Elchritter - Elisabeth Schulz-Semrau - E-Book

Elchritter E-Book

Elisabeth Schulz-Semrau

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Beschreibung

Die zwölfjährige Anne ist ziemlich einsam in dem Ostseebad, in dem die Eltern jeden Sommer ein Ferienhaus mieten. Als die Jungen des Fischerdorfes sie ärgern, findet sie einen edlen Ritter, der sie beschützt und geduldig zuhört. Worüber sie mit den Eltern nicht sprechen kann, weil sie ja doch keine Zeit und kein Gespür für sie haben, das ist mit dem nur wenige Jahre älteren Markus möglich. Nur drei Tage Genesungsurlaub hat der junge Soldat im Samland, dann muss er zurück an die Ostfront. LESEPROBE: „Hören Sie“, sagte das Mädchen streng, „ich bin eins neunundfünfzig und - “ hier zögerte sie kurz, „zwölf!“ Das musste er ja nun wirklich sehen! Und dann der Badeanzug - zweiteilig nach endlosem Trotzkampf gegen die Mutter. Der junge Mann strich sich überrascht den Lockenschubs aus der Stirn und begann, was da vor ihm stand, zu sehen. Zöpfe bis zum Badehosenende, Farbe: Hafer, und wahrscheinlich von der voranqeqangenen Flucht so zoddrig. Braune schlenkrige Glieder, Lippen aufgeworfen, und die Augen, grau oder grün, hakten sich in den seinen fest. Also eine kleine kratzende Strandkatze. Es mochte Spaß machen, sie zu ärgern. Plötzlich jedoch waren die Zöpfe braun und die Augen braun, und die füllten sich mit Tränen, und zwei Fäuste trommelten ihm auf die Brust, als er fragte: „Und hat das Fräulein schon einen Bräutigam?“ Der Betrommelte war er beim letzten Urlaub - und das wütende Mädchen seine Lieblingsschwester Gesine. Da zog sich um seinen Mund ein Lächeln, und er verneigte sich. „Pardon“, sagte er, „habe das Fräulein unterschätzt, muss wohl nun Sie sagen?“ Dem Mädchen kroch eine Röte übers Gesicht, es wurde hilflos. „Ach, das bloß nicht“, sagte sie, „ich heiße , dabei begann sie aus dem Boot zu klettern, stand nun richtig neben dem Mann, reichte ihm bis nahe an die Schütten, „ich heiße Anne.“ Sie machte einen Knicks und hätte ihn am liebsten rückgängig gemacht, so, wie man schnell über Sand oder Schnee streicht, um Spuren zu verwischen. Wieder verbeugte sich der Mann. „Ich bin Markus!“ Er setzte sogar seinen Nachnamen dazu. Es wunderte ihn sofort. Ach Gott, dachte das Mädchen, Markus, das war doch so ein Biblischer mit Klapperlatschen - Almasor müsste er heißen oder Said oder Achmed. Wie selbstverständlich stapfte sie neben dem Mann die Düne hoch, merkte erst, was sie tat, als sie vor einem Bündel Kleidungsstücke stand, die, den Schuhen nach, ihrem Begleiter zu gehören schienen. Sie wollte umkehren, aber der Ritter bat sie, ihm Gesellschaft zu leisten.

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Seitenzahl: 54

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Impressum

Elisabeth Schulz-Semrau

Elchritter

Fast ein Märchen aus vergangenen Tagen

ISBN 978-3-86394-362-2 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 2008.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Elchritter

Das schönste der Meere ist jenes, das wir noch nicht sahen. Das schönste der Kinder ruht noch in bergender Wiege Die Tage, die schönsten, sind jene, die wir noch nicht lebten. Und was ich Dir sagen möchte, das Schönste, ich habe es noch nicht gesagt.

Nazim Hikrnet

„Ihr, ihr ekligen Bengels“, das Mädchen heulte vor Wut, es suchte nach Ausdrücken, die treffen sollten, dabei hatte es sogar zu laufen aufgehört, und die flüchtigen Fußabdrücke wurden an jenen Stellen sichtbarer, das Wasser blieb länger in ihnen stehen.

