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Janes Austens Emma – die illustrierte Geschenkausgabe im Schmuckschuber Jane Austens großer Klassiker als aufwendig illustrierter Halbleinenband im geprägten Schmuckschuber, von der renommierten Kölner Poträtkünstlerin Simone Bingemer mit Pastellkreide wunderbar farbig sowie in einfühlsamen Sepiatönen illustriert. Wie »Stolz und Vorurteil« ist »Emma« aus der englischen Literatur nicht mehr wegzudenken, ein Klassiker des Gefühls und des Humors. Im Mittelpunkt steht die bezaubernde Emma -- reich und ansehnlich. Obwohl sie selbst niemals heiraten will, hat sie die fatale Idee, eine besonders gute Ehestifterin zu sein. Aber alle ihre Bemühungen führen nur zu Verwicklungen und fehlgeleiteten Flirts. Erst am Ende entdeckt sie anstelle des Kalküls ihr Herz, und es kommt gleich zu drei Hochzeiten. Durch ihre Ironie und meisterhafte Sprache gibt Jane Austen dem Leser die Chance, ihren Figuren über die Schulter zu schauen. In der gefeierten Neuübersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié findet »Emma« endlich den Resonanzraum, damit sich dieses Gespräch voll entfaltet.
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Seitenzahl: 832
Jane Austen
Emma
Roman
Neu übersetzt von Manfred Alliéund Gabriele Kempf-Allié
Illustriert vonSimone Bingemer
FISCHER E-Books
Seiner
Königlichen Hoheit
dem Prinzregenten
ist dieses Werk mit
Seiner Königlichen Hoheit Erlaubnis
in Hochachtung
zugeeignet von
Seiner Königlichen Hoheit
untertäniger
und gehorsamer
ergebener Dienerin,
der Verfasserin.
Emma Woodhouse, hübsch, klug und reich, mit einem angenehmen Zuhause und von heiterem Gemüt, schien beinahe alles in sich zu vereinen, was das Leben einem Menschen an Gutem nur bieten kann; fast einundzwanzig Jahre war sie nun schon auf dieser Welt und hatte in all der Zeit kaum je einmal Kummer oder Sorgen gekannt.
Sie war die jüngere unter den beiden Töchtern eines wahrhaft liebevollen und nachsichtigen Vaters und, nachdem die ältere geheiratet hatte, bereits in sehr jungen Jahren erste Frau im Hause geworden. Die Mutter war schon vor so langer Zeit gestorben, dass nur noch eine leise Erinnerung an ihre Zärtlichkeit blieb, und eine treffliche Gouvernante war an ihre Stelle getreten, eine Frau, die in ihrer Fürsorglichkeit einer Mutter kaum nachstand.
Sechzehn Jahre lang hatte Miss Taylor zur Familie von Mr Woodhouse gehört, mehr Freundin als Erzieherin, und hatte beide Töchter herzlich gerngehabt, am liebsten aber Emma. Zwischen diesen beiden hatte sich eher die Vertrautheit von Schwestern eingestellt. Selbst als sie noch in aller Form als Erzieherin der Kinder galt, hatte Miss Taylor in ihrer Gutmütigkeit nur selten Strenge walten lassen; doch auch dieser Schatten von Autorität war längst verschwunden, sie begegneten einander als beste Freundinnen, und Emma konnte tun und lassen, was sie wollte; sie schätzte Miss Taylors Ansichten sehr, doch leiten ließ sie sich meist von den eigenen.
Ja, es war gerade das eigentliche Übel an Emmas Lage, dass sie ein wenig zu sehr ihrem eigenen Willen folgen konnte und eine ein wenig zu hohe Meinung von sich selbst hegte; das waren die Gefahren, die ihre zahlreichen Vergnügen einmal beeinträchtigen mochten. Noch ahnte sie von diesen Dingen allerdings kaum etwas und wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, deswegen unglücklich zu sein.
Kummer kam – ein zärtlicher Kummer –, doch keineswegs in Gestalt einer unliebsamen Einsicht. – Miss Taylor heiratete. Dass sie Miss Taylor entbehren sollte, war ihr erster Schmerz. Der Hochzeitstag ihrer geliebten Freundin war zugleich der Tag, an dem Emma zum ersten Mal im Leben für länger bei traurigen Gedanken saß. Als die Trauung vollzogen war und die Brautleute fort waren, blieben sie und ihr Vater zum Essen allein zurück, ohne Aussicht, dass ein Dritter sie an dem langen Abend aufmuntern würde. Nach Tisch zog sich ihr Vater wie üblich zu einem Schläfchen zurück, und sie konnte nun nur noch dasitzen und darüber nachsinnen, was sie verloren hatte.
Ihrer Freundin versprach dieses Ereignis alles Glück der Welt. Mr Weston war ein Mann von untadeligem Charakter, von gutem Vermögen, passendem Alter und angenehmen Umgangsformen; und nicht ohne eine gewisse Befriedigung dachte sie daran, mit welch selbstloser, großzügiger Freundschaft sie sich diese Ehe stets gewünscht und sich dafür eingesetzt hatte; aber für Emma selbst war es ein schwarzer Tag. Miss Taylor würde ihr fehlen, Tag für Tag und jede Stunde neu. Jetzt hielt sie sich vor Augen, wie gut sie zu ihr gewesen war – dachte an all die Freundlichkeit, die Zuneigung von sechzehn Jahren – wie sie sie unterrichtet, mit ihr gespielt hatte vom fünften Lebensjahr an – alles getan, sie zu beschäftigen und zu unterhalten, wenn sie gesund gewesen war – und sie bei sämtlichen Kinderkrankheiten gepflegt. Dafür schuldete sie ihr große Dankbarkeit; aber noch wehmütiger, noch zärtlicher dachte sie nun an ihre Gesellschaft während der letzten sieben Jahre, daran, wie sie schon bald nach Isabellas Heirat, als sie beide allein zurückblieben, sie ohne Wenn und Aber als Ebenbürtige angenommen hatte. Sie war eine Freundin und Gefährtin gewesen, wie nur wenige sie hatten: klug, gebildet, gefällig, sanft, immer auf das Wohl der Familie bedacht, interessiert an all ihren Belangen und besonders interessiert an ihr, Emma, an jedem Vergnügen, jedem Plan; – eine, der sie alles anvertrauen konnte, was ihr in den Sinn kam, und die ihr in ihrer grenzenlosen Zuneigung nie etwas übelnahm.
Wie sollte sie diesen Verlust verschmerzen? – Zwar war es so, dass ihre Freundin nur eine halbe Meile weit fortzog; doch Emma wusste, wie groß der Unterschied zwischen einer Mrs Weston, auch wenn sie nur eine halbe Meile entfernt lebte, und einer Miss Taylor sein musste, die im Hause wohnte; und trotz all ihrer Talente und der glücklichen Umstände ihres Lebens bestand nun die große Gefahr, dass ihr Geist vereinsamte. Sie liebte ihren Vater von Herzen, aber er war kein Gefährte für sie. Im Gespräch konnte er es nicht mit ihr aufnehmen, weder im Ernsten noch im Scherz.
Was ihnen tatsächlich an Altersunterschied im Wege stand (und Mr Woodhouse hatte nicht früh geheiratet), wurde noch verschlimmert durch seine Befindlichkeit und seine Gewohnheiten; sein Leben lang hatte er sich um seine Gesundheit gesorgt, war untätig in Geist und Körper, und wirkte in vielem älter, als er an Jahren war; und so sehr man ihn allenthalben seines freundlichen Herzens und seiner liebenswürdigen Art wegen schätzte, hätte sein Verstand ihn doch zu keiner Zeit empfohlen.
Auch ihre Schwester war nach der Heirat nicht allzu weit fortgezogen – sie lebte in London, ein Weg von nur sechzehn Meilen –, aber für den täglichen Umgang war die Entfernung zu groß, und noch manchen langen Oktober- und Novemberabend würde Emma in Hartfield ausharren müssen, ehe das Weihnachtsfest ihr den nächsten Besuch von Isabella samt deren Mann und den kleinen Kindern bescheren und das Haus mit Leben und angenehmer Gesellschaft erfüllen würde.
