Energie - Mehdi Martens - E-Book

Energie E-Book

Mehdi Martens

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Beschreibung

„Unser Türschild wies zwar auf unsere Firma hin, aber da stand lediglich Falk & Partner, Beratungen. Das was ich tue ist schwer zu beschreiben. Weder „Geisterjäger“ noch „esoterische Lebensberatung“ trafen es genau. Eigentlich war ich so etwas wie ein Gelehrter in Sachen Übersinnliches und Magisches. Doch das klang weit bombastischer als es in Wirklichkeit war. Meine Dienste wurden überwiegend von Firmen benötigt, die Schwierigkeiten mit dem Glauben ihrer Angestellten hatten. Wenn die Arbeiter in fernen Ländern sich weigerten weiter zu arbeiten, weil sie glaubten, dass ein Betriebsunfall das Werk teuflischer Mächte war, oder weil auf einmal seltsame Symbole auf das Werkstor gepinselt waren, dann wurde ich angerufen. Die meist westlich erzogenen Manager waren mit solchen Fragen des Aberglaubens überfordert und konnten sich nie auf das Glaubenssystem ihrer Arbeiter so weit einlassen, dass sie eine Lösung fanden. Das war mein Job. Ich engagierte dann schon einmal einen lokalen Zauberer, die die „bösen Mächte“ bannte oder ich identifizierte den Störenfried und sorgte dafür, dass der Betrieb wieder reibungslos funktionierte.“ So banal beschreibt Falk seine Arbeit. Doch dieses Mal steckt deutlich mehr dahinter. Denn er und seine brasilianische Partnerin Beth geraten in einen Kampf mit Mächten, die selbst ihre Vorstellungskraft überschreiten. Ein unheiliger Pakt, ein russischer Schamane, ein uralter Azteke, Voodoo und ein hinterhältiger Plan halten sie in Atem. Der Autor greift tief in seinen Wissensschatz über magische Rituale und lässt Falk seinen Lesern augenzwinkernd erklären warum alles auf dieser Welt Energie ist, wenn er nicht grade Kaffee trinkt.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Mehdi Martens

Energie

Falk ermittelt

Falk ist Ermittler für übersinnliche Phänomene. Ein Energiemeister wie er sich selbst gerne nennt, was bei seiner Partnerin, eine Macumba Priesterin regelmäßig Lachanfälle auslöst. Bis sie sich in einem Netz von Lügen und Intrigen in der Magischen Welt verfangen.

Inhaltsverzeichnis

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Impressum

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Das Bein schmerzte bei jeder Bewegung. Mühsam humpelte ich die Treppe hinunter in das Erdgeschoss des kleinen Reihenhauses. Dort wo der Architekt das Wohnzimmer vorgesehen hatte war mein Büro. Der helle Raum war weitgehend leer, lediglich zwei Schreibtische und ein Aktenregal standen dort. Zwei Besucherstühle und ein schwerer Teppich vervollständigten die Einrichtung. Elisabeth war in der Küche und hantierte mit der Kaffeemaschine. Anscheinend hatte meine Assistentin einen ihrer besseren Tage, meistens musste ich mir den Kaffee selber kochen. Seufzend ließ ich mich in den lederbezogenen Bürostuhl fallen und schaltete den Computer ein. Mit einem leisen Piepsen erwachte das Gerät zum Leben. Ich gab das Passwort ein und sah mäßig interessiert auf die Infobox, die von 20 neuen Emails zu berichten wusste. Ich sollte meine Freundin endlich wieder befriedigen können, ein leichter Job von Zuhause aus, mit 5000.-€ Salär wurde offeriert und Amazon drohte damit mein nicht vorhandenes Verkäuferkonto zu sperren. Ich verschob den Spam in den Löschordner und startete stattdessen die Nachrichten App. Doch noch bevor ich die erste Überschrift lesen konnte kam Elisabeth in das Wohnzimmer. Sie trug ein kurzes orange- gelbes Sommerkleid und hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie war wie immer grell geschminkt und machte auf jugendlich. Natürlich machte dieser Zauber auf mich keinen Eindruck, ich wusste, dass sie über fünfzig war und auch aus anderen Gründen war ich immun gegen ihren Verführungszauber. Elisabeth war in Brasilien geboren und hatte einen dunklen Teint und die teuersten Haarfärbemittel verhinderten, das sich grau in ihrer Frisur breit machen konnte. Da die meisten Europäer keine Erfahrung im schätzen von Dunkelhäutigen hatten und sie wusste wie sie ihre Aura manipulierte, ging sie meistens für Anfang Dreißig durch, was ihrem Beuteschema bei Männern entsprach. Ich sah zu ihr rüber, konnte aber keine Kaffeetasse erkennen. Sie schien meinen Blick lesen zu können. „Bilde dir keine Schwachheiten ein, ich bin dabei die Kaffeemaschine zu entkalken. Wenn ich damit fertig bin kannst du dir einen kochen.“ Ich begann zu ahnen, dass der Tag nicht mein Freund war. Erst hatten sich die Schmerzen wieder einmal gemeldet, dann fiel der Kaffee aus, was kam als nächstes?

Elisabeth hatte auch darauf eine Antwort. „Du hast gleich einen Termin, eine Frau hat gestern angerufen die unsere Hilfe braucht, sie kommt um Zehn.“ Ich sah sie verwundert an. Es kam ausgesprochen selten vor, dass sich eine Privatperson an uns wandte. Schließlich hatte ich keine Webseite und stand auch nicht im Telefonbuch. Das verbat sich von selbst, was hätte ich da auch schreiben sollen? Unser Türschild wies zwar auf unsere Firma hin, aber da stand lediglich Falk & Partner, Beratungen. Das was ich tue ist schwer zu beschreiben. Weder „Geisterjäger“ noch „esoterische Lebensberatung“ trafen es genau. Eigentlich war ich so etwas wie ein Gelehrter in Sachen Übersinnliches und Magisches. Doch das klang weit bombastischer als es in Wirklichkeit war. Meine Dienste wurden überwiegend von Firmen benötigt, die Schwierigkeiten mit dem Glauben ihrer Angestellten hatten. Wenn die Arbeiter in fernen Ländern sich weigerten weiter zu arbeiten, weil sie glaubten, dass ein Betriebsunfall das Werk teuflischer Mächte war, oder weil auf einmal seltsame Symbole auf das Werkstor gepinselt waren, dann wurde ich angerufen. Die meist westlich erzogenen Manager waren mit solchen Fragen des Aberglaubens überfordert und konnten sich nie auf das Glaubenssystem ihrer Arbeiter so weit einlassen, dass sie eine Lösung fanden. Das war mein Job. Ich engagierte dann schon einmal einen lokalen Zauberer, die die „bösen Mächte“ bannte oder ich identifizierte den Störenfried und sorgte dafür, dass der Betrieb wieder reibungslos funktionierte. Die Motive für derartige Vorfälle waren dieselben wie überall. Rache, Hass auf die Firma, oder Profitgier. Denn es standen ja immer Menschen hinter solchen Machenschaften, lediglich die Mittel waren je nach dem vorherrschenden Glauben oder Aberglauben verschieden.

