Elbtrio - Nicole Wollschlaeger - E-Book

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Nicole Wollschlaeger

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Beschreibung

Elbschuld Als der Berliner Hauptkommissar Philip Goldberg seine neue Stelle in der Elbmarsch antritt, ist es mit der Beschaulichkeit schlagartig vorbei. Obsthofbesitzerin Hilde Deterding taucht plötzlich im Revier auf und behauptet, ihr verstorbener Mann Arthur trachte ihr nach dem Leben. Zum Leidwesen seiner neuen Mitarbeiter Hauke Thomsen und Peter Brandt nimmt Goldberg die Ermittlungen auf. Schon kurz darauf wird Hildes Hund vergiftet, ihre Steiff-Tier-Sammlung brutal geschändet und überall findet die Spurensicherung die Überreste menschlicher Asche. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion gräbt Goldberg die Urne des Verstorbenen aus. Doch statt der Asche findet er etwas, das selbst den skeptischen Thomsen überzeugt. Und der Wettlauf um das Leben von Hilde Deterding beginnt. Elbschmerz Das neue Ayurveda-Zentrum Namasté ist ein Ort der Stille und inneren Einkehr. Bis plötzlich eine Patientin spurlos verschwindet. Kommissar Goldberg und seine beiden Kollegen, die nur an einem teambildenden Yoga-Kurs teilnehmen wollten, befinden sich unversehens in ihrem nächsten Fall. Alles deutet auf eine Entführung hin. Als eine rätselhafte Krähe aus Schnee das Verschwinden zweier weiterer Patienten ankündigt, scheint es auch dieses Mal nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Und schon bald entpuppt sich das Namasté zu einem Schauplatz eines weit zurückliegenden Dramas, das unwillkürlich auf eine menschliche Katastrophe zusteuert. Elbspiel 125 Jahre Kophusen. Aus diesem Anlass engagiert die Gemeinde den einstigen Fernsehstar Arno Menzinger, um gemeinsam mit seinem Team den Kophusener Jedermann zu inszenieren. Noch bevor das große Vorsprechen im Kreis Steinburg beginnt, geben zwei Marionetten, mit einem Pfeil durchbohrt, an dem ein Zitat aus dem Stück prangt, Rätsel auf. Kommissar Philip Goldberg ist alarmiert. Schon kurz darauf finden die Beamten eine tote Frau, und der liebeskranke Hauke Thomsen ist wie vom Erdboden verschluckt. Peter Brandt, der eigentlich den Jedermann spielen soll, befürchtet das Schlimmste für seinen Freund und Kollegen. Die turbulente Jagd nach dem Täter führt das Kophusener Ermittler-Trio dieses Mal in eine Welt aus Schein und Sein. Ende: tödlich.

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ELBSCHULD

Als der Berliner Hauptkommissar Philip Goldberg seine neue Stelle in der Elbmarsch antritt, ist es mit der Beschaulichkeit schlagartig vorbei. Obsthofbesitzerin Hilde Deterding taucht plötzlich im Revier auf und behauptet, ihr verstorbener Mann Arthur trachte ihr nach dem Leben. Zum Leidwesen seiner neuen Mitarbeiter Hauke Thomsen und Peter Brandt nimmt Goldberg die Ermittlungen auf. Schon kurz darauf wird Hildes Hund vergiftet, ihre Steiff-Tier-Sammlung brutal geschändet und überall findet die Spurensicherung die Überreste menschlicher Asche. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion gräbt Goldberg die Urne des Verstorbenen aus. Doch statt der Asche findet er etwas, das selbst den skeptischen Thomsen überzeugt. Und der Wettlauf um das Leben von Hilde Deterding beginnt.

ELBSCHMERZ

Kommissar Philip Goldberg hat sich inzwischen an der Elbe eingelebt und verdonnert seine beide Kollegen Hauke Thomsen und Peter Brandt zu einem Yoga-Kurs im neu gegründeten Ayurveda-Zentrum Namasté. Die gewünschte Entspannung stellt sich allerdings nicht ein, denn als eine Patientin spurlos verschwindet, befinden sich die drei unversehens mitten in ihrem nächsten Fall. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf eine rätselhafte Nachricht: eine Krähe aus Schnee. Spätestens als auch das Ehepaar Huber unauffindbar ist, glaubt Goldberg nicht mehr an eine harmlose Erklärung. Nach und nach geraten die Beamten in eine Geschichte, die weit bis in die Vergangenheit zurückreicht und unaufhaltsam auf ihr tragisches Ende zusteuert.

ELBSPIEL

125 Jahre Kophusen. Aus diesem Anlass engagiert die Gemeinde den einstigen Fernsehstar Arno Menzinger, um gemeinsam mit seinem Team den Kophusener Jedermann zu inszenieren. Noch bevor das große Vorsprechen im Kreis Steinburg beginnt, geben zwei Marionetten, mit einem Pfeil durchbohrt, an dem ein Zitat aus dem Stück prangt, Rätsel auf. Kommissar Philip Goldberg ist alarmiert. Schon kurz darauf finden die Beamten eine tote Frau, und der liebeskranke Hauke Thomsen ist wie vom Erdboden verschluckt. Peter Brandt, der eigentlich den Jedermann spielen soll, befürchtet das Schlimmste für seinen Freund und Kollegen. Die turbulente Jagd nach dem Täter führt das Kophusener Ermittler-Trio dieses Mal in eine Welt aus Schein und Sein. Ende: tödlich.

Inhaltsverzeichnis

ELBSCHULD

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

ELBSCHMERZ

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

ELBSPIEL

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

ELBSCHULD

Für Horst-Gert Johansson

1

Kommissar Philip Goldberg schloss die Haustür und ging in die Küche. Sein Spaziergang hatte ihm gutgetan, und jetzt freute er sich auf einen Kaffee. Obwohl er schon vor einer Woche das Umzugsunternehmen mit einem ansehnlichen Trinkgeld verabschiedet hatte, standen immer noch reihenweise Kartons herum. Nicht dass ihm die Zeit fehlte, sie auszupacken, nein, in Kophusen ging es eher gemächlich zu. Aber er war immer noch auf der Suche nach dem richtigen Platz für einige seiner Sachen. Dieser Neuanfang sollte etwas ganz Besonderes werden, und das brauchte eben Zeit.

Für seine Bialetti hatte er allerdings nicht viel Zeit benötigt. Die hatte schon am Tag seines Einzugs den richtigen Platz auf dem Herd gefunden. Er nahm die Schraubkanne, füllte den kleinen Bauch mit Wasser, den Filtereinsatz mit der gemahlenen Espressomischung und drehte den Gasherd auf. Während er die beiden Teile wieder aufeinanderschraubte, dachte er an den letzten Besuch in seiner Leib-und-Magen-Rösterei in Berlin. Der neue Barista hatte in einer dramatischen Geste die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Die Schraubkanne war seiner Meinung nach die schlechteste Wahl, wenn es um guten Kaffee ging. Aber Goldberg hatte nur mit den Schultern gezuckt. Er liebte seine Bialetti, und kein Barista der Welt würde sie ihm abspenstig machen können, egal wie hip und kompetent er war. Schmunzelnd stellte er die Kanne auf die Gasflamme. Dann setzte er sich an den kleinen Holztisch am Fenster und wartete.

Sein Blick wanderte hinaus in den Garten. In dieses Kleinod hatte er sich bei der Hausbesichtigung sofort verliebt. Besonders der Apfelbaum im Zentrum des Gartens hatte es ihm angetan. Im Schatten des alten Baumes hatte er seinen Holzstuhl aufgestellt. Weiter vorne plante er bereits eine Reihe von Beeten mit Gemüse und Kräutern. Das war schon lange ein Traum von ihm gewesen. Warum nur hatte es erst zu dieser Katastrophe kommen müssen? Warum hatte er sich nicht schon viel früher zurückgezogen? Dann wäre das alles nicht passiert. Oder doch?

Das leise Röcheln der Kanne entlockte ihm einen wohligen Seufzer. Hier werde ich die Ruhe finden, die ich so dringend brauche, dachte er. Ruhe vor seiner Vergangenheit. Von jetzt an wollte er nur noch für den Augenblick leben.

Nur während der Arbeit würde er sich noch mit der Vergangenheit befassen müssen. Aber das war nicht weiter schlimm. Schließlich war es die Vergangenheit von anderen Leuten. Was hatte die schon mit ihm zu tun? Nichts. Sie konnte ihm nicht gefährlich werden. Kophusen hatte rein gar nichts mit Berlin gemein. Diese beiden Orte waren wie Feuer und Wasser. In Kophusen würden die alten Geister ihn niemals finden.

Als das Fiepen sich zu einem schrillen Pfeifen hochschraubte, stand Goldberg auf. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er die Kanne vom Herd. Seine Tasse stand schon bereit. Die wichtigen Dinge hatte er vorsorglich in der kleinen Reisetasche verstaut, damit er sie sofort nach dem Einzug griffbereit hatte. Sanft sog er den Duft des Kaffees ein. Ja, das war seine Gegenwart. Die einzige, die ihm geblieben war.

Mit der Tasse in der Hand ging er zur Gartentür hinaus und setzte sich unter den Apfelbaum. Einige Strahlen der heißen Julisonne brachen durch die grünen Blätter und blendeten ihn ein wenig. Er schloss die Augen und nahm gerade den ersten Schluck, als seine Hosentasche zu vibrieren begann. Widerstrebend öffnete er die Augen und kramte sein altes Nokia-Handy hervor.

»Goldberg.«

»Moin, Herr Goldberg, entschuldigen Sie, dass ich Sie am Sonntag stören muss, aber wir haben einen Notfall.«

Polizeihauptmeister Hauke Thomsen, einer seiner beiden neuen Mitarbeiter, klang völlig entnervt.

