Erich Kästner-Verfilmungen und ihre Remakes - Johannes Schmid - E-Book

Erich Kästner-Verfilmungen und ihre Remakes E-Book

Johannes Schmid

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2000 im Fachbereich Filmwissenschaft, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Kästner nahm sich bekannter Volksbücher und Klassiker der Weltliteratur wie "Till Eulenspiegel" oder "Gullivers Reisen" an, um sie nach seinem Geschmack zu bearbeiten und für die Kinder seiner Zeit attraktiv zu gestalten. Das Nacherzählen empfand er als notwendig und berechtigt. Auch die meisten von Kästners eigenen Stoffen erwiesen sich im Laufe der Zeit als genauso „unzerreißbar“ wie die Vorlagen seiner Nacherzählungen. Dass auch seine Werke immer wieder wert befunden wurden, bearbeitet und neu erzählt zu werden, dessen konnte sich Kästner noch zu Lebzeiten versichern. Die wohl wichtigste Rolle kam dabei aber nicht der literarischen Nacherzählung, sondern der Übertragung in das Massenmedium Film zu. Über Leinwand und Bildschirm erreichten seine Stoffe Millionen von Menschen in Ländern auf der ganzen Welt. Insbesondere in Deutschland wurden nicht nur Verfilmungen seiner Bücher, sondern auch filmische Nacherzählungen der urprünglichen Verfilmungen, sogenannte Remakes, hergestellt. Mit dem Remake, dem filmgeschichtlichen Äquivalent zu Kästners Nacherzählungen, beschäftigt sich die hier vorliegende Arbeit. Ziel ist es, Motivationen für deren Produktion und unterschiedliche Prozesse der Bearbeitung durchsichtig zu machen. Beispielhaft werden jeweils die deutsche Erstverfilmung und das deutsche Remake dreier Kästner-Stoffe für Kinder herausgegriffen und miteinander verglichen: "Emil und die Detektive", "Das doppelte Lottchen" und "Pünktchen und Anton". In einem allgemeinen Teil sollen zunächst methodologische und definitorische Überlegungen zum Begriff Remake angestellt werden, die die Grundlage für die sich anschließenden Filmvergleiche bilden sollen. Da es zu den besprochenen Remakes nicht nur eine filmische, sondern jeweils auch eine literarische Vorlage gibt, soll des Weiteren auf das Wechselverhältnis von Literatur und Film eingegangen werden. Außerdem soll aufgezeigt werden, inwieweit Erkenntnisse der Theorie der Literaturverfilmung für die Beschäftigung mit Remakes fruchtbar gemacht werden können. Da Kästner selbst an mehreren der besprochenen Filme mitgearbeitet hat, erscheint es sinnvoll, nach diesen methodologischen Vorüberlegungen Erich Kästners spezielles Verhältnis zum Film und die von ihm über die Mediengrenzen hinweg praktizierte Mehrfachverwertung seiner Texte darzustellen. Bei den drei Vergleichen von den Erstverfilmungen und den Remakes soll versucht werden, die gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel anzuwenden und zu überprüfen.

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Inhalt

 

0 Vorbemerkung

1 Allgemeiner Teil

1.1 Methodologische Vorüberlegungen

1.1.1 Das Remake – eine erste Annäherung

1.1.2 Das Wechselverhältnis von Literatur und Film

1.1.3 Theorie der Literaturadaption und Rückschlüsse auf das Remake

1.2 Erich Kästner und der Film - ein Überblick

2 Erich Kästner-Verfilmungen und ihre Remakes

2.1 Emil und die Detektive

2.1.1 Die Romanvorlage und die Geschichte ihrer Medialisierungen

2.1.2 Produktionsbedingungen von Original und Remake

2.1.3 Rezeptionsgeschichte von Original und Remake

2.1.4 Vergleichende Analyse von Original und Remake

2.1.5 Abschließende Beurteilung: Von der Gesellschaftskritik zur Restauration

2.2 Das doppelte Lottchen

2.2.1 Die Genese des Kästner-Stoffes in seinen verschiedenen Medialisierungen

2.2.2 Produktionsbedingungen von Original und Remake

2.2.3 Rezeptionsgeschichte von Original und Remake

2.2.4 Vergleichende Analyse von Original und Remake

2.2.5 Abschließende Beurteilung: Von der Ironie zum Klischee

2.3 Pünktchen und Anton

2.3.1 Die Romanvorlage und die Geschichte ihrer Medialisierungen

2.3.2 Produktionsbedingungen von Original und Remake

2.3.3 Rezeptionsgeschichte von Original und Remake

2.3.4 Vergleichende Analyse von Original und Remake

2.3.5 Abschließende Beurteilung: Von der Chiffre zum Charakter

2.3.6 EXKURS: Kästner 2000 – geplante Kästner-Filme der Pünktchen und Anton-Produzenten Uschi Reich und Peter Zenk

3 Schlussbemerkung

4 Anhang

4.1 Literaturverzeichnis

4.1.1 Quellen

4.1.2 Sekundärliteratur

4.1.3 Kritiken

4.2 Stab und Besetzung der besprochenen Filme

4.3 Zuschauerzahlen der besprochenen Filme

4.4 Danksagung

0 Vorbemerkung

 

