Endlich Papa - Christian Eigner - E-Book

Endlich Papa E-Book

Christian Eigner

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Beschreibung

Als ihm ein Urologe eröffnet, dass er unfruchtbar ist, bricht für Christian Eigner eine Welt zusammen. Doch nach dem ersten Schock beschließen seine Frau und er, für ihren Kinderwunsch zu kämpfen. Es beginnt eine Odyssee durch Arztpraxen und Fruchtbarkeitszentren. Was folgt, sind Sex nach Zeitplan, erste Hormonbehandlungen, schließlich eine künstliche Befruchtung (IVF). Nachdem diese fehlschlägt, versuchen beide ihr Glück in Österreich, wo die Erfolgschancen größer sind. Nach einem weiteren gescheiterten Versuch geht ihr Traum nach der dritten IVF endlich in Erfüllung. Ihre Tochter ist heute dreieinhalb Jahre alt. In Tagebuchform nimmt der Autor Christian Eigner den Leser mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt durch die 30 aufregendsten Monate seines Lebens. Dazu vermittelt er in kompakten 'Ratgeber-Lektionen' ärztlich geprüftes Wissen aus der Reproduktionsmedizin und gibt Tipps rund um die Behandlung. Dieser Erfahrungsbericht aus erster Hand ist damit obendrein ein praktischer Begleiter für alle, die selbst von Unfruchtbarkeit betroffen sind, sowie eine lehrreiche Lektüre für Fachleute und Interessierte.

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Ähnliche


Christian Eigner

ENDLICH PAPA

Ein unfruchtbarer Mann erzählt, wie sich sein Traum vom eigenen Kind erfüllte

INHALT

Alle Namen in diesem Buch – bis auf meinen und den meiner Frau – sowie einige Orte der Handlung wurden geändert. Für die fachliche Betreuung der medizinischen Darstellungen danke ich sehr herzlich Univ. Doz. Dr. Nicolas Zech, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Ärztlicher Leiter der IVF Zentren Prof. Zech, Bregenz, Österreich.

I.

PROLOG: LOHN DER MÜHE

1. Advent 2008

SONNTAG, 30. NOVEMBER 2008, eine Säuglingsstation in Berlin

Schwester Ina schließt die Zimmertür hinter sich und geht. Auf dem Linoleumbelag des Krankenhausflurs erzeugen die Sohlen ihrer Gesundheitslatschen ein schmatzendes Geräusch. Dann ist es draußen still. Durch den Spalt unter der Tür dringt Licht in das Zimmer, in das wir am frühen Abend eingezogen sind. Ich liege im Bett. Es ist kurz vor 4 Uhr. Neben mir höre ich Isabella atmen. Ich liege da und kann nicht fassen, was in dieser Nacht passiert ist.

Meine Augen wandern durchs Dunkel. Über mir ahne ich den Fernseher an der Decke, in der Ecke den Tisch mit den zwei Stühlen, rechts neben mir den Wickeltisch an der Wand. Auf dem Fensterbrett steht ein schlichter weißer Schwibbogen und lässt sein Licht in die Dunkelheit sickern. Bis eben saß ich noch da drüben am Tisch und sah draußen die Flocken vom Himmel rieseln.

Heute ist der erste Advent. Advent heißt Ankunft.

Wenn ich nach links ins Dunkel blicke, über Isabellas Bettseite hinweg, ahne ich eine seitliche Ausbuchtung. Dort steht ein weiteres Bett, winzig klein, aus Holz, mit Rollen und Gitterstäben und einem Himmel aus weißem Stoff. Maries Bett.

Marie ist unsere Tochter. Marie Victoria. 49 Zentimeter klein und 3000 Gramm leicht. Seit 0.41 Uhr ist sie bei uns. Zuvor war ich mit der sich vor Schmerzen krümmenden Isabella gefühlte Ewigkeiten um das Krankenhaus gewandert, hatte ihr im Kreißsaal die Stoßatmung vorgemacht, bis ich selbst hyperventilierte, und ihr schließlich während der Presswehen vor Aufregung fast die Hand zerquetscht.

»Herzlichen Glückwunsch, Papa«, flüstert Isabella.

»Herzlichen Glückwunsch, Mama«, flüstere ich zurück.

»Hättest du das gedacht?«

»Was?«

»Dass wir das schaffen würden.«

Was soll ich antworten? Dass ich mir ein Leben ohne Kind nie vorstellen konnte? Oder dass mir, wenn ich in dunklen Stunden in mich hineinhorchte, eine Stimme sagte, dass das hier nie passieren würde? Alles umsonst, sagte diese Stimme, vertane Mühe. Du strengst dich umsonst an. Du bist unfruchtbar.