2

„Hast du sie gefragt was sie will?“ Ich versuchte herauszufinden warum diese Frau angerufen hatte und woher sie unsere Nummer hatte. Aber wie ich bereits vermutet hatte war Elisabeth keine Hilfe. Ich war mir nur nicht sicher, ob sie es nicht wusste, oder mir nur nicht erzählte. Entsprechen fiel die Antwort aus. „Frag sie doch selber!“ Zum wiederholten Male ging ich im Geiste alle Möglichkeiten durch sie zu kündigen, aber das war zwecklos. Der Pakt war ohne Ausstiegsklausel und ich würde sie wohl den Rest meines Lebens ertragen müssen, egal wie sie sich benahm. Genüsslich malte ich mir daher aus, wie sie einer ihrer jungen Liebhaber aus Entsetzten erwürgte, nachdem ihm klar geworden war, mit welcher Schabracke er grade Sex gehabt hatte, als es klingelte. Anscheinend kam meine Assistentin ausnahmsweise ihren Pflichten nach, denn ich hörte wie die Tür geöffnet wurde und gedämpfte Stimmen im Flur. Ich sah auf die Uhr, zwei Minuten nach Zehn, es war also diese ominöse Frau. Die Tür wurde geöffnet und Elisabeth schob eine jüngere Frau vor sich her in das Büro. Ich musterte sie, während wir vorgestellt wurden. Sie war wohl etwa Anfang dreißig, hatte halblange, blonde Locken und war schlank. Allerdings von einer Art Schlankheit die ungesund wirkte. Sie hatte dünne Storchenbeine und Arme, aber einen leichten Bauchansatz. Das Gesicht wirkte älter als es war, tiefe Sorgenfalten hatten sich in ihre Züge eingegraben und sie hatte, trotz reichlich aufgetragener Schminke, deutlich sichtbare dunkle Augenringe. Diese Symptome waren mir bekannt. Zu wenig Schlaf und zu viel Alkohol, wenn nicht auch noch andere Drogen im Spiel waren. Sie stellte sich als Sybille Müller vor und ihre Augen wanderten ohne Unterbrechung, unruhig im Zimmer umher. Ich räusperte mich und umgab mich gleichzeitig mit einer Ausstrahlung von Souveränität und Professionalität. Dann fragte ich sie vorsichtig nach ihrem Anliegen. „Also Frau Müller, was können wir für sie tun? Wer hat uns ihnen empfohlen?“ Das waren zwei Fragen auf einmal, aber wirklich interessiert war ich an der zweiten. Niemand kam einfach so zu uns in Büro. Sie gab sich einen Ruck und sah mich aus überraschend hübschen braunen Augen an. „Mein Chef, Herr Fletcher, hat sie mir empfohlen. Ich weiß das mein Anliegen zumindest ungewöhnlich ist.“ Ich nutzte ihre Sprechpause um mir Fletcher vor mein geistiges Auge zu holen. Es dauerte einen Moment, doch dann fiel er mir wieder ein, ein dicklicher Schleimer, der für die Sicherheit bei einem Bergbaukonzern zuständig war. Ich hatte ihm einmal in Gambia aus der Patsche geholfen. „Aha, grüßen sie bitte ihren Chef vom mir, es ist schon länger her, dass wir für ihn tätig waren. Umso erfreulicher ist es, das er sich noch erinnert. Sybille nickte geistesabwesend. „Das mache ich gerne, also… zurück zu meinem Anliegen, ich hoffe sie halten mich nicht für verrückt.“ Ich seufzte innerlich, dieser Satz stand immer am Anfang eines Kundengesprächs. Elisabeth gab ein glucksendes Geräusch von sich, bei dem wohl nur ich wusste, dass sie lachte. Sie hegte eine tiefe Abneigung gegen alle „Muggels“ wie es bei Harry Potter so schön hieß. Einer ihrer Lieblingssprüche war, „wenn diese Idioten wüssten wie die Welt wirklich ist würden sie alle schreiend durch die Gegend rennen.“ Aber so war es bei Außenstehenden immer, wenn sie wirklich einmal mit der Realität, unserer Realität, konfrontiert wurden, dann kam stets dieser Satz. Ich hoffe sie halten mich nicht für verrückt. Nein das tat ich nicht, nicht an diesem Punkt, schon eher wenn sie in ihrer „normalen“ Realität lebten. Wenn sie sich darüber austauschten was welcher „Promi“ grade wieder anstellte, sie „Versicherungen“ für „Lebensrisiken“ abschlossen oder sich für ein Eigenheim bis an ihr Lebensende verschuldeten. Dann hielt ich sie für verrückt, aber nicht mehr, wenn ihnen etwas Spirituelles wiederfahren war und sie herausfinden wollten was dahinter steckte. „Das tun wir bestimmt nicht, Frau Müller. Schließlich verdienen wir unser Geld damit, solche Geschichten zu hören und ihnen entsprechende Ratschläge zu geben.“ Ihr vorzeitig gealtertes Gesicht entspannte ich ein wenig. „OK, dann werde ich versuchen ihnen mein Anliegen so zusammenhängend wie möglich zu erzählen.“

3

Sie holte tief Luft und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als wollte sie ein unsichtbares Siegel brechen. „Sagt ihnen der „Bessere Menschen Verein“ etwas?“ Ich schüttelte den Kopf, schließlich konnte ich nicht jede Sekte beim Namen kennen. Ohne hinzusehen tippte ich den Namen in eine Suchmaschine auf dem PC ein. Während sie weitersprach öffnete ich die Webseite des „Vereins“. Was ich dort sah hatte Ähnlichkeit mit dem, woran Tom Cruise angeblich glaubte. Dumpfes Gelaber über versteckte Potentiale und das wir alle bessere Menschen werden können. Nichts Neues, dieselbe Geschichte in einem anderen Gewand. „Mein Mann und ich wurden 2006 Mitglieder. Anfangs nur um eine Beziehungskriese zu meistern, in dem wir uns gemeinsam für etwas engagierten. Wir haben jung geheiratet, aber nichts lief so wie wir uns das vorgestellt hatten. Ich kann keine Kinder bekommen, mein Mann hat sein Studium abgebrochen und konnte keinen Job lange behalten. Ich bin damals Sekretärin in einem Krankenhaus gewesen, bevor ich bei der Bergbaugesellschaft angefangen habe, doch da verdiente ich ebenfalls nicht viel.“ Sie trank einen Schluck Kaffee und sah sich suchend um. Wortlos stellte ich einen Aschenbecher auf den Tisch und zündete mir selbst eine Kippe an. Erleichtert nahm sie ein Packung Roth-Händle ohne Filter aus ihrer Tasche und zündete sich eine an. Ihre Finger waren quittengelb vom Nikotin, was zum Rest ihrer Erscheinung passte. „Sehen sie, wir waren nicht dumm. Man liest ja so viel von Sekten, die einem das Geld aus der Tasche ziehen, mit dem Versprechen dann mehr Geld machen zu können. Doch bei den besseren Menschen war es anders. Anscheinend waren sie nicht an Geld interessiert und alles beruhte auf dem Prinzip der Gemeinnützigkeit. Als wir fest dabei waren erfuhren wir jedoch noch von einer anderen Seite. Die Sekte lehrte, das es grob gesagt, zwei Arten von Menschen gibt. Die die unterhalb und die die oberhalb des Abyss leben.“ Elisabeth ließ wieder ein glucksendes Geräusch hören und schnappte sich schnell ihre Kaffeetasse, als unsere Klientin sich auf der Suche nach der Ursache umdrehte. Ich kannte die Terminologie, es waren augenscheinlich Thelemiten, die hinter der Sekte steckten. Der Name ging auf Aleister Crowley zurück, der Anfang des letzten Jahrhunderts „die erste Kirche Thelemas“, letzteres war ein Griechisches Wort was so viel wie Wille bedeutete, gegründet hatte. Gemäß seiner Lehre leben nur „die Meister des Tempels“ oberhalb des Abyss, der Rest der Menschheit vegetiert als Sklaven seines Verstands dahin. Damit unterschied sich diese Lehre nicht sonderlich von dem, woran Elisabeth glaubte, auch wenn sie aus der Tradition des Macumba stammte. Sybille hatte inzwischen fälschlicherweise entschieden, dass meine Assistentin sie wohl doch nicht ausgelacht hatte und fuhr fort. „Natürlich wäre der Weg über den Abyss weit, so brachten sie es uns bei, aber der Lohn seit gewaltig. Man könne sich unsichtbar machen, Liebe erringen und Reichtum anhäufen, wenn man erst einmal den Abyss überquert hätte.“ Sie zündete sich eine neue Zigarette an der Alten an, nahm einen tiefen Zug und fuhr fort. „Uns erschien das Konzept schlüssig, was hatten wir auch zu verlieren? Wir waren in jeder Beziehung gescheitert und dachten es kann nur noch besser werden. Doch das war ein gewaltiger Irrtum.“

4

Die Geschichte war gleichwohl interessant, als auch bekannt. Sekten gehen immer gleich vor. Sie halten einem eine Möhre vor die Nase, versprechen das Blaue vom Himmel und nehmen dann den Stock um ihre neuen Opfer vor sich her zutreiben. In Sybilles Fall war die Möhre die Aussicht auf ein erfolgreiches Leben und der Stock ein klassisches Ekeltraining gewesen. Bei so einem Training geht man wie folgt vor: Zuerst identifiziert man eine der Ängste die das neue Opfer hat. Am besten irgendetwas Banales. Die Angst vor Spinnen zum Beispiel. Dann schafft man eine Atmosphäre der Konzentration, sei es durch Meditation, oder durch ein Ritual und bringt den Probanden dazu, die Spinne bei vollem Bewusstsein, langsam mit bloßen Händen zu zerquetschen. So funktionierte das sogenannte Ekeltraining, das vor allem bei Satanisten beliebt war. Auf diese Weise desensibilisierte man den Mensch und nahm ihm eine Angst. Das hatte für beide Seiten Vorteile. Der Proband hatte ein direktes Erfolgsgefühl, das gewöhnlich zu Euphorie führte und die Sekte hatte das Tor zu größeren Tabubrüchen geöffnet. Denn gesellschaftlichen Konventionen beruhen selbstverständlich auch auf Angst und können mit dieser Methode ebenfalls beseitigt werden. Ich seufzte in mich hinein, während ich den letzten Rest von Kaffee austrank und abzuschätzen versuchte, wie die Chancen standen, einen neuen von Beth gebracht zu bekommen. So nützlich diese Praktiken sein konnten, so gefährlich waren sie gleichzeitig auch. In den falschen Händen erschufen sie Soziopathen, denn es war außerordentlich gefährlich jemanden die Grenzen im eigenen Verstand nieder reißen zu lassen. Man konnte nie Wissen was dabei noch zu Bruch ging und man wusste auch nie, was derjenige beabsichtigte. Gut gemacht hatte man ein durchaus hilfreiches Mittel zu mehr innerer Freiheit, schlecht gemacht stand man vor den Trümmern seines Verstands und drehte durch. Sybille war anzusehen, dass sie der zweiten Möglichkeit deutlich näher war als der Ersten.

