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Erasmus von Rotterdam zählt zu den bedeutendsten Denkern seiner Zeit und prägte wie kaum ein anderer das geistige Klima der Renaissance. In einer Epoche des Umbruchs, in der das Wissen der Antike neu entdeckt und die Grundlagen moderner Bildung gelegt wurden, war Erasmus ein Wegbereiter des Humanismus und ein unermüdlicher Verfechter von Bildung, Vernunft und Toleranz. Er setzte sich nicht nur für eine Reform der Kirche ein, sondern auch für die Freiheit des Denkens und den Frieden in einer gespaltenen Welt. Hans G. Burckhardt nimmt den Leser mit auf eine faszinierende Reise durch das Leben und die Philosophie dieses einzigartigen Gelehrten. Mit scharfsinnigen Analysen und einem tiefen Verständnis für die historischen Zusammenhänge beleuchtet er die Einflüsse, die Erasmus formten, und das Vermächtnis, das dieser hinterließ. Von seiner Ausbildung bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben bis hin zu seiner bahnbrechenden Neuauflage des Neuen Testaments – dieses Buch zeichnet den Weg eines Mannes nach, der wie kein anderer die Ideale der Humanität verkörperte. Für alle, die sich für die Wurzeln des europäischen Geisteslebens interessieren und die Geschichte der humanistischen Bewegung verstehen möchten, bietet dieses Werk einen einzigartigen Einblick in die Philosophie und Lehren eines großen Humanisten.
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Seitenzahl: 172
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Hans G. Burckhardt
Erasmus von Rotterdam und die Geburt des Humanismus
Reise durch die Philosophie und Lehren eines einflussreichen Denkers der Renaissance
Die Zeit, in der Erasmus von Rotterdam lebte, war eine Ära des Umbruchs und der Transformation, die als Ausgangspunkt für die Moderne gilt. Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war geprägt von tiefgreifenden Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen – von der Politik bis hin zur Kultur. Europa verließ das Mittelalter, dessen charakteristisches Merkmal die zumeist theozentrische Weltanschauung war, und trat ein in die Renaissance, eine Phase des erneuten Interesses an den klassischen Idealen der Antike und einer neuen Auffassung vom Menschen und seinen Möglichkeiten.
Der historische Kontext, in dem sich Erasmus von Rotterdam bewegte, war primär von spezifischen politischen, sozialen und kulturellen Dynamiken geprägt. Die politisch zersplitterte Landschaft Europas sah sich häufig kriegerischen Auseinandersetzungen und dem Streben nach Macht und Territorien gegenüber. Dies war die Zeit, in der das Heilige Römische Reich, Frankreich, England, Spanien und andere Mächte, versuchten, ihre Grenzen und ihren Einfluss auszuweiten, wobei dynastische Heiratsallianzen und militärische Expeditionen ein probates Mittel darstellten. Diese Unruhen beeinträchtigten jedoch auch die Stabilität der Bevölkerung und prägten das tägliche Lebensgefühl.
In der Gesellschaft dieser Epoche war das städtische Bürgertum im Aufstieg begriffen, das zunehmend an Einfluss gewann und die bestehenden sozialen Strukturen infrage stellte. Insbesondere in den wirtschaftlich blühenden Regionen Norditaliens, den Handelsstädten Flanderns und der Hanse-zentrierten Gebiete Nordeuropas, kam es zu einer erstarkten Bedeutung von Handel und Unternehmertum, was eine neue soziale Schicht hervorbrachte, die gebildeter, wohlhabender und selbstbewusster wurde.
Kulturell war der Übergang von der mittelalterlichen zur modernen Denkweise am deutlichsten spürbar. Die Renaissance, als kulturelle Wiedergeburt initiiert, führte zu einem erneuten Studium der Klassiker. Diese Entwicklung war maßgeblich von Humanisten wie Petrarca und Lorenzo Valla beeinflusst, die den Menschen ins Zentrum ihrer Weltauffassung stellten. Erasmus selbst machte sich diese Ideale zu eigen und trug entscheidend zur Verbreitung des Humanismus in Nord- und Westeuropa bei. Der Humanismus legte den Schwerpunkt auf Bildung, Literatur, Kunst und die Fähigkeit des individuellen Denkens – Faktoren, die grundlegend für die spätere Entwicklung humanistischer Bildungsideale waren.
