Vermisst! - Mehdi Martens - E-Book

Vermisst! E-Book

Mehdi Martens

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Beschreibung

Ein 17 Jahre alter Vermisstenfall. Ein totkranker Zeuge und eine hübsche Französin. In seinem zweiten Fall soll Ron der Sektendetektiv, eine Motorradtour wiederholen die 17 Jahre zurückliegt. Unmotiviert nimmt er den Auftrag an, ohne große Hoffnung etwas herauszufinden. Doch was als Urlaubreise beginnt bringt ihn schnell an seine Grenzen, nicht zuletzt weil er sich verliebt und plötzlich sein ganzes bisheriges Leben in Frage gestellt wird. Immer noch auf der Flucht vor der Sekte die ihn aufgezogen hat, wird Ron in einen Strudel tragischer Ereignisse hingezogen. So sucht er nicht nur den verschwundenen Klaus, sondern auch sich selbst in der Hitze des Sommers an der Costa Brava. Die Fortsetzung von Hexenmeister – Ron lässt los.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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1

„An der Fassade muss wirklich etwas getan werden, die Farbe ist schmutzig und da oben bröckelt sogar schon der Putz ab.“ Frau Klotzbach sah Ron streng an und fuchtelte bei ihrer Ansprache heftig mit den Armen. Das können sie Herrn Rütli ruhig ausrichten. Ron versprach ihre Beschwerde weiterzuleiten und war froh als die alte Dame endlich die Eingangstür hinter sich zuschlug. Im Grunde genommen hatte er es schon ausgerichtet, denn Herr Rütli war nichts weiter als eine seiner Tarnexistenzen. Offiziell war er nur als Hausmeister in dem zweistöckigen Mietshaus in Frankfurt Niederrad tätig, aber das war nur Tarnung. Ihm gehörte das Haus, bezahlt mit Geld das er vor Jahren der Sekte gestohlen hatte.

Doch Frau Klotzbach hatte Recht, die Fassade bröckelte an vielen Stellen vor sich hin und bedurfte dringend einer Renovierung. Leider standen dem eine idiotische neue Energiesparverordnung und sein Kontostand entgegen. Ron hatte sich informiert, aber durch die Wärmedämmung die er bei einer Sanierung zwingend hätte anbringen müssen war eine Fassadensanierung derzeit außerhalb seiner finanziellen Möglichkeiten. Und Herr Rütli konnte nicht mal eben einen Kredit aufnehmen, dazu hätte er erst einmal existieren müssen.

Missmutig stapfte er die Treppen hinauf zu seiner Mansarde, die er als Hausmeisterwohnung bewohnte. Er warf sein T Shirt in die Ecke und sah in den Spiegel. Die Narbe die er sich in Kenia zugezogen hatte strahlte in dunklem Rot auf seinen Rippen1. Seit diesem Abenteuer, das er beinahe mit dem Leben bezahlt hätte war sein Nebenerwerb ebenfalls zum Erliegen gekommen. Nicht dass es an Aufträgen gemangelt hätte, nein, Menschen verschwanden immer und immer gerieten Einige davon in die Fänge von Psychosekten und selbsternannte Heilsbringer. Arbeit gab es also genug für sein zweites ich. Oder war es sein drittes? Wütend schüttelte er den Gedanken ab, denn seit seinem letzten Auftrag fehlt Ron jede Motivation einen Neuen zu übernehmen. Er dachte an Janett, die Frau die er in Afrika kennen und lieben gelernt hatte. Gestern hatte ihn eine Email von Ihr erreicht, mit Fotos einer Krankenstation im kenianischen Hochland. Sie hieß John White Hospital, was in mehrfacher Hinsicht ein Witz war. John White war der Deckname den er in Kenia benutzt hatte, einen Pass, dessen Asche mittlerweile einer Mülldeponie irgendwo in England ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Der Mann der ihm damals bei seiner Flucht aus den Fängen der Sekte behilflich war, hatte die Asche gegen einen nagelneuen Pass der Britischen Krone getauscht. Er war der Admiral, der Vater seiner ersten großen Liebe und der Grund für ihren Tod. Ron stieg unter die Dusche in der leisen Hoffnung diese Gedanken dadurch los zu werden. Doch natürlich gelang es ihm nicht, sie einfach abzuwaschen. Er hatte seinen gesamten Lohn für die Rückholung einer Bankiers Tochter Janett überwiesen und sie hatte es in ein ganzheitliches Hospital investiert. Sie hatte das Gebäude bauen lassen in dem neben ihr als schamanische Heilerin nun auch noch ein richtiger Arzt praktizierte und sie hatte es nach seiner Scheinexistenz benannt. Er unterdrückte erneut den Impuls ein Ticket zu buchen und zu ihr zu fliegen. Doch es hatte keinen Sinn, sie hatte einen Deal mit ihren Geistern abgeschlossen, sein Leben für ihre Liebe. Es gab für ihn keinen Weg zurück zu ihr und es wäre sowieso zu gefährlich gewesen erneut nach Kenia zu fliegen. Denn seit den Ereignissen dort wurde er von den kenianischen Behörden gesucht. Er nahm ein Handtuch und stapfte in die Küche. Doch ein Blick in den Kühlschrank sagte ihm, dass er entweder einkaufen oder auswärts essen musste. Es war ein schöner Sommertag und er entschloss sich zu letzterem. Wie üblich steckte er sein Smartphone ein und stellte fest, dass seine „Arbeitsleitung“ eine neue Nachricht auf seiner Mailbox anzeigte. Ron hatte ein Dual Sim Gerät und verwendete diese Nummer ausschließlich für seine Nebenbeschäftigung als Detektiv. Doch dort gab es nur eine Mailbox, keine Sekretärin hob den Hörer ab und Ron ebenfalls nicht. Er hörte die Mailbox ab. Es war wieder dieser Anwalt der ihn bereits seit mehreren Wochen davon überzeugen wollte einen neuen Fall zu übernehmen. Doch Ron hatte bis jetzt nicht reagiert und löschte die Nachricht auch dieses Mal ohne zu zögern. Er verließ die kleine Wohnung und schlenderte hinunter zum Main. Dort folgte er eine Weile dem Weg der parallel zum Ufer entlang führte bis zum Eingang des Licht-und Luftbades. Zu einer Zeit als der Main noch nicht eine Kloake der Chemieindustrie war, hatte es hier eine Badestelle gegeben. Jetzt konnte man sich hier nur noch sonnen und die Gerüche der Stadtentwässerung „genießen“ wenn der Wind ungünstig stand. Doch heute war der Wind gnädig und Ron konnte nichts als die übliche Mischung aus Abgasen und Sonnenöl riechen als er den Park betrat. Trotz allen Widrigkeiten kam er gerne her. Die Stadt hatte einen alten Schlepper zu einem Restaurant ausgebaut und betrieb hier einen Eigenbetrieb, der Langzeitarbeitslose wieder an ein geregeltes Leben heranführen sollte. Ron war sich nicht sicher was er von dieser Art der Zwangsarbeit halten sollte, aber das Essen war gut und billig. Er kam daher ziemlich oft hierher wenn das Wetter gut war. Der Ex Junkie an der Kasse kannte ihn und tippte den sauer gespritzten Apfelwein bereits in die Kasse ein bevor Ron auch nur ein Wort sagen konnte. Er bestellte Rindswürste und Kartoffelsalat und nahm seinen Apfelwein mit zu einem der rund um den Schlepper aufgestellten Tische. Das einer der Köche nicht nur seinen Kartoffelsalat auf einen Teller drapierte sondern auch noch hecktisch an seinem Handy nestelte bekam er jedoch nicht mit. Während er den beiden Chinesinnen am Nachbartisch zulächelte dachte er zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, ob der diesen Anwalt zurückrufen sollte. Eine neue Fassade kostete schließlich Geld und der Anwalt klang nach einer Menge davon. Ron hatte sich über die Kanzlei im Internet informiert und war dabei auf viel, viel Geld gestoßen. Sie vertrat vorzugsweise die Reichen und Schönen der Stadt. Die Chinesinnen hatten seine Blicke bemerkt und kicherten jetzt, die Köpfe zusammensteckend. In Rons Kopf entstand ein vager Plan. Vielleicht war das eine Möglichkeit Janet endlich hinter sich zu lassen. Eine Nacht mit zwei schmalbrüstigen Chinesinnen. Er grinste noch über diese nicht ganz ernst gemeinte Idee als der Kassier winkte und Ron sich sein Essen an der Theke abholen konnte. Er genoss das einfache Menü. Das waren die Dinge weshalb er sich damals für Frankfurt entschieden hatte. Die beste Rindswurst der Welt und einen Platz am Main mit der Aussicht auf die Skyline des Bankenviertels. Bei der Zigarette nach dem Essen angekommen überlegte Ron grade ob er die Chinesinnen jetzt ansprechen sollte als sich vom Eingang her eine Gestalt näherte die ihm bekannt vorkam. Sofort war er alarmiert. Die Jahre der Flucht vor der Sekte hatten seine Reflexe geprägt und er war schon fast aufgesprungen als er erkannte wer sich dort näherte. Es war Susanne, das Mädchen das er in Kenia aus den Fängen eines Zauberers und Sklavenhalters gerettet hatte. Einerseits war das ein Grund nicht in Panik auszubrechen, andererseits war es überaus beunruhigend, dass sie ihn einfach so gefunden hatte. Wie konnte das geschehen sein? Susanne überquerte die Liegewiese und steuerte direkt auf seinen Tisch zu. Sie setzte sich ungefragt und begrüßte ihn wie einen alten Freund.

