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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Die kleine Ella saß inmitten von altem Holzspielzeug vor einem großen zweistöckigen Puppenhaus und versuchte, auf einer Miniaturkommode winziges Porzellan zu drapieren. Das wollte dem niedlichen Mädchen mit dem feinen blonden Haar noch nicht so recht gelingen. Die Fünfjährige ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Völlig versunken in ihr Tun, unterhielt sie sich mit den verschiedenen Püppchen, die das Haus bevölkerten. Das Antiquitätengeschäft ihrer Oma war Ellas liebster Spielplatz und auch der Ort, wo die Kleine am häufigsten zu finden war. Ruth Wagner stand gerade auf einer hohen Leiter, da in einer auffallend hohen Vitrine einiges neu zu arrangieren war. Unter der linken Achsel hatte die jugendlich wirkende Oma, die gerade die vierzig erreicht hatte, einen Staubwedel aus Straußenfedern geklemmt und mit der rechten Hand hielt sie ihr Handy ans Ohr, das soeben geklingelt hatte. »Antiquitäten am Markt«, meldete sich Ruth Wagner routiniert. »Ich bin's, Jana. Ich kann heute nicht«, sagte ihre Tochter, in einem Tonfall, der ihrer Mutter signalisieren sollte, dass sie nicht vorhatte, den Grund dafür zu nennen, warum sie nicht konnte. Ruth Wagner schwieg. Dann seufzte sie. »Jana, ich habe dir versprochen für deine Tochter da zu sein und dazu stehe ich. Aber einmal im Monat möchte ich mich mit meinen ›Ladys‹ treffen. Ich find es nicht fair …« Weiter kam sie nicht. »Und ich finde es nicht fair, dass du mich so unter Druck setzt«, polterte Jana los.
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Seitenzahl: 132
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Die kleine Ella saß inmitten von altem Holzspielzeug vor einem großen zweistöckigen Puppenhaus und versuchte, auf einer Miniaturkommode winziges Porzellan zu drapieren. Das wollte dem niedlichen Mädchen mit dem feinen blonden Haar noch nicht so recht gelingen. Die Fünfjährige ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Völlig versunken in ihr Tun, unterhielt sie sich mit den verschiedenen Püppchen, die das Haus bevölkerten. Das Antiquitätengeschäft ihrer Oma war Ellas liebster Spielplatz und auch der Ort, wo die Kleine am häufigsten zu finden war. Ruth Wagner stand gerade auf einer hohen Leiter, da in einer auffallend hohen Vitrine einiges neu zu arrangieren war. Unter der linken Achsel hatte die jugendlich wirkende Oma, die gerade die vierzig erreicht hatte, einen Staubwedel aus Straußenfedern geklemmt und mit der rechten Hand hielt sie ihr Handy ans Ohr, das soeben geklingelt hatte.
»Antiquitäten am Markt«, meldete sich Ruth Wagner routiniert.
»Ich bin’s, Jana. Ich kann heute nicht«, sagte ihre Tochter, in einem Tonfall, der ihrer Mutter signalisieren sollte, dass sie nicht vorhatte, den Grund dafür zu nennen, warum sie nicht konnte.
Ruth Wagner schwieg. Dann seufzte sie. »Jana, ich habe dir versprochen für deine Tochter da zu sein und dazu stehe ich. Aber einmal im Monat möchte ich mich mit meinen ›Ladys‹ treffen. Ich find es nicht fair …« Weiter kam sie nicht.
»Und ich finde es nicht fair, dass du mich so unter Druck setzt«, polterte Jana los. »Für mich ist das auch nicht einfach. Ich bin neunzehn. Niemand meiner Freunde hat ein Kind …«
»Beruhige dich, Jana, ich möchte das jetzt nicht schon wieder diskutieren. Ella sitzt …« Jana hatte aufgelegt. Ruth sah ihr Handy an, als erwartete sie von ihm eine Erklärung für Janas Verhalten. Dann drehte sie sich immer noch auf der Leiter stehend zu Ella um, die plötzlich verstummt war und ihr Köpfchen zu ihr emporhob. Große blaue Augen sahen sie fragend an.
