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Sebastian Scholz

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Beschreibung

Wenn in wissenschaftlichen Zusammenhängen etwas sichtbar wird, dann häufig, weil es in experimentellen Verfahren sichtbar gemacht worden ist. Die operative »Sichtbarmachung« erlaubt neue Perspektiven auf die disjunktive Verschränktheit von Wissenschafts- und Mediengeschichte. Eine Archäologie des Sichtbaren - wie sie etwa am Beispiel mikrofotografischer Verfahren der Bakteriologie nachvollzogen werden kann - betont die materiell-diskursive Konfiguration von Wissensproduktion. Die erzeugten »epistemischen Bilder« fungieren demnach als Relais zwischen Erkenntnis und Sichtbarkeit. Sebastian Scholz nähert sich dieser komplexen Konstellation mit dem Ziel, »das Sichtbare« zu problematisieren und Potentiale einer operativen Medien-Onto-Epistemologie aufzuzeigen.

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Meiner Familie

Sebastian Scholz (Dr. phil.) ist Assistant Professor für Medienwissenschaft an der Vrije Universiteit Amsterdam. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind angesiedelt an den Schnittstellen von Medien- und Wissenschaftsforschung, Medienästhetik und -theorie. Sie umfassen die Genealogie und Epistemologie des Sichtbaren sowie die Archäologie von Sensormedien.

Sebastian Scholz

Epistemische Bilder

Zur medialen Onto-Epistemologie der Sichtbarmachung

Diese Publikation wurde im Rahmen des Fördervorhabens 16TOA002 mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Open Access bereitgestellt. Der vorliegende Titel dient als überarbeitete Publikation der Dissertation »Das Bild als epistemisches Ding. Mediale Epistemologien wissenschaftlicher Sichtbarmachung 1900/2000« im Fachbereich Neuere Philologien der Johann Wolfgang Goethe Universität zu Frankfurt am Main.

D30

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird. (Lizenz-Text: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de)

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Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld © Sebastian Scholz

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Lektorat: Sebastian Scholz

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

Print-ISBN 978-3-8376-5303-8

PDF-ISBN 978-3-8394-5303-2

EPUB-ISBN 978-3-7328-5303-8

https://doi.org/10.14361/9783839453032

Buchreihen-ISSN: 2569-2240

Buchreihen-eISSN: 2702-8984

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

I.›Etwas wird sichtbar‹

Operationen am Bild/Operative Bilder

›Zooming In‹: Kollaps der Distanz und Mikroskopisch-Erhabenes

›Images That Are Not Art‹: Bilder des Sichtbaren

Über Sicht: Prämissen und Programm

II.Archäologie der Sichtbarmachung

Operationen: Zum Sichtbaren der Wissenschaft

Konfigurationen: Sichtbarmachung als Kulturtechnik

Jenseits des Sichtbaren: Wo operieren Medien?

Hyperphänomenalität: Das Sichtbare und das Unsichtbare

Dispositive des Wissens: Diskurs und Materialität

Monumente des Sichtbaren – eine archäologische Annäherung

Medien des Sichtbaren und des Sagbaren

III.Medien-Werden: Mikrofotografie und Elektronenmikroskopie

Das Werden der Medien in Prozessen der Sichtbarmachung

Exkurs: Besuch im Bakterien-Zoo – Sichtbarmachung und Popularisierung

Medien/Wissen der Bakteriologie

Mikrologische Möglichkeits(t)räume: Sichtbarkeit als Restlosigkeit

Elektronische Sichtbarkeit: ›Übermikroskope‹ und Tunnelströme

IV.Spurensuche im Experimentalsystem

Labor/Welten: Sichtbarkeit im/als Experiment

›Seeing things‹: Misch-Ontologien der Beobachtung

Prekäre Referenzen: Das Mediale der Inskription

Epistemische Bilder: Sichtbarmachung im/als Experimentalsystem

›Whatever escape one may seek‹: Zur Unvermeidlichkeit von Repräsentation

Die Seinsmaschine als Sehmaschine: Graphematische Spuren

V.Mediale Onto-Epistemologie

Von der Unbestimmbarkeit der Welt

Repräsentationen des Unbestimmbaren: K/Ein Bild von Schrödingers Katze

Verschränkungen: Aktualität und Virtualität

Mediating the Visible Halfway: Potentiale einer Medien-Onto-Epistemologie

Danksagung

Literaturverzeichnis

I.›Etwas wird sichtbar‹

»Bilder sind alles im Anfang. Sind haltbar. Geräumig. Aber die Träume gerinnen, werden Gestalt undEnttäuschung.Schon den Himmel hält kein Bild mehr. […]«Heiner Müller: Bilder [1955] (Müller 1998, 14)

Operationen am Bild/Operative Bilder

›Etwas wird sichtbar‹. Dieser einfache, nur vermeintlich triviale Aussagesatz – einem Filmtitel1 des 2014 verstorbenen Bilder- und Sichtbarkeitsforschers Harun Farocki aus dem Jahr 1982 entlehnt – ist Ausgangspunkt und Leitmotiv der nachfolgenden Überlegungen zur wissenschaftlichen Sichtbarmachung und zur Erzeugung und Verwendung von Bildern als Agenten der Wissensgenerierung. Der Akzent springt dabei zwischen den drei Elementen des Satzes hin und her, verschiebt sich dabei im Folgenden aber sukzessive vom ›Etwas‹ zum ›Sichtbaren‹ und damit zugleich von einer vermeintlich feststehenden Proposition zu einer modalisierten Aussage, in der die Wahrheit immer schon vom Bereich des Möglichen affiziert ist: ›Etwas könnte sichtbar werden‹ – unter ganz bestimmten Voraussetzungen, in kontingenter Weise und in einem jeweils spezifischen historischen Kontext. Was da sichtbar wird, wie es sichtbar wird, und wie im Zuge dessen das, was als sichtbar gilt, jeweils neu verhandelt wird, hängt maßgeblich davon ab, wie das mittlere Element des Satzes – ›wird‹ – ›etwas‹ und ›sichtbar‹ aktiv miteinander in Beziehung setzt. Beide Elemente werden mithin zusammengeführt von einer dynamischen Bewegung des ›Werdens‹, die, wie sich zeigen wird, komplexen Voraussetzungen der Ermöglichung unterworfen ist. Gegenstandsbereich ist hierbei ein Raum des Sichtbaren, der nur als sichtbar gemachter verfügbar ist, mithin ein Bereich, der von der Vergrößerung bis zur Simulation Sichtbarkeiten produziert, derer nicht ohne mediale Vermittlung habhaft zu werden wäre. Es erweist sich dabei als mehr als voraussetzungsvoll, dass, wann und auf welche Weise ›etwas sichtbar wird‹.

Farocki selbst hat die Sichtbarkeitsproduktionen, etwa im Bereich der Wissenschaft und insbesondere des Militärischen, immer wieder hartnäckig beforscht und befragt und sich schriftlich, mündlich und filmisch ausführlich zum operativen Wert des Bildes geäußert, zu den Operationen, die am und mit dem Bild erst durchführbar werden. Das animierte und immer reversible Bild, ob gezeichnet oder am Computer errechnet, das Perspektiven präsentiert, die eine von Menschenhand geführte Kamera nicht einzunehmen in der Lage wäre, lässt für Farocki nur bedingt ›etwas‹ sehen. Vielmehr führt es Methoden und Funktionsweisen von Technologien ein und vor. Es bezieht sich, explizit oder implizit, kritisch und reflexiv stets zurück auf das Medium der Fotografie: »Where computer animation begins to process photographic data, it contains an inherent critique of the photograph.« (Farocki 2004, 14f.)

Vom Sprengkopf einer Rakete im Anflug aufgenommene ›letzte Bilder‹ – Farocki bezeichnet sie aufgrund ihrer unmöglichen Perspektive bekanntlich als ›phantom-subjective images‹ – oder Computeranimationen als ›symbolische Assimilationen‹ fallen für Farocki in einen Bereich technischer Repräsentation, in dem jedes Bild, das behauptet, ›einfach nur‹ das operative Prinzip eines Prozesses zu repräsentieren, unweigerlich in hohem Maße mystifizierend wirkt. Das automatisierte Auge, das die Erde abtastet und als Sinnesapparatur das menschliche Auge zu ersetzen versucht, ist Teil eines bildprozessierenden Dispositivs, in welchem das Optisch-Unbewusste einer permanenten Bearbeitung unterzogen wird, weil jedes Bild einen Betrachter als Adressaten aufweist, sonst bräuchte man in vielen Fällen überhaupt kein Bild: »[…] there are no pictures that do not aim at the human eye. A computer can process pictures, but it needs no pictures to verify or falsify what it reads in the images it processes« (21). Operative Bilder behandeln den Betrachter als Leerstelle, die erst nachträglich über das interface aufgefüllt werden kann.2 Den Bildern mangelt es an Plastizität, weil das menschliche Maß verloren gegangen ist.3

Ingrid Hoelzl (2014) hat Farockis Faszination für derartige Phantombilder als ambivalent gekennzeichnet, betone dieser doch einerseits deren Nicht-Intentionalität und gleichzeitig ihre unvermeidliche Gerichtetheit auf eine menschliche Betrachterinstanz. Zehn Jahre nach Erscheinen von Farockis Einlassungen, so Hoelzl, scheint die Entwicklung von computerbasierten Sichtbarkeitstechnologien eine Stufe erreicht zu haben, die als Indikator eines turn »towards what we could call ›post-human operativity‹« (Hoelzl 2014, o.S.) aufzufassen sei. Hoelzl erklärt diesen Umstand damit, dass »while the imminent task at hand is to perfectly simulate how humans see and make sense of the world, the ultimate goal are fully autonomous systems of image creation, analysis and action, capable of substituting human observers and operators altogether« (ebd.).

