Elizabeth II. und die Lieben ihres Lebens - Gabriele Diechler - E-Book

Elizabeth II. und die Lieben ihres Lebens E-Book

Gabriele Diechler

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Beschreibung

Am 17. April 2021 muss Queen Elizabeth II. in der St. George's Kapelle in Windsor Abschied von Prinz Philip nehmen. Der Duke of Edinburgh war über siebzig Jahre ihr Fels in der Brandung. Am Morgen nach der Beerdigung blättert sie durch ihre Tagebücher und lässt ihr bewegtes Leben Revue passieren. Die Bilder ihrer Enkel vor Augen, erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit, die Vorbereitung auf ihre künftige Rolle als Königin und Oberhaupt des Commonwealth, und wie sie plötzlich in sehr jungen Jahren die Verantwortung für das Königshaus übernehmen muss und es als ihre Hauptaufgabe ansah, den Bürgerinnen und Bürgern in Zeiten der Krisen als Symbol der Stabilität Mut zu machen und die Familie der Windsors zusammenzuhalten.

Gabriele Diechler erzählt vom Leben einer epochemachenden Frau, der wir als Mutter und Schwester, Schwiegermutter und später Urgroßmutter begegnen – doch nicht zuletzt als Königin, die es wie keine andere versteht, ein Symbol der Einheit in einer unsicheren Welt zu sein. Darin sieht sie zeitlebens ihre Aufgabe. Im Dienst an der Krone und der Liebe.

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Seitenzahl: 516

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Cover

Titel

Gabriele Diechler

Elizabeth II.

und die Lieben ihres Lebens

Romanbiografie

Insel Verlag

Impressum

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eBook Insel Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4996.

© Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2023

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Designbüro Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagfoto: Keystone Press/Alamy/Mauritius Images, Mittenwald

eISBN 978-3-458-77806-6

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Abschied

1. Kapitel

Im Schoß der Familie

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Unruhige Zeiten

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Der schwerste Job der Welt

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Mit Ruhe und Entschlossenheit

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

Loslassen

38. Kapitel

Liebe Leserinnen und Leser

Literatur/Quellen

Informationen zum Buch

Elizabeth II.

Abschied

»Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe bezahlen.«

Eine der am häufigsten zitierten Äußerungen der Queen

1. Kapitel

17. April 2021

England, Schloss Windsor, St. George's Chapel

Der kastanienbraune Bentley kam zum Stehen. Doch der grüne Land Rover, der Philips Sarg transportierte, setzte unbeirrt seinen Weg zur Westtreppe der Kirche fort.

Elizabeth stieg in Begleitung ihrer Hofdame aus dem Wagen. Die Sonne hüllte diesen Samstagnachmittag in sanfte Strahlen. Wolkenfreier, blauer Himmel – wie eine Erinnerung aus glücklichen Zeiten mit Philip.

Zeiten, die unmissverständlich vorbei waren, denn gleich musste Elizabeth sich von dem wichtigsten Menschen ihres Lebens verabschieden. Von ihrem Mann Philip.

Unterhalb ihrer linken Schulter zierte die mit Diamanten besetzte Richmond-Brosche Elizabeth' Mantel. Die Brosche war ein Vermächtnis ihrer Großmutter Mary. Elizabeth' rechte Hand umklammerte die Henkel ihrer Handtasche, in der sie eins von Philips Stofftaschentüchern wie einen kostbaren Schatz trug. Er hatte sie, akkurat zu einem Quadrat gefaltet, in die Brusttasche seiner Jacketts gesteckt.

Bedächtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie musste sich ihre Kräfte einteilen. Doch sie würde auch diesen Tag überstehen.

David Conner, der Dekan von Windsor, senkte den Kopf zur Begrüßung. Sie wechselten ein paar Worte, während sie gemeinsam auf den Galilee Porch, einen Nebeneingang der Kirche, zugingen. Elizabeth drehte sich ein letztes Mal um und ließ den Blick schweifen. Dann verschwand sie in der Kirche.

Hier in St. George's Chapel hatte sie mit fünfundzwanzig Jahren von ihrem Vater, George VI., Abschied genommen. Jahre später waren ihre Schwester Margaret und ihre Mutter, die Queen Mum, gefolgt. Nun würde die Kirche auch Philips Ruhestätte werden.

Elizabeth' Schultern rundeten sich sanft nach unten. Die gebeugte Haltung war nicht nur dem heutigen Anlass geschuldet, sondern auch den vielen Jahren, die bereits hinter ihr lagen. Noch nie war sie sich der kurzen Zeitspanne, die ihr auf Erden noch blieb, so gewahr gewesen wie in diesen Minuten.

Der Stoff des Mantels schmiegte sich an ihren Körper, als sie ihren Platz betrat. Über sich das kunstvolle Fächergewölbe, setzte sie sich und öffnete die Handtasche. Langsam zog sie die Lesebrille hervor, klappte die Bügel auseinander und schob sie sich auf den Nasenrücken. Für einen Moment folgte ihr Blick dem Dekan, der in Richtung Westtreppe davonging, um gemeinsam mit dem Erzbischof von Canterbury Philips Sarg in Empfang zu nehmen.

In Kürze würde die Schweigeminute beginnen. Elizabeth hörte das Kanonenfeuer, eine Hommage an den Verstorbenen. Sie erhob sich, stand mit gefalteten Händen an ihrem Platz und spürte ihr Herz in der Brust klopfen, als die Orgelklänge von Schmücke dich, o liebe Seele ertönten. Das Zeichen, dass Philips Sarg angekommen war.

Die acht Sargträger – Mitglieder der Royal Marines – steuerten den vorderen Teil der Kirche an, dessen schwarz-weißer Boden einem Schachbrett ähnelte. Auf der königlichen Flagge, die den Sarg bedeckte, lagen Philips Marinekappe, sein Prunkschwert und ein aus weißen Blumen gefertigter Blumenkranz: Lilien, Rosen, Freesien, Wachsblumen, Wicken und Jasmin. Zwischen den Blumen befand sich eine Karte, auf deren Vorderseite in schwarzer Tinte In loving memory geschrieben war. Elizabeth' persönliche Worte an Philip, die nie jemand zu Gesicht bekäme.

Das Klackern der Schuhe der Sargträger begleitete die sanfte Orgelmusik. Der Chor stimmte Burial Sentences von William Croft an. Elizabeth' Hände ruhten auf dem Pult vor sich, während sie dem Gesang lauschte. Es war Philips ausdrücklicher Wunsch gewesen, die Trauerfeier im engsten Kreis in militärischem Stil abzuhalten. Jedes Detail der Zeremonie war von ihm selbst geplant worden. Er hatte sogar ausgesucht, welche Insignien auf den dafür angefertigten Kissen auf dem Altar platziert werden sollten. Ihr Mann hatte nichts dem Zufall überlassen. So war er gewesen. Akkurat, pflichtbewusst, genau.

Charles folgte zusammen mit seiner Schwester Anne in erster Reihe dem Sarg. In seinen Augen konnte Elizabeth die tiefe Trauer über den Verlust des Vaters lesen. Die Träger platzierten den Sarg auf dem Katafalk und drapierten die königliche Flagge. Dann traten sie ab.

Elizabeth blickte auf den Sarg. Die Fassung zu wahren, hatte sie das Leben als Königin gelehrt, schließlich war es ihre Aufgabe, ungeachtet der Umstände, dem Volk Stabilität zu vermitteln. So auch heute, denn nicht nur sie selbst, auch das Volk trauerte um Philip, den Duke of Edinburgh.

Langsam suchten sich alle ihren Platz, damit die Zeremonie in Kürze beginnen konnte. Elizabeth sah zu Edward und Sophie hinüber. Andrew, Anne, ihr Mann Timothy und Harry standen in derselben Reihe wie Elizabeth. Charles stand ihnen gegenüber, neben ihm seine Frau Camilla, nebst William und Kate.

»Wir sind heute hier, in St. George's Chapel, um die Seele seines Dieners, Prinz Philip, Duke of Edinburgh, in die Hände Gottes zu legen«, begann der Dekan von Windsor. »Mit dankbarem Herzen erinnern wir uns daran, auf welch vielfältige Weise sein langes Leben ein Segen für uns war. Er hat uns mit seiner unerschütterlichen Loyalität gegenüber unserer Königin inspiriert. Mit seinem Dienst an der Nation und dem Commonwealth, mit seinem Mut und seiner Standhaftigkeit und mit seinem Glauben aber auch durch den Mut, den er uns gab, durch seine Güte, seinen Humor und seine Menschlichkeit.«

Als der Chor zu singen begann, nahmen die Trauergäste Platz. Elizabeth fokussierte das Programmheft auf dem Pult und konzentrierte sich auf ihren Atem. Ihre Brust hob und senkte sich.

Dass zwei Menschen ihr gesamtes Leben miteinander verbrachten, war heutzutage selten geworden. Philip und sie hatten sich vor über siebzig Jahren ein gemeinsames Leben versprochen, und daran hatten sie in all den Jahren festgehalten. In einer Welt voller Veränderungen war Philip ihre Konstante gewesen. Er hatte ihr den Raum gegeben, Königin zu sein. Er allein hatte gewusst, wer sie war, wenn die offiziellen Türen hinter ihnen zugefallen waren. Dann war sie einfach nur Lilibet gewesen.

Elizabeth lauschte den Worten des Garter Principal King of Arms, Sir Thomas Woodcock, der Philips Titulatur vorlas.

Sie sah, wie Charles ein Taschentuch hervorholte und sich die Augen abtupfte.