Highbury, das große und geschäftige Dorf, beinahe schon eine kleine Stadt, zu dem Hartfield, auch wenn es seinen eigenen Namen, seinen eigenen Park und sein eigenes Wäldchen hatte, im Grunde gehörte, hatte ihr nichts in dieser Art zu bieten. Die Woodhouses waren dort die angesehenste Familie. Alle blickten zu ihnen auf. Sie hatte viele Bekannte, denn ihr Vater pflegte Umgang mit aller Welt, aber es war niemand darunter, den sie an Miss Taylors statt auch nur einen halben Tag lang hätte ertragen können. Es war und blieb ein schlimmer Verlust; und Emma konnte darüber nur seufzen und sich Unmögliches wünschen, bis ihr Vater wieder aufwachte und sie eine heitere Miene aufsetzen musste. Er brauchte die Aufmunterung. Seine Nerven vertrugen nicht viel, und er verlor schnell den Mut: Er hatte jeden gern, an den er gewohnt war, wollte sich von keinem je trennen; überhaupt hasste er Veränderungen jeglicher Art. Eheschließungen, die zwangsläufig mit Veränderung einhergingen, waren ihm grundsätzlich ein Übel; und er hatte noch längst nicht die Heirat seiner eigenen Tochter verschmerzt und sprach nie anders als mit Bedauern darüber, obwohl es eine ausgesprochene Liebesheirat gewesen war – und nun musste er sich auch noch von Miss Taylor trennen; und da er auf seine sanftmütige Art durchaus selbstsüchtig war und sich gar nicht vorstellen konnte, dass andere vielleicht etwas anderes empfanden als er, neigte er sehr zu der Annahme, dass Miss Taylor sich selbst genauso unglücklich gemacht hatte wie sie beide und weit besser daran gewesen wäre, wäre sie bis ans Ende ihrer Tage in Hartfield geblieben. Emma lächelte und plauderte so fröhlich, wie sie nur konnte, um ihn von derlei Gedanken abzuhalten; doch als der Tee kam, da konnte er nicht anders, als dazu genau das zu sagen, was er auch schon beim Dinner gesagt hatte:
»Die arme Miss Taylor! – Wäre sie doch nur wieder hier. Ein Jammer, dass Mr Weston ausgerechnet auf sie verfallen musste!«
»Da bin ich anderer Ansicht, Papa, das weißt du. Mr Weston ist ein so herzensguter, umgänglicher, aufrechter Mann, der eine gute Ehefrau voll und ganz verdient; und du würdest doch nicht wollen, dass Miss Taylor für alle Zeit bei uns bleibt und all meine Schrullen und Launen ertragen muss, wenn sie auch ein eigenes Haus haben kann?«
»Ein eigenes Haus! – was hat sie denn schon davon, wenn sie ein eigenes Haus hat? Dieses hier ist dreimal so groß. Und du hast nie Schrullen oder Launen, Liebes.«
»Wie oft werden wir bei ihnen zu Besuch sein und sie bei uns! – Wir werden uns dauernd sehen! Wir müssen den Anfang machen, wir müssen ihnen schon sehr bald unseren Hochzeitsbesuch abstatten.«
»Wie soll ich dorthinkommen, Liebes? Randalls ist so weit fort. Nicht einmal halb so weit könnte ich gehen.«
»Nein, Papa, keiner will, dass du zu Fuß gehst. Wir nehmen natürlich die Kutsche.«
»Die Kutsche! Aber das wird James nicht gefallen, wenn er für ein so kleines Stück die Pferde anschirren soll; – und wo sollen die armen Pferde bleiben, während wir dort sind?«
»Die kommen in Mr Westons Stall, Papa. Du weißt doch, das haben wir schon entschieden. Gestern Abend haben wir alles mit Mr Weston besprochen. Und was James angeht, der wird immer gern nach Randalls fahren, schließlich ist seine Tochter doch Hausmädchen dort. Eher zweifle ich, ob er uns je anderswohin bringen will. Das ist dein Werk, Papa. Du hast Hannah diese gute Stellung verschafft. Keiner dachte an Hannah, bis du auf sie gekommen bist – James ist dir so dankbar dafür!«
»Ich bin sehr froh, dass ich an sie gedacht habe. Es war ein Glück, denn auf keinen Fall hätte ich gewollt, dass der arme James sich übergangen fühlt; und ich bin mir sicher, sie wird eine ausgezeichnete Hausangestellte; ein so höfliches, artiges Mädchen; ich halte große Stücke auf sie. Immer wenn sie mir begegnet, macht sie einen Knicks und erkundigt sich nach meinem Befinden – sehr hübsch, wie sie das macht; und mir ist aufgefallen, wenn sie zu dir zum Nähen kommt, dreht sie immer den Türknauf, wie es sich gehört, und schlägt niemals die Tür zu. Ich bin sicher, sie wird eine sehr gute Hausangestellte; und für die arme Miss Taylor wird es ein großer Trost sein, wenn sie wenigstens ein bekanntes Gesicht um sich hat. Und jedes Mal wenn James seine Tochter besucht, hört sie von uns. Er kann ihr dann erzählen, wie es uns allen hier geht.«
Emma ließ es nicht an Mühe fehlen, seine Gedanken in diesen erfreulichen Bahnen zu halten, und hoffte, dass sie ihren Vater mit Hilfe eines Backgammonspiels halbwegs gut durch den Abend bringen würde, so dass sie unter keinem Kummer außer dem eigenen zu leiden hätte. Der Tisch für das Spiel wurde aufgestellt; doch gleich darauf trat ein Besucher ein und machte ihn überflüssig.
Mr Knightley, ein besonnener Mann von an die sieben- oder achtunddreißig, war nicht nur ein langjähriger und guter Freund der Familie, sondern dieser zudem als älterer Bruder von Isabellas Ehemann eng verbunden. Er lebte etwa eine Meile entfernt von Highbury und war bei seinen häufigen Besuchen stets willkommen, und heute war er willkommener denn je, denn er kam geradewegs von ihren gemeinsamen Verwandten in London. Er war nach mehreren Tagen Abwesenheit zu einem späten Dinner wieder zu Hause eingetroffen und kam nun auf einem Spaziergang nach Hartfield, um ihnen zu sagen, dass am Brunswick Square alle wohlauf waren. Diese schöne Nachricht munterte Mr Woodhouse eine Zeitlang auf. Mr Knightley hatte eine heitere Art, die nie ihre Wirkung bei ihm verfehlte; und auf seine vielen Nachfragen nach der »armen Isabella« und ihren Kindern erhielt er höchst zufriedenstellende Antworten. Am Ende versicherte Mr Woodhouse ihm dankbar:
»Sehr freundlich von Ihnen, Mr Knightley, dass Sie zu so später Stunde noch zu uns herüberkommen. Der Weg hierher war gewiss eine Qual.«
»Überhaupt nicht, Sir. Es ist eine wunderschöne Mondnacht; und so mild, dass ich Abstand von Ihrem großen Kaminfeuer halten muss.«
»Aber es muss doch sehr feucht und schlammig gewesen sein. Sie holen sich noch eine Erkältung.«
»Schlammig, Sir! Schauen Sie sich meine Schuhe an. Kein Spritzerchen darauf.«
»Na, das wundert mich aber, denn wir hatten einen gewaltigen Regenguss hier. Es hat mächtig geregnet, eine halbe Stunde lang, als wir beim Frühstück saßen. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre die Hochzeit verschoben worden.«
»Übrigens – ich habe Ihnen noch gar nicht gratuliert. Da ich mir recht gut vorstellen kann, wie Ihnen beiden zumute ist, habe ich mich mit den Glückwünschen zurückgehalten. Aber ich hoffe doch, alles verlief halbwegs zufriedenstellend. Wie ist es Ihnen allen ergangen? Wer hat am meisten geweint?«
»Ach! die arme Miss Taylor! Was für ein Jammer das doch ist.«
»Armer Mr und arme Miss Woodhouse, wenn Sie denn wollen; aber ›arme Miss Taylor‹ kann ich unmöglich sagen. Ich schätze Sie und Emma sehr; aber wenn es um die Frage von Abhängigkeit oder Unabhängigkeit geht! – Na, in jedem Falle muss es doch besser sein, wenn man es nur noch einem recht machen muss statt zweien.«
»Gerade wenn eins von den zweien ein so kapriziöses, anstrengendes Geschöpf ist!«, rief Emma übermütig. »Das geht Ihnen doch durch den Kopf, das weiß ich – und Sie hätten es auch ausgesprochen, säße Vater nicht hier.«
»Er hat ja recht, Liebes, das weiß ich«, sagte Mr Woodhouse mit einem Seufzer. »Ich fürchte, ich bin tatsächlich oft kapriziös und anstrengend.«
»Liebster Papa! Du kannst doch nicht glauben, dass ich dich gemeint habe, oder dir vorstellen, Mr Knightley habe von dir gesprochen. Was für ein schrecklicher Einfall! O nein! Mich selbst habe ich gemeint, sonst niemanden. Du weißt doch, Mr Knightley hat immer etwas an mir auszusetzen – im Scherz –, es ist alles nur ein Scherz. Wir sagen einander immer, was wir denken.«
Tatsächlich war Mr Knightley einer der wenigen Menschen, die an Emma Woodhouse Fehler fanden, und der einzige, der sie je darauf ansprach: und ganz abgesehen davon, dass auch ihr solche Tadel nicht unbedingt angenehm waren, wusste Emma, dass sie ihrem Vater noch viel weniger gefallen würden; deshalb war es ihr am liebsten, wenn er gar nicht erst auf den Gedanken kam, dass nicht alle Welt sie für vollkommen hielt.
»Emma weiß, dass ich ihr niemals schmeichle«, entgegnete Mr Knightley, »aber ich wollte nichts Abfälliges sagen. Bisher hatte Miss Taylor zwei Personen, denen sie es recht machen musste; von nun an wird es nur noch eine sein. Da kann man sich doch vorstellen, dass ihre Lage sich verbessert hat.«
»Nun gut«, sagte Emma, bereit, es ihm durchgehen zu lassen – »Sie wollen von der Hochzeit hören, und ich will Ihnen gern davon erzählen, denn wir haben uns alle tadellos benommen. Alle waren pünktlich, alle waren fein herausgeputzt. Keine Träne, kaum ein unglückliches Gesicht waren zu sehen. Nein, wir wussten ja alle, dass wir nur auf eine halbe Meile getrennt sind und uns weiterhin alle Tage sehen können.«
»Die liebe Emma erträgt alles so tapfer«, sagte ihr Vater. »Aber in Wirklichkeit, Mr Knightley, geht ihr der Verlust der armen Miss Taylor sehr nahe, und ich bin sicher, sie wird ihr mehr fehlen, als sie jetzt denkt.«
Emma, die nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte, wandte sich ab.
