15,99 €
Ein gefangener Prinz. Eine rachedurstige Königin. Und ein Kampf, der die Zukunft von Elfenheim für immer verändern wird.
Prinz Oak bezahlt bitter für seinen Betrug. Gefangen im eisigen Norden und an den Willen einer ungeheuerlichen neuen Königin gebunden, muss er sich ganz auf seinen Charme und sein Kalkül verlassen, um zu überleben. Währenddessen setzen Hochkönig Cardan und Hochkönigin Jude alles daran, den gefangenen Prinzen zurückzuholen. Und Oak selbst sieht sich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert: Soll er versuchen, das Vertrauen des Mädchens zurückzugewinnen, das er schon immer geliebt hat? Oder soll er Elfenheim gegenüber loyal bleiben und verraten, wie ihre Regentschaft beendet werden kann? Selbst wenn es Suren das Leben kosten könnte …
Als ein neuer Krieg heraufzieht und Verrat von allen Seiten droht, reichen Oaks strategisches Geschick und seine Intelligenz nicht aus, um alle, die ihm etwas bedeuten, vor dem Tod zu bewahren. Es bleibt nur die Frage, wen er dem Untergang weihen wird …
Die mit Spannung erwartete Fortsetzung der »Elfenerbe«-Reihe von #1-New-York-Times-Bestsellerautorin Holly Black!
Alle Bände der »Elfenerbe«-Reihe:
Elfenerbe – Der gestohlene Thron (Band 1)
Elfenerbe – Der gefangene Prinz (Band 2)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 497
Der gefangene Prinz
Aus dem Englischen von Anne Brauner
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Copyright © 2024 by Holly Black
Published in agreement with the author, c/o BARORINTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Prisoner’s Throne. A Novel of Elfhame«
bei Little, Brown and Company, New York
Aus dem Englischen von Anne Brauner
Lektorat: Carola Henke
Karte und Innenillustrationen: © Kathleen Jennings
Covergestaltung: Carolin Liepins, München
Cover art copyright © by Sean Freeman. Cover design by Karina Granda.
Cover copyright © by Hachette Book Group, Inc.
sh · Herstellung: AJ
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-30342-6V002
www.cbj-verlag.de
Für Joanna Volpe, die, wie ihr Nachname besagt, das Inbild einer bezaubernden, trickreichen Füchsin ist
Ich traf den Liebesschwätzer eines Abends auf einer Lichtung,
Er war schöner als alle anderen Männer jung,
Seine Augen schwärzer als Schlehe, seine Stimme süßer gar
Als das Dudeln des Dudelsacks vom alten Kevin in Coolnagar.
Mit holdem und freiem Herzen sollte ich zum Melken streben –
Weh mir! Weh mir! Die bittere Stunde nahm mir das Leben;
Während ich in seinen Armen glaubte, mein Liebhaber wäre sterblich,
Waren seine Lippen kalt und er blies Todesodem auf mich.
Woher er kam, das weiß ich nicht, war für seinen Schatten blind
Doch seufzend wiegte das Schilfrohr sich im Feenwind.
Der Gesang der Drossel verstummte, Nebel kroch über das Feld
Wir zwei blieben eng umschlungen – draußen blieb die Welt.
Ethna Carbery
»The Love-Talker«
Oak sprang mit den Hufen voran in seine Samthose.
»Habe ich Euch aufgehalten?«, fragte Lady Elaine vom Bett aus und in ihrer Stimme lag eine boshafte Befriedigung. Sie stützte den Kopf auf ihren Ellbogen und lachte leise. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis Ihr gar nicht mehr nach ihrer Pfeife tanzen müsst.«
»Stimmt«, sagte Oak geistesabwesend. »Nur noch nach deiner, oder?«
Sie lachte noch einmal.
Das Wams erst halb zugeknöpft, versuchte er verzweifelt, sich an den kürzesten Weg zu den Gärten zu erinnern. Er hatte sich fest vorgenommen, pünktlich zu sein, aber dann hatte sich die Gelegenheit ergeben, endlich das Ausmaß der Hochverratspläne zu ermessen, denen er seit einer Weile nachspionierte.
Ich verspreche Euch, Euch meine übrigen Getreuen vorzustellen, hatte sie gesagt, während sie ihre Finger unter sein Hemd gleiten ließ und es aus der Hose zog. Ihr werdet beeindruckt sein, wie nah wir an den Thron herankommen …
Indem er sich selbst, den Himmel und das Prinzip Zeit im Allgemeinen verfluchte, rannte Oak zur Tür.
»Beeilt Euch, Ihr Schlingel«, rief ihm eine der Wäscherinnen im Palast nach. »Es wird nicht gut aussehen, wenn sie ohne Euch beginnen. Und glättet Euer Haar!«
Er versuchte, seine Locken zu bändigen, während die Dienerschaft ihm rasch aus dem Weg ging. Oak konnte noch so erwachsen sein, im Palast von Elfenheim blieb er für immer der spitzbübische Junge mit den wilden Haaren, der Wachtposten dazu brachte, mit Rosskastanien zu spielen, und der Honigkuchen aus der Küche stibitzte. Das Elfenreich schloss seine Bewohner in Bernstein ein, und wenn man nicht aufpasste, vergingen hundert Jahre, während man gerade mal träge blinzelte. Deshalb fiel es nur wenigen Angehörigen des Kleinen Volkes auf, wie sehr sich der Prinz verändert hatte.
Wobei er gerade sehr viel Ähnlichkeit mit seinem früheren Ich hatte, als er durch den zigsten Gang jagte und seine Hufe auf dem Steinboden klapperten. Er wich nach links einem Pagen aus, der die Arme voller Schriftrollen hatte, und tauchte dann nach rechts ab, weil er sonst einen Beistelltisch mit einem vollgestellten Teetablett umgestoßen hätte. Anschließend wäre er beinahe mit Randalin, einem älteren Mitglied des Lebendigen Rats, zusammengeprallt.
Als Oak es endlich bis in die Gärten geschafft hatte, war er außer Atem. Keuchend warf er einen Blick auf die Blumengirlanden und Musiker, die Höflinge und die Feiernden. Kein Hochkönig, keine Hochkönigin in Sicht. Also konnte er vielleicht nach vorn gelangen, ohne dass jemand seine Verspätung bemerkte.
Doch bevor er in der Menge untertauchen konnte, packte seine Mutter Oriana ihn am Ärmel. Sie sah ihn streng an, und da ihre Haut normalerweise gespenstisch weiß war, machte sich die wütende Röte auf ihren Wangen sofort bemerkbar. Sie waren so rosig, dass sie zu ihren rosa Augen passten.
»Wo warst du bloß?« Sie legte die Finger auf sein Wams und richtete die Knöpfe.
»Ich habe die Zeit aus den Augen verloren«, gestand er.
»Wobei?« Sie wischte den Staub vom Samt, leckte einen Finger an und entfernte einen Schmutzfleck von Oaks Nase.
Er grinste sie liebevoll an und ließ sie gewähren. Solange sie noch den kleinen Jungen in ihm sah, forschte sie nicht weiter nach, in welche Schwierigkeiten er sich brachte. Er ließ den Blick über die Menge schweifen und suchte seinen Leibwächter. Tiernan würde wütend werden, wenn er Oaks Plan in seinem vollen Ausmaß begriff. Doch das war es wert, wenn er auf diese Weise eine Verschwörung ans Licht bringen konnte. Und Lady Elaine war so kurz davor gewesen, ihm die Namen der Eingeweihten zu nennen.
»Lass uns lieber schon zum Podest gehen«, sagte er zu Oriana, nahm ihre Hand und drückte sie.
Sie erwiderte den Händedruck schnell und mit strafender Härte. »Du bist der Erbe von Elfenheim«, sagte sie, als hätte er das noch nicht mitbekommen. »Es wird Zeit, dass du dich wie jemand benimmst, der herrschen könnte. Vergiss nie, dass du ebenso viel Furcht wie Liebe im Volk entfachen musst. Deine Schwester weiß das genau.«
Oak blickte wieder auf die Zuschauer. Er hatte drei Schwestern, aber er wusste genau, wen sie meinte.
Als er Oriana wie ein galanter Ritter den Arm bot, ließ sie sich so weit beschwichtigen, die Hand daraufzulegen. Oaks Miene war so ernst, wie sie es sich nur wünschen konnte. Das fiel ihm leicht, denn als sie losgingen, erschienen auch schon der Hochkönig und die Hochkönigin am Rande des Gartens.
Oaks Schwester Jude trug ein Gewand in der Farbe dunkelroter Rosen mit hohen Schlitzen an beiden Seiten, damit sie in ihrer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt war. Sie trug keine Waffe an der Hüfte, hatte aber ihr Haar zu den gewohnten Hörnern frisiert. Oak war sich fast sicher, dass sie einen kleinen Dolch darin versteckt hielt. Außerdem dürfte sie weitere Messer in ihrer Kleidung eingenäht und in den Ärmeln verborgen haben.
Obwohl sie die Hochkönigin von Elfenheim war und über ein ganzes Heer und Dutzende von Höfen befehligte, verhielt sie sich weiterhin so, als müsste sie jedes Problem selbst lösen – und als wäre Mord die beste Lösung für alle Probleme.