Es ist immer einmal wieder an der Zeit, solche unzerreißbaren Geschichten nachzuerzählen. Sonst schmecken sie den Kindern altbacken, obwohl sie alterslos sind. Daß man sie sprachlich verschimmeln ließe, wäre unverantwortlich.[1]

 

Diese Zeilen diktierte Erich Kästner 1966 seiner Biographin und Lebensgefährtin Luiselotte Enderle als Anmerkung über die von ihm verfassten Nacherzählungen Till Eulenspiegel (1938), Der Gestiefelte Kater (1950), Münchhausen (1951), Die Schild­bürger (1956), Don Quichotte (1956) und Gullivers Reisen (1961).[2] Kästner nahm sich der bekannten Volksbücher, des Grimmschen Märchens und sogar des Klassikers der Weltliteratur an, um sie nach seinem Geschmack zu bearbeiten und für die Kinder seiner Zeit attraktiv zu gestalten. Das Nacherzählen empfand er als notwendig und berechtigt. Auch die meisten von Kästners eigenen Stoffen erwiesen sich im Laufe der Zeit als genauso „unzerreißbar“ wie die Vorlagen seiner Nacherzählungen. Dass auch seine Werke immer wieder wert befunden wurden, bearbeitet und neu erzählt zu werden, dessen konnte sich Kästner noch zu Lebzeiten versichern. Die wohl wichtigste Rolle kam dabei aber nicht der literarischen Nacherzählung, sondern der Übertragung in das Massenmedium Film zu. Über Leinwand und Bildschirm erreichten seine Stoffe Millionen von Menschen in Ländern auf der ganzen Welt. Der Autor selbst wirkte an vielen dieser Bearbeitungen mit. Bis heute existieren knapp 50 Filme nach Kästners Vorlagen. Insbesondere in Deutschland wurden nicht nur Verfilmungen seiner Bücher, sondern auch filmische Nacherzählungen der urprünglichen Verfilmungen, sogenannte Remakes, hergestellt.

 

Mit dem Remake, dem filmgeschichtlichen Äquivalent zu Kästners Nacherzählungen, beschäftigt sich die hier vorliegende Arbeit. Ziel ist es, Motivationen für deren Produktion und unterschiedliche Prozesse der Bearbeitung durchsichtig zu machen. Bei­spiel­haft werden jeweils die deutsche Erstverfilmung und das deutsche Remake dreier Kästner-Stoffe für Kinder herausgegriffen und miteinander verglichen: Emil und die Detektive, Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton. Die Entscheidung für Kästner-Filme liegt nahe, da gerade in jüngster Zeit das deutsche Kino in aufälliger Weise verstärkt auf Kästners Stoffe zurückgriff. Es gab in den 90er-Jahren sowohl Remakes von Das doppelte Lottchen als auch von Pünktchen und Anton. Remakes von Das fliegende Klassenzimmer und Emil und die Detektive sind in Vorbereitung. Besonders interessant sind die besprochenen Remakes aufgrund ihrer großen Unterschiedlichkeit in der Art der Bearbeitung, aus der letztendlich eine große Unterschiedlichkeit in der Qualität der ein­zelnen Remakes resultiert.

 

In einem allgemeinen Teil s

ollen zunächst methodologische und definitorische Über­legungen zum Begriff Remake angestellt werden, die die Grundlage für die sich an­schließenden Filmvergleiche bilden sollen. Dabei soll vor allem auf die beiden einzigen nennenswerten deutschsprachigen Publikationen zum Thema Bezug genommen werden:[3] Jochen Manderbachs Arbeit „Das Remake – Studien zu seiner Theorie und Praxis“ von 1988 und Michael Schaudigs literaturwissenschaftlich orientierter Aufsatz „Recycling für den Publikumsgeschmack?“ von 1996. Da es zu den besprochenen Remakes nicht nur eine filmische, sondern jeweils auch eine literarische Vorlage gibt, soll des Weiteren auf das Wechselverhältnis von Literatur und Film eingegangen werden. Außerdem soll auf­gezeigt werden, inwieweit Erkenntnisse der Theorie der Literaturverfilmung für die Beschäftigung mit Remakes fruchtbar gemacht werden können. Da Kästner selbst an mehreren der besprochenen Filme mitgearbeitet hat, erscheint es sinnvoll, nach diesen methodologischen Vorüberlegungen Erich Kästners spezielles Verhältnis zum Film und die von ihm über die Mediengrenzen hinweg praktizierte Mehrfachverwertung seiner Texte darzustellen.

 

Bei den drei Vergleichen von den Erstverfilmungen und den Remakes von Emil und die Detektive, Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton soll versucht werden, die gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel anzuwenden und zu überprüfen.