5

Nachdem sie fast zwei Stunden darüber berichtet hatte, wie sie und ihr Mann Ingo die ersten Kurse absolviert hatten und an den ersten Ritualen teilgenommen hatten kam sie langsam auf den Punkt. Elisabeth hatte sich erbarmt und schon zwei Mal für Kaffee Nachschub gesorgt. Anscheinend fand sie die Geschichte Interessant, denn Sybille hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Besonders als sie anfing von den Ritualen zu berichten. Eine der Frauen der Sekte wurde dabei regelmäßig zur „scharlachroten Frau“ gekürt, was bedeutete, dass man sie an den Altar fesselte mit Ziegenblut bespritzte und sie dann von allen anwesenden Männern und Frauen geleckt und penetriert wurde. Ich sah Beth an, das ihr diese Vorstellung gefiel. Ihre Nippel zeichneten sich deutlich unter dem dünnen Sommerkleid ab und ihre Lippen hatten sich rot gefärbt. Ich selbst konnte dem nichts abgewinnen. Vor einer Frau mit einer Erektion Schlange zu stehen war nicht das, was ich mir unter einem erfüllten Sexualleben vorstellte. Sybilles Stimme begann zu zittern. „Dann war ich an der Reihe, am Geburtstag Crowleys sollte ich das erste Mal geopfert werden und auf den Altar steigen. Ingo war zu dieser Zeit bereits so tief drin, dass es ihm anscheinend nichts mehr ausmachte, dass seine Frau von allen besprungen wurde. Aber ich war auch bereits so tief verstrickt, das ich mitgemacht habe. Aber es war fürchterlich, sie taten mir weh und als ich anfing zu schreien, das sie mich losbinden sollen, hat sie das nur noch mehr angestachelt.“ Sie weinte jetzt, Beth reichte ihr ein Taschentuch, das sie dankbar nahm und tief hinein schnäuzte. „ Da wurde mir klar, dass ich dort weg musste. Aber damit fingen meine Probleme erst richtig an.“

„Im Morgengrauen nach dem Ritual packte ich meine Sachen und flüchtete. Die Sekte hat einen alten Bauernhof auf dem Lande zu ihrem Hauptquartier ausgebaut. Es gab kein Dorf oder eine Stadt in der Nähe, da war weit und breit nichts als Natur um uns herum. Unsere Autoschlüssel und Handys hatte der Meister bereits bei unserer Ankunft an sich genommen. Angeblich um Ablenkungen zu vermeiden. Ich rannte also zu Fuß los, erst über die Felder, dann durch den Wald bis ich durch Zufall eine Ausflugsgaststätte fand. Eine der Familien die dort rasteten, habe ich dann angesprochen. Ich habe erzählt ich hätte mich verlaufen und sie waren nett und nahm mich dann bis zum nächsten Bahnhof mit. Doch damit war die Geschichte für mich nicht ausgestanden, denn die Sekte ist seitdem hinter mir her. Als ich in meiner Wohnung ankam begann der Terror, Telefonanrufe, Emails, Männer die vor meiner Tür standen. Ich habe dann die Wohnung gewechselt, die Telefonnummer, meine Email geändert, aber seit zwei Monaten habe ich jede Nacht Alpträume und so etwas wie einen Poltergeist in meiner Wohnung. Kaum ist es ruhig im Haus fängt es in meiner Wohnung an zu knarren und zu klacken und ich habe das Gefühl das jemand anwesend ist. Doch sobald ich das Licht anmache sind die Geräusche weg und es ist nichts zu erkennen.“ Ich drückte meine Kippe aus und sah sie an. „Ok Lady wo kommen wir ins Spiel? Sie erwarten doch bestimmt nicht, dass wir mit einer Panzerfaust das Hauptquartier der Sekte stürmen, oder?“ Sie begann wieder zu weinen und ich bereute meine unbedachten Worte. Beth sah mich strafend an und reichte unserem Gast ein weiteres Taschentuch. Sie schnäuzte sich lautstark und schluchzte. „Ich will eigentlich nur endlich wieder schlafen können! Jeden Abend trinke ich bis zu einer Flasche Wodka und zeihe mir drei Joints rein, aber alles was so ein Abschuss bewirkt sind maximal 4 Stunden in denen ich die Augen schließen kann, dann kommen die Alpträume wieder.“ Sie benutze erneut das Taschentuch. „Herr Fletcher hat mitbekommen das es mir schlecht geht und ich habe ihm bei einem Weinkrampf alles erzählt. Er hat mir dann ihre Nummer gegeben und gesagt, sie wäre darauf spezialisiert derartige Einflüsse zu beseitigen. Und er hat gesagt ich solle darauf hinweisen, dass ich ihnen zwar nicht viel bezahlen kann, aber er bald einen neuen Auftrag für sie hätte und sie einfach ihren Lohn für diese Sache dann mit auf die Rechnung schreiben könnten.“

6

Das war endlich eine gute Nachricht. Also hatte ich diesen Morgen doch nicht pro bono verschwendet. Nicht dass ich in echten Finanznöten gewesen wäre, aber der letzte Auftrag war sub- optimal verlaufen. Wir hatten es mit einem Sibirischen Schamanen zu tun gehabt, durch dessen heilige Stätte eine Pipeline gebaut werden sollte. Das wollte er verhindern und hatte Angst und Schrecken unter den Arbeitern verbreitet. Leider war er ein mächtiger alter Sack und zu keinerlei Kompromissen bereit was sein Land anging. Alles was wir erreichen konnten war, das er die Bauarbeiten in Ruhe ließ, nachdem wir die Firma zu einer Trassen- Verlegung überredet hatten. Das war natürlich teuer und kostete Zeit, entsprechend gering fiel unser Erfolgshonorar aus. Elisabeth hatte am Ende richtig Angst vor dem Schamanen, etwas was bei ihr eigentlich noch nie vorgekommen war. Wenn man von dem Inuit damals einmal absah, aber das war eine Andere Geschichte. Doch auch ich war von dem Schamanen beeindruckt gewesen und hatte gesehen wie viel Macht er besaß. Mit so einem legte man sich besser nicht an, man verhandelte. Auch wenn dadurch der Kontostand meines Firmenkontos eine Stelle vor dem Komma weniger auswies. Einem Dorf- Sektenführer und pseudo Crowley Jünger seine Grenzen aufzuzeigen war dagegen ein Sonntagnachmittagsspaziergang, mit hoffentlich folgendem, lukrativen Auftrag der Mining Incorporated. Ich sah zu Beth hinüber, denn es betraf ihr Spezialgebiet. „Was meinst du Beth, können wir ihr helfen?“ Sie sah mich zornig an, sie hasste es wenn ich sie Beth nannte, was ich deshalb eigentlich immer tat und natürlich war meine Frage ein Witz. Aber sie antwortete sachlich in professionellen Tonfall. „Ich denke schon Mr. Falk, wir sollten uns die Wohnung einmal ansehen.“

Wir beschlossen uns erst einmal bei meinem Stamm Italiener zu stärken. Es ging bereits auf zwei Uhr zu und ich hatte mörderischen Hunger. Es hatte aufgeklart und milde feuchte Luft wehte durch die Straßen. Der Sommer kam dieses Jahr nicht recht in Schwung und auf kurze Phasen der Hitze folgten regelmäßig wieder längere Regentage. Mein Bein dankte für die Wetterbesserung, denn die Schmerzen, die mich immer bei Regen befielen, hatten nachgelassen. Jetzt waren sie auf dem üblichen Niveau eines Hintergrundrauschens, mehr nicht. Sybille wirkte deutlich entspannter als noch zu Beginn des Tages. Dennoch aß sie kaum die Hälfte ihrer Cannelloni. „Essen Sie die noch?“ Sie schüttelte den Kopf und ich langte über den Tisch und nahm ihren Teller zu mir. Luigis Cannelloni waren die Besten weit und breit, so etwas ließ man einfach nicht verkommen. Sie schien nachzudenken. „Was wolle sie unternehmen?“ Beth übernahm die Antwort, denn ich war mit Kauen beschäftigt. „Wir werden ihre Wohnung spirituell reinigen und gegen erneute Angriffe versiegeln. Das ist Routine, in meiner Heimat gehört das zum Alltag.“ Sybille war nicht überzeugt. „Und sie glauben das wirkt?“ Das hätte sie besser gelassen. Beth herauszufordern war keine gute Idee. Sie nahm den Federhandschuh sofort auf. „Sieh her Puta, weißt du was das ist?“ In Ihrer Hand lag ein Juju Beutel, den sie wer weiß woher geholt hatte. Ich hoffte, dass Sybille kein Spanisch sprach, denn Puta war Spanisch und alles andere als höflich. Doch sie schüttelte nur den Kopf und betrachtete den kleinen Stoffbeutel der in Beth Hand lag. Meine Assistentin senkte die Stimme. „Das ist das Mojo einer mächtigen Bruja und es enthält eine Schlange.“ Der Beutel begann sich zu winden und zu zucken, als ob tatsächlich eine Schlange in ihm verborgen wäre. Sybille zuckte zurück und Beth begann zu lachen. Sie öffnete den Beutel in dem sich lediglich einige Kräuter und der skelettierte Kopf einer Schlange befanden. Beth ergötzte sich an dem entsetzten Blick unserer Kundin „Ich denke, dass ich Qualifiziert bin einen simplen Angriff abzuwehren, selbst wenn ich dabei die Schlange zum Leben erwecken muss.“