Cardan ging neben ihr, in schwarzen Samt gewandet, verziert mit Federn in einem noch tieferen Schwarz, die glänzten, als hätte man sie durch eine Öllache gezogen. Seine dunkle Kleidung betonte die schweren Ringe, die an seinen Fingern funkelten, sowie die einzelne Perle, die an seinem linken Ohr baumelte. Als er Oak zuzwinkerte, lächelte er zurück, obwohl er doch eigentlich ernst bleiben wollte.
Die Menge teilte sich, als Oak mit seiner Mutter am Arm weiter nach vorn ging.
Seine beiden anderen Schwestern waren unter den Zuschauern. Taryn, Judes Zwilling, hielt ihren Sohn fest an der Hand und versuchte, ihn abzulenken, damit er nicht wild umherlief, wie er es sicher eben noch getan hatte. Neben ihr kicherte Vivienne mit ihrer Partnerin Heather. Vivi zeigte mit dem Finger auf Angehörige des Kleinen Volkes im Publikum und flüsterte Heather etwas ins Ohr. Obwohl Vivi seine einzige Schwester war, die ebenfalls dem Kleinen Volk angehörte, fand sie am wenigsten Gefallen am Leben im Elfenreich. Den Klatsch und Tratsch bekam sie allerdings immer noch mit.
Im Licht der untergehenden Sonne bezogen der Hochkönig und seine Königin Stellung vor ihrem Hof. Als Jude Oak heranwinkte, wie sie es geübt hatten, wurde es leiser in den Gärten. Rechts und links erspähte er geflügelte Pixies und Wassernixen, schlaue Kobolde und finster blickende Doppelgänger, Kelpies und Trolle, Rotkappen, die nach geronnenem Blut stanken, Silkies und Selkies, Faune und Phookas, Wichtelmännchen und Geisterhunde, Hexen und Baumgeister, Ritter und geflügelte Damen in Lumpenkleidern. Alles Untertanen von Elfenheim. Seine Untertanen, sollte man meinen, da er ihr Prinz war.
Und keiner von ihnen hatte Angst vor Oak, so sehr seine Mutter es auch hoffte.
Und keiner von ihnen fürchtete sich, obwohl an seinen Händen Blut klebte. Und dass er sie alle so mühelos reingelegt hatte, machte sogar ihm Angst.
Er blieb vor Jude und Cardan stehen und verbeugte sich knapp.
»Alle hier mögen Zeugen sein«, begann Cardan mit strahlenden, goldumrandeten Augen und leiser, aber tragender Stimme, »dass Oak, Sohn von Liriope und Dain aus der Blutlinie der Stechwinden, mein Erbe ist, und falls ich aus dieser Welt scheide, an meiner Stelle regieren soll, und das mit meinem Segen.«
Jude bückte sich und nahm einen goldenen Reif von einem Kissen, das ihr ein Koboldpage präsentierte. Keine Krone, aber doch etwas, das dem sehr nahekam. »Alle hier mögen Zeugen sein.« Ihre Stimme war eisig. Als sie ein Kind im Elfenreich gewesen war, hatte man sie nie vergessen lassen, wie sterblich sie war. Jetzt als Königin sorgte sie dafür, dass sich das Kleine Volk in ihrer Gegenwart niemals sicher fühlte. »Dass Oak, Sohn von Liriope und Dain aus der Blutlinie der Stechwinden, aufgezogen von Oriana und Madoc, mein Bruder, mein Erbe ist, und falls ich aus dieser Welt scheide, an meiner Stelle regieren soll, und das mit meinem Segen.«
»Oak«, sagte Cardan, »nimmst du die Verantwortung an?«
Nein. Oak sehnte sich danach, es zu sagen. Das ist nicht nötig. Ihr werdet beide bis in alle Ewigkeit herrschen.
Doch Cardan hatte Oak nicht gefragt, ob er die Verantwortung wünschte, sondern ob er sie annahm.
Seine Schwester hatte darauf bestanden, dass er offiziell zum Erben ernannt wurde, da er nun alt genug war, um ohne Regenten zu herrschen. Er hätte es Jude abschlagen können, aber Oak verdankte seinen Schwestern so viel, dass es sich unmöglich anfühlte, ihnen auch das Geringste zu verweigern. Würde ihn eine von ihnen um die Sonne bitten, sollte er besser herausfinden, wie er sie vom Himmel pflücken konnte, ohne sich die Finger zu verbrennen.
Selbstverständlich hatte niemand darum gebeten, um nichts dergleichen. Sie wünschten sich, dass er in Sicherheit, glücklich und brav war. Sie wollten ihm die Welt zu Füßen legen und gleichzeitig verhindern, dass sie ihm wehtat.
Und deshalb durften sie niemals erfahren, was er eigentlich trieb.
»Ja«, sagte Oak. Vielleicht sollte er jetzt eine Rede halten oder anderweitig beweisen, dass er zur Herrschaft geeigneter war, als es den Anschein hatte. Doch in seinen Gedanken herrschte plötzlich gähnende Leere. Offenbar reichte es aber auch so, denn im nächsten Moment wurde er gebeten, niederzuknien. Er spürte das kalte Metall an seiner Stirn.
Und dann legte Jude ihre weichen Lippen an seine Wange. »Du wirst ein großartiger König, wenn du so weit bist«, flüsterte sie.
Oak wusste, dass er niemals zurückzahlen konnte, was er seiner Familie verdankte. Als um ihn herum der Jubel aufbrandete, schloss er die Augen und schwor sich, es wenigstens zu versuchen.
Oak war ein lebendiger, atmender Irrtum.
Vor siebzehn Jahren hatte der ehemalige Hochkönig Eldred das schöne Honigmäulchen Liriope in sein Bett eingeladen. Er war nicht für seine Treue bekannt und hatte auch noch andere Geliebte, unter anderem Oriana. Die beiden Frauen hätten Rivalinnen sein können, wurden stattdessen aber bald Freundinnen, die gemeinsam durch die königlichen Gärten wandelten, ihre Füße in den Maskensee tauchten und miteinander bei Festlichkeiten durch Kreistänze wirbelten.
Liriope hatte bereits einen Sohn, und da nur wenige Angehörige des Kleinen Volkes zweimal mit Nachwuchs gesegnet waren, staunte sie, als sie erneut schwanger wurde. Außerdem war sie hin und her gerissen, weil auch sie mehrere Liebhaber hatte und wusste, dass es nicht Eldreds Kind war, sondern das seines Lieblingssohns Dain.
Sein Leben lang hatte Dain darauf hingearbeitet, seinem Vater auf den Thron von Elfenheim zu folgen. Er war gut vorbereitet und hatte einen Hof der Schatten gebildet, eine Gruppe von Spionen und Attentätern, die nur ihm gehorchten. Darüber hinaus hatte er dafür gesorgt, dass die Nachfolge beschleunigt wurde, indem er seinen Vater nach und nach in kleinen Dosen vergiftete. Eldred sollte schließlich so sehr an Lebenskraft verlieren, dass er abdankte. Als Liriope also schwanger wurde, wollte Dain unbedingt verhindern, dass ihm dieses Schlamassel um seinen Bastard um die Ohren flog.
Wenn Liriope sein Kind zur Welt brachte und sein Vater herausfand, wer der Erzeuger war, lag es im Bereich des Möglichen, dass Eldred eins seiner anderen Kinder zum Erben erklärte. Da war es doch besser, Mutter und Kind zu beseitigen, damit Dains Zukunft gesichert war.
Dain vergiftete Liriope, als Oak noch in ihrem Bauch heranwuchs. Rötender Knollenblätterpilz führt gering dosiert zur Lähmung, während eine höhere Dosierung die Bewegungen des Körpers wie bei einem Spielzeug, dessen Batterie versagt, verlangsamt – immer mehr, bis man sich nicht mehr bewegen kann. Liriope starb und Oak wäre mit ihr gestorben, wenn Oriana ihn nicht mit einem Messer aus dem Bauch ihrer Freundin herausgeschnitten hätte.
So kam Oak auf die Welt, eingehüllt in Gift und Blut. Mit einer Stichwunde quer über dem Oberschenkel, weil Orianas Klinge zu tief eingedrungen war. Verzweifelt drückte sie ihn an ihre Brust, um sein Weinen zu ersticken.
Oak konnte noch so laut lachen und feiern, diese Tatsachen konnte er nie verdrängen.
Oak wusste genau, was der Wunsch, den Thron zu besteigen, mit einem machte.
So würde er niemals werden.
Auf die Zeremonie folgte selbstverständlich ein Bankett.
Die Königsfamilie aß nicht weit vom Gelage des übrigen Hofes an einem langen Tisch, der teilweise durch die Äste einer Trauerweide vor neugierigen Blicken geschützt war. Oak saß ehrenhalber an Cardans rechter Seite. Seine Schwester Jude lümmelte sich am anderen Tischende auf ihrem Stuhl. Innerhalb der Familie war sie ganz anders als vor dem Kleinen Volk: eine Schauspielerin außerhalb der Bühne, noch immer im Kostüm.
Oriana saß zu Judes Rechten, also ebenfalls auf einem Ehrenplatz, obwohl Oak sich fragte, ob die beiden wirklich Spaß daran hatten, sich miteinander zu unterhalten.
Oaks Schwestern – Jude, Taryn, Vivi – waren alle genauso wenig mit ihm verwandt wie Oriana oder Madoc, der Großgeneral in der Verbannung, die ihn großgezogen hatten. Dennoch waren sie seine Familie. Die einzigen beiden an der großen Tafel, mit denen er blutsverwandt war, waren Cardan und das kleine Kind, das zu seiner Rechten auf seinem Stühlchen herumrutschte: Leander, Taryns Kind von Locke, Oaks Halbbruder.
