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Die E-Box der süchtig machenden Fantasyserie über ein außergewöhnliches Talent! Lia Kathrina führt uns in eine magische Akademie voller übernatürlicher Fähigkeiten, ungewöhnlicher Herausforderungen, ernstzunehmender Rivalen und großer Gefühle. Diese E-Box enthält alle Bände der magischen »Essenz der Magie«-Dilogie: »Essenz der Magie 1: Die Leerenbegabte« **Willkommen in der Akademie für Magiebegabte** Aufgewachsen in einer Patchworkfamilie voller Magiebegabter fiebert die 18-jährige Ria schon seit Jahren ihrem Eintritt in die Akademie entgegen. Als Mischlingstochter zweier unterschiedlicher Elementträger fällt es ihr besonders schwer, ihre Fähigkeiten zu beherrschen – vor allem, da ihre Begabung beim ungewöhnlichen fünften Element der Leere liegt, die eine ganz besondere Art der Ausbildung braucht. Das erste magische Schuljahr startet demnach auch voller Herausforderungen, die bald nicht nur akademischer Natur sind und neben ungeplanten Gefühlen auch unerwartete Wahrheiten ans Licht bringen… »Essenz der Magie 2: Die Feuerprüfung« **Harte Prüfungen für die Akademie der Magiebegabten** Bis vor Kurzem hat die Vorbereitung auf den prächtigen Gabenball noch die ganze Akademie in freudige Erwartung versetzt. Nun kehrt das dabei entstandene Fiasko alles in eine Lawine aus Angst und Schrecken um. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss Ria ihr Talent gegen eine echte Gefahr einsetzen und dabei alles anwenden, was ihr jemals beigebracht wurde. Doch es ist die unerwartete Hilfe an ihrer Seite, die ihr die notwendige Kraft gibt. Und bald auch ihr Herz höher schlagen lässt... //Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2018 Text © Lia Kathrina, 2018 Coverbild: shutterstock.com / © Aleshyn_Andrei / © Chrislofotos / © Ron Dale / © kaisorn / © deomis / © Maria Averburg Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60483-2www.carlsen.de
Lia Kathrina
Essenz der Magie 1: Die Leerenbegabte
**Willkommen in der Akademie für Magiebegabte** Aufgewachsen in einer Patchworkfamilie voller Magiebegabter fiebert die 18-jährige Ria schon seit Jahren ihrem Eintritt in die Akademie entgegen. Als Mischlingstochter zweier unterschiedlicher Elementträger fällt es ihr besonders schwer, ihre Fähigkeiten zu beherrschen – vor allem, da ihre Begabung beim ungewöhnlichen fünften Element der Leere liegt, die eine ganz besondere Art der Ausbildung braucht. Das erste magische Schuljahr startet demnach auch voller Herausforderungen, die bald nicht nur akademischer Natur sind und neben ungeplanten Gefühlen auch unerwartete Wahrheiten ans Licht bringen …
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Lia Kathrina lebt mit ihren zwei Katzen und unzähligen Büchern und Manga in der lauten, vielfältigen und unfreundlichen Stadt Berlin – und möchte niemals weg. Sie arbeitet als freiberufliche Pressereferentin und im Office einer Berliner Firma. Nebenbei betreibt sie einen YouTube-Kanal über Bücher. Von klein auf dachte sie sich mit ihrer kleinen Schwester Geschichten aus und beschloss 2017, endlich ihren Traum zu erfüllen und ein Buch zu schreiben.
Für mein 14-jähriges Ich – siehst du?
Durchhalten lohnt sich.
Sein eiskalter Blick durchbohrte mich. Sein Lächeln sollte mir wohl ein beruhigendes Gefühl geben, als hätte ich nichts zu befürchten, doch ich wusste ganz genau, dass dieser Mann mein Feind war.
Ich stand in der großen offenen Wohnküche unseres dreistöckigen, völlig übertrieben großen und pompösen Hauses und versuchte krampfhaft meine Arme nicht vor meinem Oberkörper zu verschränken. Mein Lächeln auf den Lippen wirkte freundlich, so hoffte ich, aber ich biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie schmerzten.
Dabei schenkte mir Robert keinerlei Aufmerksamkeit, nur seine bloße Präsenz schaffte es, mich in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Ich war darauf gefasst, jede Sekunde meine Leerenbegabung einsetzen zu müssen. Denn unsere Familie gehörte nicht gerade zu der normalen Sorte Mensch. Wir alle verfügten über eines der fünf Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft und Leere. Wir versteckten uns vor den normalen Menschen, auch Unbegabte genannt. Sie wussten nicht, dass unsere Gesellschaft existierte und dabei sollte es laut unserer Regierung auch bleiben. Die meisten der Unbegabten kannten nur die vier Elemente, die Leere als fünftes Element blieb ihnen verborgen. Dabei war sie wirklich mächtig, wenn sie nicht gerade von jemandem wie mir angewandt wurde. Im besten Fall sollte ich die restlichen vier Elemente kontern können, indem ich die Angriffe aufsaugte und sie selbst benutzte. So viel zur Theorie, in der Praxis lag der Erfolg jenseits meiner Reichweite. Bisher konnte ich lediglich die Reaktionen der inneren Begabungen von anderen im Auge behalten, wie jetzt jene von Robert. Auch wenn es vermutlich überhaupt nichts brachte. Gegen ihn würde ich nicht ankommen, was mich nur noch mehr frustrierte. Gut, meine Fähigkeiten zählten nicht zu den besten, aber auch ein Leerenbegabter mit vollständiger Ausbildung würde an Robert scheitern. Mein Vater Leonard saß mit ihm auf unserer Couch auf der anderen Seite des riesigen Raumes.
Unsere Wohnküche zählte zu den größten Zimmern in unserer Villa. Unsere Küche war hightechmäßig ausgestattet. Die neueste Technologie reihte sich aneinander, vom Kühlschrank über den Müllzerkleinerer bis hin zur vollautomatischen Küchenmaschine und alles verkleidet mit dem teuersten Marmor. Nicht, dass wir jemals selbst kochten, Essenz bewahre. Meine Eltern hielten nicht viel davon. In der Mitte zwischen Couch und Kücheninsel stand ein langer großer Tisch, ebenfalls aus weißem Marmor, mit Platz für sechzehn Leute. Auch diesen nutzten wir eher weniger. Harmonische Familie, die abends zusammen aß, war nicht so unser Ding. Mein kleines Reich lag zusammen mit Nates Zimmer im ersten Stock, während Mira, Moni und Chris ihre Räume im zweiten hatten. Das riesige Schlafzimmer meiner Eltern befand sich in der dritten und letzten Etage. Damit natürlich nicht genug, verteilt auf die drei Stockwerke hatten wir mehrere Arbeitszimmer, eine Bibliothek und einige Gästezimmer. Wie ich schon sagte, viel zu übertrieben, manche Zimmer betrat ich vielleicht einmal im Jahr und einige Gästezimmer überhaupt nicht. Emilia hatte dafür gesorgt, dass alle Räume in dem gleichen Einrichtungsstil ausgestattet waren. Nur unsere eigenen Zimmer hatten wir nach unserem Geschmack einrichten dürfen.
Robert und mein Vater saßen weit genug von uns entfernt, dass wir sie nicht hören konnten und sie unterhielten sich wie alte Freunde, auch wenn sie distanziert wirkten. Die beiden mussten in etwa gleich alt sein, während mein Vater jedoch bereits einen grauen Ansatz hatte, glänzte Robert mit seinen vollen braunen Haaren. Jedes Mal, wenn er zu Besuch war, bemerkte ich, dass sein ständiges Grinsen niemals seine Augen erreichte. Diese musterten mich und meine Schwestern, als wären wir seltene Tiere, die man im Zoo bewundern konnte. Manchmal hatte ich das Gefühl, Robert blickte mit seinen dunklen Augen sofort in den Abgrund der Seele.
Ganz im Gegensatz zu meinem Vater mit seinen hellen grauen Augen, die in jedem sofort Vertrauen weckten. Vermutlich einer der vielen Gründe, warum er eine so hohe Position in unserer Regierung, dem Hohen Rat, innehatte.
»Wir haben es bald geschafft, Ria, sie müssten in den nächsten Minuten fertig sein«, wisperte mir mein großer Bruder Chris zu.
Chris, der neunzehn Jahre alt war, hatte die gleichen Augen wie mein Vater. Auch wenn sie anders als bei diesem Güte und Freundlichkeit ausstrahlten. Er stand neben mir an die Küchentheke gelehnt und stieß gegen meine Schulter, damit ich unsere Stiefmutter Emilia beobachtete, wie sie mit unserer Schwester Moni am Tisch mit Uno beschäftigt war. Die Sechsjährige mochte dieses Kartenspiel am liebsten und jubelte erstaunlich oft, was die Vermutung nah legte, dass Emilia sie gewinnen ließ. Etwas, was Mum niemals getan hätte, jeder Sieg von uns war hart erkämpft gewesen. Aber Emilia versuchte sich seit der Hochzeit von meinem Vater und ihr sich bei meinem Bruder Chris und Moni einzuschleimen. Ihre Strategie, es über unsere jüngere Schwester zu versuchen, blieb fruchtlos, denn Moni war ein gewitztes Kind. Sie nutzte Emilia und ihre Gutmütigkeit ihr gegenüber aus und das mit der Unschuld eines Engels. Mit ihren hellblonden langen Haaren und ihren ebenfalls hellgrauen wachen Augen sah sie nämlich engelsgleich aus. Moni gehörte zu der Sorte von Kindern, denen niemand widerstehen konnte, allen voran ich selbst. Die Kleine wickelte mich mit ihrem lebhaften Wesen mit Leichtigkeit um den kleinen Finger. Allein ihrer grenzenlosen Liebe zu mir verdankte ich es, dass Emilia mich nicht offensichtlich hasste.