2

„Wie hast du mich gefunden?“ Fragte Ron sie fassungslos, statt einer Begrüßung.

Susanne lächelte ihn triumphierend an. „Nicht schlecht was?“, ließ sie ihn schnippisch wissen und winkte dem Koch zu der beim Kartoffelsalat anrichten noch Zeit für eine SMS gefunden hatte.

„Horst und ich waren in derselben Entzugsklinik. Da kommt man sich automatisch näher und er war gerne bereit für mich die Augen aufzuhalten. In Afrika hast du mir von tollen Plätzen in Frankfurt vorgeschwärmt und dabei diesen komischen Park ebenfalls erwähnt. Da der in keinem Reiseführer steht und nichts für Auswärtige ist, dachte ich mir, dass du früher oder später herkommst. Die Personenbeschreibung war dann nicht weiter schwierig. Ein gutaussehender sauertöpfischer Einzelgänger der kaum spricht und schon hatte ich dich gefunden.“

Ron fluchte innerlich wegen seines Leichtsinns. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können. Wenn Susanne ihn finden konnte dann standen wohlmöglich morgen bereits die Anhänger der Sekte vor der Tür und die würde kein sommersprossiges Mädchen schicken, das bestenfalls ein Ärgernis war. Bedauernd sah er zum Nachbartisch an dem die Chinesinnen grade aufbrachen. Sie würdigten ihn keines Blickes mehr und hielten Susanne wohl für seine Freundin.

„Was willst du?“, fuhr er die junge Frau unfreundlich an. Der Tag entwickelte sich langsam zum Alptraum. Erst Frau Klotzbach mit ihrer Fassade und jetzt auch noch Susanne. Doch wie er es schon erwartet hatte kam es tatsächlich noch schlimmer.

„Ich bin im Auftrag eines Freundes hier, den du seit Wochen ignorierst.“ Ron dachte an die Nachrichten von diesem Anwalt und fragte deshalb, „du kennst diesen Anwalt?“

Susanne schüttelte den Kopf, „nein seinen Klienten, unsere Familien sind seit Jahren befreundet.“

Ron hatte definitiv keine Lust erneut für Menschen wie Susannes Vater tätig zu werden. Er hatte ihn im Verdacht Susanne als Kind missbraucht zu haben und damit die eigentliche Ursache für den ganzen Schlamassel in Kenia gewesen zu sein. Er sagte ihr das und zum ersten Mal verschwand der hochmütige Ausdruck aus Susannes Gesicht.

„ Hör auf damit, ich habe in den letzten Wochen genug Psychogeschwätz über meine Familie ertragen müssen. Es stimmt, vor dem Busch Doktor war es mein Vater, der mich missbraucht hat. Aber dafür lasse ich ihn jetzt auch bezahlen. Mein Schweigen wird ihn einiges kosten.“

Das konnte Ron sich vorstellen, jedoch bezweifelte er das alles Geld der Welt ausreichen würde die Löcher zu füllen die sich in Ihrer Seele aufgetan hatten. Doch es war gut zu erfahren, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Immerhin hatte er deshalb alles Geld was er von Ihrem Vater erhalten hatte in einem Wutanfall an Janet in Kenia geschickt.

„Das Ganze hat also nichts mit deinem Vater zu tun?“

„Nein, es handelt sich um einen alten Freund, der vor einer ganzen Weile verschwunden ist. Ich war damals noch ein Kind, aber ich kenne die Geschichte trotzdem sehr gut. Es ist eine Familienlegende, die auf keiner Cocktailparty fehlen darf.“

Ron sah sie skeptisch an. Alte Vermisstenfälle waren nahezu immer aussichtslos. Da war nichts zu verdienen, denn ein Erfolgshonorar war unwahrscheinlich. Susanne schien zu erraten was hinter seiner Stirn vorging, denn sie beantwortete seine unausgesprochene Frage.

„Du sollst lediglich einen letzten Versuch unternehmen, ohne dass wirklich jemand glaubt, dass du ihn findest. Doch die Umstände sind so, dass dieser Versuch nur jetzt unternommen werden kann. Dafür brauchen sie einen Mann wie dich. Du wirst auf jeden Fall bezahlt, egal was bei deinen Nachforschungen herauskommt und Geld haben die genug.“

Ron sah sie misstrauisch an. Alles was zu gut klang hatte normalerweise einen Pferdefuß. Andererseits brauchte er Geld. Dennoch gab es da etwas was er noch wissen musste.

„Von wie viel Zeit und welchem Land reden wir?“

„Ich nehme an das es nicht länger als sechs Wochen dauert und verschwunden ist Klaus damals in Spanien. Geh einfach zu dem Anwalt, der wird dir alles erklären. Es ist wirklich nichts dabei, die Umstände sind nur so, dass sie glauben das du mit deinem Talent der beste Mann dafür bist.“