Technologische Fortschritte beschleunigten diese kulturellen Wandlungen. Der Buchdruck, um 1440 von Johannes Gutenberg entwickelt, revolutionierte die Verbreitung von Wissen und Ideen. In nie dagewesenem Maße konnten nun Schriften vervielfältigt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden, was Erasmus gezielt nutzte, um seine Gedanken und Werke weitläufig zu verbreiten.
Ebenso wichtig war die religiöse Transformation, die sich am Ende des 15. Jahrhunderts abzuzeichnen begann und schließlich in die Reformation mündete. Kritische Stimmen gegen die Missstände innerhalb der katholischen Kirche, wie Ablasshandel und moralische Korruption, wurden lauter. Diese Vorläufer der Reformation, teilweise durch die Schriften von Personen wie John Wyclif und Jan Hus verkörpert, trugen bereits eine Dissidenz in sich, die das theologische Feld der kommenden Jahrzehnte prägen sollte. Erasmus stand, obwohl selbst ein Kritiker einiger Missstände, für eine interne Reformierung und nicht für eine Spaltung der Kirche.
Diesen vielschichtigen Kontext betrachtend wird klar, dass Erasmus von Rotterdam in seiner Zeit nicht nur ein Produkt seiner Umgebung war, sondern ein Charismatiker, der durch seine Werke und Ideen die Bildungslandschaft und den humanistischen Diskurs seiner Zeit wesentlich beeinflusst hat. Indem wir den historischen Kontext seiner Ära verstehen, können wir die außergewöhnliche Wirkung und das Vermächtnis dieses großen Gelehrten besser begreifen und einordnen.
Die humanistische Bewegung des späten 15. und 16. Jahrhunderts war eine kulturelle und intellektuelle Bewegung, die sich in Europa über mehrere Generationen hinweg entfaltete. Sie markierte eine Abkehr von den mittelalterlichen Weltanschauungen und den dominierenden scholastischen Disziplinen hin zu einer Wiederbelebung der klassischen Antike, welche die Grundlage für eine Vielzahl neuer philosophischer, wissenschaftlicher und pädagogischer Ansätze legte. Diese Bewegung, die ihren Ursprung in den Stadtkulturen Italiens hatte, verbreitete sich rasch über den europäischen Kontinent und beeinflusste so zentrale Persönlichkeiten der europäischen Geschichte, darunter auch Erasmus von Rotterdam.
Im Zentrum der humanistischen Bewegung stand die Wiederentdeckung und der verstärkte Gebrauch der klassischen lateinischen und griechischen Literatur. Der Begriff "Studia Humanitatis", der die humanistischen Studien umfasste, umfasste grammatische, rhetorische, poetische, moralphilosophische und historische Disziplinen. Diese Fächer standen im Gegensatz zu den damals an den Universitäten dominierenden theologischen und scholastischen Studien, die von einer logischen Dekonstruktion der christlichen Dogmen geprägt waren. Die Humanisten strebten stattdessen danach, den Menschen und seine Errungenschaften in Kultur und Kunst zu verstehen und zu fördern.
Erasmus von Rotterdam gilt als einer der prominentesten Vertreter dieser Bewegung. Er verkörperte das Streben nach einer kulturellen Renaissance, die sich ihrer antiken Wurzeln bewusst war, jedoch auch in die Zukunft gerichtet blieb. Erasmus unterstützte die Forderung nach einer Ausweitung der Bildung und verstand Bildung als Mittel zur individuellen und gesellschaftlichen Verbesserung. Diese Haltung ist in seiner berühmten Schrift “Querela Pacis” (Die Klage des Friedens) deutlich zu erkennen, in der er argumentiert: „Wo Frieden herrscht, blühen Wissenschaften und Künste auf, während im Krieg alles brach fällt.”
