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Sie sind schön wie das Feuer und gnadenlos wie Schwerter – bis ein Mädchen ihnen Einhalt gebietet ...
»Natürlich möchte ich wie sie sein. Sie sind unsterblich. Cardan ist der Schönste von allen. Und ich hasse ihn mehr als den Rest.Ich hasse ihn so sehr, dass ich manchmal kaum Luft bekomme, wenn ich ihn ansehe…« Jude ist sieben, als ihre Eltern ermordet werden und sie gemeinsam mit ihren Schwestern an den Hof des Elfenkönigs verschleppt wird. Zehn Jahre später hat Jude nur ein Ziel vor Augen: dazuzugehören, um jeden Preis. Doch die meisten Elfen verachten Sterbliche wie sie. Ihr erbittertster Widersacher: Prinz Cardan, der jüngste und unberechenbarste Sohn des Elfenkönigs. Doch gerade ihm muss Jude die Stirn bieten, wenn sie am Hof überleben will …
Alle Bände der »Elfenkrone«-Welt:
ELFENKRONE (Band 1)
ELFENKÖNIG (Band 2)
ELFENTHRON (Band 3)
Wie der König von Elfenheim lernte, Geschichten zu hassen (Illustrierter Zusatzband)
Die verlorenen Schwestern - Eine Elfenkrone-Novelle (nur als E-Book verfügbar)
ELFENERBE - Der gestohlene Thron
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Seitenzahl: 546
Holly Black
Elfenkrone
Aus dem Englischen von Anne Brauner
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Quellennachweis»Wilde Jagd der Sidhe« aus: William Butler Yeats – Die Gedichte, hrsg. von Norbert Hummelt (Luchterhand Verlag, 2005), ins Deutsche übertragen von Norbert Hummelt
Copyright © 2018 by Holly Black
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »The Cruel Prince« bei Little, Brown and Company, New York.
© 2018 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem Englischen von Anne Brauner
Lektorat: Carola Henke
Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München
Karte: © Georg Behringer
Cover art copyright © 2018 by Sean Freeman. Cover design by Karina Granda; Cover copyright © 2018 by Hachette Book Group, Inc.
he · Herstellung: AJ
Satz und E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-22730-2V005
www.cbj-buecher.de
Für Cassandra Clare, die endlich ins Elfenreich gelockt wurde
Die Kinder aus dem Elfenvölkchen,
nie brauchen sie Hemd oder Röckchen.
Sie verlangen nicht nach Mahl und Glut,
stets erfüllt sich ihrer Wünsche Flut.
In ihren Taschen klingelt das Gold,
sie heiraten mit sieben Jahren hold.
Was jedes Elfenkind besitzen darf:
zwei starke Ponys und zehn Schaf’.
Eine Wohnstatt nennen alle ihr Eigen
den Stein aus Granit oder Ziegel zu zeigen!
Sie leben von Kirschen, so frei und geschwind –
wie gern wär ich ein Elfenkind!
»Wie wär ich gern ein Elfenkind«
– Robert Graves
An einem verschlafenen Sonntagnachmittag stand ein Mann in einem langen dunklen Mantel vor einem Haus in einer von Bäumen gesäumten Straße. Er hatte kein Auto geparkt und war auch nicht mit dem Taxi gekommen. Kein Nachbar hatte beobachtet, wie er über den Bürgersteig gegangen war. Er war einfach aufgetaucht, als wäre er zwischen zwei Schatten getreten.
Der Mann ging zur Tür, hob die Faust und klopfte.
Drinnen saß Jude auf dem Teppich im Wohnzimmer und aß matschige Fischstäbchen aus der Mikrowelle, die sie durch einen Klecks Ketchup zog. Ihre Zwillingsschwester Taryn, die mit dem Daumen im Mund auf dem Sofa döste, hatte die Decke um sich geschlungen. Ihre Lippen waren rot vom Fruchtpunsch. In der anderen Sofaecke fixierte ihre ältere Schwester Vivienne mit ihren unheimlichen längs geteilten Pupillen den Fernseher, in dem eine Zeichentrickmaus vor einer Zeichentrickkatze davonflitzte. Vivi lachte, weil die Katze die Maus im nächsten Moment fressen würde.
Sie entsprach nicht dem üblichen Bild einer großen Schwester, doch da die siebenjährigen Zwillinge sich mit ihren verwuschelten braunen Haaren und herzförmigen Gesichtern glichen wie ein Ei dem anderen, waren sie ebenso wenig normal. Für Jude waren Vivis Augen und die mit hellem Fell besetzten spitzen Ohren nicht fremder als sie selbst, die sie das Spiegelbild eines anderen Mädchens war.
Und wenn sie manchmal merkte, dass die Nachbarskinder Vivi aus dem Weg gingen oder ihre eigenen Eltern leise und besorgt über sie sprachen, maß Jude dem keine Bedeutung zu. Erwachsene machten sich andauernd Sorgen und flüsterten miteinander.
Taryn reckte sich gähnend und schmiegte die Wange an Vivis Knie.
Draußen schien die Sonne sengend auf die asphaltierten Einfahrten. Rasenmäher surrten und Kinder planschten in den Swimmingpools hinter den Häusern. Dad war im Anbau, wo er eine Schmiede eingerichtet hatte, und Mom briet in der Küche Hamburger. Langweilig, das alles. Und gut.
Als es klopfte, sprang Jude auf und ging zur Tür, da sie hoffte, es wäre vielleicht ein Mädchen von der anderen Straßenseite, das mit ihr Videospiele spielen oder sie zum Schwimmen nach dem Abendessen einladen wollte.
Der große Mann stand auf der Fußmatte und blickte von oben böse auf Jude herab. Obwohl es so heiß war, trug er einen braunen Ledermantel. Seine Schuhe waren silbern beschlagen und klirrten laut und hohl, als er über die Schwelle trat. Jude sah in sein Gesicht, das nun im Schatten lag, und erschauerte.
»Mom!«, rief sie. »Mooooooom! Hier ist jemand.«
Ihre Mutter kam aus der Küche und wischte sich die nassen Hände an der Jeans ab. Als sie den Mann sah, wurde sie blass. »Geh in dein Zimmer«, befahl sie Jude in einem Tonfall, der ihr Angst machte. »Sofort!«
»Wessen Kind ist das?«, fragte der Mann und zeigte auf sie. Er hatte einen komischen Akzent. »Deins? Seins?«
»Niemandes.« Mom schaute nicht einmal in Judes Richtung. »Sie ist niemandes Kind.«
Das stimmte nicht. Die Zwillinge sahen ihrem Vater sehr ähnlich, das sagte jeder. Jude ging zur Treppe, doch sie wollte nicht allein in ihrem Zimmer sein. Vivi, dachte sie. Vivi weiß bestimmt, wer der große Mann ist. Vivi weiß, was wir tun sollen.
Aber irgendwie konnte Jude sich nicht dazu durchringen weiterzugehen.
»Ich habe schon viele ungeheuerliche Dinge gesehen«, sagte der Mann. »Ich habe die Eichel vor dem Baum gesehen. Und den Funken vor dem Feuer. Aber eins habe ich noch nie gesehen: eine tote Frau, die lebt. Ein Kind, das aus dem Nichts geboren ist.«
Mom war offenbar sprachlos, vor Anspannung zitterte sie am ganzen Körper. Jude wollte ihre Hand nehmen und drücken, doch sie traute sich nicht.
»Ich habe Balekin nicht geglaubt, als er behauptete, ich würde dich hier finden«, sagte der Mann in sanfterem Ton. »Die Knochen einer irdischen Frau und ihres ungeborenen Kindes in den ausgebrannten Ruinen meines Anwesens hatten mich überzeugt. Weißt du, wie das ist, wenn man aus der Schlacht heimkehrt und seine Frau tot vorfindet, und mit ihr den einzigen Erben? Wenn dein Leben zu Asche geworden ist?«
Mom drehte den Kopf nach links und rechts, aber nicht, um zu antworten, sondern als wollte sie seine Worte abschütteln.
Als er dann einen Schritt auf sie zumachte, wich sie zurück. Irgendetwas stimmte mit dem Bein des großen Mannes nicht. Seine Bewegungen waren steif, als täte es ihm weh. Im helleren Flur konnte Jude plötzlich erkennen, dass seine Haut merkwürdig grün schimmerte und die unteren Zähne zu groß für den Mund erschienen.
Und er hatte die gleichen Augen wie Vivi.
»Mit dir wäre ich niemals glücklich geworden«, sagte Mom. »Deine Welt ist für Menschen wie mich nicht geschaffen.«
Der große Mann sah sie lange an. »Du hast ein Gelübde geleistet«, sagte er schließlich.
Sie hob das Kinn. »Und wieder gebrochen.«
Als sein Blick erneut auf Jude fiel, verhärtete er sich. »Was ist das Versprechen einer Menschenfrau wert? Die Antwort habe ich wohl gefunden.«
Mom drehte sich um. Sie sah Jude auf eine Weise an, dass die sofort ins Wohnzimmer raste.
Taryn schlief nach wie vor. Der Fernseher lief noch. Vivi hob den Kopf und sah sie mit ihren halb geschlossenen Katzenaugen an. »Wer ist da gekommen?«, fragte sie. »Es hört sich nach Streit an.«
»Ein unheimlicher Mann«, antwortete Jude außer Atem, obwohl sie eigentlich kaum gerannt war. Ihr Herz pochte. »Wir sollen nach oben gehen.«
Es war ihr egal, dass Mom streng genommen nur sie nach oben geschickt hatte. Allein wollte sie nicht gehen. Nachdem Vivi sich seufzend vom Sofa gelöst und Taryn geweckt hatte, folgte Judes Zwillingsschwester ihnen verschlafen in den Hausflur.