 

1 Allgemeiner Teil

 

1.1 Methodologische Vorüberlegungen

 

1.1.1 Das Remake – eine erste Annäherung

 

Jochen Manderbach stützt sich in seinen Ausführungen in erster Linie auf Michael B. Druxmans Buch „Play it again, Sam“ von 1975. Durchaus in kritischer Abgrenzung zu Definitionen von Druxman oder auch James Monaco kommt er zu folgender Definition des Begriffs Remake:

 

Remake. Die Neuverfilmung eines schon einmal verfilmten Stoffes. Als Remakes bezeichnet man nur solche Filme, die einen Vorläufer mehr oder weniger detailgetreu nachvollziehen – meist aktualisiert, bisweilen in andere Genres übertragen, gelegentlich auch in ganz andere Schauplätze und Zeiten versetzt. [4]

 

Diese Definition erscheint besonders für die Diskussion von verschiedenen Film-Versionen derselben literarischen Vorlage brauchbar, da sie eine klare Einordnung des jeweiligen Films als Remake der Erstverfilmung bzw. Nicht-Remake der Erstverfilmung möglich macht. Ob eine Neuverfilmung zum Beispiel eines Kästner-Romans als Remake der Erstver­filmung zu betrachten ist, hängt davon ab, ob sie den Vorläuferfilm „mehr oder weniger detailgetreu“ nachvollzieht. Entscheidend ist also der Bezug zum vorangegangenen Film und nicht so sehr die Frage, ob der Film sich auf dieselbe literarische Vorlage stützt. Druxman beispielsweise definiert das Remake in erster Linie über die Übereinstimmung der literarischen Vorlage.[5] Manderbach ist zuzustimmen, wenn er dies als nicht sinnvoll erachtet, da es eine Reihe von Literaturverfilmungen derselben Vorlage gibt, die sich so massiv unterscheiden, dass sie nicht mehr als Remakes gelten können. Manderbach nennt hier u. a. die Macbeth-Verfilmungen von Orson Welles (USA 1947), Akira Kurosawa (Japan 1957) oder Roman Polanski (GB, 1971).[6] Problematisch bleibt bei Manderbachs Definition allerdings das „mehr oder weniger“. Eine genauere Bestimmung dieses Faktors bleibt er schuldig.

 

Worin liegen nun aber die Gründe für das Phänomen Remake, das seit jeher „untrenn­barer Bestandteil des Kinoalltags“[7] ist? Das Hauptargument, das nach Manderbach für die Produktion eines Remakes spricht, ist eng mit der Tatsache veknüpft, dass Film nicht allein Kunst, sondern immer auch das Produkt der Filmindustrie ist, d. h. als Ware fungiert.[8] Gut verkauft werde diese Ware erst dann, wenn sie dem Geschmack des Publikums entspreche. Da dieser äußerst schwierig einzuschätzen sei, sei die Wiederverfilmung eines schon einmal erfolgreichen Stoffes ein gängiger Versuch der Filmindustrie, den kommerziellen Erfolg des Originalfilms zu wiederholen. Druxman weist darauf hin, dass beim Remake die Produktionskosten gesenkt werden, da häufig die Rechte der Autoren des Originaldrehbuchs schon abgegolten sind bzw. bei der Neuverfilmung älterer literarischer Werke keine Rechte mehr bezahlt werden müssen.[9] Dies erhöht die kommerzielle Attraktivität eines Remakes natürlich noch zusätzlich. Als weitere Faktoren, die die Remake-Produktion begünstigen bzw. auslösen können, nennt Manderbach die ständige technische Weiterentwicklung der Filmindustrie, das so­genannte „new casting“ und gelockerte Zensurverhältnisse aufgrund veränderter Moral­vorstellungen in der Gesellschaft. So gab es nach Einführung des Tonfilms Ende der 20er-/Anfang der 30er-Jahre oder des Farbfilms Ende der 40er-/Anfang der 50er-Jahre regelrechte Remake-Booms. Klassische Stoffe der Filmgeschichte wollte man dem Publikum in der neuen Technik präsentieren. Bei dem Remake von Emil und die Detektive aus dem Jahre 1954 zum Beispiel spielte, wie gezeigt werden wird, die Neuheit Farbe eine wesentliche Rolle bei der Vermarktung. Auch das „new casting“ kann ein Remake für das Publikum interessant machen: die klassischen Rollen der Filmgeschichte werden mit aktuellen Stars besetzt. Besonders reizvoll ist hier der Vergleich der verschiedenen Schauspielerleistungen in Original und Remake. Außerdem können in einem Remake heikle Stoffe, die dem Publikum in der Originalfassung nur zensiert vorgeführt werden konnten, entsprechend freizügiger dargestellt werden.

 

Dass „das Remake in seiner überwiegenden Mehrheit nicht mit dem Niveau des Originals konkurrieren kann“[10], sondern meist nur trivialer oder spektakulärer ist, führt Manderbach auf folgende drei Punkte zurück:[11] Erstens habe das Vertrauen der Produzenten in den Erfolg des Stoffes an sich häufig zur Folge, dass eine Besetzung bzw. ein Team von eher zweitklassiger Qualität mit der Realisierung betraut werde. Zweitens gerate die Aktuali­sierung oder Schauplatzänderung oft unglaubwürdig, da sich viele Stoffe als zu zeitgebunden erwiesen. Und drittens ließe sich die historische kreative Situation, unter der ein Film entstanden ist, nicht künstlich noch einmal herstellen.

