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In diesem berühmten Reiseroman veröffentlichte Elizabeth von Arnim ihre hinreißenden Erlebnisse und bezaubernden Naturbeobachtungen auf der Insel Rügen. Mit ihrem unvergleichlichen Erzähltalent entwirft sie ein prächtiges Bild der »Perle der Ostsee« und lädt zu einer kurzweiligen Wanderung über die Insel ein. Stationen der Reise sind: Von Stralsund geht es über Miltzow und Lauterbach nach Göhren und Thiessow, von dort über Sellin nach Binz. Wir erkunden die Wälder um Granitz, das Jagdschloß und den Schwarzen See. Dann geht es weiter über Binz nach Stubbenkammer, Glowe und Wiek. Ein Abstecher nach Hiddensee beschließt die elftägige Wanderung.
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Seitenzahl: 381
Veröffentlichungsjahr: 2012
Wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erzählen …
Auf einer Kutschenwanderung über Rügen schwelgt Elizabeth – endlich mal ohne ihren grimmigen Ehemann! – nicht nur in den Schönheiten der Landschaft und Natur, sie erlebt auch allerlei kuriose Abenteuer: Beim Baden fällt sie buchstäblich auf ihre Cousine Charlotte, die sie fortan nicht mehr loswird. Doch nicht nur das: Auch eine schrullige Engländerin mit ihrem verwöhnten Sohn und Charlottes Mann, der seine aufmüpfige Gattin wieder einfangen möchte, sind ihr auf den Fersen …
In ihrem berühmten Reiseroman erzählt Elizabeth von Arnim von ihren hinreißenden Erlebnissen und bezaubernden Naturbeobachtungen auf der Insel Rügen. Sie entwirft ein prächtiges Bild der »Perle der Ostsee« und lädt zu kurzweiligen Wanderungen über die Insel ein. Von Stralsund geht es über Miltzow und Lauterbach nach Göhren und Thiessow, von dort über Sellin nach Binz. Wir erkunden die Wälder um Granitz, das Jagdschloss und den Schwarzen See. Dann geht es weiter über Binz nach Stubbenkammer, Glowe und Wiek. Ein Abstecher nach Hiddensee beschließt die elftägige Wanderung.
Elizabeth von Arnim, 1866 in Australien geboren, heiratete den preußischen Baron von Arnim und lebte einige Jahre auf dem pommerschen Gut Nassenheide, das sie in ihrem Erfolgsroman Elizabeth und ihr Garten (1898) verewigt hat. Es folgten 21 weitere Romane, eine zweite Ehe und eine Freundschaft mit H.G. Wells. Sie lebte in Großbritannien, Italien und Südfrankreich, 1939 emigrierte sie in die USA. Elizabeth von Arnim starb 1941 in Charleston/USA.
Von ihr sind u.a. im insel taschenbuch erschienen: Elizabeth und ihr Garten (it 1293), Verzauberter April (it 3257), Der Garten der Kindheit (it 3258), Die Reisegesellschaft (it 3259), Tage des Glücks (it 3260).
ELIZABETH VON ARNIM
Elizabeth auf Rügen
Roman
Aus dem Englischen vonAngelika Beck
eBook Insel Verlag Berlin 2012
Originalausgabe
Der vorliegende Roman erschien erstmals 1904 unter dem TitelThe Adventures of Elizabeth in Rügen.
Umschlagabbildung: akg-images
© Insel Verlag Berlin 2012
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: bürosüd, München
Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
eISBN 978-3-458-75130-4
www.insel-verlag.de
Der erste Tag
Von Miltzow nach Lauterbach
Der zweite Tag
Lauterbach und Vilm
Der dritte Tag
Von Lauterbach nach Göhren
Der vierte Tag
Von Göhren nach Thiessow
Der vierte Tag – Fortsetzung
In Thiessow
Der fünfte Tag
Von Thiessow nach Sellin
Der fünfte Tag – Fortsetzung
Von Sellin nach Binz
Der sechste Tag
Das Jagdschloss
Der sechste Tag – Fortsetzung
Granitzer Wald, Schwarzer See und Kieköwer
Der siebte Tag
Von Binz nach Stubbenkammer
Der siebte Tag – Fortsetzung
In Stubbenkammer
Der achte Tag
Von Stubbenkammer nach Glowe
Der neunte Tag
Von Glowe nach Wiek
Der zehnte Tag
Von Wiek nach Hiddensee
Der elfte Tag
Von Wiek nach Hause
Jeder, der einmal zur Schule ging und sich noch erinnert, was ihm dort beigebracht wurde, weiß, dass Rügen die größte Insel Deutschlands ist und in der Ostsee vor der pommerschen Küste liegt.
Um diese Insel wollte ich in jenem Sommer wandern, doch niemand erklärte sich bereit, mich zu begleiten. Dabei ist Wandern die ideale Fortbewegungsart, wenn man den Dingen auf den Grund gehen möchte, und der einzige Weg in die Freiheit. Nähert man sich einem Ort anders als auf Schusters Rappen, kommt man allzu schnell dort an und verpasst tausend köstliche Freuden, die einen am Wegesrand erwarten. Fährt man in einer Kutsche, so gilt es eine Vielzahl von Dingen zu bedenken, wobei die acht wichtigsten die Beine der Pferde sind. Bedient man sich des Fahrrads – aber welcher Naturfreund würde schon radeln! Und von Automobilen will ich gar nicht erst reden, denn bei einer Reise wie der meinen war gewissermaßen der Weg das Ziel.
Nacheinander lud ich mindestens zwölf Freundinnen ein, die ich für geeignet hielt, mit mir zu wandern. Ihre einhellige Antwort lautete, es würde sie ermüden und sei außerdem langweilig. Und als ich den ersten Einwand zu entkräften versuchte, indem ich ihnen vor Augen führte, wie wohltuend es für die deutsche Nation wäre – besonders für deren zukünftige Generationen –, wenn ihre Frauen öfter um Rügen herumwanderten, sahen sie mich ungläubig an und lächelten; und als ich dem zweiten Einwand mit der Erklärung zu Leibe rückte, unser Geist sei es, der uns gottähnlich mache, schauten sie mich völlig verständnislos an und lächelten noch mehr.