Auch jetzt bedachte mich meine Stiefmutter mit einem abschätzigen Blick, wie sie es oft tat. Vor allem, wenn mein Vater mir Aufmerksamkeit schenkte, die ihr so manches Mal verwehrt blieb. Ich dachte, allmählich hätte sie es durchschaut, dass mein Vater sie nicht nur aus reiner Liebe geheiratet hatte. Aber es blieb ihr augenscheinlich noch verborgen und ich sah es nicht als meine Pflicht, sie darüber aufzuklären.
Emilias braune glatte Haare steckten wie jeden Tag in einem strengen Dutt. Ihr Make-up wirkte so gekonnt aufgetragen, wie es nur ein Profi hinbekam. Ihre schmale Gestalt steckte immer in den teuersten Klamotten, heute ein schwarzer Hüftrock von Prada mit einer vornehmen weinroten Bluse. Ihr schlichter, wenn auch eleganter Kleidergeschmack ließ sie stilsicher wirken. Doch ich wusste, dass sie fast jeden Morgen stundenlang vor ihrem überdimensionalen Kleiderschrank stand und verzweifelte. Hätten wir ein besseres Verhältnis, könnte ich ihr sicherlich helfen. Mode war mein liebstes Hobby, aber so ließ ich sie suchen und widmete mich lieber meinem Training. Mein Vater wäre enttäuscht, wenn ich die von ihm gelehrten Grundlagen vernachlässigen würde. Früher hatte er uns drei Kinder trainiert, doch seit der Heirat mit Emilia und aufgrund seiner neuen Position im Hohen Rat blieb dafür keine Zeit.
»Du hast schon wieder gewonnen, Moni. Du bist einfach zu gut«, lächelte Emilia und schüttelte dabei scheinbar fassungslos den Kopf.
Chris und ich waren darauf bedacht, so natürlich wie möglich zu wirken, um Robert nicht zu zeigen, wie angespannt wir waren. Angestrengt suchte ich tief in mir den Funken meiner Gabe, um ihn im Notfall benutzen zu können. Eine absurde Vorstellung, denn dieser Funke würde absolut nichts ausrichten können. Doch die Bereitschaft zum Kampf gab mir die nötige Sicherheit nicht durchzudrehen.
Ich behielt Roberts Feuerbegabung im Auge. Mit genügend Konzentration erlaubte mir meine Leerenbegabung seine Essenz zu beobachten. Ich spürte deutlich die kleine Flamme in seinem Inneren, die ruhig und entspannt vor sich hin züngelte. Wie ein Teelicht im Winter auf unserem Esstisch. Die Lebensessenz war das Herz unserer Gaben, dort entsprang unsere Macht.
»Robert kann diese dämliche Villa mitten in der Pampa gar nicht schnell genug verlassen«, flüsterte ich zurück und drehte mich zu der Spüle aus Marmor mit dem protzigen Wasserhahn um. Mit einem anderen Wort als Pampa konnte ich diese Umgebung einfach nicht beschreiben, denn unsere nächsten Nachbarn wohnten zwei Kilometer entfernt. Egal in welche Richtung man ging, man sah nur Felder, Wald und Wiesen, bis das nächste Landhaus in Sicht kam, nur damit dahinter wieder eine ganze Weile das große Nichts herrschte. Und zu Fuß konnte es schon eine gute halbe Stunde dauern, bis man überhaupt anderen menschlichen Wesen begegnete. Mein Vater sagte immer, das sei gut für uns, damit uns die Unbegabten nicht bemerkten. Den Ausdruck Mensch vermied er, als wären wir etwas Besseres.
Ich hasste diesen Ort. Mit jeder Faser meines Körpers verabscheute ich dieses Haus, in welches ich niemals ziehen hatte wollen. Allein die Küche und die Eingangshalle zusammen waren so groß wie unsere frühere Wohnung. Und wir hatten über hundert Quadratmeter bewohnt. Aber mein Vater Leonard beschloss nur ein Jahr nach Mums Tod, dass es Zeit für einen Aufstieg auf der Karriereleiter war. Wie praktisch, dass er sich dabei ausgerechnet in die Tochter eines Mitglieds der Großen Fünf verliebte. Die Großen Fünf waren die mächtigsten Begabten unserer Zeit und entschieden über alle Begabten. Sie waren unsere Regierung.
Dass diese Patchworkfamilie mit Emilia und ihrem neunzehnjährigen Sohn Nate, der mich nicht ausstehen konnte, nicht funktionieren würde, hätte ich meinem Vater gleich zu Beginn sagen können, doch er hatte damals schon aufgehört mir richtig zuzuhören. Stattdessen waren wir vor vier Jahren in dieses übertriebene Haus gezogen. Und dann hatte er gemeinsam mit Emilia meine Halbschwester Mira in die Welt gesetzt, die eine pure Leerenbegabte war.
Ich hasste die Blicke, mit denen mich Emilia und Nate bedachten und denen ich nicht entkommen konnte. Emilia strafte mich mit Missachtung, weil mein Vater mir mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihr. Und Nate hasste uns vermutlich aus Prinzip. Ein Zuhause sollte Geborgenheit spenden, doch in diesem Haus glich jeder meiner Schritte der eines Eierlaufes – stets darauf bedacht den Hindernissen auszuweichen. Dabei bewachte mich mein Vater mit Argusaugen. Ich war seine älteste leerenbegabte Tochter und damit die einzige Person, die ihm bei seinen Plänen helfen konnte – und mit meinen grünen Augen auch die Einzige, die ihn an Mum erinnerte. Ein Problem für ihn, das ich oft zu spüren bekam. Auf der einen Seite wollte er mich nicht sehen, auf der anderen brauchte er mich. Dabei war Mums Tod schon sechs Jahre her und dennoch konnte er mir an manchen Tagen nicht einmal richtig in die Augen schauen.
Langsam nahm ich ein Glas und füllte es auf, um einige Schlucke zu trinken.
»Geht’s?«, fragte Chris.
Ich nickte und stellte das leere Glas wieder zurück. Die Nutzung meiner Leerenbegabung war anstrengend, vor allem, da ich seit über einer Stunde ununterbrochen Roberts Feuer im Blick behielt. Eigentlich sollte mir diese einfache Übung deutlich leichter fallen. Aber wie Vater immer sagte, ein Mischling ist halt nicht so mächtig wie eine Purbegabte.
»Dass Nate noch nicht mit Mira auf der Matte steht, ist beeindruckend. Ich bin überrascht, dass er es tatsächlich eine volle Stunde mit ihr allein aushält, wo er sonst immer so ein Drama draus macht«, sagte ich an Chris gewandt. Noch immer sprachen Robert und mein Vater außerhalb unserer Hörweite. Nicht auszudenken, was geschehen könnte, wenn wir etwas von ihren supergeheimen Plänen mitbekommen würden.
»Ach, vielleicht hat sich Nate mit seiner Rolle als Bruder in dieser Familie abgefunden.«
Zweifelnd hob ich eine Augenbraue. »Meinst du das ernst?«
»Klar, unsere Eltern sind schon seit drei Jahren verheiratet, er sollte seine bockige Haltung langsam aufgegeben haben.«
Ich musste mich heftig zusammenreißen, um nicht los zu prusten. »Natürlich und morgen bringt er mir sogar mit einem Lächeln im Gesicht Frühstück ans Bett«, sagte ich. Wir versuchten zwar zu scherzen, doch an Chris’ geballter Faust erkannte ich, dass er genauso angespannt und wachsam war wie ich. Seine weichen Gesichtszüge wirkten verbissen, wie immer, wenn Robert zu Besuch war. Manchmal dachte ich, dass Chris zu gut für diese Welt war. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und versuchte in allen Dingen einen Funken Positives zu sehen. Ein kurzes warmes Gefühl durchflutete mich, wenn ich an unsere geheimen Treffen in seinem Zimmer von damals zurückdachte. Seine Schulter war es gewesen, an die ich mich anlehnte, wenn ich nicht mehr weiterkonnte. Doch mit der Zeit hatte ich mich von ihm lösen müssen, um mich selbst um meine Probleme zu kümmern. Wie dieses hier: Wir luden den Feind in unser Zuhause ein. Und obwohl es in meinen Augen nicht zu einem Zuhause reichte, dieses Haus kam der Bezeichnung im Moment wohl noch am nächsten.
»Nicht einmal, wenn du sterbenskrank bist, würde ich dir Frühstück bringen, Hohlbirne.« Die vertraute Stimme von Nate erklang, wie immer gespickt mit einem gewissen Ton an Verachtung.