Philips Sarg setzte sich in Bewegung. Er würde nun durch die Öffnung im Boden in das darunterliegende königliche Gewölbe hinabgelassen. Der Pipe Major des Royal Regiment of Scotland stimmte auf seinem Dudelsack Flowers of the Forest an.

Elizabeth wandte den Blick keine Sekunde von dem Sarg ab. Gleich wäre ihr Mann für immer fort, doch ihre gemeinsame Reise war noch nicht zu Ende.

Philip wartete in den Mauern unter der Kapelle auf sie, bis auch sie ihre letzte Ruhe fände. Erst dann würde ihr finaler gemeinsamer Weg beginnen, der sie vom königlichen Gewölbe in die King George VI. Memorial Chapel, eine kleine Kapelle am nördlichen Seitenschiff, führte. Dort würden sie, Seite an Seite, die Ewigkeit miteinander verbringen.

Doch bis dahin musste Elizabeth die Zeit ohne den Mann, den sie liebte und ohne den sie sich ein Leben kaum vorstellen konnte, bestreiten.

Im Schoß der Familie

… es waren Frauen, die dem harten Fortschritt der Menschheit Sanftheit und Mitgefühl eingehaucht haben.

Elizabeth II. in ihrer Weihnachtsansprache 1966

2. Kapitel

18. April 2021

England, Schloss Windsor

Terry Pendry hielt Elizabeth' Lieblingspferd am Zügel.

»Guten Morgen, Eure Majestät. Emma ist bereit.«

Elizabeth zog die Enden ihres Seidentuchs fest.

»Danke, Terry. Heute ist ein herrlich milder Tag, nicht wahr?«

»Perfekte Voraussetzungen, um auszureiten, Ma'am. Der Tag könnte nicht schöner sein«, erwiderte der Gestütsleiter aufmunternd.

Seit langer Zeit war es das erste Mal, dass sie einen Ausritt im Windsor Great Park wagte. Sie war eine routinierte Reiterin, doch in letzter Zeit schmerzte ihr Rücken, weshalb sie kürzergetreten war.

Elizabeth wandte sich dem Pferd zu und sprach ihm gut zu. »Dann wollen wir mal, nicht wahr, Emma?«

Ein Leben ohne Pferde konnte sie sich nicht vorstellen; sie ritt, seit sie drei war. Allerdings war es in ihrem Alter wichtig, ein Pferd zu reiten, das sicher im Tritt war.

Elizabeth ließ von Emma ab und nickte Terry auffordernd zu.

Emma stand mucksmäuschenstill, als Elizabeth sich nach oben zog und die Füße in die Steigbügel schob.

Die Königin nickte Terry Pendry noch einmal zu und schnalzte. Augenblicklich setzte Emma sich in Bewegung.

Wie immer ging Elizabeth mit der Bewegung des Tieres mit und spürte, wie ein Gefühl der Lebendigkeit ihren Körper durchströmte. Der Wind streichelte ihr Gesicht. Elizabeth fühlte sich frei und beschwingt, geradezu alterslos. So hatte sie schon lange nicht mehr empfunden.

Sie ließ den Blick schweifen, auf die Bäume ringsum, die Wiesen und den Himmel. Alle Sorgen ließ sie los.

Sie war noch nicht weit gekommen, da fiel ihr ein, dass sie die Papiertüte mit der Karotte vergessen hatte. Nach dem Reiten wartete Emma immer auf ihre Belohnung. An dieses Ritual war sie gewöhnt.

Der aufflammende Ärger über sich selbst verklang. Von einer Karotte würde sie sich den Ausritt nicht verderben lassen.

Sie zog die Zügel an, um Emma zu bedeuten, langsamer zu werden, doch stattdessen verfiel die Stute in Galopp und wurde immer schneller.

»Emma …«

Elizabeth fuhr hoch. Von fern glaubte sie leises Wiehern zu hören, doch dann realisierte sie, dass es Vogelzwitschern war. Das Trillern und Zirpen der Vögel drang durch das geöffnete Fenster in ihr Schlafzimmer und mischte sich mit dem Pochen ihres Herzens.

Erleichtert ließ sie den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Sie war aus einem Traum aufgeschreckt.

Sie sah auf die Uhr. 5.16 Uhr. Verschlafen kniff sie die Augen zusammen und drehte sich auf die andere Seite. Sie konnte noch weiterschlafen.

Den Geräuschen der Vögel lauschend, folgte sie ihrem Atem, drehte sich auf den Rücken und schob das Kissen zur Seite. Die Müdigkeit ließ sie gähnen, doch ihre Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Sie sah Philip als jungen Mann vor sich, kurz darauf in seinen Vierzigern, danach mit Anfang sechzig. Schließlich sah sie ihn an seinem letzten Tag.

Das Gefühl der Trauer strömte durch ihren Körper.

»Philip«, murmelte sie in die Dunkelheit.

Sie vermisste ihn furchtbar. Duke of Hazard – Herzog des Risikos – hatten die Briten ihn liebevoll genannt. Sein Humor war der perfekte Gegenpart zu ihrer disziplinierten Sachlichkeit gewesen.

Viele, die ihr nahegestanden hatten, lebten nicht mehr. Es wurde jedes Jahr stiller um sie.

Elizabeth konnte kaum glauben, dass ausgerechnet gestern, am Tag von Philips Beerdigung, Sir Michael Oswald verstorben war. Er hatte achtundzwanzig Jahre lang The Royal Stud, das königliche Gestüt auf dem Sandringham-Anwesen, geleitet und war schon der Rennberater ihrer Mutter gewesen – einer der nettesten und charmantesten Männer, die sie kannte. Selbst in seinen Achtzigern war er ein Mann mit enorm viel Energie gewesen.

Elizabeth wandte den Kopf. Die Zeiger des Weckers bewegten sich kaum weiter. Ihren Twinings English Breakfast-Tee mit Milch und ihre geliebten Marie Biscuits bekäme sie erst in gut zwei Stunden ans Bett gebracht.

Danach wartete ein Bad auf sie und gegen 9 das Frühstück.

Sie überlegte, ob sie heute Haferflocken mit getrockneten Aprikosen und Macadamianüssen nehmen sollte oder ein gekochtes Ei und Toast mit Marmelade.

In letzter Zeit hatten Philip und sie nach dem Frühstück BBC 4 gehört, doch Elizabeth scheute sich, das Ritual ohne ihn aufrechtzuerhalten.

Das Zwitschern der Vögel wurde lauter.

Sie dachte an die Aufgaben, die auf sie warteten. Die Arbeit half ihr, mit der Trauer umzugehen. Ohne Termine … wer war sie da?

Sie knipste das Licht an und nahm das Foto ihres Mannes vom Nachttisch. Es war eins der letzten, die es von ihm gab. Sie selbst hatte den wachen Ausdruck in seinen Augen festgehalten. Bis zuletzt hatte Philip interessiert, oft auch ungeduldig auf die Welt geblickt. Er hatte sich nie zurückgelehnt, um andere machen zu lassen. Desinteresse war nicht seine Sache gewesen.

»Wenn du und ich nicht mit gutem Beispiel vorangehen und etwas in Bewegung setzen, wer dann?«

Langsam ebbte der Schmerz ab, den sie jeden Morgen empfand, wenn ihr klarwurde, dass Philip nicht mehr da war. Elizabeth war niemand, der rückwärtsgewandt lebte. Lieber konzentrierte sie sich auf die vielbeschworene Gegenwart und die Zukunft.

Seit Philips Tod jedoch suchten sie ungewohnte Gedanken an die Vergangenheit heim. Sein Verlust gab ihr das Gefühl, einen Teil ihrer selbst verloren zu haben. Als sei sie nicht mehr vollständig. Und plötzlich schien es, als habe man nur noch die Erinnerungen mit diesem Menschen …

Ihre Stylistin Angela Kelly hatte sie nach der Beerdigung mit einem Blick, als wolle sie sie tröstend umarmen, in Windsor erwartet. Sie hatte diskret geschwiegen, während sie Elizabeth aus dem Mantel geholfen und sich ihres Huts angenommen hatte. Angela hatte geahnt, wie es ihr ging, und gewusst, dass Schweigen in dieser Situation das Beste war.

Ohne Mantel, Hut und Tasche hatte Elizabeth sich kurz darauf ins Wohnzimmer zurückgezogen. Sie hatte kaum das Geräusch der sich schließenden Tür wahrgenommen, froh, mit ihren Gedanken und Gefühlen allein zu sein. Die Polster hatten nachgegeben, als sie in die Couch gerutscht war. So hatte sie dagesessen, die Hände gefaltet, untröstlich wegen des Verlusts, der ihr widerfahren war.

Trauer war etwas ungemein Intimes. Niemand kam darum herum, sich dieser verstörenden Einsamkeit zu stellen. Und egal wie viele Familienmitglieder und Freunde einem blieben, die Einsamkeit nach dem Verlust des wichtigsten Menschen verließ einen nie ganz.

Elizabeth schob die Bettdecke bis unters Schlüsselbein.

Während der gestrigen Zeremonie hatte sie sich mit der Gewissheit getröstet, dass Philip immerhin friedlich eingeschlafen war.

»Ich widme mein Leben dir, Lilibet. Dir und der Krone. Du kannst auf mich zählen. Unter allen Umständen.«

»Und du auf mich«, hatte sie am Tag ihrer Verlobung erwidert. Sie hatte gespürt, wie nahe ihr diese Worte gingen, denn ihre Stimme hatte leicht gezittert.