 

Für das Gelingen eines Remakes günstig sei dagegen, wenn zwischen Original und Remake nur wenige Jahre liegen würden, da so die Aktualität des Stoffes sicher gewähr­leistet sei, bzw. wenn entsprechend intelligente dramaturgische Eingriffe vorgenommen würden. Hier bleibt Manderbachs Argumentation aber leider sehr vage.[12] Durchaus be­merkenswert ist die bei Druxman zitierte Ansicht des Produzenten Henry Blanke, dass die geeignetste Remake-Vorlage ein Flop sei:

 

Never make a picture that was previously successful. Remake one that was miscast, miswritten, or misdirected. In other words, a flop.[13]

 

Dies ist aber sicher keine repräsentative Meinung der Filmproduzenten, denn die meisten Remakes der Filmgeschichte basieren auf erfolgreichen Vorlagen.

 

Handelt es sich um das Remake einer Literaturverfilmung, wie bei den in dieser Arbeit besprochenen Remakes der Fall, so kommen neben den Bezügen zum Vorgängerfilm auch die literarische Vorlage, dessen Rezeptionsgeschichte und die Literaturgeschichte ganz allgemein als mögliche Bezugspunkte in Betracht. Änderungen gegenüber der literarischen Vorlage, die die erste Film-Fassung vornahm, können im Remake rück­gängig gemacht, anders geartete Änderungen vorgenommen werden. Dies muss bei einem Vergleich von Original und Remake immer mitbedacht werden. Die Dimension einer Zweit- bzw. Neuverfilmung der literarischen Vorlage kann eine entscheidende Rolle spielen. Fehlen explizite Bezüge zum Vorgängerfilm, kann, wie Manderbach dies für die schon erwähnten Macbeth-Verfilmungen ausführt, nicht mehr von einem Remake gesprochen werden.

 

Aus Gründen der Verknappung und Verdichtung beschränken sich die Ausführungen zu den im zweiten Teil besprochenen Filmen in erster Linie auf einen Vergleich von deutscher Erstverfilmung und erstem deutschen Remake. Die Bezüge zur filmischen Vorlage stehen ganz klar im Vordergrund. Dennoch muss für den jeweiligen Fall diskutiert werden, welche Rolle der Bezug zu der literarischen Vorlage spielt. Fragen der Literaturverfilmung werden also zumindest gestreift und es erscheint daher sinnvoll, kurz Geschichte und Theorie des Verhältnisses von Literatur und Film zu referieren. Außerdem können, wie gezeigt wird, manche Erkenntnisse zur Adaption von Literatur in Film auch auf die Adaption im Rahmen eines Remakes angewendet werden.

 

1.1.2 Das Wechselverhältnis von Literatur und Film

 

Das Verhältnis von Literatur und Film stellt sich von jeher als ein äußerst komplexes Wechselverhältnis gegenseitiger Beeinflussung dar. Um das große bürgerliche Publikum für den Film als Kunst zu interessieren, musste der Film schon in seiner Frühzeit Anfang des 20. Jahrhunderts „ein allgemeinverständliches Medium fiktionalen Erzählens werden und sich damit als Film und als Kino der Rolle von Literatur und Theater annähern“.[14] Er tat dies einerseits, indem er sich die narrativen Strukturen der Literatur aneignete. Für Paech wird so die Literaturgeschichte, vor allem die literarische Erzähltradition des 19. Jahrhunderts, zur „Vorgeschichte des Films“.[15] Andererseits griff die Filmproduktion auf die Stoffe und Inhalte der Literatur zurück, eine ganze Reihe von Literaturverfilmungen war die Folge. Evelyn Strautz zufolge entsteht sogar „ungefähr die Hälfte aller Filme nach literarischen Vorlagen“.[16] Wolfgang Gast stellt verallgemeinernd und erweiternd fest:

 

Einem zu gewinnenden Publikum gegenüber ist der Rückgriff auf bereits bekannte und kulturell als wertvoll ausgewiesene Stoffe und Werke ein Mittel, die neuen Medien kulturell zu legitimieren und zugleich das Publikum an neue Darstellungsmittel und Wahrnehmungsweisen zu gewöhnen, wobei die Benutzung tradierter (und bekannter) Stoffe diesen Prozeß erleichterte.[17]

 

Rückwirkungen auf die Literatur hatte Film und Kino in mehrfacher Hinsicht. Harro Segeberg nennt verschiedene Reaktionsmöglichkeiten der Autoren der frühen Moderne, die sich mit dem neuen Medium konfrontiert sahen. Manche Autoren lehnten den Film schlichtweg ab, mit der Folge, dass sie versuchten, sich auf die spezifischen Möglichkeiten des eigenen Mediums zu konzentrieren und diese weiterzuentwickeln. Andere Autoren reagierten dagegen enthusiastisch auf Film und Kino. Einige davon versuchten gestalterisch am Film mitzuwirken, was den Bemühungen vonseiten der Filmindustrie um eine Nobilitierung des Mediums entgegenkam; andere wiederum versuchten, „das Schreiben selber auf die Wahrnehmungs- und Darstellungsformen des Kinemathographen einzustellen“.[18] Hierbei spielte vor allem die Beschreibung des Optischen eine entscheidende Rolle. Als letzte mögliche und für die Literaturgeschichte wohl folgenreichste Reaktion nennt Segeberg die Bemühungen um eine neue avant­gardistische Literatur, für die das „Kino als Medium einer Welt- und Menschen­erfahrung“[19] diente. Erich Kästners Verhältnis zum Film soll in Kapitel 1.2 genauer dargestellt werden.