Auf dem Tisch standen zahlreiche Kerzen und an den Ästen der Trauerweide hingen Blumen und glänzende Quarzstücke. Gemeinsam formten sie eine schöne Laube, die Oak vielleicht mehr gepriesen hätte, gälte diese ehrenvolle Zierde einer anderen Person.
Jetzt merkte er, dass er anscheinend so tief in Gedanken versunken war, dass er den Beginn einer Unterhaltung verpasst hatte.
»Es hat mir keinen Spaß gemacht, eine Schlange zu sein, und dennoch bin ich offenbar dazu verdammt, ständig daran erinnert zu werden«, sagte Cardan, dem die schwarzen Locken ins Gesicht fielen. Er hielt eine Gabel mit drei Zinken in die Höhe, um seine Aussage zu unterstreichen. »Das Übermaß an Liedern hat nicht geholfen, und auch nicht, dass sie immer noch gesungen werden. Wie lange ist das her? Acht Jahre? Neun? Ernsthaft, der diesbezügliche Feiertaumel war vollkommen übertrieben. Man könnte meinen, ich hätte mich nie mehr beliebt gemacht als damals, als ich im Dunkeln auf einem Thron gesessen und die Leute gebissen habe, die mich geärgert haben. Das könnte ich immer noch tun. Das könnte ich sogar jetzt tun.«
»Leute beißen?«, wiederholte Jude.
Cardan grinste sie an. »Ja, wenn sie draufstehen.« Er schnappte zur Demonstration mit den Zähnen in die Luft.
»Das will niemand«, sagte Jude und schüttelte den Kopf.
Taryn sah Heather an und verdrehte die Augen. Vivis Freundin trank lächelnd einen Schluck Wein.
Cardan zog die Augenbrauen hoch. »Ich könnte es versuchen. Ein kleiner Biss. Nur um zu sehen, ob jemand ein Lied darüber schreibt.«
»Also«, sagte Oriana und sah Oak über den Tisch hinweg an. »Du hast es da oben sehr gut gemacht. Ich konnte mir deine Krönung schon bestens vorstellen.«
Vivi schnaubte zart.
»Ich möchte nirgends herrschen, und in Elfenheim schon gar nicht«, rief Oak ihr ins Gedächtnis.
Jude behielt offenbar durch schiere Willenskraft eine neutrale Miene bei. »Keine Sorge. Ich habe nicht vor, so bald den Löffel abzugeben, und Cardan auch nicht.«
Oak wandte sich an den Hochkönig, der elegant mit den Schultern zuckte. »Nicht so einfach, den Löffel abzugeben, mit einer Gabel in der Hand.«
Als Oak so alt war wie Leander jetzt, hatte Oriana nicht gewollt, dass er König wurde. Doch mit den Jahren hatte sie großen Ehrgeiz für ihn entwickelt. Möglicherweise glaubte sie inzwischen auch, dass Jude ihm sein Geburtsrecht eher gestohlen, als ihn vor den Folgen bewahrt hatte.
Er hoffte, dass es nicht so war. Es war eine Sache, Verschwörungen gegen den Hohen Hof aufzudecken, aber er wüsste nicht, was er tun würde, wenn seine Mutter darin verwickelt wäre.
Zwing mich nicht, mich zu entscheiden, dachte er mit einer Heftigkeit, die ihn erschreckte.
Doch dieses Problem sollte sich von selbst lösen. Jude war sterblich. Sterbliche bekamen viel leichter Kinder als das Kleine Volk. Wenn sie ein Baby bekäme, hätte er keinen Anspruch mehr auf den Thron.
Bei dieser Vorstellung ließ er den Blick zu Leander schweifen.
Der Junge war acht und bezaubernd. Er hatte die Fuchsaugen seines Vaters in derselben Farbe wie Oaks geerbt – Bernstein mit einem erheblichen Gelbanteil – und sein Haar war so dunkel wie Taryns. Leander war jetzt fast so alt wie Oak damals, als Madoc den Plan schmiedete, ihm die Krone von Elfenheim aufzusetzen. Als Oak Leander ansah, erkannte er die Unschuld, die seine Schwestern und seine Mutter zu schützen versucht hatten. Er reagierte mit einem hässlichen Gefühl darauf, einer Mischung aus Wut, schlechtem Gewissen und Panik.
Als Leander seinen Blick bemerkte, zupfte er Oak am Ärmel. »Du siehst aus, als würdest du dich langweilen. Sollen wir was spielen?«, fragte er und bediente sich der List eines Kindes, das jemanden zu seiner Bespaßung einspannen wollte.
»Nach dem Essen«, antwortete Oak mit einem Blick zu Oriana, die bereits reichlich gequält wirkte. »Deine Großmutter wird sauer, wenn wir uns bei Tisch danebenbenehmen.«
»Cardan spielt mit mir«, erwiderte Leander, dem dieses Argument sichtlich zu den Ohren herauskam. »Und er ist der Hochkönig. Er hat mir beigebracht, wie man aus zwei Gabeln und einem Löffel einen Vogel bastelt. Und dann haben unsere Vögel miteinander gekämpft, bis einer auseinandergefallen ist.«
Cardan war das Inbild schlechten Benehmens und würde sich nicht darum scheren, von Oriana gescholten zu werden. Doch Oak lächelte nur. Er hatte oft als Kind mit Erwachsenen am Tisch gesessen und erinnerte sich, wie öde das gewesen war. Er hätte es damals toll gefunden, mit Vögeln aus Besteck zu kämpfen. »Welche anderen Spiele habt ihr gespielt, du und der König?«
Die Frage wurde mit einer verwirrend langen Liste von Fehlverhalten beantwortet, darunter, Pilze in Weinkelche am anderen Tischende zu werfen, Servietten zu Hüten zu falten und schreckliche Grimassen zu schneiden. »Außerdem erzählt er mir lustige Geschichten über meinen Vater«, schloss Leander.
Als er das hörte, wurde Oaks Lächeln gezwungen. Er konnte sich kaum an Locke erinnern. Seine klarste Erinnerung drehte sich um Lockes Hochzeit mit Taryn, aber da stand im Vordergrund, dass Heather in eine Katze verwandelt wurde und sich furchtbar aufgeregt hatte. Es war einer dieser Momente, in denen Oak begriffen hatte, dass Magie nicht allen großen Spaß bereitete.
Er warf einen Blick über den Tisch auf Heather, weil er sich plötzlich vergewissern wollte, dass es ihr gut ging. Sie hatte ihr Haar zu Mikrozöpfen geflochten und Strähnen aus leuchtendem, synthetischem Pink damit verwoben. Pinkfarbenes Rouge schimmerte auf ihren dunklen Wangen. Er versuchte, ihren Blick aufzufangen, aber sie war zu sehr in die Betrachtung eines winzigen Waldgeists versunken, der eine Feige vom Tisch stibitzen wollte.
Oaks Blick schweifte zu Taryn. Lockes Frau und Mörderin steckte eine Spitzenserviette in Leanders Hemd. Es verwunderte nicht, dass es Heather nervös machte, an diesem Tisch zu sitzen. Oaks Familie war in Blut getränkt, alle, wie sie da waren.
»Wie geht’s Dad?«, fragte Jude unvermittelt und zog die Augenbrauen hoch.
Vivi zuckte mit den Schultern und wies mit dem Kopf auf Oak. Er hatte ihren Vater zuletzt gesehen. Im vergangenen Jahr hatte er sogar sehr viel Zeit mit ihm verbracht.
»Er geht allem Ärger aus dem Weg«, antwortete Oak und hoffte, dass es so blieb.
Nach dem Abendessen mischte sich die Königsfamilie wieder unter die Höflinge. Oak tanzte mit Lady Elaine, die ihr Lächeln einer Katze, die eine Maus verschlungen hat und immer noch hungrig ist, zur Schau trug und ihm ins Ohr flüsterte, dass sie in drei Tagen ein Treffen mit einigen Leuten verabreden würde, die »an ihre Sache« glaubten.
»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte sie mit heißem Atem an seinem Hals. Ihr dichtes rotes Haar hing in einem breiten Zopf über ihren Rücken, in dessen Flechten Rubine verwoben waren. Ihr Kleid war mit Goldfäden verziert, als würde sie schon für einen Auftritt als Oaks Königin proben.
»Ich habe Cardan zwar als meinen Verwandten anerkannt, aber auch oft darüber nachgedacht, was er mir weggenommen hat«, versicherte Oak der Hofdame. Und wenn er bei ihrer Berührung ein wenig erschauerte, konnte sie es sich vielleicht als leidenschaftliches Beben erklären. »Ich habe genau nach einer solchen Gelegenheit Ausschau gehalten.«
Und sie lächelte an seiner Haut, da sie ihn wie erhofft missverstand. »Und Jude ist gar nicht Eure richtige Schwester.«
Bei diesen Worten lächelte Oak zurück, schwieg aber. Er wusste zwar, was sie meinte, hätte dem aber niemals zustimmen können.
Nachdem der Tanz geendet hatte, drückte sie ihm einen letzten Kuss auf den Hals.
Er war wirklich sicher, dass er das durchziehen konnte. Obwohl es unausweichlich zu ihrem Tod führen würde und er sich nicht sicher war, was das über ihn aussagte.
