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Nicolas hat ein Geheimnis, von dem niemand erfahren darf auf dem großen Anwesen über Rayol-Canadel-sur-Mer, einem traumhaft gelegenen Ort an der südfranzösischen Mittelmeerküste. Es gibt hier allerdings auch nicht viele Menschen: den Gärtner, die Haushälterin, die Nachbarstochter mit ihren wechselnden Party-Freundinnen und den Hund Silencio, der nicht bellt. Als Housesitter des Feriendomizils eines deutschen Großindustriellenpaares hat sich der junge Mann vor der Welt zurückgezogen, weil er weiß, es geht ihm besser in selbstgewählter Einsamkeit – ihm und der Welt. Sein täglicher Langstreckenlauf gibt ihm Ruhe und Sicherheit. Doch als sich das Ehepaar Breuer für eine Woche mit Gästen ankündigt, kehrt Nicolas' Unruhe zurück. Mit einer verwüsteten Suite im Westflügel fängt es an, und es wird einen Toten geben. »Etwas bleibt immer« führt die flirrende Atmosphäre und den schwebend leichten Ton von Edgar Rais Bestsellern weiter und ist ein Meisterwerk der untergründigen Spannung.
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Wer je behauptet, unmögliche Dinge
könne man nicht glauben,
tut das aus Mangel an Erfahrung.
(Ron Segal, Jeder Tag wie heute)
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe
1.Auflage 2016
ISBN 978-3-8270-7912-1
© 2016 Edgar Rai
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München / Berlin 2016
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
1
Du stehst also auf der Terrasse des Haupthauses, eine Hand an der nachtkühlen Balustrade, und lauschst zur Küstenstraße hinunter. Wie immer um diese Jahreszeit duften die Pinien besonders intensiv. Eine Motoryacht teilt das Wasser und jagt aus der Bucht, als hinge ihr Leben davon ab.
Es wird ruhiger, von Tag zu Tag. Die Saison geht zu Ende. Noch vor einem Monat kreuzten um diese Zeit ein Dutzend Yachten vor der Bucht. Langsam aber sind nur noch solche unterwegs, für die jeder Montag wie der Sonntag ist. Für dich ist der Montag auch wie der Sonntag, der Dienstag aber ist nicht wie der Montag. Und heute ist Dienstag.
Bevor er hinter der großen Pinie hervor- und in dein Blickfeld kriecht, hörst du Ennos alten Pick-up bereits die schmale Serpentine heraufkommen. Was nicht schwer ist, der Auspuff hat mehr Löcher als ein Emmentaler, und das Getriebe besteht aus losen Einzelteilen. Zwischen Saint-Tropez und Le Lavandou gibt es kein zweites Auto, das solche Geräusche von sich gibt.
Sobald der Pick-up wieder aus deinem Blickfeld entschwindet, wird dein Smartphone vibrieren und das Display aufleuchten. Noch ruht es neben deiner Hand auf der Balustrade, aber gleich … Da. Agueda. Und wie jeden Dienstag begrüßt sie dich mit denselben Worten.
»¡Hola, Nino!«
»Bonjour, Agueda.«
»Kannst du uns das Tor aufmachen?«, fragt sie, auf Englisch allerdings, Kalifornien, mit leicht mexikanischem Einschlag: Can you open the gate for us?
Agueda kann kein Deutsch, du kannst kein Spanisch, und Französisch kostet dich auch nach vier Jahren noch Mühe, denn du sprichst es nur selten. Also Englisch.
»Sure.«
Du aktivierst die SmartHome-App, lässt das fliederfarbene Metalltor zur Seite rollen, Enno schaltet gewaltsam in den ersten Gang herunter, und die Eidechse, die jeden Morgen auf der oberen Stufe der Freitreppe die frühen Sonnenstrahlen abpasst, verschwindet eilig zwischen den Zierbüschen.
Für die Farbe von Ennos Pick-up gibt es keinen Namen. Eine Nichtfarbe. Er lässt den Motor laufen und grüßt, indem er wortlos eine Pranke aus dem geöffneten Fenster streckt. In die linke obere Ecke der Windschutzscheibe hat er ein Tattoomotiv geklebt – ein Tiger im Sprung. Das Bild verhält sich zu Ennos Wagen wie die Tattoos auf seinen Armen zu Enno. Sie sind alles, was er nicht ist: dynamisch, kampfbereit, mühelos die Schwerkraft überwindend. Zum Glück hat er Agueda.