»Alles gut, mein Schätzchen. Spiel schön weiter. Oma ist gleich hier fertig.« Ella gehorchte, aber ihr munteres Geplauder war nicht mehr zu hören. Sie schien zu lauschen. Ruth wusste, dass ihre Enkeltochter wartete. Sie wartete darauf, dass die Türklingel ihre Mutter ankündigte. Das altmodische Silberglöckchen, das so wunderbar zu Ruths Antiquitätenhandel passte und jeden Kunden sogleich in eine vergangene Welt voller Nostalgie hineinführte. Heute sollte das Glöckchen Jana willkommen heißen. Doch wieder einmal hatte die junge Mutter etwas anderes vor und überließ es der Oma, die Kleine zu versorgen. Ruth steckte das Handy in ihre Schürzentasche und wollte weitermachen. Aber vielleicht war ihre Bewegung zu impulsiv gewesen. Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und mit einem Schrei des Erschreckens stürzte sie in die Tiefe.
*
»Einsatzzentrale Maibach. Mit wem spreche ich?«
»Wagner … ich?«
»Wie bitte? Sprechen Sie bitte lauter!«
»Wagner … Antiquitäten … Ich bin gestürzt … bitte …«
»Hallo? Hallo! Kennt jemand den Namen Wagner? Antiquitäten?«
»Ja, das ist am Markt. Was ist denn da los?«, fragte ein Kollege.
»Ich konnte die Person nicht verstehen. Aber da muss etwas passiert sein. Ich schicke einen Einsatzwagen.«
Zehn Minuten später eilten zwei Sanitäter in das bekannte Antiquitätengeschäft am Markt und fanden eine Frau um die Vierzig bewusstlos am Boden liegend vor. Ihr Handy, mit dem sie offenbar noch den Notruf hatte absetzen können, lag neben ihr. Ansonsten schien sie allein zu sein. Die erfahrenen Sanitäter berichteten der Notärztin, Frau Dr. Schorn, die kurz darauf eintraf, was vermutlich passiert war.
»Sie muss von der Leiter gefallen sein, als sie versucht hat, dort oben in der Vitrine sauber zu machen.« Ein Sanitäter zeigte der Ärztin den Staubwedel, den er neben der umgekippten Leiter gefunden hatte.
»Ja, so wird es passiert sein«, murmelte Frau Dr. Schorn und untersuchte die Verunfallte. Die Bewusstlosigkeit machte der Medizinerin die größte Sorge. Ein Schädel-Hirn-Trauma konnte nicht ausgeschlossen werden, auch wenn man auf den ersten Blick keine Kopfverletzung sah.
»Transport mit Stiffneck«, ordnete sie an. Die Sanitäter nickten. Das war klar, dass der Kopf beim Transport besonders gestützt werden musste. Sie holten die Trage, während die Notärztin mit der körperlichen Untersuchung fortfuhr. Als sie ein Stöhnen der Patientin vernahm, war sie erleichtert. Die Bewusstlosigkeit war nicht so tief wie befürchtet. Auch als Sanitäter und Ärztin gemeinsam die Frau auf die Trage betteten, machte sich die Patientin bemerkbar, ohne dass man etwas verstand.
»Kennt jemand den Namen der Frau?«, wollte die Ärztin wissen.
»Das müsste Frau Wagner sein. Die Einsatzzentrale konnte den Namen schlecht verstehen. Aber ich glaube, sie ist die Inhaberin des Geschäfts.«
»Frau Wagner! Hören Sie mich?«, versuchte die Ärztin Kontakt aufzunehmen.
Ein undeutliches Stöhnen war die Antwort. Aber besser als nichts. Frau Dr. Schorn hielt die Tür auf, während die Sanitäter die Trage in den RTW trugen. Gerade als die Ärztin die Tür schließen wollte, hörte sie ein leises Weinen. Konnte das sein? Sie lauschte. Doch da war etwas. Sie ging wieder zurück in den Laden und rief: »Hallo? Ist da jemand?« Sie konzentrierte sich und hörte ein kleines Schluchzen. Zweifellos war da noch jemand und zwar ein Kind. Sie sah sich um. Das ist ja wie beim Wolf und den sieben Geißlein durchfuhr es sie. Lauter Krempel, Kommoden, Schränke, Standuhren. Wo um Himmels Willen hatte sich das Kind versteckt? Dass Kinder sich bei Gefahr oder vermeintlicher Gefahr verstecken, war Dr. Schorn bekannt. Aber die Zeit war gegen sie, denn eigentlich hätte sie jetzt bei ihrer Patientin im RTW sein müssen und mit Tempo in die Klinik fahren sollen. Sie sprach in ihr Walkie-Talkie.
