelle Beobachtungen des photoelektrischen Effekts 1905 von Einstein in seinem Aufsatz über Lichtquanten erklärt wurden. Wurde später Antisemit, Nazi und Einstein-Hasser.

HENDRIKANTOONLORENTZ (1853 – 1928). Genialer und weiser niederländischer Physiker, dessen Theorien die Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie vorbereiteten. Wurde zur Vaterfigur für Einstein.

MILEVAMarić (1875 – 1948). Serbische Physikstudentin am Züricher Polytechnikum, die Einsteins erste Frau wurde. Mutter von Hans Albert, Eduard und Lieserl. Leidenschaftlich und ehrgeizig, aber auch grüblerisch und zunehmend schwermütig, besiegte sie viele, aber nicht alle Hindernisse, die damals einer aufstrebenden Physikerin im Weg standen. Seit 1914 von Einstein getrennt, seit 1919 geschieden.

ROBERTANDREWSMILLIKAN (1868 – 1953). Amerikanischer Experimentalphysiker, der Einsteins Lichtquantenhypothese bestätigte und ihn als Gastdozent an die Caltech einlud.

HERMANNMINKOWSKI (1864 – 1909). War Einsteins Mathematikprofessor am Züricher Polytechnikum, bezeichnete ihn als »faulen Hund« und entwickelte eine mathematische Formulierung der speziellen Relativitätstheorie in Gestalt einer vierdimensionalen Raumzeit.

GEORGFRIEDRICHNICOLAI, geb. Lewinstein (1874 – 1964). Physiker, Pazifist, charismatischer Abenteurer und Casanova. Freund und Arzt von Elsa Einstein und wahrscheinlich der Liebhaber ihrer Tochter Ilse. 1915 schrieb er zusammen mit Einstein einen pazifistischen Aufruf.

ABRAHAMPAIS (1918 – 2000). Aus Holland stammender theoretischer Physiker, der in Princeton ein Kollege Einsteins wurde und eine wissenschaftliche Biografie über ihn schrieb.

MAXPLANCK (1858 – 1947). Theoretischer Physiker aus Preußen, der Einstein schon früh förderte und half, ihn nach Berlin zu holen. Seine konservativen Instinkte – im Leben wie in der Physik – standen im Widerspruch zu Einsteins Anschauungen, trotzdem blieben die beiden gute und loyale Freunde, bis die Nazis an die Macht kamen.

ERWINSCHRÖDINGER (1887 – 1961). Österreichischer Physiker, der ein Wegbereiter der Quantenmechanik war, aber wie Einstein angesichts der ihr innewohnenden Unbestimmtheiten und Wahrscheinlichkeiten sein Unbehagen artikulierte.

MAURICESOLOVINE (1875 – 1958). Rumänischer Philosophiestudent in Bern, der mit Einstein und Habicht die »Akademie Olympia« gründete. Wurde Einsteins französischer Übersetzer und lebenslanger Briefkorrespondent.

LEÓSZILÁRD (1898 – 1964). Physiker ungarischer Herkunft, charmant und exzentrisch, der Einstein in Berlin kennenlernte und mit ihm einen Kühlschrank patentieren ließ. Kam auf die Idee einer nuklearen Kettenreaktion und verfasste 1939 mit Einstein den Brief an US-Präsident Roosevelt, in dem vor einer Atombombe gewarnt wurde.

CHAIMWEIZMANN (1874 – 1952). Chemiker russischer Herkunft, der nach England emigrierte und Präsident der Zionistischen Weltorganisation wurde. 1921 brachte er Einstein das erste Mal nach Amerika, um besser Spendengelder einwerben zu können. War Israels erster Staatspräsident, ein Amt, das nach seinem Tod Einstein angetragen wurde.

WINTELER, FAMILIE. Bei ihr wohnte Einstein während seiner Studentenzeit im schweizerischen Aarau. Jost Winteler war sein Lehrer in Geschichte und Griechisch, dessen Frau Rosa wurde Einsteins Ersatzmutter. Von ihren sieben Kindern wurde Marie Einsteins erste Freundin, während Anna seinen besten Freund Michele Besso und Paul seine Schwester Maja heiratete.

HEINRICHZANGGER (1874 – 1957). Der Professor für Physiologie an der Universität Zürich war als Freund der Familie Schlichter bei Streitereien und der Scheidung von Einstein und Marić.

Kapitel eins Der Reiter auf dem Lichtstrahl

»Ich verspreche Ihnen vier Arbeiten«, schrieb der junge Patentprüfer an seinen Freund. Wie sich später herausstellte, enthielt der Brief einige der wichtigsten Mitteilungen der gesamten Wissenschaftsgeschichte, aber ihr enormes Gewicht wurde von einem launigen Ton überlagert, der charakteristisch für seinen Verfasser war. So hatte er seinen Freund gerade als »eingefrorenen Walfisch« tituliert und sich für das »wenig bedeutsame Gepappel« seines Briefs entschuldigt. Erst als er zur Beschreibung der Arbeiten kam, die er in seiner Freizeit geschrieben hatte, ließ er erkennen, dass er ein Gespür für ihre Bedeutung hatte. 1

»Die erste (…) handelt über die Strahlung und die energetischen Eigenschaften des Lichtes und ist sehr revolutionär«, erläuterte er. Ja, sie war in der Tat revolutionär. Vertrat er darin doch die Ansicht, Licht könne nicht nur als Welle betrachtet, sondern müsse auch als ein Strom von Teilchen, sogenannten Quanten, verstanden werden. Die Konsequenzen, die sich am Ende aus dieser Theorie ergaben – ein Kosmos ohne strenge Kausalität oder Gewissheit –, sollten ihm den Rest seines Lebens keine Ruhe lassen.

»Die zweite Arbeit ist eine Bestimmung der wahren Atomgröße.« Obwohl sogar über die Existenz der Atome noch gestritten wurde, war diese Abhandlung unter den vieren die unkomplizierteste, weshalb er glaubte, sie eigne sich am ehesten für seinen letzten Versuch, eine Dissertation einzureichen. Er stand im Begriff, die Physik zu revolutionieren, aber er war mit all seinen Bemühungen gescheitert, eine akademische Anstellung zu bekommen oder gar promoviert zu werden, was ihm, wie er hoffte, im Patentamt zur Beförderung von einem technischen Experten 3. Klasse zu einem der 2. Klasse verholfen hätte.

In der dritten Arbeit erklärte er die ruckartigen Bewegungen mikroskopischer Teilchen in Flüssigkeiten durch eine statistische Analyse der zufälligen Kollisionen. Dabei bewies er, dass es Atome und Moleküle tatsächlich gibt.

»Die vier[te] Arbeit liegt erst im Konzept vor und ist eine Elektrodynamik bewegter Körper unter Benützung einer Modifikation der Lehre von Raum und Zeit.« Nun, das war wahrlich mehr als »wenig bedeutsames Gepappel«. Nur auf reine Gedankenexperimente gestützt – die er also im Kopf statt im Labor durchgeführt hatte –, war er zu dem Entschluss gelangt, die absolute Zeit und den absoluten Raum Newtons aufzugeben. Diese Arbeit sollte als spezielle Relativitätstheorie berühmt werden.

Im Rückblick auf ein Jahrhundert, das in Erinnerung bleiben wird als eine Zeit, die bereit war, mit klassischen Bindungen zu brechen, und in der Vorausschau auf eine Ära, die versucht, jene Kreativität zu fördern, auf die wissenschaftliche Innovation angewiesen ist, schält sich für unser Zeitalter eine überlebensgroße Ikone heraus: der freundliche, vor Unterdrückung geflohene Emigrant mit dem Heiligenschein aus wildem Haar, dessen liebenswürdige Menschlichkeit und außergewöhnliche Intelligenz bewirkten, dass sein Gesicht zu einem Symbol und sein Name zu einem Synonym für Genie wurden. Albert Einstein war ein fantasiebegabter Schlosser, den der Glaube beseelte, dass das Handwerk der Natur von Harmonie bestimmt sei. In seiner faszinierenden Lebensgeschichte, einem Zeugnis für die Verbindung von Kreativität und Freiheit, kommen die Triumphe und Tumulte der Moderne zum Ausdruck.

Jetzt, da die Archive vollkommen geöffnet sind, ist es möglich, auch Einsteins private Seite kennenzulernen: Seine nonkonformistische Persönlichkeit, seine rebellischen Instinkte, seine Neugier, seine Leidenschaften und seine Distanziertheit – sie alle verflochten mit der politischen und wissenschaftlichen Seite seiner Persönlichkeit. Den Menschen zu kennen, hilft uns beim Verständnis seines wissenschaftlichen Schaffens und umgekehrt. Charakter, Fantasie und schöpferische Genialität stehen alle miteinander in Beziehung, als wären sie Teile eines einheitlichen Feldes.