Während sie zu der mit Teppichboden ausgelegten Treppe schlichen, beobachtete Jude, dass ihr Vater durch den Garten aufs Haus zukam. Er hatte eine Axt in der Hand, die er selbst nach dem Vorbild einer Waffe geschmiedet hatte, die er in einem Museum in Island entdeckt hatte. Er und seine Freunde interessierten sich für alte Waffen und konnten sich stundenlang über die »materiale Kultur« unterhalten. Mit Begeisterung entwarfen sie fantastische Schwerter und Klingen aller Art. Komisch war nur, wie er die Axt jetzt hielt, als wollte er …
Ihr Vater schwang die Axt gegen den großen Mann.
Noch nie hatte er zur Strafe die Hand gegen Jude oder ihre Schwestern erhoben, nicht einmal nach ihren schlimmsten Vergehen. Er tat niemandem weh, das würde er nie tun.
Doch. Jetzt doch.
Die Axt verfehlte den Besucher und bohrte sich in die Holzverkleidung an der Tür. Taryn heulte schrill auf und schlug die Hände vor den Mund.
Der große Mann holte eine Art Säbel unter seinem Ledermantel hervor. Ein Schwert wie im Märchenbuch. Dad wollte die Axt herausziehen, als der Mann die Klinge in seinen Bauch stieß und hochriss. Es knackte wie brechende Äste, Dad schrie wie ein Tier. Dann fiel er auf den Teppich am Eingang. Wie oft hatte Mom mit uns geschimpft, weil wir ihn schmutzig gemacht hatten.
Der Stoff färbte sich rot.
Mom schrie. Jude schrie. Taryn und Vivi schrien. Alle schrien, nur der große Mann nicht.
»Komm her«, sagte er und sah Vivi an.
»D-du Monster!«, brüllte ihre Mutter und bewegte sich zur Küche zurück. »Er ist tot!«
»Lauf nicht vor mir weg«, befahl der Mann. »Nicht nach alldem, was du getan hast. Wenn du wieder wegläufst, ich schwöre, dann …«
Doch genau das tat sie. Sie war schon fast um die Ecke, als das Schwert sie in den Rücken traf. Sie brach auf dem Linoleum zusammen und fegte im Fallen mit den Armen die Magnete vom Kühlschrank.
Wie nasses, heißes Metall hing der Geruch von frisch vergossenem Blut in der Luft. Es roch wie die Putzschwämme, mit denen Mom die Bratpfanne säuberte, wenn etwas angebrannt war.
Jude lief zu dem Mann, trommelte mit den Fäusten an seine Brust und trat gegen seine Beine. Sie fürchtete sich nicht einmal. Fühlte sie überhaupt etwas?
Der Mann schenkte Jude keine Beachtung. Lange Zeit stand er einfach nur da, als könnte er nicht begreifen, was er getan hatte. Als würde er die letzten fünf Minuten am liebsten rückgängig machen. Dann ging er auf ein Knie und bekam Jude an den Schultern zu fassen. Er drückte ihre Arme an ihren Körper, damit sie ihn nicht mehr schlagen konnte, doch er sah sie nicht einmal an.
Sein Blick ruhte auf Vivienne.
»Man hat dich mir gestohlen«, sagte er zu ihr. »Ich bin gekommen, um dich in deine wahre Heimat zu bringen, nach Elfenheim unter dem Hügel. Dort wirst du unermesslich reich und unter deinesgleichen sein.«
»Nein«, erwiderte Vivi mit ihrer düsteren, leisen Stimme. »Mit dir gehe ich nirgendshin.«
»Ich bin dein Vater«, sagte er mit einer barschen Stimme, die wie ein Peitschenhieb die Luft durchschnitt. »Du bist meine Erbin, von meinem Blut und du wirst mir in dieser Sache genauso gehorchen wie in allem anderen.«
Sie rührte sich nicht, doch ihre Miene sprach Bände.
»Sie sind nicht ihr Vater«, schrie Jude dem Mann ins Gesicht. Obwohl er die gleichen Augen hatte wie Vivi, weigerte sie sich, es zu glauben.
Als er ihre Arme fester drückte, stöhnte sie erstickt, doch ihr Blick blieb trotzig.
Im Nichtwegsehen hatte sie schon oft gewonnen.
Der Mann wandte den Blick als Erster ab und sah Taryn zu, die schluchzend auf den Knien lag und Mom schüttelte, als wollte sie sie wecken. Mom blieb reglos liegen. Mom und Dad waren tot, sie würden sich nie wieder bewegen.
»Ich hasse dich«, schwor Vivi dem großen Mann mit einer bösartigen Inbrunst, die Jude guttat. »Ich hasse dich bis in alle Ewigkeit, versprochen.«
Kein Muskel zuckte in seiner versteinerten Miene. »Du kommst trotzdem mit. Mach diese Menschlein bereit. Pack nicht zu viel ein, wir reiten, bevor es dunkel wird.«
Vivienne reckte das Kinn. »Lass sie in Ruhe. Nimm mich mit, wenn es sein muss, aber lass sie hier.«
Er sah Vivi eindringlich an. »Du willst deine Schwestern vor mir beschützen?«, schnaubte er. »Dann erklär mir bitte eins: Wohin sollen sie gehen?«
Vivi blieb die Antwort schuldig. Sie hatten keine Großeltern, überhaupt keine lebenden Verwandten. Und wenn, dann kannten sie sie nicht.
Nach einem letzten Blick auf Jude ließ er ihre Schultern los und stand auf. »Die Kinder sind Abkömmlinge meiner Frau, also bin ich für sie zuständig. Ich mag grausam sein, ein Monster und ein Mörder, doch ich übernehme die Verantwortung. Auch du als Älteste solltest dich nicht davor drücken.«
Jahre später, als Jude sich die Geschichte selbst noch einmal erzählte, konnte sie sich nicht an den Teil mit dem Packen erinnern. Diese Stunde hatte der Schock wohl vollkommen ausgelöscht. Irgendwie hatte Vivi sich Taschen geschnappt und ihre Lieblingsbilderbücher, das wichtigste Spielzeug, Fotos und Schlafanzüge sowie Mäntel und T-Shirts eingepackt.
Vielleicht hatte Jude ihre Sachen auch selbst gepackt, sie wusste es einfach nicht mehr.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie das gemacht hatten, während die Körper ihrer toten Eltern unten kalt wurden. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sich angefühlt hatte, und während die Jahre vergingen, wollte sie sich nicht überwinden, das Gefühl wieder hochzuholen. Das Entsetzen über die Morde ließ nach und ihre Erinnerungen an den Tag verschwammen.
Als sie das Haus verließen, graste ein schwarzes Pferd auf ihrem Rasen. Es hatte große sanfte Augen und Jude hätte am liebsten die Arme um seinen Hals geworfen und ihr nasses Gesicht in seine seidige Mähne geschmiegt. Doch der große Mann hob sie und Taryn schon in den Sattel und behandelte sie eher wie Gepäck denn wie Kinder. Vivi setzte er hinter sich.
»Festhalten«, sagte er.
Jude und ihre Schwestern weinten auf dem ganzen weiten Weg ins Elfenreich.
Im Elfenreich gibt es keine Fischstäbchen, keinen Ketchup, kein Fernsehen.
Ich sitze auf einem Kissen, während eine Wichtelin mir die Haare aus dem Gesicht kämmt. Sie hat lange Finger und scharfe Nägel, ich zucke zusammen. Ihre schwarzen Augen sehen mich in dem krallenfüßigen Spiegel an, der auf meinem Schminktisch steht.
»Das Turnier findet erst in vier Nächten statt«, sagt die Kreatur namens Tatterfell, die als Dienerin in Madocs Hauswesen wirken muss, bis ihre Schuld beglichen ist. Sie sorgt für mich, seit ich klein war. Tatterfell war es, die mir brennende Elfensalbe für das Zweite Gesicht über die Augen gestrichen hat, womit ich die meisten Zauber durchschauen konnte, und die den Schmutz von meinen Stiefeln bürstete. Sie fädelte getrocknete Vogelbeeren zu einer Kette auf, die ich zum Schutz gegen böse Flüche um den Hals trug. Sie hat mir die Nase geputzt und mich ermahnt, die Socken auf links zu tragen, damit ich im Wald nicht in die Irre geführt wurde. »Und auch wenn du es noch so gern tätest, kannst du den Mond nicht dazu bringen, schneller unter- und wieder aufzugehen. Erweise dem Haus des Generals Ehre, indem du heute Nacht so hübsch erscheinst, wie wir dich zurechtmachen können.«
Ich seufze.
Mit meiner verdrießlichen Laune hatte sie noch nie viel Geduld. »Es ist eine Auszeichnung, mit dem Hof des Hochkönigs unter dem Hügel zu tanzen.«
Die Bediensteten weisen mich nur zu gern darauf hin, wie glücklich ich mich schätzen darf, dass ich als uneheliche Tochter einer treulosen Gattin, als Mensch ohne einen Tropfen Elfenblut wie ein rechtmäßiges Elfenkind behandelt werde. Taryn bekommt das Gleiche zu hören.
Ich weiß, dass wir privilegiert sind, weil wir mit den Kindern des Adels unterwiesen werden – doch dieses Privileg, dessen ich mich niemals würdig erweisen kann, versetzt mich in Angst und Schrecken.