3

Rons „Talent“ bestand darin, dass er von einer Psychosekte aufgezogen worden war und seitdem ein etwas spezielles Weltbild sein Eigen nannte. Er konnte Menschen lesen wie ein Buch, ihre Motivationen und Geheimnisse waren für ihn in der Regel ein offenes Geheimnis. Eine sehr hilfreiche Fähigkeit bei seiner Arbeit. Er hatte schon zwei Dutzend Menschen aus den Fängen der verschiedensten Sekten befreit und deswegen einen guten Ruf wenn es um derartige Missionen ging. Er blickte über den Main und sah den Enten zu die sich am Ufer tummelten während er nachdachte. Seine Weigerung einen neuen Fall zu übernehmen hatte nichts mit dem Vertrauen in seine Fähigkeiten zu tun. Er wusste was er konnte, das war es nicht. Nein seine Verunsicherung hatte weniger etwas mit dem Detektiv Ron zu tun, als mit dem Mensch Ron. Eine schwarze Frau hatte sein Selbstbild zum Einsturz gebracht und seit dem fragte Ron sich wer er wirklich war und was seine eigentlichen Motivationen waren. Waren andere Menschen für ihn ein offenes Buch, so waren doch seine eigenen Beweggründe mehr als nur nebelhaft für ihn. Was trieb ihn an? Weshalb diese Rettungsmissionen? Hatte er eine Schuld abzutragen? In Kenia hatte er einige neue Erkenntnisse über sich gehabt, sogar so etwas wie eine kleine Erleuchtung. Aber nichts davon hatte dazu geführt das er jetzt klar sehen konnte. Im Gegenteil. Es war als ob das Alte zerstört worden war und nichts Neues an seine Stelle getreten war. Er hing rum, ging seinen üblichen Routinen nach und hatte das Gefühl etwas zu verpassen. Oder jemanden zu vermissen. Da war sie wieder, Janet, die Frau mit deren Energie für ihn alles möglich gewesen war. Ohne sie fühlte er sich wie ein halber Mensch. Er hatte nie zuvor etwas Ähnliches erlebt und jede Faser seines Körpers sehnte sich danach wieder diese Fülle zu erleben. Susanne fing an mit ihren Fingern auf die Tischplatte zu klopfen. Geduld war nicht ihre Stärke und Ron saß nun schon eine ganze Weile in Gedanken versunken da. Ihm war klar, dass Susanne diesen Flashback ausgelöst hatte, sie war ein Teil der Geschichte mit Janet und daher kamen die Erinnerungen umso deutlicher zurück. Er gab sich einen Ruck. Was hatte er zu verlieren? Er saß bereits seit drei Monaten in Frankfurt herum und fühlte sich jetzt schlechter als am Anfang. Vielleicht war es wirklich Zeit etwas zu unternehmen und wenn es eine hoffnungslose Suche nach einem reichen Muttersöhnchen sein sollte, bitte. Vielleicht sprang ja genug Geld dabei heraus das er zumindest Frau Klotzbach mit einer hübschen neuen Fassade zufrieden stellen konnte.

Nachdem er mit Susanne ein Treffen mit dem Anwalt vereinbart hatte nahm Ron die Straßenbahn in die Innenstadt. Er wollte ganz sicher sein, das er niemanden auf die Fährte zu seinem Haus brachte. Nach einer halben Stunde in diversen Kaufhäusern war er sich sicher nicht verfolgt zu werden und machte sich auf den Heimweg. Seine Unvorsichtigkeit ärgerte ihn immer noch. Das Susanne ihn so leicht hatte finden können war ein Fehler der nahezu unverzeihlich war. Doch bei näherer Betrachtung war das Risiko begrenzt. Susanne hatte nichts mit Sekten am Hut, daher war es einigermaßen unwahrscheinlich, dass sie seine Häscher auf seine Spur lockte. Zumal er ihr gegenüber die Sekte mit keinem Wort erwähnt hatte. Es war vertretbar dort zu bleiben wo er war, ohne dass er ein übermäßiges Risiko einging. Ron seufzte. Manchmal war er so müde. Ein Leben auf der Flucht, ständig in Deckung, kostete eine Menge Kraft. Aber es war Alternativlos. Er stand auf der Liste der meistgesuchten Feinde der Sekte seit dem er sich mit Clair und einer Menge Sektengeld abgesetzt hatte. Fanden sie ihn würden sie ihn verschleppen und Foltern. Er musste unter dem Radar bleiben egal was es ihn kostete.

4

Am nächsten Tag warf Ron sich in Schale. Die Anwaltskanzlei lag ein einem Viertel in dem man in Jeans und T Shirt sofort den Wachschutz auf den Plan rief, was er unbedingt vermeiden wollte. Er wählte sine Kleidung entsprechend, eine teurere Leinenhose, Marken Poloshirt und einige teurere Accessoires die er extra für derartige Auftritte angeschafft hatte. Ein paar Blocks von seinem Haus entfernt nahm er ein Taxi. Seine Verkleidung passte nicht zur Straßenbahn, daher waren diese Spesen notwendig. Das Taxi brachte ihn zu einer stielvollen alten Villa in der Nähe des Palmengartens. Er wurde erwartet. Kaum hatte er sich am Empfang vorgestellt eilte auch schon ein Anzugträger aus einem der hinteren Zimmer und begrüßte ihn mit einer so aalglatten Überschwänglichkeit, dass Ron fast schlecht wurde. Er wurde in ein Büro geführt das größer war als seine gesamte Wohnung. Ein weiterer Anzugsträger wartete dort bereits, ein alter Mann mit zerknittertem Gesicht. Ron nahm ungefragt Platz und nahm den Kaffee der ihm nahezu aufgedrängt wurde. Dann kam er zur Sache.

„ Nun meine Herren, ich bin da. Wobei kann ich ihnen helfen?“

Der Zerknittertes-Gesicht Anzugsträger wurde ihm als der Vater des verschwundenen Jungen vorgestellt, der aalglatte Schleimer war der Anwalt dessen Nachrichten Ron bisher so standhaft ignoriert hatte. Er erhielt eine langatmige Erklärung dessen was Susanne ihm schon angedeutet hatte. Vor 17 Jahren war Klaus, sein Sohn, zusammen mit einem Freund auf Motorrädern nach Spanien gereist. Zwei Wochen waren völlig normal verlaufen, dann war Klaus eines Nachts plötzlich verschwunden. Seit dieser Zeit hatte niemand mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Die Polizei, diverse Detekteien, Familiäre Suchaktionen, alles war erfolglos geblieben.

„Was hat das mit mir zu tun?“ Ron war auf Sekten spezialisiert, sein Fachgebiet war es Menschen zu de-programmieren die eine Gehirnwäsche erhalten hatten oder sie im Sumpf von Sekten zu lokalisieren. Echte Polizeiarbeit war nichts, was er konnte oder wollte.

Der Anwalt räusperte sich.

„Wir haben eine letzte Change etwas mehr zu erfahren, doch die Umstände sind etwas delikat und erfordern ihre speziellen Fähigkeiten.“

Ron konnte sich nicht vorstellen wie. Ungehalten sagte er:

„Raus mit der Sprache, was wollen sie wirklich?“

Zerknittertes Gesicht Vater setzte eine noch unglücklichere Miene auf, soweit das überhaupt möglich war. Dann wurde er endlich konkret.

„ Es geht um den Jungen der damals mit Klaus unterwegs war. Er ist krank, todkrank um genau zu sein und ich habe mit ihm einen Deal. Ich finanziere großzügig eine Wiederholung der damaligen Tour, im Gegenzug berichtet er einem Gewährsmann alles was damals passiert ist. Dieser Gewährsmann sollte in der Lage sein die Wahrheit zu erkennen und vielleicht neue Aspekte hervorholen die bisher keine Beachtung gefunden haben. Aufgrund ihres Rufs sind wir der Ansicht, dass sie der perfekte Mann für diese Aufgabe sind.“

Ron dachte kurz nach. Das ergab tatsächlich Sinn. Seine Fähigkeit die wahren Absichten hinter dem Geschwätz der Menschen zu erkennen qualifizierten ihn für diese Aufgabe.

Der Anwalt räusperte sich.