»Was ist los?«

»Es geht um Hilde Deterding. Sie ist völlig außer sich. Will nur mit dem neuen Kommissar sprechen. Ich kriege sie einfach nicht beruhigt. Sie macht hier einen Höllenaufstand.«

»Ist er das?« Die schrille Frauenstimme am anderen Ende des Telefons ließ Goldberg zusammenzucken.

»Können Sie bitte kommen?«, flehte Thomsen, der anscheinend kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.

»Gut. Ich …« Aber Goldberg wurde rüde unterbrochen.

»Hauke, sag ihm, er soll sofort herkommen!«

»Frau Deterding, würden Sie bitte endlich …« Thomsens Stimme brach ab, und Goldberg vernahm Geräusche, die sich gefahrenträchtig nach einem Handgemenge anhörten.

»Zehn Minuten!«, rief Goldberg ins Telefon und unterbrach die Verbindung.

Er leerte seine Tasse und ging zurück ins Haus. In Gedanken noch immer bei dem ungewöhnlichen Anruf, nahm er ein frisches Hemd und eine Jeans aus seinem Kleiderschrank im Schlafzimmer. In der gesamten letzten Woche war es im Gegensatz zu seinem Berliner Polizeialltag auf der neuen Wache geradezu entspannt zugegangen. Aber ein bisschen Action konnte nicht schaden. Schließlich war er noch nicht in Rente. Fünf Minuten später machte er sich auf den Weg zur Wache.

Kophusen war ein kleiner Ort. Aber immerhin gab es noch einen inhabergeführten Supermarkt, eine Bäckerei und eine erstaunlich gepflegte Kneipe. Auf dem Deich entlang der Elbe standen Schafe. Ihr lautes Mäh durchbrach die Stille, und Goldberg hatte den Eindruck, dass es ihn vorwurfsvoll mahnte, besser schnell zu verschwinden. Er tat wie ihm geheißen und beschleunigte seine Schritte. Als er das bescheidene Einfamilienhaus betrat, das seine neue Wache darstellte, war es mit der sonntäglichen Ruhe schlagartig vorbei. In dem Tumult bemerkte ihn niemand, und Goldberg blieb einige Sekunden lang im Türrahmen stehen.

Sein Blick fiel zuerst auf Polizeiobermeister Peter Brandt, den Dienstältesten auf der Wache. Er stand über den ockerfarbenen Tresen gebeugt und redete mit Engelszungen auf eine ältere Dame ein, die aber allem Anschein nach ganz und gar nicht die Absicht hatte, sich beruhigen zu lassen. Polizeihauptmeister Hauke Thomsen hatte den eben noch tobenden Kampf um den Hörer offensichtlich verloren, denn er saß jetzt kopfschüttelnd auf einem der Besucherstühle links vom Tresen und starrte zu Boden. Mit seinen ein Meter achtzig, eigentlich so groß wie Goldberg, war er allerdings wesentlich breiter gebaut, und zugegeben auch viel muskulöser. In seinem jetzigen Zustand aber glichen seine herabhängenden Schultern eher der wahrscheinlich für jedes Revier obligatorischen Zimmerpflanze, die bereits einige Vitalfunktionen eingestellt hatte. Armes Ding, dachte Goldberg noch, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Brandt richtete, der mit einer, beinah artistischen Körperbewegung den Tresen eroberte. Brandt war zwar deutlich kleiner als Thomsen, aber ungeheuer drahtig, und in der Art und Weise, wie er sich jetzt über den Tresen beugte, konnte er den Artisten des Chinesischen Staatszirkus ohne Probleme Konkurrenz machen. Seine akrobatischen Fähigkeiten verblüfften Goldberg. Machte der Mann etwa Yoga? Sein blondes Haar dagegen, akkurat gescheitelt, stand wie sein Charakter im krassen Gegensatz zu dem seines Kollegen. Goldberg war ehrlich fasziniert von ihren Eigenarten, die wie ein Kunstwerk perfekt aufeinander abgestimmt waren. Er mochte sie. Beide.

Deshalb erbarmte sich Goldberg ihrer und entschied sich, seinen Kollegen unter die Arme zu greifen. Mit einem lauten Knall ließ er die schwere Glastür ins Schloss fallen. Brandt erstarrte mitten in der Bewegung, die Hände zu der alten Dame gereckt. Thomsen hob den Kopf und beide sahen ihren neuen Chef erstaunt an. Nur die alte Dame schien völlig unbeeindruckt. Sie drehte sich langsam zu Goldberg um und betrachtete ihn eingehend, während er gelassen zu ihr an den Tresen trat.

»Sind Sie der Neue?«, fragte sie in strengem Ton, der exakt zu ihrer Erscheinung passte.

Sie war klein und stämmig. Das schneeweiße, perfekt frisierte Haar zierte eine Haarnadel mit einem goldenen Apfel. Der Stehkragen ihrer hellen Bluse wurde von einer dunklen Perlenkette umrandet, die farblich genau auf ihr eng anliegendes Kostüm abgestimmt war. Man hatte fast den Eindruck, Queen Mum sei auf Staatsbesuch nach Kophusen gekommen.

»Goldberg. Philip Goldberg«, begrüßte er sie und reichte ihr die Hand. Den Impuls, ihr einen angedeuteten Handkuss zu geben, unterdrückte er wohlweislich.

»Sie sind der Vorgesetzte von diesen Landeiern hier?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und Goldberg sah, wie Thomsens Gesicht sich bedrohlich verfinsterte.

»Das hören meine Kollegen gar nicht gerne, Frau Deterding.«

»Das ist mir egal. Ich bin hier, weil ich Polizeischutz brauche. Man sagt, Sie waren mal Hauptkommissar. In Berlin. Dort wird man wohl wissen, wie man mit potenziellen Mordopfern umzugehen hat.«

Ihr stechender Blick durchbohrte Goldberg. Wie die Haarnadel ihre Frisur, dachte er und verscheuchte das Bild eines »Haarnadel-Massakers« aus seinem Kopf.

»Gehen wir doch in mein Büro, Frau Deterding.«

Er deutete auf seine Tür, die sich neben der offenen Küche hinter dem Tresen befand. Die alte Dame schien für den Augenblick besänftigt zu sein und setzte sich gehorsam in Bewegung. Als Goldberg an Thomsen vorbeiging, öffnete der seinen Mund und wollte etwas sagen, doch Goldberg kam ihm zuvor.

»Herr Thomsen wird uns freundlicherweise Gesellschaft leisten.«

»Wenn Sie meinen, dass das einen Sinn hat, bitte«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

Thomsen quittierte die Bemerkung mit einem geräuschvollen Schnauben. Goldberg schloss die Tür und bedeutete den beiden, sich zu setzen.

»Was können wir für Sie tun?«, fragte er und lehnte sich gegen die Kante seines altertümlichen Schreibtisches.

»Wie gesagt. Ich brauche Polizeischutz. Heute Morgen lag das hier vor meiner Haustür.«

Erst jetzt bemerkte Goldberg den kleinen Gegenstand in ihrer Hand, den sie auf den Tisch legte. Es war ein Buch. Ein kleiner Gedichtband von Günter Kunert. Goldberg las den Titel laut vor: »Der ungebetene Gast.«

»Schauen Sie es sich genau an, Herr Kommissar. Das ist die erste Todesdrohung. Es wird noch weitere geben, bevor er mich umbringen wird.«

Mit ausdruckslosem Gesicht nahm Goldberg das Buch vom Tisch und schaute auf den Umschlag. Vorsichtig schlug er die erste Seite auf.

»Die Widmung«, sagte die alte Frau und deutete energisch mit dem Zeigefinger auf die Seite. »Meine Todesankündigung. Lesen Sie es laut vor.«

Goldberg gehorchte. »›fliegt Tag für Tag ein toter Hund um unsre Erde als Warnung.‹«

»Ein Zitat aus einem Gedicht von Kunert. Das Gedicht heißt Laika.«

Goldberg sah auf. Unablässig strich Hilde Deterding mit den Fingern über die Armlehne des Stuhls. Sie ist nervös, dachte er und prägte sich diese Geste genau ein.

»Kunert? Ist das der Typ, der bei Itzehoe wohnt?«, fragte Thomsen.

»Günter Kunert ist kein Typ«, stieß die alte Frau verächtlich hervor. »Er ist ein bedeutender Lyriker unserer Zeit. Übrigens auch aus Berlin, wie Sie, Herr Kommissar. Das Gedicht finden Sie auf Seite acht.«

Goldberg blätterte zu besagter Stelle und las das Gedicht. Dann blickte er auf und sah sie fragend an.

»Was hat das mit Ihnen zu tun? Oder waren Sie etwa mit dem Hund in der Kapsel?«

»Das ist nicht komisch, Herr Kommissar«, sagte sie eisig, und zum Zeichen einer Entschuldigung schlug Goldberg die Augen nieder.

»Kann mir mal jemand erklären, was das alles soll? Was für eine Kapsel und was für ein Hund?« Thomsen konnte seinen Unmut nur schwer verbergen.

»Laika, eine Hündin, die 1957 in einer Kapsel in den Weltraum geschossen wurde. Sie starb jämmerlich an den Folgen der Überhitzung. Liest du denn gar keine Zeitung, Junge?«, zischte sie.

Thomsen stand hinter ihr, und Goldberg bemerkte, wie sich sein Gesicht dunkelrot verfärbte.

»1957 war ich noch nicht einmal geboren«, fauchte er zurück.

Hilde Deterding überging seinen Einwand. »Ich mache mir Sorgen um Hektor«, sagte sie zu Goldberg. »Diese Anspielung auf den Hund, vielleicht will er Hektor etwas antun.«

»Hektor?«, fragte Goldberg.

»Der Hofhund«, antwortete Thomsen grinsend, dessen Gesichtsfarbe sich wieder normalisiert hatte. »Ein echter Haudegen von Köter.«

Hilde Deterding ignorierte ihn. »Kommen Sie gleich mit?«

Goldberg hob eine Augenbraue und blickte sie fragend an.