Die Ersetzung des menschlichen Betrachters durch autonom operierende Systeme der Bilderzeugungs und -analyse habe dann jedoch zur Folge, dass man entweder eine radikal neue Definition des Bildes benötige, oder aber, so wird in Parenthese angefügt, eben gar keinen definierten Bildbegriff mehr brauche (»or have no more need for it«; ebd.). Beide Einsichten sind der Medienwissenschaft keineswegs neu. Sowohl die Behauptung einer sukzessiven Erweiterung (und schließlich Ersetzung) menschlicher Kapazitäten durch Medienapparaturen, als auch die Absage an tradierte Bildbegriffe im Zuge post- oder non-repräsentationaler Ansätze im Bereich so genannter ›neuer Medien‹ gehören zu den argumentativen Standardsituationen des medientheoretischen Diskurses im letzten halben Jahrhundert. Beide Positionen weisen im Kontext ihres jeweiligen situativen und theoretischen Zusammenhangs eine hohe Plausibilität auf, verkürzen jedoch – diskursstrategisch gewollt als Positionierung, als notwendige Komplexitätsreduktion, oder ungewollt – die Problematik auf eine ›Entweder-Oder‹-Festlegung, wo eine eine Position des ›Sowohl-Als-Auch‹ bei der Beschreibung technischer Sichtbarkeit aus medienwissenschaftlicher Perspektive zu bevorzugen wäre.

Stark verkürzend auf eine vorläufige Arbeitshypothese gebracht, geht es im Folgenden darum zu zeigen, dass die technische Produktion von Sichtbarkeit weder allein im Sinne ihrer bildhaften Repräsentationen noch über die bloße Absage an die Instanz des Bildes oder der Bildlichkeit zufriedenstellend einzuholen ist. Ebenso wäre eine fortschrittsorientierte Medientechnikgeschichte als vorschnell zurück zu weisen, welche die Ablösung des Auges infolge apparativer Perfektionierung oder aber eine gänzliche Absage an Sichtbarkeiten als grundsätzlich sekundären Effekt von im Unsichtbaren ablaufenden Rechenprozessen favorisiert.

Die aus relativ weit auseinanderliegenden Epochen der wissenschaftlichen Sichtbarkeitsproduktion stammenden Bilder, um deren Zustandekommen es in diesem Buch gehen soll, weisen allesamt operative Potenz auf. Es sind, mit den Worten Farockis »images that do not represent an object, but rather are part of an operation« (17) – nicht selten Teil einer Operation der Wissenserzeugung durch Sichtbarmachung. Die voraussetzungsvolle Geste des Sichtbarmachens von »Dingen«, die dem menschlichen Blick ansonsten unzugänglich blieben, lässt es in diesen Fällen berechtigt erscheinen, von ›epistemischen Bildern‹ zu sprechen, Bildern, an denen eine wissensgenerierende Operation vollzogen wird, die auf andere Weise schlicht nicht vollzogen werden könnte. Das als epistemisches operativ werdende Bild fungiert hierbei seit Beginn der modernen Wissenschaften als dynamisches Relais zwischen Erkenntnis und Sichtbarkeit – als Funktion und Strategie eines umfassenderen Regimes der Sichtbarmachung. Es ist insofern Repräsentation eines Sachverhalts und gleichzeitig die Erzeugung desselben. Es zeigt einen Gegenstand, es zeigt diesen jedoch in vielen Fällen nur deshalb, weil der zur Erscheinung gebrachte Gegenstand im Zuge einer Prozedur der Sichtbarmachung als solcher miterzeugt wird.

Das dabei entstehende Bild ist immer zugleich Bild von etwas und Bild von sich selbst: Als Effekt und Produkt eines Verfahrens der Sichtbarmachung verweist das Bild auf weit mehr als die zu einem gegebenen Zeitpunkt verfügbare Technologie, eine dominante Medienkonstellation, eine drängende Forschungsfrage, eine institutionelle Rahmung oder einen wissenschaftlichen Diskurs. Eingelassen in Aushandlungsprozesse zwischen Sagbarem und Unsagbarem, Sichtbarem und Unsichtbarem, Denkbarem und Undenkbarem und eingespannt in ein Wissensdispositiv, das Erkenntnis und Sichtbarkeit fest und doch situativ beweglich miteinander verknüpft, fungiert es zugleich als Dokument einer Inskription, Monument eines Sichtbarkeitsdiskurses und hyperbolisches Bild der Sichtbarkeit selbst – also dessen, was zu einem spezifischen Zeitpunkt als Sichtbares konzipiert wird.

Die Akzentsetzung auf die Kulturtechnik des Sichtbarmachens dem Auge unzugänglicher Bereiche oder Entitäten, welche ein Bild als Kristallisationspunkt wählt und ansteuert, bringt vor dem Hintergrund eines vergleichsweise stabilen Diskurses über Sichtbarkeit und sich gleichzeitig relativ rasch verändernder Modi der Erzeugung von Sichtbarkeiten, die Korrelation (ohnehin nicht als statisch zu verstehender) repräsentationaler Instanzen wie Referenz und Indexikalität massiv in Bewegung. Aber auch vice versa gilt, dass die genannten Instanzen Sichtbarkeitsproduktionen, gleich welcher technologischen und medialen Provenienz, in ihrem Griff halten und so auf diese zurückwirken, zumindest dort, wo das Bildprodukt diskursiv Anspruch auf eine Form ›naturalistischer‹ Sichtbarkeit erhebt. Letzteres stellt für Bildproduktionen der Teilchenphysik möglicherweise eine größere, zumindest jedoch anders geartete, Herausforderung dar, als für den Bereich der modernen Bakteriologie, um welche es im weiteren Verlauf gehen soll.

Doch auch in den vermeintlich lockerer geknüpften Verweisungsgeflechten digitaler Bildproduktion bleibt, wie sich zeigen wird, die Frage der Referenz virulent. Auch das »Gespenst der Indexikalität« (Hediger 2006, 1) spukt als Konzept in den postfotografischen Sichtbarmachungen aus der subatomaren Dimension weiter. Der Spuk entfaltet seine Wirkung nicht, weil es gleichgültig wäre, ob Licht sich chemisch in eine fotosensitive Oberfläche einschreibt (buchstäblich als Photo-Graphie) oder auf einem CCD-Sensor einen elektrischen Impuls auslöst4. Mit dem Bild als einem ›natürlichen Zeichen‹ würde man den gespenstischen Zauber der Indexikalität eventuell bannen können, das Problem dabei ist nur: »Was dem vermeintlichen natürlichen Zeichen Photographie oder Filmbild fehlt, ist eben die Natürlichkeit« (9). Ein Umschwenken auf Ikonizität als Charakteristikum des Bildes ist keine Lösung, denn »Ikonizität impliziert Ähnlichkeit, Ähnlichkeit impliziert Austauschbarkeit« (7) – diese Ähnlichkeitsbeziehung ist jedoch in keinem der in den folgenden Überlegungen verhandelten Bilder einfach vorauszusetzen.

Was Hediger für die ästhetische Erfahrung des Filmbildes diskutiert, trifft auf den Fall der Mikrofotografie und erst recht den Fall der elektronisch erzeugten beziehungsweise elektronenmikroskopisch gemessenen Bilder in verschärfter Form zu. Die Betonung einer spezifischen Kulturtechnik der Sichtbarmachung versteht sich daher nicht als Versuch einer Ausstreichung der Instanzen der Indexikalität und allgemeiner der Referentialität. Noch weniger sinnvoll erschiene es, die Macht solcher Sichtbarmachungen auf intentionale oder rezeptionale Fragestellungen einzugrenzen. Stattdessen soll erkennbar werden, wie die genannten Instanzen in Bewegung geraten und je neu verhandelt werden (müssen). Dabei könnte sich erweisen, dass ihnen gerade in ihrer gespensterhaftigen Un(ter)bestimmtheit besondere Wirkmacht zukommt.

Nichtsdestotrotz partizipieren die beiden genannten Verfahren der Sichtbarmachung im (Nano-)Mikroskopischen an überkommenen Konventionen der Ästhetischen. Eine Lektüre im Sinne der von Dieter Mersch vorgeschlagenen »Epistemologien des Ästhetischen« (Mersch 2015) könnte sich daher als produktiv erweisen. In der Engführung des Medialen mit dem Performativen und der Addressierung von Medien als instantiierenden Instanzen, die sich »durch und vermittels praktischer Vollzüge [realisieren], die je nach Situation und Kontext anders ausfallen und dabei etwas in die Welt setzen oder Effekte induzieren« (Mersch 2015, 14; kursiv i.O.) ist Merschs Medienbegriff durchaus anschlussfähig an den im Folgenden zu entwickelnden. Doch bleibt der für Mersch zentrale Austragungsort des Darstellens, Ausstellens, Vorführens oder Zeigens, der letztlich auf den epistemischen Modus des Zeigens enggeführt werden kann, die Kunst: »Das Wissen der Künste gibt sich damit als ein Reflexionswissen zu erkennen, das, anders als die philosophischen epistēmai und von ihnen geschieden, diesen dennoch nicht nachsteht« (18; kursiv i.O.). Wie steht es vor diesem Hintergrund um das Wissen der Wissenschaften? Ist es sinnvoll, an sämtliche Bilder mit an der Kunst geprägten Begriffen heranzutreten? Warum die aistethischen Qualitäten, die epistemische Bilder zweifelsohne aufweisen (aufweisen müssen, um wahrnehmbar zu sein) nicht gleichbedeutend mit einer zwangsläufigen Adressierung derselben als Gegenstand der Kunst sind (beziehungsweise warum diese an Popularität gewinnende Betrachtungsweise im Folgenden nicht oder allenfalls am Rande berücksichtigt wird) – auch dies soll im in den einleitenden Abschnitten kurz begründet werden.

Die Akzentsetzung auf die Kulturtechnik des Sichtbarmachens des Unsichtbaren jedenfalls ist, als Frage etwa nach der Armierung der Sinne, freilich ebenfalls klassischer topos medienwissenschaftlicher Forschung. Wenn beispielsweise im Zuge der Diskussion um das ›Anthropozän‹ oder ›Kapitalozän‹5 und in der Folge einer programmatischen Paradigmenverlagerung auf das ›Posthumane‹, also der Einbeziehung nichtmenschlicher Agenten als gleichberechtigte Instanzen, die Infrastruktur des Labors als Bereich von »inhumanities« mit einem neuen Label versehen wurde, so ist das weder für die Medienwissenschaft noch für große Teile zeitgenössischer Wissenschaftsforschung oder Science and Technology Studies (STS) sonderlich neu oder überraschend.

