ELFENKÖNIG - Holly Black - E-Book
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ELFENKÖNIG E-Book

Holly Black

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Beschreibung

Sei so stark wie der König der Elfen selbst ...

Jude hat nur ein Ziel – als geheime Macht hinter dem Thron ihren Ziehbruder Oak, den wahren Erben des Elfenreichs, zu beschützen. Dafür hat sie Cardan, den neuen König der Elfen, an sich gebunden und zieht im Geheimen die Fäden. Die Geschicke von Faerie zu lenken, wäre schon schwierig genug. Doch Cardan tut alles, um Jude zu unterlaufen, selbst wenn die Faszination, die Jude auf ihn ausübt, ungebrochen ist. Als jemand Unbekanntes in Judes Umfeld offenbar Verrat plant, muss sie nicht nur den Verräter stellen, sondern auch ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber Cardan in den Griff bekommen, wenn sie nicht die Kontrolle über das Elfenreich verlieren möchte …

Alle Bände der »Elfenkrone«-Welt:
ELFENKRONE (Band 1)
ELFENKÖNIG (Band 2)
ELFENTHRON (Band 3)
Wie der König von Elfenheim lernte, Geschichten zu hassen (Illustrierter Zusatzband)
Die verlorenen Schwestern - Eine Elfenkrone-Novelle (nur als E-Book verfügbar)

ELFENERBE - Der gestohlene Thron

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Seitenzahl: 446

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Holly Black

Elfenkönig

Aus dem Englischen von Anne Brauner

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2019 by Holly Black

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »The Wicked King« bei Little, Brown and Company, New York.

Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.

© 2019 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Anne Brauner

Lektorat: Carola Henke

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München

Karte: © Georg Behringer

Cover art copyright © 2019 by Sean Freeman.

Cover design by Karina Granda; Cover copyright © 2019 by Hachette Book Group, Inc.

he · Herstellung: AJ

Satz und E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-22812-5V006

www.cbj-verlag.de

Für Kelly Link aus dem Meervolk

ERSTES BUCH

»Sag ihm dies: ›Ich trotze ihm allezeit, Seiner Ächtung und seiner Schändlichkeit. Und tue kund in schöner Offenheit: Mein Todfeind soll er sein. Obendrein, käm mein Wille zum Tragen, Ich würd ihm die Elfenkrone versagen Und ihn vielmehr gebührend zerschlagen. Auch soll sein Name nicht König sein.‹«

»Nymphidia«

– Michael Drayton

PROLOG

Jude griff zu dem schweren Übungsschwert und nahm die Grundstellung ein – Bereitschaft.

Gewöhne dich erst mal an das Gewicht, hatte Madoc gesagt. Du musst genügend Kraft aufbringen, um zuzuschlagen und zuzuschlagen und wieder zuzuschlagen, ohne zu ermüden. Die erste Lektion besteht darin, stark zu werden.

Es wird wehtun. Schmerz macht dich stark.

Sie stemmte die Füße ins Gras. Der Wind spielte mit ihrem Haar, während sie die Positionen durchging. Eins: das Schwert schräg vor sich, als Schutz für den Körper. Zwei: Schwertknauf nach oben, als wäre die Klinge wie ein Horn ihrem Kopf entsprungen. Drei: wieder nach unten an die Hüfte, wo sie das Schwert herabhängen ließ, Lässigkeit vortäuschend. Und vier: wieder hoch an die Schulter. Jede dieser vier Positionen eignete sich sowohl für den Angriff als auch für die Verteidigung. Kämpfen war wie Schach, man musste den nächsten Zug des Gegners vorhersehen und parieren, bevor man getroffen wurde.

Doch bei dieser Art von Schach war der gesamte Körper beteiligt. Nach einer solchen Partie war sie wund, müde und schlecht auf die Welt zu sprechen. Und auf sich selbst erst recht.

Vielleicht hatte es aber doch mehr Ähnlichkeit mit dem Radfahren. Als sie das gelernt hatte, damals in der Welt der Sterblichen, war sie andauernd hingefallen. Ihre Knie waren so oft verschorft, dass ihre Mutter befürchtet hatte, sie würde bleibende Narben zurückbehalten. Dennoch hatte Jude die Stützräder eigenhändig abmontiert und sich verächtlich geweigert, wie Taryn sicherheitshalber auf dem Bürgersteig zu fahren. Jude wollte auf der Straße fahren, so schnell wie Vivi, und wenn sich deshalb Schotter in ihre Haut bohrte, dann musste ihr Vater ihn eben abends mit der Pinzette wieder entfernen.

Hin und wieder sehnte Jude sich nach ihrem Fahrrad, aber im Elfenreich gab es so etwas nicht. Hier hatte sie Riesenkröten und grünliche Ponys und Pferde mit wildem Blick, schlank wie Schatten.

Und Waffen.

Außerdem war da noch der Mörder ihrer Eltern, ihr Ziehvater Madoc. Als General des Hochkönigs hatte er es sich zum Ziel gesetzt, dass sie rasant reiten und bis aufs Messer kämpfen konnte. Er lachte immer nur, und wenn sie noch so stürmisch auf ihn eindrang. Ihre Wut gefiel ihm. Sie hatte Feuer, fand er.

Jude gefiel es ebenfalls, wenn sie wütend war, denn Wut war besser als Angst und besser als die Erinnerung daran, dass sie eine Sterbliche unter Ungeheuern war. Stützräder bot ihr schon lange niemand mehr an.

Auf der anderen Seite des Übungsfeldes führte Madoc Taryn durch eine Reihe von Stellungen. Auch Taryn wurde im Schwertkampf unterwiesen, ihre Probleme waren jedoch anders gelagert als Judes. Sie beherrschte die einzelnen Positionen besser als ihre Schwester, doch sie hasste diese Übungseinheiten. Da Taryn die offenkundigen Abwehrhaltungen mit offenkundigen Attacken parierte, war es ein Leichtes, sie in eine Bewegungsfolge zu locken und einen Hieb zu landen. Man musste nur das Muster durchbrechen. Dann wurde Taryn jedes Mal sauer, als würde Jude Tanzschritte durcheinanderbringen, statt zu gewinnen.

»Komm her«, rief Madoc Jude über die Weite des silberglänzenden Rasens zu.

Das Schwert über der Schulter lief sie zu ihm. Die Sonne ging gerade unter, doch Elfen lebten im Zwielicht, und ihr Tag war noch nicht einmal halb vorüber. Streifen aus Kupfer und Gold zogen über den Himmel und sie atmete tief den Duft der Kiefernnadeln ein. Einen kurzen Augenblick lang fühlte sie sich wie ein Kind, das eine neue Sportart erlernte.

»Los, kämpf mit«, sagte Madoc, als sie näher kam. »Ihr beide gegen mich alte Rotkappe.« Taryn stützte sich auf ihr Schwert, sodass sich die Spitze in den Boden bohrte. Das war eigentlich verboten, denn es schadete der Klinge, doch Madoc verzichtete diesmal auf eine Ermahnung.

»Macht«, sagte er. »Macht ist die Gabe zu bekommen, was man haben will. Macht ist die Gabe, eigene Entscheidungen treffen zu können. Und wie kommen wir an diese Macht?«

Jude stellte sich neben ihre Zwillingsschwester. Madoc war anzusehen, dass er eine Antwort erwartete und jetzt schon sicher war, dass sie falsch sein würde. »Indem wir lernen, gut zu kämpfen?«, erwiderte sie, um irgendetwas zu sagen.

Als Madoc sie anlächelte, sah sie die Spitzen seiner Eckzähne, die länger waren als die anderen. Er zerzauste ihr Haar und streifte mit seinen scharfen krallenartigen Nägeln ihre Kopfhaut – nicht so fest, dass es wehtat, doch eine Ermahnung, wer und was er war. »Wir kommen an die Macht, indem wir sie ergreifen.«

Er zeigte auf einen kleinen Hügel, auf dem ein Dornbaum stand. »Gehen wir die nächste Lektion spielerisch an. Das ist mein Hügel. Los, erobert ihn.«

Pflichtschuldig lief Taryn zu dem Hügel und Jude hinter ihr her. Madoc hielt Schritt und zeigte beim Lächeln alle Zähne.

»Und jetzt?«, fragte Taryn sichtlich unmotiviert.

