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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Johanna stürmte ins Rathaus von Waldkogel. Sie war die älteste Tochter von Bürgermeister Fellbacher. Flüchtig grüßte sie Gina. »Ich muss zu Papa«, rief sie ihr zu und riss die Tür zum Amtszimmer des Bürgermeisters auf. Sie knallte die Tür gegen die Wand und warf ihre Schultasche auf den Boden. »Hanni, benimm dich! Was ist los?«, schimpfte ihr Vater. Er zog die Taschenuhr aus der Weste und blickte darauf. Er runzelte die Stirn. »Müsstest du nicht in der Schule sein?« Johanna rollte die Augen. »Papa, wir hatten früher aus. Ein Lehrer ist krank. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass Ruppert Schwarzer sich wieder aufspielt. Aber wenn dich das nicht interessiert, dann gehe ich heim«, motzte die vierzehnjährige Johanna. »Schwarzer?
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»Mutti, hier ist eine Eisdiele.« Henrik wollte über die Straße stürmen, doch Denise von Schoeneckers Hand hielt ihn gerade noch rechtzeitig fest. »Moment, mein Sohn. Wir sind doch in die Stadt hereingefahren, um Einkäufe zu machen. Wir wollten vor allem Geschenke kaufen. Zwei unserer Kinder haben nächste Woche Geburtstag.« Henrik seufzte laut und deutlich. »Du hast recht«, gestand er dann. Kurz fixierte er seine Schuhspitzen, dann hob er wieder entschlossen den Kopf und fragte: »Ich war doch brav, nicht wahr? Kein Wort habe ich gesprochen, als du deinen Besuch gemacht hast.« Seine grauen Augen forschten erwartungsvoll im Gesicht der Mutter. Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust, strich ihrem Jüngsten über den widerspenstigen Haarschopf. Sie lächelte. »Ich kann nicht sagen, daß du kein Wort gesprochen hast, aber du hast ausnahmsweise einmal nicht zuviel gesprochen.« Zuerst sah es so aus, als wollte sich das Gesicht des Neunjährigen beleidigt verziehen, doch dann besann sich der Junge eines Besseren. Er frohlockte: »Also, gib schon zu, daß ich brav war.« Denise nickte. »Und weißt du, was du mir versprochen hast, wenn ich mich gesittet benehme?« trumpfte Henrik auf.
Johanna stürmte ins Rathaus von Waldkogel. Sie war die älteste Tochter von Bürgermeister Fellbacher. Flüchtig grüßte sie Gina.
»Ich muss zu Papa«, rief sie ihr zu und riss die Tür zum Amtszimmer des Bürgermeisters auf.
Sie knallte die Tür gegen die Wand und warf ihre Schultasche auf den Boden.
»Hanni, benimm dich! Was ist los?«, schimpfte ihr Vater. Er zog die Taschenuhr aus der Weste und blickte darauf. Er runzelte die Stirn. »Müsstest du nicht in der Schule sein?«
Johanna rollte die Augen.
»Papa, wir hatten früher aus. Ein Lehrer ist krank. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass Ruppert Schwarzer sich wieder aufspielt. Aber wenn dich das nicht interessiert, dann gehe ich heim«, motzte die vierzehnjährige Johanna.
»Schwarzer? Was weißt du über Ruppert Schwarzer?«
Johanna grinste überlegen. Sie kostete ihren Wissensvorsprung gegenüber ihrem Vater aus.
»Hast du eine Limo für mich? Es ist so heiß.«
»Ja, du kannst auch zwei Flaschen haben. Aber rede endlich!«
Fellbacher bat Gina, Limonade für Johanna zu holen.
Vater und Tochter setzten sich an den Besprechungstisch. Als Gina die Limonade brachte, bat Fellbacher sie, sich dazuzusetzen.
»Es geht um Ruppert Schwarzer, Gina. Johanna weiß etwas. Du kannst gleich mit zuhören, dann weißt du Bescheid.«
Gina setzte sich.
Johanna trank in aller Ruhe ein halbes Glas Limonade aus. Sie genoss es, dass sie die volle Aufmerksamkeit hatte.
