Erbe der Elbenkraft: Fantasy Paket - Alfred Bekker - E-Book

Erbe der Elbenkraft: Fantasy Paket E-Book

Alfred Bekker

0,0

Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Fantasy Abenteuer (499) von Alfred Bekker Gorian und der Kampf gegen die Drachen Gorian und das verschwundene Schwert Gorian - Der Magier von Nelbar Der Fluch des Zwergengolds Drachen-Attacke Sturm auf das Elbenreich Lirandil – Der Fährtensucher der Elben Kerlock - Welt der Trugbilder Nach dem Sieg über Morygor und der Vertreibung des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, ist Gorian der größte Magier seines Zeitalters. Keine Macht scheint ihn bedrohen zu können – bis auf jene Kräfte, die aus seinem Inneren kommen. Er gerät in eine Schlacht uralter Götter gegen die Macht der Drachen… Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 702

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred Bekker

UUID: 275f25b8-ab51-4bdd-b59b-9ad90e83d99e
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Erbe der Elbenkraft: Fantasy Paket

Copyright

Gorian und der Kampf gegen die Drachen

Gorian und das verschwundene Schwert

Gorian - Der Magier von Nelbar

Der Fluch des Zwergengolds

Drachen-Attacke!

Sturm auf das Elbenreich

LIRANDIL – DER FÄHRTENSUCHER DER ELBEN

Übersicht: Athranor & Zwischenland

Kerlock - Welt der Trugbilder

Erbe der Elbenkraft: Fantasy Paket

von Alfred Bekker

Dieses Buch enthält folgende Fantasy Abenteuer

von Alfred Bekker

Gorian und der Kampf gegen die Drachen

Gorian und das verschwundene Schwert

Gorian - Der Magier von Nelbar

Der Fluch des Zwergengolds

Drachen-Attacke

Sturm auf das Elbenreich

Lirandil – Der Fährtensucher der Elben

Kerlock - Welt der Trugbilder

Nach dem Sieg über Morygor und der Vertreibung des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, ist Gorian der größte Magier seines Zeitalters.

Keine Macht scheint ihn bedrohen zu können – bis auf jene Kräfte, die aus seinem Inneren kommen. Er gerät in eine Schlacht uralter Götter gegen die Macht der Drachen…

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER mit Motven von Albert Bierstadt und W.Öckl

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Gorian und der Kampf gegen die Drachen

von Alfred Bekker

Nach dem Sieg über Morygor und der Vertreibung des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, ist Gorian der größte Magier seines Zeitalters.

Keine Macht scheint ihn bedrohen zu können – bis auf jene Kräfte, die aus seinem Inneren kommen. Er gerät in eine Schlacht uralter Götter gegen die Macht der Drachen...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www. AlfredBekker.de

postmaster@alfredbek ker.de

Folge auf Twitter

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags geht es hier

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

1

Ein Land.

Ein Kontinent.

Ein Schlachtfeld.

Irgendwo auf einer der vielen Welten in den unzähligen Dimensionen des Multiversums.

Die Götter von Chaos, Ordnung, Licht und Finsternis hatten sich zusammengetan, um die Drachen zu besiegen

Ein riesenhafter Streitwagen fuhr voran.

Das monströse Gefährt wurde von sechs zweiköpfigen Löwen gezogen. Der Krieger, der diesen Wagen lenkte, war unverkennbar der Gott Ahyr (der sich in manchen Varianten des Multiversums auch Rhyr nennen ließ) - leicht zu erkennen an seinen drei dämonisch leuchtenden Augen und der monströsen Streitaxt.

Er war Gott des Lichts.

Erbarmungslos wie die gleißende Sonne selbst.

Der Gott Ahyr zügelte seine Löwen und der Wagen kam vorübergehend zum Stillstand.

Ihm folgte Taykor, der Gott der Dunkelheit und normalerweise Ahyrs ärgster Feind, der Gestalt eines monströs großen Kriegers angenommen hatte. Aber Feindschaften unter den Göttern waren schon immer so wechselhaft wie ihre Koalitionen und Bündnisse.

Taykor ritt auf einem riesenhaften, sechsbeinigen Pferd und reckte einen monströsen Dreizack gen Himmel.

Blaakon war der Gott der Ordnung, und er betrachtete sich selbst als König der Götter. Die magisch schimmernde Krone auf seinem Haupt gab davon Zeugnis ab.

Er schwebte mit einer sphärenhaften Lichtbarke. Sein hellweißer Bart schien zu manchmal zu brennen und seine Rüstung, sein Schwert und sein Zepter schimmerten auf magische Weise.

Arodnap, der Gott des blindwütigen Chaos und des Krieges, hatte die Gestalt eines fellbehangenen Riesen angenommen, der eine mit Obsidiansplittern besetzte Keule schwang.

Das Land, das sich vor ihnen erstreckte, war öde, und schwefelhaltige Dämpfe stiegen überall aus Löchern und Öffnungen im Gestein.

Der blindwütige Arodnap stieß einen Schrei aus und schlug mit der Obsidiankeule auf den Boden. Blitze zuckten daraufhin aus dieser Keule heraus und setzten sich über das Gestein fort. Blaakon ließ seine sphärenhafte Lichtbarke etwas höher steigen, damit diese Blitze ihn nicht ansprangen. Die zweiköpfigen Löwen von Ahyrs Gespann wurden unruhig und drohten durchzugehen. Und dasselbe galt für das monströse sechsbeinige Pferd, auf dessen Rücken Taykor saß. Das sechsbeinige Pferd richtete sich auf. Und Taykor hielt den Dreizack drohend in Arodnaps Richtung.

"Macht das nicht noch einmal, du Narr unter den Göttern!", rief Taykor.

"Ich will wissen, wer um aller Welten des Multiversums Willen, uns hierher gebracht hat! Was haben wir hier zu suchen!" Arodnap brüllte diese Worte förmlich heraus. Ein empfindsames Wesen wäre unter dem begleitenden Gedankenstrom wahnsinnig geworden.

Glücklicherweise zählte keiner der anderen drei Götter dazu.

"Was tun wir hier?", brüllte Arodnap. "Hat sich das noch keiner von euch gefragt?"

"Wir erschlagen ein paar Drachen", sagte Blaakon. "Wir tun das, was Götter so tun: Wir schaffen Ordnung - und manchmal Chaos."

"Woooo sind die Drachen, verflucht nochmal?", brüllte Arodnap und während er seine Obsidiankeule durch die Luft wirbelte, leuchtete sie grell auf und funkelte in allen Farben des gebrochenen Lichtes.

"Es zwingt dich niemand, dabei zu sein", stellte Taykor fest, der sein sechsbeiniges Pferd zügelte und den Dreizack aus dem Futteral auf seinem Rücken hervorzog.

Er hob den Kopf.

Von seinem Gesicht war nichts zu sehen, da es von einem Helmvisier bedeckt wurde.

Lediglich die Augen des Gottes waren sichtbar.

Sie waren rotglühend wie die Augen eines Dämons.

"Es nähert sich etwas", stellte Taykor fest. "Oder jemand…"

2

Die Erde brach auseinander. Ein Spalt bildete sich und setzte sich auf dem Boden fort, verzweigte sich immer wieder und ließ Lava an die Oberfläche quellen. Das Erdreich erhob sich und ein gewaltiges Geschöpf erhob sich. Lava und Schlacke perlten von ihm ab, fast so, als würde das Geschöpf aus dem Wasser steigen.

Ein gewaltiges Maul öffnete sich und ließ einen Feuerstrahl hervorzucken. Die Luft war jetzt schwefelgeschwängert. Ein Sterblicher hätte kaum zu atmen vermocht.

Aber die vier Götter, die sich hier zum Kampf versammelt hatten, glaubten sich gewappnet.

"Das ist der Erste von ihnen", stellte Ahyr fest. Die zweiköpfigen Löwen seines Kriegswagens scheuten ein wenig. Allein das war schon erstaunlich.

"Es wird Zeit, dass wir eine Armee aufstellen!", rief Blaakon. Seine schimmernde Sphärenbarke stieg etwas empor. Dann richtete Blaakon sein Schwert in Richtung Boden. Ein Strahl fuhr daraus hervor. Das ganze Schwert schien sich in einen Flammenstrahl zu verwandeln.

Dieser Strahl erreichte das Lavagestein, dass daraufhin verflüssigt wurde.

Krieger formten sich daraufhin aus dem glühenden Gestein.

Kompakte, trollähnliche Gestalten, die an eine durch Göttermagie lebendig gewordene Terrakotta-Armee erinnerten.

Auf einen Schwenk von Blaakons Zepter hin setzten sich diese erdgrauen, nur schwach konturierten Kolonnen in Bewegung und stürmten auf den gewaltigen, sich nun zu voller Größe aus dem Erdreich erhebenden Drachen zu.

Glühende Speere formten sich aus den Händen dieser Krieger.

Diese Glutspeere wurden Richtung des Drachen geschleudert. Magische Blitze zuckten dabei aus den glühenden Speeren heraus.

Etliche trafen den Drachen und blieben in seinen Schuppen hängen. Das gewaltige Geschöpf schüttelte sich und brüllte so laut, dass jedem Sterblichen vermutlich das Trommelfell geplatzt wäre.

Heißer, brennender Feueratem drang aus dem Drachenmaul und fegte durch die heranstürmenden Steinkrieger des Götterheeres, das Blaakon mit der puren Kraft seiner Magie erschaffen hatte.

Die Steinkrieger schmolzen reihenweise dahin.

Sie wurden zu flüssiger Lava und mischten sich mit jener Lava, die aus den Brüchen und Ritzen des Erdreichs emporquoll.

Es dauerte nur Augenblicke und von Blaakons Steinkrieger-Heer war nicht ein einziger Krieger noch existent.

Sie waren zu einer breiigen Masse geworden und wurden wieder eins mit dem Erdreich, aus dem sie entstanden waren.

"Scheint, als müssten wir selber kämpfen, ach so erhabener Blaakon!", rief Arodnap und ließ die Obsidiankeule auf den Boden donnern.

Blitze zuckten daraufhin über die Erde und dem Drachen entgegen.

Arodnap schlug erneut seine Keule auf den Boden.