Zumal ich die Tatsache nicht einmal verdrängen kann, da ich ständig und überall daran erinnert werde.
»Ja«, sage ich stattdessen, weil ich anerkenne, dass sie nett zu mir sein will. »Es ist wunderbar.«
Da Elfen nicht lügen können, neigen sie dazu, sich mehr auf die Worte als auf den Tonfall zu konzentrieren, vor allem wenn sie nie unter Menschen gelebt haben. Als Tatterfell mir beifällig zunickt, sind ihre Augen zwei rabenschwarze Perlen ohne Pupille oder Iris. »Vielleicht hält jemand um deine Hand an – dann bleibst du für immer am Hohen Hof.«
»Diese Stellung möchte ich selbst erringen«, erwidere ich.
Die Wichtelin hält mit der Haarnadel zwischen den Fingern inne. Wahrscheinlich erwägt sie, mich damit zu stechen. »Sei nicht albern.«
Es hat keinen Zweck, mit ihr zu streiten oder sie an die verheerende Ehe meiner Mutter zu erinnern. Sterbliche haben zwei Möglichkeiten, zu dauerhaften Untertanen des Hofes erhoben zu werden. Sie müssen entweder heiraten oder es in einer besonderen Fähigkeit zur Meisterschaft bringen – zum Beispiel in Metallkunde, dem Lautenspiel oder Ähnlichem. Da ich an Ersterem nicht interessiert bin, kann ich nur hoffen, dass ich für Letzteres genug Talent habe.
Ich muss mich im Elfenreich bewähren. Ich muss beweisen, dass ich hierhergehöre.
Tatterfell gibt meiner Frisur den letzten Schliff, indem sie es so aussehen lässt, als hätte ich Hörner. Dann kleidet sie mich in saphirblauen Samt. Nichts davon kann verhehlen, was ich bin: ein Mensch.
»Ich habe drei Knoten als Glücksbringer geknüpft«, sagt die kleine Wichtelin recht freundlich.
Ich seufze wieder, als sie zur Tür huscht, und gehe vom Frisiertisch zum Bett, wo ich mich bäuchlings auf den Bildteppichen ausstrecke. Ich bin es gewohnt, bedient zu werden. Von Wichteln und Kobolden, von Geistern und Schraten. Mit durchsichtigen Flügeln und grünen Fingernägeln, mit Hörnern und Reißzähnen. Seit zehn Jahren lebe ich im Elfenreich, mir kommt das alles nicht mehr seltsam vor. Hier bin ich die Fremde mit meinen dicken Fingern, den runden Ohren und dem Leben einer Eintagsfliege.
Für einen Sterblichen sind zehn Jahre eine lange Zeit.
Nachdem Madoc uns aus der Menschenwelt entführt hatte, brachte er uns zu seinem Anwesen auf Insmire, der Insel der Macht, wo der Hochkönig von Elfenheim seinen militärischen Stützpunkt unterhielt. Dort zog er uns groß – mich, Vivienne und Taryn –, weil er sich verpflichtet fühlte. Obwohl Taryn und ich der lebende Beweis für Moms Untreue sind, gelten wir als Kinder seiner Frau und sind somit sein Problem.
Als General des Hochkönigs kämpfte Madoc oft fern vom Hofe für die Krone. Dennoch mangelte es uns an nichts. Wir schliefen auf Matratzen, die mit weichen Pusteblumen gefüllt waren. Wenn er da war, unterrichtete uns Madoc höchstpersönlich im Kampf mit Säbel und Dolch, dem Fauchon und unseren eigenen Fäusten. Er spielte vor dem Kamin Mühle, Fidchell und das Fuchsspiel mit uns; er ließ uns auf seinen Knien sitzen und von seinem Teller essen.
Oft schlief ich ein, während er mit tiefer Stimme aus einem Buch über die Kunst des Krieges vorlas. Und obwohl ich es eigentlich nicht wollte und obwohl Vivi mir oft genug ins Gedächtnis rief, wer er war und was er getan hatte, gewann ich ihn lieb. Ich liebe ihn.
Eine bequeme Liebe ist es allerdings nicht.
»Schöne Zöpfe«, sagt Taryn, als sie in roten Samt gekleidet in mein Zimmer rauscht. Sie trägt das Haar offen – ihre langen dunkelbraunen Locken liegen wie ein Capelet über ihren Schultern, und einige Strähnen sind mit glänzendem Silberfaden durchflochten. Sie lässt sich neben mir auf dem Bett nieder und bringt meine zerschlissene Stofftiersammlung durcheinander, die aus einem Koala, einer Schlange und einer schwarzen Katze besteht, die ich mit sieben Jahren inniglich geliebt habe. Die Vorstellung ist mir unerträglich, etwas von dem fortzuwerfen, was mir geblieben ist.
Ich richte mich auf und werfe einen kritischen Blick in den Spiegel. »Mir gefällt es.«
»Ich habe eine Vorahnung«, sagt Taryn zu meiner Überraschung. »Heute Abend werden wir uns richtig amüsieren.«
»Amüsieren?« Ich hatte mir vorgestellt, wie ich aus unserem üblichen Versteck freudlos in die Menge blicke und mir Sorgen mache, ob ich bei dem Turnier gut genug abschneiden kann, um ein Mitglied der königlichen Familie so weit zu beeindrucken, dass es mich zum Ritter schlagen würde. Allein der Gedanke macht mich völlig nervös, und doch habe ich nichts anderes im Kopf. Mit dem Daumen streiche ich über die fehlende Kuppe meines Ringfingers – das ist mein Tick.
»Ja«, sagt Taryn und pikst mich in die Seite. »Amüsieren.«
»Hey! Aua!« Ich rutsche schnell außer Reichweite. »Hast du einen Plan?« Normalerweise machen wir uns unsichtbar, wenn wir bei Hofe erscheinen. Wir haben schon einige sehr interessante Dinge beobachtet, aber stets aus sicherer Entfernung.
Taryn wirft die Hände in die Luft. »Was ist das denn für eine Frage? Spaß ist Spaß!«
Ich lache aufgeregt. »Du weißt es selbst nicht, oder? Na gut, mal sehen, ob du dich als Wahrsagerin eignest.«
Wir werden älter und die Dinge ändern sich. Wir verändern uns. Und obwohl es mir nicht schnell genug gehen kann, macht es mir auch Angst.
Taryn drückt sich vom Bett hoch und streckt den Arm aus, als wolle sie mich zum Tanz bitten. Ich lasse mich gerne eskortieren, vergewissere mich aber noch automatisch, ob mein Messer an meiner Hüfte steckt.
Madocs Haus besteht aus getünchtem Putz und dicken, grob zugehauenen Holzbalken. Als wäre im Glas Rauch eingeschlossen, haben die Fensterscheiben graue Flecken, die dem Licht eine merkwürdige Tönung verleihen. Während ich mit Taryn die Wendeltreppe hinuntergehe, sehe ich, wie Vivi sich auf einem kleinen Altan versteckt und in ein Comicheft vertieft, das sie in der Menschenwelt gestohlen hat.
Vivi grinst mich an. Sie trägt Jeans und ein ausgeleiertes T-Shirt – es ist offensichtlich, dass sie nicht auf den Ball geht. Als Madocs rechtmäßige Tochter verspürt sie keinerlei Druck, es ihm recht zu machen. Sie tut, was sie will, und liest unter anderem Zeitschriften, die zusammengetuckert statt geklebt sind, weil es ihr egal ist, wenn sie sich die Finger verbrennt.
»Wollt ihr irgendwohin?«, fragt sie leise aus ihrer dunklen Ecke und erschreckt Taryn.
Vivi weiß genau, wohin wir gehen.
Als wir hier ankamen, kuschelten Taryn, Vivi und ich uns in Vivis großem Bett aneinander und redeten über die Erinnerungen, die uns an Zuhause geblieben waren. Darüber, wie unsere Mutter immer alles anbrennen ließ und wie lecker Dads Popcorn war. Wir riefen uns die Namen der Nachbarn ins Gedächtnis, wie es im Haus roch, wie es in der Schule war, in den Ferien und wie der Zuckerguss auf einem Geburtstagskuchen schmeckte. Wir sprachen über die Fernsehshows, die wir damals sahen, und ratterten den Inhalt und die Dialoge herunter, bis unsere Erinnerungen glatt poliert und irrig waren.
Mittlerweile treffen wir uns nicht mehr im Bett und es werden auch keine Erinnerungen mehr ausgetauscht. Unser Gedächtnis beschränkt sich darauf, was wir an diesem Ort erlebt haben, und das interessiert Vivi nur mäßig.
Sie hat geschworen, Madoc zu hassen, und Wort gehalten. Wenn Vivi nicht in Erinnerungen an Zuhause schwelgte, versetzte sie alle in Angst und Schrecken. Sie machte Dinge kaputt, sie schrie und wütete und kniff uns, wenn wir recht zufrieden waren. Schließlich hörte das alles auf, doch ich glaube, irgendwie hasst sie uns dafür, dass wir uns angepasst haben. Dass wir das Beste daraus machen und uns hier zu Hause fühlen wollen.
»Komm doch mit«, sage ich. »Taryn ist komisch drauf.«
Vivi sieht sie forschend an, schüttelt dann aber den Kopf. »Ich habe schon was vor.« Was bedeuten kann, dass sie sich in die Menschenwelt schleichen und den Abend dort verbringen will oder auf dem Altan bleibt und weiterliest.
