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Wenn Familie mehr bedeutete als dasselbe Blut zu haben.Frau Professor erklärt eines Tages am Mittagstisch ihren drei Kindern, dass sie sich überlegt ein Kriegskind zum Essen dazuzuholen. Denn die Speisen reichen allemal. Die drei Kinder sind begeistert, doch Annie ändert schnell ihre Meinung als ein verwahrlostes schmächtiges Mädchen ohne Manieren bei ihnen auftaucht. Auch die Tante fühlt sich in ihren Vorurteilen bestätigt, dass Eva ein schlechter Einfluss für die Kinder sei. Für Eva scheint durch die Nettigkeit der Frau Professorin ein neues Leben zu beginnen, doch plötzlich entscheidet ihre Tante, dass Eva nicht mehr kommen darf. Findet das kleine Kriegskind sein Glück?-
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Seitenzahl: 38
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Else Ury
Saga
Eva, das Kriegskind
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1917, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726884494
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Die Mittagssonne blinzelte durch die Tüllvorhänge des breiten Fensters in ein gemütliches Berliner Zimmer hinein. Dort pflegte es stets lustig zuzugehen. Denn drei Blondköpfe sorgten für lebhafte Unterhaltung an dem runden Eßtisch: der langaufgeschossene Sekundaner Herbert, die zwölfjährige Annie, mit dem heimlichen Schalk in den Braunaugen, und Klein-Edith, das siebenjährige Nesthäkchen der Familie. Freilich, seitdem der Vater seine Uniform hervorgesucht hatte und ins Feld gezogen war, ging es nicht ganz so lustig mehr wie früher zu.
Der Ernst der Zeit warf einen Schatten auch über die sorglosen Kinder. Herbert war schon reif genug, um die gewaltige Größe des um sein Dasein kämpfenden deutschen Volkes zu verstehen, und widmete seine Kräfte dem Vaterlande als Pfadfinder. Annies Vaterlandspflichten dagegen verkörperte ein grauer Strickstrumpf, der durchaus nicht wachsen wollte.
Die durch die Vorhänge lugende Sonne streichelte warm und zärtlich mit ihren Strahlenfingern die eifrig über die Teller geneigten Blondköpfe. Würmer und zärtlicher noch aber war der Mutterblick, der die drei blühenden Kinder umfaßte. Wie sie es sich schmecken ließen! Von dem schmausenden Kleeblatt glitt ihr Blick zu der blitzenden Schüssel, in welcher das Gemüse trotz aller Kraftanstrengung der Jugend noch immer kein Ende nahm. Unwillkürlich mußte Frau Professor Trendler an so manches schmächtige Kindergesicht denken, das ihr in diesen Tagen begegnet war.
»Bei uns könnte gut noch eins satt werden,« sagte sie nachdenklich, »ich habe große Lust, mir ein Kriegskind zum Mittagbrot ins Haus zu laden. Auguste kocht stets so reichlich, daß für so ein armes Kleines noch etwas abfällt.«
Die Kinder waren sofort Feuer und Flamme für Mutters Vorschlag. Die Jugend gibt und hilft gern, und außerdem reizt das Neue.
»Fein, Muttchen – fein – neben mir soll es sitzen.« – »Mir brauchst du dann bloß noch die Hälfte meines sonstigen Mittagbrots zu geben.« So ging es über den Eßtisch hin und her, und das Kriegskind bildete mit einem Male den Mittelpunkt der lebhaften Kinderunterhaltung.
In diesem Augenblick riß ein doppeltes Klingelzeichen, das gerade in die »gesegnete Mahlzeit« hineinschrillte, die Kinder aus ihrer Begeisterung.
»Tante Asta – das ist bestimmt Tante Asta!« Wie der Wind war das Nesthäkchen zur Tür hinaus, um der Lieblingstante zu öffnen.
Tante Asta Frenzen bewohnte in demselben Hause die andere Hälfte des gleichen Stockwerks. Für die Kinder war es jedesmal ein Fest, wenn das doppelte Klingelzeichen erschallte. Nach dem frühen Tode ihres Gatten hatte Tante Asta sich fest an die Familie ihrer Schwester angeschlossen; Theo, ihr einziger Sohn, war mit den Professorkindern zusammen aufgewachsen. Trotzdem er über zwei Jahre älter war als Herbert, verband die beiden eine feste Jungenfreundschaft.
Tante Asta war noch immer, obgleich sie schon Ausgangs der Dreißiger sein mochte, eine jugendlich schöne Erscheinung.
Ihr sonst blasses Gesicht war heute lebhaft gerötet. Kaum vermochte sie ihrer Erregung Herr zu werden. War etwas mit Vetter Theo vorgefallen? Als richtige kleine Evastochter ließ Annie ihre neugierigen Augen von der erregten Tante flugs zu dem ihr auf dem Fuß folgenden Vetter gleiten. Und was sie hier sah, bestärkte das Schlauköpfchen in der Annahme, daß es da etwas gegeben haben müsse.
Theos frisches Jungengesicht war rot wie ein Krebs. Bald fuhr er sich mit der Rechten durch das dichte Haar, bald zupfte er mit der Linken an den paar winzigen Blondhärchen, die man allenfalls durch die Lupe gesehen als künftiges Bärtchen bezeichnen konnte. Was mochte der große Theo nur angestellt haben?
Frau Professor, selbst heftig erschrocken beim Anblick ihrer Schwester, hatte inzwischen besänftigend die Hand auf die Schulter der Erregten gelegt.
»Asta, liebes Herz, was ist geschehen – was bringt dich so außer Fassung?« fragte sie mit bebender Stimme.
Statt jeder Antwort schlug Tante Asta beide Hände vor das Gesicht.
Da wandte sich Frau Professor Trendler in jähem Entsetzen an den Neffen.
»Theo – was ist? Habt ihr eine Nachricht von meinem Mann erhalten? Ist Onkel Georg – – –?«
»Nein – nein, keine Sorge, Tante Emmi«, unterbrach der Oberprimaner beruhigend die angstvolle Frage. »Es handelt sich lediglich um mich. Meine Wenigkeit hat Mutter in solche Aufregung versetzt und diesen Aufruhr in unser friedliches Familienleben gebracht.«