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Die siebzehnjährige Tris wächst abgeschottet von der Außenwelt in einem Kloster auf – so wie alle Magier des Königreichs Alvid. Ihr Leben ist eintönig, daher wünscht sich die junge Frau nichts sehnlicher, als dem Wächter-Orden anzugehören, um ihre Gabe zum Schutze der Menschen einzusetzen. Als ihr Traum plötzlich in Erfüllung geht, erhält sie von den Wächtern die Aufgabe, die Elfen auszukundschaften. Dieses Volk will sich trotz verlorenem Krieg nicht dem König unterwerfen und überfällt immer wieder die Dörfer in der Nähe seiner Landesgrenze. Selbst überzeugt von den Missetaten dieser Wesen, trifft Tris auf einem Erkundungsritt den Elfen Avathandal, der jedoch gänzlich anders ist, als sie erwartet hat. Als sie sich schließlich in ihn verliebt, ist sie hin- und hergerissen. Mit einem Mal hegt die junge Magierin Zweifel an den Motiven der Wächter. Hat sie sich für die falsche Seite entschieden? Oder ist es Avathandal, der sie täuscht?
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Seitenzahl: 305
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Landkarte
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Dank
Bonusmaterial
1) Das sagt die Autorin über sich und das Schreiben
2) Blogger fragen - Carolin Emrich antwortet
Carolin Emrich
Elfenwächter
Band 1: Weg des Ordens
Fantasy
Elfenwächter Band 1: Weg des Ordens
Die siebzehnjährige Tris wächst abgeschottet von der Außenwelt in einem Kloster auf – so wie alle Magier des Königreichs Alvid. Ihr Leben ist eintönig, daher wünscht sich die junge Frau nichts sehnlicher, als dem Wächter-Orden anzugehören, um ihre Gabe zum Schutze der Menschen einzusetzen.
Als ihr Traum plötzlich in Erfüllung geht, erhält sie von den Wächtern die Aufgabe, die Elfen auszukundschaften. Dieses Volk will sich trotz verlorenem Krieg nicht dem König unterwerfen und überfällt immer wieder die Dörfer in der Nähe seiner Landesgrenze.
Selbst überzeugt von den Missetaten dieser Wesen, trifft Tris auf einem Erkundungsritt den Elfen Avathandal, der jedoch gänzlich anders ist, als sie erwartet hat.
Als sie sich schließlich in ihn verliebt, ist sie hin- und hergerissen.
Mit einem Mal hegt die junge Magierin Zweifel an den Motiven der Wächter. Hat sie sich für die falsche Seite entschieden? Oder ist es Avathandal, der sie täuscht?
Die Autorin
Carolin Emrich wurde 1992 in Kassel geboren. Schon als kleines Mädchen bat sie ihre Mutter, ihr nicht nur vorzulesen, sondern ihr auch das Lesen beizubringen. Sobald sie dieses beherrschte, gab es kein Halten mehr. Stapelweise wurden die Bücher verschlungen und bald schon begann sie, eigene kleine Geschichten zu Papier zu bringen. Im Alter von 15 Jahren verschlug es sie auf eine Fanfiction-Plattform, wo sie auch heute noch ihr Unwesen treibt. Im Herbst 2015 reifte dann die Idee heran, ein Buch zu schreiben. Aber vorher stellte sich die Frage: Kann ich das überhaupt? Um dieser auf den Grund zu gehen, begann sie zu plotten, und schrieb daraufhin ihr Fantasy-Debüt »Elfenwächter«.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Januar 2017
© Sternensand-Verlag GmbH, Zürich 2017
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss
Lektorat / Korrektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH
Landkarte: Corinne Spörri | Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-30-2
ISBN (epub): 978-3-906829-31-9
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Papa
Weil du stolz auf mich wärst und
der beste Schutzengel bist,
den man sich wünschen kann.
Schnaufend lief ich durch die Gänge des Klosters. Ich hatte mir ein Buch unter den Arm geklemmt und versuchte, rechtzeitig zu meinem nächsten Unterricht zu erscheinen. Neben mir rannte meine Freundin Lilly, der es nicht besser ging als mir. Wir würden zu spät kommen, und das würde Ärger geben. Herr Herb war ein strenger Lehrer und zu spät zu kommen war ausdrücklich nicht gestattet. Durch die Flure zu rennen allerdings auch nicht.
»Wir werden nachsitzen müssen«, sagte Lilly und legte noch einen Schritt zu.
Wir kamen schlitternd vor der Tür des Unterrichtsraums zum Stehen. Einige Sekunden nahmen wir uns, um zu Atem zu kommen.
Ich strich mir eine verirrte Strähne meines braunen Haares aus dem Gesicht, dann öffnete ich die Tür.
Alle vierzehn Anwesenden drehten die Köpfe zu uns um. Ich schluckte und versuchte die Worte in meinen Gedanken zu sortieren, aber ehe ich eine Entschuldigung vorbringen konnte, polterte unser Lehrer los: »Wie oft muss ich euch daran erinnern, dass ihr nicht zu spät zu meinem Unterricht erscheinen sollt? Es ist mir auch völlig gleich, welche hanebüchene Ausrede ihr vortragen wollt. Nachsitzen! Alle beide!«
Wir seufzten und begaben uns zu unseren Sitzplätzen.
Herr Herb begann eine Tabelle an die Tafel zu zeichnen. Die Kreide erzeugte bei den Querstrichen laute, quietschende Geräusche und ich verzog den Mund. Eine feine Gänsehaut zog sich über meine Arme. Neben mir stöhnte Lilly und hielt sich die Ohren zu.
In die beiden oberen Felder wurde links »Angriffs-Magie« und rechts »Verteidigungs-Magie« geschrieben. Diese unterteilten sich in der Zeile darunter jeweils in »passive Magie« und »aktive Magie«.
