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Stirbt ein Mensch, so wirft das für die Hinterbliebenen existentielle Fragen auf. Uns wird unsere eigene Sterblichkeit vor Augen geführt und wir können vieles nicht begreifen. Der Tod löst Emotionen in uns aus: Bestürzung, Angst oder vielleicht auch Schuldgefühle. Die Fragen nach dem "Warum?" oder nach dem "Was kommt dann?" treiben uns um. Die ewig gleichen Antworten der Kirche lassen heute viele ratlos zurück, mit den Formeln und Phrasen, die bei der Beerdigungs- und Trauerfeier gesprochen werden, fühlen sich Menschen häufig in ihrem Schmerz nicht mehr wahrgenommen. Giannina Wedde gelingt es in diesem Buch, den Fragen, Ängsten, aber auch der Hoffnung und der Erinnerung neue, poetische Worte zu geben. Und weil hier die Untröstlichkeit genauso ihren Platz hat wie die Wut, die Liebe genauso wie der Zweifel und das Vergessen, werden sich Trauernde mit all ihren manchmal auch widersprüchlichen Gefühlen darin wiederfinden.
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Seitenzahl: 73
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2019
ISBN 978-3-7365-0228-4
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0599-5
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: Finken und Bumiller
Covermotiv: VICUSCHKA / photocase.de
www.vier-tuerme-verlag.de
Giannina Wedde
Es wächst ein Licht in deinem Fehlen
Ein Trost und Trauerbuch
Vier-Türme-Verlag
Vorwort
Trauer ist Schmerz über das Unwiederbringliche. Dieser Schmerz gehört zu uns, wenn wir einen Menschen durch den Tod verloren haben. Er wird sich nicht immer gleich anfühlen, nicht immer dieselbe Intensität haben oder den gleichen Ausdruck finden, aber er wird stets auf eine Weise in uns sein, als natürliche und gesunde Antwort auf Verlust und Abschied.
Drei Erfahrungen, die Trauernde oft machen, sind die der Einsamkeit, der Verdrängung und der Trostlosigkeit. Einsamkeit, weil es für die meisten Menschen immer noch sehr schwer ist, Trauernden offen und zugewandt zu begegnen und sie mit ihren Bedürfnissen wahrzunehmen. Verdrängung, weil Betroffene oft keine inneren und äußeren Räume finden, um ihren Verlust bewusst zu betrauern und einen aktiven Weg des Abschieds zu gehen. Trostlosigkeit, weil viele der bewährten Trostworte heute leer und fremd klingen und weil religiöse Antworten das Brennen der Trauer nicht lindern.
Diese Erfahrungen sind nicht bloß eine Momentaufnahme unserer zeitgenössischen Trauerkultur und ihrer schmerzlichen Defizite, sie weisen auch den notwendigen Weg in einen freieren, gesünderen und gemeinschaftlicheren Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.
Denn das, was uns an Miteinander fehlt, an Gefühlsausdruck und an Trost, ist weder verloren noch unerreichbar, vielmehr liegt es wie eine Aufgabe in unseren Händen.
Auch das vorliegende Buch entstand unter dieser Perspektive: Wie können wir Trauer aus dem Schweigen und der Angst ans Licht holen? Wie können wir als Trauernde sichtbarer sein? Wie können wir unseren vielfältigen Gefühlen lebendigen Ausdruck verleihen? Und wo finden wir Trost? Echten, aufrichtenden Trost, den wir auch weitergeben können?
Eine Antwort auf diese Fragen ist für mich die Poesie. Sie ist nicht nur Raum, in dem alle schweren Gefühle, alle Widersprüche, die kreisenden Gedanken und Fragen aufgehoben sind. Sie ist auch der Raum, in dem wir uns wie Tauchende in die tiefsten Schichten unserer Trauer vorwagen, um nicht selten genau dort Trost und Verwandlung zu finden. Der „poetische Blick" lässt sich auch über die Grenzen eines Textes hinaus üben: als Bereitschaft, das Unbekannte und Ungewisse zu bereisen, das Wesen der Dinge zu verstehen und einen schöpferischen Umgang mit allen Lebenswirklichkeiten zu finden.
Im Verlauf dieses Buches bin ich der Erfahrung nachgegangen, wie sehr unser Umgang mit dem Tod geliebter Menschen an elementaren Lebensbedingungen hängt: daran, wie bewusst uns unsere eigene Sterblichkeit ist, an der Frage, wer wir geworden sind und wer wir sein wollen, an unserer Verbundenheit mit der Natur und ihren Zyklen und ganz besonders an unserer Fähigkeit und Möglichkeit, uns als Teil einer menschlichen Gemeinschaft zu erleben, die uns trägt und die wir mittragen.
Ich glaube fest daran, dass Trauer keine einsam erlittene Gestimmtheit oder unlösbare Aufgabe sein muss, sondern dass sie von uns allen bewältigt und in ein erfülltes Leben gebettet werden kann, wenn wir offen, berührbar und begegnungsfähig bleiben. Wenn wir lernen, auch dem Leidvollen Raum zu geben und die Beziehungen zu unseren Toten zu bewahren. Denn Trauer ist nicht nur der Schmerz über das Unwiederbringliche, wie ich eingangs schrieb. Sie ist auch der Weg, der uns zurück ins Leben und mehr noch: auf eine neue Weise ins Leben führt.