McKenzie Warks vielbeachteter Vorstoß einer »Theory for the Anthopocene« (2015) beispielsweise betont das Element des ›Inhumanen‹ als Relais zwischen Humanem und Nichthumanem: »The inhuman would here be the apparatus, the cuts it makes, the phenomena it records and communicates, that produce sensations from a nonhuman world. The inhuman mediates the nonhuman to the human.« (164; kursiv i.O.) Für Wark etwa stellt die Klimaforschung die zentrale Disziplin aktueller und künftiger »inhumanities« dar. Diese sei darauf angewiesen, dass die Übersetzung des ›nonhuman‹ in ein humanes Wahrnehmungsfeld möglichst reibungslos funktioniert: »The subject of knowledge is as much a production of the apparatus as the object with which it apparently correlates« (165) – ohne sich dabei jedoch in einen Bereich des metaphysischen Realismus und/oder Materialismus begeben zu wollen, wie er neuerdings etwa durch den von Wark kritisierten »speculative realism« neu konzipiert wird6. Wark weist darauf hin, dass zum Beispiel ein »agentieller Realismus« (vgl. Barad 2012a) für eine neuartige Wissenskonzeption, die das Inhumane einbezieht, produktiver zu werden verspricht, weil dieser nicht nach einem spekulativen Absoluten strebe und stattdessen die Mittel seiner eigenen Produktion immer in die kritische Reflexion einbeziehe (vgl. Wark 2015, 165). Doch stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die zitierte definitorische Setzung: »The inhuman mediates the nonhuman to the human« (164) mehr als eine Begriffsverschiebung darstellt, die aus medienwissenschaftlicher Perspektive dahingehend zu kommentieren wäre, dass es letztlich noch immer Medien sind »that mediate the nonhuman to the human« – und dies nicht erst seit kurzem bekannt ist. Wark selbst weist an anderer Stelle darauf hin, was die künftige Leitwissenschaft der Klimaforschung am dringendsten benötige sei »a theory and a method of studying the means of production of its own data – a media theory« (179)7.

Ungeachtet eines weiter auszuformulierenden Begriffs des »Inhumanen« hat sich die Medienwissenschaft seit Jahrzehnten intensiv für jene Bereiche interessiert, die nur über Verfahren der übersetzenden Medialisierung sinnlich wahrnehmbar werden. Eine längst etablierte Variante des Medienbegriffs im (vor allem) deutschsprachigen Raum stellt bekanntlich explizit auf die Funktion des Wahrnehmbarmachens ab, wenn sie den Akzent von Geräten und Codes auf »Medien-Ereignisse[…] in einem doppelten Sinn« verlagert, auf Ereignisse also, »die sich durch Medien kommunizieren, indem diese sich selbst als spezifische Ereignisse mitkommunizieren« (Engell/Vogl 1999, 10). Als solche machen Medien »lesbar, hörbar, sichtbar, wahrnehmbar, all das aber mit der Tendenz, sich selbst und ihre konstitutive Beteiligung an diesen Sinnlichkeiten zu löschen und also gleichsam unwahrnehmbar, anästhetisch zu werden« (ebd.).

Mag letzteres im Idealfall gelingender Kommunikation durchaus so sein, könnte man jedoch auch zu dem Eindruck gelangen, die Leistungen bei der Erzeugung wissenschaftlicher Sichtbarmachungen bemühten sich möglicherweise zwar in Teilen um eine Anästhetisierung ihrer medialen Komponenten, wenn sie Ein-Blicke in das Kleinste, Entfernteste oder Größte versprechen. Gleichzeitig wird aber diskursiv regelmäßig auf Rechenleistung und damit ermöglichte apparative und technologische Innovationen verwiesen, so dass die Medienabhängigkeit von Sichtbarmachungen nie gänzlich aus dem Blickfeld verschwindet – und wohl auch nicht verschwinden soll. Medien als »ontogenetic machines« (Engell 2011a, 10) sind selbstreflexive operative Dinge »that produce and assemble and reproduce things, including themselves« (ebd.).

Das eben unterscheidet Medien von bloßen Instrumenten: in der operativen Produktion, Versammlung und Reproduktion von Sichtbarkeit, bringen sich Medien selbst mit hervor. In der Erscheinungsform kontingent, changierend zwischen definiertem Objekt und formloser Potentialität, gibt es für Medien mannigfaltige Möglichkeiten der Konstitution. Als »complex reified operator« (12) generieren Medien, was als wahrnehmbare Natur oder Realität sichtbar wird. Folge dieser Feststellung ist der notwendige Verzicht auf eine eindeutige Definition dessen, was Medien sind, zugunsten einer sich wiederholenden Neuverhandlung dessen, was zum Mediumwird oder werden kann. Medien, in dieser Form perspektiviert, sind somit der Analyse nicht vorgängig, sondern werden jedes Mal neu auf ihre spezifische Konstituierung hin befragt. ›Medien-Werden‹ als kontingenter und singulärer Moment des »Zusammentretens heterogener Elemente […] zu denen technische Apparaturen oder Maschinen genauso gehören wie Symboliken, institutionelle Sachverhalte, Praktiken oder bestimmte Wissensformen« (Vogl 2001, 122), muss also jeweils historisch kontextualisiert werden. Diese Figur einer wechselseitigen Konstitution von Wissensform und Medienfunktion lässt sich unter der Voraussetzung eines essentialistischen Medienbegriffs nicht beschreiben. Erst die Frage nach der Konstitution von Medien, d.h. nach dem Medialen als Emergenz einer Medien-Funktion, eröffnet den Horizont einer medialen Epistemologie, auch, aber nicht ausschließlich, im Sinne einer Rekonstruktion wissenschaftlicher Praktiken unter dem Gesichtspunkt der Frage nach den medialen Bedingungen ihrer Möglichkeit.

Gerade die Doppelfigur von Verschwinden und Erscheinen des Medialen im Kontext im Labor apparativ produzierter Sichtbarkeiten fordert ein je neues Ansetzen im Nachdenken über das »Medien-Werden von Apparaten, Techniken, Symboliken oder Institutionen« (ebd.) heraus. Das sich im Medien-Werden ereignende Gefüge aus heterogenen Bedingungen und Elementen hat gegebenenfalls aufgrund zugleich umfassender und spezifischer werdender Experimentalsysteme, höherer Abstraktionsgrade, exponentiell gestiegener Rechenleistung, errechneter und softwareabhängiger Sichtbarkeit, versatiler Interfaces und anderer Faktoren einen Komplexitätsschub erfahren. Das grundlegende Problem einer Sichtbarmachung des Unsichtbaren als Moment der Wissenserzeugung, -prozessierung, -stabilisierung und -distribution erweist sich hingegen als überraschend stabil. Umso dringlicher erscheint es, den historisch dynamischen medialen Bedingungen von Sichtbarkeit nachzuspüren – nicht zuletzt, um die Funktion des Bildes als Ausweis gelungener Sichtbarmachung deutlicher zu konturieren.

Eine Inschrift auf der Wand des Griffith Observatory in Los Angeles präsentiert in hemmungslosem kalifornischen Fortschrittsglauben eine Mikrogeschichte des Sichtbaren der Astronomie, die den dominanten Diskurs über wissenschaftliche Sichtbarmachung exemplarisch ›vor Augen führt‹:

»The eye is our oldest astronomical tool. It senses light from objects in the sky, but many of these are too small or faint for us to see in detail. To extend the view, our eyes need a boost. The telescope changes everything. It helps gather more light and magnifies what we see. Suddenly, points of light become planets. Indistinct glows resolve into beautiful nebulae and galaxies. When we attach special instruments to a telescope to examine the light from these objects, we learn more about their true nature.« (Zit.in: van Tomme 2015, 25)

Als euphorisierte und fortschrittstrunkene Version eines buchstäblichen writing on the wall kündigt diese Inschrift kein Unheil an – im Gegenteil: der angesprochene ›boost‹ für das Auge ist zugleich ein ›boost‹ der Erkenntnisfähigkeit, ist ›en-light-enment‹ im besten Sinne: Das apparativ verstärkte Auge ist hier der größte Garant für Einsichten in die ›wahre‹ Natur der Dinge. Es sind Naturalisierungen dieser Art (von Auge, Blick, Licht, Sichtbarkeit…), die die folgenden Überlegungen angeregt haben.

Die Annäherung an diese erfolgt im nächsten Schritt zunächst als Annäherung über einen Umweg: als Nachdenken über Vergrößerungen und nicht zuletzt einen Kollaps der Distanz, der, wie das oben zitierte kalifornische wall label, als beispielhaft gelten könnte für die technischen, bildlichen und diskursiven Aushandlungsprozesse, in die ›das Sichtbare‹ am Ende immer schon verwickelt gewesen sein wird.

›Zooming In‹: Kollaps der Distanz und Mikroskopisch-Erhabenes

Die erste Annäherung an den Komplex wissenschaftlicher Sichtbarmachung führt über den Umweg durch einen Park in der Nähe des Hafens von Chicago. Wenn Alfred Nordmann technowissenschaftliche Verfahren der Sichtbarkeitsproduktion in erster Linie als »collapse of distance« (vgl. Nordmann 2010) aufgrund verbesserter Repräsentationspraktiken begreift, mit denen sichtbare Oberflächen geschaffen würden »that did not exist prior to their visualization« (65), so liefert er damit eine geeignete Metapher für Kulturtechniken der Vergrößerung, für das Ineinanderschieben von Räumen und das Erfahrbarmachen von sinnlich unzugänglichen Objekten und Sachverhalten. Problematischer erscheint hingegen, wie Nordmann diesen »collapse of distance« einigermaßen technikdeterministisch als Resultat eines »gradual improvement of representational techniques« beschreibt (Nordmann 2010, 65), deren Perfektionierung innerhalb des Paradigmas der Technowissenschaften zu einem »discontinuous end of science as a representational practice« (ebd.) führe. Auch wenn der für Repräsentationen notwendige Abstand von Signifikant und Signifikat selbst problematisch wird, ist das nicht allein auf ein »improvement« der Repräsentationstechniken zurückzuführen. Ungeachtet der Schwierigkeit, einen solchen »Fortschritt« qualitativ zu bestimmen, ist das Verhältnis von Zeichen als allein oppositional und einander gegenüber stehend noch unterkomplex beschrieben. Fragen nach Inskriptionen und Translationen wie sie Hans-Jörg Rheinberger oder Bruno Latour und zahlreiche andere Wissenschaftsforscherinnen intensiv beschäftigen, sind über diese Basaldefinition nicht ausreichend einholbar, wie im weiteren Verlauf der Argumentation deutlich werden sollte.