Ich nahm einen Zettel und einen Stift aus meiner Tasche, die seit heute Morgen an diesem Platz stand, und begann erst die Tabelle abzuzeichnen, dann die Beispiele für die jeweiligen Magie-Arten, die unser Lehrer in der Zwischenzeit angeschrieben hatte, in die letzte Zeile zu übertragen. Lange Zeit war nichts zu hören außer dem gleichmäßigen Atmen der anderen Schüler und dem Kratzen von Stiften auf Papier.
Ich hob den Kopf, um in einem kurzen Moment, in dem Herr Herb seine Erklärungen unterbrach, aus dem Fenster zu schauen. Der Frühling war in den letzten Wochen mit großer Geschwindigkeit hereingebrochen und hatte viele Bäume zum Blühen gebracht. Vicky, meine Freundin, mit der ich mir ein Zimmer teilte, hatte eine schlimme Allergie gegen Pollen und sich schon mehrmals vom Unterricht befreien lassen, da ihre Augen zugeschwollen waren und sie auch an schlimmer Atemnot litt. Ich war froh, selbst nicht davon betroffen zu sein.
Meine Gedanken kehrten in den Klassenraum zurück und ich schrieb schweigend weiter.
»Magiekunde« war nicht gerade mein bestes Fach, denn ich handelte eher intuitiv. Meine Magie sagte mir, wann es Zeit war, zu reagieren. Ich schaffte es nie, sie in Formen zu pressen und zuzuordnen. Zwar war ich eine aktive Magierin, aber die ganzen Muster und Erklärungen dazu ließen sich nie auf meine Gabe münzen und ich hatte Probleme, sie zu beschreiben.
Passive Magier waren immun gegen die Magie. Sie konnten aktiven Magiern schaden, indem sie deren Mana absorbierten und sie damit daran hinderten, einen Zauber zu wirken.
Wenn mich jemand fragen würde, was Mana war, dann würde ich es als eine Art Blut bezeichnen. Man sah es nicht, aber es fühlte sich an, als würde es ebenfalls durch den Körper fließen.
Jede Art der Magie, ob aktiv oder passiv, hatte ihre individuellen Vor- und Nachteile.
»Tristana, stell dir vor, dir steht plötzlich ein Bogenschütze gegenüber. Erklär uns doch bitte, welche Verteidigungsmöglichkeiten du hast«, richtete Herr Herb das Wort an mich.
Erschrocken sah ich auf, schluckte und versuchte eine Antwort zusammenzubekommen, aber es wollte nicht klappen. Ich gestikulierte mit den Händen, doch da hatte ich meine Gelegenheit, zu antworten, bereits vertan. Unser strengster Lehrer zog missbilligend die Augenbrauen hoch und sah mich über seine Brille hinweg an.
Ich wusste genau, was er dachte. Obwohl ich im letzten Winter meine Prüfungen bestanden hatte und nun eine vollwertige Magierin war, hielt er nicht viel von mir. Dabei hatte ich im praktischen Teil Bestnoten erhalten!
Die Prüfung war aus einem Fragebogen und einem Parcours im Freien zusammengesetzt gewesen. Letzterer hatte sehr viel Spaß gemacht, denn überall waren überraschend Strohpuppen aus dem Boden und hinter Bäumen aufgetaucht und wir hatten schnell, aber überlegt handeln müssen, um sie unschädlich zu machen. In unserer Vorstellung hatten sie echte Gegner sein sollen. Ich wusste bis heute nicht, wozu das gut gewesen war, denn wir waren doch in diesem Kloster eingesperrt. Feinde gab es hier sowieso keine. Eine Puppe hatte ich eingefroren und mit einem Geiststoß, einem magischen Luftstoß, zersplittern lassen. Das hätte eindeutig Formpunkte geben müssen.
Im Fragebogen mussten wir dann erklären, warum wir wie gehandelt hatten. Darauf hatte ich keine Bestnoten erhalten, aber es hatte knapp gereicht, um die Prüfung zu bestehen. Allerdings war an das Bestehen eine Bedingung gekoppelt: Ich musste das restliche Schuljahr am Unterricht für Magiekunde teilnehmen, um den Fragebogen nicht wiederholen zu müssen. Zum Glück war das Jahr bald vorüber und ich von der lästigen Unterrichtspflicht erlöst.
Mittlerweile hatten sich einige andere Schüler gemeldet und Herr Herb wandte sich von mir ab. Er murmelte etwas, das verdächtig wie »Das hatte ich fast erwartet« klang.
Ich zog den Kopf ein, als in der Reihe hinter mir laut gekichert wurde. Eigentlich war ich nie um eine Antwort verlegen, aber nun schwieg ich sicherheitshalber. Ich musste sowieso schon nachsitzen und hatte keine Lust auf eine weitere Extrastunde, nur weil ich diese Puten zurechtweisen musste.
»Wie ich diese eingebildeten Mädchen doch hasse«, flüsterte mir Lilly zu und ich nickte.
Neben den anderen Schülerinnen kam ich mir immer merkwürdig vor. Meine Freundin Lilly nannte es »besonders«, aber ich war mir nie sicher, ob sie es als Kompliment meinte. Sie war groß, schlank und hatte wunderschöne rote Haare. Ich war klein, etwas weniger schlank und meine Haare waren ganz einfach braun. Meine Augen waren das Einzige, was ich an mir wirklich mochte. Sie hatten keine langweilige Farbe, sondern strahlten in einem kräftigen Grün, wie ich es noch bei keinem anderen gesehen hatte.
Seufzend wandte ich mich wieder dem Unterricht und den langweiligen Erklärungen von Herrn Herb zu.