Obwohl er in dem Ruf stand, reserviert und abweisend zu sein, war sein persönliches wie wissenschaftliches Verhalten von Leidenschaft geprägt. An der Hochschule entbrannte er in heftiger Liebe zur einzigen Studentin in seinem Physikseminar, einer dunkelhaarigen und sehr emotionalen Serbin namens Mileva Marić. Zunächst hatten sie eine uneheliche Tochter, dann heirateten sie und bekamen noch zwei Söhne. Sie diente ihm als Resonanzboden für seine wissenschaftlichen Ideen und prüfte die mathematischen Abschnitte in seinen Arbeiten, doch schließlich zerbrach ihre Beziehung. Einstein bot ihr einen Handel an. Eines Tages werde er den Nobelpreis gewinnen, sagte er; sollte sie in die Scheidung einwilligen, werde er ihr das Preisgeld überlassen. Sie dachte eine Woche lang nach und erklärte sich einverstanden. Da seine Ideen so radikal waren, dauerte es nach dem wundersamen Schaffensrausch im Patentamt noch siebzehn Jahre, bis ihm der Preis verliehen wurde, und sie nahm das Geld.

Einsteins Leben und Arbeit spiegeln die gesellschaftlichen Unwägbarkeiten und moralischen Absolutheiten der Moderne im frühen 20. Jahrhundert wider. Kreative Nonkonformität lag in der Luft: Picasso, Joyce, Freud, Strawinsky, Schönberg und andere brachen mit konventionellen Traditionen. Aufgeladen wurde diese Atmosphäre nun durch ein Bild des Universums, in dem Raum und Zeit und die Eigenschaften winziger Teilchen von zufälligen Bedingungen der Beobachtung abzuhängen schienen.

Dabei war Einstein nicht wirklich ein Relativist, obwohl ihm das von vielen unterstellt wurde, darunter auch einigen, deren Geringschätzung von Antisemitismus geprägt war. Hinter all seinen Theorien, auch der Relativitätstheorie, stand die Suche nach Unveränderlichkeit, Gewissheit und Absolutheit. Einstein war überzeugt, den Gesetzen des Universums liege eine harmonische Wirklichkeit zugrunde und das Ziel der Wissenschaft sei es, diese zu entdecken.

Seine Suche begann 1895, als er sich, 16-jährig, ausmalte, wie es wohl wäre, neben einem Lichtstrahl zu reiten. Ein Jahrzehnt später kam das in dem oben zitierten Brief beschriebene Wunderjahr, das die Grundlagen für die beiden großen physikalischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts legte: Relativitätstheorie und Quantenphysik.

Ein Jahrzehnt danach – 1915 – rang er der Natur die Krönung seines Schaffens ab, eine der schönsten naturwissenschaftlichen Theorien überhaupt, die allgemeine Relativitätstheorie. Wie bei der speziellen Relativitätstheorie hatte er auch hier die Grundlagen durch Gedankenexperimente entwickelt. Man stelle sich vor, man wäre in einem Fahrstuhl, der im Weltall nach oben beschleunigte, malte er sich in einem dieser Experimente aus. Die Wirkung, die man spürte, wäre von dem Empfinden der Schwerkraft, der Gravitation, nicht zu unterscheiden.

Gravitation, so dachte er sich, sei eine Krümmung von Zeit und Raum. Dann entwickelte er die Gleichungen, die beschrieben, wie sich die Dynamik dieser Krümmung aus den Wechselbeziehungen von Materie, Bewegung und Energie ergibt. Vergegenwärtigen Sie sich, was geschieht, wenn Sie eine Bowlingkugel über die zweidimensionale Fläche eines Trampolins rollen lassen. Und nun geben Sie einige Billardkugeln hinzu. Sie bewegen sich auf die Bowlingkugel zu, nicht, weil diese eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf die kleinen Kugeln ausübt, sondern weil die Bowlingkugel den Trampolinstoff verwirft. Versuchen Sie, sich vor Augen zu halten, wie dieses Geschehen im vierdimensionalen Stoff von Zeit und Raum aussieht. Richtig, es ist nicht leicht, aber das ist der Grund, warum er Einstein war und wir es nicht sind.

Der exakte Mittelpunkt seiner Karriere kam ein Jahrzehnt danach, 1925, und erwies sich als Wendepunkt. Die Quantenrevolution, an deren Auslösung Einstein mitgewirkt hatte, wurde in eine neue Mechanik verwandelt, die auf Ungewissheiten und Wahrscheinlichkeiten beruhte. In diesem Jahr lieferte er seinen letzten großen Beitrag zur Quantenmechanik, begann aber gleichzeitig, sie abzulehnen. Die nächsten drei Jahrzehnte verbrachte er damit, sie starrsinnig wegen ihrer vermeintlichen Unvollkommenheit zu kritisieren, während er versuchte, sie in eine einheitliche Feldtheorie einzufügen – noch auf seinem Totenbett, 1955, kritzelte er ein paar Gleichungen, die das beweisen sollten.

In den dreißig Jahren als Revolutionär wie in den dreißig Jahren als Widerständler blieb sich Einstein treu in seiner Bereitschaft, die Rolle als heiter amüsierter Einzelgänger anzunehmen, dem es nicht das Geringste ausmachte, gegen den Strom zu schwimmen. Vollkommen unabhängig in seinem Denken folgte er Vorstellungen, die die Fesseln des konventionellen Wissens sprengten. Er war eine seltene Mischung, ein ehrfurchtsvoller Rebell, geleitet von einem leichthin und mit einem Augenzwinkern vertretenen Glauben an einen Gott, der nicht würfelte, indem er zufällige Geschehnisse zuließ.

Dieser nonkonformistische Wesenszug zeigte sich in seiner Persönlichkeit wie in seinen politischen Ansichten. Obwohl er sich zu sozialistischen Idealen bekannte, war er zu sehr Individualist, um sich mit übermäßiger staatlicher Kontrolle oder zentralisierter Autorität abfinden zu können. Seine widerspenstigen Instinkte, die ihm als jungem Wissenschaftler so gute Dienste geleistet hatten, machten ihn allergisch gegen Nationalismus, Militarismus und alles, was einen Beigeschmack von Herdenmentalität hatte. Bis Hitler ihn veranlasste, seine geopolitischen Gleichungen zu überdenken, war er ein instinktiver Pazifist, der überzeugten Widerstand gegen den Krieg leistete.

Zu seiner Geschichte gehört die ganze Spannweite der modernen Naturwissenschaft, vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Großen, von der Emission der Photonen bis zur Expansion des Kosmos. Ein Jahrhundert nach seinen großen Triumphen leben wir noch immer in Einsteins Universum, das auf der Makroskala von seiner Relativitätstheorie definiert wird und auf der Mikroskala von einer Quantenmechanik, die sich als dauerhaft erwiesen hat, auch wenn sie befremdlich bleibt.

Auf den technologischen Errungenschaften der Gegenwart wimmelt es von seinen Fingerabdrücken. Photozellen und Laser, Kernkraft und Faseroptik, Raumfahrt und sogar Halbleiter lassen sich alle auf seine Theorien zurückführen. Er unterzeichnete den Brief an Franklin Roosevelt, der den Präsidenten warnend auf den möglichen Bau einer Atombombe hinwies, und die Buchstaben seiner berühmten Gleichung, die Energie und Masse in Beziehung setzt, haben wir vor Augen, wenn wir uns den daraus resultierenden Atompilz vergegenwärtigen.

Der Ruhm, den Einstein der Tatsache verdankte, dass im Jahr 1919 Messungen während einer Sonnenfinsternis seine Vorhersage bestätigten, dass Licht durch Gravitation um einen bestimmten Betrag abgelenkt wird, fiel mit dem Beginn einer neuen Ära zusammen – dem Zeitalter der Prominenz. Und Einstein trug nicht unwesentlich zu diesem Phänomen bei. Er wurde zu einer wissenschaftlichen Supernova und humanistischen Symbolfigur. Die Menschen zerbrachen sich ernsthaft den Kopf über seine Theorien, machten ihn zum gefeierten Mittelpunkt eines Geniekults und erhoben ihn in den Stand eines säkularen Heiligen.