Es war nicht das erste Mal. Als er den Blick schweifen ließ, fiel ihm zwangsläufig auf, wie viele von denen, die er manipuliert und anschließend verraten hatte, fehlten. Verschwörer dreier konspirativer Gruppen, die er in der Vergangenheit aufgespürt und mithilfe von Tricks gegeneinander – und gegen sich – aufgebracht hatte. Sie waren wegen ihrer Verbrechen im Turm des Vergessens oder auf dem Hinrichtungsblock gelandet, ohne je zu erfahren, dass sie ihm in die Falle gegangen waren.
In diesem Garten voller Nattern war er eine Kannenpflanze, die sie zum Tanz bat. Manchmal sehnte er sich allerdings danach, zu schreien: Seht mich an. Erkennt, was ich bin. Erkennt, was ich getan habe.
Als hätten ihn diese selbstzerstörerischen Gedanken angezogen, näherte sich sein Leibwächter Tiernan und sah ihn vorwurfsvoll an. Er hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt und trug eine Lederrüstung mit dem Wappen der Königsfamilie und einen kurzen Umhang über einer Schulter. »Dein Benehmen ist skandalös.«
Verschwörungen waren oft Narreteien, Wunschdenken, gerne in einer Zeit, in der es bei Hofe wenig interessante Intrigen gab. Klatsch und zu viel Wein und zu wenig Verstand. Doch Oak hatte das Gefühl, dass es diesmal anders war. »Sie plant das Treffen. Es ist fast vorbei.«
Tiernan schaute zum Thron, auf dem sich der Hochkönig lümmelte. »Er weiß es.«
»Was weiß er?« Oak wurde mulmig.
»Genau? Keine Ahnung. Aber jemand hat etwas belauscht. Das Gerücht lautet, dass du ihm einen Dolch in den Rücken jagen willst.«
»Das glaubt er ja wohl nicht«, schnaubte Oak.
Tiernan sah ihn ungläubig an. »Seine eigenen Brüder haben ihn verraten. Er wäre dumm, wenn er es nicht glauben würde.«
Als Oak sich wieder dem Hochkönig zuwandte, sah Cardan ihm diesmal direkt in die Augen und zog die Augenbrauen hoch. Sein Blick war herausfordernd und versprach eine träge Grausamkeit. Das Spiel läuft.
Frustriert schaute der Prinz weg. Das Letzte, was er wollte, war, dass Cardan ihn für seinen Feind hielt. Er sollte zu Jude gehen und versuchen, es ihr zu erklären.
Morgen, redete er sich gut zu. Wenn er ihr nicht den Abend verderben würde. Oder übermorgen, wenn es zu spät wäre und sie nicht mehr verhindern konnte, dass er sich mit den Verschwörern traf und hoffentlich immer noch das erreichen konnte, was ihm vorschwebte. Nämlich zu erfahren, wer hinter dieser Verschwörung steckte. Danach würde er tun, was er immer tat – angeblich in Panik verfallen und den Verschwörern mitteilen, dass er nicht mehr mitmachen wollte. Er würde ihnen Angst machen, dass er mit seinen Erkenntnissen zum Hochkönig und zur Hochkönigin gehen würde.
Er ging davon aus, dass sie einen Mordversuch auf ihn verübten und aufgrund dessen und nicht wegen Hochverrats dem Untergang geweiht sein würden. Denn die zahlreichen Attentate auf Oak erlaubten ihm, seinen Ruf als Taugenichts aufrechtzuerhalten. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er die Verschwörung absichtlich vereitelt hatte, sodass er es jederzeit wieder tun konnte.
Und Jude würde nicht vermuten, dass er sich in Gefahr gebracht hatte, jetzt nicht und auch die anderen Male nicht.
Es sei denn, er musste ein umfassendes Geständnis all dieser Dinge ablegen, damit er Cardan überzeugen konnte, nicht sein Gegner zu sein. Bei der Vorstellung, wie entsetzt Jude sein würde, wie sehr er seine gesamte Familie erzürnen würde, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sein Wohlergehen war ihrer aller Entschuldigung für ihre Opfer, für das, was sie verloren hatten. Immerhin war Oak glücklich, wenigstens Oak hatte die Kindheit, die uns verwehrt war, immer hat Oak …
Er biss sich fest in die Wange, bis er Blut schmeckte. Er musste unbedingt verhindern, dass seine Familie jemals erfuhr, was aus ihm geworden war. Sobald die Verräter gefasst waren, vergaß Cardan seinen Verdacht vielleicht wieder, und nichts musste vor niemandem eingestanden werden.
»Prinz!« Oaks Freund Vier löste sich aus einer Gruppe junger Höflinge und legte einen Arm um seine Schulter. »Da bist du ja. Komm, lass uns feiern!«
Mit einem gezwungenen Lachen schob Oak seine Sorgen beiseite. Schließlich war es ein Fest zu seinen Ehren. Und so tanzte er mit dem Hofstaat von Elfenheim unter den Sternen. Lustig und fröhlich spielte er seine Rolle.
Eine Pixie kam auf den Prinzen zu, ihre Haut so grün wie die einer Heuschrecke und mit passenden Flügeln. Sie brachte zwei Freundinnen mit, die ihre Arme um seinen Hals schlangen. Ihre Münder schmeckten nach Kräutern und Wein.
Oak wechselte im Mondschein von einer Partnerin zur nächsten und wirbelte unter den Sternen umher. Lachte über unsinniges Zeug.
Eine Sluagh mit schwarz verfärbten Lippen schmiegte sich an ihn, und er lächelte zu ihr hinunter, als sie von einem weiteren Kreistanz mitgerissen wurden. Ihr Mund war süß wie matschige Pflaumen.
»Schau mir ins Gesicht und ich bin jemand«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Schau auf meinen Rücken und ich bin niemand. Was bin ich?«
»Keine Ahnung«, gestand Oak und erbebte zwischen den Schulterblättern.
»Euer Spiegel, Hoheit«, sagte sie, und ihr Atem kitzelte die Härchen in seinem Nacken.
Dann glitt sie davon.
Stunden später taumelte Oak zum Palast zurück. Er hatte Kopfschmerzen und konnte vor Schwindel nicht geradeaus laufen. In der Menschenwelt durfte man mit siebzehn noch keinen Alkohol trinken und tat es deshalb heimlich. In dieser Nacht dagegen, so schätzte er, war von ihm erwartet worden, mit jedem zu trinken, der ihm zuprostete – blutrote Weine, grün schäumenden Sekt und ein süßes violettes Gebräu, das nach Veilchen schmeckte.
Da er nicht deuten konnte, ob er bereits einen Kater hatte oder ob es nach dem Einschlafen noch schlimmer werden würde, beschloss Oak, sich auf die Suche nach Aspirin zu machen. Vivi hatte Jude bei ihrer Ankunft eine Tüte aus dem Drogeriemarkt übergeben, die mit ziemlicher Sicherheit Schmerzmittel enthielt.
Er schwankte in Richtung der königlichen Gemächer.
»Was machen wir hier eigentlich?«, fragte Tiernan, der den Prinzen am Ellbogen stützte, wenn er stolperte.
»Wir suchen ein Heilmittel für meine Qualen«, antwortet Oak.
Tiernan, der in seinen besten Momenten zu schweigen wusste, zog nur eine Augenbraue hoch.
Oak winkte ab. »Du kannst deine geistreichen Bemerkungen – ausgesprochen oder nicht – für dich behalten.«
»Hoheit«, bestätigte Tiernan, was schon eine Wertung beinhaltete.
Der Prinz wies auf die Wächterin, die vor dem Eingang zu Judes und Cardans Gemächern stand – eine Menschenfresserin in Lederrüstung mit einem einzigen Auge und kurzen Haaren. »Sie kann von hier an auf mich aufpassen.«
Tiernan zögerte. Aber sicherlich wollte er Hyacinth besuchen, der, seit er das Zaumzeug trug, jede Nacht gelangweilt und wütend aufwieglerische Fluchtgedanken schmiedete. Aus vielerlei Gründen wollte Tiernan ihn nicht allzu lange allein lassen. »Wenn du meinst …«
Die Menschenfresserin richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Die Hochkönigin ist nicht vor Ort.«
Oak zuckte mit den Schultern. »Macht nichts.« Wahrscheinlich war es sogar besser, wenn er sich das Zeug besorgte, ohne dass Jude ihn wegen seines Zustands auslachte. Und wenn es der Menschenfresserin nicht in den Kram passte, hielt sie ihn auch nicht auf, als er an ihr vorbeiging, die Flügeltür aufstieß und eintrat.
Die Gemächer des Hochkönigs und der Hochkönigin waren mit Wandbehängen und Teppichen geschmückt, die magische Wälder darstellten, in denen sich magische Wesen verbargen. Praktisch auf jeder Oberfläche standen dicke Stumpenkerzen, die zurzeit nicht brannten. Sie dienten seiner Schwester, die im Gegensatz zum Kleinen Volk nicht im Dunkeln sehen konnte.
Oak fand die Plastiktüte auf einem bemalten Nachttisch und leerte den Inhalt auf der aufwendig bestickten Decke aus, die ein niedriges Sofa schmückte.
Es gab drei Behälter mit Ibuprofen der Eigenmarke des Drogeriemarkts. Er öffnete einen, trieb seinen Daumen durch das Kunststoffsiegel und fischte drei Gelkapseln heraus.