Es hatte viele verbindende Situationen zwischen ihnen gegeben, aber auch viele schwierige. Sie hatten beide Fehler begangen.

Als sie Königin geworden war, hatte sie die Krone an erste Stelle gesetzt, um zu beweisen, dass sie das Zeug zu einer guten Monarchin hatte.

Als ihr schließlich klar geworden war, wie wenig sie für ihre Kinder Charles und Anne da gewesen war, hatte sie realisiert, dass niemand die Zeit zurückdrehen konnte. Auch sie nicht.

Bei den später Geborenen, Andrew und Edward, hatte sie gutzumachen versucht, was sie zuvor versäumt hatte.

Inzwischen hatten Charles und sie sich ausgesprochen und begegneten sich längst auf Augenhöhe. Wie sie selbst, arbeitete ihr Sohn unermüdlich für die Krone und war ihr eine wichtige Stütze. Und auch, wenn es ihr anfangs schwergefallen war, es zuzugeben, trug nicht zuletzt sein privates Glück dazu bei, dass sie einander wirklich nahegekommen waren.

Am Anfang ihrer Ehe hatte Elizabeth selbst erlebt, wie das Glück einen beflügeln konnte. Bei öffentlichen Auftritten hatten die Menschen ihr und Philip enthusiastisch zugejubelt. Offenbar hatten sie gespürt, dass sie einander von Herzen zugetan waren und aufeinander achtgaben. Dieses Glück hatte sie über Jahrzehnte befähigt, ihr Bestes für Großbritannien und den Commonwealth zu geben.

Elizabeth ließ ihre Gedanken ziehen und war gerade im Begriff aufzustehen, als sie plötzlich eine ungeheure Nähe zu Philip spürte. Es war, als läge seine Hand, tröstlich und warm, auf ihrer. Instinktiv hielt sie die Luft an und verharrte sitzend im Bett.

»Lilibet … Cabbage …«, hörte sie ihn wie von fern nach ihr rufen.

Unwillkürlich lächelte sie. Wie oft hatte Philip sie in den Anfangsjahren so gerufen, hatte sie geneckt, bis sie beide laut lachen mussten.

In ihrem Kopf wurde es wieder still, die Bilder rissen ab.

Sie schlug die Decke zur Seite, stellte das Foto zurück auf den Nachttisch und langte nach dem Wasserglas, um einen Schluck zu trinken. Im Bett zu bleiben, hatte keinen Sinn. Ihr blieb ohnehin nur noch eine kurze Zeitspanne auf Erden, was unerwartet tröstlich war.

Sie stellte das Glas wieder ab. Neben Philips Foto standen weitere Schnappschüsse in Silberrahmen. Unter anderem das Foto einer strahlend jungen Margaret neben ihrer Mutter, der Queen Mum.

Das Foto war zu Zeiten von Margarets heimlicher Liebe zu Peter Townsend aufgenommen worden. Nie war Margaret glücklicher gewesen als in jener Zeit.

Elizabeth tastete mit den Füßen nach ihren Pantoffeln.

Beim Anblick des Fotos empfand sie Glück und Traurigkeit. Damals hatte sie nicht ahnen können, dass Margarets Leben für immer vom Verzicht auf Peter überschattet sein würde.

Höhen und Tiefen, Freuden und Enttäuschungen gehörten zu jedem Leben. Doch die unmögliche Liebe ihrer Schwester war nicht nur für Margaret selbst, sondern auch für Elizabeth einschneidend gewesen. Wie schwer war es ihr damals gefallen, ihrer Rolle als Königin gerecht werden zu müssen.

Dass ihrer Schwester verwehrt geblieben war, was sie selbst so lange hatte genießen dürfen – ein gemeinsames Leben mit dem Mann, den sie liebte –, hatte Elizabeth selbst nach Margarets Tod noch bekümmert.

Auch in ihrer Ehe hatte es Auf und Abs gegeben, doch Philip und sie waren stets fest entschlossen gewesen, einander in allen Lebenslagen zu unterstützen.

Elizabeth zog den Morgenrock über. Von dem Zwitschern der Vögel abgesehen, herrschte im Zimmer wunderbare Stille. Auf ihren Stock gestützt, ging sie zum Fenster, öffnete es und sah in den Park hinaus.

Sie hatte jahrzehntelanges Training darin, ihren Gefühlen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, doch es gab Empfindungen, die auch sie nur schwer unter Kontrolle brachte. Zum Beispiel die Gewissheit, dass es für nichts und niemanden ein Zurück gab.

Sie machte ein paar Schritte zur Kommode. In letzter Zeit hatte es kaum Tage gegeben, an denen sie nicht an Harry und William und das ehemals unzertrennbare Band zwischen den Brüdern gedacht hatte.

Seit er mit Meghan zusammen war, wirkte Charles' Jüngster bisweilen, als hätte er keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Elizabeth' ausgestreckte Hand, die sie Harry – symbolisch – immer wieder reichte, schien er nicht fassen zu können.

Bei dem Gang hinter Philips Sarg hatten William und Harry nicht, wie früher, auf die Kraft ihrer brüderlicher Liebe zählen können. Zwar waren sie dem Trauerzug zur St. George's Chapel in gleicher Reihe gefolgt, allerdings mit ihrem Cousin Peter Phillips, Annes Sohn, als eine Art Schutzwall zwischen sich. Das Manko ihrer Verbundenheit hatte die ganze Nation bezeugen können.

Harry schien aus der schützenden Hülle, die William und Kate lange Zeit für ihn gewesen waren, herausgefallen zu sein. Wie konnte sie ihm nur helfen?

»Ich hoffe, die beiden begraben ihren Zwist und gehen aufeinander zu. Die Zeit macht die Dinge nicht leichter. Zerstritten zu sein, hilft niemandem …«, hatte Philip noch kurz vor seinem Tod betrauert.

Geduld war nie seine Stärke gewesen. Philip hatte Dinge rasch gelöst und stets entschlossen nach einem Ausweg gesucht.

In Harrys und Williams Fall gab es jedoch keine schnelle Lösung. Philip hatte sich deshalb oft ohnmächtig gefühlt. Und nun hatte seine Beerdigung den Konflikt der beiden noch deutlicher zu Tage treten lassen.

Aus Rücksicht auf Harry hatte Elizabeth wenige Tage vor der Beisetzung den Dresscode für die Trauergäste ändern lassen. So wollte sie verhindern, dass Harry sich vorgeführt vorkam. Nach dem Rücktritt als Senior Royal musste er seinen militärischen Ehrentitel aufgeben und ihm wäre nichts anderes übrig geblieben, als in einem dunklen Anzug mit Dienstorden zu erscheinen. Und um ihm unangenehme Gefühle zu ersparen, hatte sie bestimmt, dass alle Männer in Cutaways mit einer schwarzen Krawatte erscheinen sollten.

»Harry, ich wünsche mir von Herzen, dass du dein Glück findest«, murmelte Elizabeth.

Früher oder später, so hoffte sie, würde es zu einer Aussöhnung zwischen ihren Enkeln kommen. Die Frage war nur, ob sie es noch erlebte.

Sie verließ ihr Schlafgemach, grüßte die Wachen und ging in das Zimmer, in dem die Hunde schliefen. Candy und Muick hüpften aus ihren Körben und schnüffelten an ihren Beinen. Der Corgi-Dackel-Mischling Sandy und der Cockerspaniel Lissy taten es ihnen nach.

Elizabeth tätschelte die Hunde, dann ging sie, auf ihren Stock gestützt und von den Hunden flankiert, in ihre Gemächer und zu ihrem Schreibtisch. Die Hundeschar legte sich nieder, als sie in ihrem Sessel Platz nahm.

Sie schlug ihr aktuelles Tagebuch auf und huschte über die Zeilen, die sie am Tag zuvor hineingeschrieben hatte.

Wir sind alle nur auf der Durchreise. Und wenn unsere Zeit auf Erden vorbei ist, kehren wir heim.

Die Hunde gaben leise Laute von sich. Elizabeth beugte sich zu ihnen hinab und streichelte sie. Mit einem leisen Seufzen ließ sie von ihnen ab und dachte an Philips Beerdigung.

Wegen der Pandemie war sie reduziert abgelaufen, im Gegensatz zu der letzten royalen Beerdigung sechs Jahre zuvor, als zehntausende Menschen die Straßen gesäumt hatten, während der letzte König aus dem Hause Plantagenet, dessen Tod in der Schlacht von Bosworth 1485 den Aufstieg der Tudors bedeutet hatte, zu Grabe getragen worden war.

Es war lange unklar gewesen, wo sich sein Leichnam befand, doch dann hatte man seine Überreste 2012 unter einem städtischen Parkplatz in Leicester gefunden. Weil man dem König nachsagte, ehemals seinen Neffen im Tower von London ermordet zu haben, hatte Elizabeth sich durch Sophie, die Frau ihres Sohnes Edward, vertreten lassen. Sophie hatte der Wiederbestattung beigewohnt, die nach mittelalterlichen Regularien der katholischen Kirche abgehalten worden war, mit Rittern in glänzenden Rüstungen und stundenlangen Berichterstattungen …

Elizabeth nahm eines ihrer älteren Tagebücher zur Hand und blätterte durch die Seiten.

Als Monarchin muss man menschlich und optimistisch, sympathisch, standhaft, interessiert und trotz allem neutral sein, denn als Königin Großbritanniens ist man so etwas wie die Verkörperung einer guten Zukunft.