»Aber, Madl, spanne uns nicht länger auf die Folter«, sagte Fellbacher ungeduldig.
»Ruppert Schwarzer macht jetzt in Kultur.« Johanna grinste. »Der will doch nur sein schlechtes Image aufpolieren. Wahrscheinlich hat er einen Coach, der ihm dazu geraten hat. So machen das die reichen Leute. Sie spenden und bekommen eine gute Presse. Damit wollen sie die dunklen Flecken auf ihrer Weste überdecken.«
»Du bist ein schlaues Madl, Hanni«, lobte sie ihr Vater. »Doch nun erzähle endlich Genaueres.«
Johanna nickte, trank aber noch einen Schluck Limonade. Sie machte es sehr spannend.
»Also, das war so: In der großen Pause sah ich Ruppert Schwarzer mit unserem Direktor aus dem Amtszimmer kommen. Sie unterhielten sich angeregt. Es sah aus, als würden sie sich gut verstehen. Sie lachten laut.«
Johanna trank wieder Limo. Fellbacher trommelte nervös auf die Tischplatte.
»Ich versteckte mich hinter einer der Säulen im Eingangsbereich und beobachtete sie. Unser Direktor brachte Schwarzer zum Auto. Dort schüttelten sie sich lange die Hände. Da ist etwas im Busch, dachte ich. Und da ich weiß, wie wenig du Schwarzer leiden kannst …«
»Wenig ist stark untertrieben, Hanni. Ich sehe rot, wenn ich den Namen nur höre«, sagte Fellbacher.
»Genau! Jedenfalls wunderte ich mich. Schwarzer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder, die auf unsere Schule gehen. Was will er bei unserem Direktor, fragte ich mich? Es ließ mir keine Ruhe. Also quetschte ich die Tochter des Direktors aus. Petra ist bei mir in der Klasse. Okay, besonders gut leiden kann ich sie auch nicht. Aber der Zweck heiligt die Mittel, dachte ich. Da habe ich ihr Honig ums Maul geschmiert. Du verstehst?«
Fellbacher nickte. Meine Hanni ist ganz schön gerissen, dachte er. Er war stolz auf sie. Sie kommt nach mir. Aus ihr wird bestimmt mal eine erfolgreiche Politikerin.
»Petra erzählte mir, dass Schwarzer sich als Schirmherr und Sponsor eines Literaturwettbewerbs ausgibt. Alle Schulen in Kirchwalden sind daran beteiligt. Die Schule des Gewinners, des ersten Preises, bekommt ganz tolle Sachen gesponsert: Einen Sportplatz, ein neues Klavier oder eine neue Beleuchtungsanlage für die Aula und so weiter.«
Johanna machte eine kleine Sprechpause. Sie betrachtete ihren Vater. Es war ihm deutlich anzusehen, wie wütend er wurde.
»Jedenfalls lässt Schwarzer ganz schön was springen. Er ist Mitglied im Förderverein unserer Schule und bei den anderen Schulen sicherlich ebenfalls.«
»So ein hinterhältiger Hund!«, zischte Fellbacher und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Papa!«, tadelte Johanna ihn mit einem Augenaufschlag. »Mama würde jetzt sagen: Fritz, mäßige dich!«
»Es gibt Situationen, Hanni, da muss man seinem Herzen Luft machen«, verteidigte er sich.
»Papa, daran werde ich dich erinnern, wenn du uns wieder ausschimpfst«, lachte Johanna. Wenn sie und ihre vier Geschwister sich stritten, warfen sie sich schlimme Schimpfwörter an den Kopf. Was der Papa niemals durchgehen ließ.
Fellbacher überging diese Bemerkung. »Hat Petra noch etwas erzählt?«, fragte er.