Im Palast gab es einen Alchemisten, der ihm einen furchtbar schmeckenden Zaubertrank verabreichen würde, wenn er wirklich große Schmerzen hatte, aber Oak wollte nicht befragt oder unterhalten werden, bis der Trank bereitet war. Er warf die Pillen ein und schluckte sie ohne Flüssigkeit herunter.
Jetzt brauchte er nur noch Wasser und sein Bett.
Während er leicht schwankend die Arzneimittel in die Tüte zurücklegte, fiel ihm eine Tablettenpackung in einer Papierhülle auf. Neugierig drehte er sie um und blinzelte überrascht, als er sah, dass die Medizin verschreibungspflichtig war. Verhütungsmittel.
Jude war erst sechsundzwanzig. Viele Sechsundzwanzigjährige wollten noch keine Kinder bekommen. Oder überhaupt nicht.
Allerdings mussten die meisten auch nicht den Fortbestand einer Dynastie sichern.
Und die meisten wollten auch nicht verhindern, dass ihr kleiner Bruder von der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Doch selbst wenn er nicht der einzige Grund war, drängte sich doch der Gedanke auf, dass es auch um ihn ging.
Während er sich noch diesen trübseligen Überlegungen hingab, hörte er Schritte im Gang. Cardans vertraute affektierte Stimme drang zu ihm durch, wenngleich er nicht im Einzelnen verstand, was er sagte.
Panisch stopfte Oak die restlichen Drogerieartikel in die Tüte zurück, warf sie auf den Nachttisch und versteckte sich darunter. Im nächsten Moment ging die Tür auf. Cardans spitze Stiefel klapperten auf den Fliesen, gefolgt von Judes leisen Schritten.
Sobald Oak mit dem Bauch auf dem staubigen Boden landete, begriff er, wie idiotisch das Ganze war. Wieso sollte er sich verstecken, wenn weder Jude noch Cardan sich darüber aufgeregt hätten, dass er hier war? Es lag daran, dass er sich schämte, weil er in die Privatsphäre seiner Schwester eingedrungen war. Die Mischung aus Schuldgefühlen und Alkohol hatte ihn zu dieser absurden Aktion gedrängt. Dennoch wäre es noch bizarrer, wenn er jetzt aus seinem Versteck kam. Also blieb er neben einem einzelnen Pantoffel liegen und hoffte, dass sie wieder gingen, bevor er niesen musste.
Mit einem schweren Seufzer setzte Jude sich auf eins der Sofas.
»Wir können kein Lösegeld für ihn zahlen«, sagte Cardan behutsam.
»Das weiß ich«, fauchte Jude. »Schließlich habe ich ihn in die Verbannung geschickt. Ich weiß das.«
War die Rede von seinem Vater? Und Lösegeld? Oak war fast die ganze Nacht mit den beiden zusammen gewesen, ohne dass sie etwas dergleichen erwähnt hatten. Aber wen hatte sie noch in die Verbannung geschickt, der ihr so viel bedeutete, dass sie Lösegeld bezahlen würde? Dann fiel ihm die Frage ein, die Jude beim Abendessen gestellt hatte. Vielleicht hatte sie sich gar nicht nach Madocs Befinden erkundigt, sondern wollte sondieren, ob die anderen etwas wussten.
Cardan seufzte. »Trösten wir uns damit, dass wir gar nicht besitzen, was Lady Nore fordert, selbst wenn wir uns erpressen ließen.«
Jude öffnete etwas außerhalb von Oaks Sichtweite. Er kroch ein wenig weiter, um einen besseren Blickwinkel zu haben, und entdeckte in ihren Händen eine Schachtel aus verwobenen Zweigen. In ihren Fingern baumelte eine Kette mit einer Glaskugel. Darin rollte etwas rastlos hin und her. »In der Botschaft geht es um Melliths Herz. Ist das ein uraltes Artefakt? Ich glaube, sie sucht nach einer Ausrede, um ihn dazubehalten.«
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dein Bruder ist schuld«, sagte Cardan neckend, und Oak hätte sich beinahe den Kopf am Holzrahmen des Tischchens gestoßen, so überrascht war er. »Erst wollte er, dass du nett zu der kleinen Königin mit den scharfen Zähnen und irren Augen bist. Dann wollte er, dass du dem ehemaligen Falken, den sein Leibwächter so gern hat, den Mordversuch an mir verzeihst. Es erscheint mir ein allzu großer Zufall, dass Hyacinth von Lady Nore kam, Zeit mit Madoc verbracht hat und nicht an seiner Entführung beteiligt sein soll.«
Obwohl Cardan lächelte, schwang eine gehörige Portion Misstrauen in seinen Worten mit. Doch angesichts der Gefahr, in der ihr gemeinsamer Vater schwebte, spielte sein Argwohn keine große Rolle.
»Oak hat sich mit den falschen Leuten eingelassen, das ist alles«, sagte Jude erschöpft.
Als Cardan weiter lächelte, fiel ihm eine schwarze Locke in die Stirn. »Er ist dir ähnlicher, als du es wahrhaben willst. Schlau. Ehrgeizig.«
»Wenn überhaupt jemand an den Ereignissen schuld ist, dann bin ich das«, sagte Jude und seufzte erneut. »Weil ich Lady Nores Hinrichtung nicht angeordnet habe, solange noch Zeit dafür war.«
»All diese tollen Schlangenlieder müssen dich mächtig abgelenkt haben«, sagte Cardan lässig und überging damit die Diskussion über Oak. »Großzügigkeit des Geistes ist so untypisch für dich.«
Als sie einen Augenblick schwiegen, sah Oak das Gesicht seiner Schwester. Es spiegelte etwas ganz Privates wider und einen Schmerz. Er hatte es damals nicht erkannt, wie kurz sie davor gewesen war, Cardan für immer zu verlieren, und sich selbst vielleicht auch.
Da er wegen des vielen Alkohols nur verlangsamt denken konnte, fügte Oak immer noch die Puzzleteilchen zusammen. Lady Nore vom Hof der Zähne hielt Madoc gefangen. Und Jude unternahm keinen Versuch, ihn zurückzuholen. Oak wäre am liebsten unter dem Nachttisch hervorgekrochen und hätte sie angefleht. Jude, wir können ihn nicht dalassen. Wir können ihn nicht einfach sterben lassen.
»Den Gerüchten zufolge erschafft Lady Nore ein Heer aus Stock-, Stein- und Schneewesen«, murmelte Jude.
Lady Nore herrschte über den früheren Hof der Zähne. Nachdem sie sich mit Madoc verbündet und versucht hatte, die Krone von Elfenheim an sich zu reißen, war ihr Hof aufgelöst worden. Ihre besten Krieger – darunter Tiernans geliebter Hyacinth – waren in Vögel verwandelt und Madoc ins Exil geschickt worden. Lady Nore wurde gezwungen, der Tochter, die sie gequält hatte – Suren –, die Treue zu schwören. Das war die kleine Königin mit den scharfen Zähnen, die Cardan eben erwähnt hatte.
Als er an sie dachte, wurde Oak von einem Gefühl überrollt, das er so nicht kannte. Er erinnerte sich daran, wie er weggelaufen war, in ihren Wald, und an ihre raue Stimme in der Dunkelheit.
Seine Schwester fuhr fort. »Unabhängig davon, ob Lady Nore sie dazu benutzen will, uns oder die sterbliche Welt anzugreifen, oder ob sie nur zu ihrer Unterhaltung kämpfen sollen, wäre es besser, sie aufzuhalten. Wenn wir zögern, geben wir ihr Zeit, ihre Truppen zu verstärken. Wenn wir aber ihre Festung angreifen, muss mein Vater sterben. Es bedeutet seinen Tod, wenn wir gegen sie vorgehen.«
»Wir können warten«, sagte Cardan. »Aber nicht lange.«
Jude runzelte die Stirn. »Wenn sie einen Fuß vor die Tür der Zitadelle setzt, schneide ich ihr die Kehle von Ohr zu Ohr durch.«
Cardan strich sich theatralisch über den Hals und sackte auf übertriebene Weise vornüber, Augen geschlossen, Mund offen. Spielte toter Mann.
»Das ist nicht lustig«, schimpfte Jude.
»Habe ich dir schon mal gesagt, wie sehr du wie Madoc klingst, wenn du über Mord und Totschlag redest?«, fragte Cardan und schlug ein Auge auf. »Das stimmt nämlich.«
Oak hätte erwartet, dass seine Schwester sauer wurde, aber sie lachte nur. »Deshalb magst du mich so gern, das ist es.«
»Weil du Todesangst verbreitest?«, säuselte Cardan noch affektierter als sonst, beinahe schmelzend und schnurrend. »Ich liebe es.«
Jude lehnte sich an ihn, legte ihren Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen. Als der König die Arme um sie schlang, erschauerte sie kurz, als würde eine Last von ihr fallen.
Während er sie beobachtete, überlegte Oak, was seines Wissens als Nächstes passieren würde. Als nutzloses jüngstes Kind, der Erbe, würde er vor der Information bewahrt werden, dass sein Vater in Gefahr schwebte.
Hyacinth würde zum Verhör geschleppt werden. Oder gleich zu seiner Hinrichtung. Vermutlich zu beidem, eins nach dem anderen. Es konnte gut sein, dass er es verdient hatte. Oak wusste, was seine Schwester noch nicht erfahren hatte, und zwar dass Madoc in den letzten Monaten oft mit dem ehemaligen Falken geredet hatte. Falls Hyacinth wirklich für die Misere verantwortlich war, würde Oak ihm selbst die Kehle durchschneiden.