Madoc schaute in die Ferne, als würde er verschiedene Vorgaben erwägen und verwerfen. »Jetzt verteidigt ihr ihn gegen einen Angriff.«

»Moment, was?«, fragte Jude. »Gegen dich?«

»Soll das jetzt ein Strategiespiel oder ein Übungskampf sein?«, fragte Taryn skeptisch nach.

Madoc legte ihr einen Finger unters Kinn und hob ihren Kopf, bis sie in seine goldenen Katzenaugen blickte. »Was ist ein Übungskampf anderes als ein schnelles Strategiespiel?«, antwortete er mit tiefem Ernst. »Frag deine Schwester. Wenn die Sonne den Baumstamm erreicht, hole ich mir meinen Hügel zurück. Ihr müsst mich nur einmal zu Fall bringen, dann habt ihr gewonnen.«

Mit diesen Worten trabte er zu einem Wäldchen, das in einiger Entfernung von dem Hügel lag. Taryn setzte sich ins Gras.

»Ich habe keine Lust«, sagte sie.

»Ist doch nur ein Spiel«, entgegnete Jude nervös.

Taryn warf ihr einen langen Seitenblick zu, den sie beide jeweils einsetzten, wenn eine von ihnen so tat, als wäre alles normal. »Okay, was meinst du denn, wie wir vorgehen sollen?«

Jude betrachtete die Äste des Dornbaums. »Was hältst du davon, wenn eine von uns mit Steinen wirft und die andere kämpft?«

»Einverstanden«, sagte Taryn, stand auf und sammelte Steine in ihre gerafften Röcke. »Er wird doch nicht verrücktspielen, oder?«

Jude schüttelte den Kopf, aber sie verstand Taryns Bedenken. Und wenn er sie nun aus Versehen umbrachte?

Du kannst dir aussuchen, auf welchem Hügel es mit dir zu Ende geht, hatte Mom immer zu Dad gesagt. Das war einer dieser Sprüche, von denen Erwachsene erwarteten, dass man sie verstand, obwohl sie überhaupt keinen Sinn ergaben – so wie »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«, »Alles hat zwei Seiten« und das vollkommen rätselhafte Sprichwort »Jede Kugel hat ihr Ziel«, das sie jetzt auf diesem Hügel mit einem Schwert in der Hand sehr viel besser verstand.

»Geh auf Position.« Taryn ließ sich das nicht zweimal sagen und kletterte auf den Dornbaum, während Jude den Stand der Sonne prüfte und überlegte, zu welchen Tricks Madoc greifen würde. Je länger er wartete, umso dunkler wurde es, und während er im Dunkeln sehen konnte, waren die Zwillinge dazu nicht in der Lage.

Doch letzten Endes versuchte er es gar nicht erst mit Tricks, sondern stürmte aus dem Wald und stimmte ein Geheul an, als hätte er ein hundertköpfiges Heer anzuführen. Jude bekam vor Angst weiche Knie.

Es ist nur ein Spiel, redete sie sich hektisch gut zu. Doch je näher er kam, umso weniger vertraute ihr Körper darauf. All ihre Grundinstinkte drängten sie, wegzulaufen.

Er war so groß und sie so klein und verängstigt, dass ihr die Strategie dumm vorkam. Jude musste an ihre Mutter denken, die am Boden verblutet war, und erinnerte sich an den Geruch ihrer herausspritzenden Eingeweide. Die Erinnerung fühlte sich im Kopf wie ein Gewitter an – gleich würde sie sterben.

Lauf weg, schrillte ihr ganzer Körper. LAUF!

Falsch. Ihre Mutter war weggelaufen. Jude stemmte die Füße in den Boden.

Mit zitternden Beinen zwang sie sich, die Grundposition einzunehmen. Obwohl Madoc erst den Hügel erklimmen musste, hatte er Oberwasser, weil er den Schwung nutzen konnte. Die Steine, die Taryn auf ihn abfeuerte, behinderten ihn kaum.

Jude sprang zur Seite, ohne auch nur zu versuchen, seinen ersten Schlag zu blocken. Mit dem Baum zwischen ihnen konnte sie auch dem zweiten und dritten ausweichen. Erst nach dem vierten Hieb landete sie im Gras.

Sie schloss die Augen vor dem tödlichen Schlag.

»Man kann sich etwas nehmen, wenn niemand hinsieht. Aber etwas zu verteidigen, ist nicht leicht, selbst wenn man den Vorteil auf seiner Seite hat«, sagte Madoc lachend zu Jude. Als sie die Augen aufschlug und ihn ansah, reichte er ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. »Es ist viel einfacher, sich etwas zu nehmen, als es festzuhalten.«

Wie eine Woge schlug die Erleichterung über ihr zusammen. Es war doch nur ein Spiel, eine Lektion mehr.

»Das war unfair«, murrte Taryn.

Jude schwieg. Nichts im Elfenreich war fair. Wenn sie eins gelernt hatte, dann, dass sie das nicht erwarten durfte.

Madoc riss Jude hoch und schlang ihr seinen schweren Arm um die Schultern. Dann schloss er sie und ihre Zwillingsschwester in eine Umarmung. Er roch nach Rauch und geronnenem Blut und Jude schmiegte sich an ihn. Es tat gut, umarmt zu werden, selbst von einem Ungeheuer.

1

Der neue Hochkönig der Elfen lungert mit lässig sitzender Krone auf seinem Thron, während der lange, tiefrote Umhang auf seinen Schultern ruht und über den Boden schleift. Oben an seinem spitzen Ohr glänzt ein Ohrring, und schwere Ringe funkeln an seinen Fingern, doch am provozierendsten ist sein weicher, verdrießlicher Mund.

Damit sieht er voll und ganz wie der Dreckskerl aus, der er ist.

Ich stehe seitlich neben dem Thron auf dem ehrenhaften Posten der Seneschallin. Da ich als Beraterin des Hochkönigs Cardan auftrete, der mir sein Vertrauen schenkt, spiele ich diese statt meiner wahren Rolle. In Wirklichkeit ziehe ich hinter der Krone die Fäden und habe genügend Macht, um ihn zum Gehorsam zu zwingen, falls er mir querkäme.

Im Augenblick lasse ich den Blick über die Menge schweifen und halte Ausschau nach einem Spion vom Hof der Schatten. Aus dem Turm des Vergessens, in dem Cardans Bruder gefangen gehalten wird, wurde eine Nachricht abgefangen, die mir statt dem gewünschten Empfänger vorgelegt wurde.

Und das ist nur die neueste Krisensituation.

Es ist fünf Monate her, seit ich Cardan gezwungen habe, als meine Marionette den Thron von Elfenheim zu besteigen, fünf Monate, seit ich meine Familie verraten habe. So lange ist es auch her, seit meine Schwester meinen kleinen Bruder ins Reich der Sterblichen gebracht hat – weit weg von der Krone, die auch er hätte aufsetzen können. Fünf Monate, seit ich die Klingen mit Madoc gekreuzt habe.

In diesen fünf Monaten habe ich nie mehr als ein paar Stunden am Stück geschlafen.

Es kam mir wie ein guter Handel vor, sogar wie ein guter Elfenhandel, jemanden auf den Thron zu setzen, der mich verachtete, damit Oak außer Gefahr war. Es war aufregend, Cardan mithilfe eines Tricks zu dem Schwur zu verleiten, mir ein Jahr und einen Tag lang zu dienen, und geradezu erheiternd, als der Plan tatsächlich aufging. Damals kamen mir ein Jahr und ein Tag wie eine Ewigkeit vor. Doch jetzt muss ich mir überlegen, wie ich auch danach über ihn bestimmen und ihn weiterhin aus allen Schwierigkeiten heraushalten kann. Zumindest so lange, damit Oak genießen kann, was mir nicht vergönnt war: eine Kindheit.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, ein Jahr und ein Tag verfliegen im Nu.

Und selbst wenn ich Cardan mithilfe von Intrigen gekrönt habe, was genau meinem Plan entsprach, macht es mich irgendwie fertig, wie gut es ihm gefällt.

Die Herrscher im Elfenland sind an ihren Grund und Boden gebunden. Auf geheimnisvolle Weise, die ich nicht ganz verstanden habe, sind sie der Lebenssaft und der Herzschlag des Reiches. Doch das ist Cardan ganz bestimmt nicht, da er viel lieber herumhängt, als zähe Regierungsarbeit zu leisten.