Wandern kam somit nicht in Frage, denn allein war es mir nicht möglich. Das grimmige Ungeheuer Konvention, dessen Klauen immerfort auf meiner Schulter liegen und mich immerfort hindern, harmlose und bekömmliche Dinge zu tun, setzte meinen Plänen ein Ende, selbst wenn ich mich nicht vor Landstreichern gefürchtet hätte, was jedoch leider der Fall war. Also ließ ich mich kutschieren, und zwar rund um Rügen herum. Denn als ich an einem heißen Sommernachmittag in der Bibliothek verweilte, nicht um zu lesen, sondern um das eine oder andere Buch aus dem Regal zu nehmen, darin herumzublättern und zu entscheiden, welches ich mir als nächstes vornehmen würde, stieß ich auf Marianne Norths Recollections of a Happy Life (Erinnerungen an ein glückliches Leben) und schlug die Seite auf, wo sie von Rügen zu erzählen beginnt. Sogleich war mein Interesse geweckt – denn liegt Rügen mir nicht näher als jede andere Insel? Ich vertiefte mich in ihre Beschreibung des Badens in der Nähe eines Ortes namens Putbus, wie herrlich es dort sei in einer sandigen Bucht mit stets ruhigem Wasser, wie man auf seiner kristallenen Oberfläche treibe und um einen herum wunderschöne Medusen, Sterne in den reinsten Farben, schwämmen. Ich legte das Buch weg, um die Regale nach einem Reiseführer über Rügen zu durchstöbern. Gleich auf der ersten Seite des ersten, der mir in die Hände fiel, fand sich dieser bemerkenswerte Absatz:
»Hörst du den Namen Rügen, so umfängt dich ein wundersamer Zauber. Vor deinen Augen steigt es empor wie ein Traum von fernen, prachtvollen Feenreichen. Bilder und Gestalten aus längst vergangenen Tagen rufen dich hinüber zu den verwunschenen Orten, wo sie in grauer Vorzeit lebten und die Schatten ihrer Gegenwart zurückließen. Und in dir regt sich ein mächtiges Verlangen, über die ruhmreiche, sagenumwobene Insel zu wandern. Schnüre also dein leichtes Bündel, beherzige Shylocks Rat, deine Börse wohl zu füllen, und folge mir ohne Furcht vor der drohenden Seekrankheit, die dich während der kurzen Überfahrt befallen könnte, denn sie hat noch keinem mehr Schaden zugefügt, als ihm ein rasch wieder vergehendes Unwohlsein aufzuerlegen.«
Dies erschien mir unwiderstehlich. Musste nicht ein Ort, der zu einer solchen Mixtur aus hehren und heimeligen Gedanken anregte, wirklich sehenswert sein? Damals herrschte bei uns zu Hause gerade eine fürchterliche Trockenheit. Mir brannten die Augen, als ich mit ansehen musste, wie mein Garten unter dem gleißenden Himmel von Tag zu Tag brauner wurde. Mir war, als bedurfte es nur ein wenig Energie, um in ein paar Stunden selbst zwischen den Medusen im Schatten der Klippen jenes sagenumwobenen Eilands schwimmen zu können. Und noch besser, als lediglich von Sagen umwoben zu sein, musste es sein, an diesen erstickend heißen Tagen das Meer direkt um sich zu haben. Und was für ein Meer! Kannte ich es nicht schon? Kannte ich nicht seine einzigartige Transparenz, seine himmlische Bläue, wo es tief war, sein kristallklares Grün, wo es seicht war und gezeitenlos seine von Bernstein bedeckten Gestade umspülte? Allein schon die Wörter machten mich durstig – bernsteinbedeckte Gestade; träge Wellen, die gemächlich gegen das Ufer klatschten; weite Blicke, die sich dem Auge darboten, Felsen und Seetang und kühle, farbenprächtige Medusen. Allein schon die Landkarte vorn im Reiseführer machte mich durstig, das Land war so saftig grün, das Meer ringsum von einem so milden Blau. Und was für ein faszinierendes Eiland die Insel auf der Landkarte ist: eine buchten- und kurvenreiche Insel mit etlichen Binnengewässern, den Bodden; mit Seen und Wäldern und häufig verkehrenden Fähren; mit Inselchen, die rings um seine Küsten herum verstreut liegen; mit unzähligen Buchten, die ihre Arme ins Wasser hinausstrecken; und mit einem offenbar herrlichen, riesigen Forst, der sich fast über die ganze Ostküste entlangzieht, ihren Einbuchtungen folgt, an manchen Stellen bis zum Wasser hinabreicht und an anderen die Kreidefelsen hinaufsteigt, um sie mit der einzigartigen Pracht junger Buchen zu krönen.
Ich brauche nie lange, um einen Entschluss zu fassen, und noch schneller war mein leichtes Bündel geschnürt, denn das besorgt jemand anderes für mich; und ich glaube, bereits zwei Tage nachdem ich Marianne North und den Reiseführer entdeckt hatte, stiegen meine Zofe Gertrud und ich aus einem stickigen Zug hinaus in die frische Luft, die die Roggenfelder am Meer umweht, und traten unsere Reise ins Ungewisse an.
Zeuge unseres Aufbruchs wurde ein kleiner Bahnhof an der Strecke zwischen Berlin und Stralsund mit der Aufschrift »Miltzow«, ein einsames rotes Gebäude am Rand eines Kiefernwäldchens. Unsere Kutsche war bereits am Vortag eingetroffen, und bei unserer Ankunft stand eine interessierte Gruppe von Bahnhofsbeamten um sie herum. Der Bahnhofsvorsteher, wie überall in Deutschland eine ehrfurchtgebietende olympische Gestalt mit weißen Handschuhen, half, man glaubt es kaum, eigenhändig dem Gepäckträger, meine Reisetasche festzuschnüren, und beide ließen sich dabei viel Zeit, als wollten sie uns nur ungern ziehen lassen. Offenbar hatte ihnen der Kutscher erzählt, was ich im Schilde führte, und außerdem steigt eine so unternehmungslustige Dame vermutlich nicht alle Tage in Miltzow aus dem Zug. Meine Reisetasche war das größte Gepäckstück und wurde aufrecht stehend zu unseren Füßen festgebunden. Ich hatte es Gertrud überlassen, die Auswahl des Inhalts zu treffen, und sie lediglich ermahnt, außer meinem Kopfkissen genügend Seife und Bademäntel einzupacken. Ihr eigenes Gepäck wurde ihr vom Träger in den Schoß gelegt. Es war fast allzu bescheiden, bestand es doch nur aus einer kleinen schwarzen Tasche, die, wie ich wusste, zum größten Teil mit Wolle und Stricknadeln ausgefüllt war, um auch auf unserer Reise Strümpfe stricken zu können. Doch am Tag unserer Heimkehr sah die gute Gertrud genauso adrett und blitzsauber aus wie am Tag unserer Abreise. Mein Toilettenköfferchen wurde auf dem Kutschbock verstaut, obendrauf landete eine braune Pappkartonschachtel mit dem Regenhut des Kutschers. Ein dicker Mantel für die kälteren Tage diente als Kissen für meinen Rücken, und Gertruds Regenmantel erfüllte bei ihr denselben Zweck. Eingekeilt zwischen uns stand der Proviantkorb mit dem unangenehm klappernden Teekessel, was immerhin verhinderte, dass wir auf abschüssigem Gelände unfreiwillig zusammenrutschten. Hinter uns im Verdeck lagen die Regenschirme, Decken, Reiseführer und Karten sowie eine jener runden, gelb glänzenden hölzernen Hutschachteln, in denen jede anständige deutsche Frau ihren besten Hut verstaut. Dieses Gepäck und einige geheimnisvolle Bündel, die der Kutscher auf dem Kutschbock hinter seinen Beinen versteckt glaubte, die sich jedoch rechts und links unübersehbar nach außen wölbten, sorgten dafür, dass wir einen nicht gerade eleganten Eindruck machten; aber darauf legte ich ohnehin keinen großen Wert, und zudem hatte ich aus den Bemerkungen derjenigen, die nicht mit mir wandern wollten, herausgehört, dass ich auf Rügen niemanden treffen würde, der das tat.