»Es dauert noch eine Weile, bis der Wettbewerb bekannt gegeben wird. Vorher müssen sich die beteiligten Schulen untereinander absprechen.«
»Gibt es schon einen Termin?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vor dem Beginn der Sommerferien wird das bestimmt nichts mehr. Ich denke, es passiert erst etwas im Herbst. Petra erzählte, ihr Vater streite sich mit den anderen Direktoren darüber, in welcher Schule die Pressekonferenz stattfinden wird. Unsere Schule hat die schönste Aula.«
»Aha, das ist gut, dass es noch dauert«, grinste Fellbacher. Er schaute seine Älteste liebevoll an. »Du bist ein tüchtiges Madl, Hanni. Ich bin stolz auf dich.«
»Oh, dann gibst du mir bestimmt ein Extrataschengeld. Jenny wartet draußen. Ich will mit ihr ins Café Jakob gehen, Eis essen.«
Fellbacher lachte.
»Nun ja, da will ich mal nicht so sein. Aber kein Wort darüber zu deinen Geschwistern, Hanni! Sonst ist daheim der Teufel los.«
»Papa, ich bin doch nicht blöd«, sagte Johanna.
Fritz Fellbacher zückte seine Geldbörse und drückte Johanna einen Zwanzigeuroschein in die Hand. Er bekam dafür einen Kuss auf die Wange.
»Danke, Papa! Du bist der Größte! Und was unternimmst du, um dem Schwarzer die Suppe zu versalzen?«
»Sei unbesorgt, mir wird schon etwas einfallen. Und du, du bist schön brav und still und redest mit dieser Petra nicht mehr darüber. Wenn sie es ihrem Vater erzählt, könnte sich dein Ansehen in der Schule verschlechtern.«
»Okay, das nennt man Politik«, lachte Johanna.
Sie trank die Limonade aus, schulterte ihre große Umhängetasche mit den Schulsachen, dann verabschiedete sie sich und eilte hinaus.
Bürgermeister Fellbacher und Gina schauten sich an.
»Ruppert Schwarzer ist ein schlauer Hund, Gina. Ich dachte, es sei ihm egal, was man von ihm hält. Da hatte ich mich getäuscht. Er will wohl an seinem öffentlichen Image polieren.«
»Und Steuern sparen! Das machen diese Großkopferten alle so«, sagte Gina mit Nachdruck.
»Das stimmt! Und es ist völlig legal«, seufzte Fellbacher.
Er dachte, die Großen winden sich raus, und der kleine Bürger zahlt die Zeche.
»Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen, Gina«, sagte Fellbacher und trat ans Fenster.
»Hochwürden ist nicht im Pfarrhaus«, sagte Gina.
»Wie kommst du drauf, dass ich rüber will?«
Gina schmunzelte.
»Wenn Sie sich geärgert oder über etwas sehr gefreut haben, gehen Sie immer rüber ins Pfarrhaus«, sagte sie und fügte hinzu. »Pfarrer Zandler ist vor einer Stunde mit dem Auto fortgefahren.«
»Mm, dann werde ich ihn heute Abend aufsuchen. Rufe seine Haushälterin an und sage ihr, dass er sich bei mir melden soll, sobald er zurück ist!«
Gina nickte. »Sonst noch etwas?«, fragte sie.
»Ruf Karl Hofbauer an und sage ihm, ich hätte etwas dringend mit ihm zu besprechen!«
Während Gina mit Hofbauer telefonierte, dem Direktor der Schule in Waldkogel, ging Fritz Fellbacher nervös auf und ab. Er war sehr verärgert, dass Ruppert Schwarzer sich in den Vordergrund stellen wollte.
»Herr Hofbauer sagte, Sie könnten ihn gleich besuchen, wenn Sie wollen. Er ist daheim.«
»Das ist sehr gut, Gina«, sagte Fellbacher.
Er nahm den Hut mit dem Gamsbart und machte sich auf den Weg.
Karl Hofbauer wohnte im Neubauviertel von Marktwasen, dem Ortsteil, der seit der Gemeindegebietsreform zu Waldkogel gehörte.
Er begrüßte Bürgermeister Fellbacher herzlich. Sie setzten sich in den Garten des Einfamilienhauses. Frau Hofbauer brachte Kaffee und Kuchen. Danach ließ sie die Männer allein.
Fritz Fellbacher erzählte, was er von Johanna erfahren hatte.
»Die Hanni ist ein aufgewecktes Madl«, sagte ihr ehemaliger Klassenlehrer. »Sie wird es noch weit bringen.«
Fritz Fellbacher freute sich über das Lob.