Sie steigt aus und entriegelt die Heckklappe. Wie üblich trägt sie die grüne Latzhose mit den aufgenähten Knieschonern, dazu die Basecap mit Ennos Firmenaufdruck: GARDEN MAINTANANCE.Agueda hat ihm gesagt, dass es maintenance geschrieben wird, mit E in der Mitte. Ennos Antwort war ein Schulterzucken. Hauptsache, der Rasen ist grün.
Sie hakt die Heckklappe wieder ein und schlägt mit der flachen Hand auf die Ladefläche. Der Pick-up walzt Rillen in den Kies. Um zu wenden, muss Enno den Rückwärtsgang reinwuchten. Ein Geräusch, als werfe jemand Steine in einen Mixer. Dann rollt er die Auffahrt hinunter durch das Tor und ist weg, und Agueda steht am Fuß der Treppe inmitten ihrer Geräte. Doch etwas ist anders heute. Neben ihr sitzt ein Hund. Weiße Beine, brauner Körper, der Kopf halb weiß, halb braun.
Die Sonne ist so weit über den Hügel gestiegen, dass sie über Aguedas Wange streicht, als die zur Villa aufblickt. Sie hat ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden, der im Nacken unter der Basecap hervorspringt.
»Das ist Silencio!«, ruft sie und winkt.
Statt zu antworten, hebst du nur den Arm, spürst das Morgenlicht auf der Handfläche, als könntest du es greifen.
Aguedas Zähne blitzen auf.
»Wird ein schöner Tag, heute!«
Du richtest deinen Blick hinüber zur Bucht, weiter zu den noch dunstig verklärten Inseln und hinaus aufs Meer. Ja, denkst du, wird ein schöner Tag werden. Wie jede Woche. Und jede Woche fällt es Agueda aufs Neue auf.
Gestern Vormittag zeigte dein Smartphone eine eingegangene E-Mail an: [email protected]. Breuers Chefsekretärin. Herr Breuer und seine Frau planten, für fünf Tage ihr Haus in Rayol-Canadel-sur-Mer zu nutzen. Herr Breuer bitte darum, alles entsprechend vorzubereiten. Die Ankunft des Fluges erfolge Freitag, 18:32Uhr, Aéroport Nice. Herr Breuer wünsche, am Flughafen abgeholt zu werden. Des Weiteren bitte er darum, das Dead-Salmon-Zimmer vorzubereiten. Samstagvormittag erwarteten sie Gäste, die ebenfalls am Flughafen abzuholen seien: Herr Robert Wolff sowie dessen Frau Melanie.
Als die Breuers dir den Job als Haussitter ihrer Ferienvilla anboten, sagte Bettina Breuer, die Zeit könne einem »dort unten« sehr lang werden. Offenbar empfand sie das als Manko. Sie nutzten das Haus selten länger als drei Wochen im Jahr, womöglich werde es einsam werden so allein, insbesondere nach dem Ende der Urlaubssaison. Du musstest nicht lange überlegen.
In deinem ersten Jahr kamen die Breuers für zwei Wochen, im darauffolgenden gar nicht, letztes Jahr, über Pfingsten, verbrachten sie einen gemeinsamen Kurzurlaub mit Freunden in der Villa, Ende August flog dann Bettina Breuer für weitere fünf Tage mit ihrer Schwester ein. Im Schnitt also eine Woche pro Jahr.
Nichts an ihrem Anwesen schätzt die Hausherrin mehr als den Luxus des Pools. Zweiundzwanzig Meter lang, sechs Meter breit und fünfzig Wochen im Jahr ohne Wasser. Das ist es, was sie am meisten daran mag: Er ist sensationell unangemessen. Den Hügeln von Rayol muss man jeden Quadratmeter ebener Erde mühsam abringen. Einen halben Berg abzutragen, um die Fläche für einen Pool von über hundert Quadratmetern zu schaffen, der praktisch nie genutzt wird – solche Privilegien wagen nur die wenigsten für sich in Anspruch zu nehmen.
Noch überdimensionierter als der Pool selbst ist seine Gegenstromanlage. Ein Monstrum. Bei voller Leistung wälzt die Pumpe hundertzwanzig Kubikmeter Wasser pro Stunde um. Kein Weltmeister könnte dagegen anschwimmen. Frau Breuer versucht es dennoch. Das Problem ist: Nach fünfzig Wochen ohne Wasser gibt es immer etwas, das an der Pumpe nicht funktioniert. Ist einfach nicht, wofür sie gebaut wurde. Also ist das Erste, was zu tun ist, sobald die Breuers sich ankündigen, die Anlage aus der Wand zu nehmen, sie hinunter in die Garage zu tragen, sie einmal auseinander- und wieder zusammenzubauen.