Aber was würde danach passieren? Nichts. Ihrem Vater würde nicht geholfen werden. Lady Nore hätte Zeit geschunden, um das Heer zu vergrößern, von dem Jude gesprochen hatte, aber schlussendlich würde Elfenheim gegen sie vorrücken. Wenn es zum Krieg kam, würde niemand geschont werden.
Oak musste rasch handeln.
Melliths Herz. Das hatte Lady Nore gefordert. Er war nicht sicher, ob er es aufspüren konnte, aber selbst wenn es ihm nicht gelang, hieß das noch lange nicht, dass man sie nicht aufhalten konnte. Obwohl er Suren seit Jahren nicht gesehen hatte, wusste er, wo sie sich aufhielt, und bezweifelte gleichzeitig, dass noch jemand am Hohen Hof Kenntnis davon hatte. Sie waren früher befreundet gewesen. Dazu kam, dass Lady Nore ihr die Treue geschworen hatte. Sie hatte die Befehlsgewalt über ihre Mutter. Ein Wort von ihr konnte diesen Konflikt beenden, bevor er sich ausweitete.
Die Vorstellung, Wren aufzusuchen, erfüllte ihn mit einem Gefühl, das er lieber nicht näher ergründen wollte, betrunken und bestürzt, wie er war. Stattdessen konnte er jedoch planen, wie er sich durch den Geheimgang aus dem Gemach seiner Schwester schleichen konnte, sobald sie eingeschlafen war. Und wie er Hyacinth verhören würde, während Tiernan ihre Sachen packte. Dann würde er zum Alraunenmarkt gehen und bei Mutter Marrow, die fast alles über alles wusste, mehr über dieses uralte Herz herausfinden.
Die Verschwörung konnte warten. Schließlich würden sie nichts unternehmen, solange der Kandidat für den Thron nicht vor Ort war.
Oak würde ihren Vater retten. Vielleicht konnte er diese Familie niemals zur Vernunft bringen, aber er konnte versuchen, wiedergutzumachen, was er sie alle bereits gekostet hatte. Er würde versuchen, ihnen gerecht zu werden. Wenn er loszog, wenn er Wren überzeugen konnte und sie Erfolg hatten, dann würde Madoc nicht sterben, und Jude müsste nicht erneut eine unmögliche Entscheidung treffen.
Selbstverständlich hätten ihm alle verboten, loszuziehen. Aber bevor sie die Chance hatten, war er bereits verschwunden.
Die Kälte im Verlies nagt an Oaks Knochen und der Eisengestank kratzt im Hals. Das Zaumzeug drückt gegen seine Wangen und erinnert ihn daran, dass er an einen Gehorsam gefesselt ist, der ihn fester ankettet als alle Riegel und Schlösser. Doch am meisten setzt ihm das Grauen vor dem, was als Nächstes passieren wird, zu – ein so unermessliches Grauen, dass er sich wünscht, es würde endlich geschehen, damit er sich nicht mehr davor fürchten muss.
Am Morgen, nachdem er in seine Zelle im steinernen Verlies unterhalb der Eisnadelzitadelle am ehemaligen Hof der Zähne gesperrt worden war, brachte ein Diener eine mit Kaninchenfell gesäumte Decke. Oak wusste nicht, wie er diese Freundlichkeit deuten sollte. Und selbst wenn er die Decke eng um seinen Körper schlingt, ist ihm selten warm.
Zweimal täglich bekommt er etwas zu essen. Auf dem Wasser liegt oft Raureif. Die Suppe ist heiß genug, dass ihm eine knappe Stunde lang halbwegs warm ist. Während sich die Tage hinziehen, befürchtet er nicht mehr, dass seine Folter aufgeschoben wird, wie man sich einen besonders köstlichen Bissen auf dem Teller bis zuletzt aufspart, sondern dass er schlicht und einfach in Vergessenheit geraten ist.
Einmal glaubte er, Wrens Schatten erkannt zu haben, als sie ihn mit einem gewissen Abstand beobachtete. Er rief ihren Namen, bekam jedoch keine Antwort. Vielleicht war sie gar nicht da gewesen. Das Eisen brachte seine Gedanken durcheinander, und vielleicht sah er nur, was er in seiner Verzweiflung sehen wollte.
Seit sie ihn ins Verlies sperren ließ, hat sie nicht mit ihm gesprochen. Nicht einmal, um das Zaumzeug zu nutzen und ihn herumzukommandieren. Nicht einmal, um ihn mit Häme zu überschütten.
Hin und wieder schreit er in der Dunkelheit, einfach, um sich daran zu erinnern, dass er es kann.
Das Verlies ist dafür gebaut, Schreie zu verschlucken. Niemand kommt.
Heute brüllt er sich heiser und sinkt anschließend an der Wand hinunter. Er wünschte, er könnte sich selbst eine Geschichte erzählen, doch er kann sich nicht einreden, er sei ein mutiger Prinz, der einen Rückschlag auf seiner waghalsigen Mission erlitten habe. Noch nicht einmal, er sei jener stürmische Liebhaber, der unter einem schlechten Stern steht, als der er sich in der Vergangenheit so oft ausgegeben hat. Er sieht sich nicht einmal mehr als den treuen Bruder und Sohn, den er beim Aufbruch aus Elfenheim verkörpern wollte.
Was auch immer er sein mag, ein Held ist er jedenfalls nicht.
Als ein Wachtposten durch den Gang stapft, reißt es Oak auf die Hufe. Ein Falke. Straun. Der Prinz hat eben schon gehört, wie er sich am Tor beklagt hat, ohne dass ihm bewusst war, wie weit seine Stimme trägt. Straun ist ehrgeizig, gelangweilt vom öden Wachdienst und begierig, sich vor der neuen Königin zu beweisen.
Vor Wren, von deren Schönheit Straun in den höchsten Tönen schwärmt.
Oak hasst Straun.
»Du da«, sagt der Falke im Näherkommen. »Schweig, bevor ich dich zum Schweigen bringe.«
Ah, denkt Oak. Vor lauter Langeweile wünscht er sich, dass irgendetwas passiert.
»Ich bemühe mich nur um eine authentische Atmosphäre in diesem Verlies«, erwidert Oak. »Was ist ein Ort wie dieser ohne das Geschrei der Gefolterten?«
»Du Sohn des Verräters bildest dir wer weiß was ein, dabei hast du keine Ahnung von Folter«, sagt Straun und tritt mit dem Stiefelabsatz gegen die Gitterstäbe, bis sie klirren. »Aber bald. Bald wirst du wissen, wie das ist. Spar dir lieber dein Geschrei.«
Sohn des Verräters. Interessant. Also ist er nicht nur gelangweilt, sondern kann noch dazu Madoc nicht leiden.
Oak geht so nah an die Gitterstäbe heran, dass er die Hitze des Eisens spürt. »Will Wren mich also bestrafen?«
»Unsere Königin hat Wichtigeres zu tun«, schnaubt Straun. »Sie ist in den Steinwald gegangen, um die Trollkönige aufzuwecken.«
Verblüfft starrt Oak ihn an.
Der Falke grinst. »Aber mach dir keine Sorgen. Die Sturmvettel ist hiergeblieben. Vielleicht lässt sie dich ja holen. Ihre Bestrafungen sind legendär.« Mit diesen Worten geht er zum Tor zurück.
Wütend und verzweifelt sackt Oak auf dem kalten Boden zusammen.
Du musst ausbrechen. Der Gedanke trifft ihn mit voller Kraft. Du musst eine Möglichkeit finden.
Einfach ist das nicht. Die Eisenstäbe verbrennen ihn. Das Schloss ist nicht leicht zu knacken, einmal hat er es mit einer Gabel versucht. Erreicht hat er nur, dass eine Zacke abgebrochen ist und sein Essen fortan mit einem Löffel geliefert wurde.
Es ist also nicht leicht, zu flüchten. Außerdem besucht Wren ihn ja vielleicht doch noch, trotz allem.
Als Oak auf dem Steinboden seiner Zelle aufwacht, schwirrt ihm der Kopf und sein Atem dampft in der kalten Luft. Er blinzelt verwirrt, noch halb im Traum. Da er von so viel Eisen umgeben ist, schläft er nur selten so tief, aber heute Nacht ist er nicht davon aufgewacht.
Eine riesige hoch aufsteigende Woge der Magie überschwemmt die Zitadelle von Süden her und geht mit einer unmissverständlichen Macht nieder. Anschließend bebt die Erde, als würde etwas Gewaltiges auf ihr verschoben.
In dem Moment fällt Oak ein, dass der Steinwald südlich der Zitadelle liegt. Das Beben rührt nicht daher, dass etwas über der Erde bewegt wird, sondern dass etwas ausgeworfen wird. Wren hat es geschafft. Sie hat die Trollkönige aus ihrem unterirdischen Gefängnis erlöst.
Damit hat sie einen uralten Fluch aufgelöst, der so alt war, dass er in Oaks Augen mit dem Weltgefüge verwoben ist, unerbittlich wie Meer und Himmel.
Er kann förmlich hören, wie die Felsen bersten, die sie gefangen gehalten haben. Wie sich die Risse spinnwebenförmig von beiden Felsen gleichzeitig in zwei Richtungen ausbreiten. Magische Kraft fließt in Wellen von diesen Zwillingszentren – so intensiv, dass die Bäume in ihrer Nähe zersplittern und ihre mit Raureif überzogenen blauen Früchte im Schnee verstreut werden.