Ich drehte mich zu Nate um, der mit meinem anderen kleinen Engel Mira auf dem Arm im Türrahmen stand. Sein Gesicht war wie immer zu einer genervten Miene verzogen, dabei würde er mit einem Lächeln sogar verdammt gut aussehen. Das musste an diesen Feuerbegabtengenen liegen. Ich hatte noch nicht eine Person mit dem Element Feuer gesehen, die keinen Modeljob übernehmen hätte können. Und leider stach Nate auch noch unter den Feuerbegabten heraus. Er sah mit seinen dunklen kurzen Haaren und seinem gut trainierten Körper, der mit einigen gezielten Tattoos bedeckt war, beeindruckend verwegen aus. Er trug auch immer einen Gesichtsausdruck zur Schau, der deutlich sagte: Mir ist alles und jeder egal. In seltenen Momenten wirkte er auch nachdenklich und sah dabei faszinierend gut aus, doch dann haute er wieder einen fiesen Spruch raus und schon verschwand das Trugbild.
Er stand mit seinen dunklen Haaren im perfekten Kontrast zu mir, Chris und Moni. Wir alle besaßen natürliches, sehr hellblondes Haar, welches wir von unserer Mutter geerbt hatten und ein Zeichen für die lang zurückreichende reine Familiengeschichte war. Blöd nur, dass sie als Feuerbegabte sich mit einem Leerenbegabten eingelassen hatte – und schon war die lange Linie der Purbegabten unterbrochen. Tadaaaa, drei Mischlinge mehr auf der Welt, die noch das Merkmal der Purbegabten trugen. Ein kleiner Skandal, um den sich meine Eltern damals nicht scherten.
Ich legte den Kopf schief und betrachtete scheinbar gelangweilt meine Finger. »Hohlbirne? Du bist heute so kreativ mit deinen Beleidigungen. Ich bin fasziniert. Fällt dir nicht mehr zum Thema Leerenbegabung ein?« Herausfordernd schaute ich ihn an, doch Nate ignorierte mich schon wieder und setzte seiner Mutter Emilia die kleine zweijährige Mira auf den Schoß. Dabei wippten ihre braunen Locken auf und ab, während sie erfreut aufjauchzte und ihre pummeligen Arme in die Richtung von Moni streckte. Meine beiden Schwestern kamen wunderbar miteinander aus, denn Moni freute sich wie ein Christkind, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Sie spielte täglich und mit Engelsgeduld stundenlang mit Mira.
»Da. Ich habe keinen Bock mehr den Babysitter zu spielen und Bilderbuchfamilie schon mal gar nicht«, schnaufte Nate genervt.
Das hatten wir alle nicht, aber Nate ging so weit, dass er sich von meinem Vater nichts befehlen ließ – oder sagen wir, nur bedingt. Chris und ich standen dabei komplett unter Vaters Kontrolle.
Emilia lächelte ihren Sohn nur an und ließ ihn wie immer gewähren. Ich konzentrierte mich wieder auf Robert und meinen Vater. Langsam schienen sie wirklich am Ende ihres Gesprächs angelangt zu sein. Vaters Essenz entspannte sich zunehmend.
Gleich konnte ich wieder trainieren gehen und endlich aufhören meine Zeit so sinnlos zu verschwenden. Wir würden später zur Akademie aufbrechen, deshalb war es eigentlich unfassbar, dass gerade heute Robert noch einmal hier antanzen musste.
Er stand auf und reichte meinem Vater die Hand. Jetzt würde der schlimmste Augenblick seines gesamten Besuchs folgen.
Ich drückte meinen Rücken durch, um möglichst aufrecht zu stehen, keine Angriffsfläche zu bieten, keine Angst zu zeigen.
Innerlich betete ich mein Mantra herunter, um mir Mut zu machen. Ich kann das. Ich bin eine starke Leerenbegabte. Ich kann das. Mein Vater wird mich nicht für eine Versagerin halten. Ich kann das.
Robert und er kamen zu uns herüber und unser Besucher ließ langsam seinen Blick über uns schweifen. Dieser war musternd, als suchte er vergeblich nach einem verborgenen Talent. Nur würde er das nicht finden. Nicht bei mir. Am meisten käme da noch Mira infrage. Als Tochter von zwei Leerenbegabten – meinem Vater und Emilia – würde ihre Begabung die stärkste sein.
»Ria, du wirst von Besuch zu Besuch aufrichtiger und fokussierter«, sagte er zu mir. In seinen Augen sah ich dagegen keinerlei Aufrichtigkeit, sondern nur pure Berechnung. Sein eiskalter Blick ließ mich jedes Mal innerlich schaudern. Dieser Mann war der gefährlichste Begabte unserer Zeit und wir mussten vor ihm spuren. Nur damit mein Vater ihn für den Hohen Rat im Auge behalten konnte, wie er immer zu sagen pflegte. Offiziell klang alles so schön leicht, so ehrenvoll. Doch nichts an dieser Musterung war ehrenvoll. Ich kam mir wie Ungeziefer vor. Mein Vater präsentierte uns Kinder gern wie ausgestopfte Tiere, wie Trophäen, die er erlegt hatte.
Trotzig reckte ich Robert das Kinn ein wenig entgegen.
»Ich trainiere auch jeden Tag.«
»Ganz die Tochter deines Dads. Leonard, du kannst stolz sein, auch wenn sie nur ein Mischling ist. Was war das nochmal? Feuer und Leere?« Dieser Mann wusste das ganz genau. Er verdeutlichte mir damit nur, wo mein Platz war.
»Ja, auch wenn sich meine Gene durchgesetzt haben. Nur bei der Haarfarbe hatte ich wohl kein Mitspracherecht. Du bist doch sicher in Eile, lass uns ein anderes Mal weitersprechen.« Mein Vater schaute auf die Uhr. Jeder andere hätte vermutlich gekränkt reagiert, doch Robert nicht. Er wusste um seine Stellung und tat so, als hätte er Vater nicht gehört.
»Und deine wunderschöne Frau Emilia und eure Tochter Mira. Pure Leerenbegabte sind so selten. Chris, ich bin gespannt auf deine Entwicklung im zweiten Jahr. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du zu den besten Feuerbegabten gehörst.«
Chris nickte und schob seine Schulter ein wenig vor mich, sodass er zwischen Robert und mir stand. Ein warmes Gefühl breitete sich aus, wenn ich Chris’ geraden Rücken betrachtete. Sein Kreuz war nicht so breit wie das von Nate, dennoch zeichneten sich deutlich Muskeln unter seinem Shirt ab.
Robert sah auf die teure Uhr an seinem Handgelenk und setzte eine bestürzte Miene auf.
»Leider habe ich keine Zeit, mich ausführlich mit euch zu unterhalten. Meine Verpflichtungen lassen mir leider nur wenig Raum.«
»Wie bedauerlich. Lass uns ein anderes Mal sprechen«, bot Emilia überaus freundlich an.
»Sehr gern.«
Noch immer behielt ich seine Begabung genau im Blick. Robert kramte in seiner Jackentasche und holte eine kleine Kugel hervor. »Bis bald. Und vergiss nicht, was wir besprochen haben, Leonard.«
Ein letzter eiskalter Blick glitt an mir herunter, seine Mundwinkel hoben sich ganz leicht an. Ein Schauer ging mir über den Rücken und das unangenehme Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich.
Dann ließ er die Kugel in Flammen aufgehen und verschwand kurz darauf mit einem grellen Aufblitzen.
»Teleportationsessenz?« Fragend sah ich zu meinem Bruder, der sich sichtlich wieder entspannte. Er legte eine Hand unter sein glattrasiertes Kinn und drückte es vorsichtig zum Dehnen nach links und rechts. Generell musste er sich nicht oft rasieren, da sein Bartwuchs sehr zu wünschen übrigließ.
»Ja, völlig überteuert, aber er scheint das Geld ja zu haben«, sagte er.
Endlich ließ auch ich meine Fassade fallen und bewegte meine verkrampften Schultern probeweise ein wenig, um sie wieder zu lockern.
Mein Vater ging zum Schrank mit den teuren Spirituosen und goss sich seinen liebsten Whiskey ein – und das um neun Uhr morgens.
»Dieses Versteckspiel raubt mir noch den letzten Nerv. Geht alle raus, ich brauche jetzt meine Ruhe.«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Fluchtartig verließ ich den Raum.
Auf der Treppe nach oben in mein Zimmer hielt mich Chris auf. Ich stoppte mitten in der Bewegung und drehte mich auf dem Treppenabsatz um.
»Glaubst du Papa, dass er Robert für den Hohen Rat ausspioniert?«, fragte Chris.
»Ich vertraue Vater. Er wird seine Gründe haben, warum gerade er die Aufgabe übernommen hat. Aber ja, es kotzt mich genauso an wie dich. Und jetzt entschuldige mich, eine Eule wartet.«
***
»Ich kann das. Ich bin eine starke Leerenbegabte. Ich kann das. Mein Vater wird mich nicht für eine Versagerin halten. Ich kann das.« Immer wieder betete ich die Sätze vor mich hin. Ich hatte mal gelesen, wenn man sich oft genug bestimmte Dinge sagte, konnten diese das Leben positiv beeinflussen. Wenn ich mich konzentrierte, würde ich diese lächerliche Aufgabe schon bewältigen. Es konnte doch nicht so schwer sein, in diesem unverschämt großen Garten eine anständige Essenzenentziehung hinzubekommen. Wir Begabten nutzten jeden Tag Essenzen, um unseren Alltag etwas zu erleichtern. So konnte man sich mit ihrer Hilfe nicht nur von einem Ort zum anderen teleportieren, sondern auch schweben, heilen oder Licht erzeugen. Aber auch abgefahrene Dinge wie sein Spiegelbild zum Leben erwecken oder Tiere sprechen lassen. Mit der Essenzenentziehung konnten Leerenbegabte wie ich an solche Essenzen gelangen. Doch dies verlangte die volle Konzentration des Anwenders.