Ein weiterer zentraler Aspekt der humanistischen Bewegung war ihre weltliche Ausrichtung in Verbindung mit einer tiefen Religiosität, die jedoch nicht mehr ausschließlich unter kirchlicher Obhut stand. Die Humanisten, einschließlich Erasmus, sahen in den antiken Schriften nicht nur literarische Vorbilder, sondern auch ethische und lebenspraktische Leitlinien. Der Versuch, durch den Rückgriff auf die antiken Quellen ein besseres Verständnis der Bibel zu erlangen, führte letztlich dazu, dass Erasmus ein neues griechisches Neues Testament herausgab – eine Bibelausgabe, die den Weg für spätere Bibelübersetzungen ebnete und tiefgreifende Auswirkungen auf die theologische Debatte seiner Zeit hatte.
Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Druckerpresse auf die Verbreitung humanistischer Ideen. Der Buchdruck ermöglichte eine weitaus breitere Verteilung der humanistischen Schriften, was die Ideenrevolution der Renaissance entscheidend beschleunigte. Erasmus nutzte diese technologische Errungenschaft meisterhaft, indem er seine Schriften über ein weitreichendes Netzwerk von Druckern und Verlegern in ganz Europa verbreitete.
Im Gegensatz zur reinen Verbreitung von Wissen rückte die Bildung im humanistischen Sinne auch die Entwicklung von Urteilsvermögen und kritischem Denken in den Mittelpunkt. Wo das Mittelalter ein stark schicksalsgläubiges Denken förderte, setzten Humanisten wie Erasmus auf den freien Willen des Menschen und die Tugenden der Vernunft und Weisheit. Diese Reformbestrebungen legten den Grundstein für spätere Bewegungen, darunter die Aufklärung, und öffneten den Weg für moderne Wissenschaft und Bildung.
Letztlich war die humanistische Bewegung eine Zeit des Übergangs, die mit ihren Ideen und Innovationen tiefgreifende Veränderungen in Geisteswelt und Gesellschaft hervorrief. Durch die Wiederbelebung der antiken Literatur und die Betonung individueller Erleuchtung und persönlichen Wissens formulierten Gelehrte wie Erasmus von Rotterdam neue ideale Vorstellungen von Gesellschaft und Bildung, die eine anhaltende Nachwirkung auf die Entwicklung der europäischen Kultur und Bildungslandschaft haben sollten.
Um die beeindruckende Gestalt des Erasmus von Rotterdam und seinen unbezweifelbaren Einfluss auf die humanistische Bildung zu verstehen, ist es essenziell, seine frühen Jahre zu beleuchten. Diese Zeit seiner Kindheit und Ausbildung war prägend für die Entwicklung seiner intellektuellen Neugier und seiner philosophischen Neigungen, die später die Grundpfeiler seines Schaffens darstellten. Geboren um das Jahr 1466 in Rotterdam als Sohn eines Priesters und einer Arzttochter, befand sich Erasmus von Beginn an in einem Spannungsfeld zwischen kirchlichen Traditionen und aufkeimenden reformatorischen Gedanken. Diese dualistische Erfahrungswelt prägte seinen Zugang zu Wissen und Leben tief.
Die Jugendjahre von Erasmus fielen in eine Zeit des Umbruchs. Europa am Ende des 15. Jahrhunderts war geprägt von einem Übergangsschock zwischen Mittelalter und Renaissance. Städte erwachten zu neuen sozialen und wirtschaftlichen Wirkmechanismen, und die Machtverhältnisse zwischen Adel und Bürgertum veränderten sich rasant. Das gedruckte Wort wurde zugänglicher, dank der bahnbrechenden Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450. Diese zunehmende Verbreitung des Wissens weckte neue Formen der Kritik und intellektuellen Auseinandersetzung und legte den Grundstein für die humanistische Bewegung.