Vermutlich könnte ich eine Woche lang erzählen und dem Zuhörer oder Leser dennoch nicht die geringste Vorstellung vermitteln von dem Glücksgefühl, das meine Seele angesichts all dieser Vorbereitungen erfüllte, deren improvisierte Einfachheit so vielversprechend war. Es kam mir vor, als kehrte ich zu den morgendlichen Anfängen des Lebens zurück, in jene unbeschwerte Zeit, als Hirtenknaben und anderes Volk noch aus schierer Freude über ihr Leben unter freiem Himmel jubilierten. Außerdem gelangte ich in den nachfolgenden Jahren, die man zu Recht die reiferen nennen könnte, unter anderem zu der Überzeugung, dass nichts die Seele mehr belebt, als möglichst oft seine Pflichten hinter sich zu lassen. Genau das tat ich nun; und ach, ihr strengen Märtyrerinnen auf der Folterbank der täglichen Pflichterfüllung, ihr, die ihr fraglos und geduldig die Pfade wandelt, die man euch gewiesen hat, ach, wüsstet ihr doch, wie wohltuend und wie erfrischend es ist, manchmal ein wenig über die Stränge zu schlagen!
Die Stelle, an der wir uns befanden, liegt für Reisende, die von Süden her kommen und mit der Kutsche fahren möchten, der Insel am nächsten. Da aber kein Mensch mit der Kutsche nach Rügen fährt, steigt hier sonst niemand aus. Die gewöhnlichen Touristen, in der Regel Deutsche, begeben sich zuerst nach Stralsund, werden dann von dort mitsamt der Eisenbahn von der Dampffähre über den schmalen Wasserstreifen befördert und setzen anschließend, ohne umzusteigen, ihre Reise mit dem Zug fort, bis sie bei Sassnitz auf der anderen Seite der Insel die offene See erreichen. Oder aber sie nehmen den Zug von Berlin nach Stettin, von wo aus sie mit dem Dampfschiff die Oder abwärts fahren und vier Stunden lang – vermutlich etwas bangen Herzens, denn die Boote sind klein und die Wellen oftmals hoch – das offene Meer überqueren, um schließlich in Göhren, der ersten Anlegestelle an der Ostküste der Insel, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Da wir nicht zu den gewöhnlichen Touristen gehörten, waren wir nach unserer Ankunft in Miltzow unabhängig von so beschwerlichen und lästigen Beförderungsmitteln wie Eisenbahnzüge und Dampfschiffe, jedenfalls bis zu dem Tag, an dem wir die Heimreise antreten wollten. Drei Meilen von Miltzow entfernt wollten wir mit einer Fähre, die von einem Ort namens Stahlbrode abging, eine Meile Wasser überqueren, an der südlichen Küste der Insel an Land gehen und noch am selben Nachmittag zu Miss Norths Medusen in Putbus weiterreisen, die mich weitaus unwiderstehlicher zu der sagenumwobenen Insel hinüberlockten als irgendeine jener grauen Gestalten, von denen der Reiseführer sprach.
Die Kutsche war ein leichter Zweisitzer der Marke Victoria mit einem Verdeck; die beiden Pferde wurden zu Hause wegen ihrer Sanftmut geschätzt; der Kutscher August, ein junger Mann, der noch nie endlos geradeaus gefahren war, ohne sich umzudrehen, erweckte den Eindruck, als werde ihm die Reise Spaß machen. Mir würde sie ohnehin Spaß machen. Gertrud, so denke ich, unterlag diesen Illusionen nicht, doch sie ist schon alt und ergibt sich klaglos ihrem Schicksal. Sie war gewissermaßen der Köder, den ich dem Unerbittlichen mit den eisernen Klauen hinwarf, denn ich wäre lieber allein gefahren. Allerdings ist Gertrud sehr schweigsam; mit ihr zu reisen ist fast so, als sei man allein, soweit das in Begleitung überhaupt möglich ist. Ich konnte mich darauf verlassen, dass sie strickend neben mir sitzen würde, egal, wie holprig die Straße auch sein mochte, und nur dann den Mund auftäte, wenn man ihr eine Frage stellte. Die bewundernswerte Tugend der Schweigsamkeit, höchst wertvoll, da ausgesprochen rar, ein Juwel in der Krone weiblicher Vorzüge, das keine Einzige derjenigen schmückte, die es abgelehnt hatten, mit mir zu wandern. Wäre eine von ihnen an Gertruds Stelle gewesen und mit mir gefahren, hätte sie dann nicht, nach Frauenart, die erste Hälfte der Zeit damit verbracht, mir ihre Geheimnisse anzuvertrauen, und die zweite, böse auf mich zu sein, weil ich sie nun kannte? Und noch dazu würde Gertrud, nachdem sie den ganzen Tag lang geschwiegen hatte, abends voller Tatendrang die Reisetasche auspacken, angenehme Dinge wie Hausschuhe zum Vorschein bringen, dafür sorgen, dass mein Bett so war, wie ich es mag, und mich schließlich darin behaglich einwickeln und auf Zehenspitzen das Zimmer verlassen, nicht ohne, wie jede Nacht vor dem Schlafengehen, ihren üblichen anheimelnden Segen »Der liebe Gott beschütze und segne die gnädige Frau« gesprochen und dann die Kerze ausgeblasen zu haben.
»Und er beschütze und segne auch dich«, erwidere ich darauf, könnte ich doch auf ihren Segen ebenso schlecht verzichten wie auf mein Kopfkissen.
Es war halb drei Uhr nachmittags an einem Freitag Mitte Juli, als wir die Bahnhofsbeamten ihrem langweiligen Dienst überließen, um die Hausecke bogen und in die weite Welt aufbrachen. Der blaue Himmel flirrte vor Hitze. Die Straße schlängelte sich in sanftem Auf und Ab zwischen Feldern dahin, das von der Sonne gebleichte Getreide reifte der Ernte entgegen. Hoch über unseren Köpfen flatterten Lerchen im lichten Blau und brachen in jenes stürmische Tirilieren aus, bei dem mir stets das Herz schneller schlägt vor Dankbarkeit, am Leben zu sein. Es gab weder Wälder noch Hügel, und so konnten wir nach beiden Seiten weit über das flache Land blicken. Wir sahen die roten Dächer der Bauernhäuser, die sich überall dort zusammendrängen, wo eine Senke sie vor den heftigen Winterstürmen zu schützen vermag, sodann die schnurgerade doppelte Baumreihe, wo die Straße nach Stralsund die unsere kreuzte, des Weiteren eine Meile vor uns ein kleines Dorf mit einer etwas erhöht gelegenen altehrwürdigen Kirche, die über den weiten Pfarrbezirk der Kornfelder ringsum ernsthaft den Vorsitz führte. Auf der kurzen Strecke zwischen Miltzow und der Fähre bin ich bestimmt sechsmal ausgestiegen, unter dem Vorwand, Blumen pflücken zu wollen, in Wirklichkeit jedoch, um einfach nach Herzenslust herumschlendern zu können. Die Roggenfelder waren voller Wegwarte und Mohn, die Gräben entlang der Straße, wo sich die Feuchtigkeit des Frühjahrs gehalten hatte, waren weiß von der zarten Blütenpracht des Gemeinen Kerbels, des ätherischsten Unkrauts überhaupt. Davon pflückte ich einen Armvoll, um ihn gegen das Blau des Himmels zu halten, während wir weiterfuhren. Ich überreichte Gertrud einen Strauß Mohn, für den sie sich ohne große Begeisterung bedankte; ich steckte den Pferden kleine Wegwartesträußchen hinter die Ohren. Eigentlich fühlte und benahm ich mich wie eine Fünfzehnjährige, die zum ersten Mal in den Sommerferien unterwegs ist. Doch wen störte das schon? Es war ja niemand da, der es mitbekommen hätte.