So viele verschiedene Tierarten es gab, so viele unterschiedliche Essenzen konnten entstehen. Leider standen uns nicht mehr alle Essenzen zur Verfügung, da die restliche Menschheit einige Tierarten, wie Papageien oder Eisbären, bereits völlig ausrottete.
Ich versuchte verkrampft die Gedanken an Roberts Blick abzuschütteln. Mich würde es nicht wundern, wenn er schon Menschenleben auf dem Gewissen hatte.
Einen Augenblick wandte ich mich von der kleinen Eule vor mir im Käfig ab und schaute stattdessen hinüber zum Hauseingang. Dort stapfte gerade Nate zurück zum Haus und warf mir dabei einen genervten Blick zu, mit einer wunderschönen Nuance echter Verachtung. Hach, ich mag diesen Hass am Morgen zwischen meinem Stiefbruder und mir. Dies hätten wir uns alle ersparen können, aber mein Vater hatte unbedingt erneut heiraten müssen. Und als Hochzeitsgeschenk für Chris, Moni und mich gab es gratis noch einen Stiefbruder zum ultimativen Familienglück mit dazu.
Genug davon! Ich wollte das hier endlich hinter mich bringen und das am besten ohne Nate als Zuschauer, der sich eine schnelle Scheidung unserer Eltern und eine Trennung von mir wünschte. Also nochmal.
»Ich schaffe das!«
Die kleine Eule im Käfig hatte ich vor einer Stunde in einem Astloch im Wald nur einen Kilometer von unserem Haus entfernt gefunden. Gut, wenigstens ein Vorteil von diesem Nirgendwo. Mittlerweile wusste ich ganz genau, wo die Eulen ihren Schlafplatz hatten. Vorsichtig und bedacht hatte ich sie in einen Käfig gesperrt. Hoffentlich würde ich ihren Schlafrhythmus nicht zu sehr stören. Gerade deshalb hinterließ ich meinen kleinen unfreiwilligen Gehilfen immer ein wenig Nahrung. Ich wollte ja nicht, dass sie wegen mir ihrer Futtersuche nicht hinterherkamen. Natürlich tat ich den Tieren nichts an. Ich brauchte nur ihre Essenz, ihre innere Energie, um unseren alltäglichen Wahnsinn in der Welt der Begabten besser bewältigen zu können und zum Beispiel umher zu teleportieren. Die Tiere spürten nichts davon, sie fühlten nur eine gewisse Müdigkeit, als hätte man gerade eine Trainingseinheit hinter sich gebracht.
»Ich kann das!«
Ich streckte meine Gabe aus, die sich wie ein rascher Nebel anfühlte, den ich lenken und beherrschen konnte, und versuchte mit geschlossenen Augen den Energiekern der Eule zu erfühlen. Ich suchte in ihrem Inneren diesen Funken, den alle Tiere besaßen. Vor meinem geistigen Auge konnte ich ihn deutlich sehen, er glimmte leicht auf. Wie kleine Glühwürmchen im Wind auf einer dunklen Wiese. Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Die Suppe lief mir unangenehm den Rücken hinunter. Ich ließ meine Gabe direkt auf die Essenz zukriechen. Die Anstrengung zwang mich zum Aufgeben, mein Körper hielt nicht stand und mein Atem ging schwer.
Keuchend brach ich ab. »Shit! Verflucht! Verdammt!«
Ich hatte versagt. Mal wieder. Mein Griff ging an die Kette meiner Mum. Ich drückte den Anhänger, ein vierblättriges Kleeblatt, und wollte sie mir am liebsten vom Hals reißen.
Aber ich würde nicht aufgeben.
Meinen Vater zu enttäuschen, war für mich das Schlimmste und doch tat ich es in jedem Augenblick meiner bloßen Existenz, wie er mir auch eindrucksvoll vermittelte. Anders als meine Halbschwester Mira. Er setzte seine gesamten Hoffnungen auf das jüngste Familienmitglied. Als Purbegabte würde sie stärker sein als wir vier Mischlingskinder. Da Chris und Nate lediglich Feuerbegabte waren, schenkte Vater ihnen keine Aufmerksamkeit. Nur uns drei Mädchen behielt er im Auge, da ihm seiner Ansicht nach unsere Leerenbegabung sicherlich noch nützen würde. Mit genügend Talent wären wir nicht nur bei der Essenzenentziehung eine Hilfe, sondern auch in seiner Politik.
Ich holte meine Gedanken wieder auf den Punkt zurück. War mein Körper wirklich so schwach, dass er den Belastungen meiner Leerenbegabung nicht standhalten konnte?
Ich stand ruckartig auf. Verschreckt krächzte die kleine Eule auf.
»Entschuldige«, murmelte ich und ging einmal auf und ab, um mich zu beruhigen. Mich zu sammeln. Schluss mit diesen Gedanken. Ich würde meinen Vater stolz machen, egal wie.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich kaum genug Zeit zum Duschen oder Kofferpacken hatte. »Na gut, die Akademie wird mir schon helfen.«
Endlich war ich mit meinen frischen achtzehn Jahren alt genug, um das erste Jahr in der Akademie zu absolvieren. Jeder Begabte mit achtzehn musste sie drei Jahre lang besuchen, um mit seiner Begabung optimal umgehen zu können und damit in unsere Gesellschaft eingeführt werden zu können. Die Eltern gaben damit auch ihre Haftung für unsere Taten ab. Wenn wir jetzt Mist bauten, wie zum Beispiel unsere Fähigkeiten vor einem normalen Menschen anzuwenden, würde man uns dafür zur Verantwortung ziehen.
»Komm, Kleine, flieg. Ich bin jetzt erst einmal ein Jahr weg und du hast deine Ruhe«, sprach ich ihr gut zu und öffnete die Käfigklappe.
Die Eule legte ihre Federn wieder glatt an und tapste aus ihrem Gefängnis in die Freiheit.
Dann breitete sie ihre Schwingen aus und flog in den Wald zurück. Voller Sehnsucht sah ich ihr nach.
»Wie kitschig«, schalt ich mich selbst und streckte mich. Diese winzige Übung war nicht spurlos an mir vorübergegangen. Meine Klamotten klebten an mir. Widerlich!
»Ria!«, schrillte die Stimme meines Vaters durch unser ach so heimeliges Zuhause.
Gerade befand ich mich in meinem Zimmer und versuchte den Rest meiner Kleidung irgendwie in den letzten von vier Koffern zu stopfen. Gut, es war nicht alles verabscheuenswürdig an diesem Ort. Mein Zimmer war toll. Es war groß, offen, hell, voller Kleiderschränke und bot viel Platz für meine Nähutensilien sowie einige Kleiderpuppen – aber vor allem gehörte es nur mir! Und es war abschließbar!
Ich kam gerade aus meinem Badezimmer, um meine letzten Schminkutensilien einzupacken. Meine langen hellblonden Haare trug ich offen, so wie fast immer, außer zu meinen Trainingseinheiten, wo ich sie zu einem hohen Zopf band. Im Moment ließ ich meinen seitlichen Pony herauswachsen. Er und ich führten eine Hassliebe, da ich mich mit Seitenscheitel mochte, aber an manchen Tagen wollte der Pony einfach nicht liegen bleiben und behinderte ständig meine Sicht. Gerade im Training konnte ich das nicht gebrauchen.
Ich zog mir ein zu großes schwarzes Shirt über den Kopf und schlüpfte in Jeansshorts, die meine langen Beine gut zur Geltung brachten. Jetzt noch meine weißen Turnschuhe angezogen und fertig war ich.
Früher hatte ich jeden Tag mit meinem Vater trainiert, weshalb ich meinen Körper nicht verstecken musste. Die Leerenbegabung zog ihre Kraft aus der Körperkraft, daher betrieb ich schon von klein auf viel Sport. Dennoch trug ich ganz im Gegensatz zu meiner besten Freundin gerne weite Sachen, die mich nicht einengten.
Wir hatten den ersten August, die Sonne schien warm vom Himmel und die Temperaturen waren entsprechend hoch, sodass ich auf eine Jacke verzichten konnte.
Ich packte meine Schminkutensilien in meine große Kosmetiktasche. Den dunkelroten Lippenstift, den Lipliner, mit dem ich immer leicht meine obere Lippe übermalte, damit sie besser zu meiner vollen Unterlippe passte. Zum Abschluss legte ich meinen Bronzer in die Tasche, mit dem ich meine zu hohe Stirn, noch ein Grund für den Seitenpony, kaschierte. Vielleicht sollte ich ihn doch nicht rauswachsen lassen?
Früher hatte ich meine stechend grünen Augen mit einem Lidstrich betont. Aber da sich der Eyeliner als sehr widerwilliger Gefährte entpuppte und ich ständig minutenlang den Strich korrigieren musste, hatte ich es irgendwann aufgegeben und benutzte jetzt nur noch Wimperntusche.
»Wir warten! Wo bleibst du?!«, brüllte mein Vater abermals, aber dadurch würde es auch nicht schneller gehen. Ich hatte es gerade mal geschafft zu duschen und meine sieben Sachen zusammen zu suchen. Ein bisschen Geduld musste er schon aufbringen. Fieberhaft suchte ich abschließend nach meiner Kette. Vor dem Duschen hatte ich sie abgelegt. Aber wo war sie? Himmel Gabe noch eins, von wegen das Genie überblickt das Chaos!