Immer wieder.

Die Obsidiansplitter, die in die Keule eingearbeitet waren, begannen dabei auf magische Weise zu leuchten. Das Licht, dass sie abgaben wurde immer immer greller und greller. Es war so blendend weiß wie die Sonne. Der Drache wendete sich mit einem schmerzerfüllten Brüllen ab. Offenbar reagierten seine Augen empfindlich auf dieses Licht.

"Ja, jetzt wirst du sehen, wozu Götter im Stande sind!", rief Arodnap. Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzerrt. Er wirkte völlig außer sich. Ein wahnsinniger, barbarischer Berserker, der sich völlig seiner Kampfeswut hingegeben hatte.

Immer wieder berührte die Obsidiankeule den Boden.

Das Licht, das von den Splittern ausging, war jetzt so grell, dass nicht nur der Drache, sondern auch die anderen Götter davon in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die zweiköpfigen Löwen, die Ahyrs Streitwagen zogen, wurden unruhig. Ihr Brüllen hatte keineswegs jenen triumphalen, erhabenen Klang, den man sonst von ihnen gewohnt war. Sie wandten die Köpfe zur Seite.

Und auch das monströse Streitross, auf dem Taykor ritt, war durch das grelle Licht völlig außer sich. Das sechsbeinige Geschöpf stellte sich auf die Hinterhand und ruderte mit vier Paar Hufen in der Luft, während Taykor verzweifelt versuchte, sich im Sattel zu halten. Welche Schande wäre es für einen Gott wie ihn gewesen, wenn sein eigenes Reittier ihn zu Boden geworfen hätte!

Taykor berührte das sechsbeinige Pferd mit seinem Dreizack, wobei ein magischer Blitz aus der Waffe herauszuckte und das Tier so willenlos machte, dass Taykor es wieder nach Belieben zu beherrschen vermochte. So, als wäre es ein Teil seines eigenen Körpers.

Immer wieder hämmerte Arodnap mit der Keule auf den Boden.

Das Licht war so grell, das selbst die Lichtbarke von Blaakon dagegen finster erschien.

Die Blitze, die wie Spinnenbeine über den Boden krochen, sich vereinigten und wieder auseinandergingen, bildeten ein schimmerndes Netz aus zuckenden, miteinander auf eigenartige Weise verwobenen Linien aus purem Licht.

Der Drache breitete ein paar imposante Flügel aus, die bis dahin zusammengefaltet auf seinem Rücken geruht hatten.

Die magischen Blitze erfassten ihn nun und ließen ihn augenblicklich verbrennen. Er zerfiel zu Asche, die von einem aufkommenden Wind verweht wurde.

Nur Augenblicke später war da nichts mehr.

"Respekt!", rief Taykor.

"Wer hätte dem Gott des Chaos so etwas zugetraut!", lautete der Kommentar von Ahyr.

"Vielleicht habt ihr mich alle unterschätzt", erwiderte Arodnap triumphierend. Sein Kopf verwandelte sich für einen Augenblick in eine tierhafte Grimasse mit langen Hauern und einer grotesk vorgewölbten Stirn. Geifer troff an den Hauern herab während Arodnap seine Keule in die Luft warf und mit den Fäusten auf seinen fellbehangenen Brustkorb trommelte. Im nächsten Moment fing er die Obsidiankeule wieder auf.

"Wer hätte gedacht, dass diese Aufgabe so leicht war!", stieß er dann hervor, nachdem sein Gesicht wieder menschlich geworden war - ausgestattet mit einem Mund, der auch in der Lage war, Worte zu formen. "Zu leicht für Götter!"

"Wer sagt, dass die Aufgabe schon beendet ist", sagte Blaakon.

Seine Lichtbarke bewegte sich etwas seitwärts. Er deutete mit dem Schwert in die Ferne, zum Horizont. Hunderte von Drachen erhoben sich jetzt aus dem Erdreich. Überall brach der Boden auf. Die Erde erzitterte, bebte. Drachenmäuler öffneten sich und stießen Schwefelatem und Feuer aus. Gewaltige Flügelpaare entfalteten sich. Riesenhafte, turmdicke Beine setzten einen donnernden Schritt vor den andren.

Der erste Drache, den Arodnap getötet hatte, war gegenüber diesen Riesenexemplaren nur ein Winzling gewesen. Die Sonne wurde durch die gewaltigen Geschöpfe verdunkelt.

Und es waren viele.

Sehr viele.

Hunderte.

Tausende.

Abertausende.

Es wurden so viele, dass ein Betrachter den Eindruck gewinnen konnte, der Horizont selbst würde sich zum Kampf erheben.

Das Grollen und Raunen dieser Drache bildete einen Chor. Ihr Atem einen Wind schwefelhaltiger, tödlicher Gase. Die Feuerstöße aus ihren Mäulern eine immer heftiger aufflackernde Flammenwand.

Die vier Götter, die angetreten waren, um die Drachenmacht zu besiegen, wirkten konsterniert.

"Die Aufgabe ist vielleicht doch etwas anspruchsvoller, als es zunächst den Anschein hatte", stellte Ahyr fest und umfasste seine Streitaxt, während seine andere Hand die Zügel seiner zweiköpfigen Löwen hielt.

Selbst der barbarische Arodnap war angesichts der geballten Drachenmacht am Horizont erbleicht.

"Wir werden viele von ihnen vernichten", sagte er dann. "Aber wir können sie unmöglich alle töten!"

3

Der titanische Kampf - lange vor der Zeit und jenseits der Dimensionen - zwischen uralten Göttern und gewaltigen Drachen zog sich in die Länge.

Keine der beiden Seiten konnte anscheinend die Oberhand gewinnen.

Wann immer die Götter einen Drachen töteten, erhoben sich dafür vier neue aus dem aufgeschmolzenen Erdreich.

Vier Götter kämpften gegen die Abertausende von Drachen. Vier Götter, die sich einer Übermacht der gewaltigen, feuerspeienden Wesenheiten entgegenstellten.

Blaakon, der Gott der Ordnung, schwebte auf seiner Lichtbarke und richtete sein Zepter und Schwert in Richtung der angreifenden Drachen. Aus beidem drangen Feuerstrahlen, die die Drachen reihenweise verglühen ließen, noch ehe die meisten von ihnen die Flügel ausgebreitet hatten.

Arodnap, der blindwütige Gott des Chaos, der die Gestalt eines fellbehangenen Barbarenkriegers angenommen hatte, schlug mit seiner mit funkelnden Obsidiansplittern besetzten Keule auf den Boden, woraufhin Blitze zuckten, die die Drachen wie Spinnweben umfingen und sie anschließend zu Asche verglühen ließen.

Taykor, der Krieger auf dem sechsbeinigen Riesenpferd, schleuderte seinen Dreizack, der daraufhin magisch glühte und wie eine Sense durch die Reihen der heranstürmenden Drachen fegte. Anschließend kehrte diese magische Waffe wieder zurück in die ausgestreckte Hand Taykors, der sich auch Gott der Dunkelheit und Finsternis nennen ließ.

Sein Gesicht blieb hinter dem Helmvisier verborgen. Magie ließ den Dreizack den Weg zurück in seine ausgestreckte Pranke finden. Und Magie war es auch, die ihn anschließend wieder den Feinden entgegen schleuderte.

Ahyr trieb seinen Kriegswagen voran. Aus den Mäulern der zweiköpfigen Löwen, die diesen Wagen zogen, drang ein schwarzer Hauch aus insektenschwarmartigen Teilchen, die die Drachen einhüllten und vernichteten. Sie zerfraßen sie, so als würden diese winzigen Teilchen in Wahrheit aus kleinsten, gierigen heuschreckenähnlichen Geschöpfen bestehen, die ihren Hunger stillten.

Ahyr schwang dabei seine Streitaxt.

Es war eine monströse Waffe mit doppelter Klinge.

Der Gott des Lichts ließ den Stiel der Axt in seiner Hand um die eigene Achse drehen - und das auf eine Weise, die vollkommen jeglichen Naturgesetzen zu widersprechen schien. Aber an Dinge wie Naturgesetze war ein Wesen wie Ahyr nicht derselben Weise gebunden wie die Sterblichen. Die doppelte Axtklinge drehte sich wie ein Windrad. Ahyr brüllte magische Worte in einer Sprache, die selbst gemessen an den uralten Göttern alt war. Eine magische Sprache, mit der sich Materie beherrschen ließ und die in der Lage war, die Elemente selbst zu gehorsamen Dienern zu machen.

Die sich wirbelnd drehenden Axtklingen erzeugten Funken aus gleißendem Licht. Ein Feuerregen ging von dieser Axt aus und wo immer einer dieser magischen Funken auf einen Drachen traf, wurde dieser vernichtet.

Der Geruch von Schwefel hatte zunächst überall in diesem öden, steinigen Vulkanland geherrscht.

Schwefel, der durch den Atem der Drachen entstand - und manchmal auch einfach durch die Erdritzen empordrang.

Aber jetzt begann ein anderer Geruch vorherrschend zu werden.

Es war der Gestank von verbranntem Drachenfleisch.

4

Die Übermacht war unendlich groß. Um ihr zu begegnen, schufen die vier Götter immer wieder Heere, die sie unterstützten. Krieger, die sich dem Stein erhoben und blindwütig gegen die Drachen stürmten. Manche dieser Krieger waren mit der Kraft einer dunklen Göttermagie aufgeladen, sodass sie einen Drachen töten konnten, sobald sie ihn auch nur berührten. Die meisten dieser trollähnlichen, im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Boden gestampften Kreaturen wurden bereits vernichtet, ehe sie ihren Drachenfeinden überhaupt nahe genug kommen konnten, um die Kräfte, die man ihnen eingegeben hatte, überhaupt wirksam werden lassen zu können.

Sie verbrannten in den Feuerstößen, mit denen die Drachen sie versengten. Oder wurden einfach von den mächtigen Pranken der Drachen erfasst und fortgeschleudert.

“So werden wir sie auf Dauer nicht besiegen”, meinte Blaakon schließlich resigniert. Der Gott der Ordnung war mit seiner Lichtbarke emporgestiegen, um sich einen besseren Überblick über das Schlachtgeschehen zu geben.