»Polizeischutz, für mich und meinen Hund.«

»Nicht so schnell, Frau Deterding«, begann Goldberg. »Und dieses Buch lag einfach so da?«

»Johan hat es heute Morgen gefunden. Es lag vor der Haustür.«

»Wer ist Johan?«, fragte Goldberg.

»Johan Bachmann, der persönliche Assistent von Frau Deterding«, mischte sich Thomsen ein. »Auch ein echter Haudegen.«

Nun drehte Hilde Deterding sich zu ihm um, und Thomsens Grinsen gefror auf der Stelle. Zufrieden wandte sie sich wieder Goldberg zu. »Er war mein persönlicher Assistent, als der Hof noch Obst produzierte. Vor zwei Jahren habe ich den Hof aufgegeben und es nicht fertiggebracht, ihm zu kündigen. Nun kümmert er sich um alles.«

»Die Dame des Hauses natürlich eingeschlossen«, murmelte Thomsen, wobei er seine Fingernägel intensiv begutachtete.

Hilde Deterding warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Warum du hier überhaupt arbeiten darfst, ist mir ein Rätsel«, erwiderte sie. Dann fuhr sie an Goldberg gewandt fort: »Früher hat ihr ehrenwerter Kollege Hauke Thomsen meine Äpfel gestohlen, wissen Sie. Direkt vom Baum. Richtige Raubzüge waren das.«

»Raubzüge?« Thomsen hob wütend den Kopf. »Ich war zehn Jahre alt«, verteidigte er sich.

In Gedanken sah Goldberg das Bild vor sich. Der kleine Hauke Thomsen, wie er auf einen von Hilde Deterdings Apfelbäumen kletterte und sich einen Apfel stibitzte. Wie Muriel, dachte er plötzlich. In dem Garten von Judith. Sein Magen zog sich zusammen. Das ist Vergangenheit, ermahnte er sich und zwang sich zurück in die Gegenwart.

»Warum glauben Sie, dass es eine Todesnachricht für Sie und Ihren Hektor sein könnte? Vielleicht wollte Ihnen jemand nur eine Freude machen«, fragte er.

Hilde Deterdings Nasenflügel begannen zu zittern. »Herr Kommissar«, erwiderte sie streng, »es ist doch ganz offensichtlich, dass diese Widmung nicht freundlich gemeint ist. Schon der Titel dieses Buches. Sie müssen wissen, man hat mich hier nie wirklich akzeptiert. Als Sylterin war ich doch immer nur die Zugezogene. So ist das auf dem Land. Das werden Sie auch noch merken.«

Es klang wie eine Drohung, aber Goldberg ignorierte sie und blätterte durch die Seiten des Buches.

»Es steht sonst nichts weiter drin, nur die Widmung. Behalten Sie es und untersuchen Sie es gründlich.«

»Haben Sie einen Verdacht?«, fragte Goldberg.

»Ja.« Sie verstummte. Das Königliche an ihr bröckelte, unsicher nestelte sie an ihren Perlen. »Aber das werden Sie mir sicher nicht glauben.«

»Versuchen Sie es«, sagte Goldberg.

Hilde Deterding zögerte. So resolut, wie sie bisher aufgetreten war, jetzt schien sie Angst vor ihrer eigenen Courage zu haben.

»Ja, nur Mut, Frau Deterding. Sagen Sie es dem Hauptkommissar aus Berlin.« Thomsen versuchte, ironisch zu klingen, was ihm nicht ganz gelang und Hilde Deterding dementsprechend kaltließ.

Sie warf einen langen Blick aus dem Fenster, und irgendetwas da draußen schien ihr die Kraft zu geben, weiterzureden.

»Mein Mann«, erwiderte sie knapp.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Goldberg, wie Thomsen den Kopf ungläubig hin und her bewegte. »Ihr Mann ist tot«, sagte er mit einem lauten Stöhnen.

Hilde Deterding hatte sich wieder gefasst und warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Das weiß ich selbst. Daran brauchst du mich nicht zu erinnern.«

Aufmerksam betrachtete Goldberg die kleine Frau. Trotz ihres herrischen Auftretens schien sie es im Leben nicht immer leicht gehabt zu haben. Ihre Gesichtszüge hatten im Laufe der Zeit einen harten Ausdruck angenommen, aber in ihren Augen lag noch immer etwas Weiches, fast Zartes. Etwas, das sie vor der Welt versteckt hielt. Und vor sich selbst, dachte Goldberg, als sie das Schweigen brach. »Mein Mann Arthur lebt. Und er ist hier, um mich umzubringen.«

Thomsens Schnauben war nicht zu überhören. »Ist er nun tot oder lebendig? Sie sollten sich mal entscheiden.«

Jetzt war es Goldberg, der ihm einen tadelnden Blick zuwarf. Hilde Deterding lächelte. Jedenfalls hielt Goldberg das Zucken ihrer Mundwinkel für ein Lächeln.

»Warum sollte Ihr Mann Sie töten wollen?«, fragte er.

»Weil ich ihn sterben ließ.«

Die Worte blieben einen Moment in der Luft hängen, als wollten sie sichergehen, dass sie gehört wurden. In Hilde Deterdings Gesicht spiegelten sich die Emotionen von damals wieder. Goldberg erkannte Schmerz. Einen Schmerz, der bis heute anhielt. Ihr Blick wanderte wieder zum Fenster und verharrte dort, während sie weitersprach.

»Mein Mann hatte vor drei Jahren einen Herzinfarkt. Es passierte, als wir beim Abendessen saßen. Er schrie plötzlich auf und fasste sich an sein Herz. Ich lief zu ihm. Er krümmte sich vor Schmerzen und fiel vom Stuhl. Er versuchte, mir etwas zu sagen, doch es war unmöglich zu verstehen. Ich war vor Panik wie erstarrt und konnte mich nicht rühren. Erst als es fast vorüber war, beugte ich mich zu ihm hinab. Er flüsterte. Ich hielt mein Ohr dicht an seinen Mund und hörte seine letzten Worte.«

Sie verstummte. Goldberg sah die Szene vor sich. Den wimmernden Mann am Boden, der aufgrund unterlassener Hilfeleistung sterben musste. Er konnte durchaus verstehen, dass Arthur Deterding mit dieser Art zu sterben nicht ganz einverstanden gewesen war.

»Was hat er gesagt?«, fragte er.

»Er sagte: ›Ich komme wieder, und dann werde ich dir zeigen, wie das ist.‹ «

Für einen kurzen Moment herrschte Stille.

»Und daraus schließen Sie, dass er wieder da ist?«

Goldbergs Tonfall war nicht ironisch oder respektlos, er wollte es einfach nur wissen. Sie verstand und nickte. Die beiden Polizisten warfen sich einen Blick zu, wobei Thomsen die Augen verdrehte und den Zeigefinger mehrmals an seiner rechten Schläfe kreisen ließ. Für ihn war die alte Dame verrückt. So viel stand fest. Aber für Goldberg war es nicht so einfach. Trotz ihres Standesdünkels und ihrer unwirschen Art hatte sie etwas seltsam Zerbrechliches an sich, das Goldberg rührte. Es war nur dieser eine Moment gewesen, in dem sie ihm ungewollt etwas offenbart hatte. Etwas, das er nicht verstand. Noch nicht.

»Wir werden das Buch untersuchen lassen«, erklärte er und stand auf.

»Und was ist mit Polizeischutz?«, fragte sie.

»Herr Brandt wird zweimal am Tag bei Ihnen vorbeischauen. Mehr geht nicht.«

Hilde Deterding nickte und stand ebenfalls auf.

»Ich weiß, dass das alles in Ihren Ohren verrückt klingen mag«, sagte sie und gab ihm die Hand. »Deshalb danke ich Ihnen, dass Sie mich ernst nehmen.«

»Auf Wiedersehen, Frau Deterding.«

»Ich höre von Ihnen«, sagte sie und stolzierte hinaus, ohne Hauke Thomsen auch nur eines Blickes zu würdigen.

Goldberg sah ihr nach. Ihr stolzer Gang beeindruckte ihn, und gleichzeitig spürte er, dass sie dahinter etwas zu verbergen suchte. Etwas, das ihr Angst machte. Thomsens Stöhnen riss ihn aus seinen Überlegungen, und er drehte sich zu ihm um. Der Polizeihauptmeister strich sich durch das dunkelblonde Haar. Doch auch dadurch ließ es sich nicht bändigen. Die kurzen Strähnen standen in alle nur erdenkliche Richtungen ab und schienen ein Eigenleben zu führen.

»Die Alte ist ja noch bekloppter, als ich dachte«, sagte Thomsen. »Peter wird sich freuen.«

»Sie glauben ihr nicht?«, fragte Goldberg und tat so, als würde ihn das tatsächlich erstaunen.

Thomsen blickte ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Sagen Sie nicht, dass Sie ihr diesen Wahnsinn abkaufen.«

»Und wer hat das Buch vor ihre Haustür gelegt?«, fragte Goldberg.

»Da hat sich jemand einen dummen Scherz erlaubt.«

Goldberg schüttelte den Kopf und starrte auf den Mülleimer, der seit Wochen nicht mehr ausgeleert worden war. Sabine Jansen, die Reinigungskraft, hatte eine schwere Grippe, und seitdem fühlte sich niemand für die Sauberkeit der Wache verantwortlich.

»Sie wollen dem doch nicht ernsthaft nachgehen?«, fragte Thomsen.

»Wir beide werden das tun, Herr Thomsen. So sicher, wie Sie sich jetzt dieses Mülleimers annehmen werden. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht.« Goldberg fing an, seine neue Rolle als Chef zu mögen.

Thomsen warf einen kurzen Blick auf den Papierkorb und ignorierte die Anweisung. »Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten, als eine alte verwirrte Frau zu überwachen.«

»Lassen Sie sie das nicht hören.«

Thomsens Miene verfinsterte sich, als Goldberg ihm ein entwaffnendes Lächeln zuwarf.