Erasmus erhielt seine frühe Ausbildung in der Brüdergemeinde der Regularkanoniker in der Schule von Deventer. Die Schule war bekannt für ihr liberales Klima und ihre Betonung der klassischen Bildung, einer der Grundsätze des heraufziehenden Humanismus. Hier erhielt Erasmus eine umfassende Ausbildung, die ihn mit der lateinischen Sprache und der Literatur der Antike vertraut machte. Es war in Deventer, wo er erstmals die Schriften von antiken Autoren wie Cicero, Horaz und Livius las, deren Stil ihn inspirierte und die in seinem späteren Werk als Quellen figurieren sollten. Diese Bildungseinrichtung förderte nicht nur Wissen, sondern auch die Entwicklung einer nüchternen, kritischen Denkweise. Ein Mitbegründer der Schule, Alexander Hegius, beschrieb diese Zeit treffend: „Bildung besteht nicht darin, dass man Wissen in sich hineinstopft, sondern darin, dass man das Gelernte zu einem Teil von sich selbst macht.“
Der frühe Verlust seiner Eltern führte dazu, dass Erasmus mit etwa vierzehn Jahren in die Obhut geistlicher Institutionen gelangte, wo er sich den Zwängen des klösterlichen Lebens nicht entziehen konnte. Er wurde Novize in einem Augustinerkloster bei Gouda. Dieser Aufenthalt sollte eine ambivalente Phase seines Lebens charakterisieren. Einerseits fühlte sich Erasmus eingesperrt, andererseits verschaffte es ihm auch Zugang zu einer Vielzahl von Büchern und die Möglichkeit zum Studium, was seine autodidaktischen Antriebe weckte. Diese Phase der Isolation zwang ihn, im Studium Zufluchtsstätten zu finden, was seinen Bildungseifer intensivierte und zur Perfektion seiner Sprachkenntnisse beitrug. Erasmus selbst bemerkte später kritisch über das Klosterleben: „Ein Leben der Meditation ist ein Zustand des Lernens, ein wertvoller Raum, doch auch ein goldener Käfig für den Geist.“
Erasmus’ intellektuelles Streben führte ihn schließlich auf die Universitäten von Paris und später Turin, wo er im Jahr 1506 zum Doktor der Theologie promovierte. In Paris kam er in Kontakt mit der fortschrittlichen, humanistisch geprägten Studienwelt, die ihn ermutigte, an maßgeblichen Schriften seines Zeitalters zu arbeiten. Diese sorgfältig gepflegte Ausbildung ermöglichte es Erasmus, eine fundierte Kritik an bestehenden kirchlichen Strukturen zu formulieren und als einer der brillanten Köpfe seiner Epoche zu gelten.
Die prägenden Jahre, die Erasmus in Rotterdam, Deventer und den Klöstern der Niederlande erlebte, formten nicht nur den zukünftigen Gelehrten und Humanisten, sondern auch einen veränderten Ansatz, Bildung nicht nur als Akkumulation von Wissen, sondern als ein inhärentes Werkzeug zur Verbesserung der menschlichen Existenz zu betrachten. Seine Kindheit und Bildung legten den Grundstein für sein späteres Bestreben, die inneren Werte der klassischen Welt in die geistige Renaissance Europas zu integrieren – ein Vermächtnis, das die Humanistenbewegung nachhaltig prägen sollte.
Die Renaissance, diese kulturelle und intellektuelle Explosion, die sich ab dem 14. Jahrhundert von Italien aus über Europa ausbreitete, war eine Zeit des Wandels und der Erneuerung. In einem solch dynamischen Umfeld wurde Erasmus von Rotterdam geboren und geformt, und es ist unabdingbar, die gesellschaftlichen Strömungen dieser Ära zu verstehen, um seinen Einfluss zu würdigen.