Die Horden der Drachen waren so zahlreich, dass man inzwischen glauben konnte, dass ganze Land bestünde nur aus aneinandergedrängten Drachenkörpern, die sich nach und nach erhoben, um gegen vier Götter in den Krieg zu ziehen. Ein einziges lebendiges Gewimmel war da unter ihnen und Schwaden von schwefeligen Dämpfen stiegen von dieser Drachenbrut empor.

Blaakon entschied sich dazu, einen mächtigen Zauber anzuwenden.

Einen Zauber, den er hatte vermeiden wollen, denn es gab keine Magie ohne Nebenwirkungen.

Und die häufigste Nebenwirkung jeglicher Magie war die Erschöpfung desjenigen, der sie anwendete.

Kräfte sind kostbar, so hatte Blaakons Maxime immer gelautet. Man durfte sie nicht verschwenden. Wer Kräfte unnötig verschwendete, ging das Risiko ein, dass irgendjemand den Augenblick der Schwäche bei einem erkannte - und ausnutzte.

Aber es gab keine andere Möglichkeit, erkannte Blaakon.

Die Drachen waren zu mächtig.

Der Kampf würde sich sonst über Äonen hinziehen und wahrscheinlich bis zur völligen Erschöpfung beider Seiten andauern.

Blaakon steckte sein Schwert ein und ließ das Zepter hinter seinem Gürtel verschwinden. Stattdessen streckte er seine Hände aus. Seine Augen begannen zu glühen. Seine Hände ebenfalls. Fledermausähnliche Geschöpfe - keines von ihnen größer als ein Finger - drangen in großer Zahl aus Augen und Händen des Gottes und bildeten einen Schwarm gleißender Fledertiere. Diese teilten sich mehrfach, um schon im nächsten Moment zu gleicher Größe wieder heranzuwachsen.

Innerhalb von Augenblicken wuchs dieser gleißende Schwarm daher unübersehbar an. Dann stürzte sich der Schwarm auf die Drachen. Dabei teilten sich die gleißenden Fledertiere immer wieder aufs Neue.

Die Drachen hatten diesem Schwarm nichts entgegenzusetzen.

Sie verbrannten unmittelbar nach einer Berührung mit diesen Wesenheiten.

Die Lichtfledertiere flogen oft einfach durch die massigen Drachenkörper hindurch und hinterließen eine Spur aus Brand und Drachenblut.

Der Schwarm teilte sich und bildete einen weiteren Schwarm. Und diese beiden Schwärme teilten sich schon nach kurzer Zeit ebenfalls, so wie auch jedes einzelne dieser schwirrenden Wesen, deren Flügelschläge so schnell waren, dass ein sterblicher ihre Gestalten nicht hätte erkennen können.

Die Anzahl der Drachen, die zur gleichen Zeit aus dem Erdreich emporwuchen, konnte mit dem Wachstum von Blaakons magischen Schwärmen nicht mithalten.

Die Drachenmacht wurde zusehends in ihre Schranken gewiesen.

“Mein Respekt vor dem Gott der Ordnung”, stieß Arodnap, der Gott des Chaos, bewundernd hervor, als er sah, wie sehr die Drachen innerhalb einer (zumindest gemessen an den Maßstäben der Götter) recht kurzen Zeitspanne dezimiert worden waren.

Arodnap stützte sich auf die Obsidiankeule.

Warum sich weiter verausgaben, wenn es nicht nötig war?, dachte er und sah zu, wie Blaakon von seiner schwebenden Lichtbarke aus der Drachenmacht Einhalt gebot.

5

Es dauerte noch eine geraume Weile, bis kein Drache mehr lebendig war. Bis zum Horizont häufte sich die Asche, zu der sie durch die Magie der Götter verbrannt worden waren. Hin und wieder war ein halber Kadaver übrig geblieben.

Ein gespenstischer Anblick.

“Die Aufgabe ist erfüllt”, sagte Taykor und steckte den Dreizack in das Futteral auf seinem Rücken. Der Gott der Finsternis öffnete sogar das Helmvisier.

Sein Gesicht lag allerdings trotzdem im Schatten.

Nur seine Augen glühten auf eine Weise, die Taykor eigen war.

“Ich glaube nicht, dass wir sie schon besiegt haben”, meinte Arodnap. Er kniete nieder und beugte sich dann zum Boden. Er legte ein Ohr an die Erde. Dann schlug er mit der Obsidiankeule auf den Boden. Diesmal bildeten sich keine Blitze, sondern sprühende Funken. Der Laut der dabei entstand war dumpf. “Da ist noch was”, glaubte er. “Es ist so, wie ich schon einmal zu euch gesagt habe: Wir können diese Drachen nicht alle besiegen. Das ist unmöglich. Es werden immer wieder aufs Neue einige von ihnen heranwachsen - und zwar schnell, dass wir mit dem Töten nicht hinterherkommen.”

Blaakon ließ seine Lichtbarke herabgleiten. Dann verließ der Gott der Ordnung dieses magische Gefährt sogar und stieg mit seinen Götterfüßen über den an vielen Stellen aufgebrochenen und rissigen vulkanischen Untergrund,.

Sein Blick blieb an einer Stelle haften.

Lichtstrahlen drangen aus Blaakons Augen und trafen auf das Gestein. Sie schmolzen es allerdings nicht auf, wie man es angesichts der außerordentlichen magischen Energien hätte erwarten können, die Blaakon zu eigen waren. Stattdessen drangen sie in die Tiefe vor.

Nach einigen Momenten verebbten die Strahlen aus Blaakons Augen.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich,

“Ja, unser ungehobelter Freund Arodnap hat leider vollkommen Recht.” Blaakon deutete auf den Boden zu seinen Füßen. “Dort unter uns, in den tiefsten Tiefen, die man sich nur vorstellen kann, regt sich etwas.”

“Was genau hörst du?”, wollte Taykor wissen.

“Den Herzschlag von Wesen, die - selbst gemessen an uns Göttern - gewaltig sind”, gab Arodnap Auskunft. “Sie sind zu Abertausenden da unten unter der Erde. Und ihr Zorn auf uns kennt keine Grenzen.”

“Kein Wunder - wo wir so viele von ihnen getötet haben!”, meinte Blaakon.

“Hörst du diesen ominösen Herzschlag auch?”, wollte Taykor wissen.

“Ich habe in die Tiefe GESCHAUT”, sagte dieser. “Und ich habe ihn GESEHEN.”

“Und du, Ahyr? Oder bist du zu sehr damit beschäftigt deine Löwen ruhig zu halten, die dich wahrscheinlich insgeheim am liebsten verspeisen würden, weil du sie so selten fütterst!”

“Meine Löwen sind unruhig, weil sie spüren, dass die Gefahr noch nicht vorüber ist”, sagte Ahyr. “Sie riechen die Drachen. Sie riechen den Schwefelatem, der aus den Spalten der Erde steigt. Und sie hören den Herzschlag der Bestien. Setz deinen albernen Helm ab, Taykor! Dann bist du nicht länger der einzige Taube unter den Göttern!”

Arodnap lachte.

Blaakon verzog nur ein wenig das Gesicht und hob eine Augenbraue. Sein Bart begann für einen Moment auf göttliche Weise zu leuchten.

Dann vollführte er eine ruckartige Bewegung.

“Da nähert sich jemand”, stellte er fest.

6

Eine graue Gestalt war erschienen. Niemand unter den Göttern hatte diese Gestalt kommen sehen. Niemand hätte erklären können, wie die graue Gestalt so plötzlich her gelangt war.

“Sieh an, ein Bekannter”, stellte Blaakon fest. “Was führt den Grauen Luun hier her?”

“Eine gute Frage”, meinte Taykor.

Es gab die Elben, deren Magie nach und nach immer schwächer geworden war - und es gab die Elfen, deren Magie demgegenüber so stark geworden war, dass sie sich irgendwann kaum noch in einer Welt dauerhaft und in stabiler Existenz zu halten vermocht hatten.

Und es gab die Grauen Elfen, von denen man sagte, dass sie sich mit Vorliebe in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen pflegten, weil sie daraus irgendeine Art des Vergnügens zogen.

“Dass Graue Elfen sich auch in die Angelegenheiten der Götter einmischen, ist mir neu”, stellte Ahyr fest. “Was willst du von uns, Grauer Luun?”

Der Graue lächelte hintergründig.

“Ich denke, es gibt einigen Anlass, sich einzumischen” sagte der Graue Elf.

“Es steht dir nicht zu, dich in die Angelegenheiten der Götter zu mischen”, sagte Ahyr.

“Die Angelegenheiten der Menschen und die der Götter sind manchmal nicht voneinander zu unterscheiden”, erklärte Luun. “Indem ich mich in diesen Kampf einmische, mische ich mich in erster Linie in die Angelegenheiten der Menschen ein. Denn sie werden in diesem Land nicht einmal dann überleben können, wenn ihr so freundlich seid und ihnen eine Mauer baut, die sie vor den Drachen schützt!”

“Die Angelegenheit mit den Drachen ist erledigt”, sagte Taykor. “Wir haben sie besiegt.”

“Ich wette, dass alle deine Göttergefährten die Herzschläge der unter der Erde schlummernden Drachen gehört haben. Nur du nicht, weil du deinen Helm nicht absetzen wolltest! Nein, euer Gegner ist nicht besiegt. Was ihr jetzt erlebt, ist nur eine Kampfpause in einem Krieg, der ewig andauern wird. Ihr habt keine realistische Chance, die Drachen zu besiegen. Selbst mit all eurer Magie und all euren göttlichen Fähigkeiten seid ihr dazu nicht in der Lage.”

“Es gibt keine Macht, die den Göttern zu trotzen vermag”, behauptete Taykor.

“Da wäre ich mir nicht zu sicher”, erwiderte Luun. “Aber sei’s drum! Es mag sein, dass die Drachen euch nicht zu besiegen vermögen - aber ihr sie auf Dauer eben auch nicht. Dieser Kampf wird sich übe Äonen hinziehen, bis eine Seite erschöpft ist. Und ich wäre mir da nicht zu sicher, dass das die Seite der Drachen ist.”