„Ihr Doofköppe, ihr ollen Ehemannspieler, ihr...“ Erneut klatschte eine gut gezielte Handvoll feuchten Sands schmerzhaft auseinandergespritzt auf den Rücken des Mädchens, hinterließ auf der braunen Haut Feuermale. Zweimal zwei Jungenbeine näherten sich, und eine Stimme, böse Freude verratend, brüllte heiser: „Los, jetzt Quallen, davor grault sie sich.“

Das Mädchen rannte wieder. Die Strandpromenade des Ostseebades Cranz lag weit zurück, und die Strandkörbe verloren sich nach und nach auf diesem Teil des grauen Gelb. Die Jungen gewannen an feuchtem Sandstreifen, und das Mädchen fühlte sich immer stärker von kopflosem Schrecken umhüllt. Da war ja nichts mehr. Nur Wasser, grau und unendlich. Nur Strand, gelb und unendlich. Mit dem Pochding in der Brust schlug die Angst Bilder hoch: Der eine der schrecklichen Bengels würde das eine Bein packen, ob das linke oder das rechte, wusste das Mädchen nicht; es wusste ja im Normalfalle nie gleich, wo links und rechts ist. Der andere würde den dazugehörenden Arm fassen und sie mit einem Ruck in das graue Gewoge werfen, das wie ein unduldsames Ungeheuer vor sich hinmurrte.

Oder. Sie kamen mit ihrern Mündern näher. Hungrige, große Jungenmünder. Das Mädchen schrie, lief. Die Verfolgerfüße platschten hinter ihm wie Flundern, die, günstig feilgeboten, auf einen Verkaufstisch geworfen werden. Wie nah denn waren sie?

Da stieß sie gegen etwas. Einen Menschen? Klammerte sich ohne Überlegung an diese Gestalt. Nur nicht hinter sich blicken. War gar nicht überrascht, als dann eine Stimme kam.

„Nun aber Schluss, ihr Strolche“, grollte die Stimme, „was seid denn ihr für welche? Und auf ein Mädchen! Wisst ihr es denn nicht, einem Mädchen muss man Schutz verschaffen!“

Die zwei Jungen, ungefähr vierzehnjährig, der eine hellschopfig, heute einziger Sonnenfleck am ergrauten Strand, der andere dunkelhaarig, rot und verschwitzt, hatten sich in wohlberechneter Entfernung breitbeinig vor dem Schutzengel des Mädchens postiert, mauserten, aber nur mit halber Lautstärke, was denn ihn das angehe und - Mädchen ja, aber nicht eine solche Zicke. Und was denn das sei: Einem Mädchen Schutz verschaffen? Dabei äfften sie den etwas singenden Tonfall des Mannes nach.

Das Mädchen hatte nun, da es sich beschützt spürte, den Menschen losgelassen, stand erschrocken über plötzliches Hilfesuchen bei einem völlig Fremden einige Schritte hinter ihm, musterte ihn aufmerksam. Ist ja ein richtiger Mann, dachte es, na, vielleicht auch nur beinahe ein richtiger, aber die Bengels hatten jedenfalls Respekt, das sah man, konnten ihr also nichts mehr tun! Das musste man ausnutzen! Sie machte eine halbe Drehung und warf den Jungen, so gut es ihre verheulte Stimmung zuließ, ein verächtliches „Phö“ über die Schulter, stakste dann, ein wenig unsicher noch, aber schon wieder mit der eigenen Haltung, die vorhin arg ins Schlinkern gekommen war, zu der Stelle hinüber, wo das Land der Urlauber zu Ende war und das der Fischer begann.

Soweit hatten die sie gejagt. Gerade gut! Hier war ihr liebster Platz. Da hatten sie ihr nur einen Gefallen getan.

So!