Seine Pflichten bestehen hauptsächlich darin, sich die Hände mit den vielen Ringen küssen zu lassen und den Schmeicheleien des Elfenvolks zu lauschen. Der Teil ist ihm bestimmt am liebsten – wenn sie ihn küssen, sich verbeugen und mit den Füßen scharren. Den Wein lässt er sich auch schmecken. Immer wieder muss nachgeschenkt werden, damit sein Pokal mit den ovalen Schmucksteinen stets mit dem blassgrünen Getränk gefüllt ist. Allein von dem Geruch schwirrt mir der Kopf.

Als gerade einmal etwas Ruhe eintritt, schaut er zu mir und zieht eine schwarze Augenbraue hoch. »Na, macht’s Spaß?«

»Nicht so viel wie dir.«

Wenn er mich in der Schule schon nicht mochte, war das eine flackernde Kerze gegen die stetige Flamme des Hasses, den er jetzt für mich empfindet. Er verzieht den Mund zu einem Lächeln und seine Augen funkeln böse. »Sieh sie dir an, deine Untertanen. Eine Schande, dass sie alle nicht wissen, wer die wahre Herrscherin ist.«

Meine Wangen brennen bei diesen Worten. Er hat wirklich das Talent, ein Kompliment in eine Beleidigung zu verwandeln, die umso mehr schmerzt, weil man es gern für bare Münze nehmen würde.

Auf unzähligen Festen habe ich mich darum bemüht, nicht aufzufallen. Jetzt bin ich nicht mehr unsichtbar, sondern aale mich im Kerzenschein, gekleidet in eins der drei beinahe identischen schwarzen Wämser, die ich allabendlich trage. Mein Schwert Nachtfäller habe ich um die Hüfte gegürtet. Die Elfen wirbeln in ihren Kreistänzen und spielen ihre Lieder, sie trinken ihren goldenen Wein und verfassen ihre Rätsel und Verwünschungen, während ich vom königlichen Podest auf sie herunterblicke. Schön und schrecklich, verachten sie mich vielleicht für meine Sterblichkeit und machen sich gar darüber lustig, doch ich stehe hier oben, nicht sie.

Selbstverständlich unterscheidet sich das nur unwesentlich von meinem früheren Versteckspiel. Möglicherweise verberge ich mich bloß direkt vor ihren Augen. Andererseits kann ich nicht leugnen, wie glücklich ich über meine Macht bin, wie sehr ich mich jedes Mal freue, allein wenn ich daran denke. Ich wünschte nur, Cardan würde es nicht merken.

Wenn ich genau hinsehe, kann ich meine Zwillingsschwester Taryn sehen, die mit ihrem Verlobten Locke tanzt. Mit Locke, von dem ich einst glaubte, er wäre in mich verliebt. Mit Locke, von dem ich einst glaubte, ich könnte ihn lieben. Aber Taryn fehlt mir schon. In Nächten wie dieser träume ich davon, vom Podest zu springen und ihr zu erklären, warum ich das alles getan habe.

Ihre Hochzeit findet bereits in drei Wochen statt, doch wir haben noch immer kein Wort miteinander gesprochen.

Ich rede mir ein, dass sie auf mich zukommen muss. Schließlich hat sie mich im Hinblick auf Locke an der Nase herumgeführt, und ich komme mir immer noch blöd vor, wenn ich die beiden sehe. Wenn Taryn sich schon nicht entschuldigen will, könnte sie wenigstens so tun, als gäbe es gar keinen Grund, sich zu entschuldigen. Damit könnte ich leben. Doch ich denke nicht daran, zu Taryn zu gehen und darum zu betteln.

Mit den Augen verfolge ich ihren Tanz.

Nach Madoc muss ich gar nicht erst Ausschau halten. Diese Stellung bei Hofe hat mich seine Liebe gekostet.

Ein gedrungener Hutzelelf, der in einen roten Mantel gewandet ist und einen silbernen Schopf hat, wartet auf Knien vor dem Podest darauf, dass ihn jemand zur Kenntnis nimmt. Seine Manschetten sind mit Edelsteinen verziert, und die Nadel in Mottengestalt, die seinen Mantel zusammenhält, hat Flügel, die sich automatisch bewegen. Seiner unterwürfigen Miene zum Trotz ist sein Blick gierig.

Neben ihm stehen zwei blasse, langgliedrige Hügelelfen mit wehendem Haar, obwohl sich kein Lüftchen regt.

Nüchtern oder betrunken muss Cardan als Hochkönig seinen Untertanen Gehör schenken, die sich mit einem Anliegen an ihn wenden, und wenn es noch so geringfügig ist. Anderen soll er eine Gunst erweisen. Ich verstehe zwar nicht, warum jemand sein Schicksal ausgerechnet in seine Hände legen sollte, aber das Elfenreich ist von Launen und Willkür geprägt.

Zum Glück bin ich ja da, um ihm meinen Rat ins Ohr zu flüstern, wie es sich für eine Seneschallin gehört. Ungewöhnlich ist nur, dass er auf mich hören muss. Und wenn er abscheuliche Beleidigungen zurückflüstert, tja, dann ist er zumindest gezwungen, sie nicht laut vorzutragen.

Natürlich stellt sich die Frage, ob ich so viel Macht überhaupt verdient habe. Ich werde nichts Grauenhaftes tun, nur weil es mir Spaß bereitet, rede ich mir ein. Das zählt doch bestimmt.

»Ah«, sagt Cardan und beugt sich auf dem Thron vor, sodass seine Krone tiefer in die Stirn rutscht. Er trinkt einen großen Schluck Wein und lächelt auf das Trio herab. »Es muss von großer Tragweite sein, wenn ihr beim Hochkönig vorsprecht.«

»Es könnte sein, dass Ihr von mir gehört habt«, sagt das Hutzelmännchen. »Ich habe die Krone hergestellt, die auf Eurem Kopf sitzt. Man nennt mich Grimsen der Schmied, und ich war lange beim Erlkönig in der Verbannung. Nun haben seine Gebeine ihre letzte Ruhe gefunden, und in Fairfold herrscht ein neuer Erlkönig, so wie hier ein neuer Hochkönig.«

»Severin«, sage ich.

Der Schmied sieht mich sichtlich erstaunt an, weil ich es gewagt habe, den Mund aufzumachen. Dann wendet er sich wieder dem Hochkönig zu. »Bitte, lasst mich an den Hohen Hof zurückkehren.«

Cardan blinzelt ein paar Mal, als hätte er Mühe, sich auf den Bittsteller zu konzentrieren. »Du bist also verbannt worden? Oder hast du unser Reich aus freien Stücken verlassen?«

Cardan hat mir einiges über Severin erzählt, doch von Grimsen war nicht die Rede gewesen. Selbstverständlich habe ich von ihm gehört. Er ist der Eisenschmied, der in Mabs Auftrag die Blutkrone geschaffen und die Zaubersprüche hineingewirkt hat. Angeblich kann er nach Belieben alles aus Metall herstellen, sogar lebendige Gegenstände – Metallvögel, die fliegen können, Metallnattern, die schlängeln und zubeißen. Von Grimsens Hand stammen die Zwillingsschwerter Herzsucher und Herzschwur; das erste verfehlt nie sein Ziel und das andere kann alles zerschneiden. Leider hat er sie für den Erlkönig geschmiedet.

»Als sein Diener hatte ich ihm die Treue geschworen«, antwortet Grimsen. »Deshalb musste ich ihm folgen, als er verbannt wurde – und bin auf diese Weise selbst in Ungnade gefallen. Obwohl ich in Fairfold nur Schmuck für den Erlkönig geschmiedet habe, sah Euer Vater in mir einzig seine Kreatur.

Nun, da beide tot sind, sehne ich mich nach der Erlaubnis, mir hier an Eurem Hof eine Stellung zu verschaffen. Bestraft mich nicht länger, dann wird meine Treue Eurer Weisheit ebenbürtig sein.«

Ich mustere den kleinen Schmied gründlicher, weil ich auf einmal sicher bin, dass er sich ein Wortspiel leistet. Doch zu welchem Zweck? Die Bitte scheint ernst gemeint zu sein, und wenn Grimsens Demut es nicht ist, wäre das bei seinem Ruhm nicht verwunderlich.