»Wir müssen die Polizei informieren. Hier ist irgendwo ein Kind versteckt. Rufen Sie in der Einsatzzentrale an, dass sie jemanden schicken. Wir müssen mit der Patientin in die Klinik.« Dann schaute sie sich ein letztes Mal um und öffnete aus einem Impuls heraus eine Küchenbank. Wie zu einem winzigen Paket zusammengeschnürt, lag dort ein kleines Mädchen.
»Da bist du ja. Komm, mein Kleine. Ich nehme dich mit. Wir fahren in einem großen Auto. Das macht dir bestimmt Spaß«, versprach die Ärztin leise und lächelte zuversichtlich. Doch die Kleine schaute angstvoll auf die Frau in Signalrot und schüttelte den Kopf. Darauf konnte die Ärztin keine Rücksicht nehmen. Sie hob das Kind aus der Küchenbank und eilte mit ihm auf dem Arm zum Einsatzfahrzeug.
*
Jana saß derweil im Café »Herzenslust« und wartete auf Clemens Mertens. Vor einer Woche war sie mit Freunden in einem Club gewesen, als ihr ein Mann, der sie eine Weile beobachtet hatte, ihr seine Karte in die Hand gedrückt hatte.
»Ich würde mich gerne mal mit Ihnen treffen«, hatte er ihr zugeraunt und war dann verschwunden. Auf der Karte stand seine Handynummer und der interessant klingende Beruf: »Clemens Mertens Fotograf und Designer«
Ihre Freunde fanden das äußerst spannend und rieten ihr alle dazu, sich mit diesem Mann zu treffen, während Jana eher skeptisch war.
»Wie cool ist das denn, Jana. Ein Mann, der dir seine Karte gibt. Den würde ich nicht laufen lassen«, hatte ihre beste Freundin Jessica gemeint. Designer hörte sich gut an. Sie hatte telefonisch Kontakt aufgenommen und jetzt wartete Jana auf ihr Date. Die sehr hübsche junge Frau mit den langen blonden Haaren hatte sich heute besonders viel Mühe mit ihrem Äußeren gegeben und bemerkte interessierte Blick. Die kamen allerdings von Leuten, auf deren Aufmerksamkeit sie verzichten konnte. Das Café in Weilenberg war eher nicht nach Janas Geschmack. Zu plüschig und altmodisch. Davon bekam sie schon genug im Laden ihrer Mutter zu sehen. Das »Herzenslust« war etwas für ältere Herrschaften. Sie hatte es nur deshalb für ein erstes Treffen ausgesucht, um nach Möglichkeit nicht auf Bekannte zu treffen. Gerade betrat ein Mann das »Herzenslust«, der es sein könnte. Er schaute sich suchend um. Jana hatte ihn jünger in Erinnerung gehabt, aber es war dunkel im Club gewesen. Sie beobachtete ihn verstohlen. Lederjacke, verwaschene Jeans, dunkelblondes etwas längeres Haar, Bart. Sie schätzte ihn auf Vierzig, was in Janas Augen eigentlich viel zu alt war. Plötzlich begegneten sich ihre Blicke. Jana lächelte und er kam an ihren Tisch.
»Jana Wagner?«
»Ja, genau.«
»Clemens Mertens.« Er reichte ihr die Hand, was Jana super altmodisch fand, aber auch irgendwie süß.
»Du hast schon bestellt? Was trinkst du?«, fragte er wie nebenbei.
»Einen Latte«, sagte Jana lässig.
»Möchtest du Kuchen, oder etwas anderes?« Clemens Mertens sah sie so intensiv an, dass es Jana schwindelte.
»Kuchen? Nein, eigentlich nicht.«
»Wie du magst. Ich nehme ein Club-Sandwich. Ich hatte noch kein Mittagessen«, schob er als Erklärung hinterher.
»Ach so«, sagte Jana, als hätte Clemens eine wichtige Information mitgeteilt. Als er seine Bestellung aufgegeben hatte und sich Jana wieder zuwandte, lächelte er zum ersten Mal und die Lachfalten, die sich nun deutlich zeigten, bestätigten Janas Verdacht.
»Ich hatte dich jünger in Erinnerung«, sagte sie geradeheraus.
Clemens stutzte. »Mag sein. Ich bin zweiundvierzig, aber was spielt das für eine Rolle?«
»Ich bin gerade neunzehn geworden. Für mich spielt das eine große Rolle«, antwortete Jana kühn.
Er sah sie wieder mit diesem intensiven Blick an und begann zu lachen.