Stahlbrode ist ein ganz unschuldig aussehender Ort – ein dicht zusammengedrängter kleiner Haufen von Häuschen auf einer Grasfläche, die zum Wasser hin abfällt. Keine Menschenseele war zu sehen und kein Ton zu hören. Der Ort hat einen langen schmalen, aus Holzbohlen bestehenden Landesteg, auf dem man über das sumpfige Ufer zur Fähre gelangt und an dessen Ende ein großes Fischerboot mit zusammengerollten braunen Segeln vertäut war. Ich stieg aus der Kutsche und ging den Damm hinunter, um zu schauen, ob es sich um die Fähre handelte und der Fährmann dort war. August wirkte beunruhigt und die Pferde spitzten erschreckt die Ohren, als sie sahen, wie ich mich anscheinend in den Rachen des Meeres begab. Selbst die emotionslose Gertrud legte ihr Strickzeug beiseite, trat neben die Kutsche und schaute mir nach. Die Holzbohlen des Landestegs waren nur grob zusammengefügt und so schmal, dass die Kutsche gerade so eben darauf Platz finden würde. Ein nicht sehr stabiles Holzgeländer bildete den einzigen Schutz. Doch das Wasser unter dem Steg war nicht tief und hob und senkte sich in durchsichtiger Klarheit über dem gelben Sand am Meeresgrund. Das Ufer, an dem wir standen, war flach und leuchtend grün, wie auch die gegenüberliegende Küste von Rügen, und das Meer dazwischen funkelte von einem betörenden Blau. Am Himmel trieben lockere Haufen perlmuttfarbiger Wolken, die leichte Brise, die so sanft mit den Kornähren in der Gegend um Miltzow gespielt hatte, tanzte auf den kleinen Wellen und peitschte sie fröhlich gegen die Holzpfosten des Landestegs, als habe die Frische dort unten auf dem Wasser sie mit neuem Leben erfüllt. Wie ich feststellte, befand sich niemand an Bord des Schiffes, das mit seinen steilen Seitenwänden und gewölbtem Boden sicher nicht für die Beförderung von Pferden und Kutschen gedacht war. Ein anderes Boot war aber weit und breit nicht zu sehen. Diesseits und jenseits der Wasserstraße sah man nur flache grüne Ufer, tanzende Wellen, den weiten Himmel und das milde Licht des Nachmittags.
Nachdenklich wandte ich mich zu den Häusern um. Wie nun, wenn die Fähre nur Personen übersetzte? Dann saßen wir ganz schön in der Klemme. Weit weg am Horizont konnte ich die Baumreihe erkennen, die die Straße nach Stralsund säumte, und die gesamte langweilige, staubige Strecke würden wir noch einmal zurücklegen müssen, sollte die Fähre in Stahlbrode uns nicht mitnehmen. August zog seinen Hut, als ich zu ihm trat, und sagte in Unheil verkündendem Ton: »Darf ich mit der gnädigen Frau ein paar Worte sprechen?«
»Sprich, August.«
»Es ist sehr windig.«
»Nicht übermäßig.«
»Es ist weit bis auf die andere Seite des Wassers.«
»Nicht übermäßig.«
»Ich bin noch nie auf See gewesen.«
»Nun, dann wirst du es jetzt gleich sein.«
Mit einem zu zwei Dritteln furchtsamen und zu einem Drittel resignierten Gesichtsausdruck setzte er seinen Hut wieder auf und versank in grimmiges Schweigen. Zur moralischen Unterstützung nahm ich Gertrud mit und ging mit ihr hinüber zum Gasthaus, einem neuen, roten Ziegelbau, der, mit der Rückseite zum Wasser, trotzig auf einer kleinen Erhebung thronte. Die Tür stand offen, und wir traten ein, wobei ich mit meinem Sonnenschirm ein paarmal auf den Fußboden klopfte. Doch es rührte sich überhaupt nichts. Nicht einmal ein Hund bellte uns an. Der Hausgang war breit und sauber mit Türen ringsum, von denen zwei geöffnet waren. Durch die eine waren wir hereingekommen, gefolgt von der Nachmittagssonne; die andere gegenüber umrahmte ein Bild mit Himmel, Meer, Landesteg, dem Fischerboot mit eingerollten Segeln und der Küste von Rügen. Ich entdeckte eine weitere Tür, auf die das Wort Gaststube gepinselt war, öffnete sie und guckte hinein. Zu meinem Erstaunen war sie voller Männer, die schweigend rauchten und allesamt den Blick auf die sich öffnende Tür richteten. Sie mussten uns gehört haben. Sie mussten uns gesehen haben, als wir auf unserem Weg zur Tür am Fenster vorbeigingen. Ich schloss daraus, dass es dortzulande nicht Brauch ist, Fremde in irgendeiner Weise zu belästigen, bis diese selbst Fragen stellen. Dass es sich so verhielt, wurde klar, als auf unsere Frage hin, wie wir nach Rügen übersetzen könnten, ein Mann mit strohblondem Bart eilfertig aufsprang und uns erklärte, er sei der Fährmann und werde uns hinüberbringen.
»Aber wir haben eine Kutsche – kann die auch mit?«, erkundigte ich mich besorgt, eingedenk des tiefen Bodens und der steilen Seitenwände des Fischerboots.
»Alles, alles«, sagte er vergnügt und rief einem Jungen zu, mitzukommen und zu helfen. Er ging voran durch die Tür, die das Meer einrahmte, einen sandigen, von stechenden Stachelbeeren gesäumten Gartenpfad hinunter zu der Stelle, wo August staunend auf seinem Kutschbock saß.
»Komm mit!«, rief er ihm im Vorbeilaufen zu.
»Was, auf dieses Holzding?«, entgegnete August. »Mit meinen Pferden? Und meiner frisch lackierten Kutsche?«
»Nun, komm schon!«, schrie der Fährmann, der bereits die Hälfte des Landestegs hinter sich hatte.
»Fahr zu, August«, befahl ich ihm.
»Das wird nie was«, sagte August, dem sichtlich der Schweiß ausbrach.
»Fahr zu«, wiederholte ich streng, hielt es jedoch alles in allem für ratsamer, zu Fuß zu gehen, was auch Gertrud tat.
»Wenn die gnädige Frau darauf besteht –«, stotterte August und begann, ganz vorsichtig den Landesteg hinunterzufahren. Dabei schaute er drein wie einer, der meint, sein letztes Stündlein habe geschlagen.