7

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, auch wenn ich auf einmal einen leichten Kopfschmerz verspürte. Beth war manchmal wirklich amüsant, was ihre Demonstrationen der Energie anging. Sie war die Tochter einer sehr bekannten Bruja, die in Salvador de Bahia als Heilerin tätig gewesen war. Sie hatte solche Tricks quasi mit der Muttermilch aufgesaugt, bevor sie durch den Pakt an mich gebunden wurde. Ich zahlte, wir verließen das Restaurant und fuhren zu Sybilles Wohnung. Sie wohnte in der Vorstadt in einem kleinen Wohnblock mit bunten Blumen auf den Balkonen und sauberen Autos in den Carports. Im Licht der Sommersonne wirkte alles idyllisch und ruhig. Das war wohl für Außenstehende der letzte Ort von dem man annahm, dass eine Spirituelle Reinigung nötig wäre. Doch ich wusste es besser. Wir stiegen die Treppe hoch in den zweiten Stock und Sybille öffnete die Tür. Ich sah mich um. Die Wohnung wirkte wie aus einem Ikea Katalog. Die meisten Möbel waren neu, alles war ordentlich aufgeräumt und wirkte steril. An der Wand hing ein kitschiges Bild der Golden Gate Bridge mit eingearbeiteten LEDs. Aber ich wusste aus zahllosen Erfahrungen, dass der äußere Schein gar nichts bedeutete. Beth nahm ihre Kette ab, an der ein Anhänger mit einem Stein in Form eines Auges hing. Ich schob Sybille auf den Balkon und zündete mir eine Kippe an. Sie tat es mir gleich. „Was macht sie da?“ Beth hatte angefangen mit der Kette in der Hand umher zu laufen und murmelte dabei vor sich hin. „Sie pendelt den Raum aus.“ Doch mit dieser Erklärung konnte sie nicht viel anfangen. Ich zog an meiner Zigarette und ließ mich dazu herab etwas weiter auszuholen. „Um jemanden aus der Ferne zu erschrecken benötigt man einen Punkt an den die Energie gebündelt wird. Es ist sehr schwer einfach so, sozusagen ungerichtet, aus der Ferne etwas zu erreichen. Deshalb verstecken Zauberer gerne einen Talisman, wie das Mojo von Beth mit ihrem kleinen Schlangenzauber, bei ihrem Opfer. So etwas sucht sie grade.“ Sybille sah mich skeptisch an. „Wie soll so ein Mojo in meine Wohnung gelangt sein?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Es kann alles Mögliche sein. Vielleicht hattest du es schon vorher und hast es beim Umzug mitgebracht.“ „Und sie kann es finden?“ Ich nicke. „Natürlich, wir haben das schon tausendmal gemacht, egal mit wem man es zu tun hat, die Techniken des sogenannten Übersinnlichen sind immer die Gleichen. Das ist genauso wie bei den gesellschaftlich akzeptierten Naturgesetzten.“ Sie war nicht überzeugt, das konnte ich ihr genau ansehen. Hinter ihren Sorgenfalten auf der Stirn arbeitete es. „Was war denn das mit dem Beutel vorhin?“ Ich grinste. „Eine kleine Demonstration von dem was möglich ist. Ich denke bei der Sekte hast du auch noch andere unerklärliche Phänomene gesehen. Wahrscheinlich haben diese Leute Geister oder Dämonen beschworen.“ Sybille wurde bleich. „Woher weißt du das?“ Sie hatte mein duzen übernommen, was mich nicht wunderte. Beth war für den Hokuspokus zuständig, ich war der „Verhörspezialist“. Wenn ich ein Gespräch führte, konnte sich kaum jemand meiner Argumentation entziehen. Duzte ich mein Gegenüber tat er es mir unwillkürlich gleich. Ich hatte natürlich einen Grund dafür die Anrede vertraulicher zu gestalten, denn je entspannter sie war, desto mehr würde sie offenbaren.

Beth hatte mittlerweile das Wohnzimmer verlassen und pendelte grade das Badezimmer aus. Anscheinend hatte sie bisher noch nichts entdeckt. Ich wandte mich daher wieder an unsere Klientin. „Hast du Magische Utensilien hier, die ihr bei der Sekte benutzt habt?“ Sie schüttelte den Kopf. Nein das ganze Zeug ist in den Keller gewandert, ich habe vor es bei Ebay zu verkaufen.“ Ich sah sie an als ob sie von einem anderen Stern sei. „Bei Ebay verkaufen?“ Echote ich hol. War sie wirklich so dämlich? Fragte ich mich, natürlich ohne es laut auszusprechen „Ja, das Zeug war teuer. Ich will mir wenigstens einen Teil davon zurückholen.“ Ich rollte die Augen über so viel Dummheit. Diese Dinge hatten eine Menge ihrer Energie absorbiert, war ihr denn gar nicht klar was ein Anderer damit anstellen konnte. „Verkaufst Du auch gebrauchte Slips bei Ebay?“ Ich hatte mir diese Spitze einfach nicht verkneifen können. Sie sah mich entgeistert an. „Natürlich nicht!“ „Ach.“ Sie kam nicht mehr dazu nachzufragen was ich gemein hatte, denn in diesem Moment ertönte Beth Triumphschrei aus dem Schlafzimmer. „Habe ich Dich!“

8

Wir folgten ihr ins Schlafzimmer. Beth hielt ein Amulett hoch, das sie aus einem kleinen Schmuckkästchen, das auf einem Sideboard stand, geangelt hatte. Es zeigte ein umgedrehtes Pentagramm und eine darum stilisierte Ziege. „Woher hast Du das?“ Wollte sie wissen. Silvia machte große Augen. Das habe ich von Ingo bekommen, gleich nachdem wir unsere erste Verabredung mit den „Besseren Menschen“ gemacht hatten. Ich mag es, weil es so schön gearbeitet ist. Aber wie kann das das Mojo sein? Es war doch die ganze Zeit bei mir Zuhause.“ Ich sah sie an. „Nein, es war irgendwann einmal bei jemand, der es für seine Zwecke geweiht hat. Wahrscheinlich hat dein Mann es mitgenommen und hinterher wieder in dein Schmuckkästchen gelegt.“ Ich bereute meine Worte sofort, denn sie brach erneut in Tränen aus. „Ingo hat ihnen geholfen mich zu terrorisieren! Auch wenn wir uns getrennt haben, das hätte ich nicht von ihm gedacht.“ Sie schluchzte lauter. Ich sah hilfesuchend zu Beth, aber sie zuckte nur mit den Achseln. Anscheinend hatte auch sie keine Taschentücher mehr einstecken. Sybille löste das Problem schließlich selbst indem sie eine Packung Taschentücher aus einem der Küchenschränke angelte. Nachdem sie sich halbwegs beruhigt hatte wollte sie wissen wie es weiter geht. Beth zuckte erneut mit den Achseln. „Wir haben jetzt verschieden Möglichkeiten. Wir können das Amulett zerstören, es an einem von uns gewählten Platz deponieren, zu seinem Absender zurückbringen oder es direkt gegen ihn verwenden.“ Sybilles Augen wurden groß. „Wir können es gegen die einsetzten?“ Ich nickte. „Ja, aber dann wissen sie sie sofort, dass ein anderer Energiemeister mit im Spiel ist.“ „Energiemeister?“ Sybille hörte diesen Ausdruck augenscheinlich zum ersten Mal. Beth beantwortete statt meiner ihrer Frage. „Falk mag die Wörter Magier oder Hexer nicht, deshalb dieses Wortungetüm.“ Dabei grinste sie mich frech an und ich ging im Geiste erneut alle Möglichkeiten durch sie los zu werden, inklusive vierteilen und ertränken. Doch ich rief mich zur Ordnung und konzentrierte ich mich wieder auf das Wesentliche. „Ich denke wir sollten erst einmal mehr erfahren. Versuchen wir es mit einer Art Quarantäne. Wir bringen das Ding an einen uns geneigten Ort und lauschen, wenn der Kontakt erfolgt.“ Beth verzog das Gesicht und sagte so leise das nur ich es hören konnte, „Weichei!“ Doch ich wusste, dass sie nur deswegen wild auf eine offene Konfrontation war, weil ihr immer noch die Angst vor dem russischen Schamanen nachhing. Sie wollte sich beweisen, dass sie nach wie vor mächtig war. Anscheinend merkte sie, dass ich sie mal wieder durchschaut hatte, denn sie lenkte verdächtig schnell ein. „Ok, dann am besten Mondmagie. Wir bringen das Ding an einen Teich bei Mondschein, dann bin ich am stärksten und kann die Energie des Angreifers fühlen ohne davon berührt zu werden.“ Ich dachte nach. Beths Plan war sinnvoll, hatte jedoch einen Nachteil. Mondmagie am Wasser war nur etwas für weibliche Hexen. Männer wurden davon geschwächt und ich hatte nicht vor mich einer übermächtigen Beth auszusetzten und dabei noch von einem fernen Hexer belauert zu werden. Sie grinste niederträchtig. „Angst Meister?“ Auch sie wusste genau was mir grade durch den Kopf ging. Ich ließ ihr den Triumpf jedoch nicht. „Das kannst du probieren, dann bleibe ich mit Sybille hier und vergewissere mich, dass es hier sicher ist und kann auch gleich die Wohnung magisch versiegeln. Beth stimmte mir zu, was mich sofort misstrauisch machte. Ich hatte kurz etwas in ihren Augen aufblitzen gesehen und es war außerdem alles andere als normal, dass sie mir einfach so zustimmte. Daher war ich mir sicher, dass sie es am See nicht beim Lauschen belassen würde. Sie würde dem Hexer eine Botschaft senden, die dieser kaum überhören konnte. Aber ich hielt ihn für nicht sonderlich gefährlich, deshalb sagte ich nichts. Sie wickelte das Amulett sorgfältig ein und verstaute es in Ihrer Handtasche. „Ich nehme das Auto, wir treffen uns morgen wieder im Büro.“ Ich protestierte. „Du weißt, dass es keine gute Idee ist, nachher zu fahren. Soll ich Dich nicht besser hinbringen und wieder abholen?“ Doch sie schüttelte den Kopf. „Das ist keine große Sache Falk, ich warte nach dem Ritual ein paar Minuten und dann klappt das mit dem Fahren wieder. Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte sie überreden zu wollen, daher ließ ich es sein. Dennoch war es gefährlich „normale“ Sachen wie Autofahren nach einem Ritual zu machen. Wenn sich der Verstand auf die Seite der Magie begibt, dann waren manchmal ganz simple Verrichtungen des Alltags kaum noch zu meistern. Aber Beth war alt genug und vielleicht wurde ich sie ja sogar auf diese Art los. Ich konnte nicht verhindern, dass ein gehässiges Grinsen meine Mundwinkel umspülte. Auch wenn mir bewusst war, das es durch den Pakt auch für mich Konsequenzen hätte, wenn ihr etwas passieren würde. Zum Glück war Beth bereits an der Tür uns rauschte ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter. Ich wandte mich an Sybille. „Wir müssen ein paar Vorbereitungen treffen und wir brauchen dazu einige Utensilien. Am besten holst du dein Equipment aus dem Keller, dann sehen wir was noch fehlt.“ Sie setzte ein unglückliches Gesicht auf. „Meinst du dass das nötig ist? Ich will eigentlich nichts mehr damit zu tun haben.“ Ich setzte ein strenges Gesicht auf. „Du kannst nicht ins Wasser springen und dich hinterher beschweren, dass du nass geworden bist. Dadurch dass du angefangen hast mit Energie zu spielen, musst du auch die Konsequenzen akzeptieren. Ich werde dir eine Schutzwand aufbauen, die du nur noch hin und wieder erneuern musst, aber ganz ohne wird es nicht gehen. Diese Leute verwenden Energie um dich zu attackieren und du brauchst ebenfalls welche um das zu verhindern. Einerseits ist das leicht. Du bist jung und hast noch jede Menge davon. Anderseits ist es schwer, denn du darfst sie nicht verschwenden, weil du sie zu deinem Schutz brauchst.“ Ich versuchte Väterlich zu klingen. „Also ab besten eine Zeitlang keine Drogen und keinen Alkohol. So etwas verbraucht immer mehr Energie als es zurückgibt. Das kannst du dir jedoch nicht leisten, solange die versuchen dich in den Wahnsinn zu treiben.“ Sybilles Gesicht wurde noch länger, wenn das überhaupt möglich war. „Kopf hoch Kleine, wenn wir heute Abend fertig sind, dann kannst du endlich wieder wie ein Murmeltier schlafen. Dann brauchst du das Dope und den Wodka gar nicht mehr.“ Ein Funken Hoffnung erschien in ihren Augen und sie gab sich einen Ruck. „Ok, dann werde ich mal in den Keller gehen.“