Wie ausgetretene Pantoffeln, groß, zuverlässig und verwittert, lagen die Boote am Strand. Einige waren bis in die Dünen gezogen. Dazwischen hingen, scharfen See -, Tang- und Teergeruch ausatmend, endlos lange Netze auf Stangen.

„Mein Labyrinth“ nannte es das Mädchen, ließ das By jedes Mal eine Weile in den geschürzten Lippen vibrieren. Sie kletterte in eines der Boote, setzte sich auf die schartige Holzbank, sah vor sich hin, um die Auseinandersetzung weiterhin im Auge zu behalten.

Die junge Mann stand jetzt dicht bei den Jungen, er schien mit ihnen zu verhandeln. Meinje, vielleicht verbündete er sich mit ihnen?

Aber nein, das würde er sicher nicht tun, wie der aussah … Ja, wie sah er eigentlich aus? fiel dem Mädchen ein.

Na, Badehose und groß. Braun, ziemlich sogar. Das Mädchen verglich mit ihren Armen. Nein, gegen den kam es nicht an, der war ja richtig negrig. Dann sah das Mädchen die Locken. Nicht solche kruschligen, von denen die Großmutter sagen würde: krause Haare, krauser Sinn.

Sondern solche, wie es mochte, und dann noch schwarz. Und wie er das gesagt hatte: Man muss einem Mädchen Schutz verschaffen! War fast wie im Kino oder dem Märchen. Jetzt hatte sie es zusammen: Der könnte ein Ritter sein.

Ein rotes Samtwams müsste er anhaben und silberfädige Kniehosen. Sein Pferd würde mit einer samtenen Decke bedeckt sein, daran ein Wappen, ein Falke vielleicht.

Ach, Falken hatten schon alle. Der sollte nicht haben, was alle haben. Sie würde ihm etwas ganz Besonderes sticken, das tat man ja wohl für seinen Ritter. Also einen Drachen vielleicht oder Lindwurm, wie das im Lesebuch hieß.

Das Mädchen zweifelte jedoch sofort, ob ihr das je gelingen würde, weil nämlich ein Drache schrecklich gekrümmt war, und beim Sticken verzodderten sich ihr meist die Fäden. Dass die immer Tiere nehmen müssen? Aber wenn’s schon so war... Also, wenn sie wählen sollte, sie nähme einen Elch! Das war, seit sie eines Abend einen aus den Dünen hatte kommen sehen, ihr verehrungswürdigstes Tier. Fiel Ihr auch gleich das Lied ein:

Abends treten Elche von den Dünen ziehen von der Palve an den Strand, wenn die Nacht wie eine gute Mutter leise deckt ihr Tuch auf Haff und Land.

Elchritter - ganz schön - aber roter Samt passte da nicht mehr. Weiß vielleicht: Weiß mit schwarz, wie die Ordensritter.

Da sah das Mädchen , dass die Jungen abzogen. Der Blonde riss mit der Fußspiize etwas vom schmutzig-olivenen Schaum hoch, versuchte ihn elegant ins Wasser zu schleudern, während der andere gleichgültig einen Kiesel flachüber zielte.

In dem Mädchen triumphierte es. Die sollten nur so tun. War alles Tünche. Geschlagen waren sie, und wie!

Nun kam auch ihr Ritten Na ja - ging eigentlich gar nicht ritterlich, zamperte so ein bisschen nach einer Seite, genau zu der hin, wohin er auch den Kopf neigte, hielt ihn also schief im Gehen.

Das Mädchen hörte das etwas stumpfe Pfeifen im Sand, das nackte Füße verursachen, wenn sie ihre Pfade suchen, und das ihr Immer dieses unangenehme Gefühl in den Zähnen machte. Sie gab sich Mühe, sehr uninteressiert vor sich hin zu sehen, ließ eine große Zehe am Bootsboden Rinnsale durch den schütteren Sand ziehen, spürte dabei jedes Körnchen, fuhr dann weiter die Bootsplanken hinauf.

„So, meine Kleine*', sagte die Singstimme, die ziemlich lief klang, „nun sind sie fort, deine Bedränger.“