Wie ich befürchtet hatte, ging um ein Haar die Kutsche zu Bruch, als sie über den Rand des Bootes gehievt wurde. Ich saß aufrecht im Bug und schaute voller Entsetzen zu, da ich jeden Augenblick damit rechnete, dass die Räder abfielen und unserer Reise ein schnelles Ende beschieden sein würde. Der optimistische Fährmann versicherte uns, dass die Kutsche ganz leicht zu verladen sei – wie ein Lamm, erklärte er mit kühner Metaphorik. Schräg an die Seitenwand des Boots legte er zwei völlig untaugliche Bretter, eines für je ein Räderpaar, und hob gemeinsam mit dem atemlosen August, der Hut und Jacke abgelegt hatte, die Kutsche darauf. Es war ein grauenhafter Moment. Die Vorderräder drehten sich und drohten sogleich abzubrechen. Ich wagte gar nicht, August anzusehen, schien er doch recht gehabt zu haben mit seiner Behauptung, das werde nie etwas. Aber dort drüben lag Rügen, und wir standen hier und mussten irgendwie hinüberkommen oder umkehren und die eintönige Rückreise nach Stralsund antreten.
Die Pferde, beide außerordentlich unruhig, waren abgeschirrt worden und gingen zuerst an Bord. Im Heck des Boots wurden sie von zwei Jungen festgehalten, die dazu ihre ganze Entschlossenheit benötigten. Da war ich nun froh und dankbar, dass das Boot so steile Seitenwände hatte, denn über niedrigere und flachere wären diese Pferde mit Sicherheit ins Meer gesprungen, und was hätte ich dann machen sollen? Und wie hätte ich vor ihm dagestanden, ihm, der die Macht über mich hat, wenn ich ohne seine Pferde nach Hause gekommen wäre?
»Solche bringen wir täglich hinüber«, bemerkte der Fährmann und deutete mit dem Daumen lässig in Richtung Kutsche.
»Fahren denn so viele Leute nach Rügen?«, fragte ich erstaunt, denn die Brettervorrichtung wirkte äußerst behelfsmäßig.
»Viele Leute?«, rief der Fährmann. »Massen, um genau zu sein.«
Er versuchte, mich glücklich zu machen. Diese enorme Flunkerei beruhigte zumindest August, ich jedoch konnte mir ein ungläubiges Lächeln nicht verkneifen.
Mittlerweile hatten wir volle Fahrt aufgenommen, ein kräftiger Wind trieb uns fröhlich übers Wasser. Der Fährmann steuerte, August stand bei den Pferden und redete beruhigend auf sie ein. Die beiden Jungen kamen herbei, setzten sich dicht bei mir auf zusammengerollte Taue, stützten die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die Hand und starrten mir während der gesamten Überfahrt mit ihren blauen Fischerjungenaugen neugierig und unverwandt ins Gesicht. Oh, es war herrlich, da oben in der Sonne zu sitzen, fürs Erste sicher und geborgen in der köstlichen Ruhe des Dahingleitens. Das gelbbraune Segel, geflickt und ausgebessert mit Stoffresten in verschiedenen Braun-, Rot- und Orangetönen, ragte über uns in den Himmel. Der riesige Mast schien geradezu die weißen Wölkchen zu streifen. Neben dem Plätschern des Wassers vernahmen wir von beiden Ufern her das ferne Tirilieren der Lerchen. Um die Kutsche hineinzuhieven, hatte August seinen scharlachroten Stallkittel angezogen und bildete nun am Heck inmitten der Braunschattierungen des alten Boots einen hübschen Farbklecks. Die Augen des Fährmanns verloren ihre strenge Wachsamkeit, die sie an Land gezeigt hatten, und er blickte vom Steuerruder aus verträumt ins Nachmittagslicht, das über den Wiesen von Rügen lag. Wie wunderbar war das nach der Bahnfahrt, nach dem Dahintrotten auf der staubigen Straße und der Hitze und Aufregung beim Einschiffen. Eine köstliche Viertelstunde lang wurden wir bei strahlendem Sonnenschein sanft hinüberbefördert, und für all diese Schönheit verlangte man von uns nur drei Mark, darin inbegriffen die Kutsche, die Pferde und die Mühsal des Ein- und Ausladens. Über ein kleines Trinkgeld geriet der Fährmann regelrecht in Begeisterung und bat mich, bei unserer Rückreise denselben Weg zu wählen. Es gebe auf dem Rügener Ufer ein einzeln stehendes Haus, in dem er wohne, sagte er, und von dort werde er nach uns Ausschau halten. Ein kleiner Hund kam zum Strand herunter, um uns zu begrüßen, aber ansonsten sahen wir keine Menschenseele. Auf dieser Seite der Meerenge benahm sich die Kutsche wirklich fast wie ein Lamm, und mit dem befriedigenden Gefühl, die größte Schwierigkeit der Tour gemeistert zu haben, fuhr ich frohen Herzens davon. Der Fährmann mit der sanften Stimme wünschte uns eine gute Fahrt, und die beiden Fischerjungen wandten bis zuletzt nicht den Blick von mir.
Nun befanden wir uns also auf der sagenumwobenen Insel. »Heil dir, du märchenhaftes Eiland, voll winkender Gestalten!«, murmelte ich leise vor mich hin, um in Gertruds Augen nicht allzu eigenartig zu wirken. Eifrig und interessiert blickte ich mich um, und ich habe selten etwas gesehen, das weniger einem Märchenland und mehr der pommerschen Küste glich, die wir vor kurzem erst verlassen hatten. Die Straße, eine Fortsetzung jener vom Festland, war genau so langweilig wie andere langweilige Straßen, bis wir nach drei Meilen ein weitläufiges Städtchen namens Garz erreichten – Leser, die sich die Karte in diesem Buch anschauen, werden feststellen, mit welch melancholischer Geradlinigkeit sie zu diesem Ort führt. Hinter Garz achtete ich nicht mehr darauf, wie sie aussah, aus Gründen, die ich sogleich darlegen werde.
An jenem Nachmittag spielte auf dem Marktplatz von Garz außerordentlich lautstark eine Blaskapelle, warum, weiß ich nicht, denn es war weder ein Sonn- noch ein Feiertag. Den Pferden, die sich nie zuvor eine musikalische Darbietung hatten anhören müssen, da ihre einzige Aufgabe bei uns zu Hause darin bestand, mich durch einsame Wälder zu kutschieren, gefiel die Musik nicht. Angesichts ihrer sonstigen Sanftmut war ich erstaunt über die Heftigkeit des Missfallens, die sie an den Tag legten. Sie tanzten geradezu durch Garz, begleitet von dem Schmettern der Trompeten und den begeisterten Zurufen der Menge. Je ungestümer die Pferde tanzten, desto lauter schienen die Trompeten zu schmettern und die Leute zu schreien, und ich überlegte schon, ob es nicht an der Zeit sei, mich an Gertrud zu klammern und die Augen zu schließen. Doch da bogen wir um eine Ecke, ließen den Lärm hinter uns und kehrten wieder zum vertrauten Rattern auf der harten Landstraße zurück. Ich atmete erleichtert auf und streckte den Kopf hinaus, um zu schauen, ob sie so schnurgerade verlief wie das vorherige Stück der Strecke. Dies war der Fall. Da tauchte in der Ferne ein schwarzer Fleck auf, der auf uns zuhielt und mit atemberaubender Geschwindigkeit zu einem Automobil anschwoll. Nun hatten die Pferde noch nie ein solches Gefährt gesehen. Ihre bereits von der Blaskapelle strapazierten Nerven würden einem so schrecklichen Anblick wohl nicht standhalten. Die Vorsicht gebot, sofort auszusteigen, zu ihnen zu eilen und beruhigend auf sie einzureden. »Halt an, August!«, rief ich. »Steig aus, Gertrud – da kommt uns etwas Furchtbares entgegen – sie brechen bestimmt aus …«
Scheinbar meinen Befehl befolgend, fuhr August langsamer, und da das Automobil schon fast bei uns war, sprang ich auf der einen Seite und Gertrud auf der anderen aus der immer noch rollenden Kutsche. Ehe ich Zeit hatte, zu den Pferden zu rennen, sauste das Automobil an uns vorbei. Merkwürdigerweise kümmerten sich die Pferde kaum darum, scheuten nur ein wenig, als August sie langsam weitertrieb, ohne anzuhalten.