Wie eine räumliche ›telescopage‹, montiert als kontinuierliche Bewegung von Bild zu Bild, Ebene zu Ebene, entlang einer orientierenden Skala, auf ihre Art ebenfalls ein ›collapse of distance‹, Größenordnungen ineinander schiebt und kommensurabel werden lässt, wurde selten eindrücklicher vorgeführt als im ikonischen Animationsfilm POWERS OF TEN aus dem Eames Office (1977). Allein auf YouTube hat der Film bis heute weit über 7 Millionen Aufrufe. 1998 wurde der ikonische Status institutionell bestätigt und besiegelt, indem POWERS OF TENzur Konservierung in der United States National Film Registry by the Library of Congress ausgewählt und als ›culturally, historically, or aesthetically significant‹ gleichsam unter Denkmalschutz gestellt wurde. Ausgehend von einer Picknickdecke, auf der ein offenbar heterosexuelles Paar lümmelt, führt der Weg, den der Kurzfilm beschreitet und durchmisst, in exponentiellen Schritten von jeweils der Potenz 10 zunächst an den Rand des Universums (1024 Quadratmeter), alsdann in den subatomaren Raum (10-16 Quadratmeter) (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Übersichtstableau POWERS OF TEN (1977, Eames Office)

Quelle: Eames Office official website: www.eamesoffice.com/the-work/powers-of-ten/

In der Beschreibung durch das Eames Office heißt es dazu:

»Powers of Ten illustrates the universe as an arena of both continuity and change, of everyday picnics and cosmic mystery. It begins with a close-up shot of a man sleeping near the lakeside in Chicago, viewed from one meter away.

The landscape steadily moves out until it reveals the edge of the known universe. Then, at a rate of 10-to-the-tenth meters per second, the film takes us towards Earth again, continuing back to the sleeping man’s hand and eventually down to the level of a carbon atom.«8

Scott Curtis (2011) hat darauf hingewiesen, dass durch die hier erzeugte Konzeptionaliserung von Vergrößerung als Bewegung durch den Raum, der Film nicht nur eine Reise durch ebendiesen, sondern implizit auch durch die Zeit ermögliche. Mikroskop und Teleskop erschlössen eine Welt des Unsichtbaren, die auch heute beim Anschauen des Kurzfilms mit seiner vermeintlich filmischen Zoombewegung noch beeindrucke. POWERS OF TEN dringt dabei selbst in Bereiche der Vergrößerung und Verkleinerung vor, die zum Zeitpunkt der Entstehung noch gar nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten technisch realisierbar waren. Das damit einhergehende »ehrfürchtige Staunen« und der »angenehme Schrecken«, die der Betrachter angesichts des vorgeführten »Konflikt[s] zwischen menschlicher Beschränktheit und Unendlichkeit« (Curtis 2011, 98) erfährt, begründet Curtis damit, »dass Vergrößerung eine Form des Erhabenen ist« (ebd.) und argumentiert, es sei überhaupt eine Eigenschaft der Mikrokinematografie, eine Erfahrung entstehen zu lassen, »die traditionellen Beschreibungen des Erhabenen entspricht« (100).

Dabei muss die Erfahrung des Erhabenen nicht zwangsläufig von einem Gefühl der Konfrontation mit unfasslicher Größe zu tun haben, sondern kann ebenso »von der Unbestimmtheit der Größenordnungen« (103) herrühren. Curtis zitiert den bewegten und bewegenden Bericht von W.K.L. und Antonia Dickinson aus dem Jahr 1895, den diese im Anschluss an ihre erste Begegnung mit vergrößerten Mikroorganismen in einem Wassertropfen erstatteten, einer Begegnung, die offensichtlich nachhaltig zu beeindrucken wusste:

»Man findet kaum Worte für den grauenvollen Anblick und für die unbeschreibliche Schnelligkeit der wütenden Bewegungen. […] Einen unsichtbaren Feind hält man generell für besonders wenig wünschenswert, aber wer würde seine Augen nicht vor den unvorstellbaren Schrecken verschließen, die die Mikro-Fotografie in Verbindung mit dem Kinetoskop enthüllt?« (Zit.n. Curtis 2011, 104)

Die Mikrokinematografie als Kino der Attraktionen, Mikroorganismen zu furchterregenden Monstern vergrößert, das Unvorstellbare und Unsichtbare ins Bild und in Bewegung versetzt – alles bezieht seine Wirkungaus der Bewegung am Rahmen des Bildes, der selbst nicht scharf zu fassen ist, somit zwangsläufig auf ein Außerhalb des Bildrahmens verweist und ein Erkennen sowie eine Rationalisierung der Grenzen der Bewegung im Bild verunmögliche. Die Erfahrung des Erhabenen bilde sich, in der Fassung der Kantschen »Kritik der Urteilskraft« in einem zweistufigen Prozess: »Erstens Scheitern oder Inadäquatheit angesichts des Unbegrenzten, dann eine kompensierende Bewegung der Vernunft, welche diese Unbegrenztheit durch die Idee der Unbegrenztheit oder ihrer Totalität eingrenzt« (105). Damit wird das Erhabene zu einem »Effekt präziser Anordnung« und vor allem zu einem »Effekt der Rahmung, des framing« (ebd.; kursiv i.O.) – und zwar einer Rahmung in visueller und in konzeptioneller Hinsicht (vgl. Abbildung 2). Das Vergnügen am Erhabenen ist folglich »nicht notwendigerweise das Vergnügen an etwas außerhalb des Rahmens, sondern immer die vorläufige Aktivität des Rahmens selbst« (106), wie Curtis mit Verweis auf Derrida feststellt9. Der in POWERS OF TEN ins Bild gesetzte quadratische Rahmen, der von einer Zehnerpotenz zur nächsten überleitet »impliziert Grenzenlosigkeit und gibt ihr zugleich einen Rahmen und so ähnlich verhält es sich auch mit vielen grafischen Elementen des Films« (ebd.).

Abbildung 2: Rahmung und Skalierung als grafische Elemente in POWERS OF TEN (1977)

Quelle: Eames Office official website https://www.eamesoffice.com/the-work/powers-of-ten/

Mehr noch als bloß den Himmel, den ›kein Bild mehr hält‹, wie es im diesem Abschnitt voran gestellten (und in Farockis ETWAS WIRD SICHTBAR zitierten) Gedicht Heiner Müllers heißt, versucht die Rahmung in POWERS OF TEN einen Bereich von der äußersten Grenze des Universums bis zur äußersten Grenze des Mikrokosmos zu ›halten‹ – ohne diesen jedoch dauerhaft ›haltbar‹ machen zu können. Nur in ihrer dynamischen Verknüpfung, in der am menschlichen Maß skalierten Bewegung von Bild zu Bild, im Navigieren durch die Räume erscheinen die Dimensionen für einen Augenblick als kommensurabel: Im Moment, in dem man die Pausentaste betätigt und beim gerahmten Einzelbild verweilt, zerfällt die scheinbare Gewissheit. Das ›geräumige‹ Bild verengt sich und sein Rahmen verweist auf ein Außen. Der Rahmen als konstitutiv für die Unterscheidung von Bildfläche und Umfeld erzeugt diese Unterscheidbarkeit allererst, verspricht jedoch zumindest auch deren Verschiebung, Durchbrechung und Überschreitung als Möglichkeitshorizont. Er lässt etwas im Bild erscheinen (und etwas anderes verschwinden) und verweist zugleich jederzeit auf mögliche Zwischenzustände, in denen Sichtbares und Nichtsichtbares osziliiert. Ist also die Wirkung des Films beziehungsweise seiner Konstituenten, der montierten Bilder, durch die auffällige Rahmung und das Durchlaufen der Ebenen letztlich eine erhabene?

Insbesondere Rahmen als »vereinfachende Markierungen unseres Wissens angesichts von Unbegrenztheit« seien beispielhaft für »die Unbestimmtheit der erhabenen Erfahrung« (107). Daraus lässt sich für Curtis folgern, dass »das vergnügliche Oszillieren zwischen Grenzen und Unbegrenztheit, von dem das Erhabene charakterisiert wird, von der Funktion des Kaders in der Mikrokinematografie evoziert oder aufgenommen wird« (ebd.). Von Burke und Kant über Jean Epsteins »Photogénie«-Konzept gelangt Curtis zum Optisch-Unbewussten Benjamins, um die Betonung der Eigenlogik der Kamera auf das Prinzip des Erhabenen zu beziehen.

Nun könnte man, wie in jüngerer Zeit verschiedentlich vernehmbar, Einwände ganz grundsätzlicher Natur gegen die Veranschlagung der Kategorie des Erhabenen für im weitesten Sinne wissenschaftliche Zusammenhänge erheben. Der Film führt an der Schnittstelle von Fotografie, Animationsfilm und grafischem Design letztlich nichts anderes als zeitgenössische Wissenschaftsbilder vor und arrangiert diese auf spezifische Art und Weise, um der visuellen Reise ins Universum und in den Mikrokosmos Kohärenz und damit visuelle und narrative Plausibilität zu verleihen. James Elkins beispielweise weist in diesem Zusammenhang auf die Problematik einer Inanspruchnahme der Kategorie des Erhabenen als »transhistorisch« oder »a-historisch« hin, während diese in der zumeist gemeinten Form sinnvollerweise nur auf »bestimmte Bereiche von Kunstwerken« (Elkins 2010, 97) aus dem 19. Jahrhundert anzuwenden sei. Außerdem würden damit religiöse Aufladungen auf durch und durch säkulare Zusammenhänge übertragen; des Weiteren sei das ebenfalls geläufige postmoderne Konzept des Erhabenen »derart vertrackt, daß es ohne umfangreiche Erläuterungen praktisch wertlos ist« (ebd.).