Ob er es wohl zu diesem weltberühmten Aushängeschild der Wissenschaft auch ohne den elektrisch aufgeladenen Heiligenschein seiner Haare und diese durchdringenden Augen gebracht hätte? Nehmen wir einmal an, als Gedankenexperiment, er hätte wie Max Planck oder Niels Bohr ausgesehen. Hätte er sich dann, statt als das wissenschaftliche Genie schlechthin zu gelten, mit dem relativ normalen Bekanntheitsgrad der beiden begnügen müssen, oder wäre er trotzdem in das Pantheon von Aristoteles, Galilei und Newton gelangt? 2

Zu dieser Aura kam seine schlichte Menschlichkeit hinzu. Seine innere Sicherheit wurde durch die Demut gedämpft, die ihm die Ehrfurcht vor der Natur einflößte. Er konnte sich Nahestehenden gegenüber distanziert und reserviert verhalten, aber für die Menschheit im Allgemeinen empfand er Zuneigung und aufrichtiges Mitgefühl.

Doch trotz seiner Popularität und oberflächlichen Zugänglichkeit wurde Einstein auch zum Symbol für die Ansicht, die Physik sei für einen durchschnittlichen Laien nicht zu verstehen, sie sei eine »Domäne priesterähnlicher Experten«, wie der Harvard-Professor Dudley Herschbach es formuliert. 3 Das war nicht immer so. Galilei und Newton waren beide große Genies, aber ihr mechanisches, auf Ursache und Wirkung basierendes Weltbild konnten die meisten intelligenten Laien begreifen. Im 18. Jahrhundert eines Benjamin Franklin und im 19. Jahrhundert eines Thomas Edison war man als Bildungsbürger mit dem Stand der Naturwissenschaften im Großen und Ganzen so vertraut, dass man sich als Amateur sogar ein wenig in ihnen betätigen konnte.

Wenn möglich, müsste angesichts der Erfordernisse des 21. Jahrhunderts in unserer Gesellschaft wieder eine gewisse Kenntnis von den Entwicklungen in den Naturwissenschaften vermittelt werden. Das heißt nicht, dass jeder Student mit Literatur im Hauptfach einen abgespeckten Physikkurs belegen oder jeder Syndikus eines Unternehmens mit den neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik vertraut sein müsste, aber für einen verantwortungsbewussten Staatsbürger wäre es schon nützlich, eine gewisse Kenntnis der naturwissenschaftlichen Methoden zu haben. Ein für uns sehr wichtiger Aspekt der Naturwissenschaften ist der Zusammenhang zwischen empirischen Fakten und allgemeinen Theorien, ein Zusammenhang, den Einsteins Schaffen deutlich vor Augen führt.

Außerdem ist die Anerkennung der naturwissenschaftlichen Leistungen ein positives Merkmal einer funktionierenden Gesellschaft. Sie hilft uns, mit jener kindhaften Fähigkeit zum Staunen – etwa über fallende Äpfel oder Fahrstühle – in Berührung zu bleiben, die Einstein und andere bedeutende theoretische Physiker auszeichnete. 4

Deshalb kann es sinnvoll sein, sich mit Einstein zu beschäftigen. Wissenschaftliche Forschung ist eine inspirierende und ehrenhafte Tätigkeit, und wer ihr nachgeht, begibt sich auf eine wundersame Reise, wie wir den Geschichten über ihre Helden entnehmen können. Kurz vor seinem Tod wurde Einstein von der Schulbehörde des Staates New York gefragt, worauf man in Schulen besonderen Wert legen solle. Er antwortete: »Im Geschichtsunterricht sollte man ausführlich auf Persönlichkeiten eingehen, die der Menschheit durch die Unabhängigkeit ihres Charakters und Urteils von Nutzen waren.« 5 Einstein gehört in diese Kategorie.

Zu einer Zeit, da angesichts globaler Konkurrenz das Interesse am naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterricht wieder erwacht, sollten wir auch zur Kenntnis nehmen, was Einstein im zweiten Teil seiner Antwort schrieb. »Kritische Anmerkungen von Schülern sollten freundlich aufgenommen werden«, empfahl er. »Die Unabhängigkeit des Schülers sollte nicht durch Häufung des Unterrichtsstoffs erstickt werden.« Der Wettbewerbsvorteil einer Gesellschaft wird nicht davon abhängen, wie gut ihre Schulen den Kindern und Jugendlichen Multiplikationstabellen und Periodensystem eintrichtern, sondern wie gut es ihnen gelingt, Fantasie und Kreativität anzuregen.

Ich denke, darin liegt der Schlüssel zu Einsteins überragenden Leistungen und dem, was uns sein Leben lehrt. Als Schüler und Student tat er sich beim Erwerb der Grundkenntnisse nie besonders hervor. Und später, als Theoretiker, errang er seine Erfolge nicht durch die überragende Kraft seines Intellekts, sondern durch Fantasie und Kreativität. Natürlich konnte er komplexe Gleichungen entwickeln, aber er wusste, dass Mathematik die Sprache ist, in der die Natur ihre Wunder beschreibt. So konnte er sich bildlich vorstellen, wie Gleichungen sich in der Wirklichkeit widerspiegeln, wie zum Beispiel die von Maxwell entdeckten Gleichungen des elektromagnetischen Feldes in einem Jungen Gestalt annehmen könnten, der neben einem Lichtstrahl reitet. Dazu sagte er einmal: »Phantasie ist wichtiger als Wissen.« 6

Diese Einstellung bedingte seine Nonkonformität. »Es lebe die Unverfrorenheit!«, verkündete er übermütig seiner Geliebten, die später seine Frau wurde. »Sie ist mein Schutzengel in dieser Welt.« Viele Jahre später, als andere angesichts seines Widerstrebens, die Quantenmechanik anzuerkennen, vermeinten, er habe seine intellektuelle Schärfe eingebüßt, klagte er: »Zur Strafe für meine Autoritätsverachtung hat mich das Leben selbst zur Autorität gemacht.« 7

Seinen Erfolg verdankte er dem Umstand, dass er die Schulmeinungen infrage stellte, Autoritäten nicht anerkannte und staunend über Rätsel nachsann, die andere für trivial hielten. So entwickelte er moralische und politische Anschauungen, die auf der Achtung für freies Denken, freie Geister und freie Individuen beruhten, und verstand Toleranz nicht nur als schöne Tugend, sondern als unabdingbare Voraussetzung für jede kreative Gesellschaft. »Dabei fordert das Wohl der Gesamtheit zugleich die Pflege der Sonderheit des Individuums; denn nur von dem Individuum können die neuen Gedanken kommen.« 8

Diese Einstellung machte Einstein zu einem Rebellen voller Ehrfurcht vor der Harmonie der Natur, zu einem Rebellen, der genau die richtige Mischung aus Fantasie und Klugheit aufwies, um unser Verständnis des Universums von Grund auf zu verwandeln. Dabei sind diese Eigenschaften für unser neues Jahrhundert der Globalisierung nicht weniger wichtig, denn der Erfolg wird heute genauso von unserer Kreativität abhängen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Einstein zu einer Zeitenwende beitrug.

Kapitel zwei Kindheit

1879 – 1896

Der Schwabe

Spät erst lernte er sprechen. In einem Brief erinnerte er sich: »Es ist wahr, daß meine Eltern besorgt waren, weil ich verhältnismäßig spät zu sprechen begann, so daß sie deshalb den Arzt konsultierten.« Selbst nachdem er im Alter von zwei Jahren begonnen hatte, erste Wörter zu sprechen, entwickelte er eine Eigenart, die das Hausmädchen veranlasste, ihn den »Depperten« zu nennen, während andere Familienmitglieder ihn als »fast zurückgeblieben« bezeichneten. Wenn er etwas sagen wollte, sprach er es sich flüsternd vor, bevor er es gut genug fand, um es laut zu sagen. »Jeden ausgesprochenen Satz«, schrieb seine ihn sehr verehrende Schwester, »sei er auch noch so alltäglich, sprach er leise, mit Lippenbewegung, noch einmal vor sich hin.« Das sei alles sehr beunruhigend gewesen, meinte sie. »Mit der Sprache ging es so schwer, dass die Umgebung befürchtete, er werde nie sprechen lernen.« 1

Ergänzt wurde diese verlangsamte Entwicklung durch eine rebellische Aufsässigkeit gegenüber Autoritäten, die einen Lehrer veranlasste, ihn nach Hause zu schicken, und einen anderen, sich unsterblich zu machen, indem er erklärte, aus dem Kind werde nie etwas werden. Durch diese Wesenszüge wurde Albert Einstein zum Schutzheiligen abgelenkter Schulkinder in aller Welt. 2 Aber sie trugen auch dazu bei, so vermutete er zumindest später, dass aus ihm der kreativste Naturwissenschaftler der neueren Zeit wurde.