»Das ist ja noch mal gutgegangen«, bemerkte ich tief erleichtert zu Gertrud, die immer noch ihr Strickzeug in den Händen hielt. »Jetzt steigen wir wieder ein.«
Doch wir konnten nicht wieder einsteigen, weil August nicht anhielt.
»Ruf ihm nach, dass er anhalten soll«, sagte ich zu Gertrud und wandte mich zur Böschung, um dort einige ungewöhnlich große Mohnblumen zu pflücken.
Sie rief, aber er hielt nicht an.
»Ruf lauter, Gertrud«, befahl ich ungeduldig, denn wir waren nun schon ein ganzes Stück zurückgeblieben.
Sie rief lauter, aber er hielt nicht an.
Dann rief ich, dann wieder sie, dann riefen wir gemeinsam, aber er hielt nicht an. Im Gegenteil, er fuhr nun im üblichen Tempo weiter, ratterte geräuschvoll über die harte Straße und geriet immer mehr außer Hörweite.
»Schrei, Gertrud, schrei!«, rief ich in heller Aufregung. Doch wie hätte eine so ehrbare, biedere Person wie Gertrud schreien können? Sie sandte dem sich unaufhaltsam entfernenden August einen etwas schrillen Schrei hinterher, und als ich selbst zu schreien versuchte, musste ich so unbändig lachen, dass ich überhaupt keinen Ton herausbrachte.
Unterdessen schwand August in der Ferne dahin. Anscheinend hatte er überhaupt nicht bemerkt, dass wir ausgestiegen waren, als das Automobil auftauchte, und wiegte sich in dem angenehmen Glauben, wir säßen hinter ihm und würden bequem nach Putbus geschaukelt. Es war erschreckend, mit ansehen zu müssen, wie rasend schnell seine Gestalt zusammenschrumpfte. »Schrei, so schrei doch«, stieß ich hervor und konnte mich, teils aus wüster Ausgelassenheit, teils aus Verzweiflung, vor Lachen kaum aufrecht halten.
Sie trippelte die Straße entlang, schwenkte ihren Strickstumpf hinter Augusts fernem Rücken hin und her und gab, unter dem Eindruck unserer Notlage, eine Reihe schriller Rufe von sich.
Das Letzte, was wir von der Kutsche sahen, war ein Funkeln, das die Sonne der glatten Oberfläche meiner gelben Hutschachtel entlockte; gleich drauf verschwand sie in einer fernen Bodensenke, und wir waren allein mit der Natur.
Gertrud und ich starrten einander in sprachlosem Entsetzen an. Dann schaute sie schweigend zu, wie ich auf einen Meilenstein niedersank und lachte. Da gibt es doch nichts zu lachen, sagte ihr Blick, aber vieles, was man ernst nehmen sollte in unserem tragischen Dilemma. Das wusste ich auch, konnte aber dennoch mit dem Lachen nicht aufhören. August hatte keinerlei Anweisungen erhalten, wohin er fahren sollte, und wusste auch nicht, wo wir heute übernachten wollten; von Putbus und Marianne North hatte er noch nie gehört. Seitdem wir in Miltzow aufgebrochen waren, hatte ich ihm, mit dem auseinandergefalteten Messtischblatt auf den Knien, lediglich an Kreuzungen die einzuschlagende Richtung zugerufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er daher bis in die Dämmerung geradeaus weiterfahren und sich insgeheim zunehmend darüber wundern, dass die Befehle ausblieben und die Wegstrecke so lang war. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, würde er vermutlich die Wagenlaternen anzünden wollen und beim Aussteigen vor Schreck erstarren angesichts dessen, was er in der Kutsche sah oder vielmehr nicht sah. Was er nach diesem Schock tun würde, konnte ich mir nicht vorstellen. Vor lauter Verzweiflung musste ich lachen, bis mir die Tränen kamen, und als mein Blick auf Gertrud fiel, die mich von der Mitte der verlassenen Straße aus schweigend beobachtete, konnte ich erst recht nicht aufhören. Hinter uns in der Ferne, am Ende einer langen Reihe von Chausseebäumen, sah man die Häuser von Garz; vor uns, noch weit, weit vor uns, erhob sich der rote Turm der Kirche von Casnewitz, einem Dorf, das, wie ich mich aufgrund der Karte erinnerte, die nun mutterseelenallein dahinfuhr, auf dem Weg nach Putbus lag. Doch straßauf, straßab war auf dem kalkweißen Schotter keine Menschenseele zu sehen, weder zu Fuß noch auf vier Rädern. Die hier besonders kahle und öde Landschaft erstreckte sich nach beiden Seiten ins Nichts. Der säuselnde Wind trieb uns im Vorüberwehen kleine Staubwölkchen in die Augen. Es herrschte eine bedrückende Stille.
»August«, sagte Gertrud, »wird doch bestimmt bald zurückkehren?«
»Bestimmt nicht«, erwiderte ich und wischte mir die Augen. »Er wird immer weiterfahren. Nichts wird ihn zum Halten bringen.«
»Was will die gnädige Frau dann tun?«
»Ihm hinterherlaufen, denke ich«, entgegnete ich und stand auf. »Und hoffen, dass etwas Unerwartetes passiert, damit er merkt, dass wir nicht mehr da sind. Aber ich fürchte, das wird nicht geschehen. Komm, Gertrud«, fuhr ich fort und gab mich zuversichtlich, während mein Herz schwer wie Blei war, »bald ist es sechs Uhr und die Straße lang und einsam.«
»Ach«, stöhnte Gertrud, die nie zu Fuß geht.
»Vielleicht kommt ein Fuhrwerk daher und nimmt uns mit. Wenn nicht, laufen wir zu dem Ort dort vorne mit der Kirche und schauen, ob wir einen fahrbaren Untersatz kriegen können, um die Verfolgung aufzunehmen. Komm jetzt – hoffentlich sind deine Schnürstiefel in Ordnung.«
»Ach«, stöhnte Gertrud abermals und hob einen Fuß so mitleiderregend, wie ein Hund seine verletzte Pfote hebt. Sie zeigte mir eines jener schwarzen Kaschmirstiefelchen, die weich und bequem die Füße von Dienstboten umschließen, die sie aber nicht oft benutzen müssen.