Taykor nahm jetzt tatsächlich seinen Helm ab. Er kniete nieder, was an sich für einen Gott schon einmal sehr ungewöhnlich war. Aber anders hätte er unmöglich sein Ohr an den Boden legen können. Selbst Göttern sind hin hin und wieder natürliche Grenzen gesetzt.

Als sich sein Ohr am Boden befand, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

Fast so etwas wie Verstörung zeichnete sich darin ab.

Die Augen glühten dämonisch auf.

Taykor stieß einen dumpfen Knurrlaut hervor, der mehr an ein wildes Tier, als an einen Krieger erinnerte.

“Ich weiß, dass es dir schwerfällt es zuzugeben: Aber ich habe doch recht, nicht wahr?”, sagte Luun. “Nun, ich hätte mich nicht hierher bemüht, in diesen entlegenen Winkel einer entlegenen Welt in einer entlegenen Dimension des Multiversums, wenn es da nicht eine Lösung gäbe, um euer Problem zumindest zeitweilig zu entschärfen. Ich sage bewusst nicht, um es zu lösen, denn eine dauerhafte Lösung gibt es nicht.”

“Und da bist du dir so sicher?”, knurrte Taykor finster und setzte sich den Helm wieder auf. Manche sagten, dass jeder, der sein Gesicht sah, unweigerlich wahnsinnig wurde, und da Taykor zwar möglicherweise selbst wahnsinnig war, es aber hasste, von anderen Wahnsinnigen umgeben zu sein, hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, einen Helm zu tragen. Zumindest, wenn er in Gesellschaft anderer war.

Aber gewiss galt die Gefahr des Wahnsinns beim Anblick von Taykors Gesicht wohl nur für gewöhnliche Sterbliche. Nicht für andere Götter. Und auch nicht für jemanden wie Luun. Was die Grauen Elfen betraf, so wusste ohnehin niemand so genau, welche Regeln eigentlich für sie galten. Sie wechselten allerdings so häufig und unvermittelt zwischen den verschiedenen Dimensionen des Multiversums, dass dies ohnehin nicht weiter von Belang war.

“Die Drachen werden immer wieder aus der Tiefe emporsteigen, um euch doch noch zu besiegen!”

“Was aussichtslos ist!”, erklärte Taykor.

“Ja, so aussichtslos wie eure Absicht, diesen Kampf irgendwann endgültig beenden zu können.” Luun zuckte mit den Schultern. “Es ist bedauerlich, aber ihr solltet euch den Tatsachen am besten einfach stellen, und versuchen, euch darauf einzurichten.”

“Und was soll das in diesem Fall genau heißen?”, mischte sich jetzt Blaakon ein.

Der Gott der Ordnung war in seine Lichtbarke zurückgekehrt und es war für die anderen Götter bis zu diesem Zeitpunkt kaum erkennbar, in wie fern er das Gespräch zwischen Luun und den anderen Göttern überhaupt verfolgt hatte.

Eine gewisse Abgehobenheit schien für Blaakon durchaus charakteristisch zu sein.

“Der Graue Elf soll sich aus unseren Angelegenheiten heraushalten und meinetwegen die Sterblichen mit seiner Anwesenheit in Erstaunen versetzen”, knurrte Ahyr. “Ich bin seiner Anwesenheit überdrüssig.” Ahyr machte eine Bewegung mit der Hand, so als wollte er Luun damit hinwegscheuchen. Bei vielen anderen Geschöpfen, wäre Ahyr dies zweifellos auch gelungen, denn diese Bewegung war von starken magischen Kräften begleitet.

Aber Luun hielt stand. Ihm schienen die Kräfte des Gottes nichts anhaben zu können - oder er ließ es sich nur nicht anmerken. Das konnte man bei Luun nicht so genau sagen. Und obgleich jeder der vier Götter dem Grauen Elf schon bei anderer Gelegenheit begegnet war, hätte keiner von ihnen das wirklich einzuschätzen vermocht.

“Versuch nicht, mich einfach aus dieser Existenzebene des Multiversums zu verbannen”, sagte Luun. “Das ist doch deiner unwürdig. Du könntest ebenso gut deinen Kopf in den Sand stecken, vorausgesetzt, es gäbe in diesem öden Land so etwas wie Sand. Nein, auch wenn ihr es nicht gerne hört und es euch davor graut, dass ich es offen aussprechen: Ihr braucht Hilfe!”

“Pah!”, machte Taykor und schwang sich wieder auf sein riesenhaftes sechsbeiniges Pferd, das wie zur Unterstützung der Aussage seines Herrn und Meisters einen durchdringenden Laut von sich gab.

“Vielleicht sollten wir zuhören, was der Graue Elf für einen Vorschlag zu machen hat”, meinte nun Arodnap. “Ablehnen können wir das dann dann immer noch.”

“Oder bis in alle Ewigkeit gegen eine unermesslich große Drachenhorde kämpfen”, gab Luun zurück. “Wie ich schon erwähnte, habe ich mich dazu entschlossen, meinen Einfluss in dieser Angelegenheit geltend zu machen. Nicht um euretwillen. Was euch vier betrifft, so wäre es vielleicht sogar ganz gut, wenn ihr die nächsten Äonen auf diesem öden Schlachtfeld verbringen würdet. Ich habe jemanden herbeigerufen. Er müsste jeden Augenblick in dieser Ebene des Multiversums ankommen. Vielleicht hat er sich etwas verspätet. Manchmal wehrt sich jemand gegen so einen Transfer.”

“Da hinten kommt jemand”, stellte Blaakon fest und sah zum Horizont.

Ein Mann näherte sich. Er hatte zwei Schwerter über dem Rücken gegürtet.

“Wer ist das?”, fragte Ahyr. “Ein Gott, den wir nicht kennen?”

“Nein, kein Gott”, sagte Luun. “Aber hat eine ganze Welt gerettet, deren Sonne durch einen Himmelskörper verdunkelt wurde und zu vereisen drohte.”

“Dann ist er doch ein Gott!”, beharrte Ahyr. “Nur Götter verfügen über derartige Kräfte.”

“Nenn ihn einen Magier”, sagte Luun. “Zweifellos ist er der größte Magier seiner Welt - auch wenn man dort im Augenblick nicht sonderlich viel Verwendung zu haben scheint. Aber das kann niemanden verwundern. Wenn die Mächte des Bösen besiegt sind, hat man für Helden im allgemeinen keine Verwendung mehr. Das ist eine Art Naturgesetz, könnte man sagen.”

“Und du denkst, er könnte uns gegen die Drachen helfen?”, fragte Arodnap.

“Sein Name ist Gorian”, erklärte Luun. “Und noch etwas solltet ihr berücksichtigen.”

“Was?”, fragte Arodnap.

“Gorian glaubt, dass er träumt. Er glaubt, dass er sich in Wahrheit in einer Stadt namens Nelbar befindet, dass er in einem der sieben Türme dieser Stadt residiert. Er glaubt, dass er sein Lager mit seiner Gefährtin, einer Heilerin, teilt und dass, wenn er aufwacht, die Menschen der Stadt ihn verehren und feiern, weil sie ihm die Rettung der Welt verdanken. Für ihn ist das hier…” Luun machte einer ausholende, allumfassende Handbewegung, “...nur ein Traum. Ein Spiel, das er nicht ernstzunehmen braucht und das sich darum von den Machtspiele seiner eigenen Existenzebene sehr deutlich unterscheidet. Wie ihr euch denken könnt, sind ihm die Mächtigen seiner Welt durchaus dankbar für das, was er getan hat. Aber zweifellos würden sie es bevorzugen, wenn er nicht länger unter ihnen weilen würde…” Luun zuckte mit den Schultern. “Es ist schon eine gewisse Tragik. Dort, wo er herkommt, scheint man zurzeit für seine immensen magischen Kräfte keine Verwendung zu haben. Aber hier hätte man Verwendung dafür.”

7

Unterdessen war Gorian nähergekommen. In gehörigem Abstand zu den vier Göttern blieb er stehen.

Seine Augen wurden für einen Moment von vollkommener Schwärze erfüllt.

Ein Ausdruck seiner Kräfte.

Er schien leicht desorientiert zu sein.

“Du brauchst nicht so zurückhaltend zu sein, Gorian”, sagte Luun. “Es hat seine Richtigkeit, dass du hier bist.”

“Ich träume”, sagte Gorian.

“Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn du das weiterhin glaubst”, sagte Luun. “Im übrigen hat es keine Bedeutung. Ein Mann träumt von einem Mann, der träumt von einem weiteren Mann, der auch träumt… Wessen Welt ist nun real? Es spielt keine Rolle, denn das Gesetz des Multiversums besagt, dass alles, was erdacht oder erträumt werden kann, irgendwo im Multiversum auch existiert.”

“Und dieser Trottel soll uns helfen?”, fragte jetzt Arodnap ungläubig. “Ich glaube, da erledigen wir die Angelegenheit dann doch lieber selbst. Auch, wenn es schwierig ist und wir vielleicht tatsächlich das eine oder andere Äon brauchen werden…”

“Vielleicht sollten wir eine Mauer bauen, die die Menschen einst vor dem Ansturm der Drachen schützen könnte”, schlug Blaakon vor. Ein Vorschlag, der vom Gott der Ordnung nicht ganz unerwartet kam. Schließlich war er auch als Schutzherr der Baumeister bekannt. Zumindest in manchen Dimensionen des Multiversums.

“Aber um eine solche Mauer zu bauen, brauchen selbst die Götter etwas Zeit”, gab Luun zu bedenken. “Und die werdet ihr nur bekommen, wenn die Drachen zumindest für eine gewisse Zeit besiegt werden und so geschwächt sind, dass sie sich für einige Zeit nicht mehr erheben. Sonst würden sie eure Mauer immer wieder aufs Neue einreißen, noch ehe, dass sie richtig entstanden wäre!”

Luun wandte sich nun an Gorian. “Tritt näher! Du magst in deiner Welt ein großer Held sein, aber du bist kein Gott. Und doch sind diese vier Götter darauf angewiesen, dass du deine Kräfte zu ihren Gunsten einsetzt.”

“Was ist das für ein Ort?”, fragte Gorian.