Zurückhaltung und Selbstbeherrschung sind der Schlüssel zur Seele des britischen Volkes. Doch man muss auch mit der Zeit gehen.

Anfang der siebziger Jahre, als sie dazu übergegangen war, nicht nur mit Bürgermeistern und Regierungsmitgliedern, sondern mit den Menschen auf der Straße näher in Kontakt zu treten, war das ausgesprochen positiv aufgenommen worden. Zur Freude der Medien, vor allem aber zum Vergnügen der Menschen in Neuseeland hatte sie in Wellington den Wagen erstmals vor dem roten Teppich in der Innenstadt, der ihretwegen ausgerollt worden war, anhalten lassen. Sie war mit Philip ausgestiegen und auf die Menschen zugegangen.

Unvergesslich, wie erstaunt die Frauen und Männer gewesen waren, als Elizabeth sie gefragt hatte, wie es ihnen ging und ob sie einen schönen Tag hatten. Der Walkabout war geboren.

Die Medien hatten geschrieben, sie wäre ein wenig vom Weg abgekommen … Doch Elizabeth hatte es besser gewusst. Die Monarchie würde nie wieder dieselbe sein.

Sandy riss die Schnauze auf und gähnte. Mit einem leisen Geräusch schmiegte sie sich an Elizabeth' Fußgelenk.

Wie gern hätte sie Philip noch einmal dafür gedankt, dass er den langen Weg mit ihr gemeinsam gegangen war, und auch dafür, dass sie in den letzten Wochen die kleinen Dinge zu großen gemacht hatten.

Im Gegensatz zu ihrer behüteten Kindheit waren seine Kinderjahre von Flucht und einem fehlenden Zuhause überschattet gewesen.

Nach dem Militärputsch in Griechenland 1922 war Philips Familie ins Exil gegangen. Seine Mutter, Alice von Battenberg, nach Paris, sein Vater nach Monte Carlo, wo er bald mit seiner Geliebten lebte.

In der Fremde war Alice von Battenberg auf das Wohlwollen ihrer Verwandten und Freunde angewiesen gewesen, und als bei ihr Anzeichen von Schizophrenie festgestellt worden waren, hatte Philips Onkel, Louis »Dickie« Mountbatten, seine Schwester in eine psychiatrische Klinik in der Schweiz einweisen lassen. Ab da hatten sich Verwandte um Philip gekümmert. Seine Mutter hatte er nur noch wenige Male gesehen und mit seinem Vater lediglich in schriftlichem Kontakt gestanden.

Ihre eigene Kindheit war gänzlich anders verlaufen. Elizabeth hatte sich stets umsorgt gefühlt: von ihrem Kindermädchen, ihren Eltern, den Großmüttern und besonders von ihrem Großvater, dem König, Grandpa England.

Selbst heute noch verkraftete sie die Schwere mancher Situationen wegen dieses Reservoirs an Geborgenheit, auf das sie immer zurückgreifen konnte.

»Mut wird dir eines Tages dabei helfen, deine eigene Furcht zu überwinden, Lilibet.«

Dieser Satz stammte von ihrem Großpapa. Sein Gefühl für Häuslichkeit und seine Vorliebe für das Normale hatte Elizabeth übernommen. Ebenso seine Tatkraft.

»Und vergiss nie, die Launen des Augenblicks müssen hinter der Pflicht zurückstehen. Das darfst du nie vergessen.« Vor allem dieser Satz von ihm hatte sie entscheidend geprägt.

Die Ausstrahlungskraft Georges V. hatte in seiner Einfachheit gelegen. Wenn er über den Rundfunk zu den Menschen sprach und man seine warme, gutturale Stimme hörte, war er für Millionen von ihnen real.

Auch ihr Vater hatte Elizabeth vergöttert.

»Dich zum ersten Mal im Arm zu halten, Lilibet, war ergreifend. Dieses Erlebnis werde ich bis zu meinem letzten Tag nicht vergessen.«

Auch nach Jahrzehnten sehnte Elizabeth sich manchmal nach ihren Eltern und Großeltern. Wenn die Sehnsucht zu groß wurde, schloss sie die Augen und erinnerte sich an sie …

3. Kapitel

April/Mai 1926

England, London, Mayfair und Buckingham-Palast

Tränen der Ergriffenheit stiegen der Herzogin in die Augen, während sie mit leiser Stimme auf das Baby in ihrem Arm einsprach. Sie strich über die Stirn des Neugeborenen, griff nach der winzigen Hand und begann die kleinen Finger, einen nach dem anderen, abzuküssen.

Dabei sprach sie leise vor sich hin: »Es ist ein Wunder, dass du bei uns bist, Elizabeth. Das größte Wunder überhaupt.«

Königin Victoria hatte den Akt des Stillens ehemals als den Ruin intellektueller und raffinierter junger Damen tituliert. Welch ein selbstgewählter Verlust an Nähe, fand die Herzogin.

Als sie Elizabeth am vergangenen Tag zum ersten Mal angelegt hatte, hatte sie sogleich ein Gefühl tiefer Verbundenheit mit dem kleinen Wesen an ihrer Brust durchströmt. So ging es ihr auch jetzt wieder, als das Baby sich mit zusammengekniffenen Augen zu ihr drehte.

Während Elizabeth selig trank, gab die Herzogin sich dem Gefühl ergriffener Dankbarkeit hin, das das kleine Wunder in ihren Armen in ihr auslöste. Sie wollte das Beste für das Neugeborene, und was gab es Förderlicheres, als das Baby während des Stillens die innige Nähe zur Mutter spüren zu lassen.

Die Herzogin hatte sich entschieden ihr Kind in 17, Bruton Street, dem Londoner Wohnsitz ihrer Eltern, zur Welt zu bringen, einem Gebäude im Mayfair-Stil mit einer Säulenfront. Am Ende der Straße lag der Berkeley Square. Dort sangen die Nachtigallen, und in der Dunkelheit flogen Eulen umher.

Auf den Wegen des Berkeley Square würde Mrs Knight das Neugeborene im Kinderwagen spazieren fahren. Clara Knight, hochgewachsen und helläugig, war schon die Kinderschwester der Herzogin gewesen, als sie noch Elizabeth Bowes-Lyon gewesen war.

Mrs Knight war eine Frau, die mit Hingabe die Rolle der stellvertretenden Mutter übernahm, entschlossen, stets mit allem fertigzuwerden und kaum je einen freien Tag zu nehmen. Derart unterstützt, fühlte die Herzogin sich für die erste Zeit nach der Geburt gewappnet.

Trotz dieser Umstände hatte sie sich ein wenig vor der Geburt gefürchtet. Sie war sich jeden Tag ihrer Schwangerschaft darüber im Klaren gewesen, dass sie im Beisein des Innenministers entbinden würde. An dieser Sitte, die auf ein Ereignis im späten 17. Jahrhundert zurückging, als König James II. und Königin Mary Beatrice beschuldigt wurden, ihr tot geborenes Baby gegen ein fremdes lebendes ausgetauscht zu haben, um die Thronfolge zu sichern, war nicht zu rütteln. Seitdem stellte man sicher, dass das Neugeborene ein Königskind war, und schickte Zeugen, die der Geburt beiwohnten.

Jedoch machte es einen Unterschied, ob man dies vom Hörensagen wusste oder es selbst erlebte. Wahrscheinlich war es dem Innenminister unangenehm gewesen, bei der Geburt des ersten Kinds des Herzogpaars von York anwesend zu sein. Seine Anwesenheit in der Intimität des Hauses ihrer Eltern, des Earl und der Countess of Strathmore, hatte sich auch für ihn falsch angefühlt.

Schlussendlich hatte die kleine Elizabeth per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickt.

Als die Herzogin aufwachte, war der Innenminister schon fort, und sie sah in das selig lächelnde Gesicht ihres Mannes, der sie mit geröteten Wangen anstrahlte und dankbar ihre Hand drückte, während er ihr berichtete, was geschehen war. »Du hast eine wunderschöne Tochter zur Welt gebracht. Dafür kann ich dir nicht genug danken.«

Bertie war die Erleichterung, dass es seiner Frau und dem Baby gut ging, deutlich anzusehen gewesen. Er hatte sich ernsthaft Sorgen um beide gemacht.

»Hast du Schmerzen, Elizabeth? Soll ich den Arzt rufen?«

Die Herzogin hatte matt gelächelt und von ihrem Unterbauch, den sie vorsichtig abgetastet hatte, abgelassen. »Mach dir keine Sorgen, Bertie. Ich bin kein zartes Pflänzchen, das vom ersten Wind umgepustet wird, auch wenn manche das vielleicht vermuten würden.« Die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Es ging ihr soweit gut.

»Eine deiner Stärken, für die ich unendlich dankbar bin«, hatte Bertie sie gelobt.

Falls es noch eines Beweises bedurft hatte, dass seine Frau die Richtige für ihn war, hatte er ihn nun erhalten.

Als die Herzogin ihre Tochter an diesem Tag endlich zum ersten Mal im Arm hielt, empfand sie unermessliche Liebe für das kleine Wesen.

»Wissen der König und die Königin Bescheid?«, hatte sie, ohne die Augen von dem Baby zu lösen, von ihrem Mann wissen wollen.

»Selbstverständlich haben sie von ihrer Enkelin erfahren.« Bertie hatte minutiös aufgezählt, welche Schritte unternommen worden waren.

George V. und seine Frau Mary hatten vor der Geburt strikte Weisung erlassen, jederzeit über Veränderungen des Zustands ihrer Schwiegertochter informiert zu werden.