»Ja«, sage ich, ohne zu flüstern. »Ich habe daran geglaubt.«

»Danke, Lieber«, sagt Isabella, »danke, dass du nicht aufgegeben hast.«

Sie nimmt meine Hand in ihre und für einen Moment bleibt die Zeit stehen.

Ich stehe auf, tappe auf leisen Sohlen um das Bett herum und beuge mich zu unserem Baby hinunter. Ich sehe einen winzigen, zerknautschten Kopf, der aus einem riesigen Schlafsack schaut. Die Stupsnase, die zierlichen Ohren, die winzigen Finger. Mein Gott, wie klein! Das schönste Mädchen der Welt. Natürlich.

»Schläft sie?«, fragt Isabella.

»Ich glaube schon«, antworte ich. »Aber sie hat Schaum vor dem Mund.«

»Das ist nur verschlucktes Fruchtwasser, das jetzt hochkommt. Mach dir keine Sorgen.«

Mein Magen knurrt.

»Ich habe Hunger«, stelle ich fest.

»Schau mal auf das Schränkchen da vorn. Ich glaube, da hat Schwester Ina ein paar belegte Brote hingestellt. Und bevor du loslegst – mir kannst du gern eins abgeben.«

Tatsächlich, da steht der Teller. Ich hole ihn ins Bett, wir setzen uns auf und essen. Nach vielen Stunden endlich wieder etwas zwischen den Zähnen. Ich atme tief durch.

Und dann passiert es: An einem Sonntagmorgen um 4 Uhr, in einem dunklen Zimmer in einem stillen Krankenhaus mitten in Berlin, schauen wir uns an – und fangen an zu grinsen. Und verstehen, mit vollen Backen Salamibrote kauend, dass wir es endlich geschafft haben – nach über drei Jahren des Zweifelns, Bangens und Hoffens.

Wir sind Eltern.

II.

EIN AUFGESPARTER WUNSCH

Als ich ein Junge war, lebte ich in einer Welt voller Kinder. Darin ging es laut zu und ungerecht. Es regierten Stärke und Frechheit. Beides hatte ich nicht zu bieten, deshalb war ich meist allein. Schon früh las ich dicke Bücher, setzte riesige Puzzles zusammen und sortierte stundenlang die Briefmarken, die ich mir von meinem Taschengeld gekauft hatte. Am liebsten aber spielte ich Fußball.

Ich erinnere mich an den Sommer 1978 – meine ersten großen Ferien. Ich musste nicht in den Kinderhort, denn meine Mutter war tagsüber zu Hause. Seit Kurzem hatte ich einen Bruder. Nicht, dass ich mich für ihn interessiert hätte. Er war klein, schrie oft wie am Spieß und würde auf absehbare Zeit nicht einmal als Torwart zu gebrauchen sein. Doch irgendwie war es in Ordnung, denn alle Kinder hatten Geschwister.

Gerade war die Fußball-WM in Argentinien zu Ende gegangen. Jeden Tag holte ich mir in meiner Fantasie Stadien voller fanatischer Fans und durch die Luft fliegender Klopapierrollen in den Innenhof unseres Mietshauses. Dort bearbeitete ich von früh bis spät das Garagentor meines Vaters. Ich köpfte, lupfte und schlenzte, so gut ich es vermochte, und vergaß dabei die Welt.

Bald beulte sich außerdem der Maschendrahtzaun in Richtung des Nachbargrundstückes und einmal ging eine Fensterscheibe zu Bruch. Als mir eines Tages ein Stück Dachrinne krachend vor die Füße fiel, kam mein Onkel Fritz, der im Erdgeschoss eine Fleischerei betrieb, in den Hof gerannt, zog mich heftig am Ohr und schrie: »Du verdammter Lausebengel!«

Damit lag er gründlich daneben. Ich war kein Lausebengel. Ich war ein fußballverrückter Siebenjähriger, schüchtern und gut in der Schule. Das erste Jahr hatte ich mit lauter Einsen abgeschlossen. Zur Belohnung hatte mich mein Vater in einem Fußballverein angemeldet. Leider begann das Training erst nach den Ferien.

Im Sommer 1978 begriff ich, wie langsam die Zeit vergehen konnte.