 

Für den Buchmarkt hatte das Medium Film und die Institution Kino schon in den 10er-Jahren eine Vielzahl von Neuveröffentlichungen zur Folge. Paech berichtet von den sogenannten „ciné-romans“, literarischen Nacherzählungen von Filmen, die sozusagen als „Buch zum Film“ erschienen und der Transitorik des Kinoerlebnisses entgegenwirken sollten.[20] Michael Schaudig nennt als Formen der Literarisierung von Filmen die „belletristische Adaption (Buch) sowie verschiedene Renotationsmodelle, z. B. Filmprotokoll (...) [oder] post-shooting-skript“.[21] Eine solche kommerzielle Auswertung im Medienverbund ist gegenwärtig verstärkt üblich. Im Falle einer Literaturverfilmung wirkt sich die Präsentation im anderen Massenmedium auch auf die Verkaufszahlen der literarischen Vorlage positiv aus. Schon André Bazin stellt dies in seinem „Plädoyer für die Adaption“ von 1951 fest, aber auch die Arbeiten von Evelyn Strautz oder Wolfgang Gast bestätigen dies.[22] Gast zufolge hat die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Medien inzwischen zu einem Medienverbund geführt, für den auch die Mobilität der Autoren charakteristisch ist:

 

Die Mehrfachverwertung eines Stoffes in verschiedenen Fassungen, abgestimmt auf die jeweiligen Medienanforderungen, gehört heute zum schriftstellerischen Alltag. (...) Neben der von fremden Bearbeitern vorgenommenen Transformation spielt für die zeitgenössischen Autoren in immer stärkerem Maße die vom Autor selbst vorgenommene Bearbeitung eine Rolle. (...) [Die Adaption ermöglicht] dem Stoff einen höheren Verbreitungsgrad, steigert den Marktwert des Autors und bietet nicht zuletzt auch beträchtliche finanzielle Einkünfte.[23]

 

Der so gesteigerte Marktwert des Autors dient natürlich rückwirkend dem Marktwert einer potentiellen weiteren Verfilmung eines Werks dieses Autors. Der Medienverbund von Film und Literatur ist also nicht nur von ästhetischen Wechselwirkungen, sondern auch von kommerziellen Synergieeffekten geprägt. Für das Verhältnis von Original und Remake kann Ähnliches gelten. So kam zum Beispiel 1999 im Zuge des Pünktchen und Anton-Remakes auch die Erstverfilmung von 1953 wieder zu neuen Ehren. Beide Filme wurden zeitgleich in den deutschen Kinos gezeigt. In Talkshows etc. waren die inzwischen erwachsenen Kinderdarsteller der Erstverfilmung gemeinsam mit denen des Remakes zu sehen. Aufgrund des großen Erfolges des Remakes wiederum kam auch Erich Kästner als Autor der Romanvorlage wieder mehr ins Bewusstsein. Es gab eine Neuauflage des Pünktchen und Anton-Romans, die Fotos aus der Neuverfilmung enthielt. Die literarische Vorlage wurde zum „Buch zum Film“. Dass dies alles auch noch im Kästner-Jahr, also im Jahr des 100. Geburtstages Kästners stattfand, unterstützte diese Wechselwirkungen zusätzlich und wurde werbestrategisch auch entsprechend benutzt. Auf den so gesteigerten Marktwert des Autors und des Subgenres „Kästner-Verfilmung“ ist mit Sicherheit auch die Tatsache zurückzuführen, dass sich die Bavaria-Film und die Lunaris-Film zu einer Neuverfilmung des Kästner-Romans Emil und die Detektive im Jahr 2000 entschlossen haben.[24]

 

1.1.3 Theorie der Literaturadaption und Rückschlüsse auf das Remake

 

Die Bemühungen um eine Theorie der Literaturverfilmung innerhalb der aus der Lit­eratur­wissenschaft entstandenen Filmphilologie bekommen für die Beschäftigung mit Remakes dann Relevanz, wenn sich daraus Rückschlüsse auf die Adaptionsproblematik im Allgemeinen und die Problematik des Remakes im Besonderen ziehen lassen.