9

Ich machte es mir bequem, während ich auf sie wartete und ließ die Umgebung auf mich wirken. Der Ort war so weit neutral, es gab keine besonderen Energieknoten in der Nähe. Ein paar alte Bäume vor dem Haus waren die einzigen, die meine Sondierungen mit mäßigem Interesse beantworteten. Bäume hatten eine natürliche Kraft, jedoch waren sie von Natur aus passiv. Sie als Verbündete einzusetzen klappte nur, wenn etwas ihren Lebensraum bedrohte, was hier nicht der Fall war. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, denn ich war ganz in meine Sondierungen vertieft, als es an der Tür klapperte. Sybille war zurück. Sie balancierte eine Umzugskiste durch die Tür währen sie versuchte den Schlüssel wieder aus dem Schloss zu bekommen. Ich rappelte mich hoch und nahm ihr die Kiste ab. Neugierig sah ich hinein. Der Inhalt entsprach meinen Erwartungen. Ein Räuchergefäß, einen Glocke, ein Stab aus Eichenholz, eine Silbermünze und ein prachtvoll gearbeiteter Kelch lagen oben auf. Darunter lagen diverse Büche mit klangvollen Titeln und wahrschein sehr dünnem Inhalt. Ein Samt Tuch in obligatorischem Schwarz und kleine Beutel mit diversen Räuchermischungen kamen darunter zum Vorschein. Ich las die Etiketten. Sandelholz und Rosmarin waren für meine Zwecke ungeeignet, alle Mischungen mit Phantasienamen sowieso, aber etwas tiefer in der Kiste fand ich was ich gesucht hatte. Weihrauch! Zufrieden lehnte ich mich zurück. Ich würde mir wohl eine Taxifahrt ins Büro sparen können. Fehlte nur noch eines, fast hätte ich mich dran geschnitten, denn ganz unten lag neben einem fürchterlich kitschigen Plastik Totenkopf der Zeremoniendolch. Ich wollte ihn herausnehmen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Beth war zwar deutlich besser im Finden von Mojos und Fetischen, aber das bedeutete nicht, das ich einen nicht erkannte, wenn er vor mir lag. Ich fluchte laut. Sybille sah mich erschrocken an. „Was ist“, flüsterte sie. Ich deutete in die Kiste. „Dieser Dolch, woher hast du ihn?“ Sie wurde bleich. „Den hat mir die die Sekte zur Initiation zum Adepten überreicht.“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Und das hast du uns nicht vorher erzählen können?“ Unwillkürlich hatte ich lauter gesprochen und sie zuckte zusammen. Erneut begann sie zu weinen. Mein Mitgefühl hielt sich diesmal jedoch in Grenzen. Alles in der Kiste stank nach Ritualen zur Gewinnung von Macht. Jetzt wo ihr die entglitten war, kamen die Tränen. Wäre sie die Mächtigere, würde sie es wahrscheinlich gnadenlos ausnutzen. Aber so war es immer. Deshalb gab es überhaupt den Aberglauben das es schwarze und weiße Magie gab. Doch das war Unfug, es gab nur verschiedene Motivationen die Energie zu benutzen. Ich hatte das schon eintausend Mal erklären müssen. Die Energie, die magische Phänomene hervorrufen konnte war neutral. Sie war nicht einmal in erster Linie dazu da Magie zu erzeugen, das war nur eine weitere Eigenschaft dieser Energie. Quasi ein Abfallprodukt. Was die willentlichen Anwender dieser Energie jedoch so gut wie nie wussten. Sie hielten sich sofort für etwas Besseres und Mächtigeres, auch wenn sie es grade mal geschafft hatten, mit ihrer Hilfe ein Hexenbrett über einen Tisch wandern zu lassen.

Ich wartete bis sie sich gefangen hatte. „Ok, der Dolch ist ein Problem. Eigentlich müsste der zusammen mit dem Amulett gleich in den See wandern. Jedoch haben wir nicht mehr genug Zeit bis es dunkel wird und ich weiß nicht einmal genau wo Beth jetzt ist. Wir müssen also Improvisieren.“ Sybille zitterte. „Soll das bedeuten, dass wir nicht sicher sind?“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das bedeutet lediglich, dass eine bloße Reinigung nicht genügt, weil der Hexer „am anderen Ende der Leitung“ immer noch einen Punkt hat an dem er seine Energie materialisieren kann. Wir brauchen also einen potenten Schutzzauber und müssen versuchen das Objekt so weit wie möglich zu entweihen.“ Sie wirkte nicht grade beruhigt, wollte aber wissen wie ich vorzugehen gedachte. „Wir brauchen erst einmal einen Handschuh, am besten aus Leder und den müssen wir hinterher wegwerfen. Also solltest du nicht allzu sehr daran hängen. Sie schüttelte den Kopf. „So etwas habe ich nicht. Nur Wolle, oder…“ Sie dachte einen Moment nach, „Gummihandschuhe für die Hausarbeit.“ Ich nickte. „Sehr gut, die tun es auch.“ Sie kramte einen Moment in einer Küchenschublade und kam dann mit triphierendem Grinsen wieder zurück. „Ich habe sie.“ „Sehr gut, aber jetzt wird es ein wenig unappetitlich. Musst du grade pinkeln?“ Ich zog den Gummihandschuh über meine linke Hand, es war nicht meine Größe, aber nach einigem zerren und zupfen saß er da, wo er hin gehörte. Sybille zierte sich weniger als ich befürchtet hatte, aber sie war auch vor Wildfremden nackt auf einen Altar gefesselt gewesen. Da war eine kleine Piss Session nichts dagegen. Ich holte den Dolch vorsichtig aus der Kiste und wir gingen ins Bad. Ohne Scham zog sie Ihre Hose aus und stellte sich über die Schüssel. Ich hielt den Dolch unter sie. „Es kann los gehen, kannst du, oder soll ich den Wasserhahn aufdrehen.“ Aber meine Fürsorglichkeit war unnötig, denn die goldgelbe Flüssigkeit rann bereits den Stahl entlang. Ich achtete sorgfältig darauf dass jedes Stück Metall von der Flüssigkeit berührt wurde. Dann trug ich den Dolch in die Küche. Sybille folgte mir nachdem sie Ihre Hose wieder angezogen hatte. Es war noch zu früh ihn abzulegen daher kommandierte ich sie herum. „Du hast bestimmt noch Wodka im Haus, oder?“ Sie wurde rot, nickte aber. „Ok her damit.“ Sie reichte mir die Flasche. Ich murmelte ein paar Worte auf Latein, dann nahm ich einen kräftigen Schluck und spuckte den Alkohol in einer feinen Tröpfchen Wolke über den Dolch. Das ganze wiederholte ich siebenmal. Dann wandte ich mich wieder an sie. „Hast du neugierige Nachbarn?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, um diese Zeit sind alle auf der Arbeit.“ „Gut, dann ab in den Garten.“ Wir vergruben den Dolch neben einem jungen Apfelbaum. Ich segnete den Platz und klopfte die Erde fest. „Hier muss er etwa zwei Stunden bleiben, dann können wir ihn hoffentlich für unsere Zwecke einsetzten.“ Sybille war jetzt überzeugt, dass ich wusste was ich tat. Ihre Haltung hatte sich völlig verändert. Sie schien keine Angst mehr zu haben, stattdessen konnte ich so etwas wie Bewunderung in ihren Augen erkennen. Gut das machte es leichter sie zur Mitarbeit zu bewegen, die ich dringend brauchte.