»Unmöglich, dass eine solche Freundin Emma nicht fehlen wird«, entgegnete Mr Knightley. »Wir hätten sie nicht so gern, Sir, wenn wir uns das vorstellen wollten. Aber sie weiß, wie vorteilhaft diese Heirat für Miss Taylor ist; sie weiß, wie willkommen ein eigenes Heim Miss Taylor in ihrem Alter sein muss und wie wichtig es ist, dass sie Geborgenheit findet, und deshalb darf sie nicht zulassen, dass ihr Schmerz ebenso groß ist wie ihre Freude. Jeder, der es gut mit Miss Taylor meint, muss froh darüber sein, dass sie so glücklich verheiratet ist.«
»Und einen Anlass zur Freude haben Sie dabei noch vergessen«, fügte Emma hinzu, »einen sehr beträchtlichen sogar – nämlich, dass ich persönlich diese Ehe gestiftet habe. Vor vier Jahren habe ich die beiden zusammengebracht; und dass es nun so eingetreten ist und mir beweist, dass ich recht hatte, obwohl so viele gesagt haben, Mr Weston werde nie wieder heiraten, das soll mir ein Trost für alles andere sein.«
Mr Knightley schüttelte den Kopf über sie. Ihr Vater erwiderte liebevoll: »Ach, Liebes, ich wünschte, du würdest nicht immer Ehen stiften und die Zukunft voraussagen, denn was du sagst, das trifft auch ein. Tu mir den Gefallen, und stifte keine weiteren Ehen mehr.«
»Ich verspreche dir, dass ich keine Pläne für mich selbst schmieden werde, Papa; aber bei anderen, da kann ich nicht anders. Es ist das größte Vergnügen, das es überhaupt gibt! Und gerade jetzt, nach so einem Erfolg! Alle haben gesagt, Mr Weston werde nie wieder heiraten. Nie und nimmer! Mr Weston, der schon so lange Witwer war und offenbar auch ohne Frau vollkommen zufrieden, der sich entweder seinen Geschäften in der Stadt oder seinen Freunden hier widmete, überall gern gesehen, stets guter Dinge – nicht einen einzigen Abend im Jahr musste Mr Weston allein verbringen, wenn er es nicht selbst so wollte. Nein, Mr Weston würde bestimmt nicht wieder heiraten. Manche sprachen von einem Versprechen, das er seiner Frau auf dem Sterbebett gegeben habe, andere sagten, der Sohn und der Onkel ließen es nicht zu. Aller erdenkliche Unsinn wurde mit ernster Miene verbreitet, und ich habe nichts davon geglaubt. Seit dem Tag (vor ungefähr vier Jahren), als Miss Taylor und ich ihm auf der Hauptstraße begegneten und er, weil es anfing zu nieseln, gleich so galant loslief und für uns vom Pächter Mitchell zwei Regenschirme borgte, war für mich die Angelegenheit entschieden. Von Stund an war mein Plan, die beiden zu verheiraten; und da mir in diesem Falle ein solcher Erfolg beschieden war, lieber Papa, kannst du doch nicht erwarten, dass ich das Ehestiften sein lasse.«
»Ich verstehe nicht, was Sie mit ›Erfolg‹ meinen«, sagte Mr Knightley. »Erfolg setzt ein Bemühen voraus. Sie hätten in der Tat Ihre Zeit gut und klug verwendet, wenn Sie sich in den vergangenen vier Jahren darum bemüht hätten, diese Heirat zustande zu bringen. Eine würdige Beschäftigung für den Verstand einer jungen Dame! Wenn aber, wie ich eher vermute, Ihr, wie Sie es nennen, Ehestiften allein darin bestand, dass Sie sich eine Ehe vorstellten – dass Sie eines müßigen Tages zu sich sagten: ›Das wäre doch eine wirklich gute Sache für Miss Taylor, wenn Mr Weston sie heiraten würde‹ und es danach noch hie und da wiederholten –, worin besteht dann Ihr Erfolg? Worin besteht Ihre Leistung? Worauf sind Sie stolz? Sie haben richtig geraten; und das ist alles, was dazu zu sagen ist.«
»Und haben Sie denn das Vergnügen und den Triumph, richtig geraten zu haben, noch nie erlebt? – Dann tun Sie mir leid. – Ich dachte, Sie hätten mehr Verstand – denn verlassen Sie sich darauf, etwas richtig zu erraten ist niemals bloßes Glück. Man braucht schon eine Begabung dazu. Und was mein unglücklich gewähltes Wort ›Erfolg‹ angeht, an dem Sie Anstoß nehmen – ich finde nicht, dass ich so gar keinen Anspruch darauf habe. Sie haben zwei hübsche Bilder entworfen – aber ich denke, es gibt vielleicht auch noch ein drittes – etwas zwischen dem Gar-nichts-getan-Haben und dem Alles-getan-Haben. Wenn ich Mr Weston nicht zu seinen Besuchen hier ermuntert und ihm viele Male ein wenig Mut gemacht hätte, wenn ich nicht all die kleinen Hindernisse aus dem Weg geräumt hätte, wäre vielleicht trotz allem nichts daraus geworden. Ich denke, Sie kennen Hartfield gut genug, um das zu verstehen.«
»Einem geradlinigen, aufgeschlossenen Mann wie Weston und einer vernünftigen, ungekünstelten Frau wie Miss Taylor kann man es getrost überlassen, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Es ist wahrscheinlicher, dass Sie sich mit Ihrer Einmischung selbst geschadet haben, als dass Sie den beiden damit von Nutzen waren.«
»Emma denkt nie an sich, wenn sie anderen etwas Gutes tun kann«, steuerte nun Mr Woodhouse bei, der ihrer Unterhaltung nicht ganz hatte folgen können. »Aber, Liebes, tu mir den Gefallen, und stifte keine weiteren Ehen mehr; das ist albernes Zeug und stört nur den Frieden in der Familie.«
»Nur eine noch, Papa; nur noch eine für Mr Elton. Der arme Mr Elton! Du magst Mr Elton doch, Papa – ich muss mich nach einer Frau für ihn umsehen. Es gibt keine in Highbury, die ihn verdient – und er ist jetzt schon ein ganzes Jahr bei uns und hat sein Haus so schön hergerichtet, da wäre es ein Jammer, wenn er noch lange allein bliebe – und ich fand, als er heute die Hände der beiden ineinanderlegte, sah man ihm doch deutlich an, wie sehr er sich wünschte, dass einmal jemand einen solchen lieben Dienst auch für ihn täte! Ich halte große Stücke auf Mr Elton, und das ist die einzige Art, auf die ich ihm einen Gefallen erweisen kann.«
»Mr Elton ist ein sehr schmucker junger Mann, das steht fest, und ein sehr anständiger noch dazu, und ich schätze ihn sehr. Aber wenn du ihm etwas Gutes tun willst, Liebes, dann bitte ihn, einmal zu uns zum Essen zu kommen. Das wäre weitaus passender. Und ich bin sicher, Mr Knightley täte uns den Gefallen und würde ebenfalls kommen.«
»Mit dem größten Vergnügen, Sir, jederzeit«, antwortete Mr Knightley lachend; »und ich bin ganz Ihrer Meinung, dass es weit passender wäre. Laden Sie ihn zum Essen ein, Emma, und tischen Sie ihm das Beste auf, was Sie an Fisch und Huhn haben, aber lassen Sie ihn seine Ehefrau selbst aussuchen. Glauben Sie mir, ein Mann von sechs- oder siebenundzwanzig kann das allein.«
Mr Weston war in Highbury geboren und stammte aus einer achtbaren Familie, die es im Laufe der letzten zwei oder drei Generationen dort zu Ansehen und Vermögen gebracht hatte. Er hatte eine gute Erziehung erfahren, aber da er schon in jungen Jahren zu einem kleinen Vermögen gekommen war, hatte er nie Interesse an den eher bescheidenen Berufen gezeigt, mit denen seine Brüder sich begnügten; stattdessen hatte er seinen unternehmungslustigen, stets gutgelaunten Verstand und seine gesellige Art damit befriedigt, dass er in die Miliz seiner Grafschaft eintrat, die damals gerade aufgestellt wurde.
Captain Weston war ein allseits beliebter Mann; und als er durch die Wechselfälle des Soldatenlebens mit Miss Churchill bekannt wurde, aus einer bedeutenden Familie in Yorkshire, und Miss Churchill sich in ihn verliebte, da nahm niemand Anstoß daran, außer ihrem Bruder und dessen Gattin; die beiden, die ihn noch nie gesehen hatten und die stolz und hochmütig waren, mussten eine solche Verbindung missbilligen.