»Ich fürchte, die taugen nicht besonders gut für diese harte Straße«, sagte ich. »Hoffen wir, dass uns bald jemand mitnimmt.«
»Ach«, stöhnte die arme Gertrud, deren Füße sehr empfindlich sind.
Aber es nahm uns niemand mit, und wir schleppten uns dahin in grimmigem Schweigen, denn das Lachen war mir inzwischen gründlich vergangen.
»Meine liebe Gertrud«, sagte ich nach einer Weile in dem Versuch, fröhlich zu erscheinen, »du musst dies einfach als eine wohltuende sportliche Betätigung betrachten. Du und ich machen gemeinsam einen angenehmen Nachmittagsspaziergang auf der Insel Rügen.«
Gertrud erwiderte kein Wort. Da sie Bewegung im Freien schon immer verabscheut hatte, empfand sie diesen Fußmarsch als besonders hassenswert, zumal kein Ende abzusehen war. Und was sollte aus uns werden, wenn wir die Nacht in irgendeinem Gasthaus verbringen mussten, noch dazu ohne Gepäck? Das einzige, was ich bei mir trug, war mein Portemonnaie, in dem alles Geld steckte, das ich von zu Hause mitgenommen hatte. Deshalb sah ich mich in kurzen Abständen immer wieder um, weniger in der Hoffnung, ein Fuhrwerk zu erblicken, als in der Furcht, einen Landstreicher zu entdecken. Und Gertrud hatte nur ihren halbfertigen Strickstrumpf bei sich. Außerdem hatten wir seit einem kleinen Mittagsimbiss aus einem nicht sehr reichhaltigen Picknickkorb im Zug nichts mehr zu uns genommen. Meine Absicht war es gewesen, in Putbus zu essen und dann zu einem Ort namens Lauterbach weiterzufahren, der mir, da am Meer gelegen, für Medusen geeigneter schien als Putbus, und dort die Nacht in einem von dem Reiseführer wärmstens empfohlenen Hotel zu verbringen. Wäre es nach meiner ursprünglichen Planung gegangen, hätten wir inzwischen in Putbus gesessen und Kalbsschnitzel gegessen. »Gertrud«, fragte ich ziemlich kleinlaut, da mir beim Gedanken an Kalbsschnitzel der Mut sank, »bist du hungrig?«
Gertrud seufzte. »Es ist schon lange her, seit wir etwas gegessen haben«, sagte sie.
Schweigend trotteten wir etwa fünf Minuten dahin.
»Gertrud«, fragte ich erneut, denn während jener fünf Minuten hatte meine Phantasie mit beschämender Beharrlichkeit bei saftigen, üppigen Leckerbissen verweilt, »bist du sehr hungrig?«
»Die gnädige Frau braucht bestimmt auch etwas zu essen«, antwortete Gertrud ausweichend, die aus irgendwelchen Gründen nie zugeben würde, selbst etwas zu essen zu brauchen.
»O ja, das braucht sie«, seufzte ich, und wieder schleppten wir uns schweigend weiter.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe wir die Kuppe erreichten, hinter der meine zum Abschied aufleuchtende Hutschachtel verschwunden war. Als wir endlich dort anlangten und das vor uns liegende Stück Straße eifrig mit unseren Blicken absuchten in der Hoffnung, August wie durch ein Wunder zurückkehren zu sehen, stöhnten wir gleichzeitig auf: Die Straße vor uns erwies sich als ebenso menschenleer wie die hinter uns. Ein paar Meter weiter lag mitten auf dieser Straße ein dunkles Etwas, das aussah wie ein kleiner Haufen brauner Blätter, weshalb ich kein Wort darüber verlor. Aber Gertrud, die sehr scharfe Augen hat, stieß einen Schrei aus.
»Was ist los? Hast du August gesehen?«, rief ich.
»Nein, nein – aber dort auf der Straße – der Picknickkorb!«
Tatsächlich lag da der Picknickkorb, der, da wir ihn ja nicht mehr zwischen uns hatten festhalten können, zwangsläufig aus der Kutsche geschleudert worden war und nun wie ein Geschenk des Himmels kam, um uns zu stärken und Nahrung zu geben.
»Es ist noch immer etwas zu essen drin«, sagte Gertrud und eilte hin.
»Gott sei Dank«, sagte ich.
Wir zerrten ihn von der Straße weg ins Gras. Gertrud entzündete den Spirituskocher und wärmte den restlichen Tee im Kessel auf. Er war von einer grauenhaften Schwärze. In der Nähe gab es kein Wasser, und aus Angst, August zu verpassen, falls er zurückkäme, wagten wir nicht, die Straße zu verlassen und nach einer Quelle zu suchen. Von unserem mittäglichen Imbiss waren noch ein paar jämmerliche Kuchenstücke übrig geblieben und ein oder zwei mit Hühnerbrust belegte Brötchen, die nun unbegreiflicherweise ganz unappetitlich aussahen, sowie all jene Erdbeeren, die wir verschmäht hatten, weil sie zu klein oder allzu zerdrückt waren. Über diesem traurigen Gelage präsidierte der inzwischen viel näher gerückte Kirchturm von Casnewitz und bezeugte stumm, wie ehrlich wir teilten und dass Gertrud wegen ihrer Kaschmirstiefelchen ein belegtes Brötchen mehr bekam.
Hinterher begruben wir den Picknickkorb im Straßengraben, in einem Bett aus hohem Gras und Wiesenkerbel, da es nicht in Frage kam, Gertrud, die ohnehin kaum laufen konnte, zu bitten, ihn zu tragen. Es war ebenso klar, dass ich ihn nicht selbst zu schleppen vermochte, denn er war so rätselhaft schwer wie andere Picknickkörbe auch und fast so groß wie ich. Und so begruben wir ihn, natürlich nicht ohne ein gewisses Bedauern und ein dunkles Gefühl, uns damit über die Vorsehung hinwegzusetzen, und dort rostet er vermutlich bis heute still vor sich hin.
Danach kam Gertrud ein bisschen besser voran, und da sich meine Gedanken nicht mehr aufs Essen konzentrierten, konnte ich mir unser weiteres Vorgehen überlegen. In Casnewitz angekommen, erkundigten wir uns deshalb sofort nach einem Gasthaus, und nachdem wir eines gefunden hatten, baten wir einen Mann, der dorthin zu gehören schien, uns so schnell wie möglich ein Gefährt zu beschaffen.
»Wo kommen Sie denn her?«, wollte er wissen, wobei er uns nacheinander anstarrte.
»Oh – von Garz.«
»Von Garz? Und wo wollen Sie hin?«
»Nach Putbus.«
»Nach Putbus? Wohnen Sie dort?«
»Nein. Ja. Wir wollen jedenfalls dorthin. Lassen Sie uns bitte so schnell wie möglich losfahren.«
»Losfahren! Ich habe keinen Wagen.«
»Mein Herr«, entgegnete Gertrud mit großer Würde, »warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
»Ja, ja, Fräulein, warum nicht?«
Wir verließen das Lokal.
»Das ist sehr unangenehm, Gertrud«, bemerkte ich und fragte mich, was man wohl zu Hause sagen würde, wenn man dort wüsste, dass ich es schon am allerersten Tag meiner Reise geschafft hatte, die Kutsche zu verlieren und mich von Gastwirten veralbern zu lassen.