Wie auch immer, Madoc ärgert sich darüber, und das freut wiederum Vivi.
Er wartet mit seiner zweiten Frau Oriana in der Eingangshalle auf uns. Ihre Haut ist so blau wie entrahmte Milch, ihr Haar weiß wie frisch gefallener Schnee. Obwohl sie schön ist, sieht sie verstörend wie ein Gespenst aus. Heute Abend ist sie in Grün und Gold gewandet, zu einem moosgrünen Kleid trägt sie einen feinen glänzenden Kragen, der das Rosa ihres Mundes, ihrer Ohren und ihrer Augen betont. Auch Madoc hat sich heute für ein Grün des tiefen Waldes entschieden. Das Schwert an seiner Hüfte dient nicht der Zierde.
Draußen vor der Flügeltür wartet ein Kobold, der die Zügel von fünf gescheckten Elfenhengsten in der Hand hält, in deren Mähnen komplizierte, wahrscheinlich magische Knoten geflochten sind. Das erinnert mich an die Knoten in meinem eigenen Haar, und ich überlege, ob es die gleichen sind.
»Ihr seht beide sehr hübsch aus«, sagt Madoc mit warmherziger Stimme zu Taryn und mir – ein seltenes Kompliment. Sein Blick schweift zur Treppe. »Eure Schwester kommt auch?«
»Ich weiß nicht, wo Vivi ist«, lüge ich. Lügen ist hier richtig einfach, das kann ich den ganzen Tag machen, ohne erwischt zu werden. »Anscheinend hat sie es vergessen.«
Madoc verzieht enttäuscht das Gesicht, doch überrascht ist er nicht. Als er hinausgeht, um mit dem Kobold zu sprechen, der die Zügel hält, bemerke ich einen seiner Spione, eine runzlige Kreatur mit einer Nase wie eine Pastinake und einem Buckel, der über ihren Kopf hinausragt. Sie steckt Madoc einen Zettel zu und saust erstaunlich flink davon.
Oriana mustert uns nachdrücklich, als würde sie erwarten, dass irgendetwas an unserem Auftritt nicht stimmt.
»Seid heute Nacht vorsichtig«, sagt sie. »Versprecht mir, dass ihr nichts trinkt oder esst und auch nicht tanzt.«
»Wir sind nicht zum ersten Mal bei Hofe.«
»Auch wenn ihr meint, Salz würde euch ausreichend schützen, seid ihr Kinder doch so achtlos. Lasst es also besser. Und wenn ihr Sterblichen erst mal angefangen habt zu tanzen, tanzt ihr euch zu Tode, wenn niemand einschreitet.«
Ich senke den Blick auf die Füße und schweige.
Wir Kinder sind nicht achtlos.
Kurz nach der Hochzeit mit Madoc vor sieben Jahren hat Oriana ihm ein Kind geboren, einen kränklichen Jungen namens Oak mit süßen Hörnchen auf dem Kopf. Von Anfang an stand fest, dass Oriana Taryn und mich nur Madoc zuliebe in Kauf nimmt. Es kommt mir vor, als würde sie uns mit den Lieblings-Jagdhunden ihres Mannes in einen Topf werfen, die schlecht erzogen sind und jeden Augenblick auf ihren Herrn losgehen könnten.
Für Oak sind wir seine Schwestern, was Oriana nervös macht, obwohl ich ihm nie etwas tun würde.
»Ihr steht unter dem Schutz von Madoc, der das Wohlwollen des Hochkönigs genießt«, sagt sie jetzt. »Ich werde dafür sorgen, dass er nicht etwa schlecht dasteht, nur weil ihr etwas falsch macht.«
Nach dieser kurzen Ansprache stolziert sie zu den Pferden. Ein Hengst schnaubt und scharrt mit einem Huf über die Erde.
Nachdem wir einen Blick getauscht haben, folgen wir ihr. Madoc sitzt bereits auf dem größten Elfenross, einem mächtigen Tier, das eine Narbe unter einem Auge hat und ungeduldig die Nüstern bläht. Unruhig schüttelt es die Mähne.
Ich schwinge mich auf ein hellgrünes Pferd mit spitzen Zähnen, das nach Sumpf riecht, während Taryn einen temperamentvollen Hengst wählt und ihm die Fersen in die Flanken bohrt, sodass er abgeht wie ein Schuss. Ich folge ihr in die Nacht.
Die Elfen leben im Zwielicht, daran halte auch ich mich. Wir stehen auf, wenn die Schatten länger werden, und legen uns schlafen, kurz bevor die Sonne aufgeht. Als wir am Palast von Elfenheim ankommen, ist es weit nach Mitternacht. Um hineinzugelangen, müssen wir zwischen zwei Bäumen, einer Eiche und einer Akazie, hindurch direkt auf etwas zureiten, das wie die zerfallene Steinmauer eines verlassenen Prunkbaus aussieht. Obwohl ich es schon hundertmal gemacht habe, schrecke ich jedes Mal zurück, ehe ich mich mit meinem ganzen Körper wappne, die Zügel umklammere und die Augen zukneife.
Als ich sie wieder aufschlage, sind wir im Inneren des Hügels.
Wir reiten durch eine Höhle, zwischen Säulen aus Wurzeln, über festgetretenen Boden.
Hier wimmelt es von Elfen, die sich am Eingang zum Thronsaal drängen, in dem Hof gehalten wird. Ich sehe langnasige Pixies mit zerfledderten Flügeln, elegante Damen mit grüner Haut in langen Gewändern, deren Schleppen von Kobolden getragen werden, sowie schelmische Irrwichte, lachende Füchslinge, einen Jungen mit einer Eulenmaske und goldenem Kopfputz. Raben sitzen dicht an dicht auf den Schultern einer älteren Frau, schnatternde Mädchen tragen Rosen im Haar, und ein Federkranz umschmeichelt den Hals eines Jungen mit Rindenhaut, während Ritter in skarabäusgrünen Rüstungen paradieren. Viele von ihnen habe ich schon einmal gesehen, mit einigen sogar gesprochen. Es sind zu viele, ich kann die Bilder gar nicht verarbeiten, und doch will ich den Blick nicht abwenden.
Ich bekomme nie genug davon – von dem Schauspiel und dem Prunk. Möglicherweise liegt Oriana doch nicht gänzlich falsch mit ihrer Befürchtung, wir könnten uns eines Tages dem Sog ergeben und hingerissen alle Vorsicht fahren lassen. Ich verstehe, warum Menschen dem schönen Albtraum des Hofes erliegen und mit Freuden darin ertrinken.
Madoc sitzt schwungvoll ab. Oriana und Taryn reichen die Zügel bereits den Stallknechten – alle warten auf mich. Als Madoc die Hand ausstreckt, um mir zu helfen, springe ich schon aus dem Sattel, sodass meine Lederpantoffeln mit einem lauten Geräusch aufkommen.
Ich hoffe, ich wirke wie ein Ritter auf ihn.
Oriana tritt auf uns zu. Wahrscheinlich will sie Taryn und mich noch einmal an all das erinnern, dem wir aus dem Weg gehen sollen, doch so weit lasse ich es nicht kommen. Nachdem ich mich bei Taryn eingehakt habe, rauschen wir in den Saal. Es duftet nach glimmendem Rosmarin und zerdrückten Kräutern. Hinter uns höre ich Madocs schwere Schritte, doch ich weiß, wohin ich mich zu wenden habe. Sobald man bei Hofe ankommt, muss man dem König seinen Gruß entbieten.
Auf dem Thron sitzt der Hochkönig Eldred in grauem Ornat und mit einer schweren goldenen Krone aus ziseliertem Eichenlaub, die sein dünnes Haar in der Farbe gesponnenen Goldes niederdrückt. Als wir uns verbeugen, berührt er mit seinen beringten knotigen Fingern zart unsere Köpfe, und wir erheben uns wieder.
Seine Großmutter war Königin Mab aus der Linie der Stechwinde. Sie lebte zunächst in der Gemeinschaft der freien Geister und eroberte dann mit ihrem gehörnten Gemahl und seinen Hirschreitern größere Gebiete im Elfenreich. Seinetwegen haben angeblich alle sechs Erben des Hochkönigs ein Merkmal aus dem Tierreich, etwas, das im Elfenland grundsätzlich nicht unüblich ist, unter den Adeligen an den Höfen aber schon.
Der älteste Prinz, Balekin, steht mit seinem jüngeren Bruder Dain in unserer Nähe. Die Brüder trinken Wein aus Holzkelchen mit Silberband. Da Dain eine knielange Reithose trägt, sieht man seine Hufe und die Hirschbeine. Balekin hat sich wie so oft für einen dreiviertellangen Mantel mit einem Kragen aus Bärenfell entschieden. Seine Finger ziert an jedem Gelenk ein Dorn, und auch über seine Arme verläuft ein Dornengrat, der sich unter den Manschetten verliert, dann jedoch sichtbar wird, als er gemeinsam mit Dain Madoc herbeiwinkt.
Oriana knickst vor den Prinzen, die jetzt zwar gerade beieinanderstehen, sich aber ansonsten nicht so gut verstehen, auch mit ihrer Schwester Elowyn nicht. Deshalb drängt sich der Eindruck auf, der Hof wäre in drei feindliche Lager mit verschiedenen Einflussbereichen gespalten.