 

Klaus Kanzog betrachtet Literaturverfilmungen als Analogiebildungen zur literarischen Vorlage, die immer auch Interpretationen der Vorlage sind. Er nennt diesen Vorgang Transformation und stellt fest, dass sich dabei Informationsverluste und Varianten bzw. Invarianten bezüglich der Vorlage ergeben.[25] Schaudig verwendet in seinem Aufsatz „Recycling für den Publikumsgeschmack?“ diesen Begriff nun auch für das Remake. Er verdeutlicht, dass der Transformationsprozess beim Remake genauso wie bei der Literaturverfilmung „dem Modus eines interpretativen Selektionsverfahrens ver­pflichtet“[26] ist. Obwohl es sich bei der Adaption im Rahmen eines Remakes nicht wie bei der Literaturverfilmung um einen Transformationsprozess von einem Medium in ein anderes handelt, erscheint der Begriff der Transformation, der mit dem Begriff Interpretation korreliert, dennoch auch für den innermedialen Adaptionsprozess geeignet. Zum einen liegt das daran, dass Schaudig zufolge auch das Remake als Bearbeitung einer filmischen Vorlage nie interpretationsfrei ist, wie dies grundsätzlich nur eine werkidentische Kopie sein kann. Schaudig spricht von einer intertextuellen Relation von Remake und filmischen Referenztext.[27] Zum anderen ist das Medium Film einem stetigen und schnell fortschreitenden technischen Wandel unterzogen, der entsprechend starke Auswirkungen auf narrative Muster und Ästhetik hat. Stummfilm auf Tonfilm könnten zum Beispiel auch als zwei unterschiedliche Medien betrachtet werden.

 

Neben den bei Manderbach betonten rein kommerziellen Gründen, die für die Produktion eines Remakes sprechen, kann es also auch eine künstlerische Motivation geben. Ein Remake kann eine wertvolle Neuinterpretation eines vorhandenen Stoffes sein. Was Wolfgang Gast über die Literaturverfilmung schreibt - es „artikulieren sich [darin] Stand­punkte und Anschauungen über das benutzte Werk und zugleich über die Gegenwart des Interpretierenden“[28] - gilt genauso für das Remake. Die Untersuchung aller Remakes eines bestimmten Stoffes wäre somit äußerst aussagekräftig für die Rezeptionsgeschichte des Stoffes an sich. Jedes Remake kann Bezüge und Kommentare zur Originalversion, zu eventuellen Remakes vor ihm, zum zugrunde liegenden Stoff, zur Filmgeschichte, zur aktuellen gesellschaftlichen Situation etc. aufweisen.

 

Auch bei der Suche nach Kategorisierungen von Remakes bietet die Theorie der Literaturverfilmung erste Anhaltspunkte. Helmut Kreuzer schlägt die Begriffe Illustration, interpretierende Transformation und transformierende Bearbeitung für verschiedene Arten der Literaturadaption vor.[29] Unter Vorbehalt können diese auch angewandt werden, um den Grad der Entfernung von Original und Remake zu beschreiben. Illustration, oder für das Remake wohl besser Imitation, meint nach Kreuzer eine Adaption, die versucht, ohne neuen oder andersartigen Interpretationsansatz mög­lichst nah an der Vorlage zu bleiben, indem sie Dialoge, Handlungsvorgang und Figurenkonstellation weitgehend übernimmt. Ziel einer interpretierenden Transformation sei es dagegen, eine neue Interpretation der Vorlage zu liefern. Bei der Übertragung werde weniger schematisch vorgegangen und versucht, Analogien in der neuen filmästhetischen und gesellschaftlichen Situation zu Sinn und „Form-Inhaltsbeziehung der Vorlage“ [30]zu finden. Der Bezug zum Original könne dabei durchaus kritisch oder ironisch sein. Von einer transformierenden Bearbeitung könne dann gesprochen werden, wenn die Adaption, zum Beispiel aufgrund der großen historischen Distanz, den aktuellen Sinn der Vorlage nur unter erheblichen Abweichungen vom Original realisieren könne.

 

Schaudig schlägt folgende, zum Teil mit Kreuzers Kategorien deckungsgleiche Begriffe zur Klassifizierung von Remakes vor:[31] Er spricht vom Remake als imitative Adaption, was Kreuzers Illustration entspricht, und vom Remake als innovative Adaption, was die interpretierende Transformation und die transformierende Bearbeitung bei Kreuzer zusammenfasst. Als dritten Typ, der eine rezeptionsspezifische Kategorie darstellt, nennt Schaudig das Remake als originäre Adaption. Hierunter fasst er Remakes, egal ob als imitative oder innovative Adaptionen, deren filmische Vorlagen nicht im Bewusstsein der Rezipienten sind bzw. sein können, wie dies zum Beispiel bei der Adaption eines Films aus einem anderen sprachlich-kulturellen Kontext der Fall ist. Solche Adaptionen betrachtet er als „uneigentliche Remakes“.[32] Da Filme aber nicht nur in einem einzigen Rezeptions­zusammenhang gesehen werden können, greift dies etwas zu kurz. Das US-amerikanische Remake eines französischen Films, der in den USA nicht ausgewertet wurde, aber in Frankreich zu sehen ist, müsste dann für die USA als uneigentliches bzw. originäres, für Frankreich aber als eigentliches Remake gelten. Auch Schaudigs zentrale Ansicht, dass die urheberrechtliche Deszendenz eines Films für die Einordnung als Remake entscheidend sei[33], ist problematisch, da es eine Reihe von Filmen gibt, denen in Kenntnis der Filmgeschichte eindeutig Referenzfilme, die sie imitativ oder innovativ adaptieren, zugeordnet werden können, die diese Deszendenz aber weder in Vor- und Abspann noch bei der Vermarktung ausweisen. Ähnlich schwierig kann die Einordnung von Neuverfilmungen literarischer Vorlagen sein: Ist ein Film, der als urheberrechtliche Deszendenz allein die literarische Vorlage aufführt, der aber dennoch entsprechende Bezüge zu einem Vorgängerfilm aufweist, als Remake zu bezeichnen oder nicht? Eindeutige Grenzen zu ziehen ist hier schwierig.