Am Dienstag, dem 25. Juli 1978, kam in der nordenglischen Stadt Oldham Louise Joy Brown zur Welt, 2600 Gramm schwer und 49 Zentimeter groß. Louise war der erste Mensch, der außerhalb des Körpers seiner Mutter gezeugt worden war.

Louises Eltern, Lesley und John, hatten neun Jahre lang vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Als John 800 Pfund im Fußball-Toto gewann, beschlossen sie, einen letzten Versuch zu wagen, und begaben sich in die Hände des Reproduktionsbiologen Robert Edwards und des Gynäkologen Patrick Steptoe.

Steptoe entnahm der 29-jährigen Lesley eine Eizelle und legte diese mit John Browns Sperma in eine Nährlösung. Dort gelang es einem Spermium, die Eizelle zu befruchten, woraufhin diese begann, sich zu teilen. Nach zwei Tagen pflanzte Steptoe Lesley Brown das befruchtete Ei wieder ein – und dieses Mal starb es nicht ab wie bei den vorangegangenen Versuchen. Lesley Brown war schwanger.

*

Als ich ein Junge war, hatten alle Kinder eine Mutter und fast alle einen Vater. Fehlte einem Kind der Vater, wurde es ausgelacht und verspottet, als ob es sich in die Hose gemacht hätte. Die Schmach ließ sich nur tilgen, indem bald darauf ein Stiefvater auftauchte und die Ordnung wiederherstellte. Dass einem Kind die Mutter abhanden kommen könnte, war undenkbar.

Die Jahre vergingen. Westdeutschland gewann die EM 1980, Italien die WM 1982 und Frankreich die EM 1984. Alle Welt entrüstete sich über Schumachers Foul an Battiston und schwärmte von den französischen Ballzauberern Platini, Giresse und Tigana. Ich verfeinerte meine Schusstechnik beim Elfmeter, um den Ball so unfassbar lässig ins Tor lupfen zu können wie der Tscheche Panenka im EM-Finale 1976.

Zweimal in der Woche ging ich zum Fußballtraining und rannte mir sonntags beim Spiel die Lunge aus dem Hals. Bis ich meinen Vater eines Tages bat, mich vom Fußball abzumelden. Ich war 14 und hatte keine Lust mehr, mich von den anderen verspotten zu lassen, weil ich gern Bücher las und vorhatte, auf die Oberschule zu gehen.

Nachts unter der Bettdecke schrieb ich Briefe an Mädchen, in die ich verliebt war, träumte davon, Schriftsteller zu werden, und legte mir den Habitus eines Intellektuellen zu. Fast hätte ich etwas mit Petra aus meiner Klasse angefangen. Petra hatte schwarze, schulterlange Locken, sinnliche Lippen und zwei Ausbuchtungen unter der Bluse, die die halbe Schule um den Verstand brachten. Als wir 17 waren, machte sie mir eine Zeit lang sogar Avancen. Was mir jedoch allen Mut raubte: Petra schlief mit anderen Jungs. Dafür hatte sie sich in der Apotheke meiner Mutter die Pille besorgt. Meine Mutter hatte es beim Abendessen beiläufig erzählt. Ich war knallrot angelaufen.

Sex. Der Gedanke daran brachte mich um den Schlaf. Doch immer, wenn ich versuchte, mir vorzustellen, ich läge da neben Petra im Bett, streikte meine Fantasie.

In dieser Zeit, genauer gesagt im Jahr 1988, beschrieben Mediziner erstmals ein Verfahren, mit dessen Hilfe sich Spermien aus den Nebenhoden von Männern gewinnen ließen, die unter einem Verschluss der Samenwege litten. Dabei wurde unter örtlicher Narkose der Samenleiter freigelegt, mit einer Kanüle die darin enthaltenen Samenzellen entnommen und anschließend für die Befruchtung aufbereitet. Das Verfahren erhielt den Namen mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration (MESA).

*

Die Wende verbrachte ich hinter den Mauern einer NVA-Kaserne. Als sich das große Tor im Sommer 1990 für mich öffnete, war ich fast 20 Jahre alt. Willkommen in der Freiheit! Kurz darauf wurde das fast wiedervereinigte Deutschland in Italien Fußballweltmeister. Ich fing bei einer Zeitung an und als der Winter kam, hatte ich eine Freundin. Sie hieß Sabine und machte gerade Abitur.

Die Pille nahm sie nicht, da sie sich vor Nebenwirkungen fürchtete. Da wir auch Kondome nur nachlässig benutzten, dachte ich im Frühjahr 1991 eine Woche lang, dass ich Vater würde.