Meine Tür sprang auf und Moni kam hereingehüpft, gefolgt von Chris. »Ria, Ria, wir wollen loooos«, quietschte sie und rannte ungeduldig um meine Taschen und Koffer herum.
»Du musst doch nicht alles mitnehmen, dort gibt es so etwas wie Waschmaschinen«, belehrte mich Chris und schüttelte augenverdrehend seine hellblonden Haare.
»Das sind ja auch nicht alles Klamotten, da sind noch ein paar Stoffe und meine Nähmaschine und … andere überlebenswichtige Dinge dabei«, erklärte ich und deutete auf mein Gepäck.
»Hilfst du mir, Chris?«
Ich bedachte meinen um ein Jahr älteren Bruder mit einem unschuldigen Hundeblick. Moni jauchzte begeistert auf und stellte sich neben mich auf einen Koffer, um meinen Gesichtsausdruck nachzuahmen.
Standhaft sah Chris uns in die Augen, bis er genervt das Handtuch warf und sich schon einmal eine Tasche um die Schulter warf.
»Beeil dich, sonst machst du Dad noch wütender. Es ist sowieso schon wieder auf hundertachtzig.«
Was auch nichts Neues war. Meinem Vater etwas recht zu machen gehörte nicht unbedingt zu meinen Stärken. Seit Mums Tod vergrub er sich in seine Arbeit beim Hohen Rat und wenn nicht alles nach seinem Plan lief, ließen die Strafen nicht lange auf sich warten. Sein Training war hart und hatte ich mich noch bis vor sechs Jahren für eine gute Leerenbegabte gehalten, so ließen mich seine Methoden die Wahrheit erkennen: Es lag noch viel Arbeit vor mir.
Chris trat aus meinem Zimmer, während Nate sich an ihm vorbei drängen wollte.
»Pass doch auf, du Trampel!«, schimpfte er erbost und rammte seine Schulter gegen Chris’ Brust.
»Augen auf, rechts vor links, du bildungsfernes Wesen!«, entgegnete Chris.
Doch Nate war schon Richtung Treppe gepoltert und ignorierte ihn gekonnt. Nate hatte es ganz besonders auf meinen großen Bruder abgesehen, vermutlich, weil Chris um zwei Monate älter war und damit bei Veranstaltungen auch immer zuerst vorgestellt wurde. Soweit ich wusste, war Nate zuvor Einzelkind gewesen und plötzlich traten vier weitere Kinder in sein Leben und spalteten die Aufmerksamkeit seiner Mutter Emilia. Durchaus verständlich, dass er zu Beginn nicht gut auf uns zu sprechen war, aber das Kennenlernen lag nun bereits vier verdammte Jahre zurück. Man konnte es mit seinem bockigen Verhalten auch übertreiben.
»Gut gekontert, Tiger«, zog ich Chris schmunzelnd auf.
»Woher soll ich so etwas auch können? Vor dieser Hochzeit musste ich nie Menschen beleidigen.«
»Das musst du auch jetzt nicht, überlass das Diskutieren lieber mir.«
Im Kopf ging ich noch einmal alle Dinge durch, die für mich essenziell waren. Ich hatte eingepackt: Stickschere zum Auftrennen, Fingerhut, Handnähnadeln, Maßband, Schneiderkreide, Garn und meinen Stecknadeligel. Außerdem von meiner Mutter die vererbte nachgeschliffene Stoffschere und einen Stoff mit einem wunderschönen Farbverlauf von Weiß über Grau bis Schwarz. Ich liebte den Seidensatin und wusste, ich konnte das Erbstück meiner Mutter nicht an irgendein Kleidungsstück verschwenden. Mir kribbelte es in den Fingern, denn ich spürte, auf der Akademie würde der richtige Augenblick dafür kommen.
Chris packte zusätzlich zwei meiner Koffer und trug diese nach unten, während ich mir meine Handtasche und die restlichen zwei Gepäckstücke schnappte.
»Hast du nicht noch Flugessenzen?«, erkundigte sich Chris von der Treppe aus, als er unter dem Gewicht ächzte.
»Nein, leider alle aufgebraucht und selbst wenn, für die paar Stufen sind sie mir zu teuer. Dafür habe ich doch dich.« Neckisch schaute ich ihn an, während ich eine Tasche wieder abstellte, um ihm eine Kusshand zu zu werfen.
»Ich will auch was tragen«, forderte Moni.
Ich beugte mich zu ihr hinunter und gab ihr meine Handtasche.
»Nimm die, aber vorsichtig, da sind sehr wichtige Sachen für mich drin.«
Behutsam nahm Moni die Tasche an sich und lief los.
Überprüfend ließ ich meinen Blick noch einmal schweifen, ob ich auch nichts vergessen hätte. Nur meine Kette konnte ich nach wie vor nicht finden. Sie jetzt noch zu suchen würde meinen Vater noch mehr reizen und ich dachte, für heute hatte ich mein Pensum ausgereizt.
Ich schloss sorgsam meine Tür und drehte den Schlüssel herum, um ungebetene Besucher fernzuhalten.
Wenn ich eines nicht brauchte, dann war es Emilias vorgetäuschte Nettigkeit mein Zimmer aufräumen zu wollen und damit wieder irgendetwas zu finden, was mich in Schwierigkeiten bei meinem Vater brachte. Ich war mir absolut sicher, dass sie das nur machte, um mich in die Pfanne zu hauen.
Daher hielt ich es für besser sie vorsorglich aus meinem Zimmer fernzuhalten.
Endlich kam ich die große Treppe herunter, die vom ersten Stock ins Erdgeschoss führte.
Meinem Vater trat schon die Wutader am Hals hervor, ihn noch weiter zu reizen war deshalb nicht anzuraten.
»Du siehst wie deine Mutter aus, Ria!« Aufgeregt klatschte Emilia in die Hände und machte ein Foto mit ihrem Smartphone. »Sie war auch immer so schwer beladen, wenn es zur Akademie ging.«
Na wunderbar. Und da war sie wieder, die unbändige Ungeduld meines Vaters, wenn nicht alles nach seinem Plan lief.
»Hat sich Madame endlich bequemt? Lässt alle hier warten, als wären wir ihr Personal.«
Ihn an meine Mutter zu erinnern hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Emilia legte einen ehrlich zerknirschten Gesichtsausdruck auf. Vermutlich hatte sie es dieses Mal nicht mit Absicht getan. Das Ergebnis blieb trotzdem das gleiche. Ich wollte auch Emilia keine bösen Absichten unterstellen, sondern verstand sie sogar in manchen Punkten. Ihr Ehemann schenkte ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit und sie fühlte sich einsam. Alles verständlich, aber ich hatte es satt, dass diese Kämpfe auf meinem Rücken ausgetragen wurden. Ich zuckte innerlich aufgrund der harschen Worte meines Vaters zusammen, doch mein Körper blieb starr. Wenn ich ihm gegenüber jetzt Schwäche zeigte, würde ihn das nur noch mehr reizen. In nur wenigen Stunden würde ich seine Launen nicht mehr ertragen müssen.
Schweigend schleppte ich mein Gepäck auf den großen Hof zum Auto und stellte es schnaufend vor dem Kofferraum ab. Dort standen bereits die Habseligkeiten meiner Brüder und ein riesiger Sack Vogelfutter – wofür auch immer er vorgesehen war. Das Auto war so groß, dass wir alle sechs plus Mira in ihrem Kindersitz darin bequem Platz fanden, nur ob meine gigantischen Koffer noch hineinpassten, blieb fraglich.
Emilia besaß das überwältigende Anwesen, mein Vater steuerte sein riesiges Vermögen bei, um so Spielzeuge wie dieses Auto zu kaufen.
Der nur allzu vertraute Klingelton von Vaters Handy erklang. Zu jeder Tageszeit hörte man dieses Gebimmel in unserem Haus, da konnte es noch so groß sein. Mein Vater ging sofort ran und bedeutete den Jungs mit einem Kopfnicken das Gepäck zu verstauen. Die Arbeit hatte bei ihm immer Vorrang, dafür nahm er selbstverständlich auch eine Verspätung in Kauf. Mira saß auf dem Boden vor dem Auto und spielte mit kleinen schwebenden Bauklötzchen. Als sie mich sah, streckte sie ihre kurzen Ärmchen nach mir aus und lachte fröhlich: »Ria, Ria.«
Grinsend nahm ich sie vorsichtig auf den Arm und stupste einmal gegen ihre Nase.
»Bin ja da, Kleines.« Ich liebte meine Schwestern abgöttisch. Wenn die Natur etwas Sinnvolles hervorgebracht hatte, dann diese kleinen Engel. Mira war erst zwei Jahre alt und selbst Nate konnte sich ihrem Charme schwer entziehen.
Sanft wiegte ich sie hin und her, während meine Brüder unser Gepäck für die Akademie verstauten oder es zumindest versuchten.
»Bist du schon aufgeregt?«, erkundigte sich Emilia bei mir. Sie trat hinter mich und beobachtete die ratlosen Gesichter der Männer. Nate und Chris brachen mal wieder einen Streit vom Zaun, weil jeder der beiden meinte die bessere Methode für das Einräumen zu kennen.
Ich drehte mich zu meiner Stiefmutter um und versuchte es mit einem freundlichen Lächeln. Mira saß auf meiner Hüfte und spielte mit meinen langen welligen Haaren. Vor allem wenn die Luft wie im Moment ein wenig schwül war, wellten sich meine Haare aufgrund der Feuchtigkeit und daran hatte Mira ihren größten Spaß.