»Du denkst, wir hätten ein Date? Ich glaube hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin Designer und Fotograf. Du hast mir gefallen. Ich möchte Fotos von dir machen. Deshalb habe ich Kontakt aufgenommen. Du weißt doch sicher, dass man als Model solche Kontakte braucht.«
Jana wurde rot. Wie peinlich war das denn? Models brauchten professionelle Fotos, um sich bei Agenturen zu bewerben. Aber wollte sie Model werden? War das jetzt eine gute Idee? Jana hatte in ihrer Vergangenheit schon öfter nicht so gute Ideen gehabt und viele Misserfolg hinnehmen müssen. Nach Ellas Geburt hatte sie zunächst im »Regenbogenhaus« gewohnt. Einer Einrichtung, die Teenager-Müttern half, ihr Leben mit Kind zu organisieren. Sie hatte unbedingt selbstständig sein wollen, aber als sie dann auch noch den Realschulabschluss nachholen wollte, war sie so überfordert gewesen, dass das Jugendamt ihr anriet, Ella in eine Pflegefamilie zu geben. Jana war geschockt. Auf keinen Fall wollte sie Ella hergeben. Kurz zuvor hatte ihr Vater endgültig die Familie verlassen. Jana floh mit Ella aus dem Regenbogenhaus zu ihrer Mutter und versuchte es noch einmal mit dem Schulabschluss. Als das geklappt hatte, wollte sie Tierpflegerin werden, aber sie fand keine Stelle, dann Zahnarzthelferin, aber der Job langweilte sie und nach sechs Wochen schmiss sie alles hin. Zwischendurch arbeitete sie immer wieder im Antiquitätengeschäft ihrer Mutter. Ruth überredete sie eine Teilzeitausbildung als Einzelhandelskauffrau zu versuchen. Diese Ausbildung hatte sie nach einem Streit mit einer Kollegin wieder abgebrochen. Es war ohnehin nicht ihr Traumjob. Ihre Freundin Jessica, die sie im Regenbogen-Haus kennengelernt hatte und mit der Jana das Schicksal teilte, zu jung Mutter geworden zu sein, hatte ihr schon vor Jahren den Floh ins Ohr gesetzt, es doch als Model zu versuchen. Ella hatte bisher immer darüber gelacht. Ihr fehlte nach den vielen Tiefschlägen das Selbstbewusstsein dafür.
»Das ist mir jetzt sehr unangenehm …«, stotterte Jana und betrachtete den Mann, der ihr gegenübersaß und sie amüsiert beobachtete, plötzlich mit anderen Augen.
»Das muss es nicht. Unangenehm wäre, wenn deine Fotos mehr versprechen würden, als die Wirklichkeit hergibt. Aber ich bin sehr erfreut, zu sehen, dass das nicht der Fall sein wird. Du siehst fantastisch aus. Die Agenturen werden sich um dich reißen«, sagte Clemens Mertens und ließ seinen Blick wandern. Inzwischen hatte er sein Sandwich bekommen und biss herzhaft hinein. Janas Röte verstärkte sich.
»Hast du Zeit für Probeaufnahmen?«, fragte er zwischen zwei Bissen.
»Ja, schon …«, antwortete Jana überrumpelt von der ungeahnten Entwicklung ihres Rendezvous.
»Gut. Unsere Agentur ist in Seefeld. Auf der Fahrt können wir uns weiter unterhalten«, beschloss er und stopfte sich den Rest des Brotes in den Mund, wischte sich mit der Serviette die Hände ab und warf sie zerknüllt auf den Tisch. Spätestens jetzt hätte Jana auffallen können, dass das kein Date war. Clemens Mertens hatte nicht das geringste Bedürfnis, sich von einer schmeichelhaften Seite zu zeigen. Andererseits hatte Jana erstaunlich wenig Zweifel an seiner Seriosität. Während sich in Maibach im Antiquitätengeschäft ihrer Mutter beinahe zeitgleich ein Unfall ereignet hatte, der Ellas Leben auf den Kopf stellte, fuhr Jana bedenkenlos mit einem Mann, den sie nicht kannte, ins zehn Kilometer entfernte Seefeld, um eine Karriere als Model zu starten.
*
Wegen dem kleinen Mädchen an der Unfallstelle waren inzwischen die Drähte heiß gelaufen. Polizei und Jugendamt waren informiert worden und man wusste jetzt, dass das Mädchen Ella Wagner hieß, aber nicht wo seine Mutter war. Die verletzte Frau war ihre Großmutter. Dr. Gerlach hatte sich in die Diskussion mit dem Jugendamt eingemischt und Sophienlust ins Spiel gebracht. Da das Jugendamt in der Vergangenheit schon oft mit dem Kinderheim Sophienlust zusammengearbeitet hatte, war man einverstanden, dass Ella dort aufgenommen wurde, bis sich die Mutter melden würde. Dr. Gerlach ließ es sich nicht nehmen selbst in Sophienlust anzurufen.