Sabines Periode war überfällig und mir fiel ein, dass wir in den Wochen zuvor wieder einmal ziemlich sorglos gewesen waren. Ich malte mir schon aus, wie anders mein Leben nun verlaufen würde. Doch an dem Tag, an dem ich beschloss, mein Schicksal wie ein Mann zu tragen, löste sich alles in Luft auf. Sabines Zyklus war einfach durcheinandergeraten – wahrscheinlich wegen einer ihrer Fastenkuren.

Im Herbst begann ich ein Studium in Bayern. Im Sommer 1992 trennte sich Sabine von mir – wegen der Entfernung, wie sie sagte. Doch ich war ja jung und hatte alle Zeit der Welt.

Die Brüsseler Forschergruppe um den italienischen Reproduktionsmediziner Gianpiero Palermo berichtete im Jahr 1992 erstmals über Schwangerschaften und Geburten nach einer neuen Technik, die Palermo als intracytoplasmische Spermieninjektion (ICSI)‹  Häufig wird sie auch intracytoplasmatische Spermieninjektion genannt. Beide Begriffe bedeuten dasselbe.› bezeichnete. Dabei spritzte man ein ausgesuchtes Spermium unter dem Mikroskop mit einer feinen Kanüle direkt in eine weibliche Eizelle. Die befruchtete Eizelle entwickelte sich daraufhin wie bei einer normalen IVF in einer Nährlösung weiter, um nach ein paar Tagen in die Gebärmutter der Frau eingesetzt zu werden. Mit dem neuen Verfahren stieß Palermos Gruppe die Tür zu einer Vaterschaft auch für Männer mit schlechter Spermaqualität auf.

*

Ende 1993 verliebte ich mich in Bamberg in eine schwedische Austauschstudentin. Ann-Sofie war groß, blond und ziemlich sexy. Leider musste sie schon bald wieder zurück nach Hause. Ich bewarb mich deshalb um ein Stipendium, mit dessen Hilfe ich ein Jahr bei ihr in Schweden würde studieren können. Das Stipendium wurde bewilligt, meine Eltern legten Geld dazu und im Juli 1994, kurz nachdem Schweden in den USA WM-Dritter geworden war, packte ich meine Habe ins Auto und zog nach Göteborg.

Wenn wir nicht an der Uni waren, machten wir es uns im Haus von Ann-Sofies Mutter am Meer gemütlich oder hingen bei ihrer Freundin Stina ab. Stina war Mitte 30 und mit einem Typen verheiratet, der als Techniker mit Rockbands durchs Land zog. Ann-Sofie hatte mir erklärt, dass Stina seit Jahren schwanger werden wollte und mittlerweile Hormone gespritzt bekam. Manchmal waren wir im Haus, wenn sie mit ihrem Arzt telefonierte. Sie schloss sich danach im Schlafzimmer ein, um am Abend mit verheulten Augen aufzutauchen und zu fragen, ob es nichts zu trinken gäbe. Für gewöhnlich gingen wir dann zu dritt in eine Bar und vergaßen das Thema. Genauer gesagt: Ich vergaß es.

Mittlerweile gab es Hoffnung für Männer, deren Hoden geschädigt waren oder deren Ejakulat aus ungeklärter Ursache keine Samenzellen enthielt: In diesen Fällen bot sich eine neue Chance durch die operative Entnahme von Gewebestückchen aus den Hoden, wie sie eine Forschergruppe um Robert Schoysman und Pierre Vanderzwalmen entwickelt hatte. Die Gewebestückchen enthielten in vielen Fällen verwendungsfähige Spermien. Das Verfahren wurde als testikuläre Spermienextraktion (TESE) bezeichnet und ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Hodenbiopsie bekannt.

*

Als ich ein Junge war, dachte ich, dass jeder Mensch mit Anfang 20 Kinder bekomme. Als ich aus Schweden zurückkam, stellte ich fest, dass ich fast 25, doch ein Kind nicht in Sicht war. Meine Mutter war 23 gewesen, als sie mich, und 30, als sie meinen Bruder bekommen hatte. Doch das war lange her: In dem neuen Land, in dessen älterem Teil ich nun lebte, bekamen viele Frauen mit 40 ihr erstes Kind.

Mit Ann-Sofie Nachwuchs zu zeugen, war kein Thema, zumal uns die Entfernung immer mehr entzweite. Ich wusste nicht, ob meine Zukunft wirklich in Schweden lag. Als wir uns schließlich trennten, war es, als hätte ich eine 100-prozentige Chance vergeben, weil ich mich, allein aufs Tor zulaufend, für keine Ecke hatte entscheiden können. Trotzdem hatte ich noch immer das Gefühl, jede Menge Zeit zu haben.