»Ausgezeichnet«, sagt Cardan erfreut, dass er diesen Wunsch mit Leichtigkeit erfüllen kann. »Deine Verbannung ist aufgehoben. Schwöre mir die Treue, dann soll dich der Hohe Hof willkommen heißen.«

Grimsen verbeugt sich tief mit einer dramatisch sorgenvollen Miene. »Edler König, Ihr bittet Euren Diener um die kleinste, vernünftigste Sache der Welt, aber da ich für solch einen Schwur fürchterlich gelitten habe, scheue ich mich davor, ihn noch einmal zu leisten. Gewährt mir Folgendes – lasst Euch meine Ergebenheit durch meine Taten erweisen, anstatt mich mit Worten an Euch zu binden.«

Ich lege Cardan die Hand auf den Arm, doch er schüttelt meine warnende Geste ab. Wenn ich etwas sage, wäre er – aufgrund eines früheren Befehls – gezwungen, mir zumindest nicht zu widersprechen, doch mir fällt nichts Passendes ein. Es ist keine geringe Sache, einen Schmied zu haben, der seine Künste für Elfenheim einsetzt. Möglicherweise ist es einen nicht geleisteten Schwur wert.

Dennoch. Grimsens Blick ist ein wenig zu selbstgefällig, zu hochmütig. Ich hege den Verdacht, dass er eine List anwendet.

Cardan antwortet, bevor ich noch mehr herausfinden kann. »Ich will auf deine Bedenken eingehen und dir noch dazu eine Gefälligkeit erweisen. Am Rand des Palastgeländes liegt ein altes Haus mit einer Schmiede, das sollst du bekommen, und so viel Metall, wie du willst. Ich freue mich auf die Werke, die du für uns erschaffst.«

Erneut eine tiefe Verbeugung. »Ich werde Euch diese Freundlichkeit nicht vergessen.«

Das gefällt mir nicht, doch vielleicht bin ich übervorsichtig. Oder es liegt daran, dass ich den Schmied nicht leiden kann, da aber der nächste Bittsteller vortritt, bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken.

Ein altes Hexenweib, so ehrwürdig und mächtig, dass die Luft in ihrer Umgebung magisch knistert. Ihre Finger sind verzweigt, ihr Haar hat die Farbe des Rauchs und ihre Nase ist scharf geschnitten wie eine Sense. Die Alte trägt eine Halskette aus Steinen, in die Spiralen graviert sind, die den Blick bannen und das Auge verwirren. Bei jeder Bewegung legen sich ihre schweren Gewänder in Falten und ich erhasche einen Blick auf Krallenfüße wie die eines Raubvogels.

»Königlein«, sagt das Hexenweib. »Mutter Marrow bringt Euch Geschenke.«

»Dein Eid soll mir genügen.« Cardans Stimme ist milde. »Im Moment.«

»Oh, ich habe auf die Krone geschworen, selbstverständlich«, erwidert sie, steckt eine Hand in die Tasche und zieht ein Tuch hervor, schwärzer als der Nachthimmel, so schwarz, als würde es das Licht in seiner Nähe aufsaugen. Der Stoff fließt über ihre Hand. »Aber ich bin den ganzen weiten Weg gekommen, um Euch diesen seltenen Schatz zu überreichen.«

Da das Kleine Volk nicht gern Schulden macht, erhält man bei einem Gefallen auch kein einfaches Dankeschön. Gibt man einem von ihnen ein Haferplätzchen, füllt er einen Raum im Haus des Schenkenden mit Getreide und bezahlt also zu viel, um die Schulden wieder dem anderen aufzubürden. Dennoch wird Hochkönigen ständig Tribut gezollt – Gold, Dienste, Schwerter mit Namen. Allerdings bezeichnen wir diese Dinge normalerweise nicht als Geschenke oder gar Schätze.

Ich werde aus der kurzen Rede der Alten nicht schlau.

Nun schnurrt sie geradezu. »Meine Tochter und ich haben es aus Spinnenseide und Albträumen gewoben. Ein Gewand, das daraus geschneidert wird, kann eine scharfe Klinge abwenden und ist doch weich wie ein Schatten auf Eurer Haut.«

Cardan runzelt die Stirn, aber sein Blick wird immer wieder magisch von dem wundersamen Tuch angezogen. »Ich muss gestehen, dass ich dergleichen noch nie gesehen habe.«

»Dann nehmt Ihr an, was ich Euch zuteilwerden lassen möchte?«, fragt das Weib mit einem listigen Funkeln in den Augen. »Ich bin älter als Euer Vater und Eure Mutter. Älter als die Steine in diesem Palast. So alt wie die Knochen der Erde. Ihr seid zwar der Hochkönig, und doch werdet Ihr Mutter Marrow Euer Wort gewähren.«

Cardans Augen werden schmal. Jetzt hat sie ihn verärgert, das ist offensichtlich.

Sie will ihn austricksen, und diesmal weiß ich auch, wie. Bevor Cardan etwas sagen kann, melde ich mich zu Wort. »Du sagtest Geschenke, doch bisher hast du uns nur dein fabelhaftes Tuch gezeigt. Ich bin sicher, dass die Krone es gern in Besitz nähme, wenn es aus freien Stücken gespendet würde.«

Als der Blick der Hexe auf mir ruht, sind ihre Augen hart und kalt wie die Nacht. »Und wer seid Ihr, dass Ihr für den Hochkönig sprechen dürft?«

»Ich bin seine Seneschallin, Mutter Marrow.«

»Und Ihr lasst das Menschenmädchen für Euch antworten?«, fragt sie Cardan.

Er wirft mir einen derart herablassenden Blick zu, dass meine Wangen brennen, und schaut mich an, bis seine Lippen zucken. »Ich denke schon«, sagt er schließlich. »Sie hilft mir so gern aus der Klemme.«

Ich beiße mir auf die Zunge, als er sich gelassen wieder Mutter Marrow zuwendet.

»Schlau genug ist sie«, sagt die Alte und faucht die Worte wie eine Verwünschung. »Nun gut, das Tuch gehört Euch, Hoheit. Ich gebe es Euch aus freien Stücken. Diesen Stoff gebe ich Euch und mehr nicht.«

Cardan beugt sich vor, als würden sie miteinander scherzen. »Oh, aber erzähl mir von dem Rest. Für Tricks und Kniffe habe ich etwas übrig, auch wenn ich fast in die Falle getappt wäre.«

Mutter Marrow tritt von einem Krallenfuß auf den anderen und zeigt zum ersten Mal Nerven. Selbst einer alten Hexe, deren Knochen so alt sind, wie sie behauptet, kann der Zorn eines Hochkönigs gefährlich werden. »Sehr wohl. Hättet Ihr alles genommen, was ich Euch zuteilwerden lassen wollte, stündet Ihr nun unter einem Fluchgelübde und dürftet nur eine Weberin dieses Stoffes ehelichen. Mich – oder meine Tochter.«

Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als ich mir vorstelle, was dann geschehen wäre. Konnte man den Hochkönig von Elfenheim zu einer solchen Heirat zwingen? Es hätte sicherlich einen Ausweg gegeben. Ich musste an den letzten Hochkönig denken, der nie geheiratet hatte.

Die Herrscher im Elfenreich gehen eher selten die Ehe ein, denn wenn man erst einmal den Thron bestiegen hat, regiert man, bis man stirbt oder abdankt. Im gemeinen Volk und dem Adel kann man sich aus der Ehe wieder befreien. Statt des sterblichen Schwurs »bis dass der Tod uns scheidet«, gibt es Formulierungen wie »bis ihr euch gegenseitig entsagt« oder »es sei denn, einer schlägt vor Wut den anderen« oder das schlau gefasste »auf Lebenszeit«, ohne dass festgelegt würde, wessen Spanne gemeint ist. Eine Vereinigung von Königen und/oder Königinnen jedoch kann niemals gelöst werden.

Sollte Cardan heiraten, müsste ich nicht nur ihn vom Thron stoßen, um Oak darauf zu setzen. Seine Braut müsste ich gleich mit entsorgen.

Cardan zieht die Augenbrauen hoch und strahlt doch nur fröhliche Sorglosigkeit aus. »Meine Dame, ich fühle mich geschmeichelt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr interessiert seid.«

Ohne mit der Wimper zu zucken, überreicht sie ihr Geschenk Cardans Leibgarde. »Möget Ihr so weise werden wie Eure Berater.«

»Dafür beten viele«, antwortet er. »Sag mal, ist deine Tochter mit dir gereist?«

»Sie ist hier«, sagt das Hexenweib, und aus der Menge tritt ein Mädchen, das sich tief verbeugt. Es ist jung, hat einen wilden Haarschopf und ist seltsam lang und zweigartig gewachsen wie ihre Mutter. Doch wo die Alte abstoßend knochig ist, strahlt es Anmut aus. Vielleicht hilft es auch, dass ihre Füße menschlicher wirken.

