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**Entdecke dein Herz im unendlichen Meer** Mayla war schon immer ein Kind des Wassers. Wie magisch klingt sein Rufen in ihren Ohren. Beim Urlaub mit ihren Freundinnen auf Gran Canaria eröffnet sich ihr von einem Moment auf den anderen eine fremde und betörende Welt in den Weiten des Ozeans. Und doch muss sie feststellen, dass ihr Platz ein anderer ist. Denn die Rolle, die das Schicksal für sie bereithält, ist so faszinierend wie erschütternd. Der geheimnisvolle Atlan scheint der Einzige zu sein, der ihr bei alldem zur Seite stehen kann. Aber bald ist sie nicht mehr sicher, ob sie wirklich ihm ihr Vertrauen schenken sollte … Eine magisch-mystische Dilogie, die zum Träumen einlädt Endlich Neues von der beliebten Autorin Lia Kathrina! Auch in ihrer neuen Reihe schafft sie es, mit ihrer unverwechselbaren Stimme fantastische Welten zu kreieren, aus denen man nie wieder auftauchen möchte. Leser*innen über die »Essenz der Magie«-Reihe von Lia Kathrina: »Einfach super.« »Wow!« »Note 1!« »Ich wollte dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen.« //Dies ist der Sammelband der magischen Fantasy-Buchserie »Prinzessin der See«. Sie enthält alle Bände der Reihe: -- Prinzessin der See 1: Melodie des Ozeans -- Prinzessin der See 2: Stille der Wellen// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2021 Text © Lia Kathrina, 2020, 2021 Lektorat: Diana Steigerwald, Julia Feldbaum Coverbild: shutterstock.com / © Image DJ Covergestaltung: Elena Dudina / Vivien Summer (Typografie) Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60787-1www.carlsen.de
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Lia Kathrina
Prinzessin der See 1: Melodie des Ozeans
**Verliere dich in den Weiten des Ozeans**Mayla liebt das Meer wie nichts anderes auf der Welt. Seit sie denken kann, fühlt sie sich auf beinah magische Weise von den Wellen gerufen. Was könnte es Schöneres geben, als mit ihren besten Freundinnen Urlaub auf Gran Canaria zu machen? Doch kaum angekommen wird Mayla Zeugin eines unglaublichen Vorfalls: Aus schwindelerregender Höhe stürzt sich ein junger Mann von einer Klippe ins Meer – und taucht nicht mehr auf. Als sie ihn am nächsten Tag wieder trifft, kann sie kaum glauben, dass er unversehrt ist, und erst recht nicht, dass er ihr derart abweisend begegnet. Schon bald wird klar, dass er zu einer ganz besonderen Gruppe von Wesen gehört. Und auf Mayla warten Erkenntnisse so furchterregend und so zauberhaft wie der endlos weite Ozean …
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Vita
Danksagung
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© David Milan
Lia Kathrina lebt mit ihren zwei Katzen und unzähligen Büchern und Manga in der lauten, vielfältigen und unfreundlichen Stadt Berlin – und möchte niemals weg. Sie arbeitet als freiberufliche Pressereferentin und im Office einer Berliner Firma. Nebenbei betreibt sie einen YouTube-Kanal über Bücher. Von klein auf dachte sie sich mit ihrer kleinen Schwester Geschichten aus und beschloss 2017, endlich ihren Traum zu erfüllen und ein Buch zu schreiben.
Für diesen kleinen Augenblick, als ich auf Gran Canaria im Meer schwamm, zur Klippe hinaufblickte und mich fragte, was wäre, wenn da jemand hinunterspringen würde? Dank diesem Moment voller Glück gibt es dieses Buch.
Damit wir das Leben wieder genießen und wertschätzen, genauso wie unsere Erde.
Wir haben nur dieses Leben und ich werde es genießen.
Jede Sekunde, jeden Augenblick,
jede Freude, jede Wut,
jedes Lachen, jede Träne,
jeden Erfolg, jede Niederlage.
Mayla
»Das nächste Mal schwimme ich nach Gran Canaria«, sage ich und stütze mich am Treppengeländer ab. Es ist Mitternacht, als unser Flugzeug endlich den rettenden Boden erreicht und langsam zum Stehen kommt. Jetzt muss ich nur noch die Treppe aus dem Flugzeug hinter mich bringen und ich habe es überstanden. Mit der linken Hand umklammere ich das Geländer und auf der rechten Seite hält Lucia meinen Arm, während wir dem Boden immer näher kommen. Der Wind löst ein paar dunkle krause Strähnen aus meinem Zopf und bläst sie mir ins Gesicht. Aus dem Augenwinkel kann ich den hell erleuchteten Flughafen sehen. Schon von oben sah er wie ein strahlender kalter Fleck in der Finsternis aus. Wie gebannt habe ich aus dem Fenster gestarrt, damit mir auch kein Detail von der Landung entgehen konnte, bis ich wieder die Freiheit außerhalb des Flugzeugs genießen durfte.
»Mitten in der Nacht möchtest du also durch den Atlantik schwimmen?«, fragt Alegria hinter mir. Ich kann förmlich spüren, wie sie grinsend eine Augenbraue hebt. »Meinst du nicht, dass das gefährlicher wäre, als zu fliegen?«
Noch immer ist mir schlecht von der Reise und mein Magen fand das Sandwich, das sie mir an Bord serviert hatten, alles andere als hilfreich.
»Jederzeit würde ich das Meer diesem Blechhaufen vorziehen.« Ich deute mit einer theatralischen Bewegung auf das Flugzeug hinter mir. Den Blick wende ich lieber nicht vom Boden, wer weiß, was sonst passiert. »Und außerdem …« Weiter komme ich nicht. Denn mich beschleicht das untrügliche Gefühl, dass ich lieber meinen Mund halten sollte, bevor etwas rauskommt, das seinen rechtmäßigen Platz in meinem Magen hat. Dabei würde ich Alegria gern ausführlich erklären, warum Schwimmen die bessere Alternative ist. Davon abgesehen, dass es unseren ökologischen Fußabdruck senken würde. Die Cheerleader beschweren sich doch immer, dass sie mehr trainieren müssten. Von Barcelona nach Gran Canaria zu schwimmen, das wäre doch mal ein Training.
Die letzte Treppenstufe kommt in Sicht. Alegria nimmt meine linke Hand vom Geländer und erleichtert mich seufzend von meinem Rucksack, den ich über der Schulter getragen habe. Bedacht umfasst sie meine Hand mit ihrer. Zu dritt betreten wir das Rollfeld. Ein starker Windstoß peitscht mir ins Gesicht, schafft es, noch mehr Locken aus dem Zopf zu befreien und mir die Sicht zu nehmen. Ich schwanke sogar leicht, doch meine Freundinnen halten mich fest.
»Wow, ich wusste ja, dass es hier windig ist, aber das war ja ein netter Willkommensgruß«, sagt Alegria und stellt den Rucksack zwischen meinen Beinen ab. Der feste Boden unter den Füßen gibt mir genug Sicherheit, sodass mich die beiden halbwegs unbedenklich loslassen können.
Lucia richtet ihren dicken Pullover und setzt sich die Kapuze in dem kläglichen Versuch auf, sich vor dem Wind zu schützen. »Vielleicht begrüßt uns die Insel.« Sie deutet eine Verbeugung an, als wollte sie sich unserem Urlaubsort vorstellen.
Endlich bin ich diesem Monstrum aus Metall entkommen. Vor uns stehen zwei Busse, die die Passagiere vom Flugzeug zum Terminal transportieren sollen. Doch ich fühle mich noch nicht in der Lage, in das nächste Gefährt meiner Alpträume zu steigen.
Alegria kichert leise vor sich hin, während ich Lucias besorgten Blick auf mir spüre.
»Du bist immer noch blass, Mayla.«
Kann ich mir vorstellen, denn mir ist speiübel und wenn ich nicht dieses dämliche Geplapper der Cheerleader hinter mir hören würde, würde ich dem Drang nachgeben und mich einfach auf den Boden plumpsen lassen. Vielleicht sogar in Betracht ziehen, ihm einen Kuss aufzudrücken.
Lucia legt mir eine Hand an den Rücken und streichelt sanft darüber. Krampfhaft versuche ich meinen Blick auf den Rucksack zwischen meinen Beinen zu fokussieren. Nicht brechen, nicht brechen, sage ich mir immer wieder.
Neben mir höre ich das metallische Geräusch von jedem Schritt, während die restlichen Passagiere der Treppe aus Aluminium nach unten folgen.
»Sieh an, verträgt die taffe Mayla das Fliegen nicht?«
Es gibt schönere Stimmen, die ich im Moment hören möchte. Sicher nicht die von Celia. Ihre teuren Turnschuhe schieben sich in mein Blickfeld. Ein Grund mehr, mich zusammenzureißen, denn vor ihr möchte ich mir auf keinen Fall die Blöße geben, mein Abendessen auf das Rollfeld zu befördern. Celia ist groß, durchtrainiert, Cheerleaderin und zu meinem Leidwesen eine Kindheitsfreundin von Alegria. Deshalb muss ich sie leider hin und wieder ertragen. Aber meine Abneigung ihr gegenüber beruht auf absoluter Gegenseitigkeit. Wir haben uns gesehen und fanden den jeweils anderen sofort bescheuert – der einzige Punkt, wo wir einer Meinung sind. Ich möchte den Mund aufmachen, um etwas zu erwidern, doch schließe ihn wieder. Im Moment habe ich andere Probleme.