Giannina Wedde
Verlust –Dein Tod, der in mir wandert und ruht
Die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen ist eine bodenlose Erschütterung. Binnen weniger Sekunden ist das Leben, wie wir es kannten, vorbei.
Was so unerwartet in unser Leben kommt, löst oft einen Schock aus, der das einbrechende Leiden für eine Weile lindert, bis wir in der Lage sind, der eingetretenen Veränderung zu begegnen. Ein Trauerprozess beginnt. Kündigte sich das Sterben durch eine langwierige Krankheit an, so beginnt dieser Prozess oft schon zu Lebzeiten des geliebten Menschen.
Nach dem erlittenen Verlust ringen wir zunächst um nicht viel mehr als das reine Überleben. Für viele ist ein Leben ohne den Verstorbenen nur schwer denkbar. Wie soll es weitergehen? Wie kann das Unaushaltbare ausgehalten werden?
Zahllose Gefühle, Gedanken und Erinnerungen stürmen auf uns ein. Und auch der Körper leidet, wenn das Schlafen, Essen und Trinken nicht mehr gelingen will. Es ist schwer, in der ersten Zeit nach einem Todesfall Zuversicht zu empfinden oder überhaupt das Gefühl zu entwickeln, ein souveräner und handlungsfähiger Mensch zu sein. Und doch ist es so, dass uns allen von Natur aus die Fähigkeit gegeben ist, den Tod eines nahestehenden Menschen anzunehmen und aus aller Ohnmacht, Sprachlosigkeit und dem Schmerz in ein erfülltes Leben zu finden. Die Trauer steht uns dabei nicht im Weg – vielmehr ist sie der Weg. Auf ihm begegnen wir vielen Aspekten unseres Selbst, die wir vielleicht noch nicht kannten. Wir begegnen auch den Vorstellungen, die wir von gelingendem Leben haben, und den tiefen spirituellen Fragen. Und selbst, wenn vieles auf diesem Weg Anstrengung und im wörtlichen Sinn Trauer-Arbeit ist, so fallen uns glücklicherweise auch immer wieder Dinge wie von selbst zu.
Ausgebreitet
Wärst Du noch hier,
so trügen die Bäume ihr Grün
wie ein fröhliches Geheimnis
und der Himmel läge weich wie Kaschmir
auf wogendem Korn.
Schritt für Schritt
würde ich gehen. Frei von Gedanken,
in wunschloser Andacht
der kleinen Stelle unter meiner Sohle lauschen,
an der der Sandstein heiter knirscht.
Doch du bist verloren
Und nicht nur mir.
Jeder Halm ist um Dein Licht betrogen.
Dein Tod ist über alle Dinge ausgebreitet
wie schwarzes Tuch.
Feindschaft
Ich wusste nicht,
dass man in Feindschaft leben kann
mit der nächsten Sekunde,
mit dem nächsten Atemzug,
ich dachte,
für Feindschaft braucht es mehr
als die Zumutung des nächsten Moments.
Ich dachte,
es braucht hässliche Worte
und entschlossene Gegner,
schwelende Wut mit langer Geschichte
und stechende Blicke
über die Gräben der Entzweiung.
Aber die Feindschaft
kam über mich,
wie dem staunenden Kind
der Flaum eines Vogels
vor die Füße fällt.
Dort schlossen sich Deine Augen,
und hier, in meiner toderschrockenen Mitte,
schlug die Feindschaft
ihre roten Augen auf.
Die Beiläufigkeit
der grausamen Dinge,
ich kannte sie nicht.
Ich fürchte die nächste Sekunde,
ich ringe mit der Unbeirrbarkeit
des nächsten Atemzugs,
ich arbeite mich ab an der Überforderung
des nächsten Moments.
Nirgends finde ich Dich.
Nirgends das Wort,
das die Fehde beendet,
an der ich nicht sterben kann.
Vielleicht fällt der Frieden
mir einst vor die Füße
mit derselben Beiläufigkeit.
Mit derselben Gewissheit,
dass ich ihn nicht suchte,
doch so präzise und unabänderlich,
als gäbe es für ihn
kein anderes Geschick
außer der sicheren Ankunft bei mir.
Dein Tod, der in mir wandert und ruht
Dein Tod ist nicht bei Dir geblieben.
Er hat beschlossen, mich zu bewohnen,
er braucht eine Bleibe nach getaner Arbeit,
einen Ort, an dem er ausruhen kann.
Ich fühle ihn umhergehen in meinem Körper,
mit geschlossenen Augen und Füßen aus Lehm.
Müde sitzt er in meinen Schultern,
mal fällt er wie krank in meine Beine,
und wenn ich die Hände zum Gruß erhebe,
liegen schwer seine Hände darin.
Nun bin ich zwei: der Mensch, der ich war,
und der Tod, der in mir wandert und ruht.