Doch da Miss Churchill volljährig war und frei über ihr Vermögen verfügen konnte, wenn auch ein Vermögen, das in keinem Verhältnis zum Wohlstand der Familie stand, ließ sie sich die Ehe nicht ausreden. Die Heirat fand statt, zur tiefen Beschämung von Mr und Mrs Churchill, die ihre Schwester in aller Form verstießen. Es war eine unpassende Verbindung, und sie bescherte nicht viel Glück. Mrs Weston hätte größere Zufriedenheit darin finden sollen, denn schließlich bekam sie einen Ehemann, der in seiner warmherzigen und gutmütigen Art überzeugt war, dass er gar nicht genug für sie tun konnte, zum Dank dafür, dass sie ihm die Güte erwies, ihn zu lieben; doch auch wenn sie durchaus Lebensgeist hatte, war dieser Geist nicht ganz von der rechten Art. Sie war entschlossen genug, ihren Willen gegen den ihres Bruders durchzusetzen, aber die Entschlossenheit reichte nicht aus, die unmäßige Sorge zu vertreiben, die sie über die unmäßige Wut dieses Bruders empfand, oder zu verhindern, dass der Luxus ihres vormaligen Heims ihr fehlte. Sie lebten über ihre Verhältnisse, und doch war es nichts im Vergleich zu Enscombe; nicht dass sie aufgehört hätte, ihren Mann zu lieben, aber sie wollte beides zugleich sein, die Gattin von Captain Weston und Miss Churchill von Enscombe.
Captain Weston, von dem alle, und insbesondere die Churchills, glaubten, er habe eine so gute Partie gemacht, hatte am Ende am wenigsten von dem Handel; denn als seine Frau nach drei Jahren Ehe starb, da stand er ärmer als zuvor da und hatte zudem noch ein Kind, für das er sorgen musste. Von dieser Verpflichtung wurde er allerdings bald entbunden. Der Junge war, zumal die schleichende Krankheit der Mutter die Herzen milder stimmte, das Mittel zu einer Art Versöhnung geworden; und da Mr und Mrs Churchill keine eigenen Kinder hatten und auch sonst niemanden in der Verwandtschaft, für den sie sorgen konnten, boten die beiden schon bald nach dem Tod der Mutter an, den kleinen Frank ganz in ihre Obhut zu nehmen. Man darf sich vorstellen, dass der verwitwete Vater ein gewisses Widerstreben, gewisse Bedenken zu überwinden hatte; doch da andere Überlegungen die Oberhand gewannen, wurde das Kind der Sorge und dem Wohlstand der Churchills anvertraut, und er selbst konnte sich ganz der Aufgabe widmen, Trost für sich zu finden und nach Kräften seine Lage zu verbessern.
Es schien ihm Zeit für einen Neuanfang im Leben. Er quittierte den Dienst und verlegte sich auf den Handel, wobei seine Brüder, die in London bereits gut etabliert waren, ihm halfen, seinen Platz im Geschäftsleben zu finden. Es war ein Unternehmen, das ihm genau das richtige Maß an Beschäftigung bot. Er hatte nach wie vor ein Häuschen in Highbury, wo er den Großteil seiner freien Zeit verbrachte; und mit solch nützlicher Beschäftigung und den Freuden des geselligen Lebens gingen die nächsten achtzehn oder zwanzig Jahre glücklich dahin. In dieser Zeit brachte er ein mehr als nur ausreichendes Vermögen zusammen – genug, um ein kleines Anwesen gleich bei Highbury zu erwerben, das er sich schon immer gewünscht hatte –, genug, auch eine Frau, die so wenig mit in die Ehe brachte wie Miss Taylor, zu heiraten und ganz nach dem Maßstab seiner eigenen freundlichen und geselligen Natur zu leben.
Schon eine ganze Weile hatte Miss Taylor in seinen Überlegungen eine Rolle gespielt; doch da es sich dabei nicht um die stürmischen Überlegungen der Jugend handelte, hatten sie ihn auch nicht von seiner festen Absicht abgebracht, sich erst wieder zu verheiraten, wenn er Randalls erwerben konnte, und dem Tag, an dem Randalls zum Verkauf stehen würde, blickte er schon seit langem sehnlich entgegen; aber er hatte beharrlich auf seine Ziele hingearbeitet, bis er sie allesamt erreicht hatte. Er hatte sein Vermögen erworben, sein Haus gekauft und seine Frau bekommen; und er begann den neuen Abschnitt in seinem Leben mit der Aussicht auf größeres Glück als in allen anderen zuvor. Unglücklich war er nie gewesen; davor hatte seine ganze Art ihn bewahrt, selbst in seiner ersten Ehe; aber seine zweite sollte ihm nun zeigen, welches Glück eine besonnene und wahrhaft liebevolle Ehefrau ihm schenken konnte, sollte ihm den schönsten Beweis dafür erbringen, dass es um vieles besser war zu wählen als gewählt zu werden, Dankbarkeit zu wecken als sie zu empfinden.
Er konnte sich bei seiner Wahl ganz von seinen eigenen Wünschen leiten lassen – sein Vermögen war nicht gebunden, und was Frank anbetraf, so war dieser schon lange mehr als nur stillschweigend als Erbe seines Onkels anerkannt; er war bei diesem so sehr wie ein leiblicher Sohn aufgewachsen, dass er bei seiner Volljährigkeit sogar den Namen Churchill angenommen hatte. Es war also mehr als unwahrscheinlich, dass er jemals die Unterstützung seines Vaters brauchte. Sein Vater befürchtete nichts dergleichen. Die Tante war zwar eine launische Frau und beherrschte ihren Mann vollkommen; aber niemals wäre Mr Weston in seiner gutmütigen Art auf den Gedanken gekommen, die Launen könnten dem Leben eines so lieben – und, wie er fand, so liebenswerten – Menschen etwas anhaben. Er traf sich mit seinem Sohn einmal im Jahr in London, und er war stolz auf ihn; und da er ihn so selig als prächtigen jungen Mann schilderte, war auch ganz Highbury in gewissem Sinne stolz auf ihn. Man sah ihn als eine Art Einheimischen an, und der ganze Ort nahm an seinen Verdiensten und seinen Aussichten Anteil.
Ganz Highbury pries also Mr Frank Churchill, und liebend gern hätten alle ihn auch einmal gesehen; er selbst aber erwiderte das Kompliment so wenig, dass er sich in seinem ganzen Leben noch nie dort hatte blicken lassen. Oft war die Rede davon gewesen, dass er seinen Vater besuchen wolle, aber gekommen war er nie.
Jetzt gingen alle davon aus, dass aus Anlass der Heirat seines Vaters, als angemessene Aufmerksamkeit, der Besuch endlich stattfinden würde. Darin waren sich alle einig, ob nun Mrs Perry bei Mrs und Miss Bates zum Tee zu Gast war oder ob Mrs und Miss Bates den Besuch erwiderten. Die Zeit schien gekommen, dass Mr Frank Churchill sich in ihrer Mitte zeigte; und diese Hoffnung bekam weitere Nahrung, als es hieß, er habe seiner nunmehrigen Stiefmutter zur Hochzeit geschrieben. Tagelang verging kein Vormittagsbesuch in Highbury, ohne dass die Rede auf den schönen Brief kam, den Mrs Weston erhalten hatte. »Ich nehme an, Sie haben von dem schönen Brief gehört, den Mr Frank Churchill an Mrs Weston geschrieben hat? Ich habe mir sagen lassen, dass es wirklich ein schöner Brief ist. Mr Woodhouse hat davon erzählt; Mr Woodhouse hat den Brief gesehen, und er sagt, in seinem ganzen Leben hat er noch keinen so schönen Brief gesehen.«
Es war in der Tat ein hochgeschätzter Brief. Mrs Weston hatte sich natürlich ein sehr vorteilhaftes Bild von dem jungen Mann zurechtgelegt; und eine so elegante Aufmerksamkeit war ein untrüglicher Beweis dafür, dass er wusste, was sich gehörte, und eine höchst willkommene Bereicherung der vielfältigen und allseitigen Glückwünsche, die sie zu ihrer Eheschließung bereits erhalten hatte. Sie selbst verstand sich als vom Schicksal erwählte Frau; und sie war lang genug auf der Welt, um zu wissen, wie glücklich sie sich schätzen konnte, wenn das Einzige, was es zu bedauern gab, die zeitweise Trennung von Freunden war, die noch genauso sehr an ihr hingen wie zuvor und die sie nur ungern gehen ließen!
Sie wusste, man würde sie manchmal vermissen, und es schmerzte sie, wenn sie sich vorstellte, dass Emma auch nur auf ein einziges Vergnügen verzichten sollte, nur eine Stunde Langeweile leiden, weil sie ihr nicht mehr Gesellschaft leistete; aber der lieben Emma mangelte es ja nicht an Willenskraft – sie war ihrer Lage besser gewachsen als die meisten Mädchen es gewesen wären und hatte genug Verstand und Schwung und Geist, womit sie doch hoffentlich die kleinen Schwierigkeiten und Entbehrungen gut und glücklich würde meistern können. Und es war ja auch ein Trost, dass der Weg von Randalls nach Hartfield so kurz war, ein bequemer Spaziergang, den eine Frau sogar allein unternehmen konnte, und wie wohlwollend Mr Weston war, wie günstig alles eingerichtet war, so dass sie sogar jetzt, da der Winter kam, nicht zu befürchten hatte, dass sie nicht jede Woche die Hälfte der Abende gemeinsam verbringen würden.