 

Ausgehend von seinen eigenen Studien zur Literaturverfilmung gibt Schaudig neben der dargestellten typologischen Klassifizierung von Remakes ein Begriffsinstrumentarium zur Beschreibung der Varianten von Original und Remake an die Hand. Die bei Manderbach aufgeführten Variationsmöglichkeiten des Remakes finden sich hier systematisiert wieder. Schaudig nennt in Anlehnung an Manfred Pfister sechs textkonstituive Struktur­muster, bezüglich derer das Remake im Vergleich zu der filmischen Vorlage variant sein kann. Es sind dies die formale Organisation, die Raumkonzeption, die Zeitkonzeption, die Verbalisation, das Figureninventar und die Handlungskonzeption.[34] Die Variations­möglichkeiten innerhalb dieser Strukturmuster nennt Schaudig Transformationsmodi.

 

Bei der formalen Organisation unterscheidet sich das Remake Schaudig zufolge vom Referenzfilm in der Regel (sofern nicht bestimmte Passagen als Zitat direkt kopiert werden) in der „syntagmatischen Organisation von Mise en scène, Kamerahandlung und Montage“.[35] Tongestaltung oder Filmmusik lassen sich ebenso hier einordnen. Die medientechnologische Varianz, also strukturelle Unterschiede wie Stumm- und Tonfilm oder Schwarzweiß- und Farbfilm, ist seiner Meinung nach ein weiterer Transformations­modus der formalen Organisation.

 

Für die Raumkonzeption stellt Schaudig fest, dass die topographische Transposition, also die Schauplatzänderung, einen fast schon als routinemäßig zu bezeichnenden Trans­formationsmodus darstelle.

 

Bei der Zeitkonzeption gebe es die Möglichkeiten einer Aktualisierung und einer Historisierung, also einer Verlegung der Handlung in die Gegenwart der Produktionszeit oder eine Rückdatierung in die Vergangenheit. Die Möglichkeit einer Verlegung der Handlung in die Zukunft nennt Schaudig zwar nicht, sie ist aber dennoch gegeben.

 

In Bezug auf die Verbalisation spricht Schaudig von dem Transformationsmodus der Replikenvarianz, also der Unterschiedlichkeit der Dialoge im Drehbuch. Von Bedeutung können aber auch die Realisation der Dialoge durch den Schauspieler sein, der Grad der Stilisierung der Dialoge, deren Funktion innerhalb des Filmgefüges und vieles andere mehr.

 

Die Variationsmöglichkeiten beim Figureninventar sind nach Schaudig breit gestreut. So könne eine Adjunktion (Hinzufügung) oder Deletion (Streichung) von bestimmten Figuren oder eine Attenuation (Abschwächung) oder Amplifikation (Verstärkung) von bestimmten Figurenmerkmalen erfolgen. Auch eine Zusammenlegung von Figuren und Figurenmerkmalen, das sei hier ergänzt, ist denkbar. Entscheidend sei bei all diesen Änderungen des Figureninventars, so Schaudig, dass zumindest die „globalen textinternen Figurenfunktionen“[36] unberührt bleiben würden, da die Wiedererkennbarkeit in Bezug auf die Vorlage gewährleistet sein müsse. Auch die Besetzungsvarianz, Manderbach spricht von „new casting“, ordnet Schaudig dem Strukturmuster Figureninventar zu.

 

Was schließlich die Handlungskonzeption betrifft, so ist laut Schaudig auch hier - bei Beibehaltung eines Normmodells, das der Vorlage zugrunde liegt - die Attenuation und Amplifikation bestimmter Aspekte möglich. Insbesondere der Grad der Änderungen in der Handlungskonzeption sei entscheidend für die Klassifikation als imitatives oder innova­tives Remake.

 

Zwar führt Schaudig in seiner Systematik sicher nicht alle möglichen Veränderungen auf, die bei einem Remake bezüglich der Vorlage vorgenommen werden können; doch lassen sich die nicht genannten zumindest den einzelnen Strukturmustern zuordnen. Bei der vergleichenden Analyse der Erich-Kästner-Verfilmungen im zweiten Teil dieser Arbeit, soll auf Schaudigs Begriffsinstrumentarium verstärkt zurückgegriffen werden.

 

Charakteristisch für den Diskurs über die Literaturverfilmung ist die Frage nach dem Wert der Adaption im Vergleich zur literarischen Vorlage. Auch hier ist eine sinnvolle Übertragung von Erkenntnissen auf die Remake-Diskussion möglich. Lange Jahre wurde die Literaturverfilmung unter Berufung auf die Kategorie Werktreue als minderwertig gegenüber der Vorlage beurteilt.[37] Erst in den 80er-Jahren gab es verstärkt Versuche in der Literaturwissenschaft, die Adaption durch den Film zu rechtfertigen. Kreuzer weist darauf hin, dass der Begriff der Transformation, den er für den Vorgang der Adaption wählt, den Terminus Werktreue aufhebt.[38] Für Johann N. Schmidt kann es keine werk­getreue Literaturverfilmung geben, da die Mittel des Films „nicht einfach nur den Gehalt von etwas transportieren, sondern in ihrer ästhetischen Organisation wiederum neue Bedeutungen und sinnliche Wahrnehmungszusammenhänge bilden.“[39] Erika Fischer-Lichte stellt Ähnliches in Bezug auf das Verhältnis von Drama und Theaterinszenierung fest.[40] Analoges gilt für das Remake.