»Ich denke«, sagte Fellbacher, »die Gemeinde Waldkogel sollte Schwarzer zuvorkommen.«
»Wie?«, fragte Hofbauer.
»Wir veranstalten in Waldkogel auch einen Literaturwettbewerb.« Er schmunzelte. »Es wäre gut, wenn die Idee von der Schule ausginge. Ich bleibe im Hintergrund und gehe politisch auf Tauchstation.«
Karl Hofbauer schmunzelte. »Ich verstehe!« Er trank Kaffee und aß den Rest Kuchen auf seinem Teller. »Die Idee ist gut«, sagte er schließlich. »Sie ist sehr gut. Wir haben morgen eine Lehrerkonferenz. Dann bringe ich die Sache vor.«
»Wunderbar!«, sagte Fellbacher freudig und rieb sich die Hände. »Dann kann es übermorgen bekannt gegeben werden.«
Karl Hofbauer schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände.
»Stopp, so schnell wird es nicht gehen. Das muss sorgfältig geplant werden.«
Karl Hofbauer verstand, dass es Bürgermeister Fellbacher zeitlich drängte. Trotzdem sollte die Angelegenheit nicht überstürzt angegangen werden. Er erläuterte, dass es genaue Regeln für den Wettbewerb geben müsse, damit es gerecht zuging. Außerdem müsse die Jury feststehen und das Thema. Dazu hatte Fellbacher bereits eine feste Meinung. Das Thema des Literaturwettbewerbs, für die Schüler in Waldkogel, sollte alles umfassen, was mit der Gemeinde Waldkogel zu tun hatte, Erlebnisse, Naturbeschreibungen, Erinnerungen und so weiter.
Karl Hofbauer versprach, über das Thema nachzudenken und es zu formulieren. Außerdem müsse die Länge der Texte festgelegt werden. Er regte an, den Wettbewerb in Altersklassen einzuteilen, damit die jüngeren Schülerinnen und Schüler nicht mit den Älteren konkurrieren müssen. Darüber hinaus müsse die Abgabe anonym erfolgen. Die Jury dürfe die Namen der Verfasser erst erfahren, wenn die Gewinner feststanden.
Fellbacher gab Hofbauer in allen Punkten recht. Er versprach, die Gemeinde Waldkogel werde der Schule einen Notar zur Verfügung stellen, damit alles unter rechtlich korrekten Bedingungen ablief.
»Dabei unterstelle ich keinem Unehrlichkeit, Hofbauer«, erklärte Fellbacher. »Es geht dabei um Schwarzer. Ich gehe davon aus, dass er versuchen wird, uns Steine in den Weg zu legen. Das ist auch der Grund, warum die Sache von der Schule ausgehen muss. Dann brauche ich nämlich nicht den Gemeinderat einzubeziehen. Erst bei der übernächsten Gemeinderatsitzung erscheint der Punkt auf der Tagesordnung.«
Karl Hofbauer verstand Fellbacher nur zu gut, da er wusste, dass Franz Huber, Ruppert Schwarzers Bazi, im Gemeinderat saß. Er würde Schwarzer sofort informieren. Daran gab es keinen Zweifel.
Fritz Fellbacher blieb noch eine Weile bei den Hofbauers. Sie besprachen Einzelheiten und machten Pläne.
Hochzufrieden und heiter machte sich Fritz Fellbacher am späteren Nachmittag auf den Weg zurück ins Rathaus.
*
Daisy parkte vor dem Tor des großen Anwesens. Sie stieg aus und betätigte die Klingel. Als sich niemand meldete, läutete sie Sturm.
»Emily, wenn du jetzt nicht aufmachst, hole ich die Polizei und lasse öffnen!«, brüllte Daisy wütend in die Sprechanlage.
Prompt summte der Öffner und die Flügel des schmiedeeisernen Tors gingen auf.
»Na also, ich wusste doch, dass sie da ist«, brummte Daisy.
Sie stieg in ihr Auto und rollte die Allee entlang, die zu dem großen freien Platz vor dem Haus führte.