Viele Stunden konnte Mrs Weston mit Dankbarkeit darüber zubringen, wie glücklich sich alles gefügt hatte, und der Kummer dauerte immer nur eine Minute; sie hatte allen Grund zur Zufriedenheit – ja mehr als Zufriedenheit – zu schierer Freude, und die war ihr so deutlich anzusehen, dass Emma, auch wenn sie ihren Vater noch so gut kannte, sich manchmal nur wundern konnte, wie er es immer noch fertigbrachte, »die arme Miss Taylor« zu bedauern, wenn sie sie nach einem Besuch in Randalls in ihrem behaglichen Heim zurückließen oder ihr nachschauten, wenn sie am Abend von ihrem Gatten galant zu einer Kutsche geleitet wurde, die ganz zu ihrer persönlichen Verfügung stand. Doch nie ging sie fort, ohne dass Mr Woodhouse mit einem kleinen Seufzer sagte:
»Ach, die arme Miss Taylor! Wie gern wäre sie geblieben.«
Miss Taylor würde nicht zu ihnen zurückkehren, und er würde nicht aufhören, sie deswegen zu bedauern; aber ein paar Wochen brachten Mr Woodhouse doch ein gewisses Maß an Beschwichtigung. Die Glückwünsche seiner Nachbarn hatte er hinter sich, und nun musste ihn nicht mehr quälen, dass andere ihm zu einem Ereignis gratulierten, das für ihn ein solcher Quell des Kummers war; und der Hochzeitskuchen, dessentwegen er sich so viele Gedanken gemacht hatte, war aufgegessen. Sein eigener Magen vertrug nichts Schweres, und er konnte sich niemals vorstellen, dass andere in diesem Punkt vielleicht anders waren. Was ihm unbekömmlich war, sah er als ungenießbar für alle an; deshalb hatte er sich alle Mühe gegeben, ihnen das Backen eines Hochzeitskuchens ganz auszureden, und als das nichts half, alle Mühe, jedermann davon abzubringen, dass er davon aß. Er war sogar so weit gegangen, in dieser Frage Mr Perry, den Arzt und Apotheker, zu konsultieren. Mr Perry war ein verständiger, zurückhaltender Mann, dessen häufige Besuche zu den Tröstungen in Mr Woodhouses Leben gehörten; und auf die Frage konnte er nur bestätigen (auch wenn man den Eindruck hatte, dass er es eher gegen seine innere Überzeugung tat), dass vielen Leuten – ja, den meisten sogar – Hochzeitskuchen nicht bekomme, wenn sie ihm zu sehr zusprächen. Mit einer solchen Meinung, die ihm die eigene bestätigte, hoffte Mr Woodhouse jeden Besucher der jüngst Vermählten umzustimmen; trotzdem wurde der Kuchen verspeist; und seine Nerven, die es doch nur gut meinten, fanden erst Ruhe, als nichts mehr davon übrig war.
In Highbury ging ein merkwürdiges Gerücht, nämlich, dass man sämtliche kleinen Perrys mit einem Stück von Mrs Westons Hochzeitskuchen in der Hand gesehen habe – aber das konnte Mr Woodhouse einfach nicht glauben.
Auf seine Art hatte Mr Woodhouse durchaus gern Gesellschaft. Er freute sich immer, wenn seine Freunde kamen und ihn besuchten, und es hatte sich so ergeben – durch die lange Zeit, die er nun schon in Hartfield lebte, durch sein gutmütiges Wesen, sein Vermögen, sein Haus und seine Tochter –, dass er über seinen kleinen Freundeskreis und dessen Besuche fast ganz nach Belieben verfügen konnte. Mit Familien außerhalb dieses Zirkels pflegte er kaum Umgang; seine Abneigung gegen langes Aufbleiben und gegen große Dinnergesellschaften machte ihn ungeeignet für jede Bekanntschaft, die sich nicht ganz auf seine Gewohnheiten einstellte. Zum Glück für ihn gab es in Highbury, zu welcher Kirchengemeinde auch Randalls gehörte, und in Donwell Abbey in der benachbarten (Mr Knightleys Besitz), viele davon. Nicht selten hatte er, dank Emmas Überredungskünsten, ein paar Auserwählte und besonders gern Gesehene zum Essen bei sich; aber am liebsten waren ihm Abendgäste, und außer wenn er sich dem gesellschaftlichen Leben einmal gerade gar nicht gewachsen fühlte, gab es kaum einen Abend in der Woche, an dem Emma nicht genug für ein Kartenspiel zusammenbrachte.
Echte, langjährige Freundschaft führte die Westons und Mr Knightley zu ihnen; und dass Mr Elton, ein junger Mann, der nur unfreiwillig allein lebte, das Privileg ausschlug, einen Abend seiner täglichen Einsamkeit gegen die Eleganz und Geselligkeit von Mr Woodhouses Salon und das Lächeln seiner bezaubernden Tochter zu tauschen, war nicht zu befürchten.
Jenseits dieses gab es einen zweiten Zirkel; zu den Zuverlässigsten darunter zählten Mrs und Miss Bates und Mrs Goddard, drei Damen, die für eine Einladung aus Hartfield so gut wie immer zu haben waren und die so oft abgeholt und wieder nach Hause gefahren wurden, dass Mr Woodhouse es nicht mehr als Anstrengung, weder für James noch für die Pferde, betrachtete. Wäre es nur einmal im Jahr vorgekommen, dann wäre es eine Last gewesen.
Mrs Bates, die Witwe eines früheren Pfarrers von Highbury, war eine so alte Dame, dass ihr außer Teetrinken und Quadrillespiel nicht mehr viel zuzumuten war. Sie lebte mit ihrer unverheirateten Tochter in sehr bescheidenen Verhältnissen und wurde mit aller Nachsicht und allem Respekt behandelt, den eine harmlose alte Dame unter so unglücklichen Umständen wecken kann. Ihre Tochter genoss ein wirklich bemerkenswertes Maß an Ansehen für eine Frau, die weder jung noch hübsch, weder reich noch verheiratet war. Durch ihre Stellung ließ sich Miss Bates’ Beliebtheit nicht erklären, und es mangelte ihr auch ganz an jener Form von Intelligenz, die ihre eigene Person in besseres Licht hätte rücken oder möglichen Widersachern nach außen hin Respekt hätte abfordern können. Nie hatte sie glänzen können, weder mit Schönheit noch mit Klugheit. Ihre jungen Jahre waren ohne große Ereignisse verstrichen, die mittleren brachte sie nun mit der Pflege einer gebrechlichen Mutter zu, damit, aus einem geringen Einkommen nach Kräften das Beste zu machen. Und doch war sie eine glückliche Frau, eine, von der niemand ohne Wohlwollen sprach. Und ein ebenso grenzenloses Wohlwollen ihrerseits, eine bescheidene Selbstzufriedenheit, waren es, die solche Wunder wirkten. Sie war jedermann zugetan, wollte jedermanns Glück, sah an allen nur das Gute; hielt sich für den glücklichsten aller Menschen, gesegnet mit einer so trefflichen Mutter, so vielen guten Nachbarn und Freunden und mit einem Zuhause, in dem es an nichts mangelte. Ihr einfaches und fröhliches Wesen, ihr zufriedenes und dankbares Gemüt machten sie beliebt bei aller Welt, und sie selbst zog ihr größtes Glück daraus. Sie konnte endlos lang über Kleinigkeiten reden, was ganz nach Mr Woodhouses Geschmack war, und hatte stets unbedeutende Neuigkeiten und harmlose Klatschgeschichten parat.
Mrs Goddard stand einer Schule vor – keiner Anstalt oder Institution, nichts, was in langen Sätzen aus hochtrabendem Unsinn versprach, unter zeitgemäßen Prinzipien nach neuesten Regeln eine klassische Bildung mit der Erziehung zu vornehmen Sitten zu verknüpfen – nichts, wo man jungen Damen gegen unverschämt viel Geld die Gesundheit austrieb und ihnen Flausen in den Kopf setzte –, sondern einem echten, aufrechten, altmodischen Mädchenpensionat, in dem ein vernünftiges Maß an Fertigkeiten für einen vernünftigen Preis zu haben war, und auf das man Mädchen schickte, damit sie aus dem Wege waren und damit sie sich nach Kräften ein klein wenig Wissen aneigneten, ohne dass sie gleich Gefahr liefen, als Wunderkinder zurückzukommen. Mrs Goddards Schule genoss beträchtliches Ansehen, und das sehr zu Recht, denn Highbury galt als äußerst gesunder Ort; sie hatte ein großes Haus und einen großen Garten, gab den Kindern reichlich und bekömmlich zu essen, ließ sie im Sommer viel herumtollen und verband ihnen im Winter eigenhändig die Frostbeulen. Kein Wunder, dass ihr nun eine Reihe von zwanzig Mädchenpaaren folgte, wenn sie zur Kirche ging. Sie war eine einfache, mütterliche Frau, die in ihrer Jugend hart gearbeitet hatte und die nun fand, dass sie sich auch einmal Erholung bei einem Teebesuch verdient hatte; und da sie dem Wohlwollen von Mr Woodhouse viel verdankte, sagte sie sich zudem, dass es ihm zustand, sie so oft es ihm gefiel aus ihrer hübschen, ringsum mit Handarbeiten ausgeschmückten Stube fortzuholen, damit sie an seinem Kamin ein paar Sixpence gewann oder verlor.