Elkins plädiert daher für eine konsequente Verabschiedung des Erhabenen als Instrument der Interpretation – abgesehen von Bezugnahmen auf Werke aus Epochen, aus denen das Konzept stammt, mithin Gegenständen romantischer und spätromantischer Kunst. Überdies sei zu unterscheiden zwischen einem »Diskurs über das Erhabene« und einem »Diskurs des Erhabenen« (103), also der Untersuchung von Formen des Erhabenen und einem Schreiben, das selbst auf Erhabenheitswirkungen abzielt10. Für den Kunstdiskurs erweise sich eine gewisse Notwendigkeit für den Gebrauch des Begriffs, denn es wäre in diesem spezifischen Kontext »gekünstelt, das Erhabene gänzlich auszuschließen, so gekünstelt wie das Auslassen von Wörtern wie Darstellung, Realismus, Bild und sonstigen unklaren Ausdrücken« (105; kursiv i.O.). Doch letzten Endes bleibe das Erhabene »verdorbene Ware« (112) und eine »durch und durch ideologische Kategorie« (ebd.).

Für diese bleibt, so zeigt etwa Ian Greig (2010), Wissenschaft dort anfällig, wo sie mit dem Unbegreiflichen in Berührung kommt, wie in der von David Bohm – in direkter Konkurrenz zur letztlich etablierten Kopenhagener Deutung – vorgelegten spekulativen Deutung der Quantenmechanik als holistische Konzeption einer impliziten Ordnung, in welcher die »Begegnung mit dem Nichtdarstellbaren in der Physik« zu einer Verschiebung des Diskurses »in Richtung seiner poetischen Grenzen« (Greig 2010, 135) geführt habe. Die Sinngebung über das Erhabene angesichts paradox erscheinender physikalischer Gegebenheiten operiert in diesem Fall über den Umweg durch den Bereich der Kunst. Greig zitiert Bohm in diesem Sinne mit dem Diktum: »Physik ist eine Art Erkenntnis und als solche eine Kunstform.« (144). Die völlige Vermeidung der Kategorie des Erhabenen, so gesteht Elkins selbst an anderer Stelle (Elkins 2008) mit Bezug auf die eigene Arbeit wiederholt zu, erweist sich angesichts von Bildern der Astro- oder Quantenphysik als schwierig. Eine bewusste, als programmatische Setzung zu begreifende Entscheidung sei vielfach nötig gewesen, um nicht eine Sprache einzuführen, die von den an der Bilderzeugung beteiligten Wissenschaften überhaupt nicht verstanden, geschweige denn gesprochen werde (vgl. 2010, 98).

Man muss aber gar nicht derart fundamental den Verweis auf die Erhabenheitserfahrung als zentralen Effekt der Bilder in POWERS OF TEN kritisieren, um eine gewisse Ergänzung anzubringen, die die Wirkung der dort (und anderswo) erzeugten Sichtbarkeit aus den Sphären des Metaphysischen holt und zurück auf den Boden des Politischen stellt. Hinweise darauf finden sich selbstverständlich bereits beim von Curtis als Zeugen berufenen Benjamin selbst, wenn es bei diesem mehr oder weniger explizit um die spannungsreiche Dialektik von Vergrößerung und Verkleinerung geht, die der Diskurs des Erhabenen weitgehend unterschlagen muss.

Benjamin betont bekanntlich in seiner »Kleinen Geschichte der Photographie« jene »andere Natur, welche zur Kamera als welche zum Auge spricht« (Benjamin 1991b, 371). Der unbewusst durchwirkte Raum, den die Kamera im Gegensatz zum vom Bewusstsein durchwirkten des Alltagslebens wahrnehmbar macht, ist abhängig von der Fotografie und ihren Hilfsmitteln: »Zeitlupen, Vergrößerungen« (ebd.). Vom Optisch-Unbewussten erfährt der Mensch »erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewußten durch die Psychoanalyse. Strukturbeschaffenheiten, Zellgewebe, mit denen Technik, Medizin zu rechnen pflegen – all dieses ist der Kamera ursprünglich verwandter als die stimmungsvolle Landschaft oder das seelenvolle Porträt.« (Ebd.)

Im gleichen Moment, darauf insistiert Benjamin unmittelbar im Anschluss an die zitierte Passage, »eröffnet die Photographie in diesem Material die physiognomischen Aspekte, Bildwelten, welche im Kleinsten wohnen« (ebd.)11. Diese Bildwelten, im Kleinsten verborgen und wie die Traumwelten der Psychoanalyse deutbar, werden durch die Kamera aus ihrem »Unterschlupf« in den Wachträumen vertrieben, sind durch sie »groß und formulierbar« geworden (ebd.) und eignen sich eben deshalb, »die Differenz von Technik und Magie als durch und durch historische Variable ersichtlich zu machen« (371f.). Es dreht sich an dieser Stelle wohlgemerkt bei Benjamin um das historisch variable Verhältnis von Technik und Magie, nicht um das von Technik und Kunst.

So richtig – und ganz im Einklang mit der hier zu entfaltenden Argumentation – es ist, wenn Curtis auf die Funktion der fotografischen und filmischen Vergrößerung abstellt, »den unendlichen Abgrund abzudichten« (Curtis 2011, 109) und zugleich über eine »Rhetorik der Enthüllung« hinaus zu gehen, denn die Vergrößerung mache schließlich nicht »einfach nur sichtbar, was zuvor unsichtbar war, sie enthält auch einen kreativen Aspekt« (ebd.), stellt sich doch die Frage, ob die ästhetische Kategorie des Erhabenen den vielversprechendsten begrifflichen und konzeptionellen Bezugsrahmen für diesen Umstand bietet. Auch wenn Curtis den in Frage stehenden Sachverhalt überzeugend auf den Punkt bringt, wenn er zusammenfasst: »Die Kamera erfasst Ereignisse, die anders nicht sichtbar wären. Es ist nicht bloß so, dass diese Ereignisse ohne die Kamera schwierig zu beobachten sind; in einem tatsächlichen Sinn existieren sie ohne sie nicht.« (Ebd.) Es bleiben letztlich Zweifel hinsichtlich der von ihm gewählten Privilegierung eines »begrifflich-analytische[n] Mikroskop[s] von Vergrößerung und Erhabenem« (109f.).

Die von Curtis für Benjamin (wie für Epstein) konstatierte Einsicht in einen »neuen Zugang zur Erfahrung der Zeit und des Alltäglichen« (110), in eine »radikal andere Sicht der Welt«, die verstörend und transformierend wirke und auf diese Weise »das Potenzial für ein Neudenken unserer Vorstellung eines fein säuberlich geordneten Universums [enthält]« (ebd.), verweist ebenso gut wie auf eine Erfahrung der Erhabenheit auf einen neuen Materialismus, der das Erhabene gerade zugunsten einer technischen Beherrschbarkeit abweist. Schließlich ist für Benjamin, »was über die Photographie entscheidet, immer wieder das Verhältnis des Photographen zu seiner Technik« (1991b, 377). Benjamin verzeichnet sehr genau die Suchbewegung, die das Fotografische unternimmt, um zu ihren Gegenständen zu kommen. Für den mit der Kamera eröffneten neuen Blick ist zwar »am wenigsten da einzuheimsen […] wo man sich sonst am läßlichsten erging: in der entgeltlichen, repräsentativen Porträtaufnahme« (379). Das andere Ende des Möglichkeitsspektrums, nämlich »der Verzicht auf den Menschen«, ist jedoch gleichermaßen »für die Photographie der unvollziehbarste unter allen« (ebd.). Das zeitgenössische formalistische Kino (im Wortlaut Benjamins: »die besten Russenfilme«, ebd.) lehrt, »daß auch Milieu und Landschaft unter den Photographen erst dem sich erschließen, der sie in der namenlosen Erscheinung, die sie im Antlitz haben, aufzufassen weiß« (ebd.).

Gleichzeitig sieht Benjamin, wie sich die Akzente verschieben, »wendet man sich von der Photographie als Kunst zur Kunst als Photographie« (381). Das Verhältnis von Kunst und Fotografie ist in jener Zeit, in der Benjamin seine Gedanken zu Papier bringt, vornehmlich gekennzeichnet durch die »unausgetragene Spannung, welche durch die Photographie der Kunstwerke zwischen den beiden eintrat« (382). Die Erfassung der Kunst im Modus des Fotografischen, die so viel leichter fällt »als in der Wirklichkeit« bedeutet keineswegs einen »Verfall des Kunstsinns«, wie der elitäre Diskurs es gerne hätte. Vielmehr verändert sich mit der Ausbildung reproduktiver Techniken, wie im Kunstwerkaufsatz ausführlich erarbeitet (Benjamin 1991), unweigerlich »die Auffassung von großen Werken« (1991b, 382). Gemeint ist damit natürlich die Absage an den Einzelnen, das Genie, den Künstler romantischen Typs, dessen Hervorbringungen nun abgelöst werden durch »kollektive Gebilde«, deren überwältigende Mächtigkeit nur eingehegt werden kann, deren ›Assimiliation‹ für den Betrachter »geradezu an die Bedingung geknüpft ist, sie zu verkleinern« (ebd.). Derartige Gebilde sind also ins Foto oder den Film zu überführen, um sie, hier liegt die Pointe, konsumierbar und beherrschbar zu machen: »Im Endeffekt sind die mechanischen Reproduktionsmethoden eine Verkleinerungstechnik und verhelfen dem Menschen zu jenem Grad von Herrschaft über die Werke, ohne welchen sie gar nicht mehr zur Verwendung kommen.« (Ebd.)