»Nein, natürlich nicht.« Zähneknirschend nahm er den verbeulten Eimer mit nach draußen.

Obwohl Goldberg den Kollegen mochte, war ihm schon beim ersten Besuch auf der Wache klar geworden, dass man ihn zügeln musste. Seine Unbeherrschtheit brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten. Thomsen war der Ansicht, dass Hilde Deterding eine alte verwirrte Dame war, die sich die Bedrohung nur einbildete. In seinen Augen waren ihre Befürchtungen bloß ein Hirngespinst, nichts weiter. Doch Goldberg hatte die Angst in ihren Augen gesehen. Angst hatte meistens eine sehr reale Ursache, und dieser Ursache wollte er auf den Grund gehen.

»Was wissen Sie über Hilde Deterding?«, fragte er versöhnlich und folgte Thomsen Richtung Küche, wo dieser den Eimer in einen noch größeren Eimer entleerte.

»Sie ist Witwe«, rief Thomsen aus der offenen Küchentür. »Seit etwa drei Jahren. Ihr Mann, Arthur Deterding, war Obstbauer in der dritten Generation. Die haben sich einen ordentlichen Hof aufgebaut.« Er kam mit dem leeren Abfalleimer zurück. »Haben sich auf Seestermüher Zitronenäpfel spezialisiert. Oder Kohläpfel, wie wir sie nennen. Alles bio. Was auch immer das heißen soll. Ist ja jetzt modern.« Mit einem leisen Scheppern stellte er den Metalleimer wieder an seinen Platz. »Dann auf einmal hat die Alte den Hof dichtgemacht. Klappe zu, Affe tot. Es heißt, sie hat den Hof immer gehasst. Der Alte würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste.«

Seinem Tonfall nach zu urteilen, missbilligte Thomsen den Verkauf zutiefst, aber er bemühte sich, sachlich zu bleiben. Er setzte sich Peter Brandt gegenüber, und wie aufs Stichwort übernahm sein Kollege die Führung und fuhr wie selbstverständlich fort.

»Sie hat drei Kinder. Georg ist der älteste. Ein Banker. Ana-Maria ist verheiratet und hat zwei Kinder. Und dann gibt es noch das Nesthäkchen Luise. Eine Nachzüglerin. Zwischen den beiden ersten und ihr sind, glaube ich, gut neun oder zehn Jahre Altersunterschied. Die sollen sich nicht immer gut verstanden haben.«

Brandt saß zurückgelehnt in seinem schwarzen Bürostuhl und machte eine vielsagende Pause. Goldberg, der am Küchentresen lehnte, nickte.

»Sie ist ganz schön durcheinander«, sagte Brandt plötzlich besorgt.

»Das ist die Gute schon immer gewesen«, bemerkte Thomsen.

Brandt ignorierte ihn und wandte sich an seinen neuen Chef. »Was machen wir jetzt mit ihr?«

»Sie fahren auf dem Weg nach Hause bitte am Hof vorbei«, antwortete Goldberg.

Brandt sah ihn an. Dann warf er Thomsen einen skeptischen Blick zu, der ihn grinsend erwiderte. Schließlich nickte er. »Gut, wie Sie wollen.«

»Wo wohnen ihre Kinder?«, fragte Goldberg.

»Georg«, antwortete Thomsen, »der werte Sohnemann des Hauses, wohnt schon lange in Hamburg. Und die beiden Töchter sind auch abgehauen.«

Brandt beugte sich vor und übernahm wie bei einem Staffellauf wieder das Wort. »Ana-Maria lebt mit ihrem Mann drüben in der Engelbrechtschen Wildnis. Und Luise soll sogar ausgewandert sein. Neuseeland, soweit ich weiß.«

»Engelbrechtsche Wildnis ist ja nicht weit«, entgegnete der Kommissar. Er hatte das Ortsschild bei einem ausgedehnten Spaziergang gesehen. »Das machen wir morgen als Erstes.«

Thomsen drehte sich langsam zu ihm um. »Was«, fragte er argwöhnisch, »machen wir morgen als Erstes?«

»Ihr einen kurzen Besuch abstatten.«

»Ana-Maria? Warum zum Teufel?«

Goldberg ignorierte seine Frage. »Danach fahren wir zu diesem Bachmann. Ich will wissen, was an der Sache dran ist.« Er lächelte sie an. Doch die beiden Männer bemühten sich nach Kräften, ihn durch ihren mürrischen Blick umzustimmen. »Ich möchte einfach sichergehen, dass wir in den nächsten Tagen keine Leiche finden«, verteidigte er sich.

Thomsen stützte sich mit beiden Händen auf den Armlehnen seines Stuhls ab und brachte sich wieder in eine aufrechte Position.

»Herr Goldberg«, begann er, »ich weiß, Sie sind eigentlich Kriminalhauptkommissar und für diese Stelle völlig überqualifiziert, aber wir sind hier nicht in Berlin. In den letzten zwölf Jahren hatten wir genau siebenundzwanzig Todesfälle. Und alle, das versichere ich Ihnen, alle sind eines natürlichen Todes gestorben. Kein einziger Mord.«

Kurz rang Thomsen mit sich, bevor er sich dann doch zu einer letzten Bemerkung hinreißen ließ. »Halt. Abgesehen von den Hühnern natürlich. Das war eindeutig Mord. Sogar dreifacher Mord aus niedrigen Beweggründen. Aber den Täter haben wir mittels eindeutiger Pfotenabdrücke überführen können. Der Fuchs tötet niemanden mehr.« Thomsens Mundwinkel zuckten, und er hatte Mühe, das Grinsen zu unterdrücken. Zufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust.

»Gute Arbeit, Thomsen«, sagte Goldberg. »Dann können wir den Fuchs als Täter ja schon mal ausschließen.«

Thomsen runzelte die Stirn, und während er offensichtlich in Gedanken noch nach einer passenden Antwort suchte, sagte Goldberg zu Brandt: »Also, zurück zum Fall. Was erzählt man sich denn so über die Familie Deterding?«

Prompt hellte sich Brandts Gesicht auf, und als hätte er nur auf dieses Stichwort gewartet, sprudelte es aus ihm heraus.

»Hilde Deterding soll eine Affäre gehabt haben, denn angeblich hat sich ihr Mann schon nach der Geburt von Ana-Maria sterilisieren lassen. Er wollte nach den beiden ersten Kindern keine mehr haben. Den männlichen Erben hatte er ja bereits.«

Goldberg hob eine Augenbraue, was Brandt folgerichtig als Aufforderung interpretierte. »Ist ja auch seltsam, oder? Ich meine, so lange keine Kinder, und dann kommt da plötzlich doch noch eins.«

»Sagen die Gerüchte auch, wer der Vater sein soll?«, fragte Goldberg.

»Der Pastor!«

Dieses Mal hob Goldberg beide Augenbrauen. Nur, um sie mit einem leisen Pfiff wieder sinken zu lassen.

»Der Pastor! Das ist doch Quatsch!«, protestierte Thomsen lautstark.

Brandt hob abwehrend die Hände. »Ich sage ja nicht, dass es stimmt. Ich sage nur, was ich gehört habe.«

Thomsen stöhnte und schüttelte den Kopf. »Der Pastor ist es nicht, das weiß ich hundertpro«, beharrte er.

Brandt zwinkerte Goldberg zu, dem nicht ganz klar war, was das jetzt zu bedeuten hatte.

»Das macht der immer so«, erklärte Thomsen. »Der Mann ist süchtig nach Klatsch, wie ein altes Waschweib.«

Brandt versuchte sich zu verteidigen, aber Thomsen zählte bereits die zahlreichen Gelegenheiten auf, an denen Brandt die Gerüchteküche, angeblich völlig zu Recht, angetrieben hatte. Goldberg spürte ein schwaches Ziehen in der Brust. Und plötzlich streifte Judiths schlanke Gestalt sein Bewusstsein. Irritiert ließ er sie vorbeiziehen und unterbrach die beiden Männer unvermittelt.

»Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit«, sagte er.

Seine Mitarbeiter verstummten und sahen ihn überrascht an, aber er fuhr unbeirrt fort. »Sie sollen wissen, dass ich gerne hier bin. Kophusen ist genau das, was ich jetzt brauche. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen.«

»Das wird sich zeigen, Chef«, sagte Thomsen.

Brandt verdrehte die Augen und strafte seinen Kollegen mit einem kurzen Blick. »Hören Sie nicht auf ihn. Das hat nichts mit Ihnen zu tun«, sagte er.

»Keine Angst, Herr Brandt, ich weiß ehrliche Worte zu schätzen«, erwiderte Goldberg.

»Bin gespannt, ob Sie das auch noch in drei Monaten sagen«, bemerkte Thomsen.

Goldberg bedachte sie mit einem vielsagenden Blick und tippte sich mit der Hand zum Gruß gegen die Schläfe.

»Meine Herren, in diesem Sinne wünsche ich noch einen schönen Sonntag«, verabschiedete er sich und trat aus der Tür.

Als er die zwei Stufen nach unten nahm, hatte er das beunruhigende Gefühl, dass es in Kophusen nicht so friedlich bleiben würde.

2

»Und?«, fragte Peter, als Goldberg durch die Glastür verschwunden war. »Was hältst du von ihm?«

Hauke wusste, was ihn erwartete, und schwieg lieber. Peter ging in die Küche, nahm die Kanne ihrer betagten Kaffeemaschine und schenkte sich und seinem Kollegen von dem inzwischen nur noch lauwarmen Kaffee nach. Er reichte Hauke seinen Lieblingsbecher mit der Aufschrift Kein Bier vor vier. Der Kollege nahm ihn entgegen und nickte.

»Hilft dir das auf die Sprünge?«, fragte Peter.

Hauke zuckte nur mit den Schultern.

»Ich glaube, irgendetwas stimmt nicht mit dem«, sagte Peter.