10

Die nächste Stunde verbrachte ich mit der Vorbereitung für das Reinigungs- Ritual. Das ist heute erheblich leichter als früher. Der moderne Meister der Energie verwendet ein Smartphone mit integriertem Kompass. „Wo ist dein Altar?“ Sybille zuckte hilflos mir den Achseln. „In der alten Wohnung hatten wir einen, aber hier wollte ich bisher nichts mehr mit sowas zu tun haben.“ Ich sah mich kurz um und räumte allerlei Nippes von einem Beistelltisch. „Gut, auf einer weißen Leinwand arbeite ich sowieso lieber.“ Ich richtete den niedrigen Tisch nach Osten aus und sah mir das Samt Tuch an. Doch es war unbrauchbar, voller Wachsflecken. „Hast Du ein sauberes Tischtuch?“ Sybille nickte. „Aber wieso, wir haben immer das da genommen.“ Ich setzte eine Väterliche Miene auf und dozierte. „Mädchen, du kannst kein Reinigungsritual durchführen wenn du oder deine Werkzeuge schmutzig sind. In den meisten Kulturen musst du tagelang fasten und enthaltsam sein, bevor du auch nur an so ein Ritual denken kannst.“ Sie verstand was ich meinte und ging ohne ein weiteres Wort in das Schlafzimmer. Kurz darauf kam sie mit einer roten Tischdecke mit Blümchenmuster zurück. Ich nahm sie ohne mit der Wimper zu zucken und bereitete sie über dem Tischchen aus. Dann drapierte ich vier neue Kerzen an den Ecken. Die Kerzenständer standen auf dem Wohnzimmerschrank und ich hatte sie gründlich entstaubt bevor ich die Kerzen hinsteckte. Zufrieden besah ich mein Werk. Die Kerzenständer bestanden aus Kristallglas und stellten Schwäne dar. So wirkte das Ganz ein wenig wie eine Osterdekoration, was mir ein Grinsen entlockte. Ich liebte es mir jegliches Brimborium zu sparen und die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren. Auch und grade weil das bei den meisten Zuschauern Irritationen hervorrief. Sybille war da keine Ausnahme. „Das ist ein Altar?“Wollte sie wissen. Ich grinste. „Klar, sogar ein wirklich guter.“ Ich reinigte noch die restlichen Utensilien, schmiss den Plastik Totenkopf wieder in die Kiste, zusammen mit den Nepp Kräutermischungen und den Büchern. Dann verfrachtete ich das Ganze auf den Balkon. Dann zündete ich mir erst einmal eine Kippe an. Sybille gesellte sich zu mir. „Was kommt jetzt?“, wollte sie wissen. Ich machte auf souverän. „Erst einmal bergen wir den Dolch, das muss vor der Abenddämmerung erfolgen, dann müssen wir Duschen und sobald die Sonne untergeht geht’s los. Hast du was Sauberes zum Überwerfen?“ Ihr Blick zeigte, dass sie nur Bahnhof verstanden hatte. „Wir können keine getragenen Kleider anziehen. Denke daran was ich Dir über Sauberkeit erzählt habe. Natürlich hast Du nichts in meiner Größe da, aber wir sollten auch nicht zu viel anhaben. So etwas wie eine Tunika wäre gut, ein großes Handtuch oder ein Bettlaken tut es hingegen auch.“ Sybille wirkte hilflos. „Ich habe nur Spannbetttücher und ich glaube auch nicht, dass ich ein Handtuch in deiner Größe vorrätig habe.“ Ich musste grinsen. „Ok, dann eben ohne Kleider, das funktioniert sowieso am besten. Elisabeth würde sich nie etwas anziehen bei einer Reinigungszeremonie. Ist das OK für dich?“ Sie nickte ohne nachzudenken. Ich hatte nichts anderes erwartet, nachdem sie ohne zu zögern auf den Dolch gepisst hatte. „Gut, dann lass uns jetzt den Dolch holen, in etwa einer Stunde ist es dunkel. Bis dahin muss alles bereit sein.“

Wir gingen wieder nach unten. Das Haus war zum Leben erwacht und im Flur roch es nach Bratkartoffeln. Zurück im Garten merkte ich jedoch sofort, dass etwas nicht stimmte. Der junge Apfelbaum hatte auf einmal mehrere braune Blätter, die vorher nicht da gewesen waren. Skeptisch betrachte ich ihn und sah mir seine Aura an. Der Baum war zweifelsfrei gestresst. Tiere hatten ihn nicht angenagt, also konnte das nur mit dem Dolch zusammenhängen. Ich kniff die Augen zusammen und verschob die Wahrnehmung in den energetischen Bereich. Was ich sah bestätigte meinen Verdacht, die Erde um den Fetisch leuchtete im Energiespektrum lila. Das bedeutete, dass meine Versuche ihn zu neutralisieren gescheitert waren. Wie konnte das passieren? Das potentielle Opfer hatte ihn entweiht, ich hatte ihn neu gesegnet und dann geerdet. Normalerweise war so ein Gegenstand dann nicht mehr mit der Energie des Magiers aufgeladen und wieder neutral. Nicht jedoch dieser Dolch. Ich fluchte. Sybille sah mich fragen an, aber ich hatte jetzt keine Zeit ihr die Zusammenhänge zu erklären. Ich musste zu einem radikalen Mittel greifen um dieses Ding zu entschärfen. Vorsichtig grub ich den Dolch wieder aus. Der Gummihandschuh lag noch im Garten, ich zog ihn an und konnte den Dolch so gefahrlos aus seinem Grab nehmen. Dann rammte ich ihn zwischen zwei Waschbetonplatten die zwischen der Waschküche und dem Carport verlegt waren. Dann holte ich mit meinem Bein kräftig aus, und trat dagegen. Mit einem hellen Klirren zerbrach die Klinge und der Griff wurde ein Teil des Weges entlang geschleudert. Mich durchzuckte ein heißer Schmerz. Zum Glück hatte der jedoch nichts mit dem Dolch zu tun, sondern meine alte Verletzung protestierte gegen die Fußballeinlage. Ich nahm die Reste des Dolchs auf und sah sie an. Jetzt waren sie energetisch tot, endlich. Ich beförderte die Bruchstücke zurück in ihr Grab beim Apfelbaum und zog Sybille zurück in Ihre Wohnung.