Vergrößerung, heißt das, gleichsam genuine Technik des Fotografischen und Mittel der Entbergung des Optisch-Unbewussten, figuriert eigentlich als Verkleinerung. Die Öffnung auf die Erfahrung des Erhabenen zu, welche die Vergrößerung nach Curtis zu vermitteln im Stande ist, steht in einem Spannungsverhältnis mit dem Effekt der Verkleinerung, welche die Reproduktionstechnik vollbringt. Überwältigung und Beherrschung begegnen sich im Moment der fotografischen Sichtbarmachung. In der dialektischen Spannung von Vergrößerung und/als gleichzeitiger Verkleinerung, die der Dehnung des Raums und der Zeit eingeschrieben ist, liegt das »Dynamit der Zehntelsekunden« (1991, 461) als detonationsfähiges Potential. Die »komplizierte Lage«, auf die Benjamin unter Bezugnahme auf Brecht verweist, dass nämlich »weniger denn je eine einfache ›Wiedergabe der Realität‹ etwas über die Realität aussagt« (Brecht, zit.n. 1991b, 384), ist auf den ersten Blick bedrohlich für Verfahren wissenschaftlicher Bildproduktion. Doch scheint insbesondere in den (Bild-)Laboren der Wissenschaften, ein implizites Wissen zu einer Akzeptanz der Umstände geführt zu haben. Das Verrutschen dessen, was man landläufig ›Realität‹ nennt, »in die Funktionale« (ebd.), steht dort in einem produktiveren Einklang mit einem Operativ-Werden der Bilder als jeder naive Realitätsglaube weiszumachen vermag. Kurzum: Die im Labor produzierten Gegenstände, Sichtbarkeiten und Evidenzen müssen die Welt nicht zeigen, ›wie sie ist‹, um dennoch etwas über die Welt, ›wie sie funktioniert‹, aussagen zu können.

Während, wie Brecht glaubte, eine Fotografie der Kruppwerke oder der A.E.G. »beinahe nichts über diese Institute« (ebd.) aussagt, erscheint etwa die berühmte ›Fotografie‹ des IBM-Logos im Nanoraum (vgl. Abbildung 3) mehrfach überdeterminiert: in der extremen Vergrößerung dringt, um die geläufigste Metapher zu verwenden, ein technischer Blick in den lichtlosen Raum des Atomaren ein und verkleinert oder verdichtet im erzeugten Bild die Unermesslichkeit dieser Raumdimension. Zugleich, und das ist vielleicht die bedeutendste Leistung des 1989 im Elektronenmikroskop angefertigten Bildes, lässt es als Sichtbarmachung diesen Raum manipulierbar und somit beherrschbar erscheinen, da er nicht allein Sichtbarkeit indiziert, sondern auf den ersten Blick erkennbar macht, dass hier ein Eingriff voraus gegangen ist, Einzelatome bewegt und in Position gebracht worden sind. Als Resultat einer Reduktion von Entropie verdichtet das gemessene, eben nicht-optisch erzeugte Bild, in dem es Dichtezustände bildförmig übersetzt, stabilisiert und auf diese Weise in das Register des Sichtbaren einträgt und reproduzierbar macht. Nicht zuletzt verweist das aus Xenon-Atomen komponierte Bild als Logo selbstreflexiv auf die proprietären und technischen Bedingungen zurück und demonstriert damit die Leistungsfähigkeit der corporation, in deren Auftrag und mit deren überlegener Rechenleistung das Bild überhaupt erst zustande gekommen ist12.

Abbildung 3: IBM-Logo aus 35 Xenon-Atomen auf einer Nickeloberfläche (Don Eigler)

Quelle: https://www-03.ibm.com/press/us/en/photo/28500.wss

Der epistemische Akzent des ikonisch gewordenen Bildes liegt also weniger auf der Sichtbarmachung der Beschaffenheit eines Xenon-Atoms oder dessen Verhalten auf einer Nickeloberfläche. Vielmehr produziert das Bild ein Wissen über Machbarkeit. Es entwirft buchstäblich (in mehrfachem Sinn) eine Vision atomarer und subatomarer Manipulierbarkeit, eröffnet einen Möglichkeitsraum technologischer Beherrschbarkeit – und reflektiert gleichzeitig materielle, mediale, ökonomische und politische Bedingungen des eigenen Zustandekommens. Indem es Distanz kollabieren lässt und gleichzeitig mit einem branding versieht, zeigt sich das Bild auf eindrückliche Weise als Teil einer materiell-diskursiven Konstellation, die keinen Raum ›reiner Wissenschaftlichkeit‹ oder ›neutralen‹ Erkenntnisinteresses aufspannt, sondern, wie alle derartigen Konstellationen, von Machtverhältnissen in einem kapitalistischen Entstehungskontext durchzogen ist, in welchem die Frage der Verteilung von Sichtbarkeit und Sagbarkeit immer auch eine politische ist. Dabei spielt es in der Tat eine untergeordnete Rolle, dass die IBM-Ikone weit mehr verspricht als technisch einzulösen ist13. Die zur Anwendung gekommene Rastersondenmikroskopie ist zwar längst als Verfahren der Wahl bei der Detektierung von Oberflächenbeschaffenheit etabliert. Doch für genau den manipulativen Eingriff in den Nanoraum, der das Bild bis zum Bersten mit Bedeutung auflädt, scheint sie bis heute kaum geeignet. Dennoch erfüllt das sorgsam komponierte Emblem einer Zukunftswissenschaft seine deiktische Funktion in vollem Umfang.

Nicht zuletzt liegt die Nachfrage nach derartigen Ikonisierungen der neuen Forschungsausrichtung schließlich auch darin begründet, dass dem interdisziplinären Großprojekt der Nanotechnologie die Doppelfunktion als »Katalysator und zugleich Kern der neuen Wissensordnung« (Schummer 2009, 84) zukommt. Wie sich an der Mikrofotografie im 19. Jahrhundert die ›Moderne Bakteriologie‹ als Disziplin neu begründen sollte, so erscheinen, umgekehrt, die nanotechnologische Forschung und die in diese verwickelten bildgebenden Verfahren als »eine Großoffensive auf die gewachsene disziplinäre Landschaft« (82), die trotz starker Beharrungskräfte seitens der disziplinären Ordnung, Disziplinen neu miteinander verkoppelt oder Transdisziplinen neu begründet (etwa die »Materialwissenschaft«): »Denn die Bewegung hat inzwischen fast alle klassischen natur- und ingenieurswissenschaftlichen Disziplinen erreicht mit einer institutionellen Dynamik, die zu groß ist, um nur von kurzer Dauer zu sein, und zu heterogen, um in eine neue, eigene Disziplin überzugehen.« (Ebd.)

Die dabei zu entwerfende »neue universale Wissensordnung« ist eng gekoppelt an Militärforschung und transhumanistische Ideen14 und bemüht sich, wie »jeder historische Versuch« (89) dieser Art, eine Vorstellung eng gefasster Kongruenz zwischen Epistemologie und Ontologie zu etablieren, »wonach die Strukturen des Wissens die Strukturen der Welt möglichst genau abbilden sollten« (ebd.)15. Der raumstauchenden und distanzkollabierenden Bewegung des ›Zooming-In‹ als Annäherung an und Vordringen in einen (diskursiv gleichursprünglich damit entstehenden) subvisiblen (Un-)Sichtbarkeitsraum kommt dabei als Geste und Verfahren eine zentrale Funktion zu: Sie schreibt den frontier-Mythos wissenschaftlicher Sichtbarmachung fort, stützt die Kolonisierung des bisher Unsichtbaren visuell und hilft auf diese Weise einen Begründungszusammenhang abzusichern, der über die Umverteilung von Sichtbarkeit und Sagbarkeit prozessiert wird.

Die verschiedentlich kritisierte »neue Bilderflut in der Wissenschaft« (114) ist zunächst einmal damit begründbar, dass in Momenten epistemischer und disziplinärer Reorganisation der Bedarf an sichtbar Gemachtem sogar noch höher zu sein scheint als im wissenschaftlichen ›Normalbetrieb‹. Hinzu kommt, dass die »allgegenwärtigen Mikroskopiebilder der Nanotechnologie« (ebd.) die Vermutung zulassen, »daß man der Visualisierung einen besonderen Erkenntniswert zutraut, daß wir umso besser wissen, je genauer wir sehen« (ebd.; kursiv Verf.)

Die Bilder werden mithin auf verschiedenen Ebenen operativ. Selbst dort, wo die angesprochenen nanotechnologischen Bilder keinen übermäßigen Erkenntnisgewinn im Sinne ›epistemischer Bilder‹ produzieren, sondern tatsächlich illustrativ verwendet werden, tragen sie zur Etablierung und Popularisierung der Forschung bei. Sie normalisieren das zu Sehende, indem sie »einen Realitätszugang nach der Analogie des Sehens« (117) suggerieren, der erst eingerichtet werden müsste, da die elektronenmiskroskopischen Verfahren keine optischen sind. Im Rahmen dieser Kritik scheint Schummer allerdings ältere optisch-mikrofotografische Verfahren als dem menschlichen Sehen auf geradezu ›natürliche‹ Weise entsprechend zugrunde zu legen und diese der neueren Bildgattung gegenüber zu stellen. Wie problematisch ein solcher Antagonismus von analog-optischen und digital-nichtoptischen Sichtbarmachungen jedoch ist, soll im Folgenden deutlich gemacht werden: Der quasi-invasiven Zoombewegung wird man dabei noch zweimal wiederbegegnen – beim Betreten eines medientechnologisch aufgerüsteten Fahrstuhls (in Kapitel III) und beim einen Erkenntnisschwindel erregenden Blick in ein Rastertunnelmikroskop (im abschließenden Kapitel V dieses Buches).

›Images That Are Not Art‹: Bilder des Sichtbaren

Die vorliegende Studie fokussiert wie gesagt auf Bildproduktionen, die, selbst wenn einzelne Bilder sich einer kunstwissenschaftlichen Perspektivierung nachgerade aufzudrängen scheinen, einem nicht primär auf das Ästhetische aufsattelnden Bereich entstammen. Dass hierbei dennoch ästhetische Entscheidungen von äußerster Wichtigkeit sein können, gilt sowohl für die Bildproduktionen des bakteriologischen Labors als Element der Genese einer »Ästhetik des Objektivität« im 19. Jahrhundert (vgl. Zimmermann 2009) wie für zeitgenössische Nanobilder, die eine Ästhetik entwickeln, die es erlaubt, imaging und imagining visuell unauflöslich ineinander zu verschränken (vgl. Ruivenkamp/Rip 2011).