Hauke kannte diesen Tonfall. Er nahm einen Schluck, und schwieg. Er wusste, was jetzt kam, und ließ es wohl oder übel über sich ergehen.

»Diese Augen«, begann Peter. »Hast du seinen Blick gesehen?«

Hauke trank noch einen Schluck und wartete. Erfahrungsgemäß war Warten das Beste, was er jetzt tun konnte. Wenn er eines bei ihren regelmäßigen Stammtischabenden gelernt hatte, dann, dass man Peter in solch einer Stimmung besser nicht unterbrach. Trotz der Klatschsucht seines Kollegen, oder vielleicht auch gerade deswegen, würde er diese Abende um keinen Preis missen wollen. Auch wenn sie kaum über persönliche Dinge sprachen. Selbst über den Tod von Marion, Peters Frau, hatten sie nur wenig geredet.

»Ist er Jude?«, fragte Peter plötzlich.

Hauke blickte überrascht auf. »Wieso?«

»Na ja, der Name. Goldberg.«

»Wusste gar nicht, dass du dich für Religion interessierst«, bemerkte Hauke wider besseren Wissens.

Peter war pikiert. »Nein. Ich meine ja nur so. Aus Neugier.«

»Keine Ahnung, Peter. Es ist mir auch egal.«

Aus den Augenwinkeln sah Hauke, wie es in seinem Kollegen brodelte. Peter hatte noch mehr auf Lager, und es dauerte nicht lange, bis es aus ihm herausbrach.

»Ich habe mir heute Morgen mal seine Akte angesehen.«

»Was?« Vor Schreck verschüttete Hauke fast den kostbaren Kaffee. Vorsichtshalber stellte er den Becher vor sich ab. »Spinnst du? Das ist illegal.«

»Ach, das merkt doch keiner. Und Goldberg schon gar nicht.«

Hauke nickte vage. Er hatte beobachtet, wie sein neuer Chef seinen Bildschirm gleich zu Anfang an den Rand des Schreibtisches geschoben hatte. Sein bester Freund war der PC jedenfalls nicht.

»Erst war ich nur neugierig. Aber dann bin ich da auf eine merkwürdige Sache gestoßen.« Peter beugte sich vor. »Letztes Jahr«, flüsterte er, »war er beurlaubt. Und zwar für volle zwölf Monate. Keiner weiß, was er in dieser Zeit gemacht hat. Eigentlich sollte er in Berlin befördert werden, aber irgendetwas ist passiert, und man hat ihn freigestellt.«

»Zwölf Monate?«

»Ja. Keine Suspendierung. Beurlaubt war er. Da ist doch was im Busch!«

»Vielleicht was Privates«, mutmaßte Hauke.

»Oder er hat Mist gebaut. Und ist gar nicht so freiwillig hier, wie er behauptet.«

Hauke ging es ähnlich wie Peter. Der hagere Hauptkommissar war ihm von Anfang an seltsam vorgekommen. Die kurz geschorenen Haare, die stechenden braunen Augen und sein schräger Sinn für Humor. Aber am meisten irritierte Hauke die Ruhe, die von Goldberg ausging. Nichts schien den Kerl aus dem Konzept bringen zu können, so als wäre er allen anderen mindestens um zehn Schritte voraus. Hauke wusste nicht, ob er sich an seinen neuen Chef gewöhnen würde, und fragte sich, wie es wohl wäre, mit ihm zu Rosi zu gehen und ein paar Bier zu kippen. Wie viele würde er wohl brauchen, damit seine Fassade die ersten Risse bekam?

Plötzlich öffnete sich die Glastür wieder, und Hauke schreckte aus seinen Gedanken auf. Überrascht sah er Goldbergs Kopf, der sich durch den Spalt geschoben hatte, und fühlte sich, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem erwischt.

»Ach, und Thomsen: Morgen, acht?«, rief Goldberg ihm zu.

Irritiert starrte Hauke seinen Chef an.

»Acht?«, fragte Goldberg, als litte Hauke an einer Art angeborener Begriffsstutzigkeit. »Reicht das?«

Hauke gefiel der Ton gar nicht, aber er musste zugeben, dass er keinen blassen Schimmer hatte, worüber sein Chef sprach.

»Bier?«, fragte Hauke und kapierte zeitgleich, dass diese Frage nicht gerade für ihn sprach.

»Wieso Bier?«, fragte Goldberg unweigerlich zurück.

»Acht Bier?«, fragte Hauke, unfähig diese unsägliche Unterhaltung zu unterbrechen.

»Thomsen! Es ist noch keine vier.«

Fast erleichtert spürte Hauke, wie die Hitze in sein Gesicht schoss. Ein Umstand, der ihn endlich verstummen ließ.

»Holen Sie mich morgen um acht ab? Das liegt doch auf Ihrem Weg, oder?«, erklärte Goldberg.

Allmählich dämmerte Hauke, worum es ging. »Ähm, ja«, stammelte er. »Klar.«

»Hervorragend. Dann bis morgen.«

Goldberg wandte sich zum Gehen, überlegte es sich aber doch noch einmal anders. »Ach, und Thomsen«, sagte er und zwinkerte ihm zu. »Bei mir sind es fünf Bier. Aber ich trinke nie mehr als zwei. Schönen Abend, die Herren.«

Hauke starrte auf die Tür, die hinter Goldberg erneut ins Schloss fiel. Er entschied sich, von nun an keine dummen Fragen mehr zu stellen, aber mit einem Blick zu Peter wurde ihm klar, dass das unmöglich war.

3

Man konnte die Uhr danach stellen. Johan Bachmann stand jeden Morgen um Punkt sieben Uhr auf. Und wie immer betrat er auch heute eine gute Stunde später die Küche. Doch es war nicht wie immer. Als er den britischen Langhaarcollie auf dem Küchenboden liegen sah, beschleunigte sich sein Puls geringfügig. Das Tier regte sich nicht. Die Augen starrten ins Leere. Der Mann griff sofort zum Telefon und rief zuerst die Polizei und dann den Tierarzt an. Als er den Hörer wieder aufgelegt hatte, setzte er wie gewohnt den Kaffee auf. Frau Deterding hasste es zu warten. Ihre tägliche Routine am Morgen war sehr wichtig für sie und inzwischen auch für ihn. Als er ihr eine Viertelstunde später den Kaffee servierte, berichtete er ihr von dem Todesfall, der sich in der Küche ereignet hatte. Obwohl Hilde Deterding dieses Tier geliebt hatte, weinte sie nicht. Ein trauriges Nicken war alles, was Johan Bachmann an Emotionen zu sehen bekam.

Etwa zur selben Zeit stieg Goldberg zu Thomsen in den ampelgrünen Jetta und sein Blick fiel sofort auf das Hawaiihemd seines Kollegen.

»Hübsches Outfit«, staunte Goldberg, wobei er ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.

»Da will man einmal zum Frühstück ein Ei essen, und dann saut man sich die ganze Uniform damit ein. Verfluchte Scheiße!«

Goldberg nickte verständnisvoll, aber Thomsen war noch nicht fertig und ließ sich lautstark über die Konsistenz von Frühstückseiern aus. Goldberg beeindruckte Thomsens Schneid, diese wagemutige Kombination im Dienst zu tragen. Selbst in dem verwaschenen Zustand waren auf dem Hemd die großflächigen Palmen und neonfarbenen Surfbretter mehr als deutlich zu erkennen. Die hellrote Hose griff die Grundfarbe des Oberteils perfekt auf und komplementierte das Ensemble. So viel Stilsicherheit hatte er Thomsen gar nicht zugetraut. Dieser bemerkte Goldbergs Blick und unterbrach seine Tirade.

»Waschtag«, sagte er, als wäre das eine plausible Erklärung für seinen Aufzug.

Goldberg fragte sich, wo man so etwas heutzutage noch kaufen konnte. Sicher im Internet, dachte er und war froh, diesem verführerischen Wesen weitestgehend erfolgreich entkommen zu sein.

»Verstehe«, erwiderte er.

Thomsen hatte sich wieder beruhigt und wollte gerade den Wagen starten, als ein ohrenbetäubendes Geschrei Goldberg zusammenzucken ließ.

»Was in Gottes Namen ist das?«

»Mein Handy«, erklärte Thomsen stolz und fischte es aus der Hosentasche. »Hab ich selbst aufgenommen. Am Strand von Büsum. Das Vieh war ein echtes Schmuckstück.«

Bevor er die SMS öffnen konnte, erklang das Geräusch noch einmal, diesmal fast doppelt so laut. Und jetzt erahnte Goldberg auch, wer oder was diesen flächendeckenden Lärm verursachte. Die Möwe klang ähnlich vorwurfsvoll wie die Schafe auf dem Deich, fand er, sagte aber besser nichts.

»Die ist von Peter«, sagte Thomsen. »Wir müssen zur Deterding. Bachmann hat im Revier angerufen. Hektor ist tot.« Thomsen schaute von dem Display auf. »Scheiße, die Alte hatte recht.«

»Herr Thomsen«, sagte Goldberg und betrachtete seinen Mitarbeiter, »ich finde, Sie sollten langsam einen angemesseneren Ton anschlagen.«

»Ja, ’tschuldigung«, murmelte er und räusperte sich verlegen, »ich meinte, Frau Deterding.«

»Geht doch, dann geben Sie Gas.«

»Immer gerne.«

Wie befürchtet schoss Hauke über die Landstraßen, als wollte er beweisen, dass sein alter Wagen noch genauso gut funktionierte wie jeder andere auch. Dass Goldberg das nie angezweifelt hätte, interessierte ihn nicht. Zum Glück war der Hof nicht sehr weit von Goldbergs neuem Haus entfernt, für ländliche Verhältnisse jedenfalls. Hier waren zehn Kilometer keine Entfernung. Der Hof lag etwas abseits. Eine lange Auffahrt führte zum Anwesen. Goldbergs Blick schweifte über unzählige Apfelbäume, und Thomsen erzählte ihm, dass Hilde Deterding die Felder verkauft und nur das Haus behalten hatte. Er lenkte den Wagen den schmalen Schotterweg entlang und hielt neben einem Geländewagen.