Der erstgeborene Prinz Balekin firmiert mit seinem Gefolge als Kreis der Stärlinge, die gern ihren Spaß haben und sich mit jedem anlegen, der sich ihnen in den Weg stellt. Sie trinken, bis ihnen schlecht wird, und betäuben sich mit köstlichen giftigen Pulvern. Balekins Zirkel ist der wildeste, obwohl er stets vollkommen beherrscht und nüchtern war, wenn er einmal das Wort an mich richtete. Vermutlich könnte ich ein liederliches Leben beginnen und versuchen, damit bei ihm Eindruck zu schinden. Lieber nicht.
Die zweitgeborene Prinzessin Elowyn bildet mit ihren Gefährten den Kreis der Lerchen, die der Kunst den höchsten Wert zumessen. In ihrem Zirkel genießen gleich mehrere Sterbliche großes Wohlwollen, doch da ich mich weder im Lautenspiel noch im Gedichtvortrag auszeichne, kann ich mich ihnen niemals anschließen.
Der drittgeborene Prinz Dain führt den Kreis der Falken an, der Ritter, Krieger und Strategen um sich versammelt. Selbstverständlich gehört Madoc diesem Zirkel an. Selbst wenn sie von Ehre reden, geht es ihnen im Wesentlichen um Macht. Da ich mit einem Schwert umgehen kann und mich mit Strategien auskenne, fehlt mir nurmehr die Gelegenheit, mich zu beweisen.
»Geht ruhig und amüsiert euch«, sagt Madoc. Nach einem letzten Blick zu den Prinzen streben Taryn und ich in die Menge.
Im Königspalast von Elfenheim gibt es zahlreiche verborgene Nischen und Geheimgänge, die sich perfekt für heimliche Stelldichein und hinterhältige Anschläge eignen, oder eben dafür, sich aus der Schusslinie zu bringen und dem Partyspaß aus dem Weg zu gehen. Als Taryn und ich klein waren, versteckten wir uns unter den langen Banketttischen, doch nachdem sie beschlossen hat, dass wir jetzt elegante junge Damen sind, zu groß, um unsere Kleider durch Herumkriechen auf dem Boden zu verschmutzen, brauchten wir ein neues Versteck. Unmittelbar hinter dem zweiten Treppenabsatz befindet sich ein weitläufiger Bereich, in dem eine glitzernde Felsmasse hervorbricht und ein Sims bildet. Normalerweise machen wir es uns dort bequem, lauschen der Musik und beobachten die Partyfreuden, die uns versagt bleiben.
Doch an diesem Abend will Taryn sich damit nicht zufriedengeben. Sie geht an der Steintreppe vorbei und nimmt Speisen von einem silbernen Tablett – einen grünen Apfel und ein Stück Blauschimmelkäse. Ohne Salz hinzuzufügen, beißt sie von jedem ab und hält mir die Frucht hin. Oriana glaubt, wir könnten übliches Obst nicht von Elfenfrüchten unterscheiden, die jedoch in tiefem Gold erglühen. Das Fruchtfleisch ist rot und saftig und der süßliche Duft tränkt zur Erntezeit die Wälder.
Der Apfel ist kalt und knackig. Wir reichen ihn hin und her und teilen ihn uns bis auf das Kerngehäuse, das ich durchbeiße.
In meiner Nähe schneidet ein winziges Elfenmädchen, das einen weißen Pusteblumenschopf hat, mit einem kleinen Messer den Gürtel eines Menschenfressers durch. Gekonnt ist gekonnt: Im nächsten Moment hat er kein Schwert und keinen Beutel mehr, das Mädchen entkommt in der Menge, und ich glaube beinahe, dass meine Augen mir einen Streich gespielt haben – bis sich die kleine Elfe umschaut.
Sie zwinkert mir zu.
Und dann merkt der Menschenfresser, dass er bestohlen wurde.
»Ich rieche einen Dieb!«, brüllt er und schlägt mit wildem Blick einen Krug mit braunem Dunkelbier um, während er mit seiner warzigen Nase Witterung aufnimmt.
In unserer Nähe entsteht eine gewisse Unruhe, als eine Kerze unter lautem Knistern in blauen Flammen aufgeht. Die sprühenden Funken lenken sogar den Menschenfresser ab, und als alles wieder seinen üblichen Gang geht, ist die weißhaarige Diebin längst über alle Berge.
Mit einem verhaltenen Lächeln drehe ich mich zu Taryn um, die mit sehnsüchtigem Blick den Tänzern zusieht, beinahe blind für den Rest der Welt.
»Wie wäre es, wenn wir uns abwechseln?«, schlägt sie vor. »Wenn du nicht mehr aufhören kannst, ziehe ich dich raus. Und du tust mir den gleichen Gefallen.«
Bei der Vorstellung schlägt mein Herz schneller. Ich werfe einen Blick auf die Feiernden und versuche, so viel Wagemut aufzubringen wie jemand, der einen Menschenfresser vor seinen Augen bestiehlt.
Prinzessin Elowyn wirbelt in der Mitte ihres Lerchenkreises. Ihre Haut glänzt golden und ihr Haar ist dunkelgrün wie Efeu. Neben ihr spielt ein Menschenjunge Geige, begleitet von zwei anderen Sterblichen auf Ukulelen, die weniger musikalisch, doch umso eifriger sind. In ihrer Nähe tanzt Elowyns jüngere Schwester Caelia mit einem Blütenkranz auf dem hellgelben Haar, das sie von ihrem Vater geerbt hat.
Als eine neue Ballade angestimmt wird, schallen die Verse zu mir hoch. »Of all the sons King William had, Prince Jamie was the worst«, singen sie. »And what made the sorrow even greater, Prince Jamie was the first.«
Dieses Lied hat mir noch nie sonderlich gefallen, weil es mich an jemanden erinnert, und dieser Jemand scheint wie Prinzessin Rhyia heute Nacht nicht zu kommen. Aber – oh nein, da ist er. Prinz Cardan, der sechstgeborene und bei Weitem schlimmste Sohn des Hochkönigs Eldred schreitet über den Tanzboden auf uns zu.
Valerian, Nicasia und Locke – seine drei gemeinsten, raffiniertesten und ergebensten Freunde folgen ihm auf dem Fuß. Während sie vorüberziehen, macht jedermann verstummend Platz und sinkt in eine tiefe Verbeugung. Cardans gewohnt finsterer Blick wird durch die Kajalschminke und einen Reif in seinem blauschwarzen Haar noch betont. Er trägt einen langen schwarzen Mantel, der bis zu dem hochgeschlagenen gezackten Kragen mit Sternbildern bestickt ist. Valerian ist in Dunkelrot gewandet, und an seinen Ärmelaufschlägen funkeln unfacettierte Rubine, jeder einzelne wie ein Tropfen gefrorenen Blutes. Nicasias Haar ist blaugrün wie das Meer und wird von einem Perlendiadem gekrönt, während ein glitzerndes Netz aus Spinnweben ihre Zöpfe einhüllt. Locke, dessen Haar genau die gleiche Farbe hat wie das Fell eines Fuchses, bildet die Nachhut und strahlt Langeweile aus.
»Total albern«, sage ich zu Taryn, die meinem Blick gefolgt ist. Ich kann nicht bestreiten, dass sie auch schön sind, Elfenherren und – damen, wie sie im Buche stehen und in den Liedern besungen werden. Wenn wir nicht an ihrem Unterricht teilnehmen würden, wenn wir nicht aus erster Hand wüssten, welche Plage sie für jene sein können, die sich ihr Missfallen zuziehen, wäre ich wahrscheinlich genauso in sie verliebt wie alle anderen.
»Vivi hat gesagt, Cardan hat einen Schweif«, flüstert Taryn. »Sie hat ihn gesehen, als sie in der letzten Vollmondnacht mit ihm und Prinzessin Rhyia im See schwimmen war.«
Ich kann mir nicht vorstellen, wie Cardan in einem See schwimmt, ins Wasser springt, die anderen bespritzt und über etwas anderes lacht als über ihre Qualen. »Einen Schweif?«, wiederhole ich, während ein ungläubiges Lächeln auf meinem Gesicht erblüht und vergeht, als mir einfällt, dass Vivi mir nichts davon erzählt hat, obwohl es schon einige Tage her ist. Drei Schwestern sind eine komische Konstellation – eine bleibt immer außen vor.
»Mit einem Puschel am Ende! Er rollt sich unter seinen Sachen auf und zuckt wie eine Peitsche heraus.« Taryn kichert so heftig, dass ich kaum verstehen kann, was sie als Nächstes sagt. »Vivi hat gesagt, so was hätte sie auch gerne.«
»Gut, dass sie keinen hat«, sage ich mit fester Stimme, was Quatsch ist, weil ich nichts gegen einen Schweif einzuwenden habe.
Mittlerweile sind Cardan und seine Kumpane so nah, dass wir nicht mehr gefahrlos über sie lästern können. Ich blicke zu Boden, sinke auf ein Knie, beuge den Kopf und beiße die Zähne zusammen, sosehr ich es auch hasse. Wie alle anderen um uns herum tut Taryn an meiner Seite ebenfalls ihre Ehrerbietung kund.
Seht uns nicht an, denke ich. Seht uns nicht an.
Im Vorbeigehen packt Valerian mich an einem meiner geflochtenen Hörner. Während die anderen weiter durch die Menge stolzieren, blickt er höhnisch auf mich herab.
»Hast du etwa geglaubt, ich hätte dich nicht gesehen? Du und deine Schwester, ihr fallt überall auf«, sagt er und beugt sich dicht zu mir herunter. Sein Atem ist mit süßlichem Honigwein gewürzt. Ich balle die Fäuste und bin mir nur zu sehr bewusst, dass ich ein Messer dabeihabe. Dennoch sehe ich ihm nicht in die Augen. »Kein Schopf so stumpf, kein Antlitz so farblos.«
»Valerian!«, ruft Prinz Cardan. Als er mich sieht, verfinstert sich seine Miene noch mehr.