Seine kecke Verachtung für Autoritäten veranlasste ihn, fest etablierte Schulmeinungen infrage zu stellen, wie die fleißigen Adepten in den Hochschulen es nie in Betracht zogen. Hinsichtlich seines verzögerten Spracherwerbs gewann er später die Überzeugung, ihm verdanke er die Fähigkeit, jedes alltägliche Phänomen, das andere für selbstverständlich hielten, mit Staunen zu betrachten. »Wenn ich mich frage, woher es kommt, daß gerade ich die Relativitätstheorie aufgestellt habe, so scheint es an folgendem Umstand zu liegen«, erklärte Einstein einmal. »Der normale Erwachsende denkt über die Raum-Zeit-Probleme kaum nach. Das hat er nach seiner Meinung bereits als Kind getan. Ich hingegen habe mich geistig derart langsam entwickelt, daß ich erst als Erwachsener anfing, mich über Raum und Zeit zu wundern. Naturgemäß bin ich dann tiefer in die Problematik eingedrungen als die normal veranlagten Kinder.« 3

Wahrscheinlich sind Einsteins Entwicklungsprobleme übertrieben worden, vielleicht sogar von ihm selbst, denn wir haben einige Briefe von entzückten Großeltern, in denen es heißt, er sei so intelligent und niedlich gewesen wie jedes Enkelkind. Aber sein Leben lang litt Einstein unter einer leichten Form von Echolalie, die ihn veranlasste, Sätze zwei- oder dreimal zu wiederholen, insbesondere wenn er sie lustig fand. Meist dachte er lieber in Bildern, vor allem bei seinen berühmten Gedankenexperimenten, etwa wenn er sich vorstellte, einen Blitzschlag von einem fahrenden Zug aus zu sehen oder Schwerkraft in einem fallenden Fahrstuhl zu verspüren. »Ich denke überhaupt sehr selten in Worten«, erzählte er später einem Psychologen. »Ein Gedanke kommt, und ich kann hinterher versuchen, ihn in Worten auszudrücken.« 4

Mütter- und väterlicherseits stammte Einstein von jüdischen Händlern und Hausierern ab, die seit mindestens zwei Jahrhunderten ihren bescheidenen Lebensunterhalt in ländlichen Regionen Schwabens verdienten. Mit jeder Generation hatten sie sich – zumindest glaubten sie das – der deutschen Kultur, die sie liebten, stärker assimiliert. Obwohl jüdisch durch kulturelle Bestimmung und Zugehörigkeitsgefühl, interessierten sie sich kaum für die Religion oder deren Rituale.

Regelmäßig spielte Einstein die Bedeutung seiner Herkunft herunter, wenn es um die Frage ging, was ihn geprägt habe. »Nachforschungen über meine Vorfahren«, meinte er später im Leben zu einem Freund, »führen zu nichts.« 5 Das stimmt nicht ganz. Er war glücklich, dass er in eine geistig unabhängige und intelligente Familie geboren worden war, die Wert auf Bildung legte, und zweifellos war sein Leben auf zugleich schöne und tragische Weise dadurch geprägt, dass er einer religiösen Gemeinschaft angehörte, die eine unverkennbare geistige Tradition hatte und deren Geschichte von Außenseitertum und Wanderschaft bestimmt war. Natürlich wurde er durch den Umstand, dass er Anfang des 20. Jahrhunderts ein Jude in Deutschland war, noch mehr zum Außenseiter und Wanderer, als ihm lieb sein konnte, aber auch das machte ihn zu dem, was er war, und trug zu der Rolle bei, die er in der Weltgeschichte spielen sollte.

Einsteins Vater Hermann wurde 1847 in dem schwäbischen Dorf Buchau geboren, dessen lebendige jüdische Gemeinde gerade begann, von dem Recht auf unbeschränkte Berufsausübung Gebrauch zu machen. Hermann zeigte »eine ausgesprochene Neigung für die Mathematik«, 6 und seine Familie konnte es sich leisten, ihn auf ein Gymnasium im 120 Kilometer entfernten Stuttgart zu schicken, nicht aber, ihn eine Universität besuchen zu lassen, die in den meisten Fällen sowieso keine Juden zum Studium zuließ, weswegen er nach Buchau zurückging und Kaufmann wurde.

Einige Jahre danach, im Zuge der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Abwanderung ländlicher deutscher Juden in die Industriezentren, zogen Hermann und seine Eltern in das wohlhabendere, 55 Kilometer entfernt liegende Ulm, das sich prophetisch mit dem Motto »Ulmenses sunt mathematici« schmückte – die Ulmer sind Mathematiker. 7

Dort wurde er in der Bettfedernhandlung seines Vetters Partner. Er war »außerordentlich freundlich, sanftmütig und klug«, schrieb sein Sohn später. 8 Mit seiner Liebenswürdigkeit, die an Gefügigkeit grenzte, war Hermann als Geschäftsmann nicht sehr erfolgreich und in finanziellen Dingen vollkommen überfordert. Aber seine Fügsamkeit machte ihn zu einem liebenswerten Familienmenschen und guten Ehemann einer willensstarken Ehefrau. Mit 29 Jahren heiratete er die elf Jahre jüngere Pauline Koch.

Julius Koch, Paulines Vater, hatte als Getreidehändler und königlich-württembergischer Hoflieferant ein beträchtliches Vermögen erworben. Pauline hatte seine praktische Veranlagung geerbt, doch sein mürrisches Wesen war bei ihr aufgelockert durch einen Hang zu spöttischem, an Sarkasmus grenzendem Witz und ein Lachen, das sowohl ansteckend wie verletzend sein konnte (Charakterzüge, die sie an ihren Sohn weitergeben sollte). Nach allem, was man weiß, führten Hermann und Pauline eine glückliche Ehe. Die beiden Eheleute harmonierten in »vollkommener Weise«, denn ihre starke Persönlichkeit verband sich auf das Glücklichste mit der Passivität ihres Mannes. 9

Ihr erster Sohn wurde am 14. März 1879 um 11.30 Uhr in Ulm geboren, das sich kürzlich zusammen mit dem restlichen Schwaben dem neuen Deutschen Reich angeschlossen hatte. Ursprünglich hatten Pauline und Hermann vorgehabt, den Jungen nach seinem Großvater väterlicherseits Abraham zu nennen. Doch, wie sie später sagten, fanden sie, der Name klinge »zu jüdisch«. 10 Daher behielten sie den Anfangsbuchstaben A und nannten ihn Albert Einstein.

München

1880, nur ein Jahr nach Alberts Geburt, erlitt Hermann mit seiner Bettfedernhandlung Schiffbruch und ließ sich von seinem Bruder Jakob überreden, nach München zu ziehen, wo dieser einen Gas- und Elektrogroßhandel eröffnet hatte. Jakob, das jüngste der fünf Geschwister, hatte, anders als Hermann, eine höhere Ausbildung genossen und war Ingenieur geworden. Als sie sich in Süddeutschland um Verträge bemühten, die ihnen die Versorgung der Stadtverwaltungen mit Generatoren und elektrischem Licht zusicherten, war Jakob für die technischen Angelegenheiten verantwortlich, während Hermann ein Mindestmaß an kaufmännischen Kenntnissen und, vielleicht noch wichtiger, Kredite von der Familie seiner Frau beisteuerte. 11

Pauline und Hermann bekamen im November 1881 noch ein zweites und letztes Kind, eine Tochter, die auf den Namen Maria getauft wurde, aber zeit ihres Lebens nur mit der Koseform Maja angeredet wurde. Als man Albert die neugeborene Schwester zeigte, hatte man ihm eingeredet, sie sei ein wunderbares Spielzeug, an dem er viel Freude haben werde. Daher rief er nach einem Blick auf die Schwester enttäuscht aus: »Ja, aber wo hat es denn seine Rädchen?« 12 Das war vielleicht nicht die scharfsinnigste Antwort, aber sie zeigte, dass ihn in seinem dritten Lebensjahr seine sprachlichen Schwierigkeiten nicht daran hinderten, höchst denkwürdige Kommentare abzugeben. Von ein bisschen Kindheitsgezänk abgesehen, sollte Maja seine engste Seelengefährtin werden.