Andererseits will ich nicht verschweigen, dass sie nach hinten gedreht sind.

»Ich würde einen elenden Ehemann abgeben«, sagt Cardan und konzentriert sich auf das Mädchen, das unter seinem intensiven Blick zu schrumpfen scheint. »Doch wenn du mir einen Tanz schenkst, zeige ich dir, was ich sonst noch kann.«

Ich werfe ihm einen misstrauischen Blick zu.

»Komm«, sagt Mutter Marrow zu dem Mädchen und packt es unsanft am Arm, um es in die Zuschauermenge zurückzuziehen. Dann sieht sie sich noch einmal zu Cardan um. »Wir drei sehen uns wieder.«

»Du, sie wollen dich alle heiraten«, säuselt Locke. Ich erkenne seine Stimme, bevor ich sehe, dass er Mutter Marrows Platz eingenommen hat.

Er grinst zu Cardan hoch, entzückt von sich selbst und der Welt im Allgemeinen. »Es ist besser, sich Gefährtinnen zu nehmen«, sagt Locke. »Viele, viele Gefährtinnen.«

»Und das von dem Mann, der den Hafen der Ehe ansteuert«, sagt Cardan mahnend.

»Ach, geh. Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, wie Mutter Marrow.« Locke geht einen Schritt auf das Podest zu. »Eins mit weniger Haken.« Er blickt nicht in meine Richtung. Es ist, als würde er mich nicht sehen oder hielte mich für ebenso uninteressant wie ein Möbelstück.

Ich wünschte, das würde mich kaltlassen. Ich wünschte, ich könnte vergessen, wie ich auf dem höchsten Turm seines Anwesens stand und Locke sich warm an mich schmiegte. Ich wünschte, er hätte mich nicht dazu benutzt, die Liebe meiner Schwester auf den Prüfstand zu stellen. Und ich wünschte, sie hätte ihn daran gehindert.

Wenn Wünsche Pferde wären, hat mein sterblicher Vater immer gesagt, würden Bettler reiten. Noch so ein Spruch, der erst einen Sinn ergibt, wenn er zutrifft.

»Ja?« Cardan wirkt eher verwirrt als begeistert.

»Ich möchte dir mich schenken – als deinen Großmeister der Festlichkeiten«, erklärt Locke. »Wenn du mir diese Stellung verschaffst, betrachte ich es als meine Pflicht und Freude zu verhindern, dass sich der Hochkönig von Elfenheim langweilt.«

In einem Palast gibt es so viele Metiers – Diener und Gesandte, Botschafter und Generäle, Berater und Schneider, Spaßmacher und Rätselverfasser, Pferdeknechte und Spinnenhalter sowie ein Dutzend Berufe, die mir entfallen sind. Ich wusste nicht einmal, dass es einen Großmeister der Festlichkeiten gibt – aber vielleicht hat Locke ihn auch gerade erfunden.

»Ich werde mit Wonnen aufwarten, wie du sie dir nicht vorstellen kannst.« Lockes Lächeln ist ansteckend. Er wird mit Schwierigkeiten aufwarten, das steht jetzt schon fest. Schwierigkeiten, für die ich keine Zeit habe.

»Vorsicht«, sage ich und ziehe erstmals Lockes Aufmerksamkeit auf mich. »Du willst doch die Vorstellungskraft des Hochkönigs nicht beleidigen.«

»Bestimmt nicht«, sagt Cardan auf eine Weise, die schwer zu deuten ist.

Locke lächelt ungerührt weiter und springt dann aufs Podest. Die Ritter auf beiden Seiten rücken sofort gegen ihn vor, doch Cardan winkt ab.

»Wenn du ihn zum Großmeister der Festlichkeiten ernennst …«, setze ich hastig und verzweifelt an.

»Ist das ein Befehl?« Cardan schneidet mir mit hochgezogenen Augenbrauen das Wort ab.

Er weiß genau, dass ich nicht Ja sagen kann, weil Locke es hören könnte. »Selbstverständlich nicht«, antworte ich zähneknirschend.

»Gut.« Cardan wendet sich schon wieder ab. »Mir steht der Sinn danach, deine Bitte zu erfüllen, Locke. In letzter Zeit war es tatsächlich etwas öde hier.«

Als ich Lockes Grinsen sehe, beiße ich mir in die Wange, um nicht doch einen Befehl auszusprechen. Es täte mir so gut, seine Miene zu sehen, wenn ich meine Macht demonstriere.

Doch das wäre dumm.

»Bisher haben Stärlinge, Lerchen und Falken um das Herz des Hofes gewetteifert«, sagt Locke und spielt auf die gesellschaftlichen Gruppierungen an, die jeweils Feierlichkeiten, Kunst oder Krieg bevorzugten. Kreise, denen Eldred seine Huld erwies und ebenso schnell wieder entzog. »Doch jetzt ist es allein dein Herz, das bei Hofe zählt. Brechen wir es.«

Cardan wirft Locke einen merkwürdigen Blick zu, als käme er anscheinend zum ersten Mal auf die Idee, es könnte Spaß machen, Hochkönig zu sein. Als würde er sich vorstellen, wie er herrscht, ohne sich gegen meine Leine zu sträuben.

Endlich entdecke ich an der anderen Seite des Podests Bombe, die als Spionin für den Hof der Schatten tätig ist. Ihr weißes Haar umrahmt ihr braunes Gesicht, als sie mir ein Zeichen gibt.

Locke und Cardan sind meiner Meinung nach kein gutes Gespann – und es gefällt mir nicht, welche Vergnügungen ihnen vorschweben –, doch ich steige vom Podest und gehe zu Bombe. Wenn Locke mit Amüsement beschäftigt ist, komme ich sowieso nicht gegen ihn an.

Auf halbem Weg zu Bombe höre ich Lockes laute Ankündigung an die Menge. »Wir feiern den Jägermond im Milchwald, und der Hochkönig lässt euch in einer Orgie schwelgen, die noch lange Zeit von den Barden gepriesen werden wird.«

Vor Grauen wird mir übel.

Als Locke Pixies aus der Menge aufs Podest zieht, glänzen ihre schillernden Flügel im Kerzenschein. Ein Mädchen nimmt unter schallendem Gelächter Cardans Pokal und trinkt ihn aus. Eigentlich hätte ich jetzt erwartet, dass er ausfällig wird, sie demütigt oder ihre Flügel zerfetzt, doch er lächelt nur und bestellt mehr Wein.

Offenbar ist Cardan bereit, mitzuspielen, was auch immer Locke aus dem Hut zaubert. Auf eine Krönung im Elfenreich folgt automatisch ein Monat der Feierlichkeiten, in dem in Saus und Braus geschwelgt, gesoffen, gerätselt und gefochten wird. Vom Kleinen Volk wird erwartet, dass es von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang die Sohlen durchtanzt. Doch auch fünf Monate nachdem Cardan zum Hochkönig erkoren wurde, sind die großen Säle stets gut gefüllt, und die Trinkhörner quellen über vor Met und Kleewein. Das Tempo der Festlichkeiten hat kaum nachgelassen.

Es ist sehr lange her, seit in Elfenheim ein blutjunger König regierte, und eine wilde, übermütige Stimmung hat den gesamten Hofstaat erfasst. Der Jägermond steht kurz bevor, noch vor Taryns Hochzeit. Wenn Locke die Flammen der Ausschweifungen weiter schüren will, wann wird das wohl gefährlich?

Es kostet mich einige Mühe, Cardan den Rücken zuzukehren. Was würde es auch bringen, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen?

Er hasst mich so sehr, dass er mir innerhalb des Rahmens meiner Befehle trotzt, wo er kann. Darin ist er besonders gut.

Ich würde gern behaupten, dass er mich schon immer gehasst hat, doch über einen kurzen, seltsamen Zeitraum hat es sich so angefühlt, als würden wir uns verstehen und vielleicht sogar gernhaben. Insgesamt ein sehr unpassendes Bündnis, das mit meinem Schwert an seiner Kehle begann und dazu führte, dass er mir genügend vertraute, um sich meiner Macht zu unterwerfen.

Dieses Vertrauen habe ich gründlich enttäuscht.

Früher hat er mich gequält, weil er jung und gelangweilt war, wütend und grausam. Jetzt hat er viel bessere Beweggründe für die Martern, die er mir zufügen will, sobald das Jahr und der Tag vorüber sind. Es wird sehr schwer werden, ihn die gesamte Zeit in Schach zu halten.