Das Gequatsche der anderen Cheerleader wird leiser. Sie haben es alle unversehrt aus dem Monstrum geschafft. Ihre Blicke spüre ich deutlich, während sie an mir vorbeilaufen. Doch noch ist die Gefahr, plötzlich zusammenzubrechen, nicht gebannt, weshalb ich weiterhin auf den Boden starre. Nur Celia ließ es sich natürlich nicht nehmen, neben mir stehen zu bleiben und diese unqualifizierte Bemerkung zu machen.
Alegria nimmt meinen Rucksack an sich und raubt mir damit den Fokuspunkt.
»Na komm, Süße, bringen wir dich zum Bus«, sagt Lucia und legt sich meinen rechten Arm über die Schultern.
»Nicht der Bus«, seufze ich und möchte mich am liebsten sträuben, in dieses unheilvolle Gefährt einzusteigen.
Celia kichert erneut. Dieses Geräusch dringt in meinem Kopf ein und der Schwindel wird nur schlimmer. Ich schaue auf. Mittlerweile sind alle anderen Cheerleader bis auf Celia eingestiegen. Wir scheinen die letzten Passagiere auf dem Rollfeld zu sein.
»Allein die Tatsache, dass du den kompletten Aussteigeprozess aufgehalten hast, sollte dir zu denken geben, ob du wieder mit nach Barcelona kommen willst. Vielleicht bleibst du einfach hier.«
Ich möchte ihr das gehässige Grinsen aus der Visage wischen. Das Schlimme ist, dass wir uns normalerweise beide nicht mit Samthandschuhen anfassen und ich sicherlich genauso die Situation ausnutzen würde, wenn es ihr an meiner Stelle schlecht ginge.
»Celia, es reicht. Geh schon, Susan winkt dich ran«, sagt Alegria. Sie mischt sich selten in unsere Streitereien ein, immer nur dann, wenn der andere klar unterlegen ist. Was für eine Blamage, dass ich es heute bin. Celia schaut zu dem Bus, wo Susan, die Kapitänin der Gruppe, sie augenrollend zu sich ruft. Sie zieht einen Schmollmund in Alegrias Richtung, doch läuft dann geschwind zu ihrer Truppe.
»Man möchte von ihrer Art brechen.«
»Aber nicht hier, Mayla.« Alegria lächelt mich verschmitzt an und stellt sich auf die freie Seite von mir. Meine beiden Freundinnen stützen mich, damit ich es zur nächsten Höllenmaschine schaffe. Sie schleifen mich zwar eher, als dass ich selbst gehe, aber je früher ich in das Gefährt komme, desto schneller ist es vorbei.
»Celia weiß wirklich nicht, wann es genug ist«, wispere ich. In meinem Kopf dreht es sich immer noch.
»Das weißt du genauso wenig«, sagt Alegria und ich spüre dabei ihren strengen Blick.
»Wir sollten einfach versuchen, dass wir uns alle vertragen.« Lucias leise Stimme ist bei dem Wind kaum zu verstehen, vor allem da wir uns dem lauten Bus nähern.
Verständnislos sehe ich meine beste Freundin an, ehe Alegria antwortet: »Mayla und Celia? Das wird nie was.«
Lucia streicht sich eine hellbraune Strähne aus dem Gesicht, die sofort wieder zurückgeweht wird. Sie seufzt. »Dann sollten die beiden sich eben aus dem Weg gehen.«
Lucia hat recht, ich lasse mir meine Ferien doch nicht kaputt machen. Dass wir beide überhaupt mit nach Gran Canaria durften, gleicht einem Wunder. Alegria ist ebenfalls bei den Cheerleadern, deren Sommerreise sie auf die kanarische Insel geführt hat. Lucia und ich hatten diesen Sommer nichts Besonderes vor. Ich sollte meiner Tante Carla in ihrer Tapasbar aushelfen und Lucia wollten ebenfalls jobben, um sich weiteres Zubehör für ihre Kamera zu kaufen.
Kurzfristig sind drei der Cheerleader abgesprungen, weshalb wir zwei der freien Plätze belegen konnten. Alegria hatte sich so sehr darüber gefreut und wollte uns unbedingt mitnehmen. Zu Urlaub sage ich nicht Nein, vor allem wenn es ein Strandurlaub ist. Nicht dass wir es zu Hause in Barcelona weit zum Strand hätten, aber mit meinen beiden besten Freundinnen wegzufahren und das Meer zu genießen, hat seinen Reiz.
Zunächst hatte ich ein schlechtes Gewissen, Tante Carla allein in der Tapasbar zurückzulassen, doch sie versicherte mir, dass ich zwei Wochen Urlaub machen könne.
Mit dem Flugzeug zu reisen, behagt mir allerdings gar nicht. Allein schon die Umweltbelastung ist für mich ein eindeutiger Kontrapunkt, und dass mir in jedem Verkehrsmittel schlecht wird.
Irgendwie überstehe ich auch die kurze Fahrt zum Terminal und wenig später stehen wir mit unseren Koffern in der Hand vor dem zweiten Bus. Nächstes Mal, wenn ich den Urlaub aussuchen kann, fahren wir mit dem Rad irgendwo in der Umgebung von Barcelona campen. Ich setze mich auf eine Bank und schaue dabei zu, wie alle Gepäckstücke in den Reisebus verstaut werden und nach und nach alle einsteigen. Währenddessen kommt Lucia mit einer Wasserflasche in der einen Hand zu mir, die andere ist zur Faust geballt.
»Okay, Mayla. Alegria hat mir diese zwei Tabletten gegeben und hält uns beiden einen Platz in der letzten Reihe frei. Wenn du sie jetzt nimmst, bist du für eine Dreiviertelstunde ausgeknockt.« Sie öffnet ihre Hand und zum Vorschein kommen zwei Kapseln, die ich kritisch beäuge. Ich will gar nicht wissen, was genau das ist. Doch solange es mir die Fahrt zum Hotel erspart, würde ich auch sonst was nehmen. Lucia lässt sie in meine Handfläche fallen und schraubt die Wasserflasche auf.
Ich werfe mir die beiden in den Mund und stürze das Wasser hinterher.
»So ist es brav. Und jetzt komm, Alegria wartet schon auf uns.«
Ich bin meinen beiden Freunden dankbar, dass sie mich so unterstützen. Langsam stehe ich auf und steige seufzend in den Bus ein. In der letzten Reihe sitzt Alegria, die großen Kopfhörer auf den Ohren und mit dem Fuß wippend. Ich weiß, was mich während dieser Fahrt erwarten wird, weshalb ich mich bedrückt neben sie fallen lasse. Mein Sitzplatz ist direkt in der Mitte, sodass ich eine gute Sicht auf alle anderen im Bus habe. Lucia lässt sich auf meiner anderen Seite nieder und streichelt meinen Arm. Mehr bekomme ich absolut nicht mehr mit.
***
Aus heiterem Himmel sitze ich mitten in der Nacht auf einer Bank und schaue über einen Parkplatz. Das Rauschen des Meeres dringt an mein Ohr. Es muss nah sein, aber durch das Summen in meinem Kopf gelangt es nur dumpf zu mir durch. Ich fühle mich wie im Halbschlaf. Im Hintergrund sind zwei Stimmen zu hören. Ich muss mich konzentrieren, damit ihre Worte überhaupt Sinn ergeben.
»Sie ist total benebelt. Was waren das für Tabletten?« Das muss Lucias Stimme sein. Wenn sie sich aufregt, wird sie ganz schrill. Ich muss kichern. Ein guter Kontrast zu ihrer sonst mütterlichen Stimme.
»Ich schwöre bei allen Wissenschaften dieser Welt, die waren rein pflanzlich und sollten nur einen Placeboeffekt auslösen.« Dann muss das Alegria sein.
Das Geräusch der heranpreschenden Wellen schiebt sich wieder in den Vordergrund. Ich spüre deutlich das Holz der Bank unter mir. Leider ist es nicht mehr warm und ich lasse meine Hände darüber streichen. Mein Kopf wird mit jedem Augenblick, der verstreicht, leichter, meine Gedanken sind ruhig und ich fühle mich irgendwie fluffig. Ich muss albern kichern und stütze mich dabei mit den Armen auf meinen Knien ab. Meine Hosenbeine sind nach oben gekrempelt und meine Füße mit nassem Sand bedeckt. Ich wackle mit den Zehen und Sandkörner rieseln auf den Steinboden. Scheinbar war ich im Meer.