»Der Tierarzt«, sagte Thomsen und deutete auf den dunklen Pick-up.

Das weiß gekalkte Haus mit dem hellbraunen Reetdach war riesig und strahlte Behaglichkeit aus. Goldberg hatte schon einige von diesen Reetdächern in der Gegend gesehen und sie jedes Mal bewundert. Überhaupt schien das Haus erst vor Kurzem aufwendig saniert worden zu sein. Auf der linken Seite stand ein deutlich kleineres Gebäude, das wahrscheinlich früher als Hofladen genutzt worden war.

»So, da wären wir. Obsthof Deterding«, sagte Thomsen, hörbar bemüht, sachlich zu klingen.

»Imposant«, murmelte Goldberg.

»Kann man so sagen.«

Goldberg öffnete die Wagentür und stieg aus. Beeindruckt blieb er vor dem Haus stehen und betrachtete es. Es war wirklich ein schöner, altehrwürdiger Hof.

»Das Reet ist neu, wenn es so hell ist, oder?«, fragte Goldberg, ohne den Blick abzuwenden.

»Jep«, erklärte Thomsen. »Die feine Dame kommt ursprünglich von Sylt. Die mussten damals das ganze Haus umbauen, weil sie unbedingt ein Reetdach haben wollte. Haben sogar einen Dachdecker von dort geholt. Damit sie sich auch ja heimisch fühlt. Und vor einem Jahr hat sie die ganze Mannschaft wieder antanzen lassen.«

Goldberg drehte sich zu ihm um. Sein Kollege lehnte am Wagen. Im Stehen sah die hawaiianische Kombination noch eindrucksvoller aus.

»Kommen Sie, Magnum, sehen wir uns das mal an«, sagte Goldberg und ging auf das Haus zu.

»Sehr witzig, Chef.«

»Nichts für ungut, Thomsen. Aber Ihr Aufzug schreit geradezu danach. Und das meine ich wörtlich. Ich kann dieses Hemd hören, laut und deutlich.«

»Dann hören Sie einfach nicht hin«, brummte Thomsen.

Die beiden Männer stiegen den steinernen Treppenabsatz hinauf. Die dunkelrote Holztür wurde von einem wuchtigen goldenen Löwenkopf geziert, aus dem sie zwei grimmig dreinblickende Augen anstarrten. Unbeeindruckt nahm Thomsen den Ring, den der Löwe in seinem Maul hielt, und schlug ihn gegen die Tür.

»Sylt«, bemerkte er mit einem Zungenschnalzen. »Die da oben haben alle einen Schatten.«

»Ich war noch nie dort«, entgegnete Goldberg.

»Da haben Sie auch nichts verpasst. Vertrauen Sie mir, entweder schmierige Bonzen oder Naturfreaks in grellen Windjacken.«

»Oh, ich dachte, Sie mögen es grell?«

»Dünnes Eis, Herr Goldberg«, erwiderte Thomsen, wobei der mürrische Gesichtsausdruck nicht so recht zu dem Gute-Laune-Outfit passte.

Goldberg stellte sich seinen Kollegen am Strand von Hawaii vor, doch mit diesem Gesicht würde er es nie in einen Reisekatalog schaffen. Eigentlich hatte Goldberg sich heute Morgen bei ihm entschuldigen wollen. Er hatte nicht vorgehabt, ihn durch seine Bemerkung über die Anzahl der Biere bloßzustellen. Aber manchmal machte es Thomsen einem wirklich schwer, die richtige Entscheidung zu treffen.

Die Haustür wurde geöffnet, und Goldberg hob den Kopf. Er schätzte den Mann, der jetzt vor ihnen stand, auf Mitte siebzig. Er sah aus, als würde er regelmäßig Sport treiben. Die dunklen Haare waren voll und grau meliert. Seine Augen blickten sie aus dem straffen Gesicht aufmerksam an.

»Herr Thomsen, schön, dass Sie so schnell kommen konnten«, sagte er und ließ den Blick über die fehlende Uniform des Polizisten gleiten, ohne den ungewöhnlichen Aufzug jedoch zu kommentieren. Seine Stimme war dunkel und samtig.

»Und Sie sind sicher Herr Goldberg?«, wandte er sich an den Kommissar.

»Ja. Philip Goldberg. Und Sie sind Johan Bachmann?«

»Ja. Kommen Sie bitte herein.«

Der Mann machte die Tür auf und gab den Blick auf eine riesige Diele frei. Im ersten Augenblick war Goldberg überrascht. Die Großzügigkeit des Raumes täuschte über die Dunkelheit hinweg. Doch beim Eintreten spürte er die beklemmende Spannung sofort. So behaglich es von außen gewirkt hatte, so kalt wirkte es innen. Der gepflegte Terrazzoboden hellte den dunklen Raum zwar ein wenig auf, aber die Holztreppe aus Eiche, die in der Mitte der Diele thronte, überschattete alles. Die wuchtigen dunkelbraunen Antiquitäten taten ihr Übriges. Goldberg war es, als würde ihm buchstäblich die Luft zum Atmen genommen. Er machte sich eine gedankliche Notiz und folgte Johan Bachmann, der sie an der breiten Treppe vorbei in die Küche führte, die den gleichen Bodenbelag wie die Diele hatte.

Die Männer kamen nur zwei Schritte weit, denn vor ihnen auf dem Boden lag der tote Hund. Ein etwas dicklicher Mann beugte sich gerade über das Tier und schien es zu untersuchen. Die Hose war ihm so weit nach unten gerutscht, dass nicht nur sein Rücken zu sehen war. Taktvoll wandte Goldberg den Blick ab.

»Das ist Dr. Holthusen. Der Tierarzt. Ich habe ihm Bescheid gegeben«, erklärte Bachmann und trat zur Seite an die marmorne Arbeitsplatte in der Mitte der Küche.

Der fremde Mann sah auf.

»Moin«, sagte er und nickte den Neuankömmlingen zu.

Thomsen brummte etwas Unverständliches. Wenn man hier in der Gegend aufgewachsen war, kannte man sich und machte anscheinend nicht viel Aufhebens davon. Goldberg hingegen erwiderte sein Nicken und stellte sich kurz vor.

»Kein Zweifel. Der arme Hektor ist tot. Ohne ihn genauer anzusehen, tippe ich auf Altersschwäche«, erklärte der Arzt ohne Umschweife.

Goldberg wollte gerade etwas sagen, als er Thomsen neben sich schnauben hörte. »Und deshalb rufen Sie uns?«

Nach Thomsens Frühstücksei-Desaster fügte sich ein altersschwacher Hund nicht unbedingt gut in seinen Montagmorgen ein. Vorsichtshalber legte Goldberg ihm die Hand auf die Schulter. Thomsen zuckte, blieb aber ruhig.

»Sind Sie sicher, Dr. Holthusen?«, fragte Goldberg.

Ein freundliches Lächeln huschte über das Gesicht des Tierarztes. »Ich müsste ihn erst untersuchen. Aber warum fragen Sie?« Er wandte sich wieder seinem Patienten zu.

»Reine Routine«, antwortete Goldberg. »Seien Sie bitte so freundlich und bestimmen Sie die Todesursache genau.«

»Wie Sie wollen«, sagte Holthusen. »Aber Hektor war alt. Wie alt war er, Johan?«

Die drei sahen den großen Mann an. »Neunzehn Jahre, drei Monate und zwei Tage.« Die Antwort kam so schnell und exakt, als hätte er es eben erst in seinen Haushaltsbüchern nachgeschlagen. Goldberg betrachtete ihn. Schwarzer Anzug, weißes Hemd. Sehr förmlich.

»Das ist schon fast unnatürlich alt für einen Hund. Selbst bei der guten Pflege.« Holthusen lachte laut.

»Trotzdem. Rufen Sie mich an, wenn Sie das Ergebnis haben«, bat Goldberg.

Er nahm eine von seinen brandneuen Visitenkarten aus der Innentasche seines Leinensakkos und reichte sie dem Tierarzt. Leicht irritiert steckte dieser sie in seine Arzttasche.

»Mach ich«, erwiderte er.

Immer noch auf dem Boden kniend zog er nun mühsam einen schwarzen Müllsack aus seiner Tasche. Johan Bachmann kam ihm ohne ein Wort zu Hilfe. Die beiden schienen sich gut zu kennen. Goldberg sah zu Thomsen, der sich jedoch nicht von der Stelle rührte. Erst als die beiden Männer den Kadaver aus der Küche trugen, griff er beiläufig nach einem Messer, das auf der Arbeitsplatte lag, und reinigte seine Fingernägel.

»Verfluchtes Eigelb. Setzt sich überall fest.«

Goldberg überlegte kurz, ob dieses Verhalten sein Eingreifen erforderte, entschied sich aber dagegen. Thomsen war ein erwachsener Mann. Und er schließlich nicht seine Mutter.

»Können wir jetzt zum Revier zurück? Wie Sie wissen, habe ich heute Morgen noch kein richtiges Frühstück gehabt.«

»Ich möchte noch mit Frau Deterding sprechen.«

Thomsens Antwort war ein leises Stöhnen, während er sorgfältig das Ergebnis seiner Nagelreinigung überprüfte. Goldberg verstand ihn. Für seinen Mitarbeiter war das nichts weiter als ein toter Hund, der nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Aber es steckte mehr dahinter, das spürte er ganz deutlich. Dieses Buch allein machte noch keinen Fall, auch wenn es eine kryptische Widmung enthielt. Aber dass ihr Hund genau einen Tag später verstarb, war sehr ungewöhnlich. Goldberg hatte noch nie an Zufälle geglaubt. Hier wollte jemand ganz offensichtlich Angst verbreiten. Und dieser Jemand schreckte auch vor der Tötung eines Hundes nicht zurück.