Valerian zieht brutal an meinem Zopf. Als ich zusammenzucke, brennt sinnlose Wut in meinem Bauch. Er geht lachend weiter.
Mein Zorn verraucht zu Scham. Ich wünschte, ich hätte Valerians Hand weggeschlagen, obwohl ich damit alles nur noch schlimmer gemacht hätte.
Taryn sieht es mir an. »Was hat er zu dir gesagt?«
Ich schüttele den Kopf.
Cardan ist bei einem Jungen mit langem kupferrotem Haar stehen geblieben, der zwei schmale Nachtfalterflügel hat. Der Junge verbeugt sich nicht, und als er lacht, stürzt Cardan sich auf ihn. Innerhalb eines Augenblicks schlägt Cardan dem Jungen mit der Faust so hart ins Gesicht, dass er hinfällt. Dann schnappt er sich einen seiner Flügel. Er reißt wie Papier, und der Junge schreit schrill und durchdringend, bevor er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden zusammenrollt. Wachsen Elfenflügel nach? Ich weiß nur, dass Schmetterlinge, die einen Flügel verloren haben, nicht mehr fliegen können.
Der Hofstaat glotzt und tuschelt, doch nur für einen kurzen Moment. Dann widmen sich alle wieder den Tänzen und Liedern und die Feierlichkeiten nehmen weiter ihren berauschenden Lauf.
So sind sie. Wer sich Cardan in den Weg stellt, wird sofort hart bestraft, darf nicht mehr am Unterricht im Palast teilnehmen und wird manchmal sogar endgültig vom Hofe vertrieben. Verletzt, vernichtet.
Während Cardan an dem Jungen vorbeigeht, mit dem er offenbar fertig ist, bin ich froh, dass er fünf würdigere Brüder und Schwestern hat. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass er jemals den Thron besteigt. Ich mag ihn mir nicht mit noch mehr Macht vorstellen, als ihm ohnehin schon gegeben ist.
Selbst Nicasia und Valerian tauschen einen flüchtigen Blick. Dann zuckt Valerian die Achseln und folgt Cardan, doch Locke bleibt bei dem Jungen stehen und bückt sich, um ihm aufzuhelfen.
Als dann die Freunde des Jungen herbeikommen und ihn wegführen, geschieht das Unglaubliche: Locke hebt den Blick. Als er mich sieht, reißt er die gelbbraunen Augen auf, und ich bin wie gelähmt. Mein Herz rast, während ich erwarte, erneut beschimpft zu werden. Doch er zuckt mit dem Mundwinkel und zwinkert, entweder zur Begrüßung oder weil er sich ertappt fühlt – als hätten wir ein Geheimnis. Als würde er mich nicht verabscheuen und befürchten, meine Sterblichkeit wäre ansteckend.
»Hör auf, ihn anzustarren«, fordert Taryn.
»Hast du nicht gesehen …« Ich will es ihr erklären, doch sie lässt mich nicht aussprechen, nimmt meine Hand und zerrt mich zur Treppe, zu unserem Sims aus glänzendem Felsgestein, in unser Versteck. Sie bohrt die Fingernägel in meine Hand.
»Gib ihnen doch nicht noch mehr Gründe, dich zu quälen!« Ihr eindringlicher Appell überrascht mich so, dass ich ihr ruckartig meine Hand entziehe. Rote Halbmonde glühen, wo sie mich festgehalten hat.
Ich drehe mich zu der Stelle um, wo Locke eben noch stand, doch die Menge hat auch ihn verschluckt.
Im Morgengrauen öffne ich die Fenster und lasse die kühle Nachtluft herein, während ich mein höfisches Gewand ablege. Mir ist sehr heiß. Meine Haut spannt und mein Herz schlägt immer noch viel zu schnell.
Ich war schon oft bei Hofe, sehr oft sogar, und habe Schlimmeres gesehen als zerrissene Flügel. Es zählt auch nicht richtig, dass ich beschimpft und beleidigt worden bin. Elfen gleichen ihre Unfähigkeit zu lügen mit einem Spektrum von Betrügereien und Brutalitäten aus. Worte werden verdreht, Streiche gespielt, Dinge ausgelassen, Rätsel aufgestellt, Skandale ausgeheckt, ganz zu schweigen von den Rachefeldzügen wegen uralter, schon fast vergessener Kränkungen. Stürme sind weniger wetterwendisch, Meere berechenbarer.
Madoc zum Beispiel ist als Rotkappe aufs Blutvergießen angewiesen wie eine Meerjungfrau auf die Gischt der Wellen. Nach jeder Schlacht tunkt er in einem ewig gleichen Ritual seine Kappe in das Blut seiner Feinde. Ich kenne diese Kappe, die unter Glas in der Waffenkammer aufbewahrt wird. Der Stoff ist starr und so braun, dass er bis auf ein paar grüne Flecken schon fast schwarz ist.
Hin und wieder betrachte ich die Kappe und versuche, meine Eltern in der Masse des getrockneten Blutes auszumachen. Ich sehne mich nach einem anderen Gefühl als dem vager Übelkeit. Ich möchte mehr fühlen, doch mit jedem Mal fühle ich weniger.
Jetzt erwäge ich, in die Waffenkammer zu gehen, doch ich tue es nicht. Stattdessen stelle ich mich ans Fenster und bilde mir ein, ich wäre eine furchtlose Kriegerin oder eine Hexe, die ihr Herz in ihrem Finger verbirgt und den Finger dann abhackt.
»Ich habe es so satt«, sage ich laut. »So satt.«
Ich bleibe lange Zeit sitzen, sehe zu, wie die aufgehende Sonne den Himmel vergoldet, und lausche der wogenden Ebbe, als ein Wesen hochfliegt und am Fensterrahmen landet. Zunächst halte ich es für eine Eule, doch es hat Koboldaugen. »Was hast du satt, süßes Kind?«, fragt es.
Ich seufze und gebe ausnahmsweise eine ehrliche Antwort. »Keine Macht zu haben.«
Der Kobold mustert mich und fliegt davon in die Dunkelheit.
Nachdem ich den ganzen Tag verschlafen habe, weiß ich beim Aufwachen erst nicht, wo ich bin, und kämpfe mich dann durch die bestickten Vorhänge an meinem Bett. Eine Speichelspur zieht sich über meine Wange.
Mich erwartet eine volle Badewanne, doch das Wasser ist nur noch lauwarm. Offenbar waren Dienstboten da und sind wieder gegangen. Ich steige dennoch in die Wanne und spritze mir Wasser ins Gesicht. Wenn man im Elfenreich lebt, kommt man nicht umhin zu merken, dass alle anderen nach Eisenkraut oder zerstoßenen Kiefernnadeln riechen, nach geronnenem Blut oder Wolfsmilch. Ich dagegen verströme Schweiß und Mundgeruch, wenn ich mich nicht ständig wasche.
Als Tatterfell hereinkommt und die Lampen anzündet, kleide ich mich gerade zum Unterricht an, der dreimal wöchentlich am späten Nachmittag stattfindet und sich zeitweise bis in den Abend zieht. Ich trage Lederstiefel und eine Tunika mit Madocs aufgesticktem Wappen – einem Dolch, einem zunehmenden Mond, der als Sichel auf der Seite liegt wie eine Tasse, und einem Blutstropfen, der von einer Ecke fällt.
Im Erdgeschoss treffe ich Taryn am Banketttisch an, wo sie ganz für sich allein Brennnesseltee trinkt und an einem Gerstenmehlkuchen knabbert.
Heute tut sie nicht so, als könnten wir uns amüsieren.
Ob vor schlechtem Gewissen oder weil er sich schämt, besteht Madoc darauf, dass wir wie Elfenkinder behandelt werden. Wir sollen die gleiche Ausbildung genießen und alles bekommen, was ihnen zuteil wird. Auch früher kamen schon hin und wieder Wechselbälger an den Hof des Hochkönigs, doch keins wurde großgezogen, als gehörte es dem Adel an.
Madoc versteht nicht, wie viel Hass es in ihnen schürt.
Das heißt nicht, dass ich nicht dankbar wäre. Ich gehe gern zum Unterricht. Niemand kann es mir nehmen, kluge Antworten zu geben, selbst wenn die Lehrer manchmal so tun, als wären sie nicht richtig. Ein frustriertes Nicken genügt mir, wenn ich schon kein ausführliches Lob erwarten darf. Ich nehme es entgegen und freue mich, weil es bedeutet, dass ich doch dazugehören kann, ob es ihnen passt oder nicht.
Früher ist Vivi noch mitgegangen, doch irgendwann fand sie es langweilig und blieb weg. Madoc bekam einen Wutanfall, doch da sie alles verabscheut, was er gut findet, erhärteten seine Schimpftiraden nur ihren Entschluss, niemals wieder am Unterricht teilzunehmen. Sie wollte uns überreden, ebenfalls zu Hause zu bleiben, doch wenn Taryn und ich nicht mit den Machenschaften der Elfenkinder fertig werden, ohne zu schwänzen oder heulend zu Madoc zu laufen, wie soll er uns dann jemals für fähig erklären, das Leben bei Hofe zu bewältigen, wo diese Intrigen auf einer höheren und tödlicheren Ebene stattfinden?