„Haben sie einen Motorrad Führerschein?“

5

Die Harley Davidson Niederlassung war gut gefüllt. Es war Samstags Nachmittag und neben einigen wirklich Interessierten, lungerten ein Haufen Schaulustiger herum die davon träumten eines Tages sich so eine Maschine leisten zu können. Klaus Vater wirkte in seinem Anzug wie ein Fremdkörper in der Masse. Doch der Verkäufer verstand sein Geschäft, er ignorierte die Gaffer und kam direkt auf sie zu. So war das mit Statussymbolen, auf einen bösen Buben der eine Harley fuhr kamen 20 Ärzte, Anwälte und Banker die ihre Maschine als Mittel gegen die Midlife-Crisis benutzten. Mit denen wurde das wirkliche Geld verdient, nicht mit den paar echten Rockern. Ron musterte Jörn, den dritten im Bunde. Er hatte ihn heute zum ersten Mal getroffen und er war derjenige, dem dieser ganze Aufwand galt. Er war einen Kopf kleiner als Ron, jedoch doppelt so breit. Man musste keine Auren lesen können, wie Ron es gelegentlich tat, um festzustellen wie krank er war. Seine Augen hatten die ungesunde gelbe Färbung die sich bei Gelbsucht einstellte und für ein baldiges Leberversagen sprach auch, das er unnatürlich braun war. Er trug die Haare raspelkurz und hatte sie weißblond gefärbt was einen starken Kontrast zu seiner Hautfarbe bildete. Er war stielecht gekleidet, er trug Leder Jeans und Muskelshirt. Ron wusste aus seinem Briefing das er schwul war und sich eine Hepatitis C eingefangen hatte die seine Leber zerfraß. Die Ärzte gaben ihm noch maximal ein Jahr, nachdem eine Interferon Therapie versagt hatte. Etwas an seinem Auftreten irritierte Ron. Denn ihn umgab eine fast schon animalische, kraftvolle Ausstrahlung, die so gar nicht zu seinem Gesundheitszustand passen wollte. Der Verkäufer redete indessen auf die Beiden ein und pries die Vorzüge seiner Modelle. Ron hielt sich ein wenig abseits und überlegte mit welchem dieser schweren Motorräder er wohl am besten zu recht kommen würde. Er hatte zwar einen Motorradfüherschein, jedoch nicht allzu viel Fahrpraxis. Damals als er aus der Sekte ausgestiegen war hatte er es für eine gute Idee gehalten den Führerschein zu machen und war eine Zeitlang mit einem Motorrad durch Deutschland gereist. Doch das war lange her. Derzeit hatte er nur einen Motorroller den er manchmal für Ausflüge in die Umgebung benutze und nicht einmal ein eigenes Auto. Wenn er eines benötigte nahm er eines von einer Car Sharing Firma, was jedoch nur selten vorkam. Klaus Vater hatte sich nicht lumpen lassen. Er hatte einen Notariellen Vertrag aufgesetzt, der Ihm 500.-€ am Tag für maximal drei Monate und die Maschine, die sie heute kaufen würden, zusicherte. Und das selbst wenn es keinerlei neue Erkenntnisse geben würde. Er hatte lediglich für jeden Tag einen detaillierten Bericht anzufertigen. Er musste dokumentieren wann die beiden wo gewesen waren und was dort damals passiert war. Dazu stellte der Vertrag noch eine hübsche Summe in Aussicht sollte Ron mehr als nur Spesen produzieren und tatsächlich eine neue Spur entdecken. Fand er Klaus, tot oder lebendig war sogar genug Geld für ihn drin das er neben der Fassade auch noch die Heizung erneuern konnte. Doch Ron rechnete jedoch nicht damit, dass er irgendetwas Neues zu berichten hatte. Wenn er Jörn richtig einschätzte dann war dieser lediglich darauf aus, sich noch ein paar schöne Tage mit dem Geld von Klaus Vater zu machen. Aber wieso auch nicht, er hatte schließlich nicht mehr viel Zeit um das Leben zu genießen. Seine Uhr tickte laut hörbar. Zwei Stunden später hatten sie Ihren Einkauf beendet und Klaus Vater zückte seine Platin Kreditkarte die erstaunlicherweise ohne Probleme trotz der enormen Summe akzeptiert wurde. Zwei nagelneue Motorräder samt dem Schnickschnack als Zubehör, der sonst noch nötig war, hatten den Besitzer gewechselt. Sie hatten jetzt stielechte Satteltaschen, Jet Helme und Fransenlederjacken. Die Maschinen würden von dem Händler noch zugelassen werden und dann konnte es losgehen. Ron hatte alles mitgemacht, wenngleich er kein Typ für Fransenlederjacken war. Doch er hasste es aufzufallen. Wenn man mit einer Harley unterwegs war, dann sollte das Klischee auch erfüllt sein. In einem Roten Rennkombi konnte man eben keine Harley fahren, auch wenn der um Längen praktischer gewesen wäre. Ron hoffte, dass er keine allzu großen Probleme mit der Technik haben würde. Er war die Maschine Probe gefahren und war eigentlich ganz gut mit ihr zurechtgekommen. Doch auf einer zwei bis dreitausend Kilometer langen Tour konnte viel passieren. Beim Mittagessen gab es dann noch ein letztes Briefing von dem alten Mann. Ron fühlte sich in dem Steakhouse unwohl, drei so unterschiedliche Menschen an einem Tisch zogen alle Blicke der anderen Besucher nahezu magisch an. Er versuchte das zu ignorieren, aber es gelang ihm nicht. Aufmerksamkeit erregen war etwas was Ron zutiefst hasste, er lebte versteckt, nichts war schlimmer als im Rampenlicht zu stehen. Mühsam konzentrierte er sich auf das Gespräch das die Männer an seinem Tisch führten.

„ Jörn, bitte sein gewissenhaft.“ Kaus Vater machte ein ernstes Gesicht.

„Lasse nichts aus und versuche dich an jede Kleinigkeit zu erinnern, egal wie unwichtig sie dir auch erscheinen mag.“ An Ron gewandt fuhr er fort.

„Ich habe hier eine Karte zusammen mit Jörn erstellt, das ist der Weg den sie damals genommen haben. Nimm du sie und kontrolliere bitte die Route. Ich möchte das ihr nichts auslasst, denkt immer daran, dies dürfte die letzte Change sein etwas Neues zu erfahren.“

Ron versprach die Route ständig im Auge zu behalten, aber innerlich war es ihm völlig egal wo sie lang fahren würden. Dieser Auftrag war bestenfalls ein gut bezahlter Urlaub, er rechnete nicht damit, dass er auch nur das Geringste entdecken würde. Siebzehn Jahre war das Verschwinden jetzt her. Zeit genug um erwachen zu werden oder seinen Körper zugrunde zu richten wie es Jörn getan hatte. Hotels waren umbenannt oder abgerissen worden, Campingplätze in Autobahnen verwandelt, Zeugen tot oder weggezogen. Nein die verzweifelte Hoffnung des alten Manns war nicht mehr als ein Strohhalm an den er sich klammerte. Aber keine echte Change seinen Sohn zu finden.