Der diensthabende Oberstallmeister, Reginald Seymour, persönlicher Assistent des Monarchen, hatte den König und die Königin in den frühen Morgenstunden geweckt, um ihnen die frohe Botschaft zu überbringen.

Am Nachmittag machten der König und die Königin sich im Auto von Windsor nach London auf, um ihre erste Enkelin in Augenschein zu nehmen.

Als der königliche Wagen eintraf, warteten bereits unzählige Gratulanten. Die Bruton Street war voll von Menschen, die auf die Nachricht der Entbindung warteten. Die Menge jubelte dem König frenetisch zu. Sein Erscheinungsbild verkörperte Tradition und Kontinuität, Pflichtbewusstsein, Würde, Mut und Aufrichtigkeit. Wie immer waren seine Beinkleider seitlich gebügelt, ohne Bügelfalte vorn und hinten, und im Knopfloch seines Gehrocks steckte eine weiße Gardenie. Höchsten Wert legte er jedoch auf gesunden Menschenverstand und Fleiß.

George V. bedankte sich mit mehrmaligem Nicken bei den Menschen. Ergriffen nahm er die Freude der Wartenden in Empfang und schnappte hier und da sogar einen Kommentar auf. Man munkelte, das Neugeborene habe blonde Haare und große blaue Augen und kleine Ohren, die dicht an seinem wohlgeformten Kopf anlagen.

»Es ist unglaublich, wie sehr die Menschen sich freuen. Sie sind außer sich«, sagte George zu seiner Frau, als sie das Haus der Schwiegereltern ihres Sohnes betraten.

Königin Mary ging vor ihrem Mann in den Raum, in dem ihre Schwiegertochter sich befand. Ohne zu zögern, beugte sie sich über ihre Enkelin.

»Gott im Himmel, dieses Kind ist entzückend«, rief sie. Ihre Stimme klang freudig. »Obwohl ich wünschte, du wärst mehr deiner Mutter nachgeraten«, ergänzte sie Augenblicke später. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das rasch wieder ihrer gewohnt ernsten Miene Platz machte.

Bertie begrüßte seine Eltern mit gedämpfter Stimme. »Wir freuen uns so sehr über dieses kleine Wesen«, sagte er. »Mit diesem Kind ist unser Glück vollkommen.« Er strich seiner Tochter liebevoll über das zarte Köpfchen, während er die Worte aussprach.

»Aber hoffentlich nur, bis das nächste kommt«, erwiderte die Königin. »Es werden doch weitere Kinder folgen?«

»So Gott will.« Bertie warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu. Aus den Augen der Herzogin las er ihr Einverständnis.

Die Königin selbst hatte sechs Kinder zur Welt gebracht. Und ihre Schwiegertochter würde sicher bald wieder schwanger werden, wenn sie sich erst erholt hätte, hoffte sie.

Das ärztliche Bulletin über Mutter und Kind umschrieb den Umstand, durch den die Herzogin ihre Tochter Elizabeth Alexandra Mary – benannt nach ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter – am Mittwoch, den 21. April, um 2.40 Uhr zur Welt gebracht hatte, mit vorsichtigen Worten: »Eine bestimmte Art der Behandlung wurde erfolgreich angewandt«, hieß es schlichtweg.

Ein inoffizieller Stadtausrufer gab der Menschenmenge Details bekannt. Die jahrhundertealte Tradition ging bis ins mittelalterliche England zurück, als Stadtausrufer der Öffentlichkeit Neuigkeiten verkündeten, da damals viele Menschen Analphabeten waren.

Die Zeitungen drückten ihre Freude über das Ereignis an den darauffolgenden Tagen wiederholt aus. Die Geburt der Tochter des Herzogs und der Herzogin von York sorgte für Freude im ganzen Land, doch niemand maß dem besondere Bedeutung bei. Elizabeth stand außerhalb der direkten Thronfolge. Der Prince of Wales, Berties Bruder David, würde dereinst seinen Vater König George V. ablösen. Diese Tatsache sicherte Elizabeth von Beginn an ein ruhiges und zurückgezogenes Leben. Genau das wünschten sich der Herzog und die Herzogin für ihr Kind.

Einige Tage nach dem Besuch seiner Eltern schrieb Bertie seiner Mutter einen Brief.

Ich bin so stolz auf Elizabeth, meine Frau, nach allem, was sie in den letzten Tagen hat durchstehen müssen. Ich hoffe aufrichtig, dass Du und Papa ebenso glücklich seid, eine Enkelin zu haben. Darf ich vielleicht hinzufügen, dass ich hoffe, Ihr werdet das Kind nicht verwöhnen, wenn es größer geworden ist.

Und seinem Vater schrieb er:

Ich hoffe, dass Du mit den Namen Elizabeth Alexandra Mary einverstanden bist. Ich bin überzeugt, dass es trotz zwei Elizabeth in der Familie zu keinen Verwechslungen kommen wird. Wir legen großen Wert darauf, dass sie Elizabeth gerufen wird, denn es ist ein so hübscher Name, und seit langem hat es niemanden dieses Namens in unserer Familie gegeben. Auch Elizabeth von York klingt so hübsch …

George V. antwortete seinem Sohn umgehend:

Er gefällt mir. Es ist ein hübscher Name … Mir bleibt allerdings nicht verborgen, dass Du Victoria nicht erwähnst, die größte Königin überhaupt …

Bertie hatte nicht vergessen, dass Victoria ihrerseits verfügt hatte, dass alle Kinder in der Thronfolge die Erinnerung an ihren geliebten Ehemann Albert und sie selbst wahren sollten.

Ich halte das eigentlich nicht für notwendig, antwortete Bertie, Elizabeth kommt schließlich nicht für die Thronfolge in Betracht.

Die Taufe nahm Cosmo Lang, der Erzbischof von York, am 29. Mai in der Privatkapelle des Buckingham-Palasts vor. Das goldene Taufbecken von 1840 war eigens aus Windsor nach London gebracht und mit Jordanwasser befüllt worden.

»Deine Taufe ist eine bedeutende Veranstaltung, Elizabeth«, bereitete die Herzogin ihre fünf Wochen alte Tochter auf das Ereignis vor. Sie sprach mit beruhigender Stimme auf das Kind ein. »Es ist dein erster öffentlicher Auftritt … und schau dir nur dieses prachtvolle Taufkleid an.«

Es war aus Seide und Spitze und 1841 für die Taufe von Königin Victorias Tochter, Prinzessin Victoria, angefertigt worden.

Bertie kam ins Zimmer geeilt. Die Herzogin war bereits angekleidet und hatte sich ihre Perlen anlegen lassen. »Elizabeth muss noch angekleidet werden. Ich hoffe, sie bleibt während der Taufe ruhig und schreit nicht.«

Berties Lächeln überzog sein ganzes Gesicht. Er warf einen zärtlichen Blick auf seine Tochter. »Elizabeth kann nichts falsch machen. Genau wie du. Nicht in meinen Augen.«

Er war nervös, wollte es sich aber nicht anmerken lassen, ahnte die Herzogin. Bertie hatte Angst, er könnte stottern, wenn er später etwas sagen musste. Elizabeth half ihm, so gut sie konnte, mit dieser Belastung umzugehen. Doch es war nicht immer leicht, schließlich konnte sie ihm die Pflichten als Vater, der bei der Taufe seines Töchterchens ein paar Worte sagen sollte, nicht ersparen.

Als bei der Taufe das Wasser das Köpfchen der kleinen Prinzessin benetzte, setzte Elizabeth zu einem entsetzten Krähen an.

»Schhh …«, besänftigte die Herzogin. Sie wiegte ihre Tochter hin und her und schaffte es schließlich, sie zu beruhigen.

Nachdem der offizielle Teil der Taufe samt Fototermin hinter ihnen lag, zogen Bertie und Elizabeth sich zurück.

Die Herzogin gab ihren Gefühlen eine Stimme. »Ich bin dem Herrgott dankbar, dass Elizabeth und ihre Geschwister, sollten uns weitere Kinder beschieden sein, in Ruhe aufwachsen können.« Sie ließ sich in den Sessel sinken, erleichtert, dass sie den Tag so gut überstanden hatten. »Wir dürfen ein Leben in Zurückgezogenheit führen, fernab der ersten Reihe. Ein Leben in Zufriedenheit und Harmonie.«

Bertie teilte die Ansicht seiner Frau. Er konnte sich ein Leben als Nachfolger seines Vaters nicht mal im Traum vorstellen. Gott sei Dank wäre sein Bruder David dereinst König. Er wäre Zwängen unterworfen, während Bertie und seine Familie frei leben konnten. David hatte einen anderen Charakter als Bertie. Er stand gern im Mittelpunkt, feierte Nächte durch und war zudem beim Volk sehr beliebt.

»Wir haben Glück, Elizabeth«, stimmte Bertie seiner Frau zu. Er drückte zärtlich ihre Hand. »Und dieses Glück werden wir festhalten.«

Er sah das Antlitz seiner Tochter vor sich. Die Liebe ihrer Eltern und Großeltern wäre Elizabeth für immer sicher. Diese Liebe und die Werte, die sie vermittelt bekäme, würden ihren Charakter positiv prägen.

»Wir dürfen nie vergessen«, sprach er weiter, »dass wir das Glück auf unserer Seite haben. Elizabeth wird umsorgt und behütet in London und auf dem Land aufwachsen.«

Die Herzogin klopfte mit der flachen Hand auf die Lehne des Sessels. Bertie verstand die Geste, ging zu seiner Frau und sank auf die ausladende Sessellehne.