“Es kann dir gleichgültig sein”, sagte Luun. “Denn, sobald du diesen Kampf bestanden hat, wirst du in deine Welt zurückkehren. Diese Existenzebene des Multiversums wirst du danach vermutlich nie wieder betreten. Zumindest sehe ich nicht, dass die Konjunktionen der Kausalitäten dies vorgesehen haben oder auch nur möglich erscheinen lassen… Allerdings kann man sich in diesen Dingen nie ganz sicher sein. Das gilt selbst für jemanden wie mich.”

“Also ist es doch ein Traum.”

“Du denkst in den Maßstäben sterblicher Menschen, Gorian. Mag sein, dass du als der mächtigste Magier deiner Welt giltst, aber alles ist relativ. Und betrachtet man die Dinge aus einer übergeordneten Perspektive, dann reduziert sich manches auf ein viel unbedeutenderes Maß. Aber das braucht dich alles nicht zu kümmern. Deine Fähigkeiten sind erstaunlich genug, um an diesem Ort gebraucht zu werden. Sobald das geschehen ist, wirst du dich an einen Traum erinnern - wenn überhaupt.”

Gorian deutete auf die Götter.

“Wer sind diese Gestalten?”

“Du erinnerst dich nicht?”

“Nein.”

“Ich habe gehört, du warst mal an einem Ort, der als Reich des Geistes bezeichnet wird.”

“Woher weißt du das?”

“Ich war auch dort. Aber vielleicht hast du mich nicht bemerkt. Es ist eine vertrackte Sache mit diesen Orten, die jenseits von Raum und Zeit liegen und in denen sowohl die Zeit, als auch der Raum oder die Kausalität keine Rolle spielen. Der menschliche Geist neigt dazu, Geschehnisse zwanghaft in eine Reihenfolge bringen zu müssen. Das kann mitunter das Denken blockieren.” Luun zuckte mit den Schultern. “Es wundert mich daher nicht, dass ich dir nicht in Erinnerung geblieben bin. Und vielleicht hast du deinen Aufenthalt dort auch als eine Art magischen Traum empfunden, so wie deinen Aufenthalt hier…”

Während Luun unablässig weitersprach, musterte Gorian die Vier, die im gegenüberstanden. Einer von ihnen schwebte eher, als dass er stand.

“Es sind Götter”, sagte Luun. “Sehr alte Götter. In deiner Welt hat man sich abgewöhnt, sie anzubeten. Dort ist zurzeit der Glaube an einen namenlosen, unsichtbaren Gott vorherrschend. Aber so etwas kann sich schnell ändern, wie die Erfahrung zeigt.” Der Reihe nach stellte Luun die vier Götter vor. Die Namen kamen Gorian bekannt vor, obwohl er nicht hätte sagen können, woher er diese Namen kannte. Vielleicht war er ihnen tatsächlich im Reich des Geistes begegnet. Aber die Erinnerungen an dieses magische Reich war ohnehin so gut wie verblasst. So, wie ein Traum, an den man sich schon kurz nach dem Erwachen nur noch nebelhaft zu erinnern vermochte. “Die Götter können ihre Freude über dein Erscheinen vielleicht nicht in aller Angemessenheit zeigen”, meinte Luun mit einem spöttischen Unterton. “Und gewiss bereitet es ihrem göttlichen Stolz ein paar Probleme, dass sie von deiner Hilfe abhängig sind.”

“Pah!”, machte Arodnap und donnerte seine Obsidiankeule auf den Boden.

Spinnenartig sich fortsetzende Blitze krochen über den Boden und näherten sich Gorian.

Dieser fühlte die Bedrohung durch die Kräfte, die Arodnap freigesetzt hatte.

Gorin stieß einen Kraftschrei aus, wie er es als Schüler des Ordens der Alten Kraft gelernt hatte. Seine Augen wurden für einen Moment lang so schwarz, dass nichts Weißes mehr in ihnen zu erkennen war. Die über den Boden kriechenden Lichtblitze zogen sich augenblicklich zurück. So, als wären sie vor einer mindestens gleichstarken Gegenkraft ausgewichen.

“Tja, ich denke, ihr werdet dann schon miteinander auskommen”, sagte Luun nun. “Vor allen Dingen, sobald sich die wahre Gefahr zeigt - und das wird bald der Fall sein. Der prustende Drachenatem ist so schwefelhaltig, dass man ihn kaum ignorieren kann… Und der Herzschlag der Bestien gleicht jetzt schon einem andauernden Trommelwirbel! Es sei mir also gestattet, wenn ich mich von hier verabschiede…”

“Kommt nicht in Frage, dass du dich einfach davon machst!”, brüllte Ahyr. Er streckte eine Hand aus, aus der heraus eine Schlange aus Licht herauswuchs, die sich wie ein Fangarm um den Grauen Elf zu legen versuchte.

Aber der war schon nicht mehr da.

Entschwunden und in eine andere Ebene des Multiversums entflohen.

Darum waren Graue Elfen Meister.

Die Fangarme aus gleißendem Licht, die sich jetzt gebildet hatten, griffen ins Leere. Ahyr brüllte wütend auf.

“Komm nie wieder, Grauer Elf!”, brüllte er im Chor mit den knurrenden Lauten seiner zweiköpfigen Löwen.

“Ich glaube, es gibt im Moment ein paar andere Problem, denen wir uns widmen sollten”, stellte Arodnap fest. Er blickte zu Boden. “Spürt ihr das?”

8

In der Ferne erhob sich wieder eine Wand aus dicht aneinandergedrängten Drachen aus der Erde.

Auf den ersten Blick hätte man glauben können, dass sich ein Gebirge auffaltete. Nur wenn man genauer hinsah, konnte man sehen, dass es sich um Drachen handelte. Hin und wieder erhob sich einer von ihnen über diese Masse mit schwerem Flügelschlag sogar in die Lüfte. Der Feueratem dieser Kreaturen sorgte für einen heißen Wind.

Gorians Geruchssinn war nahezu betäubt von den schwefelhaltigen, giftigen Dämpfen, die zu ihm herüberwehten.

Lange kann das kein Mensch überleben, erkannte Gorian. Und bei allen magischen Großtaten, mit denen er seine Welt gerettet hatte: Das war er letztlich immer noch. Ein Mensch. Nicht mehr.

>Atme nicht zu tief<, dachte er. >Sonst wird dich dieser Hauch vergiften…< Er konzentrierte sich, sammelte das in sich, das man die >Alte Kraft< nannte.

Zumindest in der Welt, in der er zu Hause war.

Anderswo mochte das mit anderen Name belegt sein.

Ein Geräusch war zu hören. Es unterschied sich von den Geräuschen, die von der herannahenden Front der Drachen herkamen, die einer unaufhaltsamen Welle glichen.

Gorian brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass das andere, noch bedrohliche Geräusch tatsächlich von unten kam.

Ein Riss entstand plötzlich in der Erde und wurde rasch breiter.

Ein Spalt tat sich auf.

Arodnap machte einen Sprung, um diesen Riss zu entkommen. Blakoon schwebte mit seiner Lichtbarke einfach ein Stück empor.

Aber Gorian hatte zu lang gezögert.

Der Boden wurde ihm buchstäblich unter den Füßen fortgezogen. Der Untergrund bröckelte, der Spalt breitete sich sich so schnell aus, dass er sich nicht in Sicherheit bringen konnte.

Unter ihm gähnte ein Abgrund.

Gorian stürzte in die Tiefe, wo unzählige gierige Drachenmäuler nur darauf warteten, nach ihm zu schnappen. Drachenhälse reckten sich empor. Mit rudernden Bewegungen ihrer mächtigen Pranken, Schwänze und Flügel versuchten diese urtümlichen Geschöpfe an die Oberfläche zu gelangen. Ihre unterirdischen Bewegungen mussten die Bildung des Spalts ausgelöst haben.

Heiße Schwefeldämpfe kamen in dicken Schwaden empor.

Gorian stieß einen Kraftschrei aus, während er in die Tiefe stürzte. Gleichzeitig zog er die beiden Schwerter aus den Futteralen, die er über den Rücken gegürtet trug.

Sternenklinge und Schattenstich, die beiden Schwerter, die sein Vater in jener Nacht aus Sternenmetall geschmiedet hatte, als Gorian geboren wurde.

Die Schwerter stießen Strahlen aus Schwarzlicht hervor, die das Drachenfeuer aus den Schlünden der Ungeheuer augenblicklich löschten.

Die Finsternis breitete sich aus.

Sie hüllte auch Gorian innerhalb eines weiteren Moments vollkommen ein.

Er fiel ins Bodenlose.

9

“Gorian!”

Wie aus weiter Ferne drang diese Stimme an sein Ohr.

Es war eine vertraute Stimme.

Sie gehörte Sheera, seiner Gefährtin.

Er schlug die Augen auf.

Dann sah er sie im Halbdunkel der Nacht.

Das Licht des Mondes und der Sterne drang durch die Fenster jenes Turms, in dem sie wohnten, seit Morygor, der Herrscher des Bösen, besiegt worden war und der Schattenbringer nicht mehr die Sonne verdunkelte und sich das eisige Reich weiter auszubreiten vermochte.

Der Turm war einer der sieben Türme von Nelbar.

Gorian spürte Sheeras Berührung.

>Sie hat die Macht einer Heilerin eingesetzt<, erkannte er. Das Mondlicht spiegelte sich nicht in ihren Augen. Die waren vollkommen dunkel - wie es auch zu erwarten war, wenn man die Alte Kraft einsetzte.

“Was war, Gorian?”

“Es… war nichts….”

“Das ist nicht wahr!”

“Es ist vorbei.”

“Hast du geträumt.”

“Ja.”

“War es wieder einer dieser besonderen Träume?”

Gorian zögerte mit der Antwort. “Ja”, sagte er schließlich.

“Du hast geglaubt, in einer anderen Welt zu sein?”

“Ja.”

Gorian stand auf, plötzlich von einem Impuls getrieben.

“Wo gehst du hin, Gorian?”

Er gab ihr keine Antwort. Stattdessen ging er in einen der benachbarten Räume. Dorthin, wo die beiden Schwerter aufbewahrt wurden, die beim Kampf gegen Morygor eine so entscheidende Rolle gespielt hatten. Sie lagen auf einem Steinblock. Wie aufgebahrte Reliquien.