11

„Wieso hast du den Dolch zerstört? Ich dachte du wolltest Ihn für das Schutzritual verwenden.“ Ich sah zu ihr rüber, wir waren zurück auf dem Balkon und ich versuchte die Schmerzen im Bein mit einer Zigarette zu betäuben. „Es hat nicht geklappt ihn zu neutralisieren. Warum weiß ich auch nicht, auf jeden Fall war er immer noch gefährlich. Doch jetzt ist die Gefahr gebannt, der Zauberer kann ihn nicht mehr als „Empfangsstation“ für seine Energie verwenden.“ Sie sah mich an. Etwas an ihrem Blick irritierte mich, ich konnte aber nicht sagen was es war. Hatte sie vielleicht an diesem Dolch gehangen? Immerhin war es so etwas wie ihr Gesellenbrief bei der Sekte gewesen. Ich war besorgt und versuchte es mir nicht anmerken zu lassen. Warum hatte die Neutralisierung des Dolches nicht funktioniert? War die Bedrohung größer als ich vermutet hatte? Ich wischte die Zweifel beiseite. Die Dämmerung kam näher und es war noch viel zu tun. Ich wandte mich an Sybille. „Wir brauchen den Dolch nicht, etwas Anderes tut es genauso. Hast du ein großes Küchenmesser?“ Sie nickte zögerlich. „Ja, aber…“ Ich unterbrach sie. „Wie alt? Hast du es neu gekauft als du umgezogen bist?“ Sie nickte zögerlich. „Ja ich habe ein fast neues Messer da.“ „Ok, dann her damit und gib mir auch die Wodka Flasche.“ Ich weihte das Küchenmesser genauso wie ich es vorher mit dem Dolch versucht hatte und legte es dann zu den anderen Utensilien auf den improvisierten Altar. „OK, wir haben alles, ab unter die Dusche, wir müssen bereit sein, wenn die Dämmerung einsetzt.“ Wir gingen ins Bad. Ich ließ ihr den Vortritt. Sie zog sich ohne Scham aus. Ich kam nicht umhin sie zu betrachten. Ihr Körper war haarlos. Eine Schlangentätowierung zog sich von Ihrer linken Schulter bis zu Ihrem Venushügel. Ihre schlaffen Brüste waren gepierct und sie hatte eine Reihe von Narben auf Ihrer Haut. Man sah ihr die Vergangenheit an. Doch ich war niemand, der jemand nach Äußerlichkeiten beurteilt. Ich entledigte mich ebenfalls meiner Kleidung und hängte den leichten Sommeranzug sorgfältig auf einen Bügel der an die Tür hing. Der große Badezimmerspiegel warf mein Speigelbild zurück. Ein Mittfünfziger mit grauen Haaren und grauen Augen sah mir entgegen. Leichte Alterstitten und Bauchansatz vervollständigten den Eindruck. Ich war Alt und der Unfall hatte sein übriges getan um meinen Verfall zu beschleunigen. Natürlich hätte ich genau wie Elisabeth etwas dagegen unternehmen können. Aber das lehnte ich ab. Der Preis war einfach zu hoch. Hinter mir wurde das Wasser abgedreht und Sybille öffnete die Tür der Duschabtrennung. Sie sah mich an und starrte abwechseln auf meinen Schwanz und meine Narben. Ich bin gut bestückt, auch wenn in meinem Alter die Glocken langsam tiefer hängen als der Strick und meine Narben waren in der Tat ungewöhnlich. Ich konnte ihr die Blicke also nicht verdenken. Sie kam näher und berührte die 40 cm lange Schlangenförmige Vertiefung an meinem Bein. „Oh Gott, was ist passiert?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Verkehrsunfall.“ Sagte ich lapidar. Das entsprach zum Teil der Wahrheit, doch die Geschichte war komplizierter. Jedoch gedachte ich nicht, ihr davon zu erzählen. Ich schob mich an ihr vorbei und konnte spüren, dass sie erregt war. Ich grinste und drehte das Wasser auf. Der alte Hund in mir fühlte sich geschmeichelt. Während das heiße Wasser auf meine grauen Stoppelhaare prasselte dachte ich nach. Ich kannte zwei Dutzend Schutzrituale, aus genau so vielen Kulturen. Welches war das Richtige für diesen Fall? Ich kramte in meinem Gedächtnis. Die Angreifer waren Thelemiten, also würden sie wohl ein auf Crowley zurückgehendes Ritual verwenden. Am besten bekämpfte man Feuer mit Feuer. Also sollte es ein Ritual nach dem alten Engländer sein. Ich kannte eines und versuchte mich daran zu erinnern. Ich wurde langsam alt und hatte es bestimmt 15 Jahre nicht mehr verwendet, deshalb dauerte es etwas in meinen Erinnerungen zu kramen. War da nicht etwas mit Sternen und Rubinen? Nein, das war etwas Sexualmagisches. Es ging um ein Tier, ein Fabelwesen, nur welches. Langsam erschienen Federn vor meinem inneren Augen. Genau, die Messe des Phönix! Ich sammelte die Einzelheiten zusammen was merkwürdigerweise leicht war, nachdem ich wusste was ich suchte. Eine Gänsehaut die sich auf meinen Armen trotz des heißen Wassers breitmachte zeigte mir, dass ich richtig lag. Das war das Ritual, dass ich heute brauchte. Ich stellte das Wasser ab und griff nach dem winzigen Handtuch, das Sybille mir reichte. Ich trocknete mich, soweit das mit dem Ding möglich war, ab und nahm sie an der Hand. „Alles was jetzt folgt ist wichtig. Du tust was ich dir sage, ohne zögern und ohne auch nur ein bisschen davon abzuweichen, ist das klar?“ Sie zitterte, jedoch nicht vor Kälte oder Angst. Die Situation schien sie zu elektrisieren. Nackt und mir ausgeliefert zu sein, war anscheinend von nicht unerheblichem sexuellem Reiz für sie. Kein Wunder, das sie sich auf eine Sexualmagisch arbeitende Sekte eingelassen hatte. Doch ich hatte nicht vor ihre Triebe zu befriedigen, wenngleich ich es gut fand, das sie so drauf ansprach. Energie und Sexualität waren zwei Seiten derselben Münze. War sie geil hatte sie Energie die wir gut für das Ritual brauchen konnten, solange sie konzentriert blieb.

12

Ich entzündete ein paar Holzkohlepads, wie sie derzeit zum anzünden von Wasserpfeifen in Mode waren, die ebenfalls in Ihrer Zauberkiste gelegen hatten und legte sie in die Räucherschale. Als sie vollständig glühten gab ich reichlich Weihrauch dazu. Das krümelige Harz verbreitete sofort einen Geruch nach Kirche und Feierlichkeit. Ich nahm die Schale und ging damit in jede Ecke der Wohnung. Dabei murmelte ich auf Latein: „Ich banne alles und jeden was versuchen sollte sich diesem Tempel zu näheren. Niemand darf ihn ohne meine Erlaubnis betreten.“ Die Sprache war eigentlich völlig egal, Geister und Energie kennen keine Sprachen, aber sie sind nicht Wortlos. Es kommt darauf an, was gedacht und gesagt wird, nicht in welchem Idiom. Aber Latein hatte den Vorteil die Feierlichkeit zu erhöhen, es klang wie eine mittelalterliche Messe der Katholiken, was bei den meisten Menschen die richtige Reaktion hervorrief. Nachdem ich mit dem Weihrauch durch war nahm ich das Messer und wiederholte das Ganze. Draußen hatte die Dämmerung eingesetzt und die Sonne war ein blutroter Ball der nur noch knapp über dem Horizont stand. Es wurde Zeit. Ich ging zurück zum Altar und begann das Ritual damit, dass ich zwei Butterkekse weihte, die ich in Ermangelung einer echten Hostie als solche zu verwenden gedachte. Die hatten sich praktischerweise in ihrem sonst fast leeren Küchenschrank befunden und ich hatte sie sofort beschlagnahmt. Dann rief ich laut:

„Heil RA, der du auf deiner Barke in die Höhlen der Dunkelheit fährst!“

Ich legte einen Finger auf die Lippen und gebot so meiner neuen Assistentin bei dieser Operation schweigen. Dann läutete ich die Glocke elfmal. 3 3 3 - 5 5 5 5 5 - 3 3 3 und legte noch ein Pad in das Räuchergefäß. Der Schwefel zischte auf, wie bei einem überdimensionalen Streichholz und Sybille zuckte bei dem Geräusch zusammen. Ich erhob wieder meine Stimme:

„Die Glocke tönt, das Feuer brennt:

Ich rufe den Namen den keiner kennt.

ABRAHADABRA“

Dann läutete ich wieder elfmal die Glocke und fuhr fort:

„Zu Dir zu beten oh Kind wir kamen,

bei deinem heiligen unbefleckten Namen.

Dein Reich ist gekommen: Dein Wille getan.

Hier ist das Brot; hier ist das Blut.

Bring mich durch die dunkle Mitternacht

Zu deiner strahlend Sonne Kraft.

Beschütze mich von Gut und Böse!

So das die Krone von allen Zehn,

schon im hier und jetzt sein mein. AMEN.“

Ich legte einen der beiden Butterkekse auf die glimmende Holzkohle.

Dann bekreuzigte ich mich in der Form eines umgedrehten Pentagramms, wobei die Spitze das Geschlechtsorgan war. Sybille schien die Zeichen zu kennen, denn sie machte das Gleiche, ohne dass ich sie extra dazu aufgefordert hätte. Ich nahm das Küchenmesser und ritzte meine Haut über dem Herzen leicht in der Form eines Hexagramms an. Grade so tief, dass sich einige Blutstropfen bildeten. Die nackte Frau neben mir starrte auf das Geschehen, doch ich erlaubte ihr nicht es mir gleich zu tun. Ich war der Magier bei diesem Ritual und wenn diese Blut erforderten war immer auch ein Risiko dabei. Ich fuhr fort:

„Sie die blutige Brust von mir,

es klafft ein Wunde im Zeichen des Sakraments in ihr!“

Ich nahm den zweiten Butterkeks und legte ihn auf die Wunde.

„Ich stille das Blut, der Lohn saugt es auf,

und der Hohepriester erscheint.“

Ich nahm den Keks und aß ihn indem ich sorgfältig und langsam kaute.

