Endlich mal was Positives (2018) - Matthias Gerschwitz - E-Book

Endlich mal was Positives (2018) E-Book

Matthias Gerschwitz

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Beschreibung

In »Endlich mal was Positives« beschreibt Matthias Gerschwitz, der 1994 das positive HIV-Testergebnis erhielt, seinen Umgang mit der Infektion ohne Larmoyanz oder Betroffenheitspathos, sondern optimistisch, informativ und zuweilen auch etwas provokativ. Dies ist die aktualisierte Fassung des erstmals 2009 erschienenen Titels. Das Buch soll Mut machen und informieren. Es wendet sich nicht nur an Positive und ihr Umfeld, sondern auch und besonders an diejenigen, die bislang keine Notwendigkeit sahen, sich mit der Infektion zu befassen, weil sie immer noch glauben, sie wären von HIV nicht betroffen. Das Virus ist allerdings nicht wählerisch. Es kann jeden treffen - egal, ob Mann oder Frau, ob homo-, bi- oder heterosexuell. Aber: Mit der 1996 vorgestellten antiretroviralen Therapie hat die Infektion viel von ihrem Schrecken verloren. Sie ist zwar noch nicht heilbar, jedoch mittlerweile gut behandelbar; mit der Therapie kann die Infektion nicht mehr weitergegeben werden. »Endlich mal was Positives« zeigt, dass man auch mit HIV das Lachen nicht verlernen muss - und auch mit einer unheilbaren Krankheit zukunftsorientiert leben kann. Und das ist doch wirklich endlich mal was Positives.

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MATTHIAS GERSCHWITZ, Jahrgang 1959, lebt seit 1992 in Berlin. Er ist fasziniert von Geschichte und Geschichten. So entstanden Chroniken über Kneipen, Häuser, Marken und Unternehmen. Mit »Endlich mal was Positives« legt Gerschwitz eine Chronik der anderen Art vor: die Geschichte seiner 1994 festgestellten HIV-Infektion und sein offensiver und optimistischer Umgang damit. 2010 wurde er für seine Offenheit mit dem »Annemarie-Madison-Preis« ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

(Andreas Schultz)

Etwas zu meiner Infektion

Los geht’s

In der Geschichte gekramt

Wie sag ich’s meinem Kinde?

Positiv in der Community

Das erste Jahr mit HIV

Der Weg zur Therapie

Ärzte sind auch nur Menschen

Positiv sollten Sie Ihren Tag beginnen

Die tägliche Dosis

Sicher ist nur der Tod

Schicksal und Schuld

Infektionsrisiken

Ungeschützt sollst du nicht schlafen geh’n

Mich trifft es ja nicht ...

Diskriminierung und Kriminalisierung

Ausblicke, Einsichten, Hoffnungen

Lust auf Leben

Einige Begriffserklärungen

endlich-mal-was-positives.de

matthias-gerschwitz.de

AUCH ALS HÖRBUCH

eingelesen von Matthias Gerschwitz und Andreas Schultz

Bezugsquellen unter:

MATTHIAS-GERSCHWITZ.DE

Es gibt Schlimmeres als den Tod.

Jeder, der einmal einen Abend mit

einem Versicherungsvertreter

verbringen musste, weiß

wovon ich spreche.

(Woody Allen)

HIV ist eine Virus-Infektion, die ohne Behandlung das Immunsystem des Menschen zerstört und nach etwa zehn bis zwölf Jahren ins Vollbild AIDS wechselt. Seit 1996 gibt es Medikamente, mit der die Infektion in Schach gehalten werden kann. Eine Ansteckungsgefahr ist bei regelmäßiger Tabletteneinnahme nicht mehr gegeben; HIV-positive Menschen können ein so gut wie normales und langes Leben führen.

VORWORT

Dass Matthias Gerschwitz mit HIV infiziert ist, erfuhr ich durch Zufall. Als wir 2003 die Einladungsliste für unser 25-jähriges Abiturjubiläum zusammenstellten, meinte ein ehemaliger Mitschüler: »Also der Matthias, weißt Du nicht, der hat AIDS«. Und obwohl niemand es aussprach, stand eine Frage dennoch im Raum: »Lebt der überhaupt noch?«

Wir schickten ihm trotzdem eine Einladung.

Damals war mein Bild von HIV noch sehr vereinfacht. Wir hatten alle den Film Philadelphia gesehen und glaubten zu wissen, dass HIV gleich AIDS ist und AIDS gleich Tod. Umso erfreuter war ich, Matthias wohlbehalten und voller Lebensfreude auf unserer Feier zu begegnen. Seit diesem Zeitpunkt sind wir befreundet.