Als ich zu Bombe gelange, steckt sie mir einen Zettel zu. »Noch eine Nachricht von Balekin für Cardan«, sagt sie. »Diese kam ungehindert bis in den Palast, bevor wir sie abfangen konnten.«

»Steht das Gleiche drin wie in den beiden ersten?«

Sie nickt. »Im Prinzip schon. Balekin schmeichelt unserem Hochkönig, damit er ihn in seiner Zelle besucht. Er will ihm einen Handel vorschlagen.«

»Klar will er das«, sage ich und bin mal wieder froh, dass ich in den Hof der Schatten eingeschleust wurde, der mir immer noch den Rücken freihält.

»Wie wirst du darauf reagieren?«, fragt Bombe.

»Ich statte Prinz Balekin einen Besuch ab. Wenn er dem Hochkönig einen Handel anbieten möchte, muss er erst mal die Seneschallin des Hochkönigs überzeugen.«

Sie zieht einen Mundwinkel hoch. »Ich begleite dich.«

Nach einem flüchtigen Blick zum Thron sage ich mit einer vagen Geste: »Nein, bleib hier. Sieh zu, dass Cardan keinen Ärger bekommt.«

»Er ist der Inbegriff von Ärger«, gibt sie zu bedenken, doch diese Einschätzung scheint ihr keine sonderlichen Sorgen zu bereiten.

Als ich zu den Gängen haste, die in den Palast führen, entdecke ich Madoc am anderen Ende des Thronsaals, wo er mich aus dem Halbschatten mit seinen Katzenaugen beobachtet. Er ist zu weit entfernt, um etwas zu sagen, doch es besteht kein Zweifel daran, was es wäre.

Es ist viel einfacher, die Macht zu ergreifen, als sie festzuhalten.

2

Balekin wird im Turm des Vergessens gefangen gehalten, der im nördlichsten Teil von Insweal, der Kummerinsel, steht. Sie ist mit den anderen beiden Inseln in Elfenheim über große Felsbrocken und kleinere Erhebungen verbunden. Insweal beherbergt nur wenige Nadelbäume, silberne Hirsche und vereinzelte Baumelfen. Wenn man bereit ist, über die Steine zu springen, allein durch den Milchwald zu laufen und zumindest geringfügig nass zu werden, kann man zu Fuß von Insmire nach Insweal gelangen.

Ich bin nicht dazu bereit und beschließe zu reiten.

Als Seneschallin des Hochkönigs habe ich in den Ställen freie Wahl. Da ich noch nie eine gute Reiterin war, nehme ich ein Pferd, das zahm aussieht, mit einem Fell in sanftem Schwarz. In die Mähne sind komplizierte und vermutlich magische Knoten geflochten.

Während ich die Stute nach draußen führe, bringt mir ein Pferdeknecht das Zaumzeug.

Schließlich schwinge ich mich auf ihren Rücken und lenke sie zum Turm des Vergessens. Wellen schlagen unter dem Pferdebauch an die Felsen und die salzige Gischt vernebelt die Luft. Insweal ist ein unwirtliches Eiland mit großen kargen Flächen ohne jegliches Grün, mit schwarzen Felsen und Gezeitentümpeln und einem Turm, der mit kaltem Eisen durchzogen ist.

Ich binde die Stute an einem der schwarzen Metallringe fest, die in die Steinmauer des Turms eingelassen sind. Sie wiehert nervös und klemmt den Schweif ein. In der Hoffnung, sie zu beruhigen, streiche ich ihr übers Maul.

»Ich bleibe nicht lange fort, und dann können wir wieder von hier verschwinden«, sage ich zu ihr und wünschte, ich hätte den Knecht nach ihrem Namen gefragt.

Ich fühle mich auch nicht viel besser als mein Reittier, als ich an die schwere Holztür klopfe.

Ein großes haariges Wesen öffnet. Es trägt einen schön geschmiedeten Brustharnisch und aus allen Ritzen sprießt blondes Fell. Vor mir steht eindeutig ein Soldat, was früher automatisch hieß, dass er mich Madoc zuliebe gut behandeln würde, doch das kann mittlerweile ins Gegenteil umgeschlagen sein.

»Ich bin Jude Duarte, Seneschallin des Hochkönigs«, stelle ich mich vor. »Ich bin in Diensten der Krone hier. Lass mich herein.«

Der Soldat macht einen Schritt zur Seite, zieht die Tür auf und lässt mich in den trübe beleuchteten Vorraum im Turm des Vergessens eintreten. Leider kann ich nicht wie die Elfen in der Dämmerung sehen. In diesem Raum sind mindestens noch drei weitere Wachposten, doch ich nehme sie eher wie vage Schemen wahr.

»Du bist sicher hier, um Prinz Balekin zu sehen«, sagt eine Stimme aus dem rückwärtigen Teil.

Obwohl es unheimlich ist, dass ich den Sprecher nicht klar erkennen kann, lasse ich mir das Unbehagen nicht anmerken und nicke. »Bringt mich zu ihm.«

»Vulciber«, sagt die Stimme, »mach du das.«

Der Turm des Vergessens heißt so, weil Angehörige des Kleinen Volks hier untergebracht werden, sobald ein Herrscher sie aus dem Gedächtnis des Hofes löschen will.

Die meisten Verbrecher werden mit schlauen Flüchen belegt, auf Missionen geschickt oder anderen kapriziösen Elfenurteilen unterworfen. Um hier zu landen, muss man einer bedeutenden Persönlichkeit böse mitgespielt haben.

Die Soldaten sind größtenteils so ausgewählt, dass der trostlose und einsame Ort ihrem Temperament entspricht. Andere werden hierhin abkommandiert, weil ihr Vorgesetzter ihre Demut fördern will. Während ich den Blick über die schattenhaften Gestalten schweifen lasse, kann ich nur schwer abschätzen, wer welcher Gruppe angehören könnte.

Besagter Vulciber ist der behaarte Soldat, der mir die Tür aufgemacht hat. Mit seiner mächtigen Stirn und den langen Gliedern scheint er mindestens zur Hälfte ein Troll zu sein.

»Geh vor«, sage ich.

Er antwortet mit einem finsteren Blick. Keine Ahnung, was ihm an mir missfällt – meine Sterblichkeit, meine Stellung oder dass ich hier eingedrungen bin. Ich frage nicht nach, sondern folge ihm die Steintreppe hinunter in die nasse Dunkelheit, in der es nach Mineralien riecht. Der Erdgeruch hängt schwer in der Luft neben einer fauligen pilzigen Ausdünstung, die ich nicht deuten kann.

Es wird zunehmend dunkler. Ich bekomme Angst zu stolpern und bleibe stehen. »Mach Licht«, sage ich.

Als Vulciber zu mir tritt, weht sein Atem mit einem Hauch von nassen Blättern über mein Gesicht. »Und wenn nicht?«

Schon habe ich einen schmalen Dolch in der Hand, den ich aus einer Messerscheide im Ärmel gezogen habe. Ich drücke die Spitze in seine Flanke, direkt unter den Rippen. »Das willst du nicht wissen.«

»Aber du kannst nichts sehen«, beharrt er, als hätte ich ihm einen miesen Streich gespielt, indem ich nicht halb so verängstigt bin, wie er gehofft hatte.

»Vielleicht hätte ich nur gern ein wenig mehr Licht«, entgegne ich mit mühsam beherrschter Stimme, obwohl mein Herz wie wild schlägt und meine Hände schweißnass werden. Falls es auf der Treppe zum Kampf kommt, muss ich schnell zustechen und unbedingt treffen, weil das vermutlich meine einzige Chance wäre.

Vulciber rückt von mir und dem Dolch ab und ich höre seine schweren Schritte auf den Stufen. Rasch zähle ich mit, falls ich ihm blind folgen muss, doch dann flackert mit grünlichem Feuer eine Fackel auf.

»Und?«, fragt er. »Kommst du?«

An der Treppe liegen mehrere Gefängniszellen. Einige sind leer, während die Insassen der anderen meist so weit von den Gitterstäben entfernt hocken, dass sie vom Schein der Fackel nicht erfasst werden. Ich erkenne keinen einzigen Gefangenen, bis wir zum letzten gelangen.