Seit Gorian den Schattenbringer vertrieben hatte, hatte er diese Klingen nicht mehr angerührt. Sie lagen hier seitdem und Gorian hatte eine gewisse Scheu, diesen Raum zu betreten, geschweige denn, die Klingen zu berühren oder zu tragen. Zwei magische Schwerter. Das eine hatte sein Freund Torbas getragen, der zu seinem Feind geworden war.

Aber Torbas war tot und die Schwerter waren seitdem in seinem alleinigen Besitz.

Zögernd streckte Gorian die Hände aus.

Er berührte beide Klingen.

Sternenklinge und Schattenklinge.

Ein Schauder überkam ihn, als er das Sternenmetall berührte, aus dem sie geschmiedet worden waren. Er fühlte im Moment vor allem Erleichterung. Erleichterung darüber, dass die Klingen noch hier, an ihrem Ort waren - und sich nicht im Schlund irgendeines Drachen in einer anderen Welt befanden.

>Vielleicht war der Traum tatsächlich nur ein Traum<, dachte er. >Die Schwerter sind an ihrem Ort und ich bin nicht in den Schlund der Erde gefallen, wo unzählige Drachenmäuler darauf warteten, mich zu verschlingen…<

Aber dann nahm Gorian plötzlich etwas wahr.

Etwas, ihm bekannt vorkam.

Eine Präsenz.

Anders konnte er es nicht beschreiben.

>Ist da nicht ein leichter Schwefelgeruch in der Luft oder bilde ich mir das ein?<

Gorian lief hinaus ins Freie, bis zu den Turmzinnen, von wo aus man über die an der Mündung des Flusses Bar gelegene Stadt Nelbar blicken konnte. Im Süden rauschte das Laramontische Meer, im Norden befanden sich die bewaldeten Hügel Oquitoniens. Bis hierher war das Eis, das Morygor und der Schattenbringer über Ost-Erdenrund gebracht hatten, niemals vorgedrungen.

Salzgeruch lag in der Luft.

Das Salz des Meeres.

>Und der Schwefel eines Drachen!<, ging es Gorian durch den Kopf. Er ging die Zinnen entlang, ließ suchend den Blick schweifen.

Und sah er ihn.

Einen gewaltigen Drachen.

Er schwebte über dem Laramontischen Meer - ein Geschöpf, so gewaltig, wie eine ganze Stadt. Der Flügelschlag war ruhig. Das Mondlicht strahlte ihn an. Das Wasser des Meeres glitzerte im Mondlicht, aber dort, wo der Drache in der Luft flog, war ein gewaltiger, dunkler Schatten.

>Kein Zweifel, es ist ein Drache von der Art, wie ich sie in jener anderen Traumwelt gesehen habe, wo uralte Götter gegen sie kämpften…<

Eine schwefelhaltige Brise wehte herüber.

Ein fauliger Geruch des Todes.

“Gorian, was machst du hier?”, hörte er Sheeras Stimme.

Er drehte sich zu ihr um und deutete dabei in Richtung des Drachen.

“Siehst du nicht, was da ist, Sheera?”, fragte er.

“Eine dunkle Wolke, die den Mond verdeckt”, sagte Sheera. “Oder was meinst du?”

Gorian sah wieder in Richtung des Drachen.

Doch der war nicht mehr so eindeutig zu sehen. Nur ein Schatten. Wolken vielleicht. Irgendetwas, was alles mögliche sein konnte.

“Da war ein Drache”, sagte Gorian.

“Ich kann ihn nicht sehen”, beharrte Sheera.

“Es war einer jener Drachen, die mir in meinen Träumen begegnet sind.”

“Da ist du dir sicher?”

“Ja.”

“Aber da ist nichts…”

“Nichts mehr!”

“Gorian…”

“Riechst du den Schwefel nicht?”

“Die Waschfrauen hier in Nelbar benutzen sehr unappetitliche Dinge, um Kleider zu reinigen, Gorian!”

Gorian schluckte. Hatte er sich das nur eingebildet? War er dabei, dem Wahnsinn zu verfallen?

Oder verfolgten ihn Wesen aus einer anderen Welt? Wesen, die durch vielleicht durch das, was er getan hatte, angelockt worden waren. Denn der Schattenbringer hatte nur durch die Entfaltung gewaltiger Kräfte vertrieben werden können. Es war gut möglich, dass diese Vorgänge nicht unbemerkt geblieben waren…

“Komm wieder rein und versuch zu schlafen”, sagte Sheera.

“Ich glaube nicht, dass ich in dieser Nacht noch Schlaf finden werde”, gab Gorian zurück.

ENDE

Gorian und das verschwundene Schwert

von Alfred Bekker

(Neue Gorian Erzählung 2)

Nach dem Sieg über Morygor und der Vertreibung des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, ist Gorian der größte Magier seines Zeitalters.

Keine Macht scheint ihn bedrohen zu können – bis auf jene Kräfte, die aus seinem Inneren kommen. Er gerät in eine Schlacht uralter Götter gegen die Macht der Drachen…

Der Gorian-Zyklus des Autors besteht aus folgenden Titeln:

Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen (Gorian Trilogie 1)

Gorian 2: Die Hüter der Magie (Gorian Trilogie 2)

Gorian 3: Im Reich des Winters (Gorian Trilogie 3)

Gorian und der Kampf mit den Drachen (Neue Gorian Erzählung 1)

Gorian und das verschwundene Schwert (Neue Gorian Erzählung 2)

(199)

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www. AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags geht es hier

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

1

“Sei gegrüßt, Thondaril!”

Gorian erhob sich von seinem Platz in dem großen Empfangssaal jenes Turms, in dem er seit Ende des Krieges gegen Morygor, den Herrn des Bösen, residierte.

Thondaril - jetzt Hochmeister des Ordens der Alten Kraft und von jeher Gorians Mentor und väterlicher Freund...

Gorian war sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass er all die Taten, die nötig gewesen waren, um den mächtigen Morygor zu besiegen und den Schattenbringer, der die Sonne verdunkelt hatte, zu vertreiben, nicht ohne Thondarils Hilfe und Anleitung hätte vollbringen können.

Und auch jetzt gab er viel auf den Rat des neuen Hochmeisters des Ordens der Alten Kraft.

Ein relativ entspanntes Lächeln erschien nun auf Gorians Gesicht. Zum ersten Mal seit Tagen. Denn die üblen Träume, die ihn heimsuchten, sorgten dafür, dass er sich angespannt fühlte. Eine Anspannung, die man auch seinen Gesichtszügen deutlich ansehen konnte.

Gorian ging Thondaril entgegen.

Dieser musterte ihn aufmerksam.

Vor ihm kann ich nichts verbergen, dachte Gorian. Jedenfalls weniger als vor den meisten anderen - Sheera vielleicht ausgenommen. Und das liegt nur zum Teil daran, dass er in der Alten Kraft ausgebildet ist.

Zwei Ringe prangten an Thondarils Fingern. Er trug sie beide am Ringfinger der linken Hand. Sie zeigten, dass er zwei Häuser des Ordens der alten Kraft angehörte: Dem Haus des Schwertes und dem Haus der Schatten. Das war in mehr als einer Hinsicht außergewöhnlich und deutete im übrigen an, dass Thondaril über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte.

Die Ringe waren Zeichen der Meisterschaft.

Und normalerweise erreichte ein Schüler des Ordens der Alten diese Meisterschaft nur in dem Haus, in dem er ausgebildet worden war. Schwertmeister und Meister der Schattenpfadgängerei - diese Eigenschaften in einer Person zu vereinen, war selten…

Es gab nur einen lebenden Magier, der seinen Lehrmeister in dieser Hinsicht derzeit übertraf.

Gorian…

Thondarils Blick war sehr kurz auf die linke Hand seines ehemaligen Schülers gerichtet.

Drei Ringe für die Meisterfähigkeiten dreier Häuser hätten sich dort eigentlich befinden müssen. Aber Gorian trug sie nicht.

Er hat es bemerkt, ging es Gorian durch den Kopf. Aber er hält sich sich darin zurück, dies zu kommentieren. Doch irgendwann wird er mich darauf ansprechen und ich werde nicht umhin können, ihm eine passende Antwort zu geben…

“Wie fühlt man sich als der mächtigste Magier von ganz Ost-Erdenrund, der ohne jeden Zweifel die Welt gerettet hat und ohne dessen Mut Morygor nicht hätte besiegt werden können?”

“Jedenfalls habe ich keinen Bedarf daran, dass man meine Taten aufzählt…”

“So?”

“Was geschehen ist, ist Vergangenheit. Und das einzige, was zählt ist das, was jetzt geschieht.”

“Mag sein. Und doch wird diese Vergangenheit alles bestimmen, was von nun an geschieht.”

“Ja, das stimmt.”

“Ich habe gehört, du hältst inzwischen Audienzen ab - wie ein König oder…”

“...ach das!”

“...oder ein Kaiser!”

“Die Menschen verlangen danach”, sagte Gorian. “Nicht nur hier in Nelbar… in ganz Oquitonien und im Heiligen Reich, beziehungsweise, was davon nach den den Wirren des Krieges und der Vereisung durch den Einfluss des Schattenbringers übrig geblieben ist.. Und darüber hinaus….”

“Darüber hinaus?”

“Es kommen sogar Reisende aus Gryphland, Mitulien und dem Westreich, um nach Rat zu fragen.”

“Was wollen sie von dir?”

Gorian lächelte matt. “Meistens, dass ich Ihnen das Leben mit Hilfe der Alten Kraft erleichtere. Oder sie glauben, dass ich irgendwelchen Gefahren begegnen sollte, von denen sie sich bedroht fühlen.”

“Und - hilfst du ihnen?”

“Die meisten Probleme, die man mir vorträgt, können nicht durch den Einsatz der Alten Kraft gelöst werden, sondern nur durch etwas ganz anderes. Eine Kraft, die vielleicht genauso alt ist und die jeder Mensch besitzt - die einen mehr, die anderen weniger. Sie nennt sich Verstand.”