»Hallo!«, flötete ich grinsend und lehnte mich auf Annas Tisch. Sie saß in der Bibliothek und ging den Stoff des Unterrichts noch einmal durch. Sie sah auf und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie mich erkannte.
»Vergiss es, Causlin! Du hast erneut nicht aufgepasst und willst nun meine Aufzeichnungen abschreiben? Darauf habe ich keine Lust mehr. Du kannst dir deine Gefallen dafür sonst wohin stecken«, fuhr sie mich an und klappte ihre Bücher zu, um die Unterlagen darin zu verstecken. Dann stand sie auf und verließ eilig die Bibliothek.
Seufzend ließ ich mich auf ihren nun freien Stuhl fallen. Einen Zettel hatte sie liegen gelassen und ich nahm ihn mir, um zu lesen, was darauf stand. Es war die Ankündigung eines Klosterbesuches der Wächter, die herumzogen und Rekruten suchten. Mein Herz begann sofort schneller zu schlagen, während meine Augen über das Papier flogen. Die Wächter waren ein selbstständiger Orden, der in den Städten für Recht und Ordnung sorgte. Ich hegte schon lange den Traum, zu den Wächtern zu gehören, denn nur dann durfte man seine magischen Fähigkeiten ausleben. Magier waren nicht gern in der Öffentlichkeit gesehen. Viele hielten uns für zu gefährlich, deswegen wurden wir in Klöster gesteckt, sobald unsere Begabung auffiel, und wuchsen dort isoliert auf. Die Wächter waren meine Möglichkeit, aus dem Kloster herauszukommen.
Ich steckte den Zettel ein und begab mich zu den Schlafsälen der Schülerinnen, um Lilly davon zu erzählen. Sie hatte genau wie ich immer davon geträumt, zu den Wächtern zu gehören.
Der Weg zu den Zimmern führte durch einen Gang, in dessen Wandnischen Steinstatuen standen. Abbilder unserer Götter. Es gab da Humra, den Gott des Liedes, Soleil, die Göttin der Jagd, und natürlich Eelea, die Mutter und Herrscherin. Sie hatte uns geboren und der Vater, Terebo, hatte uns ein Heim erschaffen. Ich mochte die vielen Geschichten über unsere zahlreichen Götter.
Lilly lief fast in mich hinein, als ich vor der Tür der Schlafsäle ankam. Sofort hielt ich ihr den Zettel vor die Nase. Das hier war unsere Gelegenheit. Unsere einzige Gelegenheit!
Es war ein milder Frühlingstag, an dem Lilly und ich den Auftrag erhielten, aus dem Kräutergarten einige Heil- und Gewürzpflanzen auszugraben, um sie dann zur Verarbeitung in die Küche und in das Zimmer des Heilers zu bringen.
Der Kräutergarten war in einem sonnigen Teil des Klosterhofes angelegt worden. Trotz des warmen Wetters standen einige der Christrosen in voller Blüte. Sie waren meine Lieblingsblumen. Mit ihren großen, weißen Blüten und den langen, schlanken Blättern wirkten sie zart und zerbrechlich, waren aber doch erstaunlich robust. Mit den ersten kalten Tagen fingen sie an zu wachsen und blühten den ganzen Winter hindurch.
Eine Weile genossen wir ihre Schönheit, bevor wir begannen, die Kräuter auszugraben. In die Arbeit vertieft, zuckte ich zusammen, als es an dem schweren Holztor klopfte, das gleichzeitig Freiheit und Gefangenschaft darstellte. Lediglich die Mauern trennten mich von der Selbstständigkeit. Aber allein konnte keiner von uns außerhalb des Klosters überleben. Das wurde uns zu deutlich immer wieder erzählt.
Besuche waren ungewöhnlich. Vorwiegend klopfte es, wenn ein neuer Schüler einzog. Die Kinder waren meist zwischen vier und sechs Jahre alt, wenn die Begabung das erste Mal auftrat. Sie wurden ihren Eltern entrissen und in das nächstgelegene Kloster gebracht. Dort erhielten sie ihre Ausbildung und lernten, mit ihren Fähigkeiten richtig umzugehen. Außerdem wurden sie im Lesen und Schreiben unterrichtet, was vielen einfachen Menschen nicht vergönnt war.
Ich grub gerade vorsichtig einen Huflattich aus und setzte ihn in einem unserer mitgebrachten Tontöpfe wieder ein, als es erneut mit kräftigen, lauten Schlägen klopfte.
Schwester Agathe schlurfte hörbar zum Tor. Sie gehörte zu den wenigen nicht magisch Begabten. Sie war Kräuterfrau und hatte einen Klumpfuß. Dadurch war sie als Mädchen ausgestoßen worden. Im Kloster hatte sie mit der Kräuterkunde eine Berufung und ein Zuhause gefunden.
Als Schwester Agathe gerade die Kette am Tor löste, polterte es wieder. Diesmal schien jemand nicht mit der Hand anzuklopfen, sondern mit einem Gegenstand aus Metall, um ein lauteres Geräusch zu erzeugen. Jetzt sahen wir doch neugierig auf.
»Jaja«, brummte Schwester Agathe und öffnete das Tor weit, um die ungeduldig davor Wartenden hereinzulassen.
Sobald sie zur Seite getreten war, ritten zwei Reiter auf den Hof. Ihnen folgten vier weitere Pferde, zwei davon mit Gepäck beladen. Die Reiter trugen Rüstungen, auf deren metallenen Brustplatten das Wappen der Wächter schimmerte: ein grauer Phönix auf blauem Grund.
Mein Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Hals und ich schluckte hastig. Ich deute Lilly an, sich zu beeilen, damit wir unsere Arbeit zügig beenden konnten. Ich wollte so schnell wie möglich mehr über die Wächter herausfinden.