Das Meer. Meine Sehnsucht danach trifft mich mit aller Macht und ist nicht in Worte zu fassen. Ich muss jetzt sofort zum Ozean. Ich atme zweimal tief durch, nicht sicher, ob meine Füße mich tragen. Aber sie sind voller Sand und man sollte Sand zurück zum Strand bringen. Abermals muss ich über meine Gedanken lachen.
Mit den Händen drücke ich mich von der Holzbank nach oben. Um mein Gleichgewicht zu finden, stehe ich mit ausgebreiteten Armen da wie ein Turner nach seiner Nummer bei den Olympischen Spielen. Da ich nicht weiß, ob ich den Weg zum Meer, ohne zu schwanken, überwinden kann, lasse ich die Arme, wo sie sind, und überquere den Parkplatz. Eine kleine Treppe führt nach unten zum Strand. Wo auch immer ich hier bin, mein geliebter Ozean ist nah. Vorsichtig setze ich mich auf die erste Stufe und schiebe einen Fuß nach dem anderen eine Stufe tiefer, um unbeschadet die Treppe zu bewältigen. Ich hoffe, dass mich niemand so sieht.
Endlich habe ich es geschafft und plumpse in den Sand. Schwerfällig rapple ich mich hoch und schüttle den Kopf, um mich wieder zu konzentrieren. Es ist nicht mehr weit bis zum Meer. Den restlichen Weg sprinte ich und komme erst zum Stehen, als das kalte Wasser meine Beine umspült. Ich ziehe meine Hose sowie Jacke und Shirt aus, um sie weit hinter mich zu schleudern, damit das Meer sie nicht erreicht. Nur noch in Unterwäsche wate ich tiefer in das Wasser und atme erleichtert auf. Langsam verzieht sich der Nebel in meinem Kopf und ich mache einen Schritt nach dem anderen ins Meer. Je weiter ich vorankomme, desto klarer werden meine Gedanken. Was auch immer in diesen Tabletten war, es hat mich verdummen lassen. Placeboeffekt? Von wegen. Erst jetzt realisiere ich, wie wunderschön meine Umgebung ist. Fasziniert schaue ich nach oben. Der Mond schiebt sich hinter den Wolken hervor und wirft sein Licht auf das Meer. Ich bin bis zur Brust im Ozean und lasse mich von den Wellen hin und her wiegen. Das Wasser glitzert und ich fahre mit meinen Fingern dadurch, um zu beobachten, wie das Licht bricht. Jetzt kann ich alles noch besser erkennen. Ich befinde mich in einer Bucht, links und rechts von dem halbrunden Strand ragen riesige Felswände empor. Auf der einen Seite sind Hotels in den Felsen eingelassen, die andere sieht noch unberührt aus. Neugierig betrachte ich die naturbelassene Klippe. Im Vergleich zur bebauten Seite ist diese so niedrig, dass ich sogar Einzelheiten erkennen kann. Es gibt wenige Lichtpunkte, wo ich eine Straße vermute. Aber ich kann keine Hotels sehen, sondern nur ein schlichtes Haus. Es ist wunderschön, wie der Mond die Spitze beleuchtet. Es wird wieder dunkler, als eine kleine Wolke das Mondlicht verbirgt.
Ich kneife die Augen zusammen, denn wenn mich nicht alles täuscht, steht da oben ein Mensch und schaut herunter. Bei dieser Dunkelheit kann ich nur eine Silhouette erkennen. Vorsichtig schwimme ich näher zur linken Seite. Endlich verzieht sich die Wolke und gibt den Mond in seiner vollen Pracht frei. Es ist sogar noch heller als zuvor. Mir stockt der Atem. Die Stimmen vom Hotel sind schon lange verklungen und nur das Rauschen der Wellen ist zu hören, sonst ist es absolut still. Ich kann den Mann dort oben deutlich erkennen. Und er ist wunderschön. Durch die sozialen Medien ist man vieles gewohnt und ich habe schon einiges gesehen. Aber dieser Mann lässt die Zeit anhalten. Er hat einen ernsten Gesichtsausdruck aufgelegt und starrt auf das Meer. Seine dunklen Haare umranden sein Gesicht, wobei sie zerzaust aussehen. Seine Gesichtszüge wirken hart und kantig, sie passen sehr gut zu seinem Ausdruck, wie er in die Ferne auf das Meer starrt. Er trägt kein Shirt, weshalb ich seinen trainierten Oberkörper sehen kann, der aber nicht zu aufgepumpt wirkt. Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auf seiner Ausstrahlung. Ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Er steht aufrecht, als wäre es seine Bestimmung, da oben zu stehen und das Meer zu überblicken. Sein gesamter Körper wirkt angespannt und strahlt etwas Machtvolles aus.
Jemanden wie ihn habe ich noch nie gesehen.
Dann löst er seinen Blick von dem Meer und geht zurück zum Haus, nur um sich plötzlich wieder umzudrehen und auf den Abgrund zuzurennen.
Ich will noch etwas rufen, irgendetwas, was ihn davon abhalten könnte zu springen. Aber zu spät. Er fliegt bereits oder, besser gesagt, fällt. Ein Quieken verlässt meine Kehle, die Hände schlage ich instinktiv vor meinen Mund. Ich habe die nächtliche Ruhe unterbrochen und kann erkennen, wie sein Kopf ruckartig zu mir zuckt, dann taucht er mit einem leisen Platschen ins Meer ab und ich kann ihn nicht mehr sehen. Meine Hände löse ich von meinem Mund und starre auf die Stelle, wo der Typ eingetaucht ist. Das war absolut waghalsig. Die Klippe ist riesig und mehrere Felsen ragen aus dem Wasser. Selbst wenn er diese Stelle kennt, wenn er die genauen Standorte der Felsen weiß, die Kraft des Meeres sollte man niemals unterschätzen. Es kann den menschlichen Körper wie einen Spielball umherwirbeln und gegen das Gestein drücken.
Ich liebe das Meer, aber ich begegne ihm mit dem nötigen Respekt. Mit angehaltenem Atem starre ich auf die Wasseroberfläche. Doch sie bleibt unberührt, nur die niedrigen Wellen preschen über die Stelle hinweg. Ich muss ihm helfen.
»Mayla! Verdammt, was machst du im Wasser?« Ich drehe mich zu Alegria um. Sie steht mit Lucia am Strand und zieht bereits ihre Kleidung aus. Vermutlich um mich aus dem Wasser zu holen. Ich öffne den Mund. Ich muss ihr sagen, dass hier ein Mann verschwunden ist, dass wir ihm helfen müssen. Doch es kommt nichts raus. Eine plötzliche Kälte greift nach meinen Füßen und eine Gänsehaut überzieht meine nackten Arme. Es wird wieder dunkel. Erneut drehe ich mich zum offenen Meer und sehe, dass sich mehrere Wolken vor den Mond schieben und mit seinem Verschwinden werden auch meine Gedanken undeutlicher. Was ist gerade geschehen? Alegria kommt bei mir an, stellt sich vor mich und schlingt ihre Arme um meinen Oberkörper, über ihre Schulter schaue ich auf das Meer, das mittlerweile erschreckend still daliegt. Wer war der Typ?
Ich habe keine Ahnung, wie wir in unser Hotel gekommen sind, geschweige denn eingecheckt haben.
Beim Aufwachen schaue ich an eine weiße Zimmerdecke und fühle mich großartig. Von dem benebelten Zustand der letzten Nacht spüre ich nichts mehr. Ich liege in einem weichen Bett und nur ein dünnes Laken bedeckt mich halb. Lucia und Alegria müssen mich in meinen Schlafanzug gesteckt haben, der aus einer kurzen karierten Hose und einem schwarzen Top besteht.
Mein Bett steht am Fenster, sodass ich die Verfärbung am Himmel deutlich sehen kann. Bald geht die Sonne auf. Das erste Licht des Tages fällt durch das Glas und erhellt damit unsere Unterkunft. Unser Zimmer ist nicht besonders groß, aber sauber und in einem neutralen Beige gehalten. Hier kann ich den Urlaub genießen, auch wenn wir vermutlich nur zum Schlafen herkommen werden.
Voller Vorfreude springe ich aus dem Bett und schleiche auf leisen Sohlen zu meinem Rucksack. Meine Füße fühlen sich sandig an. In weiser Voraussicht habe ich den mintgrünen Bikini bereits im Handgepäck verstaut. Mein Koffer liegt offen auf einer kleinen Bank, während Lucias geschlossen danebensteht. Vermutlich hat sie gestern Nacht noch ausgepackt. Geschwind nehme ich das erstbeste Kleid und ziehe mich um. Lucia hatte schon immer einen festen Schlaf, weshalb sie die ideale Zimmerpartnerin für mich ist.
Die Tabletten von Alegria haben mich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeknockt, denn ich kann mich nur bruchstückhaft erinnern, was gestern geschehen ist. Aber die Fahrt ist mir vollständig erspart geblieben. Ein Wundermittel! Ich muss mir unbedingt mehr davon für die Rückreise besorgen.