»Weißt du, Bertie, bevor wir einander begegnet sind, lag ich manchmal nachts wach im Bett und habe mir ausgemalt, in nicht allzu ferner Zeit ein glückliches Familienleben mit einem Mann und Kindern zu führen. Ich habe alles in bunten Bildern vor mir gesehen.« Die Herzogin lachte leise bei der Erinnerung. »Meine Freundinnen taten dasselbe. Wir sprachen darüber, wie wunderbar unser Leben verlaufen würde und welcher Mann für welche von uns infrage käme.«

»Und dann war eines Tages ich da«, spann Bertie den Faden weiter. »Über mich habt ihr sicher nicht gesprochen.«

Die Herzogin lächelte noch immer. »Woher willst du das wissen?«

»Deine Eltern waren jedenfalls nicht beeindruckt von deinem Verehrer.«

Elizabeth gab ihrem Mann einen verspielten Klaps auf den Unterarm.

Eines Abends hatte ihre Mutter sie in ihrem Ankleidezimmer aufgesucht. Bertie war wieder einmal von Balmoral herübergekommen, meist tauchte er kurz vor dem Abendessen in Glamis auf.

»Nur weil Prinz Albert dir den Hof macht, versinken wir nicht in Ehrfurcht«, hatte ihre Mutter gesagt.

Sie entstammte dem englischen Zweig der niederländischen Adelsfamilie Bentwick und war außerdem eine Nachfahrin des englischen Königs Heinrich VII. aus dem Haus Tudor, und wie die meisten Schotten war sie England gegenüber distanziert.

Elizabeth war die zweitjüngste der zehn Kinder Lady Strathmores und hatte nicht vergessen, was ihre Mutter ihr ans Herz gelegt hatte.

»Keine Sorge, ich achte nicht nur auf den äußeren Schein, Mummy«, hatte sie versprochen.

Lady Strathmore strich eine Haarsträhne aus Elizabeth' Gesicht. »Niemand sollte sich von äußerem Glanz beirren lassen. Vor allem junge Damen nicht. Du tust recht daran, zurückhaltend zu sein.«

»Ich nehme es mit der Herzenstreue ernst, wie du es mich gelehrt hast. Ich suche Reinheit in einem Menschen und fühle mich nicht zu Männern hingezogen, die ein unstetes Leben führen.«

Elizabeth hätte sich nicht mal vorstellen können, etwas vor ihrer Mutter geheim zu halten oder zu verschleiern. Das hätte sie niemals ausgehalten.

»Recht so, Elizabeth. Dein Vater und ich sind uns bewusst, dass es manchem langweilig erscheint, wenn wir, nachdem ein Abend in Glamis zu Ende geht, unseren Gästen Kerzen reichen, damit sie sich in ihre Schlafzimmer zurückziehen. In unserem Haus wird Gesellschaft hoch gehalten, das weißt du, aber es gibt keine neckischen Spielchen wie andernorts. Jungen Herren sollten die Probleme, die sich mitunter nach übertriebener Ausgelassenheit ergeben, erspart bleiben. Von jungen Damen möchte ich gar nicht reden.«

Elizabeth hatte ihre Mutter geküsst und sich dann wieder ihrer Routine gewidmet. »Bitte richte Bertie aus, dass ich noch nicht fertig bin.«

»Das mache ich, mein Kind.«

Damit war die Unterredung beendet gewesen.

Ihre Erziehung, vor allem der Einfluss ihrer Mutter, waren ein Grund, weshalb Elizabeth ihren königlichen Verehrer abblitzen ließ und zwei Anträge ausschlug. Doch sie tat es auch um ihretwillen, denn sie wusste genau, was sie wollte. Eine Zeit lang vermutete sie, Bertie gäbe auf, doch er machte ihr weiter den Hof, froh, wenn er kurz ihre Fingerspitzen berühren durfte.

Doch dann, ohne dass sie sich dessen recht bewusst war, erfasste Elizabeth Berties Charakter in seinem ganzen Ausmaß. Er war ein Mann, der nie auf die Idee gekommen wäre, ohne lautere Absichten mit einer Frau ins Bett zu gehen, wie viele andere junge Männer es taten. Bertie stand für Stetigkeit, Ehrenhaftigkeit, Loyalität und Liebe. Sicher, er war schüchtern, doch das erdete ihn und war ein Grund für seine Bescheidenheit, die Elizabeth gefiel. Wie Elizabeth liebte er das Landleben und Pferde. Und so gab sie seinem Werben schließlich beim dritten Mal nach und heiratete ihn 1923.

Dass Bertie bis zu seinem siebten Lebensjahr fließend sprechen konnte, ab da jedoch stotterte, akzeptierte Elizabeth. Sie hatte darüber nachgedacht und führte den Makel – so empfand Bertie sein Stottern – auf die harte Hand zurück, mit der der König, seine Kinder erzogen hatte. Von seinen Geschwistern war Bertie wegen des Sprachfehlers aufgezogen worden. Zudem war die Beziehung zu seiner Mutter angespannt. Königin Mary war ihren Kindern gegenüber auf tragische Weise gehemmt. Sie war stolz auf sie, doch war zwischen ihr und den Kindern stets eine Fremdheit spürbar.

Auch ansonsten hatte es für Bertie wenig Hoffnung auf Verständnis und Liebe gegeben. Als Linkshänder war er von seinem Hauslehrer gezwungen worden, mit der rechten Hand zu schreiben. Und dann waren da die Schienen, die er als Kind wegen seiner X-Beine tragen musste. Berties Kammerdiener nahm sie ihm manchmal aus Mitleid ab, wenn der Junge nachts bitterlich weinte.

Dies alles und obendrein noch ein Kindermädchen, das die Kinder des Königs quälte, hatten bewirkt, dass Bertie sich immer mehr in seine eigene Welt zurückzog. Seine Eltern taten es als Bockigkeit ab, was eine Fehleinschätzung war. Fest stand, dass die frühen Erlebnisse Bertie zu dem Mann hatten werden lassen, den Elizabeth in Glamis kennen- und lieben lernte.

Und nun waren sie eine Familie und hatten eine entzückende Tochter.

Die Herzogin lehnte den Kopf an die Sessellehne und sann über ihre Tochter nach. »Ich werde im Schlossflügel in Glamis ein Kinderzimmer für Elizabeth einrichten lassen. Von dort kann sie vom Fenster aus auf die Gartenanlagen ihrer Granny sehen.«

»Das ist eine hervorragende Idee«, stimmte der Herzog ihr zu.

Nachmittags würden Lady Strathmore oder die Kinderfrau Elizabeth im Kinderwagen ausfahren. Die Herzogin sah die von gestutzten Eiben gesäumten Wege und das blaugeflieste Becken mit dem steinernen Amor vor sich. In Glamis ginge es ihrer Tochter gut.

»Versprich mir, Bertie, dass wir immer alles für unsere Tochter tun werden, was auch geschieht.« Elizabeth von York beugte sich zu ihrem Mann hinüber, griff nach seiner Hand und drückte sie kaum merklich. »Familie ist das Wichtigste«, sagte sie, als wisse er das nicht längst.

Bertie strich mit der freien Hand über die Wange seiner Frau. Einmal mehr empfand er es als Geschenk des Schicksals, dass er nicht den Thron besteigen würde. Dieser Umstand schützte nicht nur ihn selbst und seine Frau, sondern auch die kleine Elizabeth.

4. Kapitel

1928/29

England, Northamptonshire, Naseby Hall, London, Buckingham-Palast

Elizabeth' kleine Hand war in den Mähnenkamm des Ponys vergraben. Mit einem versonnenen Ausdruck tätschelte sie die ausgeprägte Oberlinie des Halses, und es schien, als habe das Mädchen alles um sich herum vergessen.

Aufmerksam verfolgte Bertie das Tun seiner Tochter. Die Ruhe, die Elizabeth ausstrahlte, während sie das Pony liebkoste, ging auf ihn über. Wenn er mit seiner Tochter zusammen war, gab es für Bertie nur noch ihn und sein kleines Mädchen.

Winston Churchill hatte Elizabeth, als sie zwei Jahre alt gewesen war, Autorität und Nachdenklichkeit zugesprochen, was, wie Bertie fand, eine recht passende Einschätzung ihres Wesens war.

»Halt dich fest, Lilibet«, mahnte er die Zweieinhalbjährige, schwankend zwischen Spaß und Sorge, Elizabeth könne vor Übermut vom Pony fallen, wenn sie sich noch weiter vorbeugte.

Elizabeth indes deutete auf ihre Hände, die sich fest mit dem Mähnenkamm verflochten hatten. In ihrer Stimme schwang Begeisterung mit.

»Das Pony ist ganz furchtbar brav, Papa.« Wie zur Bestätigung ihrer Worte beugte sie sich ein weiteres Mal vor und legte den Kopf auf die Mähne des Ponys. »Bekomme ich mal ein eigenes?« Sie richtete sich wieder auf und schüttelte ihr Haar, sodass die Enden sich verspielt nach außen kringelten. »Ich nenne es Peggy.«

Als sie ihren Traum in Worte gefasst hatte, lief Elizabeth' Gesicht vor Aufregung rot an. Ihr größter Wunsch war ein eigenes Pony, auf dem sie reiten und um das sie sich kümmern konnte.

Bertie suchte in der Tasche seines maßgeschneiderten Tweedanzugs nach Zigaretten, zündete sich eine an und hielt die Zigarette zwischen seinen schlanken Fingern. Er nahm einen ersten Zug und sah den Rauchkringeln nach, die in die Luft stiegen.