»Da drüben ist ein kleiner Laden«, sagte Gertrud. »Gestattet die gnädige Frau, dass ich mich dort erkundige?«
Wir gingen hinein, und Gertrud führte die Unterredung.
»Putbus ist nicht weit von hier«, sagte der dort zuständige alte Mann, der immerhin höflich war. »Warum gehen die Damen nicht zu Fuß? Mein Pferd ist den ganzen Tag draußen gewesen, und mein Sohn, der den Wagen fährt, hat jetzt anderes zu tun.«
»Oh, wir können unmöglich zu Fuß gehen«, schaltete ich mich ein. »Wir müssen fahren, weil wir vielleicht noch weiter als bis Putbus wollen. Wir wissen es noch nicht. Es hängt davon ab …«
Der alte Mann sah verblüfft drein. »Wohin wollen die Damen denn nun?«, fragte er, sichtlich um Geduld bemüht.
»Auf jeden Fall nach Putbus. Vielleicht nur bis Putbus. Das wissen wir erst, wenn wir dort sind. Aber wirklich, wirklich, Sie müssen uns Ihr Pferd überlassen.«
Immer noch verdutzt ging der alte Mann hinaus, um mit seinem Sohn zu beratschlagen, und wir warteten in tiefer Niedergeschlagenheit zwischen Kerzen und Kaffee. Putbus war, wie er gesagt hatte, wirklich nicht weit, aber ich erinnerte mich, dass es auf der Karte wie ein einziges Gewirr von Straßen erschien, die alle von einem kreisrunden Platz strahlenförmig abzweigten. Welche davon würde August für die direkte Fortsetzung der Straße von Garz halten? Wenn Putbus erst einmal hinter ihm lag, wäre er für uns endgültig verloren.
Wir brauchten fast eine halbe Stunde, um den Sohn zu überreden, das Pferd anzuschirren. Und während Letzteres vonstattenging, standen wir an der Tür, hielten Ausschau und lauschten angestrengt auf etwaiges Räderrattern. Tatsächlich kam ein Wagen daher, der in Richtung Garz fuhr, und als ich ihn herannahen hörte, war ich so sicher, es wäre August, dass ich Gertrud triumphierend zurief, auf der Stelle dem alten Mann sagen, wir bräuchten seinen Sohn nicht mehr. Die umsichtigere Gertrud wartete ab, bis sie sah, um wen es sich bei dem Kutscher handelte, und nachdem wir diese plötzliche Hoffnung begraben hatten, ließen wir die Köpfe mehr denn je hängen.
»Wohin soll es nun gehen?«, fragte der Sohn, trieb sein Pferd an und rumpelte mit uns über das Kopfsteinpflaster von Casnewitz davon. Mit äußerst mürrischer Miene saß er zusammengekauert auf dem Kutschbock und war offenkundig empört, nach einem langen Tag noch einmal hinauszumüssen. Was das Gefährt betraf, so bildete es einen traurigen Kontrast zum gepolsterten Komfort der verschwundenen Victoria. Es war sehr hoch, sehr hölzern, sehr wackelig, und wir saßen auf einem Brett inmitten eines so fürchterlichen Lärms, dass wir uns nur schreiend verständigen konnten. »Wohin soll ich fahren?«, wiederholte der junge Mann und warf uns über die Schulter einen finsteren Blick zu.
»Bitte fahren Sie einfach geradeaus, bis Sie eine Kutsche sehen.«
»Eine was?«
»Eine Kutsche.«
»Wessen Kutsche?«
»Meine Kutsche.«
Das schien ihn noch mehr zu empören, denn wieder runzelte er ärgerlich die Stirn. »Wenn Sie eine Kutsche haben«, sagte er und sah uns an, als fürchtete er, zwei Schwachsinnige vor sich zu haben, »warum sitzen Sie dann in meinem Wagen?«
»O ja, warum, warum!«, rief ich und rang die Hände, überwältigt von dem Ausmaß unserer Misere. Denn Casnewitz lag nun hinter uns, und die Straße vor uns, die wir mit angestrengten Blicken absuchten, war ebenso schnurgerade und menschenleer wie die, auf der wir hergekommen waren.
Der junge Mann fuhr in mürrischem Schweigen dahin, und selbst seine Ohren schienen Verachtung auszudrücken; gewiss würde er kein Wort mehr an uns zwei verrückte Weiber verschwenden. Die Straße führte nun durch Wälder, wunderschöne Buchenwälder, die dem Fürsten Putbus gehören und nicht eingezäunt sind, sondern jedermann einladend offen stehen, mit grün schimmernden Senken und gelegentlich aufspringendem Rehwild. Die Wipfel der gewaltigen Buchen glänzten wie Gold gegen den Himmel. Das Meer musste ganz nahe sein, denn auch wenn man es nicht sah, so atmete man doch schon überall seinen salzigen Geruch ein. Je näher wir Putbus kamen, desto mehr Vorboten der Zivilisation zeigten sich entlang der Straße. In immer kürzeren Abständen tauchten rechts und links Bänke auf. Statt der üblichen Schilder aus Holz wiesen gusseiserne mit mattgoldenen Buchstaben auf die Waldwege hin. Und bald sahen wir die ersten Putbusser Straßenlaternen, die, ebenfalls aus Gusseisen und reich verziert, anscheinend bereits ein gutes Stück vor dem ihnen normalerweise zugedachten Stadtbereich die harmlose Landstraße beleuchteten. Alle diese Anzeichen deuteten auf jenen Personenkreis hin, den man gewöhnlich Badegäste nennt, eleganter ausgedrückt: Besucher eines Badeorts. Und kurz darauf fuhren wir an einigen vorüber, die gruppen- oder paarweise flanierten oder auf steinernen Bänken saßen, was erhitzten Badegästen bestimmt nicht guttut.
Trotz meiner Niedergeschlagenheit nahm ich die malerische, etwas altmodische Idylle von Putbus durchaus wahr. Auf einem Schild stand, dass alle Fahrzeuge im Schritttempo durch den Ort fahren müssen, und so zockelten wir denn gehorsam auf der Hauptstraße dahin, die alles Mögliche bot, nur nicht das geringste Zeichen von August. Auf der einen Seite dieser Straße liegen die Parkanlagen des Fürsten Putbus, auf der anderen reihen sich verschieden hohe Häuser aneinander, alle weiß, alle altmodisch und alle hübsch anzusehen. Am Rand der Anlagen bildet eine doppelte Reihe großer Bäume eine schattenspendende Allee mit einer Unzahl jener Sitzgelegenheiten aus Stein, die, wie ich überzeugt bin, so manchem redlichen Badegast zum Verhängnis werden. Von der Straße aus schlängeln sich saubere, gepflegte Wege bis in die Tiefen des schattigen Parks, ohne dass der schüchterne Tourist einen Zaun oder eine Mauer oder sonst ein Hindernis überwinden müsste; jedermann kann sich in ihm, solang und sooft er will, ergehen, ohne zuvor an Toren und Pförtnerhäusern irgendwelchen Schikanen ausgesetzt zu sein.