6

Tags drauf erwachte Ron schweißgebadet. Er hatte von dem Busch Doktor geträumt den sie in Nairobi töten mussten. Janet war da gewesen und hatte ihn getröstet und dann wieder verlassen. Er stand auf und wollte in die Küche zum Kaffee kochen gehen, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Stattdessen legte er ein Kissen vor die Balkontür auf den Boden und nahm auf ihm seine Meditationshaltung ein. Die Sonne ging grade auf und schickte die ersten Strahlen durch die Bäume in seinem Garten. Er kontrollierte seine Atmung und versuche ganz im Augenblick zu existieren. Keine Gedanken, nur Luft die in seine Lunge und wieder hinausströmte. Er schaffte es diese Konzentration ein paar Minuten bei zu behalten, ein schöner Erfolg wenn man bedachte was in seinen Träumen passiert war. Er musste diesen Ballast endlich abwerfen. Kenia war weit weg, der Busch Doktor tot und Janet aus seinem Leben verschwunden. Sie hätte ebenso gut auch tot sein können, so unerreichbar wie sie jetzt war. Es war aus zwischen ihnen und es gab keinen Weg zurück. Vor ihm lag eine anstrengende Reise mit einem für ihn ungewohnten Verkehrsmittel und er musste seine Konzentration darauf richten diese heil zu überstehen. Heute würde sie ihre Maschinen erhalten, dann hatte er vier Tage Zeit sich damit vertraut zu machen und sie einzufahren. Dann ging es für die Harleys noch einmal zurück in die Werkstatt und dann los. Er stand auf, kochte sich jetzt seinen Kaffee und zog sich an. Janet hatte ihn dazu gebracht sein bisheriges Leben loszulassen jetzt war es Zeit sie loszulassen. Die Idee erschien ihm richtig und spontan improvisierte er ein kleines Ritual. Er entzündete ein Räucherstäbchen „weihte“ einen Keks und legte die richtige Musik auf, „Running Free“ von Iron Maiden. Dann meditierte er ein paar Minuten zu den Stück. Die Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne ließ er dabei in sein linkes Auge fallen und verspeiste am Schluss den Keks. Er kaute ihn sehr sorgfältig und sprach dann mit lauter Stimme.

„Janet ich danke dir für alles was du für mich getan hast, du hast mein Leben gerettet, mich mit meiner Vergangenheit versöhnt und mir den besten Sex geschenkt den ich bisher erleben durfte. Doch jetzt ist es Zeit im hier und jetzt zu leben. Daher lasse ich dich los, werde glücklich, Amen!“

Tränen flossen ihm über das Gesicht und er konnte nichts dagegen tun. Zu ehrlich waren seine Gefühle, zu schrecklich der Verlust. Doch nach einer Weile spürte er eine Welle der Erleichterung, die ihn durchflutete. Es war richtig so, er musste auch sie endlich loslassen. Als er Minuten später aufstand, war der Kaffee bereits halb kalt. Doch er fühlte sich erleichtert, als ob eine Last von seinen Schultern genommen worden war. Es war immer notwendig seine Schubladen aufzuräumen, seine Erfahrungen zu untersuchen und richtig einzuordnen. Nur so konnte Platz für Neues geschaffen werden und nur so konnte er verhindern, dass diese Erfahren sich verselbstständigten und seine zukünftigen Handlungen bestimmten. Wollte er sein eigener Herr sein, dann war es notwendig abzuschließen. Er musste durchhalten, bis die Emotionen die solche Ereignisse ausgelößt hatten wieder verschwanden. Dann war diese Erinnerung nur noch eine unter vielen, genauso gut oder schlecht wie alle anderen auch. So war es immer gewesen und so würde er es auch mit diesen Erinnerungen halten. Irgendwann würden sie ihre Macht verlieren und sich emotionslos in die lange Reihe der Schubladen einreihen die er bisher in seinem inneren gefüllt hatte. Dann würden auch die Träume verschwinden und er war wieder frei.

Die nächsten Tage waren angefüllt von den Vorbereitungen auf die Tour. Ron hatte noch verschiedene Sachen zu besorgen, Camping war bisher nicht in seinem Repetitor gewesen. Doch das Wichtigste war sich mit der Maschine vertraut machen und sie einzufahren. Zum Glück kam er besser mit ihr zurecht als er befürchtet hatte. Natürlich war er nicht über Nacht zu einem guten Motorradfahrer mutiert, bei seinen Touren durch den Taunus wurde er regelmäßig von anderen Bikern überholt, aber zumindest bildeten sich keine Schlangen von Autos hinter ihm. Das musste genügen, mehr war auch nicht zu erwarten gewesen. In den Nächten schlief er seltsamerweise jetzt traumlos, fast so als ob sein Ritual Erfolg gehabt hätte. Janet war jetzt nicht mehr ständig präsent, sondern wurde langsam das, was sie sein sollte, eine schöne Erinnerung.

7

Am Vorabend der Tour trafen sie sich in einem kleinen Cafe in der Nähe der Oper. Ron ahnte, dass es ein Treffpunkt für Schwule war, denn keine Frau hatte sich hierher verirrt. Doch das machte ihm nichts aus. Er hatte in seinem Leben so viele unterschiedliche Menschen studiert, dass die sexuelle Präferenz nur einen kleinen Baustein darstellte und ihn wahrscheinlich weniger irritierte als die meisten der anwesenden Schwulen selbst. Jörn führte das Kommando.

„Wir werden am besten gleich nach Sonnenaufgang aufbrechen. Es ist immer gut bei Tageslicht zu reisen, alles andere ist gefährlich und kann kalt werden.“

Ron war klar, dass er ihn für ein absolutes Greenhorn hielt. Vielleicht sogar für ein Hindernis das ihm auf seiner Abschiedstournee nur im Weg sein würde. Doch auch er hatte sich vertraglich verpflichtet etwas für seine Spesen zu tun. So würde er nicht umhin kommen sich mit Ron eine Weile auseinanderzusetzten.

„Wir haben damals 14 Tage gebraucht bis zu dem Punkt an dem er verschwand. Ich denke, das sollten wir wiederholen. Je genauer wir die Ereignisse von damals nachstellen, umso mehr könnte mir wieder einfallen.“

Ron war kein Blödmann und ihm war nicht entgangen, dass Jörn immer wieder kleine Phasen von Absencen hatte. Wahrscheinlich war außer seiner Leber auch noch Anderes von seinem Lebensstiel in Mitleidenschaft gezogen worden. Er tarnte es gut, versuchte so wenig wie möglich Namen zu benutzen und vermied konkrete Orte und Daten, aber sein Gedächtnis hatte eindeutig gelitten. Er war eine unnatürlich braune, ausgebrannte Hülle die sich für Ihren letzten Tanz breitmachte. Ron hatte das bereits bei ihrer ersten Begegnung festgestellt. Aber hatte keinen Grund gesehen seinen Auftraggeber mit seiner Einschätzung zu konfrontieren. Der gesamte Plan war ein verzweifelter Versuch mit nahezu keinen Erfolgsaussichten, das war bestimmt auch dem taffen Bankier klar. Er nippte an seinem Wasser und stimmte Jörn bei allen zu. Sonnenaufgang an der Tankstelle vor der Autobahn, 14 Tage den Spuren von damals folgen, an seinem Hinterrad bleiben, etc.etc. Um dreiundzwanzig Uhr hatte er genug und verabschiedete sich. Als er seine Maschine durch den spärlicher werdenden Verkehr zurück nach Niederrad lenkte, hatte er zum ersten Mal so etwas wie Freude daran zu fahren. Er glitt wie ein Windhauch durch die Ströme der Autos, leicht und frei. Er schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken. Wie kam er auf so etwas? Hatte das Easy Rider Virus in ihm ein Opfer gefunden?