Immer mehr goldene Strahlen kämpfen sich den Horizont entlang, als ich unser Zimmer verlasse. Die Schiebetür aus Glas führt direkt nach draußen und gibt ein Klick von sich, als das Schloss wieder einrastet. Das Hotel ist in die Felswand gebaut worden, weshalb jedes Zimmer nur einen Zugang über eine Terrasse hat. Das Gebäude ist pyramidenartig aufgebaut, sodass die unteren Stockwerke immer weiter hervorstehen als die oberen. Damit ist vielleicht der Blick zum Strand versperrt, aber die Aussicht über das Meer ist einzigartig. Es sieht wunderschön aus, wie die sandfarbenen Wände sich vom dunklem Fels abheben. Diese Schönheit des Morgens in Verbindung mit dem Vogelgezwitscher speichere ich in Gedanken ab. Das ist einer der Augenblicke, die ich für immer behalten will.
Zwar habe ich keine Ahnung, wie ich zum Meer komme, aber ich finde immer einen Weg. Ich muss nur ein paar Treppen nach unten laufen und gelange zu einer noch leeren Poollandschaft. Eine große Uhr an einem Turm über der Lobby zeigt 05:30 Uhr an. Ich höre schon die Wellen rauschen und nach einer kurzen Erkundung finde ich eine weitere Treppe, die von dem großzügigen Pool nach unten zum Strand führt. Wozu braucht man einen Pool, wenn man das Meer direkt vor der Nase hat?
Ich vergrabe meine mit dunkelrotem Nagellack lackierten Zehen in dem noch etwas kühlen schwarzen Sand. Der marokkanische Wind bläst mir die braunen krausen Locken ins Gesicht, doch es stört mich keine Sekunde. Nur noch ein paar Meter, bis meine Füße endlich das Meer berühren und mich das vertraute Gefühl von Heimat durchfahren wird. Auch wenn die Sehnsucht danach beinahe unerträglich ist, koste ich den Moment davor aus wie eine Tasse meines geliebten Schwarztees. Oder wie die letzten Minuten eines guten Films. Man möchte nicht, dass er vorbei ist, aber kann dennoch das Ende nicht erwarten.
Ich hebe mein bodenlanges Kleid an, damit ich besser über den Strand Richtung Atlantik gehen kann. Zum Glück habe ich dieses gegriffen, es gehört zu meinen liebsten. Sein oranger Stoff ist so leicht, dass er vom Wind hin und her geschoben wird. Viele rote Ornamente sind darin eingewoben, die stark an den Orient erinnern.
Vor Vorfreude auf das Meer kribbelt mein Bauch und ein Lächeln breitet sich ohne mein Zutun auf meinen schmalen Lippen aus.
Langsam gehe ich näher und genieße die Stille, lasse das Kleid los, das über den feinen Sand schleift. Eine sanfte Welle prescht heran und umspült meine nackten Füße. Ich atme auf. Es ist ziemlich kalt, aber zu schön, um zurückzuschrecken. Ich ziehe noch mal die frische Meeresluft ein. Das Meer durchnässt den Saum des Kleides. Im Hinterkopf kann ich Lucias Stimme hören, dass das Salzwasser auf jeden Fall Ränder auf dem Stoff hinterlassen wird. Aber ich bin gerade zu glücklich, als dass es mich kümmern würde. Nach dem tiefen Atemzug halte ich es nicht mehr aus. Ich ziehe mir das Kleid über den Kopf und zum Vorschein kommt der mintgrüne Bikini. Achtlos werfe ich das lange Kleidungsstück hinter mich und renne in das klare Nass. Die Kälte erfasst mich und pikst mir in die Waden. Dennoch sprinte ich weiter, bis ich zur Hüfte im Meer stehe.
»Mayla!«, höre ich Lucia nach mir rufen. Normalerweise ist sie eine Langschläferin, daher überrascht es mich, dass sie schon wach ist. Doch ungeachtet dessen stürze ich mich in die kleinen Wellen. Vielen Menschen ist das Meer am Morgen noch zu kalt, aber gerade dann liebe ich es am meisten. Wenn ich es für mich allein habe und niemand anderes die Ruhe stört.
Ich fühle mich leicht und unbeschwert, als ich die Augen unter Wasser öffne und die verschwommenen Steine unter mir erspähe. Über mir rauschen die sanften Wellen hinweg und auf dem Grund scheint das Wasser zu stehen. Schon als ich klein war, sagte Tante Carla, dass ich einen besonders langen Atem habe. Immer weiter schwimme ich raus, bis mir die Luft ausgeht und ich wieder auftauchen muss. Ich lasse mich langsam nach oben treiben und sauge gierig den Sauerstoff ein, während mich die Wellen sanft hin und her wiegen. Lucia steht mittlerweile nicht mehr allein am Strand. Sie diskutiert mit einer sehr müden Alegria, dabei deutet sie immer wieder aufgebracht zu mir aufs Meer hinaus. Alegria lässt sich missmutig in den schwarzen Sand plumpsen, während Lucia sich auf die Lippe beißt. Denke ich jedenfalls, genau kann ich es von hier aus nicht sehen, aber das ist ihr Tick, wenn sie sich Sorgen macht.
Damit Lucias Lippe nicht zu bluten anfängt, schwimme ich langsam wieder zurück, auch wenn ich mich liebend gern noch weiter hinausgewagt hätte.
Das Wasser wird seichter und ich kann mittlerweile flach liegen und mich nur noch auf den Händen vorwärts ziehen. So bleibe ich immer noch komplett im Meer, aber kann die beiden verstehen.
»Warum seid ihr schon wach?«, frage ich und grinse sie breit an.
Alegria deutet auf Lucia nach oben. »Weil sie sich Sorgen gemacht hat.« Sie gähnt ausgelassen und lehnt sich zurück, um sich auf ihren Unterarmen abzustützen.
Ich betrachte Lucia, die ihre Arme vor der Brust verschränkt hat. »Sorgen?«
Dramatisch wirft meine sonst so ruhige Freundin ihre Arme in die Luft und sieht mich anklagend an. »Ja, um dich! Du warst plötzlich weg. Die Tabletten von gestern haben scheinbar deinen Verstand malträtiert.« Ihr Blick wandert weiter zu Alegria, der ihr sogar einen Schauer über den Rücken jagt.
Abwehrend hebt Alegria die Hände. »Das waren harmlose Tabletten von meinem Vater«, verteidigt sie sich.
Lucia pustet sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Dein Vater ist Apotheker!«
»Die sind rein pflanzlich. Mayla hat nur etwas heftig auf sie reagiert. Konnte ja keiner ahnen.«
»Etwas?« Selten wird Lucias Stimme so schrill wie im Moment. Außenstehende halten Lucia für die Ruhe in Person und ein schüchternes Mäuschen, aber Alegria und ich wissen es besser. Ich kenne Lucia schon seit unserer gemeinsamen Kindheit, sie steht mir von allen Menschen am nächsten. Niemand ist so lang an meiner Seite wie sie. Am liebsten hätten sie uns als Babys getrennt. Denn wenn eine von uns weinte, stachelte es die andere sofort an, auch fürchterlich zu schreien. Aber isoliert voneinander wollten wir auch nicht sein, dann hörten wir gar nicht mehr auf zu weinen. Gemeinsam haben wir dann Alegria kennengelernt, die unser Zweiergespann perfekt ergänzte. Ständig wurde uns gesagt, niemand könne es schaffen, zwischen uns einen eigenen Platz zu finden. Aber Alegria überzeugte uns sofort mit ihrer verrückten, nerdigen Art.
Grinsend betrachte ich meine Freundinnen, die noch immer diskutieren, und ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmt mich. Langsam sollte ich dennoch einschreiten.
»Hey, mir geht es gut«, unterbreche ich die beiden. Ich lasse mich im Wasser hin und her schaukeln, bin aber nah genug am Strand, um den Sog des Meeres noch nicht zu spüren. Der Wind ist erstaunlich ruhig, weshalb es nur kleine Wellen gibt. »Und die Kapseln haben super gewirkt, für die Rückfahrt hätte ich gern mehr davon.«
Alegria schüttelt den Kopf. »Keine Chance, Mama Bär hat sie gestern alle entsorgt.«
Geschockt schnellt mein Blick zu Lucia, die sich allerdings keiner Schuld bewusst ist. »Glaub mir, das war nötig. Ich weiß ja nicht, ob du dich an dein kleines Schwimmabenteuer erinnerst. Aber das war gruselig und dann haben wir dich kurz hier am Strand auf eine Bank gesetzt, weil du partout nicht wegwolltest, und nur einen Augenblick später hast du dich mit zwei Typen angelegt. Du hast sie beschimpft, weil sie ihren Plastikmüll haben rumliegen lassen. Und die sahen gefährlich aus.«
Ja, das klingt sehr nach mir. »Ich bereue nichts. Sondern bin verdammt stolz auf mein furchtloses, benebeltes Ich.«
Alegria zeigt mir einen Daumen nach oben, doch nach einem strengen Blick von Lucia lässt sie ihn wieder sinken.