“Da magst du wohl Recht haben”, nickte Thondaril. Er trat etwas näher. “Ich gehe davon aus, dass du dir der großen Gefahr bewusst bist, in der du dich befindest.”

“Welche Gefahr?”

“Ich spreche von der Gefahr, Hoffnungen zu wecken, die nicht einmal du erfüllen kannst.”

Gorian schluckte. “Ja, das ist mir durchaus bewusst.”

“Du hast Morygor besiegt. Und du hast dafür gesorgt, dass der Schattenbringer nicht länger die Sonne verdunkelt und das Eis sich nicht den ganzen Kontinent zur Beute nimmt. Das ist mehr, als man von irgendjemandem erwarten kann. Alles, was nun kommt, müssen andere tun, Gorian.”

“Ich weiß. Aber was würdest du mir raten? Soll ich mich zurückziehen? Soll ich den Menschen, die über tausende von Meilen nach Nelbar pilgern, sagen, dass ich leider nichts für sie tun kann, weil ich keine Lust dazu habe? Das bringe ich nicht über mich.”

“Es besteht die Gefahr, dass du zum Spielball anderer Mächte wirst, Gorian. Andere werden deine Fähigkeiten für ihre Zwecke auszunutzen versuchen.”

“Dann sollen sie das nur versuchen!”

“Sie tun es bereits, ohne dass du es in jedem Fall bemerken musst.”

“Ich denke, dass ich die Lage unter Kontrolle habe”, gab Gorian zurück.

Thondarils Blick wirkte sehr ernst. Für einen Moment wurden seine Augen von purer Dunkelheit erfüllt. Ein Zeichen der Alten Kraft, wusste Gorian.

“Sollte sich deine Einschätzung aus irgendeinem Grund mal ändern, dann weißt du, wen du jederzeit um Rat fragen kannst, Gorian.”

Gorian nickte. “Das weiß ich.”

“Mach von dieser Möglichkeit Gebrauch. Du weißt, dass ich dir jederzeit zur Verfügung stehe.”

“Ja.”

“Und dass ich von allen wichtigen Amtsträgern im Heiligen Reich wahrscheinlich der Einzige bin, dem du vorbehaltlos vertrauen kannst und der loyal hinter dir steht.”

“Ja.”

Eine Pause entstand. Thondaril legte Gorian eine Hand auf die Schulter.

Gorian zuckte zurück. Er fühlte für einen Moment einen Schmerz, der aber sofort wieder verschwand.

Thondaril hob die Augenbrauen.

“Blutet sie noch?”

“Hin und wieder.”

“Du weißt, dass es keine gewöhnliche Wunde ist, die du damals erlitten hast.”

“Ja, das weiß ich.”

“Sie wird nie ganz heilen.”

“Ich weiß.”

“Wie bei Torbas.”

“Ja.”

“Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit, die ihr beide hattet.”

“Torbas ist tot”, erinnerte Gorian.

2

In diesem Moment betrat Sheera den Raum.

“Meister Thondaril!”, stieß sie hervor. “Es ist lange her, dass Ihr uns mit einem Besuch beehrt habt!”

Thondaril nahm die Hand von Gorians Schulter und wandte sich zu der Heilerin um. “Ich war fort… weit fort…”

“Meister Ebeldin sagte, Ihr wolltet innere Einkehr suchen.”

“Das ist die offizielle Version gewesen”, lächelte Meister Thondaril. “Meine Mission musste geheim bleiben. Denn seit ich der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft bin, beobachtet man jeden meiner Schritte mit erhöhter Aufmerksamkeit.”

“Manche wünschen sich, dass der Orden wieder ein Machtfaktor im Heiligen Reich wird - so wie es früher war”, sagte Sheera.

“Manche wünschen sich das”, bestätigte Thondaril. “Aber andere fürchten genau dies. Deswegen muss ich sehr genau überlegen, was ich tue, mit wem ich mich treffe - und wohin ich reise. Und natürlich, mit wem ich darüber rede. Es heißt, Paddam Corrach habe überall seine Spione…”

“Der Herzog von Eldosien hat sich zum Kaiser aufgeschwungen”, stellte Sheera fest. “Und sollte ein Kaiser nicht auch über Spione verfügen, um informiert zu sein?”

“Man wird abwarten müssen, ob Paddam Corrach wirklich im gesamten Heiligen Reich als Kaiser anerkannt wird””, gab Thondaril zu bedenken. “In Laramont gibt es inzwischen einen neuen Herzog. Möglicherweise wird er auch Ansprüche erheben. Schließlich haben die Laramonter über Generationen den Kaiser gestellt und ich glaube nicht, dass man dort schon vergessen hat, auf welche Weise Kaiser Corrach IV. gestorben ist….”

Durch ein vergiftetes Taschentuch, erinnerte sich Gorian. Es war durchaus möglich, dass es innerhalb des Heiligen Reiches zu einem Bürgerkrieg um die Macht kam. Das war natürlich das Letzte, was die Heiligreicher jetzt eigentlich gebrauchen konnten. Aber andererseits standen sich mit Eldosien und Laramont zwei Herzogtümer gegenüber, die beide kaum, von der Vereisung durch den Schattenbringer betroffen gewesen waren. Der Krieg gegen Morygor hatte in beiden Herzogtümern kaum Zerstörungen angerichtet - anders als in den meisten anderen Gebieten des Heiligen Reichs.

“Es gibt Gerüchte, dass Paddam nach Nelbar kommen wird”, sagte Sheera.

“Ich habe diese Gerüchte auch gehört”, nickte Thondaril.

“Haltet Ihr sie für wahr?”

“Es wäre nur logisch, wenn Paddam etwas Wärme in Gorians Sonne sucht”, erwiderte Thondaril. Er lächelte verhalten. “Verzeih mir dieses Wortspiel, Gorian.”

“Seit dem Verschwinden des Schattenbringers scheint die Sonne ja wieder glücklicherweise für alle”, gab Gorian zurück. “Kaiser, Möchtegern-Kaiser und selbsternannte Kaiser oder Kaiser-Aspiranten gleichermaßen.”

“Paddam wird versuchen, dich auf seine Seite zu ziehen, Gorin. Er wird versuchen, deine Macht in den Dienst seiner Sache zu stellen.”

“Diesen Eindruck hatte ich von Anfang an.”

“Und er wird versuchen, seine Herrschaft zu festigen, noch ehe sich die Konkurrenz aus Laramont oder anderswo in Stellung bringt. Und damit kommen wir zurück zu meiner Reise, zu der ich quasi inkognito aufgebrochen bin und dich mich weit in den Norden geführt hat.”

“Erzählt davon”, verlangte Sheera. “Man hört, dass sich das Eis überall zurückgezogen hat…”

“Ja, das ist wahr. Aber das Eis hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen, wie ihr ja wisst. Ganze Städte und Landschaften wurden förmlich unter der Eislast begraben und niedergewalzt. Überall wird wieder aufgebaut. Bewohner kehren zurück in die Gebiete, in denen sie einst gelebt haben - und manchmal sind inzwischen schon andere eingezogen. Es gibt auch Städte, die vielleicht für immer Ruinen bleiben werden, die aber die Geschehnisse um Morygor und den Schattenbringer gemahnen werden. Hier und da haben sich in Landstrichen, die einst Senken waren, Schmelzseen gebildet und es kommt immer wieder zu verheerenden Überschwemmungen, wenn sich das Wasser seinen Weg bahnt und dann über irgendeinen natürlichen Wasserweg abfließt.”

“Wie weit im Norden wart Ihr, Meister Thondaril?”, fragte Sheera.

“Sehr weit. Ich kam bis zur Küste von Nemorien.”

“Seit Ihr auch auf Gontland gewesen?”

Ein Moment des Schweigens entstand. Gontland, dachte Gorian. Die Insel im Delta des Gont, wo der Fluss ins Meer mündet…

Gorian sah Sheera an.

Du hast das Wort Ordensburg vermieden, Sheera.

Sie erwiderte seinen Blick. Er wusste, dass sie seinen Gedanken verstanden hatte.

Allein der Gedanke an die Ordensburg, die jetzt eine zerstörte Ruine sein musste, schmerzte. Das galt für Gorian wie für Sheera gleichermaßen. Schließlich waren sie dort ausgebildet worden.

Und natürlich gilt das umso mehr für Meister Thondaril, dachte Gorian.

“Ja, ich war auch auf Gontland”, sagte Thondaril schließlich. “Die Insel im Fluss ist ein seltsamer Ort geworden. Man spürt dort viele Kräfte. Magische Kräfte…”

“Das ist nicht verwunderlich”, meinte Gorian. “Schließlich wurden dort über Generationen Schüler in der Anwendung der Alten Kraft unterwiesen.”

“Ja, ich weiß”, sagte Thondaril. Der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft wirkte nachdenklich. Seine Hand legte sich um den Griff seines Schwertes, so als müsste er sich an irgendetwas festhalten. “Ich glaube, dass es sinnvoll sein könnte, die Ordensburg wieder aufzubauen und den Sitz des Ordens wieder in die alte Ordensburg zu verlegen - was wohl eher einem völligen Neubau gleichkäme. Es ist nicht viel von den Mauern geblieben, in denen wir uns alle einst dem Studium der Alten Kraft gewidmet haben.”

“Aber der Orden hat doch hier in Nelbar eine der sieben Burgen für sich”, wandte Gorian ein. “Mit einem eigenen Hafen und vollkommen unabhängig von der Stadt selbst… Und davon abgesehen könnte der Orden von Nelbar aus viel leichter wieder zu einem Machtfaktor im Heiligen Reich werden, als von der Ordensburg auf Gontland aus.”

“Dem Orden geht es wie dir, Gorian”, sagte Thondaril. “Wir stehen in der Gefahr, zu einem Spielball derer zu werden, die im Moment um die Macht streiten. Und da könnte es langfristig durchaus von Vorteil sein, wenn sich das Zentrum des Ordens in weiter Entfernung befindet….”