»Regine Nielsen«, meldete sich die Kinderschwester aus Sophienlust.
»Ich bin’s Fabian. Gut, dass du da bist. Wir haben in der Klinik ein Problem«, begann Dr. Gerlach. Er war mit Schwester Regine liiert und froh, sie direkt an den Apparat bekommen zu haben.
»Ja, schieß los«, antworte Regine.
»Wir haben gerade eine Einweisung bekommen. Eine Patientin mit Beckenringfraktur und mit Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma. Sie ist noch im CT und kann aufgrund ihres Zustands nicht befragt werden.«
Regine wollte schon fragen, was Sophienlust damit zu tun hatte, als Dr. Gerlach fortfuhr. »Die Patientin hatte offenbar die Aufsicht über ein kleines Kind. Es wurde von Frau Dr. Schorn gefunden und mit in die Klinik gebracht.«
»Gefunden?«
»Ja, das Kind hatte sich versteckt. Ich glaube in einer Truhe oder so etwas Ähnlichem. Wir haben Polizei und Jugendamt informiert und man ist einverstanden, dass ihr das Mädchen versorgt, bis sich die Mutter meldet.«
»Wir kommen«, sagte Regine nur und legte auf. Dr. Gerlach musste unwillkürlich lächeln. Auf Regine war Verlass und überhaupt auf alle, die in Sophienlust für das Wohl der ihnen anvertrauten Kinder sorgten. Er war froh, die Idee ins Spiel gebracht zu haben, in Sophienlust nachzufragen. Ansonsten hätte das Mädchen vom Jugendamt in Obhut genommen werden müssen.
Wenig später waren Regine und Dominik von Wellentin-Schoenecker auf dem Weg nach Maibach.
»Hat Dr. Gerlach dir den Namen des Kindes verraten«, fragte Nick, wie er von allen genannt wurde.
»Nein, ich weiß nur, dass sich das Kind versteckt hat und von der Notärztin gefunden wurde.«
»Dann fahren wir direkt zur Kinderklinik. Dort wird man das Kind bestimmt aufgenommen haben«, überlegte der Besitzer von Sophienlust und steuerte seinen Wagen durch die aufziehende Dämmerung Richtung Klinik. Zu solchen Einsätzen fuhren sie immer zu zweit, damit einer sich nur um das Kind kümmern konnte, während der andere fuhr. Else Rennert, die Heimleiterin, war auch schon informiert und würde ein Zimmer herrichten. Solche Einsätze waren schon oft vorgekommen und doch niemals Routine. Regine und Nick waren gespannt, wen sie in Empfang nehmen würden.
Die Kinderkrankenschwester Gundula hatte Ella einen Teddy in den Arm gedrückt, an dem sich die Kleine festhielt, als sei er der einzige Halt in ihrem Unglück. Das Mädchen saß auf einer Patientenliege in der Kindernotfallambulanz. Schwester Gundula hatte den Eindruck nicht richtig zu dem Mädchen durchzudringen. So äußerte sie sich gegenüber Regine Nielsen und Dominik von Wellentin-Schoenecker.
»Ich habe versucht, dem Kind die Situation zu erklären, aber ich weiß nicht, ob sie mich verstanden hat. Bisher haben wir noch nicht herausbekommen, wo die Mutter des Mädchens ist. Die verunfallte Frau ist wohl die Oma des Kindes. Also wir wissen, dass die Patientin die Besitzerin des Antiquitätengeschäfts am Markt ist und Wagner heißt, aber wo die Mutter des Mädchens ist, verrät uns die Kleine nicht. Vielleicht weiß sie es auch gar nicht«, sprach die Kinderkrankenschwester mit gedämpfter Stimme.
Regine setzte sich neben das Mädchen und sprach leise zu ihm, während Nick sich weiter mit der Kinderkrankenschwester unterhielt.
»Wir nehmen das Mädchen mit nach Sophienlust und setzen uns morgen mit dem Jugendamt in Verbindung. Spätestens wenn es Frau Wagner wieder besser geht, wird sie uns sagen können, wo ihre Tochter ist«, teilte Nick seine Überlegungen mit.