»Gott sei Dank ist ein anderer Typ dazwischengegangen«, fügt Alegria schnell hinzu. Moment, ein anderer Typ? Ein Retter in der Not? War das vielleicht eine dieser magischen Begegnungen, bei der man endlich die wahre Liebe findet? Mein Körper ist angespannt und ich starre zu den beiden hinüber.
Alegria begegnet meinem neugierigen Blick und winkt ab. »O nein, Mayla. Glaub mir, das war keine schicksalhafte Begegnung. Es war dunkel und der Typ wollte einfach helfen.« Das Grinsen auf meinem Gesicht wird breiter. Eine mysteriöse Person, die mir aus der Patsche geholfen hat, mein Interesse ist definitiv geweckt. Alegria schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, als hätte sie es besser wissen müssen. Diese Unterhaltung haben wir schon oft geführt und auch dieses Mal kann sie meine Gedanken lesen.
»Nein, auch keine mysteriöse Begegnung. Lucia, hilf mir«, fleht sie und schaut zu ihr auf. Lucia seufzt theatralisch und schüttelt den Kopf über mich und meine endlose Suche nach Liebe. Nicht nur nach Liebe, sondern nach der einzig wahren und unaufhaltsamen Liebe, die man nicht versteht, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Gefühle, die Künstler auf der Welt dazu verleiten, sie in Worte zu fassen, was ihnen nicht gelingt. Lucia sagt dazu nichts mehr, weil sie mich kennt, und weiß, dass es sinnlos ist. Nur Alegria als abgeklärte Wissenschaftlerin versucht mich immer wieder zu überzeugen, dass meine Suche erfolglos bleiben wird. Aber ich weiß es genau, da draußen gibt es jemanden. Jemanden, der für mich bestimmt ist, an dessen Seite ich gehöre, und davon werde ich mich nicht abbringen lassen.
Alegria kneift die Augen zusammen. »Ich sehe, dass deine Augen leuchten. Wollen wir wirklich wieder diese Diskussion führen, dass Liebe nur eine chemische Reaktion ist?«
Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. Auch wenn ich unsere kleinen Wortgefechte schätze, möchte ich mir die Vision von einem unbekannten Retter in der Not nicht nehmen lassen.
Um die beiden auf ein anderes Thema zu bringen, wackle ich auffordernd mit den Augenbrauen und bewege dabei meine Schultern vor und zurück.
»Also? Kommt ihr jetzt rein?«
Alegria steht grinsend auf und zieht sich das T-Shirt über den Kopf. Selbst um diese Uhrzeit ist sie auf alle Eventualitäten vorbereitet und trägt ein schwarzes Bikinioberteil. Sie ist auf dem halben Weg zum Meer, als sie sich zu Lucia umdreht. »Siehst du? Es geht ihr wieder gut.«
Doch meine Freundin setzt sich in den schwarzen Sand und umklammert ihre Beine.
»Ich komme nicht rein.« Fast hätte ich ihre zarte Stimme nicht gehört. Jetzt, wo ich in ihren Augen außer Gefahr bin, zieht sich ihre innere Bärenmama wieder zurück und ihr sanftmütiges Wesen kommt zum Vorschein. Diesen Beschützerinstinkt liebe ich an ihr, da er mir zeigt, wie sehr Alegria und ich ihr am Herzen liegen. Dennoch schiebe ich aufgrund ihrer Ablehnung meine Unterlippe nach vorn.
»Lucia, du hast mir versprochen, dass du zumindest mit den Füßen reingehst«, sage ich.
»Und das habe ich auch getan. Gestern sind wir wie versprochen zu dritt mit den Füßen im Meer gewesen.«
»Das zählt nicht, ich weiß davon nichts mehr«, protestiere ich. »Das Wasser ist sogar angenehm.«
Alegria weicht immer wieder vor den kleinen Wellen zurück, als diese den Sand hinaufkriechen. Ihre Bewegungen ähneln dabei sehr einer ihrer zahlreichen Choreografien.
»Das werden wir gleich sehen.« Aber noch traut sie sich nicht ihren Körper dem Meer auszusetzen.
»Mir reicht es mit dem Ozean, er stößt mich ab. Der Pool ist doch eine gute Alternative«, sagt Lucia und sieht dabei geknickt aus. Schon immer hat sie regelrechte Panik vor dem Meer und wagt nur ab und zu mal die Zehen ins Wasser zu halten. »Da muss ich wenigstens keine Angst haben, dass ich in dieser Weite verloren gehe. Wie könnt ihr so unbekümmert sein? Man kann noch nicht einmal das Ende vom Meer sehen. Es wirkt endlos. Das ist doch einfach nur unheimlich.«
»Also unendlich ist das Meer ja nicht.« Mit dem Wort Also beginnt Alegria am liebsten ihre Vorträge. Doch heute bricht sie diesen ab und traut sich endlich tapfer stehen zu bleiben, als das kalte Meer ihre Füße umspült. Doch dann quiekt sie und tänzelt wieder drei Schritte zurück. »Kaaaaalt! Wie kannst da nur drinbleiben?«
Ich zucke mit den Schultern, als sie zu Lucia geht und sich ihr Shirt schnappt. Es ist schwarz und vorne prangt ein Witz mit Schrödingers Katze. Alegria liebt diese Art von Oberteilen und hat viele solcher Wissenschaftsklamotten, wie ich sie nenne. Ungelenk zieht sie es sich über den Kopf und kommt zurück zu Lucias vorheriger Bemerkung. »Ach was, Lucia. Das Meer stößt dich nicht ab. Mayla konnte sich nur nicht auf den Füßen halten und hat dich fast umgerissen.«
Ich strecke ihr die Zunge raus, was Alegria grinsend erwidert.
Lucia betrachtet unglücklich die heranpreschenden kleinen Wellen und beobachtet genau, bis wohin sie den Strand durchnässen. »Tatsache ist, ich werde so schnell nicht wieder ins Meer gehen. Der Pool ist völlig ausreichend.«
Ich verkneife mir den Kommentar, dass man nicht im Meer war, wenn man nur kurz die Füße reingehalten hat. Vor allem weil ich mich nicht so genau an gestern erinnere.
Lucia ist eine der liebsten Seelen, denen ich je begegnet bin. Obwohl sie das Meer nicht leiden kann, sitzt sie hier am Strand mit einem Handtuch neben sich. Vermutlich für mich. Das habe ich komplett vergessen.
Versöhnlich lächelt Lucia mich an und greift nach dem Handtuch, um es auszubreiten. »Und jetzt komm raus, du kleine Nixe. Gehen wir frühstücken.« Die Sonne ist mittlerweile höher gestiegen und man sieht, dass auch in den umliegenden Hotels das Leben langsam erwacht.
Sie steht auf und hält den kuscheligen Stoff so, dass ich nur noch hineinstürmen müsste. Ein Gähnen unterbricht ihre lächelnde Miene. Gestern muss sie erschöpft haben und an den dunklen Schatten unter ihren Augen kann ich sehen, dass sie wenig Schlaf hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihre Sorgen sie wach gehalten haben. Also diskutiere ich nicht wie üblich und watschle aus dem Wasser. Sie hüllt mich in das lila Handtuch und hebt mein Kleid vom Boden auf. Der Stoff fühlt sich weich auf meiner nassen Haut an und riecht nach Weichspüler. Es muss eins aus dem Hotel sein, da mir zuliebe keiner von uns Weichspüler benutzt. Seit ich gelesen habe, dass das zusätzliche Waschmittel mit seinen Duftstoffen nur schwer abbaubar ist und das Wasser belastet, verzichten wir darauf.
Aber wir sind hier im Urlaub und ich werde jetzt keinen Angestellten, der diese Entscheidung sowieso nicht zu treffen hat, damit belästigen. Also kuschle ich mich einfach seufzend ein und trotte hinter den beiden her, die bereits die Treppe zum Hotel erreicht haben. Mein Blick ist auf das Meer gerichtet und ich seufze tief. Das Schwimmen hat mir gutgetan. Endlich bin ich auch bei den Stufen angekommen und erklimme sie, während Lucia und Alegria schon in der Lobby verschwinden.
»Bist du nicht das Mädchen von gestern?« Eine tiefe Stimme lässt mich suchend herumfahren. Von der Treppe aus schaue ich nach unten zum Strand zurück und einen Augenblick verschlägt es mir die Sprache. Die Welt hört auf sich zu drehen und ich bin mir absolut sicher, dass ich gerade vergessen habe, wie man atmet.
Ich möchte wirklich kein wandelndes Klischee sein. Aber in diesem Moment bin ich ein Klischee auf zwei Beinen, das vergessen hat zu atmen. Ich bin fünf Stufen von dem Typen entfernt, der mich ernst und durchdringend mustert. Seine dunkelblauen Augen halten mich mit ihrem starren Blick gefangen, als müsste ich eine Prüfung bestehen. Ich habe noch nie ein so tiefes Blau gesehen. Ein weißes Shirt und ein Lederband schmiegen sich an seinen Oberkörper. Man sieht deutlich, dass er trainiert ist. Er hat ein kantiges Gesicht, was ihm eine gewisse Härte verleiht. Ich habe noch nie in meinem Leben ein schöneres Wesen als ihn gesehen. Seine Erscheinung haut mich einfach um. Hat er mich nicht etwas gefragt? Mir war so, als hätte er etwas zu mir gesagt. Ist das diese schicksalhafte Begegnung, von der ich immer geträumt habe? Finde ich meine wahre Liebe tatsächlich hier am Strand? In der Nähe meines Elements? Ich will gerade ansetzen, um etwas zu erwidern, da verdreht er die Augen und ruiniert damit sämtliche traumhafte Vorstellungen.