Wir schwenken unsere Körbe und machen uns auf den Weg. Um zum Palast des Hochkönigs zu gelangen, müssen wir Insmire nicht verlassen, aber wir gehen um zwei andere kleine Eilande herum – Insmoor, die Steininsel, und Insweal, die Kummerinsel. Alle drei sind über halb unter Wasser stehende Wege verbunden, auf denen Felsbrocken liegen, sodass man von einem zum anderen springen kann. Ein Rudel Hirsche schwimmt auf der Suche nach dem besten Weideland Richtung Insmoor. Ich streife mit Taryn den Maskensee und die hinterste Ecke des Milchwaldes mit seinen blassen silbernen Bäumen und ausgebleichten Blättern. Unterwegs sehen wir Meerjungfrauen und Meermänner, deren Schuppen an diesem Spätnachmittag die bernsteinfarbenen Sonnenstrahlen zurückwerfen, während sie sich an zerklüfteten Höhlen sonnen.
Unabhängig vom Alter werden alle adligen Sprösslinge von Lehrern aus dem ganzen Königreich auf dem Palastgelände unterrichtet. Manchmal sitzen wir nachmittags auf smaragdgrünem Moos im Obsthain oder abends hoch in einem Turm oder auf einem Baum. Wir lernen, wie die Sternbilder über den Himmel ziehen, welche medizinischen und magischen Eigenschaften die Kräuter haben, sowie die Sprachen der Vögel und Blumen und Menschen. Dazu gehört auch die Sprache des Elfenvolks (selbst wenn sie sich mir manchmal auf der Zunge verdreht) mitsamt dem Verfassen von Rätseln. Außerdem lernen wir, wie wir auf leisen Sohlen über Laub und Gestrüpp schleichen, ohne dass man uns hört oder eine Spur von uns findet. Wir genießen Unterricht im fortgeschrittenen Spiel der Harfe und der Laute und im Umgang mit Bogen und Schwert. Ich sehe mit Taryn zu, wenn unsere Lehrer Zauber wirken, und in den Pausen spielen wir alle Krieg auf einem grünen Feld, das in einem Halbkreis von Bäumen gesäumt ist.
Dank Madocs Training kann ich hervorragend mit einem Holzschwert umgehen. Taryn ist auch nicht schlecht darin, doch sie hat aufgehört zu trainieren. Wenn in wenigen Tagen das Sommerturnier stattfindet, werden wir vor der königlichen Familie unser Kriegsspiel aufführen. Falls Madoc mein Anliegen unterstützt, könnte ein Prinz oder eine Prinzessin mich in den Ritterstand erheben und zur persönlichen Garde ernennen. Das würde eine gewisse Macht, einen gewissen Schutz mit sich bringen.
Auf diese Weise könnte ich auch Taryn beschützen.
Als wir in der Schule ankommen, liegen Prinz Cardan, Locke, Valerian und Nicasia bereits mit anderen Elfen auf dem Rasen. Ein Mädchen mit einem Rehgeweih, Poesy, kichert über eine Bemerkung von Cardan. Sie beachten uns gar nicht, als wir die Decke ausbreiten und unsere Notizblöcke, Federkiele und Tintenfässchen herausholen.
Ich bin ausgesprochen erleichtert.
Heute lernen wir, wie nach schwierigen Verhandlungen der Frieden zwischen Orlagh, der Königin der Tiefsee, und den verschiedenen Elfenköniginnen- und – königen auf dem Festland zustande kam. Nicasia ist Orlaghs Tochter und wurde zur Ausbildung an den Hof des Hochkönigs geschickt. Königin Orlaghs Schönheit hat viele Oden inspiriert, aber wenn sie Ähnlichkeit mit ihrer Tochter hat, dürften die Dichter ihre Persönlichkeit wohl weniger rühmen. Nicasia strahlt die ganze Zeit vor Stolz auf ihre Familie. Als der Lehrer zu Lord Roiben vom Hof der Termiten übergeht, verliere ich das Interesse und schweife gedanklich ab. Ich denke an die Abläufe beim Schwertkampf – Hieb, Ausfall, Parade, Block – und packe meinen Stift, als wäre er das Heft meines Schwertes. Dabei vergesse ich vollkommen, mir Notizen zu machen.
Als die Sonne sich am Himmel neigt, packen Taryn und ich einen Korb aus, der Brot, Butter, Käse und Pflaumen enthält.
In dem Moment, in dem ich hineinbeißen will, kickt Cardan im Vorbeigehen Erde auf mein Essen. Die anderen Elfen lachen.
Ich hebe den Blick. Er sieht mich grausam entzückt an wie ein Raubvogel, der erwägt, ob er eine kleine Maus fressen soll oder nicht. Cardan trägt eine Tunika mit hohem Kragen, die mit Dornen verziert ist, und an den Fingern schwere Ringe. Sein höhnisches Grinsen hat er lange geübt.
Ich beiße die Zähne zusammen und ermahne mich, die Schmähung einfach an mir abprallen zu lassen, damit er schließlich das Interesse verliert. Er wird weitergehen, ich kann es noch ein wenig länger ertragen – die paar Tage noch.
»Ist was?«, fragt Nicasia unschuldig, kommt hinzu und legt einen Arm um Cardans Schultern. »Erde. Daraus bist du gemacht, Sterbliche. Und dazu wirst du bald auch wieder. Beiß nur herzhaft zu.«
»Zwing mich doch«, sage ich, bevor ich es mir anders überlegen kann. Nicht wirklich witzig, aber meine Hände sind schon schweißnass. Taryn sieht schockiert aus.
»Das könnte ich, wie du weißt«, sagt Cardan mit einem Grinsen, als würde er nichts lieber tun. Mein Herz schlägt schneller. Wenn ich keine Kette aus Vogelbeeren trüge, könnte er mich verfluchen, die Erde für eine Köstlichkeit zu halten. Einzig und allein Madocs Stellung würde ihn vielleicht davon abhalten. Ich verharre reglos, ohne die Kette zu berühren, die ich heimlich unter dem Mieder der Tunika trage und von der ich hoffe, dass sie jeglichen Fluch verhindert. Erst recht hoffe ich, dass Cardan sie nicht entdeckt und mir vom Hals reißt.
Unauffällig blicke ich zu unserem heutigen Lehrer, doch der ältliche Phooka hat seine Nase in ein Buch gesteckt.
Da Cardan ein Prinz ist, hat ihn wahrscheinlich niemand je ermahnt oder gebremst. Ich weiß nie, wie weit er geht, und ebenso wenig, wie sehr die Lehrer ihm freie Hand lassen.
»Das willst du doch nicht essen, oder?«, fragt Valerian mit gespieltem Mitleid, während er noch mehr Erde auf unser Mittagessen kickt. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er gekommen war. Valerian hat mir einmal einen silbernen Stift gestohlen, den Madoc durch einen rubinbesetzten von seinem eigenen Schreibtisch ersetzte. Daraufhin hatte Valerian in einem Wutanfall sein Holzschwert so fest gegen meinen Hinterkopf geschlagen, dass es zerbrach. »Wie wäre es, wenn wir versprächen, den ganzen Nachmittag nett zu euch zu sein, wenn ihr alles aufesst, was in eurem Korb ist?« Er lächelt strahlend und falsch. »Wollt ihr nicht mit uns befreundet sein?«
Taryn senkt den Blick auf ihren Schoß. Nein, hätte ich am liebsten gesagt. Wir wollen nicht mit euch befreundet sein.
Ich antworte zwar nicht, doch ich neige auch nicht den Kopf, sondern sehe Cardan in die Augen. Nichts, was ich sagen könnte, würde sie von irgendetwas abhalten, das weiß ich. Hier bin ich machtlos. Dennoch kann ich heute anscheinend meinen Ärger über meine Hilflosigkeit nicht herunterschlucken.
Als Nicasia eine Haarnadel aus meiner Frisur zieht, fällt ein Zopf in meinen Nacken. Ich schlage nach ihrer Hand, doch ich bin nicht schnell genug.
»Was haben wir denn da?« Sie hebt die Hand mit der Haarnadel, die mit filigranen Weißdornbeeren verziert ist. »Hast du sie gestohlen? Glaubst du etwa, damit bist du schöner? Hast du gedacht, dann wärst du so wie wir?«
Ich beiße mir in die Wange. Natürlich möchte ich wie sie sein. Sie sind wunderschön, wie Schwerter, die in einem göttlichen Feuer geschmiedet wurden. Sie sind unsterblich. Valerians Haar schimmert wie poliertes Gold. Nicasia hat wunderschöne lange Gliedmaßen, einen korallroten Mund und eine Haarpracht in der Farbe der tiefsten, kältesten Stellen im Meer. Locke, der mit seinen Fuchsaugen hinter Valerian steht und eine Miene einstudierter Gleichgültigkeit zur Schau stellt, hat ein Kinn so spitz wie seine Ohren. Und Cardan ist der Schönste von allen. Sein schwarzes Haar schillert wie ein Rabenflügel und mit seinen messerscharfen Wangenknochen könnte er einem Mädchen das Herz herausschneiden. Ich hasse ihn mehr als den Rest. Ich hasse ihn so sehr, dass ich manchmal, wenn ich ihn ansehe, kaum Luft bekomme.
»Ihr werdet nie unseresgleichen sein«, sagt Nicasia.
Natürlich nicht.
»Ach, komm«, sagt Locke mit einem sorglosen Lachen und schlingt die Hand um ihre Taille. »Überlassen wir sie einfach ihrem Elend.«
»Jude tut es leid«, sagt Taryn rasch. »Es tut uns beiden sehr leid.«
»Das kann sie unter Beweis stellen«, erwidert Cardan affektiert. »Sag ihr, dass sie beim Sommerturnier nichts zu suchen hat.«
»Angst, ich könnte gewinnen?«, frage ich unklugerweise.