Das waren die Damen, die Emma fast immer um sich versammeln konnte, und um ihres Vaters willen war sie glücklich über diese Macht; was aber sie selbst anbetraf, so konnten sie ihr die abwesende Mrs Weston niemals ersetzen. Sie war hocherfreut, dass ihr Vater sich offenbar wohl fühlte, und sehr zufrieden mit sich, dass sie alles so gut einrichtete; aber das müßige Geplapper dreier solcher Damen gab ihr doch das Gefühl, dass jeder Abend, den sie mit ihnen verbrachte, nur wieder ein weiterer unter genau jenen langen und langweiligen Abenden war, die sie sich in ihren schlimmsten Befürchtungen stets ausgemalt hatte.
Als sie eines Vormittags dasaß und wieder einmal einen solchen Abschluss des Tages kommen sah, traf ein Briefchen von Mrs Goddard ein, in dem sie in höchst respektvollen Tönen darum bat, Miss Smith mitbringen zu dürfen; eine äußerst willkommene Bitte, denn Miss Smith war ein Mädchen von siebzehn Jahren, das Emma vom Sehen her gut kannte und das sie schon seit langem interessierte, seiner großen Schönheit wegen. Eine sehr freundliche Antwort wurde auf den Weg gebracht, und nun sah die Dame des Hauses dem bevorstehenden Abend gleich mit weitaus mehr Zuversicht entgegen.
Harriet Smith war die uneheliche Tochter von jemandem. Jemand hatte sie schon vor mehreren Jahren in Mrs Goddards Schule untergebracht, und jemand hatte es kürzlich so eingerichtet, dass sie als zahlender Gast dort blieb. Das war alles, was man im Dorf über ihre Geschichte wusste. Sie hatte, soweit man es beurteilen konnte, keine Freunde außer denen, die sie sich in Highbury erworben hatte, und war eben erst von einem langen Besuch auf dem Lande zurückgekehrt, bei jungen Damen, die mit ihr zur Schule gegangen waren.
Sie war ein sehr hübsches Mädchen, und ihre Schönheit war von genau der Art, die Emma besonders bewunderte. Sie war zierlich und wohlgerundet, mit zarter Haut, die Wangen anmutig gerötet, die Augen blau, mit blondem Haar und ebenmäßigen Zügen, das Bild eines Engels; und noch bevor der Abend um war, gefiel Emma ihr Betragen ebenso gut wie ihr Äußeres, und sie war fest entschlossen, sie zu ihrer Freundin zu machen.
Nicht dass ihr etwas besonders Geistreiches in Miss Smiths Beiträgen zur Unterhaltung aufgefallen wäre, aber sie mochte ihre lebhafte Art – nicht zu schüchtern, nicht zu schweigsam, und doch niemals vorlaut; sie legte eine so schickliche Zurückhaltung an den Tag, die ihr so gut stand, wirkte so angenehm dankbar für die Einladung nach Hartfield, so ehrlich beeindruckt von einer Umgebung um vieles vornehmer als die, an die sie gewohnt war – da musste sie ein Mädchen von gutem Verstand sein, eines, das es verdiente, ermuntert zu werden. Ermunterung sollte sie bekommen. Diese sanften blauen Augen, dieser natürliche Charme durften nicht an die mindere Gesellschaft von Highbury und deren Kreise verschwendet werden. Was sie an Bekanntschaften bisher geschlossen hatte, war nicht gut genug für sie. Die Freunde, von denen sie eben zurückgekehrt war, mochten anständige Leute sein, aber sie waren nicht der richtige Umgang. Es handelte sich um eine Familie Martin, die Emma dem Namen nach kannte; sie waren Pächter von Mr Knightley mit einem großen Bauernhof im Pfarrbezirk Donwell – ehrbare Leute, soviel sie wusste – jedenfalls hielt Mr Knightley große Stücke auf sie –, aber sie mussten ungebildet und ungehobelt sein, gänzlich unpassend als Gefährten für ein Mädchen, dem zur Vollkommenheit nur noch ein klein wenig Bildung und Eleganz fehlte. Sie würde sich ihrer annehmen; sie würde ihr den nötigen Schliff geben; sie würde sie von ihrem schlechten Umgang befreien und sie in die gute Gesellschaft einführen; sie würde ihre Meinungen und Manieren formen. Das war eine interessante und dazu noch wohltätige Aufgabe, genau das Richtige für sie bei ihrer Stellung, ihrer Muße und ihrem Einfluss.
So beschäftigt war sie mit der Bewunderung dieser sanften blauen Augen, mit Reden und Zuhören, mit dem Zurechtlegen all dieser Pläne in den Pausen dazwischen, dass der Abend ganz ungewohnt wie im Fluge verging; und der Tisch für das Nachtmahl, das solche Gesellschaften stets abschloss und das sie sonst immer herbeisehnte, war schon fertig gedeckt und an den Kamin gerückt, bevor sie es überhaupt bemerkte. Mit einem Schwung, der weit über das ohnehin hohe Maß hinausging, mit dem sie immer darauf bedacht war, alles gut und geschickt zu regeln, mit dem ganzen Eifer eines Verstands, den seine eigenen Ideen beflügeln, kam sie nun ihren Pflichten als Hausherrin nach, teilte Hühnerfrikassee und gebackene Austern aus und drängte ihre Gäste immer gerade so weit, wie es ihnen in ihrer höflichen Zurückhaltung und in Anbetracht des zeitigen Aufbruchs angenehm war.
Bei solchen Anlässen gerieten die Gefühle des armen Mr Woodhouse stets in einen schlimmen Zwiespalt. Er freute sich, wenn die Tafel gedeckt wurde, denn so war es in seiner Jugend Brauch gewesen; andererseits war er überzeugt, dass eine Mahlzeit zu so später Stunde ungesund war, und deshalb sah er es mit Sorge, wenn die Schüsseln aufgetragen wurden; und so gern er aus Gastfreundschaft seinen Besuchern auch all diese Speisen gönnte, bekümmerte ihn der Gedanke an ihre Gesundheit doch jedes Mal, wenn sie davon aßen.
Ein Schälchen mit dünnem Haferschleim, wie er selbst es sich vorsetzen ließ, war alles, was er ihnen guten Gewissens empfehlen konnte; aber er rang sich doch dann und wann durch, während die Damen bei den schöneren Speisen zulangten, etwa zu sagen:
»Mrs Bates, darf ich vorschlagen, dass Sie sich an eins dieser Eier wagen? Ein Ei, wenn es nicht zu hart gekocht ist, ist nicht ungesund. Und aufs Eierkochen versteht sich Serle wie keine andere. Ein Ei, das jemand anderes gekocht hat, würde ich Ihnen nicht empfehlen – aber hier haben Sie nichts zu befürchten – Sie sehen selbst, sie sind sehr klein – eins von unseren kleinen Eiern wird Ihnen nicht schaden. Miss Bates, lassen Sie sich doch von Emma noch ein wenig von dem Törtchen geben – nur ein klein wenig. Bei uns gibt es nur Apfeltörtchen. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass wir Ihnen unverdauliche Konfitüren anbieten. Aber lassen Sie die Vanillesoße lieber sein. Mrs Goddard, wie wäre es mit einem halben Gläschen Wein? Einem kleinen halben Glas, mit einem Becher Wasser vermischt? Ich glaube nicht, dass Ihnen das nicht bekommt.«
Emma ließ ihren Vater reden – bewirtete aber dabei ihre Gäste um vieles reichlicher; und an diesem Abend hatte sie mehr denn je ihr Vergnügen daran, dass alle glücklich von dannen zogen. Die Glückseligkeit von Miss Smith war ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Miss Woodhouse war eine so angesehene Persönlichkeit in Highbury, und die Aussicht, ihr vorgestellt zu werden, hatte in ihr ebenso viel Furcht wie Freude geweckt; aber nun ging dieses bescheidene, dankbare junge Mädchen in schönster Zufriedenheit nach Haus, beschwingt von der Liebenswürdigkeit, mit der Miss Woodhouse sie den ganzen Abend über behandelt hatte, und zum Schluss hatte sie ihr doch tatsächlich die Hand gereicht!
Dass Harriet Smith von nun an häufiger nach Hartfield kommen sollte, war bald beschlossen. Schnell und entschieden, wie sie war, verlor Emma keine Zeit, sie einzuladen, sie zu ermuntern, zu beteuern, dass sie recht oft vorbeikommen solle; und je besser sie sich kennenlernten, desto mehr Gefallen fanden sie aneinander. Sehr schnell war Emma darauf gekommen, wie nützlich sie ihr als Begleiterin auf Spaziergängen sein würde. Gerade in dieser Hinsicht hatte ihr Mrs Weston sehr gefehlt. Ihr Vater ging nie weiter als bis zum Garten, wo die beiden Wege ihm zu entweder einem kurzen oder einem langen Spaziergang genügten, je nach Jahreszeit; und seit Mrs Westons Heirat war sie nicht mehr genug aus dem Haus gekommen. Einmal war sie allein nach Randalls gegangen, aber das hatte ihr kein Vergnügen gemacht; und da bereicherte sie gern die Liste ihrer Privilegien um das Recht, Harriet Smith jederzeit zu einem Spaziergang bestellen zu können. Doch auch sonst war sie, je häufiger sie sich sahen, desto mehr von ihr angetan und fühlte sich bestärkt in all ihren wohltätigen Plänen.