Die Einsteins bezogen ein komfortables Haus mit alten Bäumen und einem eleganten Garten in einem Münchner Vorort, das der Familie, zumindest während Alberts Kindheit, eine ehrbare bürgerliche Existenz ermöglichte. Während der Regierungszeit des geisteskranken Bayernkönigs Ludwig II. war München architektonisch herausgeputzt worden und präsentierte eine Überfülle von Kirchen, Kunstgalerien und Konzertsälen, die die Werke des dort ansässigen Richard Wagner bevorzugten. 1882, kurz nach Einsteins Ankunft, hatte die Stadt etwas mehr als 300.000 Einwohner, zu 85 Prozent Katholiken und 2 Prozent Juden, und veranstaltete die erste deutsche Elektroausstellung, bei der in der Stadt elektrische Straßenlaternen eingeführt wurden.

Im Garten der Einsteins wimmelte es oft von Cousinen und Kindern. Aber Albert mied ihre lärmende Spiele und beschäftigte sich lieber mit stilleren Dingen. Eine Gouvernante nannte ihn sogar »Pater Langweil«. Im Allgemeinen war er ein Einzelgänger, eine Neigung, die er nach eigenem Bekunden sein Leben lang beibehielt, obwohl sich seine charakteristische Distanziertheit mit einer Vorliebe für Kameradschaft und intellektuelle Gemeinschaft verband. »Schon von Kindheit an zog er sich gern von seinen Altersgenossen zurück und hing seinen Gedanken und Träumereien nach«, schrieb Philipp Frank, der lange Zeit ein wissenschaftlicher Kollege von Einstein war. 13

Er legte gern Puzzles, errichtete mit seinem Baukasten komplizierte Gebilde, spielte mit einer Dampfmaschine, die ihm sein Onkel geschenkt hatte, und baute Kartenhäuser. Laut Maja konnte Einstein Kartengebäude mit mehr als vierzehn Stockwerken errichten. Selbst wenn wir die Bewunderung für ihren weltberühmten Bruder berücksichtigen, hatte sie vermutlich recht, wenn sie behauptete: »Ausdauer u. Beharrlichkeit steckten also ganz offensichtlich in ihm.«

Außerdem neigte er, zumindest als Kleinkind, zu Jähzorn. »In solchen Momenten wurde er im Gesicht ganz gelb, die Nasenspitze aber schneeweiss, u. er war nicht mehr Herr seiner selbst«, berichtet Maja in ihren Erinnerungen. Mit fünf Jahren habe er einmal einen Stuhl ergriffen und mit ihm nach der Lehrerin geschlagen, die daraufhin fortlief und sich nie wieder blicken ließ. Majas Kopf wurde zur Zielscheibe verschiedener harter Gegenstände. »Woraus ohne weiteres ersichtlich ist, dass auch ein gesunder Schädel dazu erforderlich ist, die Schwester eines Denkers zu sein«, scherzte sie später. Anders als in puncto Beharrlichkeit und Zähigkeit legte er seine Wutanfälle später ab. 14

Um es in der Sprache der Psychologen auszudrücken, die Fähigkeit des jungen Einstein zum Systematisieren (die Gesetze zu erkennen, die einem System zugrunde liegen) war weit größer als seine Fähigkeit zur Empathie (zu spüren und zu berücksichtigen, was andere Menschen fühlen), was einige Kommentatoren veranlasst hat, sich zu fragen, ob sich darin nicht leichte Symptome einer Entwicklungsstörung ausdrückten. 15 Doch wir dürfen nicht vergessen, dass er trotz Distanziertheit und gelegentlichen rebellischen Verhaltens durchaus die Fähigkeit besaß, enge Freundschaften zu schließen und für Kollegen sowie die Menschheit im Allgemeinen Empathie zu empfinden.

Die großen Erweckungsereignisse, die in der Kindheit stattfinden, werden gewöhnlich vergessen. Doch Einstein hatte mit vier oder fünf Jahren ein Erlebnis, das sein Leben verändern und in seinem Gedächtnis unauslöschlich bleiben sollte – wie in dem der Wissenschaftsgeschichte.

Eines Tages lag er krank im Bett, da brachte ihm sein Vater einen Kompass mit. Wie er sich später erinnerte, war er so aufgeregt, dass er zitterte und ihm kalt wurde. Der Umstand, dass die Magnetnadel zitterte, als stünde sie unter dem Einfluss eines verborgenen Kraftfelds und nicht vertrauterer Ursachen wie Berührung oder anderer Kontakte, rief in ihm ein Staunen hervor, das er sein Leben lang verspürte. »Ich erinnere mich noch jetzt – oder glaube mich zu erinnern – daß dies Erlebnis tiefen und bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat«, schrieb er anlässlich einer der vielen Gelegenheiten, bei denen er von diesem Vorfall berichtete. »Da mußte etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war.« 16

»Es ist eine symbolträchtige Geschichte«, schrieb Dennis Overbye in Einstein in Love, »der kleine Junge zitterte vor der unsichtbaren Ordnung hinter der chaotischen Wirklichkeit.« In dem Film IQ – Liebe ist relativ trug Einstein, gespielt von Walter Matthau, den Kompass um den Hals, und in dem Kinderbuch Rescuing Albert’s Compass von Shulamith Oppenheim ist er das eigentliche Thema. Der Schwiegervater der Autorin hatte die Geschichte 1911 von Einstein gehört. 17

Nach der faszinierenden Erfahrung, dass die Kompassnadel den Kräften eines unsichtbaren Feldes unterworfen ist, entwickelte Einstein eine lebenslange Vorliebe für Feldtheorien als Mittel zur Beschreibung der Natur. Feldtheorien verwenden mathematische Größen wie Zahlen, Vektoren oder Tensoren, um zu beschreiben, wie die Bedingungen an einem gegebenen Punkt des Raums die Materie oder ein anderes Feld beeinflussen. Beispielsweise gibt es in einem Gravitationsfeld oder einem elektromagnetischen Feld Kräfte, die an jedem Punkt auf ein Teilchen einwirken können. Die Gleichungen einer Feldtheorie beschreiben, wie sich diese verändern, wenn man sich durch die Region bewegt. Der erste Absatz seines berühmten Aufsatzes von 1905 über die spezielle Relativitätstheorie beginnt mit einer Erörterung der Wirkungen elektrischer und magnetischer Felder. Seine allgemeine Relativitätstheorie beruht auf Gleichungen, die ein Gravitationsfeld beschreiben. Und ganz am Ende seines Lebens kritzelte er verbissen eine Formel aufs Papier in der Hoffnung, sie könne die Grundlage für eine Theorie von Allem – die Weltformel – bilden. Dazu schrieb der Wissenschaftshistoriker Gerald Holton, Einstein habe »den klassischen Feldbegriff für den größten Beitrag zum wissenschaftlichen Denken« gehalten. 18

Etwa zur selben Zeit machte ihm seine Mutter, eine ausgezeichnete Pianistin, ein Geschenk, das ihn in ähnlicher Weise durch sein Leben begleiten sollte. Sie ließ ihn Geigenstunden nehmen. Zunächst störten ihn die mechanischen Anfangsübungen. Doch als er zu Mozarts Sonaten kam, gewann die Musik magische und emotionale Bedeutung für ihn. »Ich glaube überhaupt«, meinte er, »daß Liebe eine bessere Lehrmeisterin ist als Pflichtbewußtsein, bei mir wenigstens sicher.« 19

Bald spielte er Mozart-Duette, wobei seine Mutter ihn am Klavier begleitete. »Mozarts Musik ist so rein und schön, daß ich sie als die innere Schönheit des Universums selbst ansehe«, sagte er später zu einem Freund. »Und natürlich war«, fügte er hinzu, wobei in dieser Bemerkung nicht nur seine Ansicht über Mozart, sondern auch über Mathematik und Physik zum Ausdruck kam, »wie alle große Schönheit, seine Musik reine Einfachheit.« 20

Musik war nicht einfach Zerstreuung. Im Gegenteil, sie half ihm beim Denken. »Immer wenn er das Gefühl hatte, er sei am Ende oder er stehe vor einer schwierigen Aufgabe in seiner Arbeit«, sagte sein Sohn Hans Albert, »suchte er Zuflucht in der Musik, und die löste alle seine Schwierigkeiten.« So erwies sich die Geige während der Jahre, die er in Berlin lebte und mit der allgemeinen Relativitätstheorie rang, als sehr nützlich. »Er pflegte oft spät in der Nacht in seiner Küche zu spielen, Melodien improvisierend, während er über komplizierte physikalische Probleme nachdachte«, erinnerte sich ein Freund. »Dann, mitten im Spiel, verkündete er aufgeregt: ›Ich hab’s!‹ Wie durch Inspiration hatte er die Antwort auf ein Problem gefunden.« 21