Ästhetische Entscheidungen müssen sowohl für die Produktion spezifischer Sichtbarkeiten getroffen werden als auch für die Popularisierung in Atlanten, coffeetable books oder populärwissenschaftlichen Darstellungen, die eine breitere, kaum fachkundige Leserschaft ansprechen und schon früh in ihrer Funktion als »pretty pictures«, die auf eindrückliche Visualität als Mittel der Evidenzproduktion setzen, analysiert worden sind (vgl. Lynch/Edgerton 1988, 193ff.)16. Zur Produktion von Wissen über sichtbar gemachte Phänomene sowie zur damit perpetuierten Verkopplung von Sichtbarkeit und Wissbarkeit gehört schon immer eine spezifische Form der Inszenierung, die auf verschiedenen Ebenen epistemische Folgen zeitigt. Her-Stellung und Dar-Stellung laufen ineinander und sie laufen nicht selten simultan ab: »Der Darstellungsmodus im Nachdenken über Repräsentation ist veraltet. Wissen wird dargestellt, ja kann nur dargestellt werden, doch gerade damit wird es hergestellt. Nicht Repräsentation, sondern Präsentation, oder richtiger: Konstruktion, Produktion.« (Kiesow/Schmidgen 2006, 12)

Die Gleichzeitigkeit von Her- und Darstellung hat ohne jeden Zweifel Folgen für den Begriff der Natur oder des Natürlichen, konkreter noch: für die nicht haltbare kategorielle Differenz von ›Natur‹ und ›Kultur‹. Sie zeitigt ebensolche Folgen für jede Konzeption von ›Realität‹ und ›Realismus‹, wie sie in den langlebigen Debatten um wissenschaftlichen Realismus versus mehr oder weniger radikalen Konstruktivismus seit Jahrzehnten immer wieder ausgehandelt wird17. Die oben zitierten Kiesow und Schmidgen finden die griffige Formel des Realen als Parasiten der Erzählung, des Experiments und der Wissenschaft und formulieren provokant: »Das Reale ist das Ergebnis, das parasitäre Ergebnis von präsentierten Erfindungen« (15).

Die Medien dieser Her-/Dar-Stellung – und mit ihnen sowohl die medienepistemologischen Bedingungen von Wissensproduktion als auch die Darstellungsoptionen – unterliegen selbstverständlich dem historischen Wandel. Dass Erstere dem Prozess der Wissensproduktion weder als technisches a priori vorausgehen noch als sekundäre Darstellungsnotwendigkeit äußerlich bleiben, sollte aus dem zuvor Gesagten deutlich geworden sein. Der neuralgische Punkt für die hieran anschließende Argumentation ist die Komplexität der genealogischen, epistemologischen, medien- und wissen(schaft)stheoretischen Verhältnisse, die sich aus der Behauptung einer weitgehenden Gleichursprünglichkeit von Wissen und Medien ergibt. Im unüberschaubaren Feld der Bilder sind fraglos jene in der überwältigenden Mehrheit, die – zumindest in klassischer Anschauung – nicht dem Bereich der Kunst zuzuordnen sind, wenngleich es immer möglich scheint, sie durch spezifische Lektüren diesem einzuverleiben. Zweifelsohne trifft quantitativ und hinsichtlich der Entstehungs- und Verbreitungszusammenhänge zu, was Elkins apodiktisch festhält: »Most images are not art.« (vgl. Elkins 1995) Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass es sich um weniger komplexe oder komplizierte Gegenstände handelt, im Gegenteil: »[T]hey can present more complex questions of representation, convention, medium, production, interpretation, and reception than much of fine art.« (554) Derartige »nonart images« (555) sind für Elkins häufig, aber nicht ausschließlich als »informational images« zu etikettieren; noch zutreffender erschiene es jedoch, diese zunächst offener als »whatever contemporary art history does not study« (ebd.) zu fassen.

In den Fällen, in denen sich die traditionelle Kunstgeschichte für wissenschaftliche Bilder interessiert habe, sei dies im Sinne einer Adressierung als »ancillary sources for the interpretation of fine art, rather than as interesting images in their own right« (ebd.) geschehen, mit der Konsequenz, dass »the potentially disruptive nature of such images remains invisible as long as they are treated as evidence for other kinds of pictures« (ebd.). Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass Elkins ›seiner Disziplin‹ dieses vernichtende Urteil bereits 1995 ausgestellt hat. Vieles hat sich diesbezüglich im Feld der Kunstgeschichte verändert, nicht zuletzt angetrieben durch erstarkende Konkurrenz, die sich aus der disziplinären Etablierung von ›Visual Culture Studies‹, oder, bezogen auf den deutschsprachigen Raum, einer ›Bildwissenschaft‹ ergeben hat18.

Gleichwohl verbleiben operative und epistemische Bilder der Wissenschaft in einem merkwürdigen Zwischenraum der akademischen Adressierung. Die den Bildern eignende Unbestimmtheit, so wird deutlich werden, wird noch verstärkt durch die Unbestimmtheit ihrer theoretischen Einbettung beziehungsweise ihrer polykontexturalen Herstellung als Forschungsgegenstände unterschiedlichster Disziplinen. Insbesondere die Wissenschaftsforschung hat sich dem grundsätzlichen Problem der Darstellbarkeit gewidmet, wenn sie beobachtet »how scientific visualization depends on simplifying, abstracting, labeling, marking, and schematizing the chaotic phenomena of nature into orderly graphic forms« (568). In die ›Abstraktionskaskade‹, die vom ›Chaos der Phänomenalität‹ zur Inskription als epistemisches Bild führt, bleibt das Problem der Undarstellbarkeit eingeschrieben, gleichermaßen als potentielle Störung wie als Moment der Akzeleration und Dissemination der Bildproduktion.

Die von Elkins vorgeschlagene programmatische Lösung, »to look at nonart images as independent visual objects« (570), leuchtet zwar scheinbar unmittelbar ein. Sie unterschlägt aber in der Insistenz auf die Instanz des Bildes als vermeintlich unabhängiges visuelles Objekt dessen nur auf Kosten des Zusammenhangs auflösbare Verflechtung in die Operationen einer umfassenderen Kultur und Praxis der Sichtbarkeitsproduktion. Dementsprechend ist es etwas völlig anderes, das Wissenschaftsbild als einzelnes Bild, als Teil eines Bildgenres, als Ausdruck und Übersetzung einer kunsthistorischen Tradition ins Auge fassen, oder als temporären Kristallisationspunkt einer Sichtbarmachungsprozedur. Letzteres stellt weniger auf die Lektüre des einen, entscheidenden Bildes als Produzent von Wissen beziehungsweise auf die Verfügbarmachung einer Typologie der Bilder ab. Vielmehr öffnet sie das Bild auf dessen Produktionshorizont hin und macht es lesbar als momentanen Ausdruck einer Verhandlung von Sichtbarem und Sagbarem zu einem gegebenen Zeitpunkt und mittels zur Verfügung stehender oder im Prozess der Sichtbarmachung verfügbar werdender Medien.

Wissenschaftsbilder fungieren aus diesem Blickwinkel als Dokumente beziehungsweise Monumente einer Geschichte der Repräsentation, nicht in erster Linie als Repräsentationen einer Geschichte der Intentionen und ihrer kulturellen Bedingungen, wie Bernhard Siegert etwa in Bezug auf die ›Karte‹ als Medium formuliert (vgl. Siegert 2011, 14). Sichtbarmachung wird auf diese Weise (genau wie und doch völlig anders als die Kartographie) zu einer Kulturtechnik, eine Perspektivverschiebung dergestalt vornehmend, dass entscheidend wird, »to relate the concept of media/mediums historically to ontological and aesthetic operations that process distinctions (and the blurring of distinctions) which are basic to the sense production of any specific culture« (ebd.).

Der Hinweis auf ontologische Operationen ist insofern notwendig, als der ontologiekritische Impetus des Ansatzes häufig als per se anti-ontologischer Affekt aufgefasst wurde und wird. Doch anstatt jedwedes Residuum ontologischer Konzeptionierung abzulehnen, wird eben diese Konzeptionierung hinterfragt sowie ihre Begriffe auf Medienoperationen zurück gewendet, wie Siegert mit Nachdruck festhält:

»This does not imply, however, that writing the history of cultural techniques is meant to be an anti-ontological project. On the contrary, it implies more than it excludes a historical ontology, which however does not base that which exists in ideas, adequate reasons or an eidos, as was common in the tradition of metaphysics, but in media operations, which work as condition of possibility for artefacts, knowledge, the production of political or aesthetic or religious actants.« (15; kursiv i.O.)

Ontologie also nicht mehr als Letztbegründungsinstanz, sondern als historische Medien-Onto-Epistemologie, die ernst nimmt, dass »Erkenntnis- und Seinsformen […] nicht voneinander zu trennen [sind]«, weil sie sich wechselseitig implizieren (Barad 2012, 100): »Die Trennung der Erkenntnistheorie von der Ontologie ist ein Nachhall der Metaphysik, die einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Nicht-Mensch, Subjekt und Objekt, Geist und Körper, Materie und Diskurs annimmt« (ebd.). Apparate – beziehungsweise im Falle ihres Reflexivwerdens: Medien – wissenschaftlicher Sichtbarkeitsproduktion können vor diesem Hintergrund weder als »neutrale Sonden für die Welt der Natur« noch als »gesellschaftliche Strukturen, die ein bestimmtes Ergebnis deterministisch erzwingen« (72), begriffen werden. Stattdessen handelt es sich aus der von Barad (weiter)entwickelten Perspektive eines ›agentiellen Realismus‹ um »spezifische materielle Konfigurationen oder vielmehr dynamische (Re-)Konfigurationen der Welt, durch die Körper intraaktiv materialisiert werden« (ebd.). Als »materielle (Re-)Konfiguration von Diskurspraktiken« bringen auch die auf Sichtbarkeitsproduktion zielenden Apparate der wissenschaftlichen Forschung »materielle Phänomene in ihrem unterschiedlichen Werden« (ebd.) hervor.