Klug hätte man Harriet nicht nennen können, aber sie hatte ein sanftmütiges, folgsames, dankbares Wesen, jede Eitelkeit war ihr fremd, und sie war es gern zufrieden, sich von jemandem leiten zu lassen, zu dem sie aufblicken konnte. Dass sie sich von Anfang an an sie hielt, war, fand Emma, ein schöner Zug an ihr; und dass sie gute Gesellschaft suchte, dass sie imstande war zu erkennen, was elegant und kultiviert war, bewies, dass es ihr an Geschmack nicht mangelte, auch wenn man geistreiche Bemerkungen nicht erwarten durfte. Sie war voll und ganz überzeugt davon, dass Harriet Smith genau die junge Freundin war, die sie sich gewünscht hatte – genau das, was ihr zu Hause fehlte. Dass sie noch einmal eine Freundin wie Mrs Weston fand, war ausgeschlossen. Zwei in dieser Art waren niemandem beschieden. Zwei in dieser Art hätte sie auch gar nicht gewollt. Was sie hier hatte, war etwas vollkommen anderes – eine neue, eigenständige Erfahrung. Mrs Weston war jemand, den sie verehrte, mit einer Achtung, die auf Dankbarkeit und Wertschätzung beruhte. Harriet aber wollte sie als jemanden lieben, dem sie nützlich sein konnte. Für Mrs Weston konnte sie nichts tun; für Harriet alles.
Der erste Versuch, ihr nützlich zu sein, war, dass sie herausbekommen wollte, wer ihre Eltern waren; aber Harriet konnte ihr nichts dazu sagen. Sie war gern bereit zu erzählen, was sie wusste, aber alles weitere Nachfragen war vergebens. Emma musste sich selbst etwas zusammenreimen – aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie in einer solchen Lage nicht hinter das Geheimnis gekommen wäre. Harriet war nicht beharrlich genug. Sie hatte sich mit dem zufriedengegeben, was Mrs Goddard zu sagen bereit war, und mehr hatte sie nicht unternommen.
Ein Großteil dessen, was sie zu erzählen wusste, drehte sich um Mrs Goddard und die Lehrerinnen und die Mädchen und überhaupt alles, was die Schule betraf – es wäre ihr einziges Thema gewesen, hätte sie nicht noch die Martins von der Abbey-Mill-Farm gehabt. Die Martins beschäftigten sie allerdings sehr; sie hatte zwei ausgesprochen glückliche Monate bei ihnen verbracht und erzählte nun gern von den Freuden dieses Besuches und beschrieb die vielen Annehmlichkeiten und Eigentümlichkeiten dort. Emma ermunterte sie in ihrer Gesprächigkeit – fühlte sich gut unterhalten mit dieser Schilderung von so ganz anderen Menschen, amüsierte sich über die jugendliche Einfalt, mit der sie erzählte, dass Mrs Martin zwei Wohnstuben habe, zwei wirklich schöne Stuben; die eine genauso groß wie Mrs Goddards Salon; und dass sie eine Großmagd habe, die schon seit fünfundzwanzig Jahren bei ihr sei; und dass sie acht Kühe hätten, zwei davon Alderneys, und eine sei eine kleine Waliser Kuh, eine wirklich hübsche kleine Waliser Kuh; und Mrs Martin habe gesagt, weil sie ihr so gut gefalle, wollten sie sie ihre Kuh nennen; und dass sie eine sehr ansehnliche Laube im Garten hätten, wo sie im nächsten Jahr einmal alle zusammen Tee trinken wollten – eine sehr ansehnliche Laube, groß genug für ein Dutzend Leute.
Eine Zeitlang amüsierte sie sich, ohne weiter nachzudenken; doch als sie die Zusammensetzung der Familie besser verstand, kamen Gefühle ganz anderer Art auf. Sie hatte es anfangs falsch verstanden und geglaubt, es seien Mutter und Tochter, dazu ein Sohn und dessen Frau, die alle zusammen dort wohnten; als sich aber herausstellte, dass der Mr Martin, von dem in den Erzählungen so oft die Rede war und dessen große Gutmütigkeit, mit der er ihr diesen oder jenen Gefallen getan habe, immer wieder erwähnt wurde, unverheiratet war – dass es in dieser Geschichte keine junge Mrs Martin gab –, da sah sie die Bedrohung, die all diese Gastfreundschaft, all die Aufmerksamkeiten für ihre kleine Freundin bedeuteten – und dass sie, wenn man sich ihrer nicht annahm, vielleicht in die Verlegenheit kam, etwas zu tun, das ihr Leben unter Stande für immer besiegelte.
Angespornt von dieser Erkenntnis begann sie genauer nachzufragen, tiefer zu bohren; insbesondere brachte sie Harriet dazu, ihr mehr über Mr Martin zu erzählen – und offensichtlich hatte diese nichts dagegen. Harriet sprach sehr bereitwillig davon, wie er die Mädchen auf ihren Mondscheinspaziergängen begleitet und sich an übermütigen abendlichen Spielen beteiligt habe, und immer wieder kam sie darauf, wie freundlich und gefällig er sei. Er sei drei Meilen weit geritten, um ihr ein paar Walnüsse zu holen, nur weil sie gesagt hatte, wie gern sie die esse – und überhaupt sei er in allem so aufmerksam! Er habe den Sohn seines Schafhirten mit ins Wohnzimmer gebracht, damit er für sie sang. Sie höre so gern jemanden singen. Er selbst singe auch ein wenig. Er sei, soweit sie sehe, ein sehr kluger Mann, er wisse alles. Er habe eine wirklich schöne Herde; in ihrer Zeit dort habe man ihm für seine Wolle mehr geboten als jedem anderen in der Gegend. Er sei, soweit sie wisse, überall gut angesehen. Seine Mutter und seine Schwestern liebten ihn sehr. Einmal habe Mrs Martin zu ihr gesagt (und sie errötete, als sie es jetzt wiederholte), einen besseren Sohn könne man sich gar nicht vorstellen; und deshalb sei sie – die Mutter – auch überzeugt, dass er, wenn er einmal heirate, ein guter Ehemann werde. Nicht dass sie sich wünsche, dass er heirate. Da habe sie es ganz und gar nicht eilig.
»Kompliment, Mrs Martin!«, dachte Emma. »Sie wissen, was Sie wollen.«
Und beim Abschied sei Mrs Martin auch noch so nett gewesen und habe ihr für Mrs Goddard eine schöne Gans mitgegeben – die beste Gans, die Mrs Goddard je gesehen habe. An einem Sonntag habe Mrs Goddard sie gebraten und die drei Lehrerinnen, Miss Nash, Miss Prince und Miss Richardson, zum Essen eingeladen.