»Ja, es ist schließlich mein erstes Jahr«, sagte ich.
»Ich erinnere mich auch noch ganz genau an mein erstes Jahr. Da habe ich deine Mutter kennengelernt. Zwar besuchte sie die Feuerklasse und ich die Leerenklasse, aber wir teilten uns damals ein Zimmer. Deine Mutter war eine wunderbare Frau«, erzählte sie mit einem Glitzern in den Augen. Emilia hatte ihre Schulzeit sicher geliebt, so wie ich sie auch genießen werde. Drei Jahre lang würde ich nicht mehr bei meinem Vater und meiner Stiefmutter leben müssen und wenn ich Glück hatte und direkt danach eine eigene Wohnung fand, dann sogar nie wieder. Ein Glücksgefühl breitete sich in mir aus. Mein Blick streifte meinen Vater. Dennoch würde ich natürlich in seiner Nähe bleiben. Er hatte ja seine Pläne und bei diesen spielte ich zum Teil eine Rolle.
Es schmerzte, gerade von Emilia Geschichten über meine verstorbene Mutter zu hören. Schließlich lebte sie jetzt an der Seite meines Vaters und genoss das Leben anstelle meiner Mutter.
Ich biss die Zähne zusammen und wandte mein Gesicht lieber Mira zu, die immer noch ganz verzaubert von meinen Haaren war. »Ja, dass ihr Spaß hattet, kann ich mir vorstellen.« Ich hätte ihr erzählen können, dass ich mir mein Zimmer mit Jara teilen würde. Meiner besten Freundin seit dem Sandkasten. Dass ich bereits die Hälfte meines Jahrgangs kannte, da wir die Vorbereitungsschule für zwei Wochen besucht hatten.
Diese hatte es zu ihrer Zeit noch nicht gegeben. Erst jetzt waren die Genies vom Hohen Rat auf die Idee gekommen, Pubertierende mit ihren Gaben nicht auf die Unbegabten loszulassen. Oder dass wir keine getrennten Klassen mehr hatten, sondern alle Gaben zusammengefasst wurden. Aber all das ging Emilia einfach nichts an. Ich wollte es ihr nicht erzählen, da sie mich immer wieder in so verzwickte Situationen brachte – egal ob mit oder ohne Absicht. Den Ärger hatte ich in jedem Fall am Hals.
Plötzlich spürte ich hinter mir ein Aufflammen und duckte mich reflexartig. Schon sauste ein kleiner Feuerball direkt über meinen Kopf hinweg und landete zehn Meter weiter auf dem Steinboden, wo er noch fröhlich tanzte und mich verhöhnte.
»Nate! Was soll das?!«, fauchte ich ungehalten und drehte mich zu ihm um.
»Wow, du scheinst ja doch wenigstens ein bisschen was auf dem Kasten zu haben. Wir sind fertig mit deinen dämlichen Sachen, nächstes Mal lassen wir sie einfach hier stehen.« Selbstgefällig stand er gegen den Wagen gelehnt und beobachtete mich eingehend. Die Hand hatte er noch erhoben und ließ kleine Flammen um seine Finger schlängeln. Keine Frage, mein verhasster Stiefbruder sah blendend aus. Wie fast alle Feuerbegabten strotzte er nur vor Selbstbewusstsein und hielt seinen Körper fit.
»Das hättest du mir auch anders sagen können, vor allem, weil ich Mira auf dem Arm habe.«
Er zuckte nur mit den Schultern. »Hätte ich, aber ich wollte deine mickrigen Fähigkeiten noch einmal testen.«
Auch wenn mich seine Worte trafen, schluckte ich den Ärger hinunter und ging schnurstracks zur Flammenkugel.
»Ich kann das auch machen«, bot Emilia hilfsbereit an, doch ich schüttelte abweisend den Kopf.
»Ich muss es ja eh lernen«, murmelte ich leise.
Gerade wollte ich meine Hand über die Kugel halten, um mich auf diese zu konzentrieren, als ich ein vergnügtes Kichern hörte. Der Feuerball hob vom Boden ab und schoss direkt auf meine kleine Schwester in meinen Armen zu.
Er verschwand vor ihrer Brust in ihrem kleinen Körper und ihre Temperatur sprang einen Augenblick ein paar Grade nach oben. Sie jauchzte vor Freude.
Ich seufzte nur. Na toll, für die anderen sah es so aus, als würde mich selbst ein Kleinkind abhängen können. Das gab Nates Kommentaren doch das richtige Futter.
Besagter lachte höhnisch hinter mir: »Na, nicht mal das geschafft? War der kleine Satansbraten wieder schneller?«
»Sie ist einfach unfassbar begabt, okay?! Nicht meine Schuld, dass ihre Begabung pur ist. Wenn meine Eltern beide Leerenbegabte gewesen wären, sähe das bei mir auch anders aus«, rechtfertigte ich mich.
»Ja, ja, bei dir sind immer die anderen schuld. Komm jetzt, Empty Face, der Feuerball ist weg, Leonard ist fertig mit Telefonieren und wir kommen zu spät. Er kann es jetzt scheinbar gar nicht mehr erwarten uns drei loszuwerden.«
Gerade wollte ich meine Diskussion mit Nate fortsetzen, als ich das wütende Gesicht meines Vaters, der neben der Fahrertür auf uns wartete, wahrnahm. Er hatte meinen Fauxpas bemerkt und Freude sah anders aus. Eingeschüchtert hob ich die Schultern und versuchte mich unsichtbar zu machen. Ohne Erfolg – wie auch ohne Essenz. Gab es überhaupt eine Unsichtbarkeitsessenz? Durchaus überlegenswert, wenn ja, hätte ich mir gern einen Vorrat davon angelegt. In Gedanken war ich vielleicht frech zu meinem Vater, doch er schaffte es, mich nur mit einem Blick zum Schweigen zu bringen.
Dennoch war ich mir absolut sicher, dass ich diesen Feuerball mit Leichtigkeit ebenfalls hätte absorbieren können, wenn ich nur einen Tick schneller gehandelt hätte. Aber wie heißt es so schön … hätte, hätte, Gabenkette.
So trottete ich mit Mira im Arm zu unserem Auto, setzte sie in den Kindersitz und schnallte sie an.
Chris tauchte vom Kofferraum aus auf. »Endlich geschafft! Warum Dad auch unbedingt das dämliche Vogelfutter heute zum Hohen Rat mitnehmen muss.«
Emilia ergatterte den Sitz neben Mira in der zweiten Reihe, während Nate vorn bei Vater Platz nahm. Chris hatte es sich hinten mit Moni bequem gemacht. Ich quetschte mich neben den Kindersitz von Mira und kraulte ihren Bauch.
Die Fahrt würde nicht lange dauern. Wir mussten nur zu einem Teleportationsplatz gelangen. Von dort aus würde man uns mit Essenzen geschwind zur Akademie befördern. Essenzen waren unsere kleinen Lebensretter in allen Alltagssituationen, aber auch verdammt teuer. Wie sonst würden wir so schnell zur Akademie gelangen?
Schweigend brachten wir diesen kurzen Road Trip hinter uns. Es gab nichts zu sagen, mein Vater war mal wieder von mir enttäuscht, Nate hasste uns alle, Emilia war wie immer mit der Situation überfordert und ich … ich dachte nach.
Mein erstes Jahr an der Akademie. Endlich wäre ich von Zuhause befreit, konnte meine Zeit mit Jara und Rean verbringen und obendrein alle Informationen aufsaugen, nach denen ich schon so lange lechzte. Vor allem bei dem Gedanken an Rean schlug mein Herz höher. Meine Hände wurden feucht und ein dümmliches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Selten hatte ich so einen perfekten Menschen wie Rean kennengelernt. Er war intelligent, gutaussehend, zielstrebig und aus unerklärlichen Gründen mein bester Freund. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flogen schon wieder Loopings und ich konnte das Jahr überhaupt nicht mehr abwarten. Ich würde ihm niemals meine Gefühle gestehen! Die Chance auf eine Abfuhr lag bei niederschmetternden neunzig Prozent – und ehrlicherweise lohnte sich der Kampf für zehn Prozent nicht. Mit den Gedanken an Rean beobachtete ich die vorbeiziehende Landschaft, als ich den kalten Blick meines Vaters auf mir spürte. Meine gute Stimmung sank wieder gegen null.
Ich musste stärker werden, keine Frage. An meiner Herkunft lag es nicht. Mein Vater war einer der besten Leerenbegabten, die es in unserer Welt gab. Die Familie meiner Mutter war dagegen mit starken Feuergaben gesegnet und hegte eine lange Tradition von puren Feuerverbindungen.
Und aus dieser Verbindung mit wirklich großartigen Genpotenzialen gingen mit Moni und mir zwei Leerenbegabte sowie mit Chris ein erstklassiger Feuerbegabter hervor.
In meinen Augen war ich nicht schwach, aber niederschmetternderweise wirkte ich so auf alle anderen. Also führte kein Weg an dem ewigen Büffeln und Üben vorbei. Stärker werden hieß die Devise.