»Wir werden sehen, Lilibet.« Er schenkte Elizabeth einen nachsichtigen Blick. »Ich vergesse schon nicht, dass du mein großes Mädchen bist. Wie könnte ich, du sagst es mir ja jeden Tag.«

Elizabeth kicherte. Es war ein so unbekümmerter Ausdruck reiner, kindlicher Freude, dass Bertie sich ergriffen ans Herz fasste.

Lilibet war ein munteres, doch artiges und für ihr Alter sehr vernünftiges Mädchen und erwähnte bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit, wie groß sie schon war.

Als es ihr nicht gelungen war, ihren Namen auszusprechen, hatte sie mit dem Finger einfach auf sich gezeigt und Tilibet gekräht. Bertie und seine Frau hatten gelacht und aus Tilibet kurzerhand Lilibet gemacht, ein Kosename, der, wie die Herzogin fand, das liebevolle, manchmal scheue Wesen ihrer Tochter auf reizende Weise widerspiegelte.

Als der König von dem Kosenamen erfuhr, fand auch er ihn passend für seine Enkelin. Zwischenzeitlich hatte Bertie sogar den Eindruck, sein Vater könne den Namen Lilibet gar nicht oft genug aussprechen. Wenn er ihm über die Lippen kam, ging eine seltsame Wandlung vonstatten. Der Mann, unter dessen unerbittlicher Strenge Bertie und seine Geschwister gelitten hatten, vergötterte seine Enkeltochter. Von Strenge oder Strafen keine Spur. Alles an George V. drückte Freude und Nachgiebigkeit aus, wenn er in Lilibets Gegenwart war. Auch Königin Mary – ansonsten streng und distanziert, und keinesfalls geneigt, über Gefühle zu sprechen – stand ihrem Mann, was die Liebe zu ihrer Enkelin betraf, in nichts nach.

Berties Mutter war eine Sammlerin, und mitunter hatte er den Eindruck, dass er und seine Geschwister lediglich anstrengende Bestandteile ihrer reichen Sammlung wären.

Elizabeth jedoch zog von Anfang an alle Aufmerksamkeit auf sich, erst recht, als sie laufen konnte und mit trippelnden Schritten auf Menschen zuwankte und sie anstrahlte.

Bertie hatte verwundert und zugleich beglückt wahrgenommen, wie das Gesicht seines Vaters mit den roten Wangen und dem weichen, weißen Vollbart, der Bertie immer an die Sealyham-Terrier im Schloss erinnerte, sich aufhellte, sobald er nach Lilibet rief. Und kaum wurde er ihrer ansichtig, richtete sich seine leicht gebeugte Statur auf, und seine Augen blickten voller Zärtlichkeit auf das kleine Mädchen.

Elizabeth streckte jedes Mal sofort die Ärmchen nach dem König aus und ließ sich bereitwillig hochnehmen. Und dann schmiegte sie ihre Wange an die seine.

Für Elizabeth war George V. der Inbegriff des geliebten Großpapas. Trotzdem schien sie bereits zu begreifen, dass er der König war.

Es sei tragisch, hatte die Herzogin eines Abends zu Bertie gesagt, dass er während seiner Kindheit unter der harten Hand des Königs gelitten hatte, während Lilibet überschäumende Liebe von ihm erfuhr.

»Ich hatte gehofft, dein Vater wäre seinem ersten Enkelkind wohlgesonnen, doch es ist so viel mehr als das«, hatte sie bereits kurz nach Elizabeth' Geburt mit gemischten Gefühlen festgestellt.

Bertie hatte nachdenklich genickt. »Seine Wandlung ist kaum zu fassen. Es scheint, als wäre er ihr regelrecht verfallen.«

Auch für Bertie und seine Frau stand Elizabeth im Mittelpunkt des Familienlebens. Doch wenn sie morgens zu ihnen gebracht wurde, fragte sie als Erstes nach ihrem Großpapa, und erst danach, ob sie später zu den Ponys gingen.

Und nun, da sie auf einem Pony saß, lächelte sie so unbefangen, wie nur Kinder es taten. Bertie jedenfalls war es unmöglich, seiner kleinen Tochter einen Wunsch abzuschlagen.

Schon als Elizabeth noch im Kinderwagen saß, hatte neben ihr im Gras eine Spielzeugponykutsche ihre Räder ins Gras gegraben. Die Leine, die sie mit dem Spielzeug verband, hatte Elizabeth nur unwillig losgelassen.

Als sie größer geworden war, hatten Bertie und seine Frau ihr ein Schaukelpferd geschenkt, auf dem Elizabeth »ritt«. Den Anblick der Kleinen im weißen Kleidchen auf dem Spielzeugpony würde Bertie nie vergessen. Sie zeigte keinen Funken Angst oder Scheu im Gesicht, obwohl das Pony wesentlich größer war als sie selbst.

Inzwischen überlagerte das Glück Lilibets die schmerzhaften Erinnerungen an seine eigene traurige Kindheit. Auch seinem Bruder David tat Lilibets Gesellschaft gut. Sein rastloser Geist kam zur Ruhe, wenn er mit ihr spielte. In jenen Momenten vergaß David seine Frauengeschichten und sogar seine Zukunft, die er am liebsten von sich gewiesen hätte und die er oft genug beklagte.

Bertie löste sich aus seinen Erinnerungen und sah wieder zu Elizabeth. Das Pony bewegte sachte den Kopf und schnaubte, während das Kind das Tier weiterhin liebkoste.

Naseby Hall zu mieten war die richtige Entscheidung gewesen. In London hatte Bertie sich ausgemalt, wie es wäre, mit der Familie den Winter in Northamptonshire zu verbringen. Inmitten von Grün auf die Jagd zu gehen und sich um Lilibet zu kümmern – das war es, was er wollte.

»Bleiben wir noch hier, Papa? Ich bin noch gar nicht geritten«, fragte Elizabeth in Berties Gedanken hinein.

»Wir sollten nicht zu lange draußen bleiben. Es ist kalt, Lilibet.«

»Ich friere aber gar nicht«, beharrte sie schelmisch.

Sie schloss die Finger um die Zügel. Unerschrocken griff sie fester zu, als das Pony sich langsam in Bewegung setzte. Sie saß aufrecht da und blickte entschlossen nach vorn. Wie der König und auch Bertie vermutet hatten, war Elizabeth fürs Reiten geboren.

»Fühlen Pferde wie wir, Papa?«, fragte Elizabeth plötzlich.

Bertie begann über Pferde zu sprechen. »Kein Pferd mag einen unsicheren Anführer. Egal, ob es ein großes Pferd ist oder ein Pony, es möchte sich auf seinen Anführer oder seine Anführerin verlassen können.«

»Du kannst mir vertrauen«, rief Elizabeth dem Pony mit heller Stimme zu.

»Pferde können den Kopf und den Hals nach oben und unten strecken, nach links und nach rechts. Der Hals ist der beweglichste Teil des Pferdekörpers.«

»Das kann ich auch«, krähte Elizabeth. Flugs drehte sie den Kopf in alle Richtungen, um ihrem Vater zu demonstrieren, dass ihre Worte stimmten. »Aber ich bin trotzdem kein Pferd. Ich bin Lilibet.«

Bertie lachte und erzählte mit ruhiger Stimme weiter, während Elizabeth mit gespitzten Lippen zuhörte und sie dem Weg folgten.

In den ersten Lebensmonaten seiner Tochter war Bertie fast täglich zu Lionel Logues Sprechstunde in der Harley Street in London gegangen. Der Sprachtherapeut hatte unablässig mit ihm geübt, und die Herzogin hatte Bertie zu jedem Termin begleitet, um die Einzelheiten der Atemübungen mit ihm zu erlernen.

»Ich tue es, um dich während unserer Reisen zu unterstützen«, hatte sie ihm versprochen und Bertie damit eine riesige Last von den Schultern genommen.

Bertie hatte kurz darauf seinem Vater geschrieben und ihm mitgeteilt, dass sich sein Sprechen bessere.

Ich bin sicher, dass ich noch rechtzeitig in Ordnung komme, aber vierundzwanzig Jahre falschen Sprechens lassen sich nicht in einem Monat aus der Welt schaffen. Ich wünschte, ich hätte Logue früher gefunden; denn jetzt, wo ich die richtige Atemtechnik gelernt habe, wird meine Angst vor dem Reden vergehen.

Seit er den Sprachtherapeuten konsultierte, blickte Bertie, was Reden in der Öffentlichkeit anging, hoffnungsvoller in die Zukunft. Mit dem Sprechen ging es stetig bergauf.

Auch Lilibet half ihm, ohne es zu wissen. Ihre bloße Existenz erinnerte Bertie daran, wie fröhlich das Leben sein konnte. Sie um sich zu haben, tat ihm gut; die Sorglosigkeit seiner Tochter war ein Segen für ihn.

Sie marschierten eine Weile weiter und kehrten dann in die Wärme Naseby Halls zurück.

Im Salon zündete Bertie sich eine weitere Zigarette an. Er rauchte meist um die sechzig am Tag und konnte davon nicht lassen.