Der Schatten auf der Stirnseite des Pools hat sich zu einem schmalen Keil verjüngt, die Sonnenstrahlen kriechen bis unter die Haut. Du bist mit dem Ausbau der Gegenstromanlage fertig und hast sie ohne anzuecken aus der Wand gezogen, als sich ein Schatten über deinen brennenden Nacken legt.
»Hola!« Zum zweiten Mal heute.
Der Hund sitzt neben Agueda am Beckenrand, als gebe er sich Mühe, nichts verkehrt zu machen. Agueda blickt eine Weile auf dich herab. Sie trägt den schweren Duft der letzten Oleanderblüten mit sich herum. Schließlich setzt sie sich auf die Sandsteineinfassung des Pools und lässt die Füße in die wasserlose Leere hängen. Im Moment, da sie sitzt, erlaubt sich der Hund, den Kopf auf seine schlanken Pfoten sinken zu lassen.
»Wie geht’s?«, fragt sie.
Sofort denkst du an die Mail von Breuers Sekretärin, an das Kribbeln in Mittel- und Ringfinger, das dich seit gestern begleitet und das alleine dir Warnung genug ist. Doch das zu erklären wäre kompliziert. Du ziehst kurz die Schultern hoch. Die Gegenstromanlage wiegt dreißig Kilo und wird nicht leichter, je länger du sie hältst. Agueda bemerkt den Besen in der Ecke, die zusammengefegten Nadeln, sieht auf die Pumpe, deine ölverschmierten Finger.
»Bekommst du Besuch?«, fragt sie. Als sei es deine Villa.
Vorsichtig setzt du die Pumpe auf dem Poolgrund ab.
»Die Breuers kommen, am Freitag.«
Ihre klobigen Schuhe pendeln vor und zurück.
»Wie sind die so?«
Du überlegst einen Moment.
»Reich.«
»Ich meine: Sind sie nett?«
»Sie versuchen es.«
Agueda zieht ihre Handschuhe aus, stützt die Arme neben den Oberschenkeln auf, umfasst die Rundung des Sandsteins. So habt ihr noch nie miteinander geredet.
»Sie versuchen es?«
Wenn du zu ihr aufblickst, löst sich der Umriss ihrer Silhouette in der Mittagssonne auf.
»Sie möchten gerne gemocht werden«, erklärst du.
»Und – magst du sie?«
»Ich bin ihr Angestellter.«
Agueda streicht dem Hund über den Kopf, der zum Zeichen der Dankbarkeit mit seinen braunen Ohrlappen zuckt.
»Würdest du mit ihnen Urlaub machen?«, fragt sie.
»Ich mache keinen Urlaub.«
»Schon klar. Aber würdest du?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich dachte, Urlaub macht man mit Freunden.«
»Und du machst nie Urlaub?« Sie wartet auf eine Antwort, doch die hast du ihr bereits gegeben. Schließlich sagt sie: »Du bist ein komischer Typ, Nino, weißt du das?«
Ja, weißt du. Spätestens seit du zwölf bist. Ist also keine neue Erkenntnis für dich.
Du beobachtest, wie sich die Sonne auf ihre Haut legt, ihren Hals, ihre Arme. Sie bemerkt es, also lenkst du den Blick auf den Hund.
»Woher hast du ihn?«
Der Hund hebt den Kopf, als habe er seinen Namen aufgeschnappt. Agueda greift ihn am Nacken.
»Hast du gehört, Silencio? Nino hat mich etwas gefragt. Seit einem halben Jahr komme ich jetzt her, aber erst muss ich dich mitbringen, bevor er mich etwas fragt.«
Sie sieht dich an.
»Ist mir zugelaufen.«
Glaube ich sofort, denkst du. Doch das sagst du nicht. Du sagst nur: »Ah.«
»Donnerstags kümmere ich mich um einen Garten drüben in Cavalaire. Da stand er plötzlich neben mir und wich mir nicht mehr von der Seite. Als Enno mich abends zu Hause absetzte, sprang er von der Ladefläche. Ich weiß nicht mal, wie er da raufgekommen ist.«
»Und den Namen – hat er den von dir?«
»Ich dachte, er passt. Er bellt nicht, weißt du? Silencio gibt alle möglichen Geräusche von sich, aber kein Bellen.«
Sie legt den Kopf in den Nacken und imitiert ein Bellen, laut und kräftig. Klingt ziemlich echt. Der Hund lupft die Ohren, dann stimmt er mit einem Fiepen ein. Als die beiden fertig sind, dreht Agueda die Handflächen nach oben: Was hab ich gesagt?