Wenn also etwa behauptet wird, die Bakteriologie in ihrer modernen Form habe durch Praktiken der Sichtbarmachung überhaupt erst entstehen können (vgl. Sarasin, Berger et al. 2007), so lässt sich hieraus ein gewichtiger Hinweis nicht allein auf die Wissen und Disziplinen konstituierende Macht epistemischer Bilder ableiten. Es scheint unerlässlich, sowohl die beteiligten apparativen Technologien als auch deren spezifische dynamische (Re-)Konfiguration in ein Medium der Sichtbarmachung nachzuvollziehen. Bei Sarasin, Berger, Hänssler und Spörri (2007, 8-43) heißt es einleitend über die neuartige Konfiguration von (unter anderem) Mikroskopie, Fotografie, Züchtungs- und Färbetechniken im bakteriologischen Labor des ausgehenden 19. Jahrhunderts, diese generiere »spezifisch moderne Formen von ›Sichtbarkeit‹ des Unsichtbaren« (22). Deren Möglichkeiten nicht nur zur Durchsetzung der so genannten Koch’schen Postulate in der Bakteriologie, sondern zur Erzeugung einer spezifischen »Evidenz des Nachweises«, waren »nicht nur an ein Labor und einen Modellorganismus gebunden, sondern ebenso an einen technisch-medialen Apparateverbund, wie er seither das moderne, naturwissenschaftlich konstruierte ›Bild‹ von Natur strukturiert« (22).

›Neues Wissen‹ wird, wie Friedrich Balke im Rekurs auf Bachelard feststellt, »nicht durch genaueres Hinsehen, sondern nur durch die Veränderung der bereits etablierten diskursiven Aussagebedingungen« (Balke 1993, 240) gewonnen. Diese wiederum sind abhängig von den materiellen Dispositiven, in denen sie erscheinen, um als diskursiv-materielle Elemente Wirkung entfalten können. Der skizzierte Zusammenhang operativer und epistemologischer Effekte in veränderlichen Medienkonfigurationen erlaubt, vor dem Hintergrund unhintergehbarer Sichtbarkeit zum Zweck der Produktion von Welt, die Beschreibung als ontographisches Verfahren. Angesichts der postulierten Nichtvorgängigkeit der Medien und der Betonung relationaler Aspekte erscheint diese Wendung zunächst widersprüchlich, doch sollte bereits jetzt in Umrissen deutlich geworden sein, dass die Rede von einer Medien-Onto-Epistemologie nicht einem Sein als unveränderlichem Wesen der Dinge im Sinne einer klassischen Ontologie das Wort redet, sondern den Versuch unternimmt, die komplexe Verfasstheit des Verhältnisses von Dingen und Menschen über die Schaltstelle der Sichtbarmachung als Wissbarmachung anders zu konturieren.

Über Sicht: Prämissen und Programm

Vor diesem Hintergrund geht der hier verfolgte beziehungsweise nach und nach zu entwickeldende Ansatz davon aus, dass es, wie oben bereits dargestellt, zur konstitutiven Leistung von Medien zählt, wahrnehmbar zu machen. Gleichzeitig kann dabei nicht von einem vorgängigen Medienbegriff, der sich primär auf die technisch-instrumentellen Aspekte konzentriert, ausgegangen werden. Darüber hinaus erscheint im Labor erzeugte Sichtbarkeit in einer oszillierenden Doppelfigur als Medium der Wissenserzeugung und -absicherung und zur gleichen Zeit als Problem, an dem sich wissenschaftsgeschichtliche und wissenschaftstheoretische Diskurse kontinuierlich herausbilden und abarbeiten, ohne dabei immer explizit auf die medialen Aspekte zu reflektieren. Der Ansatz, Medien der Sichtbarmachung als bloße Instrumente, allenfalls als prothesenhafte Verlängerung oder Erweiterung der beschränkten menschlichen Sinne aufzufassen, weist eine erstaunliche Persistenz selbst dort auf, wo er auf hochgradig variable technische, technologische und epistemologische Voraussetzungen trifft.

Im selben Raum, dem produzierten Bild, der generierten Sichtbarkeit nicht gegenüber, sondern materiell-diskursiv in diese ›verwickelt‹, erscheinen Forschende darum bemüht, mit Hilfe von Sichtbarmachungen im Experimentalsystem jeweilige Erkenntnisprozesse voran zu treiben. Auch diese »setzen nicht einfach verschiedene Apparate zur Erfüllung bestimmter Erkenntnisprojekte zusammen, sondern sind selbst spezifische Teile der fortlaufenden Rekonfiguration der Welt« (Barad 2012, 100). Es wird also ein doppeltes, sich an bestimmten Punkten überlagerndes, zuweilen überblendetes Bild sein, das eine Archäologie des Sichtbaren zu Tage fördert: die jeweils spezifischen experimentellen Labor-Repräsentationen und Konstruktionen einer Geschichte der Experimentalkultur der Naturwissenschaften.

Wenn der Bakteriologe Robert Koch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem Forschungsbericht zur Untersuchung von pathogenen Organismen konstatiert: »Das photographische Bild eines mikroskopischen Gegenstands ist unter Umständen wichtiger als dieser selbst« (Koch 1881, 11) und im Zuge dessen die gravierenden »Missstände, die sich in der Mikroskopie zum grössten Schaden der Wissenschaft schon unendlich oft geltend gemacht haben« (ebd.) anprangert, so sind sowohl die angesprochenen Umstände, unter denen ein Bild derartige epistemische Wirksamkeit entfaltet, von Interesse, als auch die Bedingungen, die zu den beklagten Missständen geführt haben. Koch artikuliert damit keineswegs idiosynkratisch die eigenen methodischen Forschungsvorlieben, sondern beteiligt sich an einer intensiv geführten Debatte um die Herstellung und die Implementierung der Mikrofotografie in die histologische und bakteriologische Laborforschung. Als Befürworter mikrofotografischer Verfahren plädiert Koch für eine Schule des Sehens, eines Sehens, das in diesem Fall untrennbar von einem informierten Gebrauch neuer technischer Medien ist. Koch prägt damit einen Diskurs, der nicht allein zu den oben erwähnten, bis heute weitgehend als gültig akzeptierten ›Koch’schen Postulaten‹ führen sollte; er bindet überdies diesen Diskurs unauflöslich an materielle und mediale Gegebenheiten, die selbst wiederum zunächst prekär erscheinen und sich erst über die Praxis stabilisieren. Die der Mikrofotografie zugeschriebene Beweiskraft versichert den Diskurs wissenschaftlicher Objektivität und Vergleichbarkeit und ermöglicht auf diese Weise »Verständigung über den streitigen Gegenstand« (Koch 1881, 11). Der Diskurs nimmt damit zugleich Partei im langwierigen und erbittert geführten Streit um die Vor- und Nachteile »mechanischer Objektivität« (vgl. Daston/Galison 2002). Die epistemologischen Voraussetzungen, Diskursformationen und die dabei zum Ausdruck kommenden medientheoretischen Reflexionen werden im Folgenden eingehender verhandelt.

Kapitel III des vorliegenden Buchs wird exemplarisch einige Diskursstellen aufsuchen, an denen sich die diskursiven Verschiebungen um 1900 und um 2000 an der Frage der Sichtbarkeitsproduktion manifestieren. Wenn bereits der Status des photographischen Bildes, der epistemologische Wert des Blicks durch das Mikroskop und die Frage nach dem ontologischen Status dessen, was unter dem Mikroskop zu sehen ist beziehungsweise ob das ›Sehen durch ein Mikroskop‹ überhaupt ein Sehen sei, problematisch erscheinen, so verschieben sich diese Problematiken erwartungsgemäß mit der Kopplung beider Instrumente, ohne sich etwa aufzuheben. Die Verschaltung beider Sichtbarmachungstechnologien kann nicht einfach additiv verstanden werden. Ebenso wenig werden durch elektronenmikroskopische Messung oder Rasterung Phänomene derealisiert – und wenn, dann im Rahmen einer Onto-Epistemologie, die einen Begriff von Realität und Repräsentation prägt, in den sich die quantentheoretisch fundierte Unbestimmtheit immer schon eingeschrieben haben wird.

Die elektronischen, digitalen, post-fotografischen und auf nicht-optischem Wege gewonnenen Bilder lassen diskursive Verschiebungen bezüglich der Frage einer grundsätzlichen Möglichkeit der bildlichen Fixierung von ›Realität‹ erkennen, ohne dabei selbst ›realitätsfern‹ zu sein. Im Gegenteil: Strategisch modifizieren die etwa in der Nanoforschung zum Tragen kommenden Verfahren der Sichtbarmachung den Sichtbarkeitsraum zu einem ›Machbarkeitsraum‹. Das Versprechen von erhöhter Machbarkeit und Kontrolle war dem Sichtbaren, präziser: dem Bereich des technisch sichtbar Gemachten, ›schon immer‹ inhärent, intensiviert sich aber erneut als Versprechen und Frage. Imagination technischer Zukünfte, unbegrenzte Manipulation der Bildherstellung und ästhetische Gestaltungsoptionen kommen so am Horizont als bildpolitische Problematisierungen in den Blick.

Ebenfalls in Kapitel III soll daher zunächst der Vorschlag gemacht werden, die materiell-diskursiven Verschaltungsvorgänge im Experimentalsystem als Prozesse eines Medien-Werdens zu begreifen (vgl. Vogl 2001 sowie, darauf Bezug nehmend: Scholz 2006). Als heterogenes Gefüge verschiedener Elemente kommt so die spezifische Medien-Funktion in den Blick. Dies ermöglicht zu zeigen, dass die Vereinigung von Photographie und Mikroskop sehr viel mehr beinhaltet als bloß das Aufeinander-Montieren zweier technisch-apparativer Elemente. Gleichzeitig wird es nämlich notwendig, entsprechende Formen der Beobachtung einzuüben, neue Präparationstechniken zu entwickeln, sich Fragen über Bildausschnitt, Beleuchtung, Aberrationen, Artefakte und vieles andere mehr neu zu stellen. Der mikrobiologische Diskurs entwickelt eigene Spezialdiskurse, in denen es um die Adaption, die Wissenschaftlichkeit des Gebrauchs, aber nicht zuletzt auch um die Zirkulation von mikrofotografischen Bildern in einer über den engen Rahmen der mit ähnlichen Forschungen befassten Kolleginnen hinaus gehenden interessierten Öffentlichkeit geht. Spätestens an diesem Punkt spielt die Frage der Inszenierung, mithin ein ästhetischer Kontext, verstärkt eine Rolle. Über die Funktion der Popularisierung hinaus, so wird argumentiert, erschließt sich die naturwissenschaftliche Sichtbarmachung einen Sichtbarkeitsraum, der als Möglichkeitsraum in der Folge aufgefüllt und ausgestaltet werden muss.