Auch die beiden uralten Trollkönige sieht Oak vor sich, wie sie aus der Erde emporsteigen und sich zum ersten Mal seit Jahrhunderten recken und strecken. Riesengroße Gestalten, die alles abschütteln, das in ihrem Schlaf auf ihnen gewachsen ist. Erde und Gras, kleine Bäume und Steine regnen von ihren Schultern.
Wren hat es geschafft.
Und da das eigentlich unmöglich sein sollte, kann der Prinz sich nicht vorstellen, was sie als Nächstes tun könnte.
Und da er wahrscheinlich nicht wieder einschlafen kann, praktiziert Oak die Übungen, die Geist ihm vor langer Zeit beigebracht hat, damit er weiterüben konnte, wenn er in der Welt der Sterblichen feststeckte.
Stell dir vor, du hättest eine Waffe. Das war in Vivis zweiter Wohnung gewesen, auf ihrem kleinen Balkon. Drinnen machten Vivi und Taryn großes Tamtam um Leander, der gerade anfing zu krabbeln. Geist hatte sich nach Oaks Training erkundigt und seine Ausreden nicht gelten lassen, er sei doch erst elf, müsse zur Schule gehen und könne nicht einfach ein Langschwert auf dem Rasen schwingen, den sie sich mit ihren Nachbarn teilten, die das beunruhigen könnte.
Ach, echt jetzt!, hatte Oak lachend gesagt, weil er glaubte, der Spion mache nur Quatsch.
Aber Geist zauberte aus dem Nichts die Illusion eines Schwertes hervor, dessen Heft mit Efeu verziert war. Es war so überzeugend, dass Oak genau hinsehen musste, um festzustellen, dass es nicht echt war. Du bist an der Reihe, Prinz.
Es hatte Oak sogar gefallen, sein eigenes Schwert zu gestalten. Es war groß und schwarz mit einem leuchtend roten, mit Dämonenfratzen übersäten Griff. Es sah aus wie das Schwert eines Kämpfers in einem Anime, das er gesehen hatte, und er fühlte sich cool damit, es in Händen zu halten.
Geist hatte angesichts von Oaks Schwert gelächelt, aber gelacht hatte er nicht. Anschließend hatte er eine Übungsserie hingelegt und Oak aufgefordert, es ihm nachzutun. Er hatte den Prinzen gebeten, ihn nicht länger mit seinem Decknamen als Spion anzureden, sondern mit Garrett, weil sie nun Freunde waren.
Das kannst du immer machen, hatte Geist – Garrett – zu ihm gesagt. Wenn du sonst nichts hast.
Nichts, womit er trainieren konnte, hatte er vermutlich gemeint. Obwohl Oak jetzt gerade tatsächlich sonst nichts hatte.
Das Training wärmt ihn halbwegs, bis er sich nicht mehr ganz so unwohl fühlt, als er die Decke um seine Schultern schlingt.
Seit drei Wochen wird der Prinz der Strichliste zufolge, die er in den Staub unter der einsamen Bank gezogen hat, hier gefangen gehalten. Lange genug, um über jeden Fehler ins Grübeln zu kommen, den er auf seiner unglückseligen Mission begangen hat. Lange genug, um endlos zu überdenken, was er im Sumpf hätte anders machen sollen, nachdem die Distelhexe ihn mit ihrer rauen Stimme angesprochen hatte: Wusstest du denn nicht, Prinz der Füchse, was du schon hattest? Was für eine süße Narretei, Melliths Herz zu suchen, wenn es doch neben dir herläuft.
Bei der Erinnerung steht Oak auf, tigert durch die Zelle und lässt seine Hufe rastlos über den schwarzen Steinboden klappern. Er hätte ihr die Wahrheit sagen müssen. Er hätte es ihr sagen und mit den Folgen leben sollen.
Stattdessen hatte er sich eingeredet, er würde sie schützen, indem er das Geheimnis ihrer Herkunft für sich behielt – aber stimmte das wirklich? Oder war es nicht vielmehr so, dass er sie manipuliert hatte, so wie er sein Leben lang alle manipuliert hatte? Dass er genau darin besonders gut war – in Tricks, Spielchen, in mangelnder Aufrichtigkeit?
Seine Familie ist mittlerweile sicher in Panik verfallen. Oak vertraut darauf, dass Tiernan Madoc unabhängig von den Wünschen des alten Generals sicher nach Elfenheim gebracht hat. Aber Jude ist bestimmt wütend auf Tiernan, weil er Oak zurückgelassen hatte, und noch viel wütender auf Madoc, wenn sie errät, wie sehr er daran mitschuldig war.
Cardan ist möglicherweise ganz froh, Oak los zu sein, aber das würde Jude nicht davon abhalten, einen Plan für seine Befreiung zu schmieden. Jude hat wegen Oak schon mehrfach alle Rücksicht über den Haufen geworfen, aber zum ersten Mal macht es ihm Angst. Wren ist gefährlich. Man sollte ihr nicht in die Quere kommen. Jude aber auch nicht.
Oak erinnert sich an Wrens spitze Zähne an seiner Schulter. An ihre Nervosität, als sie ihn geküsst hat, den Glanz ihrer feuchten Augen. Aber auch daran, wie er ihr zögerliches Vertrauen mit Täuschung belohnt hat. Immer wieder spielt ihm sein Gedächtnis die Erkenntnis des Verrats in ihrer Miene vor, als sie begriffen hat, welches ungeheuerliche Geheimnis er ihr vorenthalten hatte.
Es spielt keine Rolle, ob du es verdienst, in ihrem Verlies zu schmoren, ermahnt er sich. Du musst trotzdem hier raus.
Während er im Dunkeln sitzt, hört er dem Würfelspiel der Wachtposten zu. Sie haben einen Krug mit besonders starkem Wacholderschnaps geöffnet, um Wrens Erfolg zu feiern. Straun ist der Lauteste und Besoffenste und verliert am meisten.
Oak schläft ein und erwacht von leisen Schritten. Er springt auf die Hufe und geht so nah an die Eisenstäbe heran, wie er es wagen kann.
Eine Huldufrau mit wehendem Schweif und einem Tablett kommt in Sicht.
Die Enttäuschung gräbt eine tiefe Grube in seinem Magen.
»Fernwaif«, sagt er; sie sieht ihn an. Ihr Blick zeigt, dass sie auf der Hut ist.
»Ihr wisst noch, wie ich heiße«, sagt sie, als wäre es eine Art Trick. Als hätten Prinzen die gleiche Aufmerksamkeitsspanne wie Mücken.
»Aber selbstverständlich.« Oak lächelt und im nächsten Moment entspannt sie sich sichtlich und lässt die Schultern sinken.
Früher hätte er diese Reaktion nicht bemerkt. Schließlich war ein Lächeln dazu da, zur Entspannung beizutragen – aber vielleicht nicht so sehr wie eins von ihm.
Vielleicht könnt Ihr ja gar nicht anders. Oder Ihr merkt es nicht. Das hat Wren gesagt, als er behauptet hatte, seinen Honigmäulchen-Charme nicht mehr anzuwenden, sein Talent als Liebesschwätzer. Er hat sich an die Regeln gehalten, die Oriana ihm vorgeschrieben hatte. Klar, er wusste, wie er jemanden mit Worten dazu bringen konnte, ihn zu mögen, aber er hat sich eingeredet, dass es etwas anderes war, als sich der Magie hinzugeben oder jemanden zu verzaubern.
Doch während er im Dunkeln saß, hatte er noch einmal darüber nachgedacht. Und wenn die Macht aus ihm heraussickerte wie ein Miasma? Wie Gift? Vielleicht hatte er es gar nicht seiner Schlauheit oder Geselligkeit zu verdanken, wenn er Verschwörer verführte. Sondern sie konnten sich seiner Macht nicht erwehren? Und wenn er ein viel schlechterer Elf war, als er gedacht hatte?
Und als wollte er es unter Beweis stellen, drängt er auf seinen Vorteil, sei er nun magisch oder nicht.
Er lächelt Fernwaif noch herzlicher an. »Du bist eine weit bessere Gesellschaft als der Wachtposten, der mir gestern mein Essen gebracht hat«, sagt er vollkommen aufrichtig in Gedanken an den Troll, der ihn nicht einmal angesehen hat. Der die Hälfte seines Wassers verschüttet und ihn dann angegrinst und seine zackigen Zähne gezeigt hat.
»Das ist nicht gerade ein großes Kompliment«, schnaubt Fernwaif.
Da hat sie recht. »Soll ich dir lieber sagen, dass deine Haare wie gesponnenes Gold sind, deine Augen die reinsten Saphire?«
Als sie kichernd die leeren Schüsseln aus dem Spalt unter den Gitterstäben zieht und durch das neue Tablett ersetzt, errötet sie. »Lieber nicht.«
»Ich kann noch einen draufsetzen«, erwidert Oak. »Und vielleicht hast du ja ein bisschen Klatsch und Tratsch für mich, um die kalte Monotonie meiner Tage zu unterbrechen.«
»Ihr seid wirklich albern, Hoheit«, sagt die Huldufrau und beißt sich auf die Unterlippe.
Er lässt den Blick über ihr Kleid schweifen und begutachtet die Taschen, ob in einer ein schwerer Schlüssel liegt. Fernwaif wird dunkelrot.