8

18 Stunden später war von dem Hochgefühl nichts mehr übrig. Ein feuriger Schmerz kroch seine Wirbelsäule hinauf, von seinem Gesäß wanderte er langsam aufwärts bis in den Nacken. Dort schienen Gnome mit glühenden Nadeln ihr Unwesen zu treiben. Ron war sich sicher, hätte es zu Buddhas Zeiten schon Motorräder gegeben hätte er solche Touren direkt in seine Meditationsregeln eingebaut. Es war wie in den Zeiten in denen er viel meditiert hatte. Auch wenn er in einem abgedunkelten Raum stundenlang in Meditationshaltung gesessen hatte kam irgendwann dieser Schmerz. Bei der Meditation ging es darum das hier und jetzt zu erreichen. Beim Motorrad fahren ging es darum das hier und jetzt nicht aus den Augen zu verlieren, denn das war lebensgefährlich. Meditation für Fortgeschrittene, Fehler kosteten das Leben. Er musste unwillkürlich grinsen. Natürlich war da wirklich etwas dran, er saß aufrecht wie beim Meditieren, verharrte lange in derselben Haltung und musste sich stark konzentrieren. Alles Dinge die in der Zen Meditation ebenfalls vorkamen. Er sah zu Jörn hinüber. Er hatte eine Maschine mit einem sogenannten apehanger Lenker gewählt, Affenhänger, so sah es wirklich aus. Rons grade Sitzhaltung hatte dagegen schon fast etwas Elegantes. Sie hatten Deutschland bereits vor Stunden verlassen und befanden sich jetzt tief in Frankreich am Eingang des Rhone Tals. Laut Jörns Plan hatten sie nicht weit von hier ihre erste Nacht verbracht. Ron sah sich nach der Sonne um, die langsam im untergehen begriffen war. Es wurde auch wirklich Zeit das sie Rast machten, es dämmerte und er war völlig erschöpft. Der ständige Fahrtwind, der sich an Ampeln mit unerträglicher Hitze in ihrer Lederkluft abwechselte, zerrte an seinen Nerven. Dazu kam das Jörn nicht rauchte und nur selten Pausen einlegte. So kam Ron zwischenzeitlich immer wieder auf Entzug. Normalerweise machte ihm das nicht viel aus, denn er rauchte nur wenig. Aber in dieser permanenten Stresssituation, des für ihn ungewohnten Fahrens, hätte er eine nach der anderen rauchen können. Als er aufblickte sah er grade noch rechtzeitig das Jörn den Blinker gesetzt hatte und an einem Campingplatzschild rechts abbog. Er musste scharf bremsen um ihm folgen zu können. Dabei geriet er auf den Schotter des Randstreifens und hätte beinahe die Kontrolle über seine Maschine verloren. Erst im letzten Moment half ein beherzter Tritt die Maschine am abkippen zu hindern. Als sie vor der Rezeption des Campingplatzes hielten tat Rons Bein von dem Tritt weh und seine Müdigkeit war durch den Adrenalinschub des Beinaheunfalls verflogen. Mit zitternden Händen steckte Ron sich eine Zigarette an während Jörn die Anmeldeformalitäten erledigte. Er sah sich um, während sich seine Atmung langsam wieder normalisierte. Die Aussicht war malerisch. Die Hügelketten des Rohne Tals wichen an dieser Stelle etwas zurück und schafften damit genug Platz für ein Dorf. Die Häuser sahen alt aus, sie waren überwiegen aus rotem Sandstein gefertigt was sich nahtlos in die Felsen einfügte. Um das Dorf herum waren Weinfelder angelegt und der Fluss in seiner majestätischen Ruhe war der König des gesamten Ensembles, ruhig dahin fließend schien es als wollte er sagen, ich habe das Tal erschaffen, ich herrsche hier. Jörn kam zurück aus dem kleinen Flachbau der Rezeption und unterbrach seine Betrachtungen.

„Mach hin, ich will schnell das Zelt aufbauen damit wir uns noch im hellen was zum Essen suchen können.“

Ron hatte ebenfalls Hunger, daher erschien dieser Plan ihm vernünftig. In diesen kleinen Dörfern war nach Einbruch der Dunkelheit oft nichts mehr los und sie könnten Schwierigkeiten bekommen noch ein offenes Restaurant zu finden. Als sie abgeladen hatten bewunderte Ron die Routine mit der Jörn die Zeltstangen an den dafür gedachten Ort platzierte. Er hatte noch nie ein Zelt aufgebaut und war ihm keine große Hilfe. Überhaupt hatte eine merkwürde Ruhe von Ihm Besitz ergriffen. Das völlige Fehlen des Fahrtwinds, an den er sich mittlerweile gewöhnt hatte, erzeugte eine unnatürliche Stille die von Ihm Besitz zu ergreifen schien. Er konnte Jörns Tatkraft nur bewundern und tat als würde er helfen, doch am liebsten hätte er sich einfach auf die Wiese gesetzt und die Stille genossen. Doch dazu war keine Zeit. Kaum stand das Zelt setzte Jörn sich auch schon wieder in Bewegung.

„Komm, lass uns was essen gehen.“

Sie lenkten ihre Motorräder grade in das Dorfzentrum als die Sonne hinter dem Kamm der Hügel verschwand. Es wurde schlagartig dunkel im Tal. Sie parkten vor einer Brasserie und setzten sich an einen der Tische die dort am Straßenrand aufgestellt waren. Die Bedienung schien wenig erfreut zu sein, so spät noch Gäste zu haben kam aber nicht umhin ihre Maschinen zu bewundern. Jörn sprach genau wie Ron nur wenig Französisch, aber es reichte für ein paar Nettigkeiten und zähen Verhandlungen, was die Küche noch zu bieten hatte. Sie einigten sich schließlich auf zwei Portionen hausgemachte Ravioli die heute die „Plate der Jour“ in der Brasserie waren. Entgegen Rons Erwartungen waren die Nudeln frisch und lecker die sie dann serviert bekamen. Dazu gab es den Hauswein der ebenfalls alle Erwartungen übertraf. Jörn plapperte mit vollem Mund von seinem letzten Besuch hier. Alles sei noch genau so wie Damals, als er mit Klaus hier angehalten hatte. Sie hätten in derselben Brasserie gegessen und die Abendluft genossen. Dabei hatten sie sich über ihre Pläne nach der Universität unterhalten. Ihre Karriere dort sei damals an einem kritischen Punkt angelangt gewesen, zu viele Partys, zu wenige Scheine. Klaus hatte befürchtet, dass sein Vater wenn er das Ausmaß seines Versagens mitbekam, ihm seinen Unterhalt streichen würde. Er, Jörn, habe damals angefangen Taxi zu fahren, zunächst nur als Job, was er dann aber zehn Jahre lang als Hauptbeschäftigung getan hatte. Ron sah ihn an. Er wunderte sich darüber, dass er Jörn bisher keinerlei Fragen gestellt hatte. War er so davon überzeugt, dass dieser Ausflug Sinnlos sei, dass er es unterlassen hatte Informationen einzuholen? Natürlich hatte er die Akten gelesen, Klaus hatte BWL studiert, ein Apartment nahe der Universität bewohnt, keine Freundin gehabt, war ein guter Sohn und andere Plattheiten, die solche Akten nun einmal enthielten. Doch das waren alles keine Informationen die über Motivationen und Beweggründe Auskunft gaben. Er war ja grade deshalb so erfolgreich in dem was er tat, weil er in der Lage war zwischen den Zeilen zu lesen. Er konnte die Masken der Oberfläche beiseiteschieben und den wahren Kern eines Menschen erkennen. Zumindest war das bisher so gewesen. Doch seit seinem Abenteuer in Kenia war er sich seiner selbst einfach nicht mehr sicher. Er hatte das Gefühl das er sich selbst nicht verstand, wie sollte er dann andere Menschen verstehen? Natürlich war das Unfug, man verstand andere Menschen immer besser als sich selbst. Um den Körper zu sehen bedurfte es eines Spiegels, genau so war das mit dem Geist. Doch worin spiegelte sich ein Geist, wenn nicht in anderen Menschen? Er hatte daher immer angenommen, dass er indem er andere durchschaute auch sich selbst erkannte. Jedoch hatte Janet ihn eines Besseren belehrt. Mit Ihrer Hilfe hatte er herausgefunden, dass er durch seine Jugend in dieser Sekte doch mehr Schaden davon getragen hatte als er es bisher wahrgenommen hatte. Seine tiefsten Motivationen für sein Tun und vor allem für sein Nichtstun, waren darin begründet. Janet hatte ihm gesagt, dass er sich selbst beschnitt, das Leben nicht genoss und dafür seine Ausreden in der Vergangenheit hatte. Dadurch war er letztendlich genauso manipulierbar und unglücklich wie die, die er normalerweise suchte. War er deshalb so nachlässig? Er gab sich einen Ruck und konzentrierte sich wieder auf Jörn. Doch er hatte nichts weiteres Interessantes zu berichten. Ron fragte vorsichtig nach, wie groß die Angst vor seinem Vater gewesen sei, ob er darüber hinaus noch etwas anderes hatte, Drogenprobleme, Liebeskummer doch nichts von alledem traf laut Jörn auf Klaus zu. Nicht einmal die Drohung seinen Unterhalt zu verlieren konnte ihn wirklich schrecken, denn er hatte damals einen recht gut bezahlten Job als DJ in einer Großraumdisco. So hatte er sich sein Motorrad und den Trip nach Spanien überhaupt erst leisten können. Denn sein Vater war knauserig, mehr als das Lebensnotwendige während des Studiums gab es nicht. So schnell wie Rons Interesse gekommen war, so schnell verebbte es auch wieder. Natürlich war da nichts, wäre Klaus Depressiv oder Selbstmordgefährdet gewesen hätte er es bereits in den Akten gelesen. So etwas checkte jeder Polizist bei einem Vermisstenfall als erstes ab. Er schickte sein Gehirn wieder auf Urlaub und genoss stattdessen den hervorragenden Hauswein und flirtete ein wenig mit der Kellnerin. Sie war nicht wirklich schön, doch durchaus hübsch und Ron hatte den halben Tag in sexuellen Phantasien geschwelgt. Genau wie beim Meditieren kamen diese auch beim Motorradfahren. Irgendwann übernahm der Körper, der grade gequält wurde die Kontrolle und erschuf sich eine bessere Realität. Eine der besten Realitäten die er sich vorstellen konnte war nun einmal Fortpflanzung und so erschienen ständig sexuelle Wunschvorstellungen in solchen Situationen. Als Folge dieser Stimulierung flirtete er nun mit der Kellnerin. Doch er sah, dass das sinnlos war. Sie war viel zu lange dabei um seine wahren Absichten nicht zu erkennen. Jede halbwegs hübsche Kellnerin kennt das. Männer tranken sie sich schön und begannen mit ihr zu flirten. So etwas konnten Kellnerinnen nach ein paar Wochen sehen und dann professionell abblocken. Er ließ es also sein und ergab sich der Müdigkeit die die Fahrt in seinen Gliedern hinterlassen hatte. Jörn schien es ebenso zu gehen und schon bald darauf fuhren sie zurück zu ihrem Zeltplatz. Dort angekommen kroch Ron in seinen Schlafsack und war binnen wenigen Sekunden eingeschlafen.