Meine neue Freundin hieß Isabella. Schon nach kurzer Zeit verabschiedete sie sich für zwei Auslandssemester nach Rom. Als sie im Sommer 1998 zurückkehrte, waren wir allen Unkenrufen zum Trotz noch immer zusammen und ich hatte meinen Abschluss in der Tasche. Unser Leben fühlte sich unfertig und provisorisch an, doch wir liebten uns. Zwei Jahre später hatte auch Isabella ihr Studium beendet und wir zogen nach Berlin. Mit der Zeit gewöhnten wir uns an die Großstadt, unsere Jobs und den kraftraubenden Alltag. An den Wochenenden richteten wir unsere Wohnung ein und belohnten uns mit gemeinsamen Tennisstunden, Restaurantbesuchen und ausgedehnten Reisen.

Kinder? Erst heiraten, hatten wir vereinbart. Im Frühjahr 2003 machte ich Isabella einen Antrag. Seit unserem Umzug waren fast zwei Jahre vergangen. Ich war 33 und kinderlos. Da fragte ich mich zum ersten Mal, wie das hatte passieren können.

Japanische Forscher sorgten 2004 mit der Mitteilung für Aufsehen, dass das erste Kind nach einer kombinierten Anwendung von In-vitro-Maturation (IVM), testikulärer Spermienextraktion (TESE) und ICSI zur Welt gekommen war: Der Mutter waren unreife Eizellen aus den Eierstöcken entnommen und in eine Nährlösung gelegt worden. Geeignete Spermien hatte man bereits zuvor aus den Hoden des Mannes gewonnen. Als die Eizellen ausreichend gereift waren, wurden per ICSI Spermien in sie injiziert. Die Frau bekam die befruchteten Eizellen in ihre Gebärmutter eingesetzt, wurde schwanger und brachte ein gesundes Kind zur Welt.

Im Frühsommer 2004 war Hochzeit. In den Flitterwochen flogen wir nach Mexiko. Dort verfolgte ich im Fernsehen, wie sich die Deutschen bei der EM in Portugal blamierten und nach der Vorrunde sang- und klanglos ausschieden.

Ich rechnete mir aus, wie alt ich wäre, wenn mein Kind eingeschult würde, seinen Abschluss machte, Kinder bekäme. War in Zeitschriften oder im Fernsehen von frischgebackenen Vätern die Rede, waren sie inzwischen jünger als ich. Was hatte ich eigentlich in all den Jahren getrieben?

Dann traf ich einen Kollegen, der schon mit 30 Karriere gemacht hatte. Als die Rede auf Familie und Kinder kam, sagte er: »Meine Frau und ich haben uns gegen Kinder entschieden. Sie passen nicht in unseren Lebensplan.«

Ich weiß noch, dass ich zusammenzuckte. Diese Haltung kam mir skandalös vor, schäbig und egoistisch. Doch niemand, dem ich davon erzählte, verstand meine Bestürzung. Zu selbstverständlich ist es heute, in jeder Lebenslage die Wahl zu haben: Neuseeland oder Galapagos, Kombi oder Cabrio, Kind oder Karriere.

Für uns kamen die Dinge endlich in Gang. Nachdem Isabella noch eine dringende Operation über sich hatte ergehen lassen, machten wir uns im Herbst 2004 ans Kinderkriegen. Ich war gerade 34 geworden, Isabella 31.

Unseren Freunden und Verwandten hatten wir stets versichert, dass wir nach der Hochzeit sofort Kinder wollten. Folglich erwarteten sie nun – so bildeten wir uns ein – bei jedem Telefonat eine Vollzugsmeldung.

Ich hatte zwar nie geglaubt, dass es besonders schnell gehen würde, doch als Isabella nach über einem Jahr noch immer nicht schwanger war, schlich sich Verunsicherung ein – zumal die Nachfragen abebbten. Was sich dagegen häufte, waren die Vollzugsmeldungen anderer Paare.

In unserem Leben wurde es stiller. Immer mehr befreundete Paare zogen sich ins Private zurück, gründeten Familien und widmeten sich dem Nestbau, wie sie es nannten. Wir blieben zurück und kämpften darum, irgendwie Anschluss zu halten.

Um mich dieser Situation zu stellen, begann ich, meine Erlebnisse und Gedanken aufzuschreiben.