Er hat vom Orden so gesprochen, als wäre ich gar kein Teil davon, fiel Gorian auf. Aber vielleicht hat er damit sogar auf eine gewisse Weise Recht… An den Konventen des Ordens hatte Gorian seit dem Ende des Morygor-Krieges nicht mehr teilgenommen. Die Ordensburg in Nelbar hatte er nicht ein einziges Mal besucht. Thondaril hingegen hatte ihn wiederholt und regelmäßig aufgesucht. War es nur die mangelnde Zeit, die einen Besuch beim Orden nicht zugelassen hat?, ging es Gorian durch den Kopf. Oder bin ich vielleicht tatsächlich kein Teil dieser Gemeinschaft mehr? Diese Frage musste gestellt werden. Und Gorian musste darauf irgendwann eine Antwort finden.

Der Orden - beziehungsweise die überlebenden Mitglieder desselben - hatten ihn und Sheera schließlich auch nie zu sich gerufen.

Auch Thondaril nicht, zu dem Gorian eigentlich eine ganz besondere Verbindung hatte.

Aber vielleicht war das letztlich auch nichts anderes, als das Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung. Der größte Magier der Welt - so nannte man Gorian nun überall. Sein Gewicht schien schwerer zu wiegen als das Gewicht des gesamten Ordens. Er hatte Morygor besiegt und den Schattenbringer vertrieben und damit der Vereisung Einhalt geboteten. Der Orden hatte sich zwar auch der Macht Morygors entgegengestellt, sich dabei aber fast aufgerieben. Nur wenige Meister hatten den Kampf gegen Morygors Horden überlebt. Und abgesehen davon hatte Verrat dafür gesorgt, dass zunächst auch unter den Überlebenden kaum einer dem anderen getraut hatte.

“Es gibt noch keine Entscheidung zu dieser Sache”, sagte Thondaril. “Der Konvent hat dazu noch nicht einmal getagt. Meine Reise diente unter der anderem dazu, eine Einschätzung abzugeben. Ich wollte mir selbst ein Bild machen.”

“Das verstehe ich gut”, sagte Gorian.

“Allerdings ist mir wohl bewusst, was diese Entscheidung - mag sie nun so oder so fallen - für Auswirkungen haben könnte. Man muss nicht einmal im Ordenshaus der Seher ausgebildet worden sein, um dies erkennen zu können.”

“Da stimme ich dir zu, Thondaril.”

“Allein die Tatsache, dass ich zu dieser Reise aufgebrochen bin, hätte Beunruhigung auslösen können.”

“Es versteht sich von selbst, dass ich dazu schweigen werde”, versprach Gorian.

“Auf dem Rückweg bin ich nach Toque gekommen…. Dort ist man damit beschäftigt, die berühmte Kathedrale wieder aufzubauen…”

“Das dürfte Jahrzehnte dauern!”, stieß Sheera hervor.

Das Eis hatte die berühmte Kathedrale von Toque mit seinem Gewicht niedergewalzt. Von den einst ehrwürdigen Mauern, in denen viele Kaiser gekrönt worden waren, war nichts geblieben als Ruinen.

Grundmauern und Fundamente, auf denen man vielleicht aufbauen konnte. Aber so ein Unternehmen kam ganz sicher eher einem Neubau gleich und weniger einer Restauration. Davon abgesehen konnte man wahrscheinlich nicht einmal das alte Material unmittelbar verwenden, denn das voranschreitende Eis hatte die Steinblöcke einfach mit sich genommen. Nun lagen sie meilenweit entfernt und nach dem Ende des Morygor-Krieges waren sie teilweise wohl schon die Beute von Steinbrechern geworden, die sie zum Wiederaufbau ihrer eigenen Häuser genutzt hatten.

“Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt”, sagte Thondaril. “Natürlich würde ein Wiederaufbau der Kathedrale, sofern man darunter eine originalgetreue Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes versteht, viele Jahre dauern. Selbst ein außergewöhnlich begabter Magier könnte daran nichts ändern…”

War da leiser Spott in Thondarils letzter Bemerkung?, fragte sich Gorian.

Ein Gedanke von Sheera erreichte ihn: Du siehst Gespenster, Gorian.

Thondaril fuhr fort: “Was mich beschäftigt, ist ein anderer Punkt: Die Ruine wird in großer Eile und von vielen Arbeitern hergerichtet.”

“Hergerichtet?”, echote Gorian.

“Für eine Krönungszeremonie. Auf etwas anderes kann das nicht hinauslaufen. Man beginnt mit dem Wiederaufbau und richtet dann die nur erahnbare Kathedrale für die Zeremonie her…”

“Ein passendes Symbol für den Wiederaufbau und die neue Zeit nach Morygor”, meinte Sheera.

“Paddam Corrach steckt dahinter, nicht wahr?”, lautete Gorians Schluss.

“Das nehme ich auch an. Und es passt zu den Gerüchten, dass Paddam nach Nelbar kommt....”

Gorian begriff. Nelbar lag an der Mündung des Flusses Bar - Toque an seinem Oberlauf in Quellanien. Paddam konnte mit einem Schiff von Nelbar aus nach Toque reisen und sich dabei den Menschen in den Anrainer-Herzogtümern Oquitonien, Baronea und Quellanien als neuer Kaiser des Heiligen Reiches präsentieren.

Ein Unternehmen, das zu einer Demonstration der Macht werden konnte, dem später die Konkurrenz aus Laramont nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

“Du wirst dich entscheiden müssen, welche Rolle du dabei einnimmst, Gorian”, prophezeihte Thondaril.

3

Meister Thondaril kehre zur Neuen Ordensburg in Nelbar zurück. Er ging durch die Straßen und hörte, was die Menschen sagten.

“Bei Gorian!”, sagte einer der Fischhändler. “Möge Gorian uns die günstigen Winde und die Fischschwärme schicken! Dann wird es noch ein gutes Jahr!”

“Angeblich soll der Kaiser noch nach Nelbar kommen! Dann wird es auch für alle anderen hier ein gutes Jahr!”

“Das sagst du, weil du ein Wirt bist. Aber in deinem Dreckloch würde kein Kaiser übernachten!”

“Ein Kaiser nicht - aber sein Gefolge schon!”

“Das ist wahr!”

“Und ein Kaiser reist nicht ohne Gefolge!”

“Für mich ist Paddam immer noch nur der Herzog von Eldosien - und kein Kaiser.”

“Er hat sich dazu ausgerufen!”

“Ja, aber ein Kaiser ist nur ein Kaiser, wenn er in der Kathedrale von Toque gekrönt wurde! Und dort steht bekanntlich kein Stein mehr auf dem anderen.”

“Wer weiß… ich habe gehört, dass dort jede Menge Baumeister, Steinmetze und Handwerker angeworben werden.”

“Ist das wahr?”

“Ich kenne selbst Männer, die angeworben wurden und dort angeblich das Dreifache von dem verdienen können, was man ihnen hier in Nelbar für ihre Dienste geben würde!”

“Dann würde ich so ein Angebot auch annehmen.”

“Wie auch immer. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Krönung.”

“Eine Krönung in Ruinen. Mehr kann das nicht werden.”

“Vielleicht könnt Gorian ein Wunder vollbringen.”

“Du traust ihm aber viel zu.”

“Wieso? Wer einen Himmelskörper wie den Schattenbringer, der das Licht der Sonne verdeckt, vertreiben kann - der vermag doch buchstäblich alles. Du selbst hast bei seinem Namen um Fischschwärme und günstige Winde gebeten!”

“Ja, das sagt man so…”

“Schon fast eine Gotteslästerung gegenüber dem Verborgenen Gott!”

“Der wird das nicht so genau nehmen. Und seine Priester haben ihre Ohren ja nicht überall. Aber eine Kathedrale aufbauen mit Magie…”

“Er könnte es, da bin ich mir sicher!”

“Denkst du?”

“Gorian wäre im Stande dazu. Und es wäre auch gar nicht schlecht, wenn er so ein Wunder vollbringen würde. Dann würden die Handwerker nicht alle nach Tocue fortziehen, wo sie nicht mehr zu mir kommen, um ein Bier zu trinken.”

“Dann bitte Gorian doch um ein leichteres Wunder.”

“So?”

“Dir die chronisch leere Kasse voll zu machen.”

“Ich fürchte, daran würde sogar der größte Magier aller Zeiten scheitern!”, mischte sich nun ein anderer Sprecher ein und die Männer brachen in Gelächter aus.

Thondaril hatte ihnen zugehört. Was sie sagten, verwunderte ihn nicht besonders. Er hatte so etwas schon oft gehört. Immer wieder, bei vielen Menschen. Und das nicht nur hier in Nelbar, wo der größte Magier aller Zeiten zum Greifen nahe schien und manchmal Menschen zu dem Turm pilgerten, in dem er zusammen mit Sheera jetzt residierte. Sie verehrten ihn hier wie einen Heiligen.

Aber auch andernorts war Thondaril auf seiner Reise auf dieses Phänomen gestoßen.

Der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft wusste noch nicht, was er davon letztlich halten sollte.

So sehr er Gorian auch als Mentor verbunden war - die jüngerer Entwicklung seit Ende des Morygor-Krieges betrachtete er mit wachsender Sorge.

Eine Entwicklung, die im übrigen vorhersehbar war, wie ihm mehr und mehr klar wurde.

4

“Ihr habt mit ihm gesprochen?”, fragte Meister Ebeldin, nachdem Thonbdaril in die Ordensbnurg zrückgekehrt war. Der Meister aus dem Haus der Seher hatte offenbar auf ihn in der großen Wandelhalle gewartet. Ebeldin war einer der wenigen Überlebenden des Ordens. Seit dem Ende des Morygor-Krieges hatte er sich der Erweiterung seiner seherischen Fähigkeiten gewidmet. Um Zukunft zu gestalten, musste man sie zuvor gesehen haben, so lautete sein Credo. Und Thondaril konnte ihm da nur beipflichten. Im Krieg mochten die Schwertmeister und Schattenpfadgänger wichtiger gewesen sein, aber jetzt, in der Neuen Zeit, kam es auf die Seher an.

“Ich habe mit ihm gesprochen”, bestätigte Thondaril.

“Er hat sich vom Orden entfernt, Hochmeister.”

“Ich weiß.”

“Man könnte auch sagen, dass die Umstände ihn vom Orden entfernt haben. Aber das kommt meines Erachtens auf dasselbe hinaus, Hochmeister.”