»Mr Martin ist, nehme ich an, kein Mann, der viel von Dingen versteht, die über sein Metier hinausgehen. Er liest nicht, oder?«
»O doch! – das heißt nein – ich weiß es nicht – aber ich glaube, er hat eine Menge gelesen – aber nicht die Sachen, die Sie lesen würden. Er liest Jahrbücher für die Landwirtschaft – und ein paar andere Bände lagen auch noch auf der Fensterbank – die liest er für sich allein. Aber manchmal am Abend las er uns, bevor wir Karten spielten, etwas aus einem Almanach vor – das war sehr unterhaltsam. Und ich weiß, dass er den Pfarrer von Wakefield gelesen hat. Die Romanze im Walde kannte er nicht, und die Klosterkinder auch nicht, aber jetzt, wo ich ihm davon erzählt habe, will er sie sich besorgen, sobald er kann.«
Die nächste Frage lautete:
»Wie sieht Mr Martin denn aus?«
»Oh – nicht allzu gut – eigentlich gar nicht gut. Zu Anfang fand ich ihn ziemlich unscheinbar, aber jetzt kommt er mir schon nicht mehr so unscheinbar vor. Wissen Sie, nach einer Weile merkt man das nicht mehr. Aber haben Sie ihn denn noch nie gesehen? Er ist ab und zu in Highbury, und einmal pro Woche reitet er auf alle Fälle durch, auf dem Weg nach Kingston. Bestimmt ist er schon oft an Ihnen vorbeigekommen.«
»Das mag sein – vielleicht habe ich ihn schon fünfzigmal gesehen, aber ohne dass ich wusste, wer er ist. Ein Bauernbursche, ob nun zu Pferde oder zu Fuß, wäre der Letzte, der meine Aufmerksamkeit erregt. Bauern sind genau die Art von Menschen, mit denen ich nun wirklich nichts zu tun haben kann. Eine Stufe oder zwei darunter, und jemand von annehmbarem Äußeren könnte mich interessieren; ich könnte vielleicht hoffen, dass ich der Familie auf die eine oder andere Weise etwas Gutes tun kann. Ein Pächter hingegen kann meine Hilfe nicht brauchen und steht in dieser Hinsicht zu hoch, um mich zu beschäftigen, und in jeder anderen steht er zu tief.«
»Da haben Sie recht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Ihnen aufgefallen ist, ist tatsächlich nicht groß – aber er kennt Sie genau – vom Sehen, meine ich.«
»Ich zweifle nicht, dass er ein sehr respektabler junger Mann ist. Ich weiß, dass es so ist, und mein Wohlwollen ist ihm sicher. Was schätzen Sie, wie alt mag er sein?«
»Am achten letzten Juni ist er vierundzwanzig geworden, und ich selber habe am dreiundzwanzigsten Geburtstag – nur zwei Wochen und ein Tag Unterschied! Ist das nicht lustig?«
»Erst vierundzwanzig. Das ist zu jung, um einen Hausstand zu gründen. Seine Mutter hat ganz recht, wenn sie sagt, er soll es nicht überstürzen. Es scheint ihnen ja im Augenblick durchaus gutzugehen, und wenn sie es jetzt darauf anlegte, ihn zu verheiraten, würde sie es vielleicht später bereuen. In sechs Jahren, wenn er da eine anständige junge Frau aus seinen eigenen Verhältnissen fände, die auch noch ein wenig Geld mitbrächte, dann wäre es das Richtige.«
»In sechs Jahren! – meine liebe Miss Woodhouse, da wäre er ja schon dreißig!«
»Nun, früher können die meisten Männer es sich nicht leisten zu heiraten, wenn sie nicht gerade vermögend sind. Mr Martin, nehme ich an, muss sich sein Geld erst noch erarbeiten – und weit kann er es damit noch nicht gebracht haben. Ganz gleich, was er beim Tode seines Vaters geerbt haben mag, steckt doch vermutlich alles in dem Hof, ist in Viehbestand und so weiter angelegt; und auch wenn er es mit Fleiß und Glück einmal zu Wohlstand bringt, kann er doch jetzt noch nicht viel haben.«
»Allerdings, da haben Sie recht. Nicht dass sie arm wären. Sie haben keinen Hausdiener – aber sonst fehlt es ihnen an nichts; und Mrs Martin sagt, dass sie vielleicht nächstes oder übernächstes Jahr einen Burschen anstellen will.«
»Ich hoffe nur, Sie geraten nicht in Verlegenheit, Harriet, wenn er eines Tages heiratet – wenn Sie dann Umgang mit seiner Frau pflegen, meine ich –, denn zwar ist gegen seine Schwestern, die eine höhere Bildung genossen haben, nicht unbedingt etwas einzuwenden, aber daraus folgt nicht, dass er auch jemanden heiratet, der ein passender Umgang für Sie wäre. In diesen Dingen müssen Sie bei den unglücklichen Umständen Ihrer Geburt besonders vorsichtig sein. Sie sind ohne jede Frage die Tochter eines Gentlemans, und Sie müssen Ihren Anspruch auf diese Stellung mit allem unterstützen, was in Ihrer Macht steht, sonst wird es viele geben, die sich ein Vergnügen daraus machen, Sie herabzusetzen.«
»Da haben Sie recht – ja, das kann ich mir vorstellen. Aber solange ich nach Hartfield komme und Sie so freundlich zu mir sind, Miss Woodhouse, fürchte ich mich nicht vor dem, was die Leute tun könnten.«
»Ich sehe, Sie haben gelernt, wie wichtig Einfluss ist, Harriet; aber ich will, dass Sie einen so festen Platz in der guten Gesellschaft bekommen, dass Sie am Ende nicht einmal mehr auf Hartfield und Miss Woodhouse angewiesen sind. Ich will, dass Sie beständige gute Verbindungen knüpfen – und damit das gelingt, ist es wichtig, dass Sie so wenig dubiose Bekanntschaften pflegen wie nur möglich; deshalb sage ich, dass Sie sich, sollten Sie noch hier in der Gegend sein, wenn Mr Martin sich verheiratet, nicht durch Ihren Umgang mit seinen Schwestern in eine Bekanntschaft mit einer Ehefrau hineinziehen lassen dürfen, die wahrscheinlich einfach nur eine ungebildete Bauerntochter sein wird.«
»Da haben Sie recht. Auf keinen Fall. Auch wenn ich nicht glaube, dass Mr Martin eine Frau nehmen wird, die nicht wenigstens ein bisschen Bildung und eine anständige Erziehung hat. Aber ich will Ihnen nicht widersprechen – und ich bin mir sicher, an einer Bekanntschaft mit seiner Frau wird mir nichts liegen. Seine Schwestern werde ich immer gernhaben, besonders Elizabeth, und es würde mir sehr leidtun, wenn ich sie nicht mehr sähe; und sie haben dieselbe Erziehung erfahren wie ich. Doch wenn er eine strohdumme gewöhnliche Frau heiratet, dann pflege ich wohl, wenn es sich einrichten lässt, besser keinen Umgang mit ihr.«
Emma beobachtete sie beim Auf und Ab dieser Rede und konnte keine beunruhigenden Anzeichen von Verliebtheit entdecken. Der junge Mann war ihr erster Bewunderer gewesen, aber über das ging es wohl nicht hinaus, so dass gegen ein freundschaftliches Arrangement, wie es ihr vorschwebte, von Harriets Seite kein Widerstand zu befürchten war.
Sie trafen Mr Martin gleich am nächsten Tag, als sie auf der Straße nach Donwell spazieren gingen. Er war zu Fuß unterwegs, und nachdem er ihr selbst mit einem äußerst respektvollen Blick begegnet war, sah er mit unverhohlener Freude ihre Begleiterin an. Das war Emma nicht unrecht, denn so konnte sie ihn studieren; sie ging ein paar Schritte voraus, während die beiden miteinander sprachen, und mit ihrer raschen Auffassungsgabe hatte sie sich binnen kurzem ein ausreichendes Bild von Mr Robert Martin gemacht. Sein Äußeres war sehr gepflegt, und er schien ein verständiger junger Mann, aber sonst gab es nichts Vorteilhaftes an ihm; und wenn sie ihn erst einmal mit einem Gentleman vergleichen könnte, würde er gewiss den Platz, den er in Harriets Herzen erobert hatte, wieder verlassen müssen. Harriet hatte durchaus Sinn für gute Umgangsformen und war von sich aus mit Bewunderung, aber auch mit Staunen auf die sanftmütige Natur ihres Vaters zu sprechen gekommen. Mr Martin sah aus, als wüsste er nicht einmal, was Umgangsformen sind.
Sie unterhielten sich nur ein paar Minuten, denn sie konnten Miss Woodhouse nicht warten lassen; dann kam Harriet gleich zu ihr herübergelaufen, strahlte übers ganze Gesicht und befand sich überhaupt in einer Aufregung, die Miss Woodhouse schon sehr bald wieder zu dämpfen gedachte.
»Stellen Sie sich das vor, dass wir ihn hier treffen! – Ist das nicht lustig! Schierer Zufall, sagt er, dass er nicht den Weg über Randalls genommen hat. Er habe ja keine Ahnung gehabt, dass wir manchmal hier spazieren gingen. Er dachte, wir gingen immer Richtung Randalls. Er hat sich die Romanze im Walde noch nicht besorgen können. Das letzte Mal, als er in Kingston war, war er so beschäftigt, dass er es glatt vergessen hat, aber morgen kommt er wieder hin. Das ist doch wirklich lustig, dass wir uns zufällig treffen! Nun, Miss Woodhouse, ist er so, wie Sie ihn sich ausgemalt hatten? Wie finden Sie ihn? Finden Sie ihn tatsächlich so unscheinbar?«
»Unscheinbar ist er, das steht fest – bemerkenswert unscheinbar –, aber das ist nichts im Vergleich dazu, dass ihm jedes Maß an Vornehmheit abgeht. Ich durfte nicht viel erwarten und erwartete auch nicht viel; aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass er so ungehobelt ist, so ohne jeden Schliff. Ich muss sagen, eine Stufe oder zwei vornehmer hatte ich ihn mir doch vorgestellt.«
»Da haben Sie recht«, sagte Harriet verlegen; »natürlich ist er nicht so vornehm wie ein richtiger Gentleman.«
»Ich denke doch, Harriet, seit Sie bei uns verkehren, sind Sie ein paarmal in der Gesellschaft solcher ›richtigen‹ Gentlemen gewesen, und da wird Ihnen der Unterschied zu Mr Martin aufgefallen sein. In Hartfield sind Ihnen sehr schöne Beispiele für gebildete und wohlerzogene Männer begegnet. Es würde mich wundern, wenn Sie jetzt noch Mr Martin betrachten könnten, ohne dass Sie sehen, wie unterlegen er im Vergleich ist – und sich selbst erstaunt fragen, wie Sie ihn je angenehm finden konnten. Geht Ihnen das jetzt nicht auf? Haben Sie es nicht gesehen? Es muss Ihnen doch aufgefallen sein, wie linkisch er wirkt, wie unwirsch er auftritt – und die Stimme so grob; ich konnte bis hierhin hören, wie unbeherrscht sie ist.«
»Sicher, er ist kein Mr Knightley. Er hat nicht das feine Auftreten, er bewegt sich nicht so wie Mr Knightley. Den Unterschied sehe ich deutlich genug. Aber Mr Knightley ist ja auch ein besonders vornehmer Mann!«
»Mr Knightleys Auftreten ist in der Tat außerordentlich kultiviert, da wäre es nicht fair, Mr Martin mit ihm