Zu den herausragenden Merkmalen der Renaissance gehört die Wiederentdeckung der antiken Kultur, insbesondere der griechischen und römischen Klassiker. Diese Rückbesinnung auf die Antike war nicht nur ein ästhetisches oder literarisches Unterfangen, sondern eine intellektuelle Bewegung, die das Fundament der damals vorherrschenden mittelalterlichen Weltanschauung erschütterte. Alte Texte wurden nicht mehr nur zur theologischen Erbauung herangezogen, sondern inspirierten eine neue Art des Denkens: kritisch, rational und empirisch. Einer der Pioniere dieser Bewegung war Petrarca, oft als der "Vater des Humanismus" bezeichnet, dessen Verehrung der klassischen Kulturen den Boden für kommende Generationen bereitete.
In der Gesellschaft spiegelte sich dieser geistige Umbruch in verschiedenen Bereichen wider. Zum einen veränderte das aufstrebende Bürgertum die sozialen Hierarchien. Städte wuchsen, Handwerk und Handel florierten, und es entwickelte sich eine neue städtische Elite, die Bildung und Kultur förderte. Dies führte zu einer Verschiebung der Machtstrukturen, weg von der feudalen Abhängigkeit hin zu städtischer Autonomie und wirtschaftlicher Macht, die sich auch in der vermehrten Gründung städtischer Universitäten zeigte.
Weiters prägten der aufkommende Individualismus und die Betonung der persönlichen Leistung das gesellschaftliche Klima. Während des Mittelalters war das kollektive Verständnis der Welt durch die Kirche stark geprägt. Die Renaissance hingegen richtete den Fokus vermehrt auf das Individuum und seine Fähigkeiten. Künstler wie Leonardo da Vinci oder Michelangelo wurden zu Ikonen einer Ära, die menschliches Potenzial und Genialität zelebrierte. Die Entstehung des 'Renaissance-Menschen', eines Gelehrten, der in verschiedenen Disziplinen beheimatet ist, spiegelt diese Werte wider.
Neben diesen gesellschaftlichen und kulturellen Strömungen gewannen auch neue geistige Bewegungen an Einfluss. Reformbestrebungen innerhalb der Kirche riefen sowohl Befürworter als auch Kritiker auf den Plan. Noch bevor Martin Luther mit seinen 95 Thesen die religiöse Landschaft Europas revolutionierte, gab es innerhalb der Kirche Stimmen wie John Wyclif und Jan Hus, die Missstände anprangerten und eine Rückkehr zu den Wurzeln des Christentums forderten. Diese reformerischen Tendenzen brachen lange bestehende religiöse Monopole auf und schufen Raum für theologische und philosophische Diskussionen.
Der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts kam in diesem Kontext große Bedeutung zu. Die Verbreitung von Wissen und neuen Ideen wurde so massiv erleichtert, dass man gegen Ende des Jahrhunderts von einer Medienrevolution sprechen kann. Zum ersten Mal konnte ein breiteres Publikum Zugang zu Texten, Schriften und wissenschaftlichen Diskursen erlangen, was die intellektuelle Beweglichkeit dieser Epoche weiter beflügelte. Erasmus selbst nutzte den Buchdruck intensiv, um seine Schriften in ganz Europa zu verbreiten.
Diese gesellschaftlichen Strömungen der Renaissance schufen einen fruchtbaren Boden, auf dem die Ideale von Bildung, Wissen und kritischem Denken gedeihen konnten. Erasmus wurde in dieser Zeit nicht nur zu einem Protagonisten des Humanismus, sondern auch zu einem Bindeglied zwischen den verschiedenen geistesgeschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit. Sein Werk und sein Wirken können nur im Lichte dieser kulturellen Dynamiken vollständig erfasst und gewürdigt werden.
Um die Bedeutung dieser Periode für Erasmus' Leben und Werk zu begreifen, ist es wesentlich, die Komplexität der Renaissance als eine Phase des Übergangs und der Neuorientierung zu erkennen. Die Renaissance war eine Zeit, in der althergebrachte Traditionen aufgebrochen wurden und neue Denkmuster entstanden, in der die Welt als Ort des Handelns und des Wandels betrachtet wurde — eine Welt, die von Erasmus mitgestaltet wurde und in der seine Ideen nach wie vor lebendig sind.