Schwester Agathe kam zu uns zurück und überließ die Begrüßung dem herbeigeeilten obersten Magierrat Melrik. Hier im Kloster war er der erste Ansprechpartner. Er verwaltete alles und war für die Bewohner des Klosters zuständig.
Wir waren fertig mit dem Umtopfen der Kräuter und mussten diese nun auf die Klosterküche und das Zimmer des Heilers verteilen. Auf dem Weg durch den offenen Laubengang beobachtete ich die Wächter, die im Innenhof standen und sich mit dem Obersten unterhielten.
Sie sahen so gut aus, strahlend und edel in ihren wunderschönen Rüstungen. Einer der beiden hatte einen prächtigen Umhang um die Schultern gelegt und schien höhergestellt zu sein als der andere Mann, obwohl er von der Statur her kleiner und weniger kräftig wirkte. Ich verrenkte mir ein letztes Mal den Hals, bevor wir durch eine Tür ins Gebäude verschwanden.
Das alte Kloster hatte hohe Decken und war sehr verwinkelt. Als kleines Mädchen hatte ich mich oft verlaufen und von den Schwestern und Lehrern nicht selten großen Ärger deswegen bekommen.
Ich überbrachte unserem Heiler einen Korb mit Arnika, Huflattich und Sauerampfer. Letzteren überdeckte er mit einem Gefäß, denn diese Pflanze musste möglichst feucht gehalten werden. Den Rest stellte er auf die Fensterbank.
Das Heilerzimmer war in einem Turm untergebracht, mit Fenstern zu allen vier Himmelsrichtungen. Auf höheren Etagen und auf dem Dach konnten Pflanzen untergestellt werden, die sehr viel Sonne brauchten. Hier gab es fast alles, was momentan auch draußen wuchs. Viele Kräuter waren getrocknet, zu Pulver verarbeitet und in Gläser gefüllt. Ganze Regale standen voll damit. Ich staunte immer wieder über die bunte Vielfalt und wäre gern bei dem Heiler in die Lehre gegangen. Allerdings hatte ich ja einen anderen Plan, den ich unbedingt in die Tat umsetzen musste. Ich wollte zu den Wächtern. Jetzt gerade standen sie mit Magierrat Melrik draußen auf dem Hof und sicher empfahl er ihnen die besten Anwärter. Ich würde ganz bestimmt nicht darunter sein. Normalerweise war ich niemand, der groß auffiel, und wenn doch, dann eher negativ.
»Tristana, geh bitte in die Bibliothek und such mir diese Bücher heraus«, bat mich der Heiler, dessen Namen ich mir nie merken konnte. Irgendetwas mit »M«. Er reichte mir einen Zettel und schickte mich dann hinaus.
Seufzend begab ich mich zur Bibliothek. Die hohen, bis zur Decke reichenden Regale brachen fast unter der Last der Bücher zusammen. Selbst auf den Lesetischen hatten sich Berge von ihnen angesammelt.
Ich schlenderte durch die Reihen, kletterte die Leitern rauf und runter auf der Suche nach den Büchern, um die mich der Heiler gebeten hatte. Es gab zwar einen Bibliothekar, aber er war nicht nur sehr alt, sondern hatte auch eine eigenwillige Art, die Bücher einzusortieren. Nicht etwa alphabetisch, sondern mehr nach dem Motto »Altes zu Altem – Neues zu Neuem«, weswegen meine Suche einige Zeit in Anspruch nahm.
Bis auf das Buch »Giftige Todeskräuter« hatte ich sie schließlich alle eingesammelt. Darunter auch dicke Wälzer, die schwer zu schleppen waren. Endlich fiel mir im letzten Regal das fehlende Werk in die Hände. Es war so alt und vergilbt, dass einige Seiten herausfielen, als ich es abstaubte. Zögerlich und mit spitzen Fingern hob ich sie auf und legte sie in das Buch zurück. Mit den anderen Exemplaren auf dem Arm war das gar nicht so einfach. Ohne einen weiteren Unfall bugsierte ich meine gesammelten Werke schließlich zu unserem Heiler. Ich musste Lilly unbedingt nach seinem Namen fragen.
Da es bereits später Nachmittag war, hatten wir keinen Unterricht mehr und ich eilte schnellen Schrittes wieder nach draußen.
Im Klosterhof war es relativ still. Nur das typische Gackern der Hühner und das Rauschen der mächtigen Eichen im Wind waren zu hören. Heute würde ich aus dem Seufzen nicht mehr herauskommen. Die Wächter waren verschwunden, dabei wollte ich sie doch kennenlernen.
Meine Schritte führten mich um den Hof. Ich passierte das große Tor, die Hühnerställe und den Unterstand, in dem die sechs Pferde der Wächter angebunden waren. Ich hatte noch nie eines aus der Nähe gesehen, geschweige denn gestreichelt. Ob diese hier brav waren?
Lilly hatte mir kurz nach ihrer Ankunft im Kloster von dem bösen Pony auf dem Hof ihrer Eltern erzählt, das immer gebissen und getreten hatte. Sie war bereits acht Jahre alt gewesen, als man ihre Gabe bemerkt hatte, und so besaß sie viele Erinnerungen an ihre Eltern und das Leben mit ihnen.