»Das kann man wohl sagen«, stimmt er ihr zu. »So albern, dass ich mich in diese Lage hineinmanövriert habe. Würdest du eine Nachricht an Wr…, an deine neue Königin übermitteln?«
Sie wendet den Blick ab. »Das wage ich nicht«, sagt sie, und er weiß, dass er es dabei belassen sollte.
Er erinnert sich daran, wie Oriana ihn in seiner Kindheit gewarnt hat. Eine mächtige Fähigkeit wie die deine ist gefährlich, hatte sie gesagt. Du kannst erkennen, was die meisten Leute hören wollen. Wenn du diese Dinge sagst, begnügen sie sich nicht damit, dir zuzuhören. Sie werden dich mehr begehren als alles in der Welt. Die Liebe, die ein Liebesschwätzer entzündet – danach mag sich mancher sehnen. Andere würden den Liebesschwätzer in Stücke hauen, damit niemand anderes ihn in die Finger bekommt.
Anfangs, als er in der Welt der Sterblichen zur Schule ging, hatte er einen Fehler gemacht. Er fühlte sich allein in dieser Schule, und als er endlich einen Freund gefunden hatte, wollte er ihn unbedingt behalten. Und er wusste auch wie. Es war leicht, er musste lediglich das Richtige sagen. Oak erinnert sich an den Geschmack der Macht auf seiner Zunge, die Worte lieferte, die er nicht einmal selbst verstand – Fußball und Minecraft. Und er lobte die Zeichnungen des Jungen. Keine Lügen, aber auch nicht mal in der Nähe der Wahrheit. Sie hatten Spaß zusammen gehabt, waren schweißgebadet über den Schulhof gerannt oder hatten Videospiele im Keller des Jungen gespielt. Sie hatten Spaß zusammen gehabt, bis Oak herausgefunden hatte, dass der Junge nicht mehr sprach, wenn sie auch nur für ein paar Stunden getrennt waren. Der Junge aß auch nichts mehr, er wartete nur darauf, Oak endlich wiederzusehen.
Im Gedenken an diese Erinnerung taumelt Oak weiter und zwingt seinen Mund zu einem Lächeln, von dem er hofft, dass es echt aussieht. »Also, ich will deiner Königin nur mitteilen, dass ich ihr Wohlwollen wünsche. Ich stehe für ihre Befehle zur Verfügung und hoffe, dass sie kommt und genau das tut.«
»Ihr wollt nicht gerettet werden?« Fernwaif lächelt. Jetzt ist sie es, die ihn neckt. »Soll ich meiner Herrin berichten, dass Ihr zahm genug seid, um freigelassen zu werden?«
»Sag ihr …«, erwidert Oak und bringt es nur durch schiere Willensanstrengung fertig, sich die Überraschung angesichts der Neuigkeit, dass sie bereits wieder in die Zitadelle zurückgekehrt ist, nicht anmerken zu lassen. »Sag ihr, dass ich in all dieser Trübsal dahinschwinde.«
Fernwaif lacht, und ihre Augen glänzen, als wäre Oak ein romantischer Charakter in einem Märchen. »Sie hat mich gebeten, heute herzukommen«, verrät sie ihm flüsternd.
Das klingt hoffnungsvoll. Der erste Hoffnungsschimmer seit langer Zeit.
»Dann hoffe ich doch sehr, dass mir dein Bericht zum Vorteil gereicht.« Oak verbeugt sich.
Ihre Wangen sind noch immer gerötet vor Freude, als sie leichten Schrittes fortgeht. Oak sieht, wie ihr Schweif unter ihren Röcken hin und her schwingt.
Er sieht ihr nach, bückt sich dann und untersucht sein Tablett – eine Pilzpastete, ein Schüsselchen Marmelade, eine dampfende Teekanne mit Tasse und ein Glas geschmolzenes Schneewasser. Leckerer als üblich. Und doch hat er wenig Appetit.
Er denkt nur noch an Wren, die er zu Recht fürchtet und doch begehrt. Die möglicherweise seine Feindin ist und eine Gefahr für alle, die er liebt.
Oak tritt mit dem Huf gegen die Steinwand seiner Zelle. Dann schenkt er sich eine Tasse Kiefernadeltee ein, bevor er kalt wird. Die Wärme der Kanne an seinen Fingern lockert sie so sehr, dass er es, hätte er eine Gabel, noch einmal versuchen würde.
In der Nacht wacht er auf und sieht eine Schlange mit einem schwarzen, mit Juwelen verzierten und glitzernden Metallkörper, die an der Wand herabkriecht. Ihre gespaltene Zunge züngelt in regelmäßigen Abständen, um die Luft abzutasten.
Oak erschrickt dermaßen, dass er an die Gitterstäbe zurückweicht und das Eisen heiß an seine Schultern drückt. Er hat solche Geschöpfe schon gesehen, die von den Meisterschmieden im Elfenreich hergestellt wurden. Kostbar und gefährlich.
Er kommt auf die paranoide Idee, Gift könne eine schnörkellose Lösung für das Problem sein, dass er von einem Feind von Elfenheim gefangen gehalten wird. Wäre er tot, müsste kein Lösegeld mehr gezahlt werden.
Er glaubt zwar nicht, dass seine Schwester damit einverstanden wäre, aber andere würden es vielleicht riskieren, sie zu umgehen. Grima Mog, die neue Großgeneralin, wüsste genau, wo sich der Prinz befand, da sie selbst am Hof der Zähne gedient hatte. Grima Mog würde sich vielleicht auch auf den Krieg freuen, der auf diese Weise entfacht würde. Außerdem untersteht sie Cardan ebenso wie Jude.
Die Möglichkeit nicht zu vergessen, dass Cardan Jude überzeugt hatte, in Oak eine Gefahr für sie beide zu sehen.
»Hallo«, flüstert er der Schlange misstrauisch zu.
Gähnend reißt sie das Maul so weit auf, dass er silberne Reißzähne sehen kann. Die Glieder ihres Körpers zucken, bis ein Ring aus ihrer Kehle hervorkommt und klirrend auf den Boden fällt. Oak beugt sich vor und hebt ihn auf. Es ist ein Goldring mit einem dunkelblauen, vom langen Tragen verkratzten Stein. Oaks Ring, ein Geschenk seiner Mutter zum dreizehnten Geburtstag. Er hat ihn auf der Kommode liegen lassen, weil er nicht mehr passt, aber dies ist der Beweis, dass die Kreatur von Elfenheim geschickt wurde. Der Beweis, dass er ihr vertrauen soll.
»Prinsss«, sagt die Schlange. »In drei Tagen musss du ssstartklar für die Erlösssung sssein.«
»Erlösung?« Offenbar war sie wirklich nicht hier, um ihn zu vergiften.
Die Schlange starrt ihn nur mit ihren kalten, funkelnden Augen an.
Viele Nächte lang hat er gehofft, dass ihm jemand zu Hilfe kam. Obwohl er sich wünschte, es möge Wren sein, hat er sich auch oft vorgestellt, wie Bombe ein Loch in die Wand sprengt und ihn hier rausholt.
Doch jetzt, da es sich um eine echte Möglichkeit handelt, ist er von seinen Gefühlen überrascht.
»Gib mir mehr Zeit«, sagt er, obwohl es lächerlich ist, mit einer Metallschlange zu verhandeln, und noch lächerlicher, seine Gefangenschaft verlängern zu wollen, nur um vielleicht doch noch mit einer Person reden zu dürfen, die sich weigert, ihn zu sehen. »Noch zwei Wochen vielleicht. Einen Monat.«
Könnte er doch nur mit Wren reden, dann könnte er es ihr erklären. Auch wenn sie ihm vielleicht nicht vergeben würde, wäre er schon zufrieden, wenn sie ihn nicht mehr als ihren Feind ansehen würde. Es wäre sogar schon gut, wenn er sie davon überzeugen könnte, dass sie Elfenheim nicht feindlich gegenüberstehen musste.
»Drei Tage«, sagt die Schlange noch einmal. Ihre Verzauberung ist entweder zu schlicht, um seinen Protest zu entschlüsseln, oder ihr wurde befohlen, ihn zu ignorieren. »Sssei ssstartklar.«
Oak steckt den Ring an seinen kleinen Finger und sieht zu, wie die Kreatur sich die Wand hochschlängelt. Auf halber Strecke begreift er, dass nicht automatisch niemand vergiftet werden soll, nur weil er es nicht wurde.
Er springt auf die Bank, packt die Schlange unten am Schwanz und zieht sie mit einem kräftigen Ruck von der Wand. Als sie gegen ihn fällt, windet sie sich um seinen Unterarm.
»Prinsss«, zischt sie. Während sie spricht, sieht Oak die winzigen Löcher in den Spitzen ihrer silbernen Reißzähne.
Da sie nicht kämpft, wickelt Oak sie behutsam von seinem Arm. Dann hält er sie am Schwanz fest, schlägt sie mit voller Wucht auf die Steinbank und hört, wie die feinen mechanischen Teile zerbrechen. Ein Edelstein bricht ab, dann ein Stück Metall. Er schlägt sie erneut wie eine Peitsche auf die Bank.
Schließlich gibt die Schlange ein Pfeifen wie von einem Teekessel von sich und die Glieder winden sich. Noch zweimal schmettert Oak ihren Körper auf die Bank, bis er kaputt und reglos daliegt.