In der Liebe zur Musik, besonders zu Mozart, kam möglicherweise sein Empfinden für die Harmonie des Universums zum Ausdruck. Alexander Moszkowski, der 1920 auf der Grundlage von Gesprächen, die er mit Einstein geführt hatte, eine Biografie über ihn schrieb, merkte zu diesem Thema an: »Musik, Natur und Gott verbanden sich in ihm zu einem komplexen Gefühl, einer moralischen Einheit, deren Spuren sich nie verwischten.« 22

Sein Leben lang bewahrte sich Albert Einstein die Intuition und Ehrfurcht eines Kindes. Nie verlor er die Fähigkeit, über den Zauber der Naturerscheinungen zu staunen – Magnetfelder, Schwerkraft, Massenträgheit, Beschleunigung, Lichtstrahlen –, all die Dinge, die Erwachsene so banal finden. Er bewahrte die Fähigkeit, zwei Gedanken gleichzeitig im Bewusstsein zu behalten, geriet in Verwirrung, wenn sie sich widersprachen, und staunte, wenn er eine zugrunde liegende Einheitlichkeit erahnte. »Solche Menschen wie wir beide (…) werden nicht alt, solange sie leben«, schrieb er später an einen Freund, »sie stehen immer noch neugierig wie Kinder vor dem grossen Rätsel, in das wir mitten hineingesetzt sind.« 23

Schule

In seinen späteren Jahren erzählte Einstein gern einen alten Witz über einen ungläubigen Onkel, der als Einziger aus der Familie in die Synagoge ging. Nach dem Grund gefragt, pflegte der Onkel zu antworten: »Man kann nie wissen.« Einsteins Eltern dagegen waren »ganz unreligiös«, verspürten keinen Drang, sich abzusichern. Weder aßen sie koscher, noch gingen sie in die Synagoge, und sein Vater bezeichnete die jüdischen Riten als »Aberglaube aus früheren Zeiten«. 24

Als Albert sechs Jahre alt wurde und in die Schule kam, kümmerten sich seine Eltern daher nicht darum, ob es nicht eine jüdische Schule in der Nähe gab. Stattdessen schickten sie ihn auf die große katholische Schule in der Nachbarschaft, die Petersschule. Als einziger Jude unter siebzig Schülern in der Klasse nahm Einstein am üblichen katholischen Religionsunterricht teil und mochte ihn ausgesprochen gern. Er half sogar Klassenkameraden bei ihren Religionsaufgaben. 25

Eines Tages brachte sein Lehrer einen großen Nagel mit in die Schule. »So sahen die Nägel aus, mit denen Jesus ans Kreuz genagelt wurde«, sagte er. 26 Trotzdem erklärte Einstein später, er habe sich von den Lehrern nicht diskriminiert gefühlt. »Die Lehrerschaft der Volksschule war liberal und machte keine konfessionellen Unterschiede«, schrieb er. Bei seinen Mitschülern sah es allerdings anders aus. »Unter den Kindern war besonders in der Volksschule der Antisemitismus lebendig«, erinnerte er sich.

Auf dem Schulweg wurde er verhöhnt, was wohl an den »den Kindern merkwürdig bewußten Rassenmerkmalen« lag und ihn in dem Gefühl, Außenseiter zu sein, bestärkte – ein Gefühl, das ihn sein ganzes Leben begleiten sollte. »Tätliche Angriffe auf dem Schulweg waren häufig, aber meist nicht gar zu bösartig. Sie genügten immerhin, um ein lebhaftes Gefühl des Fremdseins schon im Kind zu befestigen.« 27

Als Einstein neun wurde, kam er auf eine höhere Schule unweit des Münchner Stadtzentrums, das Luitpold-Gymnasium, eine aufgeklärte Lehranstalt, in der nicht nur auf Latein und Griechisch Wert gelegt wurde, sondern auch auf Mathematik und Naturwissenschaften. Außerdem gab es an der Schule einen Lehrer, der ihn und andere Juden im mosaischen Glauben unterrichtete.

Trotz der weltlichen Einstellung der Eltern – oder vielleicht ihretwegen – entwickelte Einstein plötzlich einen leidenschaftlichen Eifer für den Judaismus. Er war »in seinem religiösen Gefühl so voller Eifer, dass er von sich aus sich genau selbst an alle Einzelheiten religiöser Vorschriften hielt«, erinnert sich seine Schwester. Er aß kein Schweinefleisch, hielt die koscheren Speisegesetze ein und richtete sich nach den strengen Vorschriften des Sabbats, was alles ziemlich schwierig war, da der Rest der Familie einen Mangel an Interesse zeigte, der an Geringschätzung grenzte. Sogar eigene Hymnen komponierte er zum Lobpreis Gottes, die er auf dem Heimweg von der Schule vor sich hin sang. 28

Einer weitverbreiteten Ansicht zufolge war Einstein als Schüler schlecht in Mathematik, eine Behauptung, die, häufig mit der Redewendung »wie allgemein bekannt« untermauert, in vielen Büchern und auf unzähligen Webseiten wiederholt wird, um schwachen Schülern Mut zu machen. Sie hat es sogar in die berühmte Zeitungskolumne »Ripley’s Believe It or Not!« geschafft.

Zwar ist Einsteins Kindheit reich an ironischen Anekdoten, doch diese gehört leider nicht dazu. 1935 zeigte ihm ein Rabbiner in Princeton einen Zeitungsausschnitt mit der Schlagzeile der Ripley-Kolumne »Größter lebender Mathematiker fiel in Mathematik durch«. Einstein lachte: »In Mathematik bin ich nie durchgefallen«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Bevor ich fünfzehn war, meisterte ich die Differential- und Integralrechnung.« 29

Tatsächlich war er ein vorzüglicher Schüler, zumindest in seinen schulischen Leistungen. In der Grundschule war er Klassenbester. »Gestern bekam Albert seine Noten«, berichtete seine Mutter einer Tante, als er sieben war, »er war wieder Klassenbester.« Am Gymnasium missfiel ihm das mechanische Erlernen von Sprachen wie Latein und Griechisch, ein Problem, das noch durch »ein schlechtes Gedächtnis für Worte und Texte« verschlimmert wurde. Doch selbst in diesen Fächern bekam Einstein durchweg gute Zensuren. Jahre später, als er seinen fünfzigsten Geburtstag feierte und wieder die alten Geschichten über Einstein und seine schlechten Noten im Gymnasium ausgekramt wurden, veröffentlichte der damalige Direktor einen Brief, der offenbarte, wie gut Einsteins Zensuren tatsächlich gewesen waren. 30

Was die Mathematik betraf, erwies er sich als alles andere als ein Versager, sondern »weit über dem Schulpensum«. Mit zwölf Jahren hatte er laut seiner Schwester schon »mit Vorliebe komplizierte Aufgaben der angewandten Arithmetik gelöst« und beschloss, dem Stoff vorauszueilen, indem er Geometrie und Algebra auf eigene Faust lernte. Seine Eltern kauften ihm die Lehrbücher für höhere Klassen, sodass er sich ihren Stoff über die Sommerferien aneignen konnte. Dabei lernte er nicht nur die Beweise in den Büchern, sondern setzte sich auch intensiv mit den neuen Theorien auseinander, indem er sie selbst zu beweisen versuchte. »Spiel & Kameraden wurden vergessen«, berichtet die Schwester. »Tagelang sass er in die Lösung vertieft abseits & gab nicht nach, bis er sie gefunden hatte.« 31

Sein Onkel Jakob, der Ingenieur, vermittelte ihm die Freude an der Algebra. »Das ist eine lustige Wissenschaft«, erklärte er. »Wenn man das gesuchte Tier nicht erjagen kann, so gibt man ihm vorläufig den Namen ›x‹ und jagt so lange, bis es zur Strecke gebracht ist.« Im Fortgang habe er dem Jungen immer schwierigere Aufgaben gegeben, erinnerte sich Maja, »nicht ohne gutmütige Äusserungen des Zweifels, ob er sie bewältigen könne«. Wenn Einstein Erfolg hatte, was stets der Fall war, »überkam den Knaben ein grosses Glücksgefühl, & schon jetzt war er sich des Weges bewusst, den ihn seine Fähigkeiten wiesen«.