„Ich esse dies Brot. Ich schwöre den Eid.

Ich entzünde mich selbst in diesem Gebet:

„ Es gibt keine Gnade: Es gibt keine Schuld:

Hier ist das Gesetz: Tu was du willst!“

Dann läutete ich wieder elfmal die Glocke und rief:

„ABRAHADABRA“

Es folgte eine Pause in der ich noch ein wenig Weihrauch in die Glut gab. Dann erhob ich ein letztes Mal meine Stimme:

„Ich kam mit Jammer, mit Frohsinn und Dankbarkeit ich geh,

Bereit unter den Legionen des Lebens zu schreiten,

Mit ihnen die Freuden der Erde zu teilen.“

Wir verbeugten uns vor dem Altar und warteten einen Moment bis die Sonne vollständig hinter dem Horizont verschwunden war. Dann wendeten wir uns ab.

13

Sybille konnte die Energie spüren die jetzt den Raum erfüllte. Ich flüsterte unwillkürlich als ich ihr die nächsten Schritte erklärte. „Ich nehme jetzt die Energie und schaffe ein Gitter, das alles von diesem Raum fernhält. Siehe hinter das Offensichtliche und konzentriere dich, bis du es auch siehst. Dann versuche, deine Energie ebenfalls in das Gitter zu leiten.“ Sie wollte etwas sagen, doch ich ließ es nicht zu und legte ihr meinen Finger auf die Lippen. Sie leckte kurz daran wie ein Hundewelpe. Die Geste genügte um mir einen Stromstoß zu versetzten. Sie glühte vor Energie, das war gut. Aus halb geschlossenen Augen sah ich wie das Gitter Gestalt annahm. Ich gab ohne zu Reden die Form vor und Sybille schickte Ströme von Energie hinein, was es hell aufleuchten ließ. Für jemand der seit Monaten nicht mehr schlafen konnte hatte sie erstaunlich viel davon. Ich nahm meine Meditationshaltung ein und atmete ruhig. Das Ritual war nahezu perfekt gewesen, der Raum war sicher wie Fort Knox. Also wartete ich. Sybille schien zu wissen worauf wir warteten, sie bewegte sich ebenfalls kaum und atmete gleichmäßig. So verging einige Zeit. Wie lange konnte ich nicht sagen, in diesem Bewusstseinszustand hatten Raum und Zeit keinerlei Bedeutung. In wenigen Minuten konnte viel passieren, oder Stunden kamen einem nur wie ein paar Minuten vor. Dann spürte ich es. Ein Schatten huschte vor dem Energiegitter hin und her als suchte er einen Eingang. Der Schatten war erheblich größer als ich es erwartet hatte und auch deutlich mächtiger. Er prallte auf das Energiegitter, so heftig, dass es sich anfühlte als ob ein gigantischer Gong geschlagen wurde. Die Luft vibrierte und es wurde sofort spürbar kälter im Raum. Ich ergriff Sybilles Hand, in erster Linie um zu verhindern, dass sie in Panik ausbrach, was jetzt tödlich gewesen wäre. Sie zitterte heftig, veränderte jedoch nicht ihre Position. Es wirkte fast so, als genoss sie das Schauspiel. Ich hatte keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Stattdessen bediente ich mich bei ihrer Energie und dehnte das Gitter ein Stück in Richtung des Schattens aus. Erneut begann die Luft zu vibrieren. Doch der Schatten blieb nicht unbeeindruckt von dieser Aktion. Er zog sich ein wenig zurück. In diesem Moment erschien eine zweite Gestalt vor dem Gitter. Sie hatte die Gestalt einer Eule und war mir sehr gut bekannt. Beth! Natürlich hatte sie es drauf angelegt sich mit dem unbekannten Zauberer zu messen. Als ich ihn mit dem Gitter berührte hatte sie die Gelegenheit genutzt und ihn angegriffen. Ich konnte sehen wie die Schatten miteinander rangen, jedoch ohne dass einer von Ihnen die Oberhand hatte. Ich kannte Beth Fähigkeiten, doch dieser Wixer da draußen war meiner Macumba Prinzessin zumindest ebenbürtig. Zum ersten Mal verspürte ich so etwas wie Wut. Zu meiner Rechten regte sich mein Energiewesen und der Falke schoss empor. Mit einem Schrei von dem ich nicht wusste ob ich ihn ausgestoßen hatte oder ob er rein auf der Energetischen Ebene zu hören war stieß er zu. Der Schatten bot einen Moment Wiederstand, dann drangen die Klauen und der Schnabel des Falken tief in ihn ein. Ein Schmerzensschrei erfüllte den Raum, dann schrumpfte der Schatten und zog sich zurück. Die Eule folgte ihm, während der Falke zu mir zurückkehrte und sich wieder mit mir verband. Ich öffnete die Augen. Schweiß lief mir den Rücken hinunter obwohl es immer noch empfindlich kühl im Raum war. Der Kampf hatte alle Energie aus der Umgebung gesaugt, aber der Schutzzauber hatte gehalten. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wer immer da angeklopft hatte, damit hatte er nicht gerechnet. Ich sah zu Sybille hinüber und erschrak. Sie war Schweißgebadet und Zitterte wie Espenlaub. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und sie war in sich zusammengesackt. Doch sie schien nicht zu wissen wie leer sie aussah, stattdessen lag etwas Triumphierendes in ihrer Stimme. „Wow, das war die geilste Achterbahnfahrt meines Lebens.“ Ihre Stimme krächzte etwas, was sie aber nicht wahrzunehmen schien. „Dem haben wir es aber gezeigt. Wer war der andere Schatten der uns geholfen hat?“ Ich fühlte statt einer Antwort ihre Stirn. Sie war viel zu kalt, ich hatte mich wohl heftiger bei ihr bedient als ich es beabsichtigt hatte. Ich nahm sie in den Arm was sie gierig erwiderte. Ohne abzuwarten fingerte sie mach meinem Schwanz und begann ihn zu massieren. Sie selbst war komplett nass und sobald sich mein „kleiner“ Mann aufgerichtet hatte führte sie ihn mit einer gekonnten Bewegung in sich ein. Ich ließ es geschehen, wir hatten so viel Energie verbraucht das es nötig war diese zurück zu erhalten, wenn wir einen Wochenlang andauernden Kater vermeiden wollten. Dies ging natürlich nur, wenn wir es richtig machten. Ich dirigierte sie daher. Langsame Bewegungen, die klassische TAO Technik der 1000 Stöße, natürlich ohne dabei abzuspritzen. Das hätte die Energiebilanz wieder versaut. Eine Stunde später krabbelte sie völlig erschöpft wieder von meinem Schoß. Doch jetzt war die Erschöpfung nur noch körperlich, ihre Energie hatte sich wieder aufgeladen. Doch das sah sie nicht, stattdessen zog sie einen Schmollmund. „Mache ich dich nicht an, oder warum kommst du nicht?“ Ich hatte keine Lust es ihr zu erklären und antwortete nur lakonisch: „Das ist das Alter Baby, ich schaffe es nicht mehr allzu oft zu kommen. Mach dir nichts draus, schön gevögelt haben wir doch, oder?“

Danach hatte ich es eilig von dort zu verschwinden. Ich gab ihr noch ein paar Tipps was sie beachten sollte um das Gitter stabil zu halten, dann rief ich mit einer App ein Taxi und fuhr zurück zu meinem Büro. Es war bereits nach Mitternacht als ich die Tür aufschloss. Routinemäßig überprüfte ich das magische Siegel, aber alles war unberührt. Elisabeth war nicht zu sehen, was ich aber auch nicht erwartet hatte. Ich ging an die Bar und schenkte mit einen doppelten Pastis ein und verdünnte ihn mit ein wenig Eiswasser. Dann zündete ich mir eine Kippe an und dachte nach. Irgendetwas störte mich an der Geschichte. Das Ganze war deutlich weiter eskaliert als ich es erwartet hatte. Sogar mein Falke hatte eingegriffen und es war schon verdammt lange her, dass das zum letzten Mal passiert war. Ich blies kleine Kringel in die Luft und sah zu wie sie sich auflösten. Nichts an dieser Geschichte war so wie es sein sollte. Der Dolch ließ sich nicht neutralisieren, der Schatten war trotz Reinigung und dem Entfernen von zwei Fetischen aufgetaucht und er war Beth zumindest ebenbürtig gewesen. Das waren schon drei Dinge die gegen alle Erfahrungen sprachen, aber dennoch passiert waren. Zum ersten Mal wünschte ich mir das Beth hier wäre, ich hätte die Sache gerne mit ihr besprochen. Aber sie war garantiert in irgendeiner Salsa Bar unterwegs um jemanden zu finden mit dem sie Ihre Energien wieder aufladen konnte. So wie ich es mit der Klientin getan hatte. Das würde ihr zwar heute deutlich schwerer fallen als üblich, energielos war es äußerst problematisch einen Anziehungszauber um sich herum zu legen, aber sie war das gewohnt. Morgen würde sie wieder frisch wie der Frühling hier sitzen. Ich drückte die Kippe im Aschenbecher aus, kippte den restlich Pastis herunter und humpelte die Treppe hinauf in meine Schlafzimmer. Ich brauchte keine zwei Minuten um einzuschlafen.

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