Ein Reif bändigt Prinz Balekins schwarzes Haar und kündet von seiner königlichen Abstammung. Obwohl er eingesperrt ist, macht er keinen unterlegenen Eindruck. Drei Teppiche liegen auf dem feuchten Steinboden. Balekin sitzt in einem geschnitzten Sessel und mustert mich mit verschatteten eulenhellen Augen. Auf einem ziselierten Tischchen steht ein goldener Samowar und der Prinz lässt mit einem kurzen Handgriff dampfenden, duftenden Tee in zerbrechliches Porzellan strömen. Der Geruch erinnert mich an Seetang.

Und wenn er noch so vornehm auftritt, so sitzt er doch im Turm des Vergessens, wo einige rötlich braune Nachtfalter über ihm an der Wand flattern. Als er das Blut des alten Hochkönigs vergossen hat, haben sich die Tropfen in Motten verwandelt, die einige überwältigende Augenblicke lang durch die Luft trieben, bevor sie zu sterben schienen. Ich dachte, sie wären verschwunden, doch einige verfolgen ihn immer noch und gemahnen ihn an seine Sünden.

»Unsere liebe Frau Jude vom Hof der Schatten«, sagt Balekin, als würde er glauben, mir damit zu schmeicheln. »Darf ich dir eine Tasse Tee anbieten?«

In einer der anderen Zellen rührt sich etwas, und ich frage mich, wie seine Teegesellschaften aussehen, wenn ich nicht da bin.

Ich bin nicht gerade entzückt davon, dass er über den Hof der Schatten und meine Verbindung zu ihm Bescheid weiß, doch es dürfte mich eigentlich nicht überraschen – Prinz Dain, unser Meisterspion und Auftraggeber, war schließlich Balekins Bruder. Und wenn Balekin vom Hof der Schatten wusste, hat er sicher einen der Spione erkannt, als sie ihm die Blutkrone stahlen und meinem Bruder in die Hände legten, damit er Cardan damit krönen konnte.

Balekin hat gute Gründe, von meinem Besuch nicht gerade begeistert zu sein.

»Bedauerlicherweise muss ich den Tee ablehnen«, sage ich. »Ich bleibe nicht lange. Ihr habt an den Hochkönig geschrieben. Es geht um einen Handel, richtig? Eine Art Abmachung? Ich bin in seinem Auftrag hier, um zu hören, was Ihr ihm zu sagen habt.«

Sein Lächeln verzerrt sich zu einer hässlichen Fratze. »Du hältst mich für geschwächt«, sagt Balekin. »Aber ich bin nach wie vor ein Elfenprinz, auch hier. Vulciber, bist du so nett und haust der Seneschallin meines Bruders eins in ihre hübsche kleine Fresse?«

Es ist ein Schlag mit der offenen Hand, schneller als erwartet, und als Vulcibers Hand auf meine Haut trifft, knallt es schockierend laut. Danach brennt meine Wange und in mir lodert die Wut.

Der Dolch liegt erneut in meiner rechten Hand, sein Zwilling in meiner linken.

Vulciber kann es offenbar nicht erwarten.

Mein Stolz drängt mich, zu kämpfen, aber Vulciber ist größer als ich und kennt sich hier aus. Es wäre kein Übungskampf. Dennoch ist der Drang, ihn zu besiegen und diesen widerlichen Gesichtsausdruck auszulöschen, überwältigend.

Beinahe überwältigend. Stolz ist etwas für Ritter, ermahne ich mich, und nicht für Spione.

»Meine hübsche Fresse«, murmele ich an Balekins Adresse und stecke bedächtig die Messer wieder ein. Dann lege ich die Finger an meine Wange. Vulcibers Schlag war so hart, dass ich mir in die Wangen gebissen habe. Ich spucke Blut auf den Boden. »Welch Schmeichelei. Ich habe Euch die Krone abgejagt, da gestatte ich Euch gewisse Ressentiments. Zumal wenn sie mit einem Kompliment einhergehen. Aber macht es ja nicht noch einmal.«

Plötzlich wirkt Vulciber verunsichert.

Balekin trinkt einen Schluck Tee. »Für ein sterbliches Mädchen sprichst du sehr freiheraus.«

»Warum auch nicht?«, sage ich. »Durch mich spricht der Hochkönig. Glaubt Ihr, er hat ein Interesse daran, den weiten Weg hier hinunter zu machen, weit weg vom Palast und den Freuden, die er bietet, um etwas mit seinem großen Bruder zu klären, unter dem er schwer gelitten hat?«

Prinz Balekin beugt sich in seinem Sessel vor. »Ich frage mich, was du damit wohl meinst.«

»Und ich frage mich, welche Botschaft ich wohl dem Hochkönig überbringen soll.«

Prinz Balekin mustert mich. Meine geschlagene Wange ist sicher knallrot. Er nippt erneut bedächtig an seiner Teetasse.

»Wie ich hörte, hat das Gefühl, sich zu verlieben, für Sterbliche sehr viel Ähnlichkeit mit Angst. Eure Herzen schlagen schneller, eure Sinne sind geschärft. Ihr seid benommen bis zum Schwindel.« Balekin sieht mich an. »Kannst du das bestätigen? Es würde vieles über eure Art erklären, wenn man die beiden Gefühle verwechseln könnte.«

»Ich war noch nie verliebt«, erkläre ich ungerührt. Davon lasse ich mich nicht durcheinanderbringen.

»Dazu kommt, dass ihr lügen könnt«, fährt er fort. »Ich verstehe, wieso Cardan das nützlich findet. Und Dain hat das natürlich auch ausgenutzt. Ein schlauer Zug von ihm, dich für seine kleine Bande von Sonderlingen anzuwerben. Und er hat früh erkannt, dass Madoc dich verschonen würde. Man kann über meinen Bruder sagen, was man will, aber er war phänomenal unsentimental.

Ich dagegen habe dich kaum wahrgenommen, und wenn, dann nur, um Cardan mit deinen Leistungen aufzuziehen. Doch du hast etwas, das Cardan immer schon fehlte: Ehrgeiz. Hätte ich das eher erkannt, hätte ich jetzt eine Krone auf dem Kopf. Andererseits denke ich, dass du mich ebenfalls falsch eingeschätzt hast.«

»Oh?« Ich weiß jetzt schon, dass mir nicht gefallen wird, was gleich kommt.

»Ich denke nicht daran, dir die Botschaft für Cardan mitzugeben. Er wird sie über einen anderen Weg erlangen, bald.«

»Dann verschwendet Ihr unser beider Zeit«, sage ich säuerlich. Ich habe den weiten Weg auf mich genommen, einen Schlag kassiert und mich für nichts und wieder nichts geängstigt.

»Ach ja, Zeit«, sagt Balekin. »Du bist die Einzige, der sie davonrennt, Sterbliche.« Er nickt Vulciber zu. »Du kannst sie hinausgeleiten.«

»Gehen wir«, sagt der Wachposten und schubst mich unsanft zur Treppe. Im Hinaufgehen schaue ich mich noch einmal zu Balekin um. Im grünen Schein der Fackel hat er mit seinem ernsten Gesicht mehr Ähnlichkeit mit Cardan, als ich wahrhaben möchte.

Ich habe die Hälfte der Stufen geschafft, da schnellt mit einem Mal eine langfingrige Hand durch die Gitterstäbe und packt meinen Knöchel. Überrumpelt rutsche ich aus, schürfe mir die Hände auf und schlage meine Knie an, als ich bäuchlings auf dem Stein lande. Die alte Stichwunde in meiner linken Hand pocht plötzlich wieder, und ich kann mich gerade noch festhalten, sonst wäre ich die Treppe heruntergefallen.

Neben mir ist das Gesicht einer Elfenfrau aufgetaucht. Ihr Schweif ringelt sich um einen Gitterstab und kurze Hörner biegen sich von ihrer Stirn zum Hinterkopf. »Ich kannte eure Eva«, sagt sie, während ihre Augen in der Dunkelheit glänzen. »Ich kannte eure Mutter und viele ihrer kleinen Geheimnisse.«

Nachdem ich mich aufgerappelt habe, steige ich möglichst schnell die restlichen Stufen hinauf. Mein Herz schlägt noch schneller als bei der Aussicht auf einen Kampf gegen Vulciber. Ich atme in kurzen, hastigen Zügen, bis mir die Lunge wehtut.

Als ich oben angekommen bin, wische ich die brennenden Hände an meinem Wams ab und bemühe mich um Selbstbeherrschung.