Emily trat aus der Haustür. Sie trug ein bodenlanges schwarzes Kleid, mit schmalen Trägern.
»Emily, ich habe mir Sorgen gemacht. Seit der Beerdigung deines Vaters habe ich dich weder gesehen, noch etwas von dir gehört. Du gehst nicht ans Telefon. Auf deinem Handy ist der Anrufbeantworter eingeschaltet. Du reagierst nicht auf meine SMS und beantwortest keine Mails. In die Vorlesungen gehst du auch nicht mehr.«
Daisy schloss die Freundin seit Kindertagen in die Arme.
»Entschuldige, mir war nicht danach.«
»Das kann ich verstehen, liebste Emily. Du trauerst um deinen Dad.«
»Komm rein!«, sagte Emily.
Die Freundinnen gingen quer durch das Haus und setzten sich auf die Terrasse.
»Es ist so still hier«, sagte Daisy.
»Ich bin allein. Mom ist zu ihren Verwandten in die Berge gefahren. Ihr Stamm führt eine Zeremonie für Dad durch.«
Daisy wusste, dass Emilys Mutter indianische Wurzeln hatte, auch wenn man weder ihr, noch Emilie das ansah. Besonders bei Emily, mit ihren roten Haaren, hätte man nie vermutet, dass sie mütterlicherseits indianische Verwandte hatte.
Emily holte Saft und zwei hohe Gläser mit Eiswürfeln.
»Du wolltest deine Mutter nicht begleiten?«, fragte Daisy.
Emily schüttelte den Kopf. »Nein, ich mache mir nichts aus den Ritualen. Ich denke, Mutter hat der Zeremonie auch nur nachgegeben, weil Grandma es so wollte. Ich bin anders. Ich war schon immer mehr Dads Kind.«
»Das stimmt, ihr hattet ein inniges Verhältnis.«
Emilys Augen wurden feucht. »Daisy, ich finde es so ungerecht. Warum musste er den Unfall haben? Wieso ist ihm dieser Autofahrer ins Auto gerast? Warum mein Dad? Hätte der andere Fahrer nicht an eine Ampel, an eine Hauswand und an einen Baum prallen können? Warum musste er Dad erwischen? Ich bin so wütend.«
Daisy setzte sich neben Emily auf die Armlehne des Gartensessels und legte die Arme um ihre Freundin.
»Kein Mensch kann dir darauf eine Antwort geben, Emily.«
»Jetzt fallen mir all die Fragen ein, die mir Dad nicht beantwortet hatte. Immer wenn ich ihn fragte, vertröstete er mich auf später. Jetzt werde ich nie eine Antwort bekommen!«
»Kann dir deine Mutter nicht weiterhelfen?«
Emily schüttelte den Kopf. Sie wischte sich mit den Fingern über die Augen.
»Ist meine Wimperntusche verschmiert?«
»Nein, alles okay. Also, hast du deine Mutter gefragt?«
»Doch, aber Mama weiß auch nichts. Es war ihr nicht wichtig, in Dads Vergangenheit zu kramen. Sie ist anders, als ich. Für sie zählt nicht, was war, sondern nur was ist. Sie ist darin ganz eigenartig.« Emily seufzte. »Ich dachte, wenn ich alles auf den Kopf stelle, müsste ich etwas finden. Es dauert noch eine Weile, bis Mom wiederkommt. Ich habe allen Hausangestellten freigegeben, damit ich mich in Ruhe umsehen konnte. Ich habe das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Ich habe nach alten Unterlagen gesucht, aus den frühen Jahren meines Vaters. Er war noch jung, als er nach Amerika auswanderte. Ich hoffte, in seinem Studio etwas zu finden. Aber, wo ich auch suchte, ich habe nichts gefunden. Es ist, als hätte er keine Vergangenheit gehabt. Warum hat er so ein Geheimnis daraus gemacht?«
»Ist es so wichtig für dich?«
»Es ist sehr, sehr wichtig, Daisy! Ich will wissen, wer ich bin und wo meine Wurzeln liegen. Okay, die Familie meiner Mutter kenne ich. Aber was ist mit der Seite meines Vaters? Warum hat er nie etwas erzählt?«