»Möchtest du weiter starren oder bist du fertig?« Diese berechtigte Frage holt mich unsanft aus meinen Tagträumen zurück.
»Bist du nicht das Mädchen von gestern?«, hallt seine Frage in meinem Kopf und eine gähnende Leere macht sich darin breit. Ich müsste mich doch erinnern, wenn ich ihn zuvor gesehen habe. So jemanden würde ich doch nicht vergessen. Vielleicht war es doch keine schlechte Idee von Lucia, die Tabletten zu entsorgen. Ich schlucke einmal, um meine verlorene Sprache wiederzufinden.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr viel von gestern Abend.« Eine Sekunde überlege ich, ob er nicht mein mysteriöser Retter sein könnte. Ich wage den Versuch, besser scheitern, als es nicht probiert zu haben. »Aber ich habe gehört, du hättest mich gerettet.«
Er schnaubt und ein Anflug von einem Grinsen schleicht sich auf seine verhärteten Züge. »Dich brauchte ich nicht zu retten. Ich habe eher geschaut, ob die Jungs deine Schimpftirade auch gut überstehen.«
Schimpftirade? Eine nette Formulierung, ich wünschte, die Erinnerung von gestern wäre nicht verblasst. Wenn es um Umweltverschmutzung geht, verstehe ich selten Spaß. Ich drehe mich vollends zu ihm um und gehe wieder ein paar Stufen nach unten, sodass ich nur noch zwei über ihm stehe.
Wir sind nun auf einer Augenhöhe, ohne die Treppe dürfte er einen Kopf größer sein als ich.
Jetzt, wo ich ihn näher betrachte, kommt er mir doch bekannt vor. »Sind wir uns schon vor gestern Abend einmal begegnet?« Er schaut auf meine Haare und schmunzelt, doch ich komme nicht dazu, ihn zu fragen, was ihn an diesem Anblick so belustigt.
»Meinst du nicht, der Anmachspruch ist veraltet?«
»Wenn ich dich anmachen wollte, wäre mir sicherlich etwas Besseres eingefallen«, antworte ich und erwidere sein Schmunzeln. Unter seinem durchdringenden Blick steigt Unruhe in mir auf. Dass ich nur in ein Handtuch gewickelt bin, was meinen Bikini vor ihm verbirgt, macht das Gefühl nicht besser. Es kommt mir vor, als stünde ich nackt vor ihm. Der Blick des Fremden bleibt an meinem Hals hängen und ich unterdrücke den Reflex, meinen Fleck mit der Hand zu bedecken.
»Das ist eine Pigmentstörung.« Mir ist es lieber, eine Erklärung zu liefern, bevor die Leute nachfragen, warum ich einen hellen Fleck am Hals habe, der dank meiner sonnengebräunten Haut immer hervorragend zu erkennen ist.
Er zieht eine Augenbraue hoch, doch sagt nichts weiter. Dabei hat er mich doch angesprochen. Stille kommt auf.
»Ich bin Mayla.« Irgendetwas musste ich einfach sagen, um ihn nicht wieder anzustarren.
»Ich weiß.« Er hebt die Hand und zupft mir ein Stück Seegras aus dem Haar.
Mehr sagt er nicht, dreht sich um und geht. Ich bin so perplex von seiner Handlung, dass ich gar nichts erwidern kann, sondern einfach nur zusehe, wie er sich entfernt.
»Das war aber nicht besonders höflich«, rufe ich ihm hinterher, als ich mich wieder gefasst habe. Gratulation an mein Sprachzentrum, es scheint doch zu funktionieren, na Gott sei Dank.
»Warst du letzte Nacht auch nicht«, gibt er zurück und verschwindet mit einem Winken hinter einem Strandimbiss.
Okay, jetzt bin ich doch neugierig, was genau letzte Nacht passiert ist, wer er ist und wie ich ihn wiedersehen kann. Denn wenn das hier Schicksal ist, werde ich dem Ganzen doch ein wenig nachhelfen können.
Mein Magen knurrt laut.
»Mayla, wo bleibst du denn?« Lucia taucht über mir auf dem Parkplatz auf. Sie hat eine Augenbraue nach oben gezogen und schüttelt den Kopf über mich. »Komm, sonst isst Alegria alles auf.« Mit den Gedanken bei dieser merkwürdigen Unterhaltung mache ich mich auf den Weg zum Frühstücksraum.
***
Nach dem Frühstück und einem Telefonat mit Tante Carla stehen wir vor dem Bus, der uns zum Wahrzeichen von Gran Canaria, dem Roque Nublo, fahren soll. Noch gestern beschloss unsere große Reisegruppe, dass wir direkt am ersten Tag das Sightseeing hinter uns bringen. Ich vermute, dass Alegria nicht unschuldig an dieser Idee war.
Auf der runden Auffahrt zu unserem Hotel haben wir genug Platz für den Treffpunkt der Gruppe. Sie ist gleichzeitig das Ende der Straße, da sich unsere Übernachtungsmöglichkeit in einer der vielen großen Buchten von Gran Canaria befindet. Zum Glück liegt das Hotel als einziges direkt am Strand. Die restlichen schlängeln sich an der Felswand entlang und man muss ein Stück laufen, um zum Meer zu gelangen. Unser Weg ist nur aus der Lobby raus über die Auffahrt und die kleine Treppe nach unten, die aus acht Stufen besteht. In der Bucht befinden sich neben Hotels auch Läden mit typischen Touristensachen. Von Badekleidung über völlig überteuerte Sonnencremes bis hin zu sämtlichen Strandutensilien ist alles dabei. Unten am Strand gibt es Restaurants und Imbissbuden sowie eine Hütte, wo man sich Surfbretter und Jetskis ausleihen und andere Wasseraktivitäten buchen kann. Mein Blick bleibt an einem Katamaran hängen, der direkt vor der Überdachung im Sand liegt. Mit so einem wollte ich immer mal fahren, weiter draußen kann man noch besser das Meer genießen. Und wenn wir schon dabei wären, könnten wir auch direkt nach Müll tauchen und ihn hochholen. Ich seufze bei dem Gedanken, dass die Menschen immer noch nicht kapiert haben, dass Müll im Meer nichts zu suchen hat. Es macht mich wütend, weil es so einfach wäre, den Kram in einem dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen. Meine Hand ballt sich zur Faust. Ich schüttle sie aus, um die Wut verrauchen zu lassen. Heute ist ein zu schöner Tag, um ihn mit trüben Gedanken zu verbringen.
Wir müssen auf ein paar der Cheerleader warten. Natürlich ist auch Celia unter den Verspäteten. Wie sollte es auch anders sein?
»Sie müssen sich bestimmt noch fertig machen«, sagt Susan, als ich immer wieder ungeduldige Blicke auf den Lobbyeingang werfe.
»Wofür? Für den Felsen?« Susan zuckt mit den Schultern, normalerweise hat sie ihre Truppe gut im Griff. Im Urlaub gelten wohl andere Regeln. Ihre Gesichtszüge sind wesentlich entspannter als beim Training, wenn wir Alegria abholen. Ich konzentriere mich lieber auf die Vorfreude auf unseren Ausflug und kann es nicht erwarten, etwas Neues zu sehen. Alegria hat ihre Nase wieder tief in den Reiseführer gesteckt und saugt wie ein Schwamm so viele Informationen wie möglich auf.
»Beim Roque Nublo gibt es nicht nur eine fantastische Aussicht, sondern um ihn ranken sich auch viele Mythen und Legenden.« Aufgeregt blättert Alegria weiter und schiebt sich ihre Lesebrille zurück auf die Nase.
Ich schüttle belustigt den Kopf. Alegria ist die perfekte Touristin, egal wo es hingeht, ist sie vorbereitet und hat sich ausführlich informiert.
»Ist das nicht nur ein Felsen, der hoch oben auf einem Berg steht?«, frage ich, hauptsächlich um sie zu ärgern. Betont langsam lässt Alegria das Heft sinken, um mich aus zusammengekniffenen Augen zu mustern.
Lucia lacht leise und streichelt Alegria beruhigend über den Kopf, was mich darin einstimmen lässt. Ich bin selbst gespannt auf den Roque Nublo. Man bekommt ihn ja nicht alle Tage zu sehen. Dafür nehme ich dann auch die Busfahrt in Kauf. Die beiden haben mir versprochen, dass es nicht lange dauert und wir in diesem Urlaub so wenig Zeit wie möglich in solchen blechernen Ungetümen verbringen. Selbst den Anflug von Ärger über die Verspätung der anderen kann ich nach näherer Betrachtung beiseiteschieben, dafür genieße ich das Rauschen des Meeres und das Zusammensein mit Lucia und Alegria.