9

Am nächsten Morgen wachte er alleine im Zelt auf. Einen Moment fragte er sich, ob Jörn überhaupt da gewesen war. Doch sein Schlafsack lag zerwühlt neben ihm. Er trat aus dem Zelt und reckte sich. Die Morgensonne hatte grade den Hügelkamm überquert und tauchte das Tal in helles Licht. Ron sah sich um, doch er konnte Jörn nirgends erblicken. Achselzuckend begann er Kaffee auf dem kleinen Gaskocher zu kochen. In einer Espressokanne, wie sie vorwiegend im Süden Europas verwendet wird. Ron konnte auf viel verzichten, aber Kaffee gehörte eindeutig nicht dazu. Mit einer Tasse des starken Gebräus setzte er sich in die Sonne und diktierte einige Sätze in sein Smartphone. Schließlich musste er für sein Geld einen Bericht verfassen und wollte vermeiden Orte oder Handlungen durcheinander zu bringen. Doch nach vier Sätzen war Schluss. Was hatte er gestern auch schon erfahren? Das der Wein in der Dorfschänke lecker war? Dieses ganze Unterfangen erschien ihm wieder völlig sinnlos. Er steckte sich daher die Ohrstöpsel ins Ohr und aktivierte lieber die MP3 Player Funktion. AC/DC erzählte von schmutzigen Helden die Schmutz billig werden ließen. Der Song war uralt, hatte aber hier in der französischen Morgensonne nichts von seiner Kraft eingebüßt. Er betrachtete die überwiegend ältere Belegschaft des Campingplatzes. Die meisten fuhren Wohnmobile die mehr kosteten als er in zehn Jahren ausgeben würde. Doch die Gesichter der Besitzer waren schlaff und Kraftlos. Kein Vergleich zu den Menschen die er in Afrika kennen und lieben gelernt hatte. Ganz ohne sein Zutun veränderte sich plötzlich seine Wahrnehmung. Er sah die Menschen als Bündel von Energie, wie er es manchmal konnte wenn er seine Atmung kontrollierte. Jedoch war es noch nie einfach so geschehen, wie an diesem Morgen. Staunend, mehr über sich selbst als über die Wahrnehmung, saß er da und genoss das Schauspiel. Er sah die Menschen und die Energieverschwendung die sie betrieben um ihre Sicht der Welt allem aufzuzwingen was sie umgab. Er fragte sich unwillkürlich, worin der Sinn von Reisen lag, wenn man seine gewohnte Umgebung in seinem Wohnmobil mitnahm, mitsamt Fernseher und gewohntem Fernsehprogramm. Er bewunderte grade sie Verästelungen der Energie der Weinberge als sich ihm ein besonders deformierter Energiekörper näherte. Er sah aus, als hätten Motten an ihm genagt und nur wenige Fasern zurückgelassen die noch so etwas wie Leuchtkraft hatten. Ron erschrak als dieser Körper ihn plötzlich ansprach. Deine Wahrnehmung normalisierte sich und er erkannte, dass Jörn vor ihm stand. Auch mit normalem Blick sah er fürchterlich aus. Das Weiße in seinen Augen war quittengelb und die Haut unter seiner unnatürlichen Bräune aschfahl. Ron musste sich zusammenreißen um möglichst normal zu wirken.

„Guten Morgen, ich habe Kaffee gekocht. Magst Du einen.“ Brachte er stotternd hervor. Jörn setzte eine gutgelaunte Miene auf und wedelte mit einer Papiertüte.