Während die beiden anderen Männer den Hundekadaver in den Pick-up des Tierarztes luden, sah der Kommissar sich in der modernen, aber auf alt getrimmten Küche um. Er konnte nichts Auffälliges entdecken, keine Spuren, die sein Interesse weckten. Nicht einmal Blut auf dem Boden. Ein paar Minuten später kam Johan zurück. Sein Anzug hatte etwas gelitten, und er versuchte vergeblich, ihn glatt zu streichen.

»Ich würde gerne mit Frau Deterding sprechen«, sagte Goldberg.

»Ja, natürlich. Kommen Sie bitte mit.«

Bachmann durchquerte die Diele und führte sie die Treppe hinauf. Der breite Flur war mit hellem Teppich ausgelegt. Vor der dritten Tür blieben sie stehen. Bachmann klopfte und wartete, bis eine Stimme von innen zu ihnen drang.

»Ja?«

»Hier sind zwei Herren von der Polizei.«

Kurz darauf öffnete Hilde Deterding die Tür.

»Danke, Johan«, sagte sie und bat die Polizisten herein.

Wie einem anderen Jahrhundert entsprungen, verneigte Bachmann sich kurz und trat den Rückzug an.

Goldberg folgte der alten Dame und betrat das Zimmer. Thomsen blieb demonstrativ im Türrahmen stehen. Es roch muffig, und mit einem Blick erkannte Goldberg auch den Grund dafür. Es war voller Bücher. Sie standen dicht gedrängt in den Regalen, stapelten sich auf dem großen Tisch in der Mitte und lagen sogar aufgeschlagen auf dem Boden verteilt. Die Unordnung überraschte ihn. Er hatte Hilde Deterding für eine penible Frau gehalten. Der Spruch Ordnung ist das halbe Leben hätte sehr gut zu dem Bild gepasst, das Goldberg sich am Vortag von ihr gemacht hatte. Vor dem breiten Bücherregal drehte sie sich zu ihnen um, und als sie Thomsen erblickte, verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. Goldberg ahnte nichts Gutes.

»Hauke, gibt es eine neue Kleidungsverordnung bei der Polizei, oder haben sie endlich deine kriminelle Ader entlarvt und dich entlassen?«, fragte sie und sah ihn missbilligend an.

Thomsen öffnete den Mund, aber Goldberg hinderte ihn daran, zu antworten. »Wie geht es Ihnen, Frau Deterding?«, fragte er schnell.

Sie zog den Morgenmantel noch fester um sich, als wollte sie ihren Körper vor fremden Blicken schützen.

»Den Umständen entsprechend. Entschuldigen Sie meinen Aufzug. Heute Morgen war alles etwas anders als sonst.«

»Das kommt mir bekannt vor«, murmelte Thomsen kaum hörbar.

»Wir möchten nicht lange stören. Haben Sie vielleicht etwas Ungewöhnliches bemerkt?«

»Nein. Ich schlafe dank einiger Pillen sehr gut. Bis mich Johan heute Morgen geweckt hat.«

»Und gestern Abend?«

»Bedaure, Herr Kommissar.« Sie schüttelte den Kopf, und als sie Goldbergs skeptisches Gesicht bemerkte, fragte sie: »Sie glauben mir doch, oder?«

»Sagen wir, ich glaube, dass etwas Seltsames bei Ihnen vor sich geht. Wer hat alles einen Schlüssel zu Ihrem Haus?«

»Die Angestellten natürlich, und meine Kinder. Sonst niemand.«

»Gab es jemanden, der Hektor nicht leiden konnte? Vielleicht ein Nachbar oder sonst jemand mit einer hundefeindlichen Gesinnung?«

»Nicht, dass ich wüsste, Herr Kommissar. Aber das tut hier auch nichts zur Sache. Sie wissen, dass es einzig und allein um mich geht, oder?«

»Keine Sorge, wir ermitteln gründlich. Geben Sie mir Bescheid, wenn Ihnen noch etwas einfällt.«

Sie verabschiedeten sich, und am Fuße der Treppe wartete Johan bereits, um die beiden Polizisten wieder in Empfang zu nehmen. Goldberg verharrte einen Augenblick und ließ die Atmosphäre des Hauses auf sich wirken. Auch wenn die Familie hier drei Kinder großgezogen hatte, strahlte es absolut keine Wärme aus. Ganz im Gegenteil. Streng und diszipliniert waren die Attribute, die es am treffendsten beschrieben. Ebenso wie Johan Bachmann. Ein elegant gekleideter Hausangestellter, schweigsam und pflichtbewusst.

Unten angekommen, blieb Goldberg auf der letzten Stufe stehen. »Sie haben das Buch gefunden?«

Johan nickte.

»Ist Ihnen gestern oder auch heute Morgen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nein. Gar nichts.«

»Wer arbeitet außer Ihnen noch hier?«

»Der Gärtner und die Haushälterin.«

»Thomsen, schreiben Sie doch bitte die Namen der beiden auf. Nur zur Sicherheit.«

Hilflos tastete Thomsen seine Kleidung ab. Da er seine Uniform nicht trug, hatte er auch nichts zu schreiben dabei. Bachmann griff in seine Anzugjacke und holte Papier und einen Kugelschreiber hervor. Bereitwillig notierte er die Namen und reichte Thomsen den Zettel. Mit einem betretenen Nicken nahm der Polizist das Papier entgegen und stopfte es in die winzige Tasche seiner Hose. Danach begleitete Bachmann sie zur Haustür und sie verabschiedeten sich.

Im Wagen angekommen, schnallte sich Goldberg an. Mehrmals überprüfte er den Verschluss seines Gurtes.

»Und nu?«, fragte Thomsen.

»Ich möchte trotzdem noch zu Ana-Maria Teichmann.« Er spürte Thomsens Blick.

»Herr Goldberg, jetzt mal Butter bei die Fische.« Thomsen machte eine kleine Pause, um Luft zu holen. »Das führt doch zu nichts. Die Al… ich meine … Frau Deterding bildet sich das doch bloß ein. Und der tote Hund war altersschwach. Sie können doch deswegen keine Ermittlungen einleiten.«

»Stellen Sie sich einmal vor«, erwiderte Goldberg, »jemand versucht, die alte Dame umzubringen. Wäre das nicht endlich mal ein aufregender Fall?« Thomsen setzte zu einer Antwort an, doch Goldberg fuhr ihm über den Mund. »Und sagen Sie jetzt bloß nicht, wir hätten keine Zeit für so etwas. Kophusen ist nicht gerade ein Mekka für Kriminelle. Glauben Sie mir, Thomsen, Sie haben hier die einmalige Chance, einen Mord zu verhindern. An wie vielen Mordermittlungen waren Sie bislang beteiligt?«

Thomsen zuckte mit den Schultern. »An keiner.«

»Passen Sie auf, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wenn sich herausstellt, dass wir einer fixen Idee nachjagen, gebe ich einen aus. Bei ihrer geliebten Rosi.«

Die Mundwinkel seines Gegenübers wanderten nach oben. »Abgemacht. Sie laden mich und Peter ein.«

»Wir haben einen Deal.«

»Sie können schon mal anfangen zu sparen. Das wird nicht billig.«

»Warum überrascht mich das nicht?«

»Weil Sie ein schlaues Kerlchen sind, Chef.«

Für den Augenblick war Thomsen besänftigt. Zufrieden startete er den Wagen, und sie fuhren vom Hof. Während Thomsen das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekam, telefonierte Goldberg mit Brandt und ließ sich die genaue Adresse von Ana-Maria Teichmann geben. Thomsen nickte und bog auf die Hauptstraße Richtung Glückstadt ab.

Ihr Weg führte sie an Wiesen vorbei, auf denen entweder Schafe, Pferde oder Kühe grasten. Aus den Gräben links und rechts der Straße ragte das Schilf. Es war ein malerischer Anblick.

»Viel Gegend«, bemerkte Goldberg.

»So was gibt es in Berlin nicht, was?«

»Nein.«

»Hoffentlich gewöhnen Sie sich dran.«

»Das ist der Grund, warum ich hier bin.«

Goldberg spürte, dass seinem Kollegen die logische Frage nach dem Warum auf der Zunge lag. Doch er stellte sie nicht. Entweder war er zu höflich, oder er traute sich nicht. Da Goldberg Thomsen bisher nicht als besonders höflich erlebt hatte, ging er von Letzterem aus. Schweigend fuhren sie weiter.

Hinter einem Teichgebiet, das sicher unter Naturschutz stand, hielten sie vor einem Haus, das mindestens dreimal so groß war wie Goldbergs. Thomsen parkte den Wagen in der Auffahrt, und die beiden Männer stiegen aus.

»Ihr Mann ist Immobilienmakler«, erklärte Thomsen.

»Scheint gut zu laufen für ihn.«

Sie gingen die Auffahrt hinauf. Thomsen klingelte an der Haustür, und eine dürre Frau öffnete ihnen. Ihr dunkles Haar war zu einem lockeren Knoten zusammengesteckt. Es sollte lässig wirken, aber man merkte, dass sie viel Mühe und Zeit darauf verwendet hatte. Ebenso wie für ihre Kleidung. Sie sah aus, als erwartete sie Besuch.

Goldberg hielt ihr seinen nagelneuen Dienstausweis unter die Nase. Doch die Frau beachtete ihn gar nicht. Sie hatte nur Augen für Thomsen.

»Mein Name ist Goldberg. Philip Goldberg, und das ist mein Kollege Herr Thomsen.«

»Hauke und ich kennen uns, seit ich denken kann«, sagte sie, ohne den Blick von Thomsen zu wenden. »Hat meine Mutter dich deswegen aus dem Urlaub geholt?«, fragte sie.

Thomsen schien zu wissen, dass es eine rhetorische Frage war, denn er bemühte sich nicht zu antworten.

»Können wir kurz reinkommen?«, fragte Goldberg.