Durch unser Auto ging ein kräftiger Ruck, als wir plötzlich anhielten. Ein Lob an die Fahrkünste meines Vaters! Aber hey, wenigstens standen wir. Hoffentlich hatte sich die wilde Fahrt gelohnt und wir waren pünktlich vor Ort. Der Teleportationsplatz befand sich weit abgeschieden von umliegenden Häusern mitten im Nirgendwo. Erdbegabte schufen auf einer riesigen Wiese nahe eines Waldstückes aus großen Steinplatten eine ebene Fläche, auf der immer wieder Autos ankamen, um zur Akademie gebracht werden zu können. Die schmalen Wege zu dem Platz für die Autos waren ebenfalls das Werk von Erdbegabten. Erst wenn auch der letzte Schüler mit seiner Familie abgereist war, stellten sie den ursprünglichen Zustand wieder her. Als wäre nichts gewesen.
Ein Angestellter vom Hohen Rat trat an das Fenster der Fahrerseite und klopfte leicht dagegen. Mein Vater betätigte einen kleinen Hebel und es fuhr langsam herunter. Als den Hohen Rat bezeichneten wir die gesamte Bürokratie und Organisation unserer Gesellschaft. In einem großen Gebäude, das ich dank der Arbeit meines Vaters viel zu oft von innen gesehen hatte, arbeiteten viele Menschen unter den Großen Fünf und setzten deren Entscheidungen durch oder berieten sie in wichtigen Themengebieten.
»Familie Jordan?«, erkundigte sich der Mann und blickte auf eine Liste auf seinem Klemmbrett.
»Ganz recht, wie haben Sie uns nur erkannt?«, scherzte mein Vater. Der alte Mann warf einen Blick in unseren Wagen. Er musste schon mit großen Schritten seiner Pension entgegengehen. Sein Anzug wirkte geradezu penibel aufpoliert und er hatte diesen großväterlichen Ausdruck in seinen Zügen. Etwas lang Vergessenes für mich, denn mittlerweile hatten wir unsere leiblichen Großeltern verloren. Nur der Vater von Emilia lebte noch und gehörte zu den Großen Fünf vom Hohen Rat. Wir alle lächelten Mr Beckminster brav entgegen. Auch wenn ich fest die Zähne aufeinanderbiss. Mein Vater wusste sehr wohl, dass er bekannt war. Aber er tat gerne so, als wäre er nur allzu bescheiden. Kleine Anmerkung an dieser Stelle: War er nicht!
»Aber, Mr Jordan, Sie erkennt man doch immer und Ihre zauberhaften Kinder kann man wirklich nicht verwechseln. Mrs Jordan, wie schön Sie ebenfalls wohlauf zu sehen. Wie geht es Ihrem Vater?«
Emilia lächelte charmant und streichelte sanft durch Miras Haar, um sie weiterhin ruhig zu halten. »Sagen Sie es mir, Mr Beckminster, Sie sehen ihn im Hohen Rat doch deutlich öfter als ich.«
»Wie reizend von Ihnen anzunehmen ich hätte die Befugnis den Hohen Rat persönlich zu sehen.«
Nate auf dem Beifahrersitz gab einen genervten Laut von sich, scheinbar hatte er wie ich genug von diesem Herumgeschleime und absurden Schauspiel.
»Und Nathaniel Mcgrath ist ebenfalls anwesend«, sagte Nate. Bei der Hochzeit hatte Nate im Gegensatz zu seiner Mutter Emilia seinen Namen nicht abgelegt. Sowohl für sich selbst, als auch zur Freude seines Großvaters Eduard, der unbedingt wollte, dass der hohe Name Mcgrath weiterhin bestehen blieb.
»Natürlich, Mr Mcgrath.« Er setzte zwei Häkchen, vermutlich hinter unsere Namen. »Sehr gut, pünktlich wie immer, Mr Jordan. Sie können schon einmal vorfahren, wir beginnen sofort mit der Teleportation.«
»Vielen Dank, Mr Beckminster.«
Er fuhr das Fenster wieder hoch und wir rollten einige Meter weiter, um zu warten, bis wir an der Reihe waren. Unser Lächeln verblasste indessen.
»Gut, dass du noch den Namen wusstest, Liebling.« Mein Vater drehte sich zu Emilia um und berührte sanft ihr Knie.
»Wir wollen uns ja nicht vorwerfen lassen, dass wir nicht auch die einfachen Leute kennen«, schmunzelte sie und mir wurde schlecht. Dieses ganze Getue ging mir sehr auf die Nerven. Als wären sie etwas Besseres!
Da die Teleportationsessenzen sehr selten waren und nur vom Hohen Rat freigegeben werden durften, wurden sie nur zu bestimmten Anlässen verwendet. Wie zum Beispiel für den Transport zur Akademie. Außer man hieß Robert und scherte sich nicht um die Regeln des Hohen Rates, dann hatte man solche Essenzen für seine eigenen Zwecke auf Vorrat.
»Eine Schande, dass das alles wieder abgebaut werden muss. Nur damit die Unbegabten weiterhin nichts von unserer Existenz wissen«, sagte Emilia.
»Man sagt auch Menschen«, ergänzte Chris von hinten.
Meine Stiefmutter warf gekonnt ihre Haare zurück. »Ach was, Unbegabte passt viel besser. Dennoch finde ich es nicht richtig, dass wir uns so verstecken müssen.«
Ja, lasst uns doch gleich auf den Platz vor den Buckingham Palace stellen und unsere Gaben demonstrieren, damit auch ja jeder mitbekommt, wie besonders wir sind.
Natürlich sagte ich das nicht, mein Vater würde mir sonst wieder diesen Blick zuwerfen, als hätte ich ihn persönlich sowie meine gesamte Familie hintergangen.
***
Endlich waren wir an der Reihe. Vier Angestellte umringten unser Auto und ließen jeweils eine Kugel der kostbaren Essenz auf uns zu schweben.
»Sind das Luftbegabte?«, fragte Moni von der Rückbank und beobachtete erstaunt, wie die Kugeln uns umkreisten.
»Sehr richtig. Teleportationsessenzen werden meistens von Luftbegabten eingesetzt, da diese sie am leichtesten um uns kreisen lassen können«, erklärte Chris bedächtig. Ich hörte ihm aufmerksam zu, denn auch wenn ich dies sicher auf der Akademie lernen würde, wollte ich jede Gelegenheit nützen, um mir Wissen anzueignen.
»Jetzt werden sie ganz schnell!«, jauchzte Moni vor Freude auf und versuchte die rasenden Kugeln im Blick zu behalten.
»Genau, gleich sind wir hier weg.«
Gerade, als Chris den Satz zu Ende gesprochen hatte, erstrahlte ein gleißendes Licht und einen Sekundenbruchteil später befanden wir uns viele Kilometer weit entfernt vor den Toren der Akademie.
Direkt vor unserem Auto stand ein Mann, der meinem Vater zunickte und dann etwas auf seinem Klemmbrett abhakte. Dann ging er weiter, denn direkt neben uns kam bereits das nächste Auto an. So füllte sich der Platz langsam und die Autos konnten direkt abgestellt werden, ohne lästige Suche nach einer freien Parkmöglichkeit.
Wie auch im letzten Jahr herrschte ein Trubel auf dem Parkplatz wie auf einem großen Sonntagsmarkt. Ein paar Mädchen kreischten auf, als sie sich erblickten und lagen sich vor Freude in den Armen. Überall standen Gepäckstücke in der Gegend herum, sodass man Slalom laufen musste. Es war laut und absolut großartig! Und ich würde bald ein Teil davon sein.
Vor genau einem Jahr hatten wir Chris vor diesem unfassbar beeindruckenden Gebäude abgesetzt und jetzt sollte es auch mein Zuhause sein. Meine Hände schwitzten und mein Magen kribbelte vor Aufregung. Wenn ich mir vorstellte, wie ich durch die Flure dieser riesigen Anlage aus grauem Backstein wanderte, konnte ich regelrecht den Zauber der Vergangenheit spüren. Die Burg – ja, mein neues Heim sah aus wie eine Burg! – war im Rechteck gebaut und beherbergte einen riesigen Innenhof, der von allen Seiten umschlossen war.
Auf der Rückseite gab es mittig einen hohen Turm und einen etwas kleineren in der linken hinteren Ecke. Der Eingang bestand aus einem großen Tor, welches direkt an das erste Gebäude anschloss. Einfach märchenhaft. Während unserer Vorbereitungszeit hier an der Akademie hatte ich bereits alles erkunden können. So wusste ich, dass es nicht nur einen malerischen Innenhof und einen Steingarten gab, sondern hinter der Burg einen grünen Garten mit einem Springbrunnen.
»Alle Mann aussteigen!«, befahl mein Vater und öffnete seine Wagentür. Durch die Scheibe hielt ich erfolglos Ausschau nach meinen beiden besten Freunden.
Ich tat es meinem Vater gleich und verließ unseren Wagen. Nate rauschte dabei an mir vorbei und rempelte mich mit der Schulter und vermutlich auch voller Absicht an. Anders konnte ich es mir nicht erklären, denn das nächste Auto stand zwei Meter von uns entfernt.
»Sehr erwachsen, Nate!«, schimpfte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er drehte sich zu mir um und verdrehte die Augen, als wäre ich der nervigste Mensch auf der Welt. Beruhigend legte mir Chris eine Hand auf die Schulter.
»Lass ihn, Ria, nach der Akademie können wir ausziehen und müssen ihn nicht mehr ertragen.«
»Die drei Jahre können gar nicht schnell genug vergehen.«
Was eine glatte Lüge war, schließlich konnte ich drei lange Jahre Rean täglich ansabbern – ähm, an meiner Seite haben wollte ich sagen!