„Sehr gut, denn ich habe hier die Croissants dazu.“

Nach dem Frühstück packten sie zusammen. Ron fluchte bei dem wiederholt erfolglosen Versuch sein Gepäck wieder in die dafür vorgesehen Behältnisse zu stopfen und diese an seiner Maschine zu befestigen. Jörn war ihm in diesen Dingen meilenweit überlegen, trotz seines Zustands. Irgendwann hatte Ron es dann doch geschafft und sie brachen sie auf. Es war dieselbe Meditationsübung wie am Vortag. Zwei Stunden unbeweglich im Wind sitzen, fünfzehn Minuten Pause und wieder von vorn. Ron ging die ungewohnte Wahrnehmungsverschiebung nicht aus dem Kopf. Wieso hatte er ganz von alleine „gesehen“? Obwohl er mit diesen Dingen groß geworden war, war es dennoch absolut ungewöhnlich. Normalerweise schaffte er sich ein erhöhtes Energielevel, schottete alle Fremdeinflüsse so weit wie möglich ab und kontrollierte dann seine Wahrnehmung um eine derartige Verschiebung zu erreichen. Doch er hatte weder das Gefühl im Moment besonders viel Energie zu haben, noch hatte er irgendetwas an seiner Atmung kontrolliert als es geschah. Zu allem Überfluss war die Wahrnehmung langanhaltend und überaus deutlich gewesen. Wie zum Teufel hatte das passieren können? Er schrak hoch als ein Autofahrer ihn fast abdrängte, als er beim Überholen Rons Spur rücksichtslos mitverwendete. Er machte sich erneut klar, dass Meditation auf dem Motorrad ein Tanz auf des Messers Schneide war. Hier gab es keine Schläge vom Zen Meister bei Unaufmerksamkeit, hier gab es reale Lebensgefahr durch rücksichtslose oder kurzsichtige Verkehrsteilnehmer. Er verschob daher seine Betrachtungen und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Gegen Mittag erreichten sie das Flussdelta. Die Hügel wichen zurück und die Landschaft veränderte ihren Charakter. Es wurde heißer und trockener. Kurz vor Orange blieb Jörn plötzlich stehen. Seine Maschine war einfach ausgegangen und reagierte auf nichts mehr. Ron hielt hinter ihm und sah sich um. Sie standen in einer kleinen Einfahrt in die Weinberge, die Luft flirrte in der Mittagshitze und nur ein niedriger Baum spendete etwas Schatten. Nach einer kurzen Fehleranalyse kamen sie zu dem Ergebnis, das er etwas mit der Batterie oder der Hauptsicherung zu tun haben müsste. Denn die gesamte Elektrik war ohne Funktion. Glücklicherweise entpuppte sich der Fehler nur als ein ab-vibriertes Kabel an der Batterie. Anscheinend hatte der Mechaniker die Schraube nicht richtig angezogen als er die Maschine zur Auslieferung fertig gemacht hatte. Ron war die ganze Zeit irgendwie losgelöst von allem. Es war ihm kein bisschen unangenehm erschienen hier zu stranden. Erneut wunderte er sich über sich selbst. Er, der sonst jedes Detail seiner Missionen ausführlich plante, saß in einem südfranzösischen Weinberg und es war ihm völlig egal ob es weiterging oder nicht. Was war nur los mit ihm? Er, der Herr seiner geistigen Schubladen hatte irgendwie die Kontrolle abgegeben. Etwas Neues hatte das Steuer übernommen. Die alten Mechanismen schienen ohne Funktion zu sein. Statt wie sonst eine neue Persönlichkeit zu schaffen, einen Ron als Rocker und Tourenfahrer, hatte er nichts dergleichen getan. Er trug seine Lederkluft mit völliger Selbstverständlichkeit, ohne das er irgendetwas darstellte. Er war der Harley Fahrer der ohne festes Ziel in den Süden kurvte und das ganz ohne bewusstes Zutun. Hatte er nicht grade das immer als gefährlich erachtet? Etwas einfach so zu sein oder darzustellen? Hatte er nicht immer alle Motivationen hinterfragt und darauf geachtet nichts wichtig zu nehmen was es nicht wert war? Aber etwas war anders seitdem Janet ihn geheilt hatte. Sie hatte ihm gezeigt, dass in dieser Vorsicht ebenfalls eine Art Schublade war in der er sich verfangen hatte. Einen Großteil seiner Energie hatte er immer darauf verwendet Strategien zu verfolgen die Energieverschwendung minimierten. Ein Witz in einem Witz. Janet hatte ihn durchschaut. In seinem Bestreben alles zu kontrollieren hatte er nicht nur seine Energie verschwendet, er hatte auch viele Möglichkeiten die ihm das Leben bot einfach ausgelassen. Immer mit dem Argument der Vorsicht und der Angst vor dem Abgleiten in die Beliebigkeit. Und jetzt? Jetzt war er in der Lage seine Wahrnehmung zu verändern ohne irgendetwas dazu tun zu müssen. Er hatte mehr Energie als jemals zuvor und das obwohl er die Kontrolle gelockert hatte. Konnte das wirklich so einfach sein? War das der Grund für das was ihm heute wiederfuhr? Jörn hupte, er hatte alles wieder befestigt und es konnte weiter gehen. Ron disziplinierte sein Denken um nicht als einer der Namenlosen Verkehrstoten in die Statistik einzugehen, dann gab er Gas.

10

Es wurde ein Höllenritt. Etwa in der Höhe von Perpignan erwischte sie der Passat. Im ersten Moment glaubt Ron, dass sein Motor in Flammen stand, so heiß war es auf einmal. Sie waren einen Hügel hinauf gefahren und an seiner Kuppe hatte der heiße Wüstenwind sie voll erwischt. Trotz des Fahrtwinds war Ron binnen Minuten völlig durchgeschwitzt. Sie hielten an und entledigten sich eines Großteils ihrer Kleidung. Nur in Lederhose T Shirt, Helm und Nierengurt fuhr Ron weiter. Jörn hatte sogar auf den Nierengurt verzichtet und trug lediglich ein Muskel Shirt das im Wind flatterte. Bei einer Pause in der sie Ihr letztes Wasser tranken erzählte Jörn fiebrig.

„Es ist fast wie damals. Ich wollte so schnell wie möglich nach Spanien, was mir damals als das gelobte Urlaubsland erschien. Wir hatten keinen Passat, aber ständig sahen wir irgendwelche Rauchsäulen von Waldbränden um uns herum. Letztendlich war meine Eile sogar unser Glück, denn kurz nachdem wir hier durchkamen ist hier alles abgebrannt und hunderte Touristen saßen sogar auf der Autobahn fest und mussten mit Löschflugzeugen gerettet werden. Das stand damals sogar in der Zeitung. Meine Eltern haben sich fast angepisst vor Sorge, ich könnte da drin sein.“

Das verächtliche Lachen was seiner Rede folgt schien darauf hin zu deuten, dass er keinen Wert auf ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern legte. Das konnte Ron nachvollziehen. Schließlich hatte er selbst sein seiner Fluch aus der Sekte keinerlei Kontakt zu seinen Eltern mehr gehabt. Wahrscheinlich würden sie ihn sogar an die Sektenoberen ausliefern, sollte er jemals auf die Idee kommen mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Anders als früher erzeugte dieser Gedanke jedoch keinerlei emotionale Reaktion in ihm. Verwundert stellte er fest, dass diese Wunde nicht mehr schmerzte. Schon wieder etwas das sich verändert hatte. Aber selbst die Verwunderung über diese Feststellung hielt sich in Grenzen. Es war ihm sogar egal, dass ihm das jetzt egal war. Jörn sah ihn an und Ron wurde bewusst, dass er, seit dem sie angehalten hatten, noch kein Wort gesagt hatte. Irgendwie funktionierte er anders als sonst, nur war er sich noch nicht sicher ob das besser oder schlechter war. Er riss sich zusammen.

„Es ist auch so Schweineheiß, wir brauchen kein Buschfeuer um hier langsam geröstet zu werden. Und unser Wasser ist alle. Ist es noch weit bis zur nächsten Station?“

Sie erreichten die Küstenstraße die von Port Bou in Frankreich nach Cadaqués in Spanien führte. Es begann zu dämmern, was Ron stark beunruhigte. Hier auf der kurvigen Küstenstraße zeigte sich, dass es mit seinen Fahrkünsten noch nicht weit her war. Links und fiel die Küste steil ab und rechts wuchs eine schroffe Felswand empor, die immer wieder Geröll auf die Straße herab warf. Sie hatten nur noch 35 Km vor sich als es vollends dunkel wurde. Doch es hätten ebenso noch 300 KM sein können, denn jetzt ging es überhaupt nicht mehr voran. Im Licht ihrer doch verhältnismäßig schwachen Scheinwerfer konnte Ron kaum erkennen wie die Straße weiter ging. Es gab kaum Fahrbahnmarkierungen und auch nur wenige Leitpfosten.

---ENDE DER LESEPROBE---