Elfriede Wolff oder wie ich in Clärchen's Ballhaus kam ... - Uwe Reinhardt - E-Book

Elfriede Wolff oder wie ich in Clärchen's Ballhaus kam ... E-Book

Uwe Reinhardt

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Beschreibung

Lassen Sie sich von einem kleinen Mädel aus Eger, das dem Kriegswahnsinn entronnen ist und dem Tod mehrmals entkam, in den Bann ziehen. Lernen Sie eine bemerkenswerte Frau kennen, die ohne eine richtige Kindheit gehabt zu haben aufwuchs und die schon in jungen Jahren "ihren Mann" stehen musste. Eine Frau, die sich mit eigener Kraft von ganz unten nach oben gearbeitet hat und die selbst in ihrem hart erkämpften, späteren Wohlstand immer ein Mensch voller Liebe, Güte und Warmherzigkeit blieb. Erfahren Sie von den glücklichen Umständen eines Geständnisses und auf welche Weise Elfriede Wolff zu "Clärchen", in das über die Grenzen hinaus bekannte Berliner Ballhaus kam. Werden Sie außerdem Zeuge von wahren Begebenheiten aus drei Generationen Ballhaus-Geschichte.

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Inhalt:

Vorwort

Kapitel:

Meine Kindheit und die Flucht nach Berlin

Kapitel:

Mein mühsamer Anfang in Berlin

Kapitel:

Clärchen`s Ballhaus – Wie es begann

Kapitel:

Das Ballhaus zu meiner Zeit

Kapitel:

Ein schwarzes Kapitel:

Nachwort

Vorwort

Seit den letzten fünf Jahren arbeitete ich ehrenamtlich mit einem befreundeten Chronisten aus meiner Heimat Gröningen (bei Halberstadt) zusammen an drei Heimatbüchern. Es handelt sich hierbei um das Buch „Kriegsende im nördlichen Harzvorland“ und „Heimat Kloster Gröningen“ Teil 1 und 2.

Bei diesen Büchern, in denen auch Zeitzeugen des zweiten Weltkrieges zu Wort kamen und kurze Anekdoten aus ihrem Leben erzählten, kam mir der Gedanke, meine liebe Nachbarin, mit deren Mann ich bis zu seinem Tode befreundet war, zu fragen, ob ich nicht ihre Lebensgeschichte veröffentlichen könnte.

Sie gab mir dafür grünes Licht...

Als ich mit „Elfi“ mehrere Tage zusammen saß, um mir ihren Lebenslauf erzählen zu lassen und diesen aufzuschreiben, war ich fasziniert und betroffen zu gleich. Zwar haben wir öfter schon Zeit miteinander verbracht, als ihr Mann „Wandi“ noch lebte, wobei alle beide häufig Episoden aus ihrem Leben erzählten, die mich schon immer beeindruckt haben, aber diese Gespräche waren anders.

Am liebsten hätte ich ganz einfach nur zu gehört, nur musste ich mir ja gleichzeitig Notizen machen, und mich konzentrieren, damit ich den Faden nicht verliere.

Wer kann denn eigentlich heutzutage noch zu hören? Vor allem, wenn es um Gespräche mit älteren Leuten geht. Dabei könnten sie uns doch so viel erzählen und wären froh, dass sich jemand die Zeit für sie nimmt.

Eines Tages sind wir alt und hätten vielleicht ebenfalls so einiges aus unserem Leben zu berichten. Wer hört uns dann zu? Wird es jemanden geben, den unser Werdegang interessiert und begeistert? Ist der es dann auch Wert, niedergeschrieben und gelesen zu werden?

Was haben wir aus unserem Leben gemacht? War es ebenso sehr von Entbehrungen, Schicksalsschlägen und harter Arbeit geprägt?

Gott sei Dank haben wir keinen Krieg mehr miterleben müssen! Deshalb kann ich nur sagen: „Hut ab vor der Generation, die unsere Eltern oder Großeltern sind bzw. waren und vielen Dank euch für all das, was ihr uns ermöglicht habt, damit wir ein unbeschwerteres Leben führen können!“

Der und die eine oder andere von Ihnen werden wohl auf ein ähnliches, tragisches Leben zurück blicken können, hat möglicherweise sogar noch etwas Schlimmeres erlebt und ist vielleicht demzufolge bis heute traumatisiert.