Manchmal beneidete ich sie darum, denn ich hatte keine einzige Erinnerung an eine Kindheit außerhalb des Klosters. Wenn ich allerdings Geschichten von Maria und Liz hörte, deren Eltern nicht gerade nett zu ihnen gewesen waren, verbannte ich dieses Gefühl wieder. Wir sollten keinen Neid empfinden, denn schließlich hatten wir es hier sehr gut. Viel besser als viele andere Menschen im Königreich. Es gab hier weder Orks noch Trolle. Und die Nähe zur Hauptstadt Dreikronen ließ uns auch nicht vor den Elfen und Zwergen fürchten. Gab es bei den Wächtern solche Kreaturen? In Büchern hatte ich einiges über diese seltsamen Wesen gelesen, aber ich war mir nicht mal sicher, ob sie wirklich existierten.
Zwei der Pferde hatten die Köpfe in meine Richtung gedreht und sahen mich an. Konnte ich es wagen, näher heranzugehen und sie anzufassen? Ich schickte ein Stoßgebet an die Mutter Eelea und trat dann vorsichtig auf eines der Pferde zu. Es schnaubte, als meine Fingerspitzen über die weiche Haut an der Nase glitten.
»Hey, was machst du da?«, brüllte plötzlich hinter mir eine Stimme und ich sprang erschrocken einige Sätze rückwärts.
»Ich … ich hab nur … ich wollte nur …«, stammelte ich und merkte, wie mir vor Panik die Tränen in die Augen schossen. Der Mann, der jetzt auf mich zulief, sah gar nicht so böse aus, wie er geklungen hatte, und ich blinzelte schnell die Tränen weg. Die Wächter würden nie jemanden aufnehmen, der bei einem Schrecken gleich losheulte.
»Ich wollte nur die Pferde streicheln«, brachte ich schließlich einigermaßen normal heraus, als er bei mir ankam.
Er hatte kurze, braune Haare und war recht groß. Wobei im Gegensatz zu mir viele Menschen groß waren. Seine Nase war so ungewöhnlich, dass sie mir direkt auffiel: spitz und gerade wie ein Pfeil. Noch immer trug er den Brustpanzer mit dem Wappen der Wächter. Es war der größere der beiden Besucher. Er sah mich noch einen Moment durchdringend an, dann wurde sein Blick freundlicher und er gab mir nickend zu verstehen, ihm zu folgen. Er trat zwischen die Pferde und streichelte sie, dann forderte er mich auf, es ihm gleichzutun.
Ich spürte die Wärme, die von ihnen ausging. Wenn sie sich bewegten, spielten sichtbar Muskeln unter meinen Fingern. Ihr Fell war weich und beim Darüberstreichen hatte ich die ganze Hand voller Haare.
»Das Wetter ist wärmer geworden. Sie fangen an, ihr Winterfell gegen das Sommerfell zu wechseln«, sagte der Wächter. Er musste meinen fragenden Blick auf meine Hand und die Pferde bemerkt haben.
Ich nickte verstehend, denn das Geflügel machte so etwas Ähnliches, da nannte man es Mauser. Dass auch Tiere mit Fell ihre Haare wechselten, hatte ich bisher nicht gewusst.
Hier im Kloster hatten wir nur Hühner, Tauben und Enten. Und Ratten. Viele Ratten. Ab und zu sah man eine Katze, aber anfassen konnte man sie nie.
Wir standen eine Weile zwischen den Pferden und strichen ihnen über das Fell. An den Stellen, wo der Sattel gelegen hatte, konnte man noch einen feinen Rest Schweiß sehen und fühlen.
»Ich bin Troy Paver, die rechte Hand des Captains. Wir sind hier, um zwei Rekruten mitzunehmen«, durchbrach der Wächter irgendwann die Stille. Er sah mich nicht an, aber ich merkte, wie stolz er war, dass er dabei sein durfte, um die Rekruten auszuwählen.
»Ich heiße Tris. Ich habe letzten Winter meine Prüfungen bestanden.« Mehr traute ich mich nicht zu sagen. Das schreckhafte Mädchen wollte zu den Wächtern. Wie lachhaft.
Troy Paver wandte mir den Kopf zu und sah mich an. Aus der Nähe bemerkte ich, dass er für den Posten der rechten Hand sehr jung aussah. Musste man dafür nicht einige Jahre Erfahrung haben?
Als die Glocke sechs Uhr schlug, verabschiedete ich mich und ging zum Speisesaal.
Lilly hatte mir einen Platz neben sich freigehalten und wartete schon auf mich.
»Wo warst du?«, wollte sie flüsternd wissen.
Ich antwortete ihr ebenso leise. Die anderen mussten ja nicht unbedingt etwas davon mitbekommen. »Ich war draußen auf dem Hof und habe dort einen der Wächter getroffen. Er heißt Troy Paver, über mehr haben wir nicht gesprochen. Ich habe mich irgendwie nicht getraut, mein Anliegen vorzubringen«, gestand ich meiner besten Freundin und diese verzog traurig das Gesicht.
»Ich fände es sehr schade, wenn du fortgehen würdest, Tris. Das Leben hier wäre nicht das Gleiche ohne dich.«
Ihre Worte waren wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte erwartet, dass wir zusammen gehen würden.
»Willst du denn gar nicht mehr zu den Wächtern?«, fragte ich leicht irritiert und Lilly seufzte.
»Treffen wir uns nachher in der Bibliothek?«, wollte sie flüsternd wissen und ich nickte. Es würde also ein längeres Gespräch werden.
Wir aßen schweigend auf und ich ging in mein Zimmer, um bis zu unserem Treffen noch etwas zu lesen.
Da ich nun eine Magierin war und keine Schülerin mehr, hatte man mir ein Doppelzimmer zugeteilt. Lilly schlief noch im Schlafsaal der Schülerinnen. Der Vorteil eines fast eigenen Zimmers war, dass ich einen kleinen Bereich mein Eigen nennen durfte, den ich nach meinem Geschmack einrichten konnte.