Wortlos führte sie die beiden Polizisten ins Wohnzimmer. Die Einrichtung war zu modern für Goldbergs Geschmack. Alles sah achtlos zusammengewürfelt aus. Die alleinige Gemeinsamkeit schien der horrende Preis zu sein.

»Ich kann mir denken, warum Sie hier sind. Ich habe schon davon gehört. Mein Vater ist mal wieder auferstanden.«

»Wer hat Sie informiert?«, fragte Goldberg, obwohl er die Antwort bereits kannte.

»Johan hat mich gerade angerufen. Er ist die gute Seele des Hauses. Wenn man es genau nimmt, auch die einzige.«

Sie setzte sich auf einen der weißen unförmigen Sessel und nahm ein goldenes Etui vom Glastisch.

»Möchten Sie?«

Goldberg lehnte dankend ab, während Thomsen sichtlich zögerte. Schließlich schüttelte er den Kopf. Sie zündete sich eine Zigarette an.

»Jeder schaufelt sich sein eigenes Grab«, sagte sie und legte das Etui zurück auf den Tisch.

»Ihre Mutter fühlt sich bedroht und hat uns um Hilfe gebeten«, sagte Goldberg.

»Bedroht.« Ihr entfuhr ein bitteres Lachen. »Sie glaubt, mein Vater würde ihr aus dem Jenseits zuschauen. Das geht schon die ganze Zeit so. Jetzt schickt er ihr sogar schon Bücher. Ihre Ideen werden immer origineller, so viel muss ich ihr lassen. Das letzte Mal hat er angeblich ihren morgendlichen Haferbrei vergiftet.«

»Und? Hat er?«

Sie warf Goldberg einen misstrauischen Blick zu. »Sie lebt noch, oder?«

»Wer war es Ihrer Meinung nach dann?«

»Niemand. Wie schon gesagt, der Haferbrei war nicht vergiftet. Sie will Aufmerksamkeit, das ist alles.«

»Machen Sie sich keine Sorgen?«

Sie zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette. Es schien ihr völlig egal zu sein.

»Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter?«

»Ich wünschte, es hätte sie anstelle meines Vaters erwischt. Sagt das genug über unser Verhältnis aus?«

Die Kälte, die aus diesen Worten sprach, ließ Goldberg erschauern. »Und Ihre Geschwister?«

»Georg ist ein Muttersöhnchen. Wenn Sie jemanden suchen, der sie mag, sollten Sie mit ihm sprechen.«

»Und Ihre Schwester?«

»Halbschwester.« Sie machte eine kurze Pause. »Luise lebt in Neuseeland. Keiner hat Kontakt zu ihr. Das sagt doch wohl alles, oder?«

»Halbschwester?«, hakte Goldberg nach.

»Wissen Sie nicht, was das ist? Mein Vater ist nicht ihr leiblicher Vater. Wir haben das große Glück, uns diese einzigartige Mutter zu teilen.«

»Woher wissen Sie, dass sie nur Ihre Halbschwester ist?«

»Ein Gerücht, das in meinen Ohren sehr glaubwürdig klingt.«

»Haben Sie dafür Beweise?«

»Nein, leider nicht.«

»Was ist der Grund für Ihre starke Abneigung gegen Ihre Mutter?« Goldberg bemühte sich, neutral zu klingen.

Ein Zucken huschte über ihr Gesicht. Es war so schnell verschwunden, wie es gekommen war. Hastig drückte sie die Zigarette in dem Aschenbecher aus. »Manche Frauen sind einfach nicht dafür gemacht, Mutter zu werden. Sie sollten es lieber lassen.«

»Und Ihre Mutter ist so eine Frau?«

»Ja.« Sie stand auf. »Ist das alles? Ich habe noch ein paar Besorgungen zu erledigen.«

»Vorerst ja. Vielen Dank, Frau Teichmann.«

Ana-Maria Teichmann machte sich nicht die Mühe, sie zur Tür zu bringen, sondern verschwand über die weiße Treppe nach oben. Schweigend verließen die beiden Polizisten das Haus und setzten sich in den Jetta. Goldberg war ein wenig entsetzt. Aber was hatte er erwartet?

»Nicht gerade das, was man eine liebende Tochter nennt«, brach Thomsen das Schweigen.

Goldberg konnte nicht anders, als seinem Kollegen zuzustimmen.

»Was muss passieren, um so viel Hass in sich zu haben?«

»Ist eben nicht alles Gold, was glänzt.«

»Ich möchte, dass Sie alles über diese Familie in Erfahrung bringen, Thomsen.«

Er drehte sich zu seinem Chef um. »Sie glauben wirklich, dass jemand sie umbringen will, oder?«

»Haben Sie Kinder?«, fragte Goldberg.

»Nein. Geschieden.«

»Ein schwieriges Verhältnis zu den eigenen Eltern ist eine Sache. Aber dieser Hass hat etwas Beklemmendes. Finden Sie nicht?«

»Kann schon sein. Aber wundert Sie das? Bei der Mutter?«

»Nicht im Geringsten. So, und nun fahren wir zurück aufs Revier.«

Gut dreißig Minuten später saß Thomsen zufrieden an seinem Schreibtisch und trank aus seinem Lieblingsbecher. Goldberg lehnte in der Küchentür und knabberte an einem von den Haferkeksen, die Brandt jeden Tag mitbrachte.

»Brandt, Sie bringen bitte das Buch ins Labor.«

Brandt, der gerade genüsslich in seinen Haferkeks gebissen hatte, verschluckte sich und musste husten.

»Nach Kiel?«, fragte er, nachdem er die Krümel zurück in die Speiseröhre befördert hatte.

»Ja.«

»Das ist eine Stunde Fahrt. Und was soll ich denen sagen? Die lachen mich ja aus«, entgegnete Brandt.

»Bauschen Sie die Geschichte auf oder denken Sie sich meinetwegen eine aus.«

Goldberg war in Gedanken bei dem Hund. Es interessierte ihn nicht sonderlich, wie Brandt an die gewünschten Informationen kam.

»Das kann aber eine Weile dauern«, sagte Brandt.

»Das macht nichts. Anschließend fahren Sie bitte noch beim Haus von Frau Deterding vorbei und sehen nach dem Rechten.«

»Schon wieder?«

»Schon wieder.«

»Wie Sie wollen«, erwiderte Brandt, nahm den Plastikbeutel mit dem kleinen Buch vom Schreibtisch und ging wortlos hinaus. Goldberg nickte zufrieden und zog sich in sein Büro zurück. Nachdenken konnte er nur, wenn er allein war.

4

Hauke fuhr derweil seinen Rechner hoch. Auch wenn ihm diese sogenannte Ermittlung völlig überflüssig erschien, war alles besser, als bei dieser brütenden Hitze im Streifenwagen zu sitzen. Zumal die Klimaanlage nicht funktionierte. Sie hatten den Wagen schon x-mal zur Reparatur gebracht, aber Sören, der einzige Mechaniker in Kophusen, konnte nichts finden. Armer Peter, dachte er und goss sich frischen Kaffee aus der Kanne ein.

Als er wieder am Rechner saß, ließ er die Namen aller beteiligten Personen durch die interne Datenbank laufen. Aber außer ein paar Strafzetteln von Georg und Ana-Maria konnte er nichts finden. Er nippte an seinem Becher und klickte auf das Browsersymbol. Ein neues Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm. Er begann mit der Alten, obwohl er nicht erwartete, irgendetwas über die Verrückte zu finden. Er wollte sich nur nicht vorwerfen lassen, nicht gründlich genug recherchiert zu haben. Wie erwartet waren die Treffer unbedeutend. Als Nächstes tippte er die Namen der Kinder ein. Über die Frauen fand er nichts. Weder Ana-Maria noch Luise besaßen einen Account in einem der sozialen Netzwerke oder waren auf den Seiten von möglichen Arbeitgebern zu finden. Nur bei Georg hatte er Glück oder auch nicht. Je nachdem, wie man es sah. Als Erstes schlug die Suchmaschine die Seite seiner Bank vor. Hauke klickte sich durch die Homepage, bis Georg Deterdings Foto auf dem Bildschirm erschien.

»Muttersöhnchen.«

Die Alte hatte nie erfahren, dass Georg damals bei den sogenannten »Raubzügen« Schmiere gestanden hatte. Bis Johan ihn erwischte. Er hatte angefangen lauthals zu plärren und behauptet, Hauke hätte ihn dazu gezwungen. So ein Weichei! Bis zu jenem Tag waren sie beste Freunde gewesen, aber Verrat war etwas, das Hauke nicht verzeihen konnte.

Georg sah noch genauso aus wie damals. Dasselbe verlogene Lächeln, nur um ein paar Jahre gealtert. Hauke überflog den kleinen Text unter dem Foto, aber der enthielt nichts, was er nicht schon wusste. Georgs Frau wurde erwähnt, aber soweit er wusste, lebten die beiden bereits seit langer Zeit getrennt. Wahrscheinlich machte man das so, als guter Filialleiter einer angesehenen Bank. Hauke betrachtete den Mann auf dem Foto. Es war zum Kotzen. Er schüttelte den Kopf und gab den Namen von Georgs Frau in die Suchmaschine ein. Magda Deterding. Es war bloße Neugier, was für eine Frau wohl so dämlich gewesen war, so ein Weichei zu heiraten. Der erste Treffer war die Seite des Buchladens in Glückstadt. Stirnrunzelnd klickte er auf die Seite, und eine Reihe von Büchern baute sich vor ihm auf. Doch Bücher interessierten ihn nicht sonderlich. Also klickte er auf das Icon »Team«. Die Mitarbeiter der Buchhandlung waren fast ausnahmslos Frauen. Und unter ihnen befand sich tatsächlich eine Magda Deterding. Hauke vergrößerte das Bild und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er musste zugeben, dass sie ganz passabel aussah. Kein Schmuckstück, aber für einen langweiligen Bücherwurm doch ganz ordentlich. Plötzlich traf es ihn wie ein Blitz.