»Ach so«, sage ich zu Vulciber, als ich wieder gleichmäßiger atme. »Das hätte ich beinahe vergessen. Der Hochkönig hat mir eine Schriftrolle mit Befehlen mitgegeben, denn er wünscht einige Änderungen bezüglich der Behandlung seines Bruders. Sie liegt draußen in meiner Satteltasche. Wenn du mir kurz folgen würdest …«

Vulciber wirft dem Wachposten, der ihn beauftragt hatte, mich zu Balekin zu bringen, einen fragenden Blick zu.

»Beeil dich«, sagt die schattenhafte Gestalt.

Daraufhin begleitet Vulciber mich durch die mächtige Tür im Turm des Vergessens, dessen schwarze Mauern im Mondschein glänzen. Die salzige Gischt hat sich wie eine schimmernde Decke darüber gelegt, wie Zucker auf Obst. Ich versuche, mich auf den Soldaten statt auf den Klang des Namens meiner Mutter zu konzentrieren, den ich so viele Jahre nicht gehört habe, dass ich einen Augenblick lang nicht erkannte, wieso er mir so viel bedeutete.

Eva.

»Das Pferd ist nur aufgezäumt«, sagt Vulciber und betrachtet mit Skepsis die schwarze Stute, die ich an die Mauer gebunden habe. »Du hast doch gesagt …«

Ich steche ihm mit einer kleinen Nadel in den Arm, die ich im Futter meines Wamses verborgen hatte. »Das war gelogen.«

Es ist Schwerstarbeit, ihn quer über den Pferderücken zu hieven. Zum Glück ist die Stute militärisch ausgebildet und geht in die Knie, während ich in Höchstgeschwindigkeit vorgehe, aus Angst, einer der anderen Wachposten könnte herauskommen und nachsehen, wo Vulciber bleibt. Doch nichts geschieht, keiner kommt, bevor ich mit ihm aufbreche.

Das ist noch ein guter Grund, nach Insweal zu reiten, statt zu laufen – man weiß nie, was man mit zurücknehmen muss.

3

Du willst eine Meisterspionin sein«, sagt Kakerlak und inspiziert mich und meinen Gefangenen. »Ein Quäntchen Gerissenheit sollte dazugehören. Man wird schnell geschnappt, wenn man sich nur auf sich selbst verlässt. Nimm nächstes Mal einen Soldaten der königlichen Leibgarde mit oder einen von uns. Nimm eine Wolke Geister mit oder einen betrunkenen Spriggan. Nur kein Alleingang.«

»Wer mir den Rücken freihält, hat die beste Gelegenheit, mir einen Dolch hineinzustoßen«, erinnere ich ihn.

»Das hätte Madoc nicht schöner sagen können«, erwidert Kakerlak mit einem verärgerten Schniefen seiner langen krummen Nase. Er sitzt am Holztisch im Hof der Schatten, der Spionierhöhle tief in den Tunneln unter dem Palast von Elfenheim, und erhitzt die Spitzen der Armbrustbolzen in der Flamme. Danach beschichtet er sie großzügig mit klebrigem Teer. »Wenn du kein Vertrauen zu uns hast, musst du es nur sagen. Wir haben eine Vereinbarung getroffen, aber die muss ja nicht ewig gelten.«

»So meine ich das doch nicht.« Ich lege den Kopf auf meine Hände und bleibe ein Weilchen so. Ich vertraue ihnen ja, sonst hätte ich nicht so freiheraus gesprochen, aber ich verberge eben auch nicht, wie genervt ich bin.

Nun sitze ich Kakerlak gegenüber und lasse mir Käse, Brot mit Butter und Äpfel schmecken. Da ich heute noch nichts gegessen habe, knurrt mein Magen vor Hunger – ein weiteres Zeichen dafür, dass mein Körper anders tickt als ihrer. Elfenmägen knurren nicht.

Vielleicht macht mich ja der Hunger so zickig. Meine Wange brennt, und obwohl ich das Spiel gedreht habe, war es knapper, als ich zugeben will. Außerdem weiß ich immer noch nicht, wie Balekins Botschaft an Cardan lautet.

Je mehr Erschöpfung ich mir zumute, umso mehr Fehler passieren mir. Der Menschenkörper verrät uns. Er hungert, wird krank und kann irgendwann nicht mehr. Das weiß ich zwar, aber es gibt immer noch so viel zu tun.

Neben uns sitzt Vulciber mit verbundenen Augen an einen Stuhl gefesselt.

»Willst du ein Stück Käse?«, frage ich ihn.

Der Wachposten murmelt etwas Unverbindliches und stemmt sich gegen die Fesseln, als er plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Er ist schon seit ein paar Minuten bei Bewusstsein und wurde immer unruhiger, je länger wir ihn gar nicht beachteten.

»Wieso bin ich hier?«, schreit er mit einem Mal und kippelt mit dem Stuhl vor und zurück. »Lasst mich frei!« Der Stuhl fällt um, sodass er hart auf dem Boden aufschlägt und auf der Seite liegen bleibt. Mittlerweile wehrt er sich heftig gegen seine Fesseln.

Kakerlak zuckt die Schultern und nimmt Vulciber die Augenbinde ab. »Hallo.«

Auf der anderen Seite der Höhlenkammer säubert Bombe ihre Fingernägel mit einem langen, halbmondförmigen Dolch. Geist sitzt so still in einer Ecke, dass man meinen könnte, er wäre gar nicht da. Ein paar neue Rekruten schauen interessiert zu – ein Junge mit Spatzenflügeln, drei Spriggans und ein Sluaghmädchen. Publikum bin ich nicht gewohnt.

Vulciber starrt Kakerlak an, lässt seine koboldgrüne Haut und die Augen, die das Licht orangefarben zurückwerfen, auf sich wirken – sowie seine lange Nase und das einsame Haarbüschel auf seinem Scheitel.

»Das würde der Hochkönig nicht dulden«, sagt Vulciber.

Ich schenke ihm ein trauriges Lächeln. »Der Hochkönig weiß gar nichts davon, und du wirst es ihm kaum erzählen, wenn ich dir erst mal die Zunge herausgeschnitten habe.«

Es erfüllt mich mit einer beinahe wollüstigen Freude, zuzusehen, wie er sich immer mehr fürchtet. Ich, die ich in meinem Leben so wenig Macht genossen habe, muss auf dieses Gefühl achtgeben. Macht steigt mir zu schnell zu Kopf, genau wie Elfenwein.

»Lass mich raten«, sage ich und drehe mich in meinem Stuhl nach hinten, um ihn betont kühl anzusehen. »Du dachtest, du kannst mich schlagen, ohne dass es Folgen hätte.«

Bei diesen Worten schrumpft er ein wenig. »Was willst du?«

»Wer sagt denn, dass ich auf etwas Bestimmtes aus bin?«, frage ich zurück. »Vielleicht will ich mich ja nur ein bisschen rächen …«

Als ob wir es einstudiert hätten, zieht Kakerlak in diesem Augenblick ein ausgesprochen scharfes Messer aus dem Gürtel und lässt es grinsend über Vulciber schweben.

Bombe schaut mit einem leisen Lächeln von ihren Nägeln auf und beobachtet Kakerlak. »Anscheinend fängt die Show gleich an.«

Vulciber bäumt sich erneut auf und wirft den Kopf vor und zurück. Der Holzstuhl knackt, doch er kann sich nicht befreien und sinkt nach mehreren schweren Atemzügen in sich zusammen.

»Bitte«, flüstert er.

Ich lege einen Finger ans Kinn, als wäre mir gerade etwas eingefallen. »Vielleicht kannst du uns doch helfen. Balekin wollte mit Cardan einen Handel abschließen. Darüber könntest du mir etwas erzählen.«

»Davon weiß ich nichts«, antwortet er verzweifelt.

»Schade.« Achselzuckend nehme ich mir noch ein Stück Käse und stecke es in den Mund.

Der Wachposten lässt Kakerlak und das bedrohliche Messer nicht aus den Augen. »Aber ich kenne ein Geheimnis. Es ist mehr wert als mein Leben, mehr als alles, was Balekin mit Cardan verhandeln könnte. Wenn ich es dir sage, schwörst du mir dann, dass ich heute Nacht unversehrt gehen kann?«

Als Kakerlak mich ansieht, zucke ich die Schultern. »Warum nicht?«, sagt er. »Falls das Geheimnis es wirklich wert ist, wie du sagst, und du schwörst, niemandem von deinem Besuch am Hof der Schatten zu erzählen, schicken wir dich danach deiner Wege.«