 

Wolfgang Gast und Irmela Schneider argumentieren historisch zugunsten der Literaturverfilmung. Gast zufolge stellt das „Aufgreifen bereits vorhandener, literarisch oder in anderer Form gestalteter Stoffe, Handlungen, Motive (...) eine Grundform kultureller Überlieferung und Traditionsbildung dar“.[41] Wie Schneider darlegt, wurde erst mit dem Aufkommen des Genie-Begriffs Ende des 18. Jahrhunderts „jede Bearbeitung, die auf Wiedererkennen als Bearbeitung zielt, in der künstlerischen Wertung zum Problem“.[42] Beide verweisen auf Lessings Laokoon, in dem dieser hervorhob, dass allein die künstlerische Qualität entscheidet, ob Vorlage oder Bearbeitung als wertvoller zu betrachten ist. Zum Verhältnis von Dichtern und bildenden Künstlern schreibt Lessing dort Folgendes:

 

Meine Voraussetzung, daß die Künstler dem Dichter nachgeahmet haben, gereicht ihnen nicht zur Verkleinerung. (...) Sie hatten ein Vorbild, aber da sie dieses Vorbild aus einer Kunst in die andere hinüber tragen mußten, so fanden sie genug Gelegenheit, selbst zu denken.[43]

 

Originalität ist für Lessing also weniger eine Frage der Erfindung als eine Frage der Gestaltung. Dies gilt für ihn nicht nur für die Transformation von einer Kunstart in eine andere, sondern, wie Schneider ausführt, auch für die Adaption eines Werks in eine andere Gattung.[44]

 

Inzwischen besteht ein zumindest weitreichender Konsens, was die Frage der Beurteilung von Literaturverfilmungen betrifft: Zum einen ist die Literaturverfilmung als eigenständiges filmkünstlerisches Werk zu betrachten und zu beurteilen. Zum anderen ist sie als Transformation einer literarischen Vorlage eine mögliche Interpretation dieser Vorlage und somit vor allem für deren Rezeptionsgeschichte von besonderer Relevanz. Für das Remake gilt dies in analoger Weise.

 

Was die Beschäftigung mit den Verfilmungen von Erich Kästners Kinderromanen und deren Remakes neben der Verquickung von Remake-Problematik mit Literatur­verfilmungs-Problematik zusätzlich erschwert, ist Kästners eigenes Verhältnis zum Film. Zumindest bei zwei der sechs Filme, die in dieser Arbeit behandelt werden, war Kästner selbst direkt an deren Entstehung beteiligt. Autor der Vorlage und Autor der Verfilmung sind nicht klar zu trennen.[45] Im Folgenden soll daher ein kurzer Überblick zum Verhältnis des Schriftstellers Kästner zum Medium Film gegeben werden.

 

1.2 Erich Kästner und der Film - ein Überblick

 

Kästners Tätigkeit als Filmschaffender wurde lange Zeit in den wissenschaftlichen Arbeiten zu Kästners Leben und Werk nur marginal behandelt. Erst 1989 versuchte Ingo Tornow in seinem Buch „Kästner und der Film“ einen Gesamtüberblick über Kästners Verhältnis zum Film und sein filmkünstlerisches Schaffen zu geben. Ihm ist zu verdanken, dass die neueren Arbeiten nun diesen Werkaspekt mitberücksichtigen und darüber hinaus sich allgemein mit Kästner als Wanderer zwischen den Medien be­schäftigen.

 

Kästner gehörte Thomas Anz zufolge zu den Autoren, „die schon früh systematisch und professionell die Möglichkeiten nutzten, die ihnen von den Massenmedien geboten wurden.“[46] Was Gast für den Autorenalltag der Gegenwart konstatiert - die „Mehr­fachverwertung eines Stoffes in verschiedenen Fassungen, abgestimmt auf die jeweiligen Medienanforderungen“[47] - war für Kästner bereits Ende der 20er Jahre eine Selbstverständlichkeit. Er schrieb für Zeitungen und für Buchverlage, für das Theater, für den Rundfunk und für den Film. Für die Verbreitung seiner Gedichte hatte Kästner eigens eine Sekretärin eingestellt, „die eine Art ‚Vertriebsbüro‘ für ihn einrichtete und seine Gedichte systematisch an alle in Frage kommenden Tageszeitungen verschickte“.[48] Für seine Hörfunkrevue Leben in dieser Zeit von 1929 benutzte er schon vorab veröffentlichte Chansons und er erstellte kurz darauf eine Bühnenfassung. Bei seinen Kinderromanen, wie später gezeigt werden wird, verfuhr er meist ähnlich.