Wir hatten nichts, was uns an unser Elternhaus erinnerte, denn die Wachen ließen nicht zu, dass die Kinder, die sie ins Kloster holten, etwas anderes als die Kleidung mitnahmen, die sie am Leib trugen.
Seit dem letzten Winter durfte ich allerdings auf dem Markt einkaufen. Es war uns sogar gestattet, einige private, eigene Gegenstände zu erwerben. Ich hatte mir einmal ein kleines Schmuckkästchen gekauft. Es sah nicht sehr edel aus, war aus Holz und mit einfachen Muscheln beklebt. Aber es war meins. Außerdem durfte ich außerhalb der Schulzeiten eigene Roben tragen. Das Geld bekam ich durch Verkäufe von Obst oder Kräutern, die ich nun auf dem Markt für das Kloster anbot. Freundliche Kunden gaben mir gelegentlich mehr Geld für meine Waren, als erforderlich war. Dieses durfte ich dann behalten.
In meinem Zimmer angekommen, nahm ich mir das Buch »Der Deichgraf« aus dem Regal, das ich mir vor einigen Tagen ausgeliehen hatte, und schlug die zuletzt gelesene Seite auf. Es war ein ziemlich dicker Wälzer. Sehr interessant, aber schwierig zu lesen, weil in dem Text viele alte, unbekannte Wörter vorkamen, deren Übersetzungen hinten im Buch zu finden waren. Ich verbrachte also mehr Zeit mit dem Blättern als dem Lesen.
Nachdem ich für eine Weile in meinen Roman vertieft gewesen war, wurde die Tür abrupt aufgerissen und meine Zimmergenossin Vicky stürmte herein. Sie regte sich furchtbar über einen Jungen auf, aber ich konnte ihren dramatischen Auftritt nicht nachvollziehen. Warum ließ sie sich überhaupt mit ihnen ein? Wir durften weder heiraten noch Kinder bekommen, da die Verbreitung der Magie genauso wenig erlaubt war wie die Ausübung der Fähigkeiten in der Öffentlichkeit. Nicht, dass ich das alles in irgendeiner Weise gewollt hätte. Ich hatte reichlich Geschichten gelesen, in denen Frauen bei der Geburt starben. Darauf hatte ich keine Lust.
Als die Turmuhr elf Mal schlug und Vicky schon längst schlief, schlich ich mich aus dem Zimmer zur Bibliothek.
Unsere geheimen Treffen hielten Lilly und ich schon seit einigen Jahren ab. Man fand in diesem Kloster einfach keine Ecke, in der man ungestört reden konnte. Überall waren Lehrer oder Angestellte, die uns überwachten. Seit vor über zehn Jahren ein Magier der schwarzen Magie verfallen und zu einem Untoten geworden war, waren sie alle noch wachsamer.
Meine weichen Schuhe, die wir drinnen tragen mussten, machten fast keine Geräusche auf den steinernen Fußböden, deren düstere Eintönigkeit durch Mosaiken aus buntem Marmor aufgelockert wurde. Die Tür zur Bibliothek knarrte leise, als ich sie einen Spalt aufdrückte. Wir trafen uns wie immer an der hinteren Rückwand. Von hier hatten wir die Tür durch das Mondlicht der großen Fenster gut im Blick, aber man sah uns auch nicht gleich. Durch die Regalreihen konnten wir dann unbemerkt rausschleichen, wenn jemandem auffallen sollte, dass die Bibliothek nicht so einsam dalag wie erwartet.
In all den Jahren war das aber noch nie vorgefallen.
An zwei Seitenwänden brannten vereinzelt Fackeln. Irgendwer hatte wohl vergessen, sie zu löschen, und das konnte in einer Bibliothek gefährlich werden. Ich nahm mir vor, sie auszumachen, wenn wir später gingen.
»Da bist du ja«, begrüßte mich Lilly, als ich bei ihr ankam. Sie sah nervös aus und knabberte an ihrem Daumennagel.
»Was ist denn los?«, wollte ich wissen und spielte damit auf unser Gespräch beim Abendessen an.
Meine Freundin fuhr sich durch ihre schulterlangen roten Haare und seufzte dann. »Ich kann das nicht. Ich wollte das eigentlich nie«, sagte sie und ich sah sie fragend an.
Was wollte sie nie?
»Ich wollte nie zu den Wächtern. Es war ein schöner Traum, aber ich würde doch nicht wirklich gehen. Mein Platz ist hier im Kloster. Ich …«
»Du hast dich doch nicht etwa verliebt?«, fragte ich spitz.
»Was? Nein! Ich hatte nur nie das Verlangen zu gehen. Ja, wir haben davon geträumt, aber das waren eben nur Träume, Tris! Jetzt, wo es wirklich ernst wird, will ich nicht weg!«
Ich sah sie eine Weile stumm an. Hatte sie mich die ganze Zeit angelogen oder hatte sie nur plötzlich der Mut verlassen, jetzt, wo unsere Träume endlich Wirklichkeit werden könnten?
Hinter uns klapperte etwas und dann waren Schritte zu hören. Bevor wir reagieren konnten, trat jemand aus einer der beleuchteten Ecken auf uns zu. Wie hatten wir nicht merken können, dass wir nicht allein waren?
»Ihr wollt also zu den Wächtern?«, fragte die Gestalt und kam näher.
Es war Troy.
Lilly taumelte vor Schreck einen Schritt zurück, schüttelte heftig den Kopf und deutete mit dem Arm auf mich.
Mist! So hatte ich meine Bewerbung bei den Wächtern nicht geplant. Eigentlich hatte ich sie morgen von meinen Leistungen überzeugen wollen. Es war uns beim Abendessen zu Ohren gekommen, dass es morgen eine Vorführung unseres Könnens geben soll.
Betreten schaute ich an Troy vorbei und schluckte, unsicher, was ich sagen sollte.