»Es war richtig herzukommen«, sagte er zu der Herzogin, zufrieden mit dem Tag. »Lilibet liebt das Leben auf dem Land. Sie blüht hier noch mehr auf als in London.«

»Sie ist deine Tochter.« Die Herzogin ließ von ihrer Perlenkette ab, mit der sie herumgespielt hatte. »Und sie war lange genug bei meinen Eltern, um jedes Tier ins Herz zu schließen. Schließlich wimmelt es in Herfordshire von Hühnern, Ponys, Katzen, Schildkröten und Hunden.«

Am 6. Januar 1927 waren Bertie und die Herzogin an Bord des Schlachtkreuzers Renown aus dem Hafen von Portsmouth ausgelaufen, mit dem Ziel Australien; eine Reise, die sie bis Juli von ihrer Tochter ferngehalten hatte. Elizabeth hatte die Monate in Herfordshire bei ihren Großeltern in dem anheimelnden roten Backsteinhaus im Queen-Anne-Stil verbracht. Am liebsten hatte sie dort ihre Fäustchen im Pelz der Chow-Chows vergraben, die ihre Lieblinge waren. Danach war sie bei König George und Königin Mary in London gewesen. Das Band zwischen König und Enkelin war dadurch noch fester geworden. Und Königin Mary nahm seitdem aktiv an der Erziehung ihrer Enkelin teil.

Doch am 21. November erkrankte der König schwer.

»Die Ärzte haben eine Bronchialpneumonie festgestellt, die sich auf die rechte Lunge konzentriert«, teilte Königin Mary Bertie am Telefon mit.

In den Bulletins wurde von zunehmender Herzschwäche gesprochen.

»Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Vater«, vertraute Bertie der Herzogin eines Abends an. »Wenn sein Zustand sich verschlimmert, müssen wir unser Refugium verlassen und nach London zurückkehren.«

Sie hofften das Beste und lebten so normal wie möglich weiter, doch der Zustand des Königs verschlimmerte sich tatsächlich, und so verließen die Yorks kurz darauf Naseby Hall. Zum ersten Mal wurde die traditionelle Weihnachtsfeier in Sandringham abgesagt, was Berties Sorge um seinen Vater noch verstärkte.

»Dass mein Vater auf seine geliebte Ortsveränderung verzichtet, hat es noch nie gegeben«, sagte er und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette, um sich zu beruhigen.

In den vergangenen Jahren war die Dienerschaft in Sandringham am Heiligen Abend stets vor König George und Königin Mary getreten, um Geschenke in Empfang zu nehmen: Truthühner, Schinken und Ochsenlenden. Und alle erhielten ein paar freundliche Worte.

Auf dem Tisch lagen die Familiengeschenke. Die Familienmitglieder kamen jeden freien Augenblick herunter und betrachteten sie voller Vergnügen.

In diesem Jahr jedoch blieb die Familie in London. Lilibet durfte länger aufbleiben und lauschte mit großen Augen den Weihnachtsgesängen.

Denn siehe, ich bringe euch große Freude, die aller Menschheit widerfahren ist …

»Ich weiß, wer mit ›alter Mensch‹ gemeint ist«, rief sie und reckte dabei aufgeregt das Kinn. »Grandpa England.«

Für sie schien es ganz natürlich zu sein, dass die Menschen Lieder auf ihren Großpapa anstimmten. Schließlich nannte George V. die Nationalhymne »mein Lied«.

Im neuen Jahr wich die Kälte im März einer frühlingshaften Wärme, doch noch immer ging es dem König nicht besser.

»Die Ärzte sprechen inzwischen von einem Fall schwerer infektiöser Blutvergiftung. Man hat die Meinung des bekannten deutschen Chirurgen Ferdinand Sauerbruch eingeholt«, erzählte Bertie morgens beim Frühstück.

Der König hatte eine Reihe von Operationen und Rückfällen hinter sich, was nicht nur Bertie in Alarmbereitschaft versetzte, sondern auch seinen Bruder David, der seine Zeit als König näher kommen sah. Ein Umstand, der ihn in gereizte Stimmung versetzte.

»Und nun scheint man einhellig der Auffassung zu sein, dass nur der Lebenswille den König bisher gerettet hat. Und dieser Lebenswille, so sagt man, sei zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Lilibet zurückzuführen.«

Die Herzogin blickte nachdenklich in ihre Teetasse, während Bertie sich aus Nervosität immer wieder übers Haar strich.

»Lord Dawson sagt, es sei das Beste, den König zur Erholung an die Südküste zu schicken.« Der Lord war Georges Leibarzt und stets um das Wohl des Königs besorgt. »Dort soll er die Meeresluft genießen und hoffentlich rasch wieder zu Kräften kommen. David wird ihn in dieser Zeit vertreten … selbstverständlich mit Mutters Unterstützung. Du kennst sie, sie gibt die Zügel nur ungern aus der Hand.«

Die Herzogin gab einen Klecks Marmelade auf ihren Toast, hielt jedoch inne. »Wohin genau wird dein Vater reisen?«

»Bognor. Ein Haus in der Nähe der Stadt ist bereits angemietet worden. Im Garten soll angeblich ein Sandkasten gebaut worden sein. Das hat mir sein Privatsekretär, Arthur Bigge, versichert.«

Die Herzogin starrte Bertie an. »Ein Sandkasten für Lilibet? Dann soll unsere Tochter während der Rekonvaleszenz an seiner Seite sein?«

Bertie nickte. »Man hat mir verlässlich versichert, dass sie ein wichtiger Bestandteil des Genesungsprozesses des Königs sein wird … sein muss. Die Ärzte raten uns dringend, zuzustimmen, dass Lilibet mit einer Kinderfrau die Reise ins Seebad antritt … Lilibet ist fast drei«, Bertie griff nach der Hand seiner Frau. Sie war kalt. »Sicher freut sie sich, Zeit mit ihrem Großvater zu verbringen. Ihr wird es in Bognor gutgehen.«

Elizabeth von York schob den Teller zur Seite, wischte sich die Hände an der Serviette ab und seufzte. »Nun, wenn es dem König hilft, gesund zu werden, können wir ihm diese Bitte unmöglich abschlagen.«

Bertie hatte geahnt, dass seine Frau zustimmen würde, Lilibet zu seinem Vater nach Südengland zu schicken. Auch sie wollte, dass er gesundete.

»Am besten gebe ich Mrs Knight sofort Bescheid. Ich habe heute ohnehin keinen rechten Appetit.«

Die Herzogin verließ das Esszimmer und rief nach dem Kindermädchen. Mrs Knight eilte sofort herbei. Sie trug ein unscheinbares graues Kleid, wohingegen die Herzogin in hellem Pastell leuchtete und eine Perlenkette trug, die im Licht schimmerte.

»Richten Sie bitte alles Nötige für eine Reise mit der Prinzessin an die Südküste, Mrs Knight. Elizabeth wird dem König dort während seiner Genesung Gesellschaft leisten.«

»Sehr wohl, Königliche Hoheit.« Mrs Knight räusperte sich. »Darf ich fragen, wie lange die Prinzessin fort sein wird?«

Die Herzogin sah ihr an, wie gespannt sie die Antwort erwartete. Sie zuckte kaum merklich die Schultern. »So lange es nötig sein wird, damit es dem König gesundheitlich besser geht. Näheres kann ich Ihnen leider nicht sagen, Mrs Knight.«

Mrs Knight nickte, senkte den Kopf und zog sich zurück.

Als der Tag des Abschieds gekommen war, fiel es Bertie noch schwerer als befürchtet, seinem Töchterchen Lebewohl zu sagen. Er nahm Elizabeth ein letztes Mal auf den Arm und drückte sie innig an sich.

»Grandpa England wartet schon sehnsüchtig auf dich. Ihr werdet eine Menge Spaß haben. Am Meer wirst du Fische und Krabben und viele andere Tiere sehen. Es gibt sogar einen Sandkasten im Garten des Hauses, in dem du wohnen wirst.«

Auf die Nachricht des Sandkastens reagierte Elizabeth mit Entzücken. »Darf ich darin spielen? Baut Grandpa England eine Burg mit mir?« Elizabeth strahlte angesichts des Abenteuers, das vor ihr lag und die schönsten Bilder in ihr entstehen ließ.

»Ganz bestimmt, Liebes«, sagte die Herzogin. Sie küsste Elizabeth auf die Wange.

Bertie schluckte, als er seine Tochter noch einmal an sich drückte und sie dann der Kinderfrau übergab. Wie sollte er die Zeit ohne sie nur hinter sich bringen? Er vermisste Lilibet schon jetzt.

Als Mrs Knight und die Prinzessin fort waren, zogen sich der Herzog und die Herzogin in den Salon zurück. Die Sonne erhellte die Tapisserien, und frische Blumen verströmten einen angenehm süßlichen Duft, doch Bertie kam der Raum seltsam unbelebt vor. Er wandte sich der Schatulle mit den Zigaretten zu und öffnete sie. Rauchen half ihm, sich abzulenken, doch seine Frau strich ihm tröstend über die Wange und hinderte ihn, sich eine Zigarette zu nehmen.

»Vielleicht ist es ganz gut, ein wenig Zeit für uns zu haben«, sagte sie, um ihren Mann zu besänftigen. Einen Augenblick sah Bertie sie ratlos an, dann nahmen sie einander an den Händen.

»Es ist unschwer zu erkennen, wie sehr dich der Abschied von Lilibet trifft, doch dein Vater braucht sie jetzt mehr als wir.«

»Du hast ja recht.« Der Herzog schloss den Deckel der Schatulle mit einem leisen Geräusch. »Ich bin selbstsüchtig. Verzeih.«

Seine Frau legte die Lippen auf seine. »Du liebst, Bertie, daran ist nichts Selbstsüchtiges.«