Dir fällt auf, dass ihr Daumennagel noch immer nicht vollständig nachgewachsen ist. Im Juni war das. Sie hatte gerade die Wildtriebe der Rosen an der Mauer hinterm Pool entfernt, als etwa auf Augenhöhe eine Kreuzotter zwischen den Ritzen hervorschnellte. Für einen Moment schwebte sie reglos vor Aguedas Gesicht, um schließlich in einer anderen Ritze zu verschwinden. Wie es passiert war, wusste sie anschließend nicht zu sagen, doch nachdem die Kreuzotter sich in die Mauer zurückgezogen hatte, war die Hälfte von Auguedas Daumennagel weg. Sie bemerkte es erst, als ihr das Blut vom Handschuh tropfte. Im Duschhaus hast du die Wunde gereinigt und verbunden. Sie hatte Tränen in den Augen. Gelacht hat sie trotzdem. »Ist nur der Nagel.« Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen. »Der wächst nach…« Als sie am Abend zu Enno in den Wagen stieg, reckte sie den verbundenen Daumen in die Höhe wie eine Trophäe. Als habe sie irgendwann beschlossen, fröhlich durchs Leben zu gehen. Als könne man das einfach so entscheiden.
Das Einzige, was Bettina Breuer dir über die Gegenstromanlage zu sagen wusste, war, dass sie einen Designpreis erhalten habe. Du nimmst an, dieser Umstand hat ihre Kaufentscheidung nicht unmaßgeblich beeinflusst. Obwohl aus Edelstahl, wirkt das Äußere der Jet vogue II organisch. In das Gehäuse sind zudem mehrfarbige LEDs integriert. So kann, wer möchte, sich unter Wasser massieren und dabei seinen Körper in wechselnde Farben tauchen lassen.
Sobald die Pumpe auf der Werkbank liegt, ist der Fehler schnell gefunden: die Saugleitung. Wo PVC auf Edelstahl trifft, sind Komplikationen vorprogrammiert. Außerdem lässt sich die Düse zwar schwenken, nicht aber regulieren. Insgesamt nichts, was du nicht auch im Pool hättest beheben können, doch da du die Anlage schon aus der Wand geholt hast, kannst du sie auch gleich einem Komplett-Check unterziehen.
In der Verlängerung der Einfahrt, von Bäumen beschattet und an das Nachbargrundstück grenzend, befinden sich zwei Doppelgaragen. In der einen stehen ein schwarzer Porsche Cayenne und ein silberner Renault Kangoo, die andere hast du dir als Werkstatt eingerichtet. Hier findet sich alles, was man braucht, um Dinge wie Wasserpumpen zu reparieren. Dazu gehören eine drei Meter lange Werkbank, ein Metallschrank, der vom Akkuschrauber bis zur Zargensäge alles enthält, was ein Housekeeper sich wünschen kann, außerdem eine Wand voller Werkzeug in dafür passenden Halterungen. Und Ruhe. Neben deinem Bungalow ist dir die Garage der liebste Ort auf dem Anwesen. Ein Ort, der dich unsichtbar macht. Hier findet dich niemand. Es sei denn, du wirst von einem Hund gesucht, der fünfzigmal mehr Riechzellen hat als du selbst und deine Fährte mühelos nach Tagen noch erkennen kann.
Wie ein ausgenommener Fisch liegt die Jet Vogue II auf der Werkbank, als der Hund vor dem Tor auftaucht, sich auf die Hinterläufe setzt und wartet. Schritte nähern sich. Agueda erscheint, krault ihm das weiße Ohr, lächelt.
»Hab dich«, sagt sie.
Was stimmt. Um hier rauszukommen, müsstest du ihr entgegengehen.
Ohne gefragt zu haben, betritt sie deine Garage. Sie hat die tragbare Motorsense dabei, ein Gerät wie eine Gottesanbeterin aus Metall. Ihre schweren Schuhe hinterlassen feuchte Abdrücke auf dem rohen Beton.