»Sich an fremde Pferde heranzuschleichen und erwischt zu werden, ist aber keine gute Voraussetzung, um bei uns aufgenommen zu werden.«
Ich musste wirklich sehr erschrocken ausgesehen haben, denn Troy warf den Kopf in den Nacken und lachte.
»Pscht!«, zischten Lilly und ich gleichzeitig.
Würden unsere heimlichen Treffen nun auffliegen, konnte ich mir alle Hoffnungen die Wächter betreffend sparen und Lilly würde hier auch nicht mehr froh werden.
Dennoch erleichtert darüber, dass Troy lachte, nickte ich und sagte: »Ja, ich möchte gern bei den Wächtern aufgenommen werden.«
»Warum?«, fragte er nach.
Irritiert verzog ich mein Gesicht und begann über seine Frage nachzudenken. Dabei legte ich eine Hand an mein Kinn und lehnte mich an die Wand.
»Ich bin eine Magierin und muss deshalb in diesem Kloster leben. Die weiteste Entfernung, die ich zurücklegen darf, ist der Weg zum Markt. Es ist mir nicht gestattet, mit anderen Menschen zu reden, es sei denn, sie sind Klosterbewohner oder es handelt sich um Verkaufsgespräche. Ständig schleichen die Schwestern um uns herum und bewachen uns auf Schritt und Tritt. Kein Gespräch kann man führen, ohne dass man überwacht wird. Es mag sein, dass viele hier damit zufrieden sind, weil sie selbst Angst vor ihrer Gabe haben. Aber ich will hier raus. Ich möchte mein Leben leben und meine Gabe nutzen können, nicht nur theoretisch lernen, damit umzugehen und sie gegen Strohpuppen einzusetzen. Ich will auch mal eine Entscheidung allein treffen. Vielleicht ist die im Nachhinein falsch, aber es sind Erfahrungen fürs Leben.«
Troy musterte mich neugierig, während ich redete, nickte beifällig und meinte: »Das hört sich doch schon mal nicht schlecht an. Zeig uns morgen, dass du auch mit der Magie umgehen kannst, und dann sprechen wir noch mal darüber. Frauen sind bei den Wächtern nicht üblich, aber es hat schon einige sehr gute weibliche Wächter gegeben.« Er wandte sich zum Gehen. »Ich habe euch hier natürlich nicht gesehen«, fügte er noch hinzu und zwinkerte verschwörerisch.
Am nächsten Tag lehnte ich wartend am Zaun des Übungsplatzes. Die ersten Vorführkämpfe hatten gerade begonnen und erinnerten mich stark an meine Prüfung im Winter.
Mir hatte man nach der Prüfung gesagt, ich würde zu aggressiv mit meiner Magie umgehen und sollte mehr auf meine Kontrolle achten. Ich war mir sicher, dass bei den Wächtern direktes und effektives Handeln gefragter war als eine schöne Show.
Sophie ließ gerade eine Flamme gefrieren, als Theo ihr mit einem Schlag das Mana entzog. Sie presste angestrengt die Lippen aufeinander, denn Manaentzug war nicht angenehm und tat weh. Der Eiszauber konnte dadurch nicht beendet werden und das kleine Lagerfeuer brannte munter weiter.
Ich schmunzelte und zuckte vielsagend mit den Augenbrauen in Lillys Richtung. Das wäre sicher nicht meine Strategie gewesen. Lilly und ich hatten uns gestern abgesprochen und wir beteten zu allen fünfundvierzig Göttern, dass man uns gegeneinander kämpfen lassen würde.
Mein Blick glitt über die anderen anwesenden Magier und es war wirklich der eine oder andere sehr talentierte dabei. Die beiden Wächter hatten ebenfalls ihren Platz am Zaun bezogen und sorgten damit nicht gerade dafür, dass ich mich selbstsicherer fühlte. Der Captain war ein ganzes Stück kleiner als Troy, stand leicht gebückt, als wäre seine Rüstung schwerer, als gut für ihn war. Durch sein schütteres Haar wirkte er alt und doch strahlte er eine Autorität aus, die ich sogar hier, auf der anderen Seite des Platzes, wahrnehmen konnte. Er beobachtete jeden einzelnen von uns ganz genau. Nicht nur während des Kampfes, sondern auch davor und danach. Wie viele Anwärter würden sie mitnehmen? Wahrscheinlich gab es genug »normale« Menschen, die sich bei den Wächtern verpflichteten. Brauchten sie dann unbedingt noch Magier? Die vielen Fragen, die mir durch den Kopf schossen, machten mich fast verrückt. Ich sollte sie nachher Troy stellen, auch wenn ich nicht zu den Ausgewählten gehörte.
Der Gedanke, hierbleiben zu müssen, machte mir Angst. Meine einzige Gelegenheit, den Klostermauern zu entkommen, war zum Greifen nah. Wenn ich sie jetzt nicht nutzte …
»Tristana Causlin und Josh Deghard!«
Durch den Aufruf wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und sah erschrocken zu Lilly. Wir hatten uns doch eine Strategie überlegt! Ich überflog mit einem Blick die Menschen rundherum und bemerkte den jungen Mann, der gerade über den Zaun kletterte. Ich kannte ihn nur vom Sehen. Wahrscheinlich wäre mir sein Name nicht einmal eingefallen, wenn ich ihm auf den Fluren begegnet wäre. Dunkles Haar, eine schlichte blaue Robe, die ihn als vollwertigen Magier auswies, was bedeutete, dass er seine Prüfungen ebenfalls hinter sich hatte. Ich schätzte ihn spontan auf ein wenig älter als mich, da ich ihn nicht aus dem Unterricht kannte.