Es gäbe halt noch so viele Geschichten von Einzelschicksalen zu erzählen, deshalb sollten wir den älteren Verwandten oder Bekannten zuhören, solange sie noch darüber berichten können!

Eventuell lese ich ja irgendwann einmal eine fesselnde Geschichte von Ihrem Nachbarn oder von jemandem aus Ihrer Verwandtschaft, die Sie nieder geschrieben haben? Wer weiß?

Lassen Sie sich aber nun ebenfalls von dem kleinen Mädel aus Eger, das dem Kriegswahnsinn entronnen ist und dem Tod mehrmals entkam, in den Bann ziehen.

Lernen Sie eine bemerkenswerte Frau kennen, die ohne eine richtige Kindheit gehabt zu haben aufwuchs und die schon in jungen Jahren „ihren Mann“ stehen musste.

Eine Frau, die sich mit eigener Kraft von ganz unten nach oben gearbeitet hat und die selbst in ihrem hart erkämpften, späteren Wohlstand immer ein Mensch voller Liebe, Güte und Warmherzigkeit blieb.

Erfahren Sie von den glücklichen Umständen eines Geständnisses und auf welche Weise Elfriede Wolff zu „Clärchen“, in das über die Grenzen hinaus bekannte Berliner Ballhaus kam.

Werden Sie außerdem Zeuge von wahren Begebenheiten aus drei Generationen Ballhaus-Geschichte.

In der Hoffnung, dass ich auch Sie mit der beeindruckenden Lebensgeschichte der Elfriede Wolff, alias „Clärchen“ oder einfach nur „Elfi“, begeistern kann,

wünsche ich Ihnen

nun viel Spaß und gute Unterhaltung.

Uwe Reinhardt

Ansichtskarten meiner Mutter aus Eger

1. Kapitel

Meine Kindheit und die Flucht nach Berlin

Man schrieb das Jahr 1931, als ich in Eger das Licht der Welt erblickte.

Diese wunderschöne Stadt heißt heute Cheb und liegt in Tschechien.

Meine Kindheitserinnerungen entsprechen nicht gerade denen einer glücklichen Kindheit. Darum ist es schon verwunderlich, dass die Frau, die sich meine Mutter nannte, Zeit für mein Ankommen auf dieser Welt nahm... Noch verblüffender für mich ist jedoch, dass sie sich überhaupt ein Kind anschaffte.

Aber höchst wahrscheinlich war ich ja nur das unerwünschte Produkt eines leidenschaftlichen „Verkehrsunfalls“.

Leider habe ich nie Mutterliebe und mütterliche Geborgenheit kennen gelernt. Statt dessen wurde ich wie ein Modepüppchen mit Hut, Mantel, Rüschenkleidern und später sogar noch mit weißen Hand- und Lackschuhen ausstaffiert, in der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Eltern meiner Mutter wohnten auf einem Schloss, denn ihr Vater arbeitete in der schlosseigenen Brauerei als Braumeister. Dort wuchs meine Mutter mit den Töchtern der Herrschaften auf.

Meine Mutter

Deswegen ist wohl sehr viel auf sie abgefärbt, wodurch sich ihr emsiges Streben nach Höherem erklären lässt.

Die Ehe mit meinem Stiefvater, einem Ingenieur des örtlichen Sägewerkes, war wohl nicht gerade das, was sie sich für ihr Leben erhoffte. Sie hatten einen gemeinsamen Sohn, der drei Jahre älter war als ich. Wir verstanden uns sehr gut, denn es erging ihm fast wie mir. Mein Stiefvater, dem sie mich als „Kuckucksei“ unterjubelte, war ein lieber und verständnisvoller Vater, der sich viel Zeit für mich und meinen Bruder nahm. So wie er waren auch seine Eltern herzensgute Menschen, bei denen ich mich sehr wohl und geborgen fühlte. Seinen Vater, von Beruf Museumsdirektor, besuchte ich häufig im Büro, in dem er mich immer malen ließ. Mutter jedoch suchte ständig nur Kontakte zu den oberen Schichten der Gesellschaft. Ob bei Ausflügen zu Konzerten in dem weit bekannten Franzensbad (heute Františkovy Lázně in Tschechien) oder zu einer Priesterweihe, sie hatte mich stets als adrettes Vorzeigepüppchen im Schlepptau und liebäugelte mit den wohlhabenden Männern.