»Also, wie hast du vor den Unbekannten wiederzusehen?«, fragt Lucia, während sie ihre Kamera noch einmal checkt. Sie hebt diese hoch und schaut durch den Sucher, ehe sie ein Bild von mir macht, wie ich ihr die Zunge rausstrecke.
»Ich weiß nicht, vermutlich werde ich einfach so viel Zeit wie möglich am Strand verbringen«, sage ich und zucke mit den Schultern. Lucia lässt die Kamera sinken und zieht eine Braue hoch. Alegria schlägt den Reiseführer zu und legt ihre Brille zurück in das Etui, dabei sieht sie mich zweifelnd an.
»Und mehr nicht?«
Ich kann ihre Skepsis verstehen, denn sonst bin ich dafür bekannt, die unmöglichsten Aktionen zu planen. Hauptsache ich genieße jeden Tag bis in das kleinste Detail und wenn ich dafür unvergessliche Dinge tu, um meinen Seelenverwandten zu finden.
Doch es fühlt sich richtig an, dieses Mal nicht mehr zu unternehmen, weshalb ich einfach nur grinse.
»Mehr nicht.«
»Okay, du hast recht, Lucia, die Tabletten haben etwas Merkwürdiges bewirkt.«
Lucia lächelt sanftmütig und lässt die Schutzkappe auf dem Objektiv ihrer Kamera wieder einklicken. »Hab ich doch gesagt.«
Endlich sehe ich Celia und ihre Freundinnen aus der Lobby unseres Hotels kommen.
Ich weiß nicht, ob ihr klar ist, wo es hingeht. Ihre hohen Schuhe sowie ihr knappes Kleid lassen das Gegenteil vermuten. Ich selbst trage meine alten abgewetzten Turnschuhe, die mir einen guten Dienst erweisen, dazu eine kurze schwarze Hose und ein oranges Top. Lucia wollte mir noch einen Hut aufschwatzen, um mich vor der Sonne zu schützen, aber ich bevorzuge es, meine Locken mittels eines Zopfes zu bändigen. Keine leichte Aufgabe. Ein Sonnenhut wäre da nur hinderlich, denn egal in welcher Form, Kopfbedeckungen halten auf meinen krausen Haaren nur selten.
»Wir können dann«, sagt Celia mit ihrer hohen Stimme, die sie immer auflegt, wenn sie besonders weiblich wirken möchte. Meistens in Gegenwart von Männern. Ein wenig unverständlich, denn die Cheerleader auf der Fahrt sind ausschließlich weiblicher Natur.
Schwer atme ich ein und aus, versuche den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken.
»Geht schon mal rein, ich komme gleich nach.«
Alegria tätschelt mir die Schulter, bevor sie hinter Lucia in das Monstrum klettert. Nach und nach steigen alle in den Bus und ich warte bis zur letzten Minute, damit ich so wenig Zeit wie möglich in dem Gefährt verbringen muss. Ich stehe vor der Eingangstür und atme tief durch.
»Möchte die Dame nicht einsteigen?«
Ein Schauer jagt mir über den Rücken, als ich die Stimme vernehme. Sie ist genauso dunkel und rau wie heute Morgen und sehr nah. Ich drehe den Kopf und erkenne hinter mir erst eine breite Brust und dann ein verschmitztes Grinsen.
Er ist es wirklich.
Und er ist nicht allein. Hinter ihm stehen noch drei weitere Jungs, vermutlich in seinem Alter und direkt einem Hollywoodfilm entsprungen. Gibt es den Cheerleader-Effekt auch bei Männern? Sie alle tragen Badeshorts und ein locker sitzendes Shirt, darin sehen sie verdammt heiß aus. Was ist denn bitte los mit mir? Normalerweise sabbere ich nicht jedem dahergelaufenen Mann hinterher und überlasse diesen Job Celia.
»Auf dem Weg zum Strand?«, frage ich stattdessen.
Einer der drei fremden Jungs mit blonden Haaren, die kreuz und quer liegen, lacht laut auf, als ein anderer ihm etwas erzählt. Er boxt ihm gegen den Oberarm.
Es ist, als würde die Sonne aufgehen, wenn er lacht, sodass ich unwillkürlich auch grinsen muss.
»Ja, wir sind auf der Suche«, er macht eine kurze Pause, als müsste er überlegen, wonach sie suchen, »nach Gesellschaft.«
»Ich würde dir ja sehr gern weiterhelfen, aber wir sind auf dem Weg zum Roque Nublo.«
Am liebsten würde ich umgehend mit den Jungs zum Strand gehen, aber mein Stolz verbietet es mir. Der ungeduldige Blick des Busfahrers bohrt sich in meinen Nacken. Von drinnen höre ich lautes Geschnatter, was sich verdächtig danach anhört, als hätten auch die Cheerleader die Gruppe entdeckt.
»Außerordentlich schade«, sagt der Typ. Aus seiner Stimmlage kann ich heraushören, dass er mich nur aufzieht und er es nicht wirklich bedauert.
Die Jungs sind still geworden. Der Blonde betrachtet mich eingehend, was mir schon fast unangenehm ist. Er kommt auf uns beide zu und legt eine Hand auf die Schulter von seinem Freund.
»Atlan, ist das nicht die kleine Unruhestifterin? Wird sie den Tag mit uns verbringen?« Er grinst, wobei ich eindeutig ein Grübchen in seiner linken Wange erkennen kann. Die Haare an den Seiten sind kurz rasiert, nur oben hat er längere Haare, die allerdings kreuz und quer liegen. Wenn er grinst, lachen seine Augen gleich mit. Dennoch kann ich ihm nicht lang meine Aufmerksamkeit schenken, denn Atlan zieht meinen Blick magisch auf sich.
Atlan also. Ein ungewöhnlicher Name.
»Nein, sie muss zum Roque Nublo«, erklärt Atlan und lässt mich dabei nicht aus den Augen, ehe sein Blick suchend über den vollen Bus schweift, in dem die vielen Mädchen sitzen, die sich an den Scheiben kichernd unterhalten. Wie alt sind wir denn, dass so etwas noch gemacht wird? Ich dachte, mit achtzehn wären wir aus dem Alter raus.
Einer der beiden anderen Jungs hebt lässig die Hand und winkt ihnen zu.
Gott, Atlan muss mich auch für eine von denen halten.
»Vielleicht leistet ihr uns ja später am Strand Gesellschaft«, sagt er ein wenig abwesend.
Plötzlich hakt sich jemand aus dem Bus bei mir unter. Ein süßes Parfüm weht mir um die Nase. Celias Parfüm.
»Wir leisten euch sehr gern später Gesellschaft.« Wieder diese hohe Stimme und ich weiß ganz genau, warum sie mir plötzlich so nah ist.
Das hat sicher absolut nichts mit den Typen vor mir zu tun, die direkt einer Werbeanzeige von Calvin Klein entsprungen zu sein scheinen. Also bitte, Celia wäre doch niemals so berechnend.
Ich will etwas sagen, aber sie kneift mir in den Rücken.
»Wir finden euch am Strand?«, fragt sie.
Der Junge neben Atlan grinst ihn frech an, ehe er nickt.
»Wir werden da sein und auf euch warten.«
Ich betrachte erneut Atlan und komme mir langsam mehr als bescheuert vor.
»Wunderbar, wir beeilen uns«, sagt Celia.
Damit zieht sie mich rückwärts die Stufen empor, wobei ich fast stolpere. Es kommt mir vor, als würde ich gerade aus einem Traum gerissen werden. Diese Jungs haben eine einzigartige Wirkung, durch die man nicht wegschauen kann, wobei gerade Atlan mich gefangen nimmt. So eine Anziehungskraft zu einer Person habe ich noch nie gespürt.
Ich kann mich noch nicht einmal bei Celia beschweren, wie sie mich behandelt hat, so verdutzt lässt mich seine Ausstrahlung zurück. Sie drückt mich einfach in die noch leere erste Reihe und schiebt sich auf den Sitz neben mich. Die Türen schließen und wir fahren los. Das Kichern der Mädchen dringt an mein Ohr. Himmel, wo bin ich hier gelandet?
Nach der ersten Kurve komme ich wieder zur Besinnung und schaue Celia feindselig an.
»Was sollte das?«
Doch sie scheint sich nicht bewusst zu sein, was sie verbrochen hat, stattdessen schaut sie auf ihre lila lackierten Nägel.
»Ich habe dich davor bewahrt, dich noch lächerlicher zu machen. Gern geschehen.«
Mir entgleisen die Gesichtszüge.
»Hast du etwa noch nie einen schönen Mann gesehen? Du hast ausgesehen, als würde der Sabber dir gleich aus dem Mund fließen. Glaub mir, ich habe dir einen Gefallen getan.« Gönnerhaft grinst sie und schaut an mir vorbei aus dem Fenster.