Die Idee zu diesem Buch trug Matthias schon länger mit sich herum. Um sie in die Tat umzusetzen, bedurfte es nur noch eines Anstoßes. An einem unserer Abende in einer Berliner Kneipe redete ich ihm zu, über seine Erfahrungen mit der Infektion zu schreiben, weil es vielen eine Hilfe sein würde und anderen die dringend nötige Aufklärung bringen könne. Mir schien die Zeit reif – und er auch tatsächlich dazu bereit zu sein.

Wenige Tage später erhielt ich die ersten 30 Seiten. Das vollständige Ergebnis folgte ein paar Wochen später. Herausgekommen ist ein Buch, das ein Betroffener für andere Betroffene und ihr Umfeld geschrieben hat, gerade auch für diejenigen, die (noch) keine Vorstellung von der Krankheit haben. Denn hier erzählt einer wie »du und ich« von seiner HIV-Infektion, ohne das Leben und das Lachen verlernt zu haben.

Das gibt Hoffnung, aber keine Sicherheit – und darüber lässt dieses Buch auch keinen Zweifel. So kommt in Zeiten, in denen HIV und AIDS im öffentlichen Bewusstsein den Rückzug angetreten haben – die Zahl der Neuinfektionen jedoch nicht – der Prävention weiterhin große Bedeutung zu. Auch hierzu leistet das Buch in unaufdringlich charmantem Ton einen unmissverständlichen Beitrag ohne moralischen Zeigefinger. Denn der hilft weder dem Jugendlichen, der sich bei seinem ersten hetero- oder homosexuellen Geschlechtsverkehr infiziert, noch dem vermeintlich untadeligen Bürger, der nach einer außerehelichen Nacht plötzlich feststellen muss, dass er nunmehr jenem zuvor gerne als Randgruppe bezeichneten Teil der Gesellschaft angehört, deren meiste Mitglieder, wie er bislang dachte, völlig zu Recht an der Schwulenseuche leiden.

So stellt sich dieses Buch auf beeindruckende Weise einer Realität, die einem nicht gefallen mag; aber auch die in meinen Augen gefährlich naiven Verhaltenshinweise u.a. der katholischen Amtskirche zu HIV und AIDS werden diese Realität nicht verändern. Denn hier geht es um handfestere Dinge: Aufklärung, Information, Hilfe und Unterstützung. Und in diesem Sinne ist dieses Buch tatsächlich etwas Positives.

Andreas Schultz

ETWAS ZU MEINER INFEKTION

Schon bald, nachdem ich das Testergebnis erhalten hatte, überlegte ich, bei welcher Gelegenheit ich mich wohl infiziert hatte. Es ging mir dabei nicht um Schuldzuweisung oder gar Rache. Ganz offensichtlich hatte ich meine eigenen Safer Sex-Regeln gebrochen, insofern hätte ich, wenn überhaupt, mir selbst Vorwürfe machen müssen. Aber wozu? Die Diagnose HIV-positiv stand unverrückbar im Raum und war auch mit der größten Selbstkasteiung nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es im März 1992 bei homosexuellem ungeschützten Verkehr passiert, kurz bevor ich nach Berlin zog. Ich hatte in einer Kölner Kneipe einen etwa gleichaltrigen Mann kennengelernt, mit dem ich später nach Hause ging. An Namen erinnere ich mich zwar nicht mehr, aber ich weiß noch, dass viel Alkohol im Spiel war und wir eine Menge Spaß hatten. Ob der Spaß es wirklich wert war, steht heute natürlich auf einem anderen Blatt. Denn der Alkohol verleitete mich dazu, auf Schutzmaßnahmen zu verzichten …

LOS GEHT‘S

Mein Lieblingswort heißt irreversibel. Es kommt aus dem Lateinischen, ist also ein Wort mit Migrationshintergrund. Trotzdem war der Duden so freundlich, ihm Asyl zu gewähren, obwohl wir in unserer Sprache das schöne Wort unumkehrbar besitzen. Aber vieles, was jahrzehnte- oder gar jahrhundertelang als unumkehrbar galt, hat heute oft nur noch eine begrenzte Halbwertszeit: So können Schulnoten abgeändert, Fahrverbote aufgehoben, Gerichtsurteile verworfen und Ehen geschieden werden. Eine Aussage wird mit Bedauern zurückgenommen, und bei Fehlern heißt es gar zu oft Ich entschuldige mich – obwohl man sowohl moralisch als auch grammatikalisch eigentlich nur um Entschuldigung bitten kann – und hoffen, dass dem auch entsprochen werde. Vielleicht wurde deshalb das Wort irreversibel notwendig, um einen Ersatz für den offenbar nicht mehr eindeutigen Begriff unumkehrbar zu haben.