»Ria?« Mein Vater stand hinter uns und seine kalten grauen Augen musterten mich gründlich, ehe er mit einem kleinen kräftigen Kopfneigen Chris bedeutete einen Abflug zu machen. Der Herr wollte offenbar eines unserer beliebten Vater-Tochter-Gespräche führen. Chris zuckte hilflos mit den Schultern und schnappte sich Moni. Vermutlich, um ihr ein wenig die Akademie zu zeigen.
»Was gibt es denn?«
Zu meiner Überraschung zog er aus der Brusttasche seines Hemdes meine Kette. Sein Blick wurde eine Spur weicher. Jetzt war Vorsicht geboten. Mit Zorn konnte ich umgehen, aber diese Sanftheit bereitete mir ein unwohles Gefühl in der Magengegend.
»Du hast Mums Kette vergessen. Ich habe sie vor der Abreise auf dem Waschbecken im Bad gefunden.«
Ich schluckte und streckte die Hand nach dem silbernen Schmuckstück aus.
Mein Vater bedeutete mir mich herum zu drehen. Wollte er sie mir sogar selbst ummachen? So viel fast schon liebevollen körperlichen Kontakt war ich nicht gewohnt.
Die Kette trug ich seit dem Tod meiner Mutter jeden Tag. Nicht weil ich es unbedingt wollte, sondern weil es meinem Vater viel bedeutete, und ich hoffte so wenigstens eine kleine Verbindung zwischen ihm und mir zu erhalten.
Gerade auf solche Augenblicke wie jetzt, als er an meinem Nacken vorsichtig die Kette schloss, hoffte ich. Bestimmt, wenn auch bedacht, drehte er mich wieder zu sich.
»Du weißt, deiner Mutter und mir bedeutet es eine Menge, dass du diese Kette trägst. Lege sie niemals ab. Auch nicht beim Duschen. In deinem Chaos findest du sie sonst nie wieder.«
Eindringlich musterte er mich und hielt meinen Blick gefangen.
»Ja«, gab ich zur Antwort und versteckte die Kette unter meinem T-Shirt.
»Gut, gut. Du machst das schon und denke daran, was wir besprochen haben. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass du das durchziehst und dich im Unterricht anstrengst. Ich erwarte Resultate.«
Okay, Moment vorbei. Da war wieder dieser verkniffene Gesichtsausdruck, den ich seit Jahren kannte.
»Ja, Vater.« Ich hatte jetzt keine Lust auf eine Diskussion, also gab ich ihm das Verlangte. Die Akzeptanz seiner Forderungen.
»Gut, ich gehe ein paar Leute mit Mira und Emilia begrüßen.«
Damit wandte er sich ab und schnappte sich seine Frau und natürlich seinen ganzen Stolz Mira. Was für ein Glück für die kleine Purbegabte. Und nein, ich war nicht neidisch, nur weil ich ein Mischling war. Das einzige Familienfoto, das ich einpackt hatte, zeigte Moni und Mira beim Spielen. Ich liebte die beiden.
Ich hievte mein schweres Gepäck aus dem Kofferraum, während sich das Dreiergespann unters Volk mischte, um sich zu präsentieren. Mira musste gezeigt werden, denn ihre Gene strotzten nur so vor Genialität und Begabung. Eine hervorragende Purbegabte.
»Hey, holde Maid, kann ich dir behilflich sein?«, schnarrte eine dunkle, raue Stimme plötzlich an meinem Ohr. Eine Gänsehaut breitete sich über meinen gesamten Körper aus und vor Schreck glitt mir der Griff des schwersten Koffers aus meinen Fingern.
»Sam«, seufzte ich genervt.
Der Mann im zarten Alter von neunzehn Jahren richtete sich wieder auf und hatte ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen.
»Nanu? Was hat mich verraten? Ist dir mein betörender Duft in die Nase gestiegen? Hast du meine bloße Präsenz gespürt?« Seine wilden braunen Locken fielen ihm in die Stirn und Grübchen erschienen auf seinen Wangen, während er breit grinste.
»Wahrscheinlich war es deine Präsenz, denn mir ist urplötzlich übel geworden«, gab ich genauso grinsend zurück und schaute leicht nach oben, da er mich um knapp einen Kopf überragte.
Sam und ich waren wie Katz und Maus. Klar, er war unfassbar heiß, nicht nur seine Stimme löste bei den Mädchen reihenweise Ohnmachtsanfälle aus, auch sein trainierter Körper ließ einige hecheln wie verdammte Hunde. Und wir reden hier nicht von niedlichen Hunden, sondern von sabbernden Bulldoggen.
Wenn ich meinen Blick so über seine sehnigen Oberarme gleiten ließ, über seine breite Brust, die sicherlich Schutz vor allem Bösen bieten würde, und zuletzt zu seinen Augen, die eine Mischung aus Grün, Braun und Grau waren, dann spürte ich ein kleines Kribbeln in meiner Magengegend. Zum Glück verschwand es sofort, wenn der junge Herr den Mund öffnete.
»Übel? Fliegen bei dir die Schmetterlinge so wild, dass es dir glatt den Magen umdreht? Ich wusste gar nicht, dass du so viel für mich empfindest. Also natürlich habe ich es geahnt, aber die Gewissheit beruhigt mich dann doch. Ich hatte schon Angst, du wärst immun gegen mich.«
»Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen. Ich bin gegen dich so immun wie ein Kind gegen den zweiten Ausbruch von Windpocken«, genervt winkte ich ab und wollte wieder nach meinem Koffer greifen. Doch Sam war schneller und hievte das schwere Dinge heraus, während er mich weiter aufzog: »Du weißt aber schon, dass es extrem seltene Fälle von einem zweiten Ausbruch gibt, oder?«
Ich pustete mir eine störende blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Dann besteht für dich ja noch Hoffnung. Aber klammere dich nicht zu sehr an diesen Strohhalm.«
Und wieder ließ Sam sein ansteckendes Lachen hören, während er den Koffer auf dem gepflasterten Untergrund abstellte. Egal, wie übersteigert sein Selbstbewusstsein war und wie heftig er meine Nerven strapazierte, sein Lachen verunsicherte mich durchaus. Denn manchmal war Sam mir einfach zu intensiv, seine gesamte Erscheinung vereinnahmte mich und ließ kaum Platz für etwas anderes.
»Bitteschön, die Dame. Es war mir eine Ehre«, sagte er absichtlich überzogen, ehe er sich über die Schulter umsah und fragte, »Weißt du, wo Nate steckt?« Und damit zerschlug er meine Unsicherheit wieder.
Samuel Simeon Skene aka bester Freund meines verhassten Stiefbruders brachte mich regelmäßig auf die Palme und erfreute sich jedes Mal daran wie ein Kind über einen Schokobon. Er hatte mir vielleicht nie etwas wirklich Fieses getan, aber seine gesamte Person, gepaart mit seinen neckenden Kommentaren, verunsicherte mich. Als bester Freund von Nate war es eigentlich seine Pflicht, mich aus Prinzip zu ärgern. Doch ich sah jedes Mal diebische Freude in seinen Augen aufblitzen, wenn er es schaffte, mich wütend zu machen, oder wenn ihm ein Schlagabtausch besonders gefiel. Wir gaben uns Mühe, einander nicht zu mögen, aber auch mir fiel das Grinsen leicht, wenn Sam meinen Kommentaren Konter gab – jedenfalls manchmal.
»Ja, er hat mir, seiner absoluten Lieblingsschwester, eine ausführliche Wegbeschreibung hinterlassen«, sagte ich mit meiner besonders, völlig übertriebenen lieblichen Stimmlage. Dann schlug ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ach nein, du sollst nach den Brotkrumen Ausschau halten. Das sagte er!« Doch von meiner patzigen Art ließ Sam sich nicht aus der Ruhe bringen, das tat er nie. Er sah mich immer nur mit diesem bestimmten Blick an, einer Mischung aus Faszination, Provokation und einer gehörigen Portion diebischer Freude, wenn er es schaffte mich sauer zu machen. »Dann werde ich mal meinem Prinzesschen Nate folgen und du vermiss mich nicht zu sehr. Schließlich gehört dein Herz ja sowieso schon mir, dann kann ich ja meiner wahren Liebe folgen.«
Was für eine unbestechliche Logik. Doch er war schon wieder fünf Schritte von mir entfernt. »Du solltest die Märchen der Gebrüder Grimm nochmal genauer studieren!«, rief ich ihm noch hinterher, damit er nicht das letzte Wort hatte.
»Wozu? Märchen sind für Träumer wie dich, Schätzchen!«, antwortete er noch und verschwand dann in den Massen von Schülern.
»Verdammt!«, fluchte ich und ärgerte mich darüber, dass er und nicht ich unsere Unterhaltung beendet hatte. Am liebsten hätte ich gegen meinen Koffer getreten.
Meinen Koffer … diese kleinen guten Taten von Sam, wie gerade eben das wuchtige Teil aus dem Auto zu heben, ließen mich oft lächeln. Allein hätte ich das eher weniger geschafft und Chris erkundete bereits mit Moni die Gegend.
Ich hatte ihm noch nicht einmal danken können. Ach, wozu ihm danken?! Er würde mich bei der nächsten Gelegenheit sowieso wieder aufziehen.
»Schon wieder sauer über Skene?«
Als ich die Stimme von Rean erkannte, drehte ich mich blitzartig um. Unter tausenden würde ich sie heraus hören. Diesen dunklen, warmen Klang voller Güte und Intelligenz.