In der Betrachtung der intellektuellen Entwicklung von Erasmus von Rotterdam ist der Einfluss der Klöster und Universitäten von entscheidender Bedeutung. Diese Institutionen waren in seiner Zeit die wichtigsten Zentren des Lernens und der Lehre und hatten maßgeblichen Einfluss auf die Geistesbildung der Zeitgenossen und auf Erasmus selbst. Sein Werdegang zeigt deutlich, wie stark der geistige Horizont durch die Erfahrungen und das Wissen geprägt wurde, das ihm in diesen Zentren des Wissens vermittelt wurde.
Zunächst ist das Klosterleben, das Erasmus in der flämischen Abtei Steyn erlebte, von großer Bedeutung. Klöster waren im Mittelalter die Bewahrer von Wissen, insbesondere durch ihre Bibliotheken und ihre Tradition der Manuskriptkopien. In der klösterlichen Umgebung hatte Erasmus Zugang zu einer der umfassendsten Sammlungen von theologischen und philosophischen Texten seiner Zeit. Diese Texte legten den Grundstein für seine spätere humanistische Denkweise. Die Schriften der Kirchenväter, insbesondere Augustinus, sowie Werke antiker Philosophen, die in den klösterlichen Bibliotheken aufbewahrt wurden, prägten seine frühen Jahre maßgeblich.
Die Art der Bildung, die er im Kloster erhielt, war durch die Scholastik geprägt, eine dominierende Methode des Mittelalters, die darauf abzielte, Glaubenswahrheiten durch dialektische Argumentation zu beweisen. Die theologischen Dispute, die er in diesen Jahren erlebte, weckten in ihm jedoch eine Skepsis gegenüber der rein spekulativen Theologie, die er in späteren Schriften wie „Enchiridion Militis Christiani“ kritisierte. Erasmus‘ eigene Worte reflektieren diese Zeit: „Denn es ist besser, sein Leben durch stille Andacht zu verbessern, als durch eitles Geschwätz die Neugier der Menschen zu erregen“ (Erasmus, „Enchiridion Militis Christiani“).
Nachdem Erasmus aus der klösterlichen Isolation herausgefunden hatte, waren es die Universitäten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, die seinen intellektuellen Horizont weiter erweiterten. Besonders die Universitäten in Paris und Löwen, die er besuchte, spielten eine entscheidende Rolle in seiner Ausbildung. An der Universität von Paris erlebte Erasmus eine Bildung, die weiterhin stark von der Scholastik geprägt war, er jedoch auch die Möglichkeit erhielt, sich als Klassikerforscher weiter zu entwickeln. Die damalige Lehrmethode betonte das intensive Studium der alten Texte, das Studium der artes liberales und eine Rückkehr zu den Ursprüngen der lateinischen und griechischen Literatur, die die Grundlage für das humanistische Studium bildeten.
An der Universität von Löwen war Erasmus mit Gelehrten wie Adriaan von Utrecht (später Papst Hadrian VI.) verbunden, die wiederum seine Gedankenwelt beeinflussten. Es war eine Zeit, in der die alten Manuskripte von griechischen Philosophen und römischen Autoren wie Plato, Cicero und Seneca neuen Aufschwung erfuhren und das intellektuelle Klima der Universitäten transformierten. Erasmus begann, sich intensiver mit diesen Werken auseinanderzusetzen, was seine Haltung gegenüber dem gedruckten Wort und dem Verlagswesen prägte, die er in seinen späteren Jahren weiterentwickelte.
Daher können die Klöster und Universitäten als die Quelle gesehen werden, die die intellektuelle Landschaft formten, aus der Erasmus schöpfte. Sie waren Orte, die seine kritische Haltung und sein Streben nach Wissen prägten und zu seiner zentralen Rolle in der humanistischen Bewegung führten. Die Begegnung mit den alten Texten in der Umgebung dieser Institutionen bestärkte Erasmus in seiner Überzeugung, dass Erneuerung und Wiederentdeckung der klassischen Bildung wichtige Instrumente sind, um sowohl die Gelehrten als auch die breite Öffentlichkeit zu bilden. Der Einfluss dieser frühen Erfahrungen ist evident in der umfassenden humanistischen Perspektive, die Erasmus für seine Generation und darüber hinaus leitete.