Man muss die Sprache nicht besonders mögen, um irreversibel schön zu finden. Es beginnt mit irre und klingt so leicht und unspektakulär, dass man versucht ist, die im medizinischen Zusammenhang bedrohliche Bedeutung gar nicht wahrzunehmen. Eine irreversible Diagnose bedeutet hier das sehr wahrscheinlich vorzeitige Ableben des Patienten und ist mit einem Befund verbunden, der, obwohl er eine negative, also schlechte Nachricht enthält, als positiv bezeichnet wird. So verwirrend kann Sprache sein.

Ein Befund wird sogar offiziell mit diesem Adjektiv bezeichnet und heißt: HIV-positiv. Mit dieser so bezeichneten Infektion lebe ich nun seit mehr als 25 Jahren. Was damals noch einem Todesurteil gleichkam, ist heute zu einer zwar immer noch unheilbaren, aber wenigstens behandelbaren Erkrankung geworden. Trotzdem fällt es nach wie vor sehr schwer, diese Diagnose zu begreifen und damit umzugehen. Bei Betroffenen, ebenso wie ihrem Umfeld, herrscht auch heute noch eine große Unsicherheit: Man hat wohl viel gehört – aber weiß doch viel zu wenig.

Wie man mit HIV lebt, erfährt man am besten aus erster Hand. Dass man mit der Infektion auch gut leben kann, belegt dieses Buch. Es wurde für Menschen geschrieben, die sich für den Alltag mit HIV interessieren, auch wenn sie nach der Lektüre wahrscheinlich einige Vorurteile aufgeben müssen. Allerdings enthält dieses Buch kein Patentrezept, sondern meine Geschichte, meine Gedanken und Anmerkungen über die Infektion und den Umgang damit. Teils als Erfahrungsbericht, teils als Statement. Sehr persönlich und manchmal provokativ. Schließlich ist eine Portion Erreger im Blut noch lange kein Grund zu sterben. Es gibt so viele Möglichkeiten, ums Leben zu kommen – da muss es nicht unbedingt das HI-Virus sein.

Und diese Erkenntnis ist in der ganzen Diskussion über HIV und AIDS doch endlich mal was Positives.

IN DER GESCHICHTE GEKRAMT

Ich erinnere mich noch genau an den Januar 1994, als ich das positive Resultat des HIV-Testes erhielt.

Eine Woche zuvor hatte ich wegen allgemeinen Unwohlseins einen Arzt aufgesucht, dessen Adresse ich dem Telefonbuch entnommen hatte und der praktischerweise in der Nähe meiner Wohnung praktizierte. Nachdem auch eine gründliche Untersuchung keine Auffälligkeiten gezeigt hatte, empfahl der Arzt eine Kontrolle meiner Blutwerte und schickte sich an, eine Vene anzuzapfen, um Blut abzunehmen. Dabei überkam es mich spontan. »Nehmen Sie einen Schluck mehr und machen Sie auch einen HIV-Test«, bat ich den Arzt, der ebenso überrascht wie kommentarlos meinem Ansinnen nachkam.

An dieser Stelle ein kleiner Rückblick. Bis zum Anfang der achtziger Jahre konnten Schwule – und nicht nur die – unbesorgt ihrem Sexualleben frönen. Schwangerschaften waren – zumindest bei ihnen – ja nicht zu befürchten, und die bekannten Geschlechtskrankheiten waren entweder mit Medikamenten in den Griff zu bekommen oder schienen ausgerottet.

Glaubte man jedenfalls.

Wie man sich doch täuschen kann: Tripper und Co. sind niemals ganz von der Bildfläche verschwunden; auch heute noch sind sexuell übertragbare Krankheiten neben HIV ein großes Thema.

Aber darüber machte sich vor 35 Jahren kaum jemand Gedanken. Und noch weniger Menschen sprachen darüber. Geschlechtskrankheiten waren tabu, daran hatte auch die einige Jahre zurückliegende sexuelle Revolution nichts geändert. Doch dann kam das böse Erwachen.

Im Jahre 1981 wurde über eine seltene Form der Lungenentzündung berichtet, die bei fünf jungen, zuvor gesunden Männern in Kalifornien entdeckt worden war, und die Todesfälle nach sich zog. Da es sich bei den Erkrankten um Homosexuelle handelte, machte bald das Wort von der Schwulenseuche die Runde.

Dann ging es Schlag auf Schlag: 1982 wurde die erste Infektion in Deutschland bekannt, 1983 gründete sich in Berlin die erste AIDS-Hilfe, 1985 fand in Atlanta/Georgia erstmals die Welt-AIDS-Konferenz statt. Zu dieser Zeit hatten die Vereinigten Staaten ein