»Das ist nichts für Sterbliche«, bescheinigt er uns mit einem frostigen Unterton. »Ziehe zurück, sonst wirst du es bereuen.«
Ich öffne den Mund, doch Taryn kommt mir zuvor. »Ich werde mit ihr reden. Das ist doch nur ein Spiel, nicht der Rede wert.«
Nicasia lächelt meine Schwester großmütig an, während Valerian sie lüstern betrachtet und nicht genug von ihren Kurven bekommt. »Alles nur ein Spiel.«
Als Cardan mir in die Augen sieht, begreife ich, dass er noch nicht mit mir fertig ist, noch lange nicht.
»Wieso musstest du ihn derart herausfordern?«, fragt Taryn, als die anderen zu ihrem eigenen fröhlichen Mittagessen zurückkehren, das für sie auf dem Rasen serviert ist. »Es ist einfach dumm, Widerworte zu geben.«
Zwing mich doch.
Angst, ich könnte gewinnen?
»Ich weiß. Von jetzt an halte ich den Mund. Ich war nur – ich war halt sauer.«
»Es wäre besser für dich, wenn du Angst hättest«, rät sie mir, bevor sie kopfschüttelnd den Rest der ungenießbaren Lebensmittel einpackt. Mein Magen knurrt, und ich versuche, nicht hinzuhören.
Sie wollen, dass ich mich fürchte, das weiß ich. Beim Kriegsspiel am Nachmittag stellt Valerian mir ein Bein und Cardan flüstert mir unflätige Worte ins Ohr. Ich kehre mit blauen Flecken von ihren Tritten und meinen Stürzen heim.
Doch eins verstehen sie nicht: Ja, sie machen mir Angst, aber ich kenne es nicht anders, denn so war es von Anfang an. Der Mann, der meine Eltern ermordet hat, zieht mich hier groß, in einem Land voller Ungeheuer. Ich lebe mit dieser Furcht, die mir bis in die Knochen kriecht, aber ich schenke ihr keine Beachtung. Würde ich nicht so tun, als hätte ich keine Angst, würde ich mich auf Madocs Anwesen bis in alle Ewigkeit unter meinen Überdecken aus Eulendaunen verstecken. Dort würde ich liegen bleiben und schreien, bis nichts mehr von mir übrig wäre. Ich weigere mich, das zu tun. So weit werde ich es nicht kommen lassen.
Nicasia schätzt mich falsch ein. Ich will bei dem Turnier nicht so gut abschneiden wie ein Elf. Ich will gewinnen. Es geht mir nicht darum, es ihnen gleichzutun.
Ich sehne mich von Herzen danach, sie zu übertrumpfen.
Auf dem Heimweg bleibt Taryn am Maskensee stehen und pflückt Brombeeren. Ich setze mich im Mondlicht auf einen Felsen und schaue absichtlich nicht ins Wasser. Der See zeigt einem nicht das eigene Spiegelbild, sondern das Antlitz eines anderen, der hineingesehen hat oder es noch tun wird. Als ich klein war, habe ich stundenlang am Ufer gesessen, Elfengesichter anstelle meines eigenen betrachtet und gehofft, dass mich irgendwann meine Mutter anblicken würde.
Schließlich tat es zu weh, es weiter zu probieren.
»Und, lässt du das mit dem Turnier nun sein?«, fragt Taryn und schiebt sich eine Handvoll Beeren in den Mund. Wir sind hungrige Kinder und schon jetzt größer als Vivi, mit breiteren Hüften und schwereren Brüsten.
Ich schnüre den Korb auf, hole eine verschmutzte Pflaume heraus und wische sie an meiner Tunika ab. Man kann sie eigentlich noch essen. Ich denke nach, während ich langsam kaue. »Wegen Cardan und seinem Hof von Idioten?«
Sie verzieht das Gesicht zu einer Miene, die ich ebenso aufsetze, wenn sie besonders stur ist. »Weißt du, wie sie uns nennen?«, fragt sie. »Den Kreis der Würmer.«
Ich schleudere den Kern ins Wasser und bemerke, dass es vorerst keine Spiegelbilder geben wird, weil es sich so kräuselt. Mein Mund wird schmal.
»Du verseuchst einen magischen See«, wirft Taryn mir vor.
»Der Kern verfault«, erwidere ich. »Genau wie wir. Sie haben recht. Wir sind der Kreis der Würmer. Wir sind sterblich, deshalb können wir auch nicht ewig darauf warten, bis sie uns tun lassen, was wir wollen. Es ist mir egal, ob es ihnen gefällt, dass ich an dem Turnier teilnehme. Wenn ich erst mal im Ritterstand bin, können sie mir nichts mehr anhaben.«
»Glaubst du, dass Madoc dir die Erlaubnis gibt?«, fragt Taryn und lässt den Brombeerstrauch in Ruhe, nachdem ihre Finger angefangen haben zu bluten. »Auf einen anderen als ihn zu hören?«
»Wozu hätte er uns das denn alles sonst beigebracht?«, frage ich zurück. Wortlos machen wir uns im Gleichschritt auf den Heimweg.
»Für mich ist das nichts.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich werde mich verlieben.«
Ich bin so überrascht, dass ich laut lache. »Das hast du gerade so beschlossen, oder was? Ich wusste nicht, dass es so einfach ist. Ich dachte, man verliebt sich, wenn man es am wenigsten erwartet, wie ein Schlag auf den Kopf.«
»Stimmt, ich habe es beschlossen«, sagt sie. Das erinnert mich an Taryns letzte fehlgeleitete Prophezeiung – dass wir uns bei dem Ball amüsieren würden –, doch ich will sie nicht ärgern. Stattdessen stelle ich mir vor, in wen sie sich verlieben könnte. In einen Meermann möglicherweise, der ihr die Gabe verleihen würde, unter Wasser zu atmen. Er würde ihr eine Perlenkrone schenken und sie in sein Bett unter dem Meer entführen.
Ehrlich gesagt, klingt das großartig. Vielleicht treffe ich die falschen Entscheidungen.
»Schwimmst du eigentlich gern?«, frage ich.
»Was?«
»Nichts.«
Da sie glaubt, ich würde mich über sie lustig machen, sticht sie mir den Ellbogen in die Seite.
Wir laufen durch den Krummwald mit den knorrigen Bäumen, weil es gefährlich ist, nachts durch den Milchwald zu gehen. Einmal müssen wir stehen bleiben und Wurzelmänner vorbeilassen, aus Angst, dass sie auf uns drauftreten könnten, wenn wir nicht aus dem Weg gehen. Moos wächst auf ihren Schultern und zieht sich über ihre Wangen aus Baumrinde. Der Wind rauscht durch ihre Rippen.
Sie bilden eine schöne feierliche Prozession.
»Wenn du so sicher bist, dass Madoc dir die Erlaubnis erteilt, warum hast du ihn dann noch nicht gefragt?«, flüstert Taryn. »Das Turnier findet doch schon in drei Tagen statt.«
Beim Sommerturnier darf jeder mitkämpfen, doch wenn ich den Ritterstand anstrebe, muss ich meine Bewerbung kundtun, indem ich eine grüne Schärpe über der Brust trage. Und wenn Madoc mir das verbietet, kann ich noch so sehr mit meinen Fähigkeiten glänzen. Dann könnte ich mich nicht bewerben und dementsprechend auch nicht erwählt werden.
Ich bin froh, dass ich wegen der Wurzelmänner nicht sofort reagieren muss, denn sie hat natürlich recht. Ich habe Madoc nicht gefragt, weil ich Angst vor der Antwort habe.
Als wir nach Hause kommen und die mächtige Holztür mit den verschnörkelten Verzierungen aus Metall aufdrücken, hören wir von oben entsetzte Schreie. Mein Herz macht einen Satz, und ich renne hoch, doch es ist nur Vivi, die eine Horde Waldgeister verjagt. Sie sausen in einer durchsichtigen Wolke an mir vorbei in die Halle, und Vivi schleudert das Buch, mit dem sie auf sie losgegangen war, an die Tür, die hinter ihnen zuschlägt.
»Da!«, ruft Vivi und zeigt auf ihren Schrank. »Schau, was sie angerichtet haben!«
Der Schrank steht auf, er ist voll mit Dingen, die sie in der Menschenwelt hat mitgehen lassen: Streichhölzer und Zeitungen, leere Flaschen, Bücher und Polaroidfotos. Die Waldgeister haben Betten und Tische aus den Streichhölzern gebastelt, das ganze Papier zerfetzt und die Bücher ausgehöhlt, um darin Nester zu bauen. Vivis Sammlung ist komplett von Waldgeistern verseucht.
Aber viel mehr erstaunt mich das viele Zeug, das sie gehortet hat und das überhaupt nichts wert ist. Das ist alles nur Ramsch, Menschenschrott.
»Was ist das da alles?«, fragt Taryn von der Tür. Sie bückt sich und hebt einen Fotostreifen auf, den die Waldgeister nur angeknabbert haben. Die Fotos sind anscheinend direkt nacheinander aufgenommen worden, wie in einer dieser Fotokabinen. Sie zeigen Vivi, die den Arm um ein Menschenmädchen mit pinkfarbenem Haar legt.
Vielleicht ist Taryn nicht die Einzige, die beschlossen hat, sich zu verlieben.