Erasmus von Rotterdam, einer der bedeutendsten Gelehrten der Renaissance, lebte in einer Zeit, die von herausragenden Persönlichkeiten geprägt war. Diese leitenden Figuren beeinflussten nicht nur das politische, religiöse und kulturelle Leben, sondern auch das Denken und die Werke von Erasmus. In diesem Abschnitt wollen wir uns eingehend mit den wichtigsten Zeitgenossen von Erasmus befassen, um ein besseres Verständnis für die Umgebung und den Einfluss dieser außergewöhnlichen Persönlichkeiten auf den großen Humanisten zu gewinnen.
Eine der zentralen Figuren in der Welt von Erasmus war Thomas Morus, der englische Staatsmann und Humanist, der 1478 geboren wurde. Morus und Erasmus verband eine enge Freundschaft, die sich hauptsächlich durch ihre gemeinsame Liebe zur klassischen Antike und ihre humanistische Bildungsideale manifestierte. Morus' Werk "Utopia" (1516) stellte eine perfekte, aber unerreichbare Gesellschaft dar und spiegelte viele Ideen wider, die zusammen mit Erasmus entwickelt wurden. In seinem Vorwort zu "Encomium Moriae" (das Lob der Torheit), welches Erasmus während eines Aufenthalts in England verfasste, widmete er das Werk seinem Freund und betonte dessen Einfluss auf sein Denken: „Thomas Morus, dem berühmtesten aller großen Geister dieser Zeit, sende ich seine Torheit als Dank für seine eigene Weisheit.“
Ein weiterer bedeutender Einfluss auf Erasmus war Johannes Reuchlin, ein deutscher Humanist und einer der führenden Hebraisten seiner Zeit. Reuchlins Kenntnisse über die hebräische Sprache inspirierten Erasmus, der sich intensiv mit der biblischen Exegese beschäftigte, und beeinflusste seine Arbeit am Neuen Testament. Reuchlin vertrat die Prinzipien der Bildung und der gelehrten Toleranz, die Erasmus sehr schätzte.
Auch Martin Luther, der als Ausgangspunkt der protestantischen Reformation gilt, durfte nicht unerwähnt bleiben. Trotz der Spannungen, die später zwischen ihnen auftraten, beeinflusste Luther Erasmus in den frühen Jahren seines reformatorischen Denkens. Beide teilten eine Kritik an der Korruption innerhalb der Kirche, auch wenn sie sich später in der Frage der freien Willens als unversöhnlich gegenüberstanden. Diese theologische Kontroverse spitzte sich zu, als Luther in der Schrift „De servo arbitrio“ (Über den unfreien Willen) gegen Erasmus’ „De libero arbitrio“ (Über den freien Willen) argumentierte.
Ein weniger bekannter, aber nicht minder wichtiger Zeitgenosse von Erasmus war Guillaume Budé, ein französischer Humanist und führender Gelehrter im Bereich der griechischen Sprache. Budés intellektuelle Unternehmungen und der Ausbau der königlichen Bibliothek waren Beispiele für die Verbreitung humanistischen Wissens, das Erasmus inspirierte und unterstützte. Ihre Korrespondenzen bezeugen den Austausch von Ideen und den Respekt, den sie füreinander hegten.
Schließlich spielte Albrecht Dürer, der renommierte deutsche Maler und Druckgrafiker, eine bedeutende Rolle als Zeitgenosse von Erasmus. Während ihres Treffens in den Niederlanden fanden Dürers Visionen und Bildnisse auch Eingang in Erasmus’ Vorstellungen künstlerischer und kultureller Reformation.
Diese bemerkenswerten Persönlichkeiten formten durch ihre Interaktionen, ihre Werke und ihre Gedanken die intellektuelle Landschaft, in der Erasmus von Rotterdam verkehrte. Ihre Einflüsse trugen zur Entwicklung seines humanistischen Denkens und philosophischen Wirkens bei, welches auch heute noch als Eckpfeiler des intellektuellen und kulturellen Diskurses angesehen wird.