Zu den mathematischen Problemen, mit denen Onkel Jakob ihn fütterte, gehörte auch der Satz des Pythagoras (in einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Flächen der beiden Quadrate über den Katheten gleich der Fläche des Quadrats über der Hypotenuse). »Nach harter Mühe gelang es mir, diesen Satz auf Grund der Ähnlichkeit von Dreiecken zu ›beweisen‹«, schrieb Einstein in seinen biografischen Erinnerungen. Und wieder dachte er in Bildern. »Dabei erschien es mir ›evident‹, daß die Verhältnisse der Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks durch einen der spitzen Winkel bestimmt sein müssen.« 32

Mit dem Stolz der jüngeren Schwester meinte Maja, ihr Bruder habe den Satz des Pythagoras »auf anderem Wege, als sie in den Büchern standen« bewiesen. Obwohl er Einstein vielleicht neu erschien, ist kaum vorstellbar, dass sein Weg so neu war und sich von den bereits bekannten Beweisen unterschied, die sich die Eigenschaften ähnlicher Dreiecke zunutze machen. Trotzdem zeigt sich hier Einsteins jugendliche Begeisterung für den Umstand, dass sich elegante Lehrsätze aus einfachen Axiomen ableiten lassen und dass er kaum Gefahr lief, in Mathematik zu versagen. »Als ein Junge von 12 Jahren war ich begeistert von der Entdeckung, dass man die Wahrheit nur durch Denken, ohne Hilfe äußerer Erfahrung, finden kann«, erzählte er Jahre später dem Reporter einer Highschool-Zeitung in Princeton. »Ich gewann immer mehr die Überzeugung, dass sich die Natur als eine relativ einfache mathematische Struktur verstehen lasse.« 33

Die größte geistige Anregung erhielt Einstein von einem armen Medizinstudenten, der einmal in der Woche zum Essen kam. Solche Freitische sind eine alte jüdische Sitte – man lud einen armen Religionswissenschaftler zum Sabbatmahl ein; die Einsteins veränderten die Tradition, indem sie stattdessen einen Medizinstudenten an den Donnerstagen zum Essen empfingen. Sein Name war Max Talmud (später nannte er sich Talmey, nachdem er in die Vereinigten Staaten ausgewandert war), und er begann mit seinen wöchentlichen Besuchen, als er einundzwanzig und Einstein zehn Jahre alt war. »Er war ein hübscher, dunkelhaariger Junge«, erinnerte sich Talmud. »In all diesen Jahren sah ich ihn niemals bei leichter Lektüre. Noch sah ich ihn jemals in Begleitung von Schulkollegen oder gleichaltrigen Buben.« 34

Talmud brachte ihm naturwissenschaftliche Bücher mit, unter anderem auch aus der beliebten Reihe Naturwissenschaftliche Volksbücher – »ein Werk, das ich mit atemloser Spannung las«, schrieb Einstein. Die einundzwanzig kleinen Bücher hatte Aaron Bernstein verfasst, der besonderen Wert auf die Wechselbeziehung zwischen Biologie und Physik legte und sehr eingehend von den wissenschaftlichen Experimenten der Zeit berichtete, insbesondere wenn sie in Deutschland durchgeführt wurden. 35

Am Anfang des ersten Bandes behandelte Bernstein die Lichtgeschwindigkeit, ein Thema, das ihn offensichtlich faszinierte. Tatsächlich kam er in den nachfolgenden Bänden wiederholt darauf zurück. Band 8 enthielt sogar elf Aufsätze zu dem Thema. Angesichts der Gedankenexperimente, die Einstein später bei der Entwicklung seiner Relativitätstheorie verwendete, lässt sich durchaus vermuten, dass Bernsteins Buch einen gewissen Einfluss auf ihn ausgeübt hat.

Beispielsweise forderte Bernstein seine Leser auf, sich vorzustellen, sie befänden sich in einem schnell fahrenden Zug. Wenn nun eine Kugel durch das Fenster geschossen würde, hätte es den Anschein, als flöge sie in einem Winkel, weil der Zug sich zwischen dem Zeitpunkt, da die Kugel durch das eine Fenster eingetreten wäre, und dem Zeitpunkt, da sie den Zug durch das andere Fenster verlassen hätte, weiterbewegt hätte. Entsprechendes müsse wegen der Geschwindigkeit, mit der die Erde durch den Weltraum wandert, auch für das Licht gelten, das durch ein Teleskop fällt. Das Erstaunliche daran sei, so Bernstein, dass die Experimente immer den gleichen Effekt zeigten, egal, wie rasch sich die Lichtquelle bewege. Ein Satz von Bernstein scheint, da er in Zusammenhang mit einer späteren berühmten Schlussfolgerung von Einstein steht, einen besonderen Eindruck hinterlassen zu haben: »Da sich erweist, dass jede Art des Lichtes exakt die gleiche Geschwindigkeit besitzt, darf das Gesetz der Lichtgeschwindigkeit getrost als das allgemeinste aller Naturgesetze bezeichnet werden.«

In einem anderen Band nahm Bernstein seine jungen Leser mit auf eine imaginäre Reise durch das Weltall. Das Transportmittel war die Welle eines elektrischen Signals. Seine Bücher regten zum freudigen Staunen über wissenschaftliche Forschungen an und enthielten überschwängliche Abschnitte wie den über die erfolgreiche Vorhersage der Position des neuen Planeten Uranus: »Gelobt sei diese Wissenschaft! Gelobt die Männer, die sie betreiben! Und gelobt der menschliche Geist, der schärfer sieht als das menschliche Auge.« 36

Bernstein war, wie Einstein nach ihm, bestrebt, alle Kräfte der Natur zusammenzuführen. Nachdem er beispielsweise beschrieben hatte, dass alle elektromagnetischen Phänomene, wie etwa das Licht, als Wellen anzusehen seien, äußerte er den spekulativen Gedanken, es könne sich mit der Gravitation genauso verhalten. Unter all den Begriffen, deren sich unsere Wahrnehmung bediene, verbärgen sich Einheit und Einfachheit. Wahrheit in der Wissenschaft entdecke man, indem man die allem zugrunde liegende Wirklichkeit suche. Einstein erinnerte sich später daran, wie sich ihm diese Tatsache offenbarte – und an die realistische Einstellung, die dadurch in dem Knaben geweckt wurde: »Da gab es draußen diese große Welt, die unabhängig von uns Menschen da ist und vor uns steht wie ein großes, ewiges Rätsel.« 37

Als sich Einstein und Talmud Jahre später in New York trafen, fragte dieser, was er in Rückschau von Bernsteins Buch halte. »Ein sehr gutes Buch«, sagte Einstein. »Es hat meine ganze Entwicklung sehr beeinflusst.« 38

Talmud half Einstein auch, tiefer in die Wunder der Mathematik einzudringen, indem er ihm ein Geometriebuch mitbrachte, dessen Inhalt Einsteins Mathematikunterricht zwei Jahre voraus war. Später nannte Einstein es das »heilige Geometriebüchlein« und sprach voller Ehrfurcht von ihm: »Da waren Aussagen wie z. B. das Sichschneiden der drei Höhen eines Dreiecks in einem Punkt, die – obwohl an sich keineswegs evident – doch mit solcher Sicherheit bewiesen werden konnten. Diese Klarheit und Sicherheit machten einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich.« Jahre später, bei einem Vortrag in Oxford, verkündete Einstein: »Wen dies Werk [Euklids Geometrie] in seiner Jugend nicht zu begeistern vermag, der ist nicht zum theoretischen Forscher geboren.« 39

Wenn Talmud am Donnerstag kam, zeigte Einstein ihm voll Eifer die Aufgaben, die er die Woche über gelöst hatte. Anfangs konnte Talmud ihm helfen, doch bald hatte ihn sein Schüler überflügelt. »Nach kurzer Zeit, einigen Monaten, hatte er das Buch durchgearbeitet«, erinnerte sich Talmud. »Daraufhin widmete er sich der höheren Mathematik. (…) Bald entschwebte mir seine mathematische Genialität in Höhen, in die ich ihm nicht mehr folgen konnte.« 40

Daher ging der tief beeindruckte Medizinstudent dazu über, Einstein in die Philosophie einzuführen. »Ich empfahl ihm Kant«, schrieb er. »Damals war er noch ein Kind, erst dreizehn Jahre alt, doch Kants Werke, die normalen Sterblichen unverständlich sind, schienen ihm klar zu sein.« Eine Zeit lang wurde Kant Einsteins Lieblingsphilosoph. Dessen Kritik der reinen Vernunft führte ihn schließlich zur Auseinandersetzung mit David Hume, Ernst Mach und der Frage, was wir über die Wirklichkeit in Erfahrung bringen können.