Als ich Josh auf den Übungsplatz gehen sah, wurde mir klar, dass wir das System nicht bedacht hatten. Es traten immer ein aktiver und ein passiver Magier gegeneinander an und Lilly war wie ich eine aktive Magierin.
Ich seufzte laut und begab mich zum Übungsplatz. Während ich mich gegenüber von Josh aufstellte, der sich siegessicher durch die schwarzen Haare fuhr, erblickte ich Lilly, die mir ihre gedrückten Daumen zeigte. Es war schön, dass sie an mich glaubte. Von einer anderen Seite des Rings warf mir Troy ein aufmunterndes Nicken zu.
Jetzt galt es, mich zu beweisen. Ohne vorher eine Ahnung zu haben, wo mich Josh packen wollte, beschwor ich einen Schutzzauber. Mein Gegner sah mich an und reagierte nicht. Die leicht blaue Aura um mich herum verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde, aber Josh griff nicht an. Er versuchte weder, mir mein Mana zu entziehen, noch, mich zu kontrollieren. Ich brach meinen Schutzzauber ab und schüttelte fragend den Kopf.
Was soll das? Will er mich veralbern?
Ich versuchte meine Magie loszuschicken, um nach Josh zu fühlen, aber das war bei passiven Magiern eine echte Herausforderung. Außerdem waren hier einfach viel zu viele Magier um mich herum. Ich spürte viele magische Fähigkeiten, aber nicht die gewünschte.
Welche Zauber wirkten gegen einen passiven Magier?
Eilig durchkramte ich meinen Fundus und beschwor schließlich eine Öllache um Josh herum. Dann zündete ich diese an.
Zwar wirkte das Feuer nicht gegen ihn, aber vielleicht machte es ihn nervös.
Josh stand weiterhin ganz lässig da und wirkte überhaupt nicht verunsichert. Sogleich setzte ich noch einen Schneesturm nach, um zu zeigen, was ich konnte.
Meine Magie stand mir bereitwillig zur Seite und ich musste sie nicht lange bitten, zu tun, was ich wollte. Sie erahnte meine Gedanken im Voraus und reagierte mit mir zusammen. Die Magie war wie ein scheues Reh. Man musste sich ihr langsam nähern und herausfinden, wie man sie für sich gewinnen konnte.
Allmählich wurde ich ungeduldig, da ich nicht viel tun konnte, um Josh zu schaden. Irgendwie musste ich ihn verunsichern, aber er wusste, dass ihm ein aktiver Magier nicht direkt etwas anhaben konnte. Eine echte entzündete Öllache hätte den jungen Mann schon längst in Flammen aufgehen lassen.
»Fängst du heute auch noch mal an?«, rief ich ihm erbost zu. Er richtete sich auf und ich spannte mich an. Ging es jetzt los?
Bevor ich meinen Schutzzauber richtig greifen konnte, spürte ich ein Reißen ganz tief in mir. Ich spürte auch, wie meine Magie etwas zu sagen versuchte. Sie schrie um Hilfe. Keuchend bemühte ich mich, den Schutzzauber endlich richtig aufzurichten. Verzweifelt griff ich nach einer Handvoll Erde und warf sie in Joshs Richtung. Anscheinend hatte ich getroffen, denn die Intensität, mit der er versuchte, mir mein Mana zu entziehen, verringerte sich und ich konnte meinen Schutzzauber voll errichten. Tatsächlich hatte ich nur kurz Zeit, um durchzuatmen, ehe Josh mich erneut angriff.
Während ich um meinen Schutzwall kämpfte, beschwor ich Steine herauf, die ich nach Josh warf. Dadurch war er abgelenkt und hatte mich nicht mehr die ganze Zeit im Blick. So konnte ich mich bücken, um echte Steine unter die Illusionen zu mischen.
Bevor ich aber wirklich werfen konnte, trat der Magierrat Melrik in den Ring und beendete mit einer Handbewegung den Kampf.
»Dies hier ist nur eine Zurschaustellung. Keiner soll hier verletzt werden«, sagte er ruhig, aber unglaublich bestimmt.
Ich stützte mich auf den Knien ab und schnappte nach Luft. Meine Kondition war definitiv nicht die beste, allerdings war ich furchtbar stolz, wenigstens etwas Richtiges gezeigt und nicht nur eine Show abgeliefert zu haben.
»Ich möchte keine weiteren Kämpfe sehen«, sagte in diesem Moment der Captain.
Meinem Gesicht musste sämtliche Farbe entglitten sein und ich sah, wie Lilly erschrocken zu dem Wächter blickte.
»Das Einzige, was ich hier heute gesehen habe, war eine Show. Sorgsam einstudierte Choreographien. Das ist nichts, was ein Wächter gebrauchen kann. Ein Wächter muss schnell sein und seine Strategie ändern können. Wenn die Magie also keinen Erfolg hat, nutzt man etwas anderes. Steine zum Beispiel.« Er sah jetzt direkt mich an und nickte.
Seine Aussage war eine bodenlose Frechheit dem Magierrat gegenüber.
»Ich nehme Tristana Causlin und Josh Deghard mit. Packt eure Sachen, wir reisen zum zwölften Glockenschlag ab.«
Lilly jubelte, sprang über den Zaun und schlang ihre Arme um mich. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander: Ich durfte gehen. Ich durfte gehen! Oh, bei Eelea, ich durfte gehen! Auch wenn das bedeutete, meine Freundin und die Sicherheit des Klosters hinter mir zu lassen.
Lilly begleitete mich zu meinem Zimmer und redete dabei ununterbrochen auf mich ein. Wie sehr sie mich vermissen würde, wie sehr sie sich wünschte, dass ich regelmäßig schrieb, und dass ich auf mich aufpassen solle.