Die Reformation, sowohl eine religiöse als auch eine weltliche Bewegung, erschütterte die europäische Gesellschaft im 16. Jahrhundert in ihren Grundfesten und hatte tiefgreifende Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des Lebens. Um das Wirken und die Gedankenwelt von Erasmus von Rotterdam besser zu verstehen, ist es essenziell, die Reformation und ihre Vorläufer in den Blick zu nehmen. Die kirchlichen und kulturellen Umwälzungen jener Zeit prägten nicht nur sein Schaffen, sondern auch seine Entscheidungen und die Rezeption seiner Werke.
Bereits im Spätmittelalter regte sich an verschiedenen Orten Kritik an der katholischen Kirche. Diese Kritik galt weniger der Kirche als Institution, sondern vielmehr ihrem korrumpierten Zustand. Geistliche Missstände waren offensichtlicher denn je. Der Ablasshandel, die moralische Dekadenz der Kleriker und die institutionelle Erstarrung der Kirche führten zu wachsendem Unmut unter den Gläubigen. Diese Kritik äußerte sich besonders in den Bewegungen des John Wyclif in England und Jan Hus in Böhmen. Wyclif war ein Vorreiter der Reformbestrebungen und kritisierte die Konzentration der kirchlichen Macht und ihren Einfluss auf politische Angelegenheiten. Seine Gedanken fanden Nachhall in den Lehren von Hus, der sich für eine Rückkehr zu einem einfacheren und bibeltreuen Christentum einsetzte. Wyclif und Hus trugen somit erheblich dazu bei, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Reform zu schaffen.
Mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert verbreiteten sich Ideen schneller als je zuvor. Diesem technischen Fortschritt verdankt auch der Reformator Martin Luther viel: Seine 95 Thesen, ursprünglich 1517 in Wittenberg angeschlagen, konnten rasch und weitreichend verbreitet werden und führten schlagartig zur Aufkündigung des kirchlichen Status quo. Luthers Forderungen nach einer Reform der universalen Kirche und seiner Kritik an der institutionellen Heuchelei führten zu einer Zeitenwende. Er propagierte eine direkte Beziehung zwischen dem Gläubigen und Gott und setzte sich für die Ausschaltung der kirchlichen Mittlerrolle ein. Die Forderung nach Übersetzung und Zugänglichkeit der Heiligen Schrift für alle Menschen in ihrer jeweiligen Landessprache war zentral für die Reformbewegung.
Erasmus von Rotterdam stand der heraufziehenden Reformationsbewegung ambivalent gegenüber. Seine Kritik an den Missständen innerhalb der Kirche war grandis, doch er vertraute eher auf religiöse Mildtätigkeit und den Humanismus als Mittel zu einer innerkirchlichen Erneuerung. In seinem berühmten Werk "Enchiridion militis Christiani" betonte Erasmus die inneren Werte und die Bildung als Fundament eines christlichen Lebens, was ihn in gewisser Weise zum Vorläufer reformatorischer Gedanken machte. Doch er lehnte eine Spaltung der Kirche strikt ab, wie sie durch die Reformatoren gefördert wurde. Sein Bestreben war es vielmehr, die Kirche durch Bildung und ethische Erneuerung zu reformieren und nicht durch eine revolutionäre Abkehr von ihrer Struktur.
Es ist wichtig zu vermerken, dass die Bewegung des Humanismus, zu der Erasmus als herausragender Vertreter zählt, einen prägenden Einfluss auf die Reformation selbst ausübte. Die humanistischen Bildungsbestrebungen und der Rückgriff auf die klassische Antike waren Initialzündungen für die wissenschaftliche Theologie. Diesem bildnerischen Humanismus verdankte die Reformation vieles, und nicht ohne Grund wurde Erasmus als "Präceptor Europae" bezeichnet, als Lehrer Europas.