Da die Ehe unserer Eltern unter keinem guten Stern stand, was selbst wir Kinder oft genug bemerken mussten, kam es dann zur Scheidung. Vater verzog mit meinem Bruder, der meiner Mutter ebenfalls nur ein Klotz am Bein war, nach Regensburg. Meine Frau Mama hingegen hatte indes schon einen Fabrikanten an der Angel, zu dem wir beide nach Komotau (heute Chomutov in Tschechien) zogen...

Bei diesem Wäschefabrikanten, der dort mit seinen zwei Töchtern lebte und der mir gegenüber keinerlei Wärme aufkommen ließ, wohnten wir „standesgemäß“ in einer großen Villa am See. Seine beiden Töchter waren schon über zwanzig, eine davon verheiratet und von „Beruf einfach nur Töchter“... Sie amüsierten sich beim Fechten, Reiten und auf Empfängen. Also genau die richtige Welt für meine Mutter! Ich fühlte mich dort am wohlsten bei den Arbeitern in der Fabrik. Sie gaben mir öfter mal Stoffreste, aus denen ich mir, wie es kleine Mädchen eben so versuchen, Puppensachen zusammen nähte.

Meine Mutter war aber nicht von Grund auf schlecht. Sie hatte ebenso ihre guten Seiten. Kochen konnte sie einfach fabelhaft, was sie dort in der Villa unter Beweis stellte. Sie kochte sehr oft selbst. Auch dann, wenn viele Gäste geladen waren. Hier brauchte sie allerdings nur alles abschmecken und würzen, denn es gab ja schließlich das nötige Personal für die „niederen Arbeiten“. Sie war übrigens ein Organisationstalent. So stellte sie neue Kontakte für den Großhandelsverkauf, der im Werk hergestellten Wäsche, her und verkaufte diese in großen Mengen an Einzelhändler. Uns ging es also wirtschaftlich nie schlecht und gut versorgt wurde ich schon immer.

Später ließ mich meine Mutter aber immer mehr spüren, dass ich für sie nur lästig und unerwünscht war. So verschickte sie mich anfangs für längere Zeit zu ihrer Mutter nach Asch (heute Aš in Tschechien) und dann, ich war gerade erst zehn Jahre alt, für immer zu ihrer kinderlosen Tante, deren Mann in den Krieg ziehen musste, nach Pommern. Dort lebte ich in einer Kleinstadt namens Bernstein (heute Pelczyce in Polen).

In diesem malerischen Ort, eingerahmt von drei großen Seen mit rund 2500 Einwohnern, besaß meine Großtante ein Hotel. Es war ein schönes, vornehmes Haus mit 15 Zimmern und zwei Sälen, wovon einer, in dem desgleichen ein großer Flügel stand, nur für Musik- und Tanzveranstaltungen genutzt wurde. Meine Mutter besuchte mich dort ab und an einmal, beschenkte mich dann reichlich mit Schokolade, nebst den modernsten Kleidern der Prager Mode und versorgte ihre Tante mit Wein und anderen Dingen, die es zu der Zeit schlecht gab.

Ich versuchte beharrlich zu ergründen, wie eine Mutter es bloß fertig bringen konnte, einfach ihr eigen Fleisch und Blut wegzugeben. Vielleicht lag es daran, dass sie schon als junge Frau sehr Lungenkrank war. Sie musste regelmäßig zur Kur nach Karlsbad (auf tschechisch Karlovy Vary) oder in andere Kliniken und Kureinrichtungen. Diese Unterbringungen waren teuer und das konnten sich nur wohlhabende Leute leisten. Wer weiß, was in ihr vorging. Die Angst, nur kurze Zeit zu leben und etwas in diesem kurzen Leben verpassen zu können, spielte dabei bestimmt eine gravierende Rolle.

Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis ich feststellte, dass ich nur vom Regen in die Traufe kam. Meine Großtante hatte keinerlei Erfahrung, was Kindererziehung betraf und brauchte anscheinend nur eine billige Arbeitskraft, denn die war „Mangelware“. Außer ihr waren nur ein Laufbursche und zwei Pflichtjahrmädchen im ganzen Hotel beschäftigt, da alle Männer und somit der Rest des Personals, im Krieg waren. Der Laufbursche, ca. 18 Jahre alt, kümmerte sich um das Viehzeug, wovon es reichlich hinter dem Hotel im Nebengelass gab. Er versorgte über 100 Kaninchen und zig Hühner, schleppte die Koffer der Gäste, übernahm die immer wieder einmal anfallenden Reparaturarbeiten und sprang hier und da, wo er gerade gebraucht wurde, ein.

Ansichtskarte meiner Großtante an meine Mutter

Die beiden Pflichtjahrmädchen (beide 16 Jahre alt) waren für die Gästezimmer und die Küchenarbeiten zuständig. Gekocht hat meine Großtante.

Somit fielen das Eindecken der Tische, das Putzen der Gasträume und der Abwasch in meinen Aufgabenbereich. Einmal wöchentlich bekam ich außerdem die Order, sämtliches Silberbesteck und sonstiges Silbergeschirr zu putzen. Der Eisverkauf, den ich im Sommer übernehmen musste, war gegen alles Andere eine blanke Erholung. Zusätzlich war dann noch von Frühjahr bis Herbst die schwere Feld- und Erntearbeit zu bewältigen, wo jede Hand gebraucht wurde. Also was arbeiten heißt, lernte ich schon sehr zeitig. Wie gern hätte ich damals aber mal ein schönes Buch gelesen! Bücher haben mich schon immer fasziniert, nur fand ich nie die Zeit dafür und abends fiel ich ganz einfach, erschöpft von der vielen Arbeit, nur noch müde ins Bett... So kam es in einem Herbstmonat, bei der Kartoffelernte, dass mich meine Großtante auf dem Feld nicht entbehren konnte und mich deswegen nicht zur Schule ließ. Zu allem Überfluss dankte mir mein „liebenswerter“ Herr Schuldirektor, ein richtiger SA-Mann, mein Nichterscheinen am nächsten Tag mit Peitschenhieben. Ich dachte mir nur: „Die guten Männer mussten in den Krieg...“.

Zum Glück gab es im Ort noch den lieben Doktor Röder, der wie ebenso der Lebensmittelhändler, zu den guten Freunden des Hauses zählte. Ich nannte ihn nur Onkel Karl. Er hatte vier Töchter. Die Älteste, Rita, half ihm in seiner Praxis, die zweitälteste, Eva, war verheiratet und lebte nicht mehr im Haushalt. Die anderen beiden, Renate und Erika, waren etwa in meinem Alter. Bevor für uns in der pommerschen Idylle der Krieg ausbrach, hatten sie eine französische Erzieherin, die ihnen die nötigen Etikette beibrachte. Sie waren alle wohl erzogen und hatten ein richtig gutes Familienleben. Denn trotz der förmlichen Erziehung, die Onkel Karl und seine Frau ihren Kindern angedeihen ließen, ging es doch recht locker und lustig bei ihnen zu.

Mit Renate, kurz „Nadi“, verstand ich mich am besten. Wenn es meine wenige Freizeit zu ließ, verbrachten wir diese meistens zusammen. Onkel Karl war sehr kinderlieb und schloss mich sofort in sein Herz. Vormittags arbeitete er im Krankenhaus und Nachmittags machte er in allen umliegenden Dörfern Hausbesuche. Ich weiß nicht, wie er es ab und zu hinbekam, meine Großtante zu überreden, dass ich ihn mit Nadi und Erika in seinem Auto zu den Hausbesuchen begleiten durfte, aber er schaffte es zu meinem Glück immer wieder einmal. Es machte ihn traurig, mit ansehen zu müssen, wie mir meine Kindheit geraubt wurde. Am liebsten hätte er mich adoptiert.

Aber so wie mir, ging es außerdem den anderen Kindern, deren Eltern sich nur mit ihren kleinen Bauernhöfen, von denen es im Umfeld zur Genüge gab, über Wasser halten mussten. Genau wie mir, wurde ihnen die Kindheit schon sehr früh genommen und sie mussten bei Zeiten hart arbeiten. Im Gegensatz zu ihnen hatte ich aber immer genug zu Essen und ein schönes Heim.