Einsteins Beschäftigung mit den Naturwissenschaften löste bei ihm im Alter von zwölf Jahren eine plötzliche Reaktion gegen die Religion aus – so, als würde er sich auf eine Bar-Mizwa vorbereiten. In seinen populärwissenschaftlichen Bänden hatte Bernstein versucht, die Naturwissenschaft mit religiösen Neigungen zu versöhnen. Er schrieb: »Die religiöse Neigung findet sich in dem verschwommenen Bewußtseinsbereich, der in der ganzen Natur angelegt ist, auch im Menschen, und ist keineswegs nur spielerisch, sondern beruht auf einer Gesetzmäßigkeit, die eine fundamentale Ursache aller Existenz ist.«

Später näherte sich Einstein diesen Empfindungen wieder an. Damals aber war seine Abkehr von der Religion radikal. »Durch Lesen populärwissenschaftlicher Bücher kam ich bald zu der Überzeugung, daß vieles in den Erzählungen nicht wahr sein konnte. Die Folge war eine geradezu fanatische Freigeisterei, verbunden mit dem Eindruck, daß die Jugend vom Staate mit Vorbedacht belogen wird; es war ein niederschmetternder Eindruck.« 41

Infolgedessen vermied Einstein fortan alle religiösen Riten. »In Einstein regte sich eine Abneigung auch gegen die orthodoxe Ausübung der jüdischen und jeder anderen überlieferten Religion, gegen den Besuch jedes traditionellen Gottesdienstes, die ihn seitdem niemals verlassen hat«, schrieb sein Freund Philipp Frank später. Allerdings blieb ihm aus seiner religiösen Kindheitsphase eine tiefe Ehrfurcht vor der Harmonie und Schönheit dessen, was er den Geist Gottes nannte und was er in der Schöpfung des Universums und seiner Gesetze ausgedrückt sah. 42

Einsteins Auflehnung gegen religiöse Dogmen wirkte sich auf seine grundlegende Einstellung zu überkommenen Lehrmeinungen aus. Sie löste bei ihm allergische Reaktionen gegen alle Formen von Dogma und Autorität aus und beeinflusste auch seine Auffassungen in Politik und Wissenschaft. »Das Misstrauen gegen jede Art Autorität erwuchs aus diesem Erlebnis«, sagte er später, »eine Einstellung, die mich nicht wieder verlassen hat.« Tatsächlich wurde dieser Hang zum Nonkonformismus bis an sein Lebensende zu einem unverkennbaren Merkmal seines Denkens, wissenschaftlich wie gesellschaftlich.

Später eckte er mit seinem Widerspruchsgeist seltener an, weil er ihn freundlicher vorbrachte. Nachdem er als Genie anerkannt war, fand man diese Eigenschaft sogar liebenswert. Als aufsässiger Schüler in einem Münchener Gymnasium hatte er mit diesem Verhalten weniger Erfolg. »In Wirklichkeit fühlte er sich an der Schule sehr unbehaglich«, schrieb seine Schwester. Er fand den Unterrichtsstil – sture Einpaukerei und Ungeduld bei Zwischenfragen – unerträglich. Besonders unangenehm war dem Jungen auch »der militärische Ton in der Schule, die systematische Erziehung zur Verehrung der Autoritäten, die bereits die Schüler an die militärische Zucht gewöhnen sollte«. 43

Selbst in München, wo die bayerische Wesensart einer gewissen Leichtigkeit förderlich ist, hatte diese preußische Verherrlichung des Militärs schon Platz gegriffen. Auch die Kinder liebten Soldatenspiele. Wenn die Truppen zum Klang von Pfeifen und Trommeln vorbeizogen, liefen die Kinder auf die Straße, schlossen sich der Parade an und marschierten im Gleichschritt mit. Anders Einstein. Als er eines Tages so ein Spektakel sah, begann er zu weinen. »Wenn ich einmal groß bin, will ich nicht zu diesen armen Leuten gehören«, sagte er zu seinen Eltern. Später erklärte er: »Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen.« 44

Durch seine Abneigung gegen jede Art der Reglementierung wurde seine Zeit am Münchner Gymnasium zunehmend schwierig und konfliktträchtig. Das mechanische Lernen dort hatte seiner Meinung nach große Ähnlichkeit mit den Methoden der preußischen Armee, die dazu dienten, eine mechanische Disziplin durch die fortwährend wiederholte Befolgung sinnloser Befehle zu erzielen. Später verglich er seine Lehrer gern mit Armeeangehörigen: »Die Lehrer in der Elementarschule kamen mir wie Feldwebel vor«, sagte er, »und die Lehrer am Gymnasium wie Leutnants.«

Einmal fragte er C. P. Snow, den britischen Schriftsteller und Wissenschaftler, ob er das deutsche Wort Zwang kenne. Snow bejahte und sagte, es bedeute so viel wie die englischen Wörter constraint, compulsion, obligation, coercion. Warum? In seiner Münchner Schule habe er sich zum ersten Mal gegen den Zwang aufgelehnt, antwortete Einstein, und das habe ihm seither immer geholfen, er selbst zu bleiben. 45

Skepsis und Ablehnung überkommener Lehrmeinungen wurden zu Kennzeichen seines Lebens. Einem väterlichen Freund schrieb er 1901: »Autoritätsdusel ist der größte Feind der Wahrheit.« 46

In den sechs Jahrzehnten seiner wissenschaftlichen Laufbahn – gleich, ob er die Quantenrevolution einläutete oder sie später bekämpfte – war Einsteins Arbeit immer von dieser Haltung geprägt. »Dieses frühe Mißtrauen gegen jede Autorität, das ihn nie ganz verließ, war von entscheidender Bedeutung«, meinte Banesh Hoffmann, der später ein Kollege von Einstein wurde. »Denn aus dieser Haltung konnte sich die kraftvolle Unabhängigkeit des Geistes entwickeln, die ihm den Mut gab, allgemein anerkannte, wissenschaftliche Überzeugungen in Frage zu stellen und damit die Physik zu revolutionieren.« 47

Diese Geringschätzung von Autorität machte ihn nicht gerade beliebt bei den »Leutnants«, die ihn in der Schule unterrichteten. So erklärte einer seiner Lehrer, mit seinem unverschämten Verhalten gehöre er nicht in die Klasse. Als Einstein einwandte, er habe nichts Unrechtes getan, erwiderte der Lehrer: »Ja, das ist richtig. Aber Sie sitzen in der letzten Reihe und lächeln, und das verletzt das Respektgefühl, das ein Lehrer von seiner Klasse braucht.« 48

Aus Einsteins Unbehagen entwickelte sich eine regelrechte Depression, möglicherweise fast ein Nervenzusammenbruch, als die Firma seines Vaters plötzlich in Schieflage geriet. Das Ende kam sehr rasch. Während Einsteins Schulzeit war die Firma der Einstein-Brüder meist erfolgreich gewesen. 1885 hatte sie zweihundert Angestellte und stattete das Oktoberfest mit dem ersten elektrischen Licht aus. In den ersten Jahren danach erhielt sie den Auftrag, den Stadtteil Schwabing zu elektrifizieren, der damals zehntausend Einwohner zählte. Mit Gasmotoren wurden Doppeldynamos angetrieben, die die Einsteins entwickelt hatten. Jakob Einstein hatte sechs Patente für Verbesserungen von Bogenlampen, Sicherungsautomaten und Stromzählern. Das Unternehmen schickte sich an, Siemens und anderen führenden Stromversorgern Konkurrenz zu machen. Um Kapital zu beschaffen, verpfändeten Vater und Onkel ihre Häuser, liehen sich 60.000 Mark zu 10 Prozent und verschuldeten sich tief. 49

Doch 1894, als Einstein fünfzehn Jahre alt war, ging die Firma pleite, nachdem sie Ausschreibungen für die Elektrifizierung der Münchener Innenstadt und anderer Gebiete verloren hatte. Seine Eltern und Geschwister zogen mit Onkel Jakob nach Norditalien, zunächst nach Mailand und in das unweit gelegene Pavia – wo, wie die italienischen Partner meinten, eine kleinere Firma leichter Fuß fassen könne. Ihr elegantes Haus wurde abgerissen und machte einem Wohnblock Platz. Einstein ließ man in München zurück, damit er seine letzten drei Schuljahre absolvieren konnte. Es ist nicht ganz klar, ob Einstein in diesem traurigen Herbst 1894 gezwungen wurde, das Luitpold-Gymnasium zu verlassen, oder ob man ihm den Abgang lediglich höflich nahelegte. Wie er sich Jahre später erinnerte, habe der Lehrer, der ihm erklärte: »Ihre bloße Anwesenheit verdirbt den Respekt der anderen Schüler«, den Wunsch geäußert, dass er die Schule verlasse. In einem frühen Buch von einem Familienmitglied heißt es, es sei seine eigene Entscheidung gewesen: »In Albert reifte der Entschluß, nicht in München zu bleiben, und er entwarf einen Plan.«

Dieser Plan sah vor, dass er sich vom Hausarzt, Max Talmuds