Wenn das wirklich der Fall war, sollte ich mich bei ihr bedanken. Aber das widerstrebt mir so sehr, dass ich lieber zum Angriff übergehe. »Du und mir einen Gefallen getan? Du wolltest nur auf dich aufmerksam machen.«
Sie wirft ihre perfekt gelockten Haare zurück und steht dann auf.
»Traurig, dass du das so siehst. Du hast da übrigens noch Algen in den Haaren.«
Dann stöckelt sie zwei Reihen weiter nach hinten, um sich neben eine ihrer Freundinnen fallen zu lassen.
Seufzend stehe ich auch auf und wanke weit weniger elegant zu Alegria und Lucia, die in der letzten Reihe sitzen. Lucia ist mit ihrer Kamera beschäftigt und Alegria hat ihre Nase schon wieder im Reiseführer vergraben. Scheinbar haben sie von alldem nichts mitbekommen. Wundern würde es mich nicht. Ich lasse mich zwischen die beiden fallen. Unwillkürlich lehnt sich Lucia an mich an, holt aus meinem Haar eine Alge heraus, und Alegria streichelt meinen Arm. Wie sie es immer machen, um mich während einer Busfahrt zu beruhigen.
Wieder kann ich nur dankbar sein für die beiden, meine kleine Familie.
»Glaubst du, dass sie unter ihnen ist?«, frage ich Atlan, als wir beide dem Bus nachsehen. Ich hebe den Arm, um ihn auf seiner Schulter abzulegen, aber das würde merkwürdig aussehen, also lasse ich ihn wieder sinken. Schließlich ist Atlan zehn Zentimeter größer als ich. Wobei ich mich mit meinen 1,82 Meter auch nicht beschweren kann. Es sind nur diese kleinen Momente, die mich daran erinnern, dass ich etwas kleiner als der Rest unserer Gruppe geraten bin.
Atlan ist mal wieder tief in Gedanken versunken und ignoriert mich. Manchmal verlaufen meine Fragen bei ihm einfach ins Leere. Ein paar Augenblicke warte ich sein Schweigen ab, bis der Bus abbiegt und eine Abzweigung nach oben nimmt, um aus der Bucht rauszufahren. Am liebsten würde ich mich auf seinen Rücken werfen und ihn so aus seinen Gedanken reißen. Die Versuchung ist groß, aber ich erinnere mich zu gut an das letzte Mal. Danach hat er mir einen Vortrag über Respekt vor Anführern gehalten.
Hinter uns albern Kelvin und Dax herum, stoßen sich immer wieder an und machen sich auf Richtung Strand. So sind Atlan und ich auch, wenn wir nicht gerade auf einer ultrageheimen Mission unterwegs sind.
»Die Wahrscheinlichkeit ist groß. Du hast es doch gestern Abend auch gespürt.« Oh, er kann wieder sprechen. Dabei klingt er so ehrfurchtsvoll, dass sogar mir ein Schauer über den Rücken läuft. Aber er hat recht, gestern Abend überkam uns beide ein merkwürdiges Gefühl. Ein Windstoß wehte direkt durch unsere Herzen und ließ uns ruhelos herumwandern, bis unser Blut zu pulsieren begann. Sie hat das Meer berührt, dessen waren wir uns absolut sicher. Dann gerieten Daxton und Kelvin in diese kleine Auseinandersetzung. Noch immer bringt mich die Erinnerung daran zum Grinsen. Selten wurde unser großer Dax so heruntergeputzt, vor allem für etwas, was er noch nicht einmal verbrochen hat.
»Dann hätte unsere Suche endlich ein Ende.« Würde mich schon ein wenig traurig machen. Ich vergrabe die Hände in meinen Hosentaschen und kicke einen Stein vom Parkplatz. Dieses Mädchen hatte Algen im Haar. Ihr ganzes Auftreten hat das Wort Abenteuer nur so geschrien. Ihre wilden Locken und diese grünen katzenartigen Augen. Natürlich konnte sie ihre Aufmerksamkeit nicht von Atlan lassen, das kann kein weibliches Wesen. Zwar sehen wir alle vier unglaublich gut aus, aber Atlan sticht sehr hervor. Und nein, ich bin nicht eingebildet, das ist eine Tatsache.
»Wie heißt sie noch mal? Mayla?«, frage ich und will ebenfalls dem Bus hinterhersehen, doch er ist bereits verschwunden. Atlan lässt seinen Blick langsam zu mir wandern und mustert mich eindringlich, wie er es immer macht. Als würde immer nur ich etwas ausfressen, Kelvin ist nicht viel besser als ich.
»Ja, aber sie ist nur der Ankerpunkt, damit wir diese gesamte Mädchentruppe untersuchen können. Vielleicht ist sie unter ihnen.« Seine Stimme klingt gelangweilt, doch ich höre diesen feinen Unterschied heraus, den warnenden Unterton, den ich schon so oft gehört habe. Aber ich kann einfach nicht anders.
»Also ich finde sie echt hübsch und wie sie gestern Abend Kelvin und Dax angefahren hat, war absolut großartig.«
Atlans Augen verengen sich zu Schlitzen, doch ich kann mein Grinsen einfach nicht kontrollieren. »Es ist verboten, sich in Menschen zu verlieben.«
Zwar hat hier niemand etwas von verlieben gesagt, aber gut.
Die Worte klingen gezischt, was mich noch mehr belustigt. Atlan liebt Regeln und Vorschriften, er ist immer darauf bedacht, dass sie eingehalten werden.
Ich verschränke die Hände hinter dem Kopf und wende mich ebenfalls dem Meer zu.
»Und was ist, wenn sie es ist? Stehst du mir dann auch im Weg?«
Nur um seinen Gesichtsausdruck zu bewundern, drehe ich den Kopf noch mal zu ihm um. Atlans finsterer Blick ist diese Unterhaltung allemal wert. Er steckt die Hände in die Hosentaschen und folgt mir.
»Dann stehe ich dir nicht im Weg.« Ein leichtes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. »Wenn die königliche Hoheit dich überhaupt ranlassen würde.«
Ich rempele ihn spielerisch an, doch Atlan muss nicht mal einen Schritt zur Seite machen und läuft unbeirrt weiter. War nicht anders zu erwarten, nicht umsonst ist er der Anführer von uns.
»Die königliche Hoheit könnte sich glücklich schätzen mich zu haben«, sage ich und mache eine Verbeugung, bevor ich die Treppen zum Strand hinabsteige.
Unten angekommen grinst Atlan und legt einen Arm um meine Schultern. »Wie gut, dass ich noch da bin, um sie vor dir zu schützen.«
***
»Komm schon, Celia, wir sind bald da.«
»Ich kann nicht mehr, Alegria. Meine Schuhe bringen mich um. Trag mich.«
Das geht jetzt seit zwanzig Minuten so. Alegria ruft Celia etwas Aufmunterndes zu und diese bettelt darum, von ihr getragen zu werden. Meine Freundin bietet Celia die Hand an.
»Wir haben es gleich geschafft.«
Sie greift danach und lässt sich theatralisch nach oben ziehen.
Ich verdrehe die Augen und kann mir dieses Schauspiel einfach nicht mehr ansehen.
»Das hier ist ein gut ausgebauter Wanderweg, Celia, und kein Roadtrip durch die Wildnis«, sage ich entnervt und warte auf Alegria und ihr Anhängsel. Celia tut so, als würden wir uns in unerforschtem Gebiet befinden.
Lucia hält Celia eine Trinkflasche entgegen, die sie dankend annimmt. Sie stürzt große Schlucke hinunter, als wäre sie am Verdursten. Denn natürlich hat eine Wasserflasche nicht in ihre kleine Handtasche gepasst. Sie wischt sich über den Mund und blitzt mich an.
»Du hast doch keine Ahnung, wie ich leide.« Es geht noch theatralischer, wer hätte es gedacht? Tatsächlich sehen ihre Füße in den hohen Schuhen gequetscht aus, aber es war ihre Entscheidung, sie anzuziehen, also muss sie die Konsequenzen tragen. Die anderen Mädchen sind schon lange oben angekommen, nur Madame ziert sich und hält uns drei auf. Alegria will sie nicht allein lassen, Lucia lässt sowieso niemanden zurück und ich habe mich meinem Schicksal ergeben.
Also laufen wir zu viert diesen leichten und gut zu bewältigenden Weg entlang, bis wir endlich oben ankommen. Wer hätte gedacht, dass wir es trotz Celia schaffen? Wir haben für einen Weg von einer Dreiviertelstunde fast eineinhalb gebraucht.
Celia lässt sich auf eine Bank nieder und wird sofort von ihren Freundinnen umschwärmt, die Fotos von der Aussicht machen wollen.
Alegria lächelt uns entschuldigend zu, als auch sie dazustoßen soll.
Ich winke ab. Es ist selbstverständlich, dass Alegria mit ihnen ebenso viel Zeit verbringen will wie mit uns.
Lucia verstaut die Abdeckung ihrer Kamera in der Tasche. Sie hebt das schwarze Gerät an und schaut bedacht durch den Sucher, um den Ausblick abzulichten.