Sie betrachtet die Einzelteile der Gegenstromanlage.
»Du nimmst gern Dinge auseinander.«
»Noch lieber mache ich, dass sie funktionieren.«
Eure Blicke treffen sich. Du weißt, weshalb sie den Rasentrimmer dabeihat, und sie weiß, dass du es weißt.
»Soll ich ihn mir ansehen?«
»Du hast es gehört?«
Natürlich hast du es gehört. Der Trimmer hustet noch stärker als Ennos Pick-up. Du legst die Sense auf die Werkbank, entfernst mit zwei Griffen die Motorabdeckung und findest alles wie erwartet: einen Luftfilter wie eine Raucherlunge kurz vor dem Infarkt. Interessanterweise geben Ennos Geräte vorzugsweise dienstags ihren Geist auf.
Du schaltest den Druckluftkompressor ein, hebelst den Filter mit dem Schraubenzieher aus der Halterung und pustest ihn durch. Der Dreck eines ganzen Jahres wirbelt auf. Nachdem du fertig bist und alles wieder zusammengebaut hast, trittst du hinaus ins flirrende Licht. Du riechst die Salzluft, die von der Bucht die Hügel hinaufweht und mit jedem Tag ein wenig kühler wird. Der Motor startet nach dem ersten Zug, verschluckt sich kurz und knattert dann gleichmäßig vor sich hin. Du stellst ihn aus und reichst Agueda das Gerät. Sie sieht dich auf eine Weise an, dass du dich fragst, was sie gerade denkt.
»Du weißt, dass Enno mir immer die kaputten Geräte mitgibt, weil er weiß, dass du sie reparierst.«
Sie formuliert es nicht einmal als Frage. Ist auch nicht nötig.
»Wenn es dir zu blöd wird«, fährt sie fort, »sag’s mir einfach.«
»Wenn es mir zu blöd wird, sag ich es Enno«, erwiderst du. »Sag ihm nur, er soll den Filter austauschen.«
»Danke.«
Die Nadeln der Aleppo-Kiefer zersieben das honigfarbene Nachmittagslicht. »Einen Motor zu verstehen ist einfach«, sagst du noch, dann wendest du dich ab.
Du hast bereits wieder die Garage betreten, als du Agueda hörst.
»Nino?«
Das Licht besprenkelt ihre Schultern. Sie nimmt die Basecap ab, sieht dich an. Plötzlich steht ein ganz anderer Mensch vor dir.
»Ich wollte dich um etwas bitten.«
Du wartest.
»Kannst du ein paar Tage auf Silencio aufpassen?« Sie müsse verreisen, erklärt sie, es sei wichtig. Drei, vier Tage vielleicht. Länger nicht. Der Hund wäre dir bestimmt keine Last. »Er ist ganz lieb und völlig unkompliziert – bellt nicht einmal. Und er mag dich.«
Du überlegst, wie es wäre, die Strecke nach Le Lavandou mit dem Hund an deiner Seite zu laufen. Zehn Kilometer. Zwanzig hin und zurück. Silencio blickt dich erwartungsvoll an.
»Er mag mich?«
»Schätze, du riechst einfach gut.«
Zögerlich trittst du aus der Garage und gehst in die Hocke. Sofort kommt der Hund angetrabt, beschnuppert deine Hand.
»Ihr habt euch abgesprochen«, sagst du.
»Logisch.«
»Glaubst du, er kann längere Strecken laufen?«
»Er ist ein American Foxhound.«
»Und das heißt?«
»Je länger, je lieber.«
Von ihm könntest du es annehmen, denkst du. Gemocht zu werden. Von Silencio gemocht zu werden hätte nichts Bedrohliches an sich. Es wäre bedingungslos.
2
Du bist es gewohnt, allein auf dem Anwesen zu sein. Dienstagabends jedoch klafft jedes Mal eine Lücke in der Auffahrt, die sich erst über Nacht wieder schließt. Sobald Ennos Pick-up zum Tor hinuntergerollt und außer Hörweite ist, gehst du zum Bungalow und ziehst deine Laufsachen an. Silencio folgt dir bis auf die Holzterrasse, hält jedoch vor der Schiebetür inne, setzt sich und wartet. Du kennst dich mit Hunden nicht aus, doch entweder ist Silencio ausgesprochen streng erzogen oder so oft gedemütigt worden, dass er für ein Lob seine eigene Natur verleugnen würde. Du bist Menschen begegnet, bei denen beides zutraf.
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