Ex Talk – Liebe live auf Sendung - Rachel Lynn Solomon - E-Book
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Ex Talk – Liebe live auf Sendung E-Book

Rachel Lynn Solomon

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Beschreibung

Love is ON the AIR Shay Goldstein arbeitet seit fast zehn Jahren bei ihrem Lieblingsradiosender in Seattle. Aber seit Kurzem gerät sie immer wieder mit ihrem neuesten Kollegen aneinander, Dominic Yun, der meint, alles besser zu wissen. Als sie ihrem Boss ein Konzept für eine Talkshow vorschlägt, ist der begeistert. In ›Ex Talk›‹ soll ein ehemaliges Paar miteinander plaudern und Beziehungstipps geben. Nur kommt ihr Boss dann auf die wirklich blöde Idee, Shay und Dominic als dieses Ex-Paar auszugeben. Die Hörer lieben Shay und Dom. Und Shay und Dom verlieben sich ineinander. Doch wie können sie ein Paar sein, wenn sie für die Öffentlichkeit ein Ex-Paar sind? Ein Versuch, die Sache aufzuklären, endet jedenfalls nicht nur mit dem Rausschmiss von Shay.

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Rachel Lynn Solomon

Ex Talk

Roman

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

Für Ivan

Danke, dass du dich mit mir auf diese Reise begeben hast, für deine anhaltende Unterstützung und dafür, dass du Geschichten genauso liebst wie ich.

Du bist mein Zuhause.

 

 

Ich suche nicht nach Geschichten, in denen etwas falsch gelaufen ist, nein. Aber viele großartige Geschichten handeln von Menschen, die einen Fehler gemacht haben.

Ira Glass

1

Dominic Yun ist in meinem Aufnahmeraum.

Er weiß, dass es mein Aufnahmeraum ist. Dominic ist seit vier Monaten hier, er muss es wissen, denn es steht im Kalender des Senders, dem, der mit unseren Mail-Accounts verknüpft ist. In einer blauen Blase steht da: Studio C: Goldstein, Shay. Täglich Montag – Freitag, 11:00 – 12:00. Endet: Nie.

Ich würde ja anklopfen, aber – tja, was einen Aufnahmeraum eben ausmacht, ist, dass er schalldicht ist. Und während die Liste meiner Fehler sicherlich eine halbe Stunde werbefreier Radiozeit füllen könnte, bin ich nicht so schlimm, dass ich einfach hineinstürmen und vermasseln würde, was auch immer Dominic gerade aufnimmt. Er ist zwar der am wenigsten qualifizierte Reporter beim Pacific Public Radio, aber dafür habe ich dann doch zu viel Respekt vor der Kunst des Abmischens. Was im Aufnahmeraum passiert, ist heilig.

Stattdessen lehne ich mich innerlich kochend an die Wand gegenüber von Studio C. Über der Tür blinkt die rote AUFNAHME-Leuchte.

»Nimm ein anderes Studio, Shay!«, ruft Paloma Powers, die Moderatorin meiner Sendung, auf dem Weg zum Mittagessen (Veggie Yakisoba aus dem winzigen Laden gegenüber auf der anderen Straßenseite, seit sieben Jahren jeden Dienstag und Donnerstag. Endet: Nie).

Könnte ich. Aber passiv aggressiv zu sein macht viel mehr Spaß.

Das öffentliche Radio wird nämlich nicht nur von Intellektuellen gemacht, die mit Samtstimmen um Spenden für den Sender bitten. Auf jeden Job in diesem Bereich kommen wahrscheinlich hundert verzweifelte Journalismus-Absolventinnen und -Absolventen, die This American Life einfach lieben – und manchmal muss man eben gemein sein, um zu überleben.

Ich bin allerdings eher dickköpfig als gemein. Dank meiner Dickköpfigkeit ergatterte ich vor zehn Jahren ein Praktikum hier und bin jetzt, mit neunundzwanzig, im Sender die jüngste leitende Redakteurin aller Zeiten. Seit meiner Kindheit hatte ich davon geträumt, beim Radio zu arbeiten, auch wenn ich damals eigentlich daran dachte, selbst vorm Mikro zu sitzen und nicht hinter einem Computer.

Um zwanzig nach elf geht endlich die Studiotür auf. Inzwischen habe ich meiner Nachwuchsredakteurin Ruthie Liao versichert, bis zwölf die Werbespots fertig zu haben, und Umweltreporterin Marlene Harrison-Yates ist bei meinem Anblick in Lachen ausgebrochen, bevor sie im weitaus minderwertigeren Studio B verschwand.

Zuerst sehe ich seinen Schuh, einen glänzenden schwarzen Oxfordschuh. Dann folgt der Rest seines fast zwei Meter langen Körpers, dunkelgraue Hose und bordeauxrotes Hemd, der oberste Knopf offen. Wie er so in der Tür von Studio C eingerahmt dasteht und stirnrunzelnd auf sein Skript blickt, könnte er einem Bildagenturfoto aus der Rubrik »Business Casual« entsprungen sein.

»Und, hast du die richtigen Wörter in der richtigen Reihenfolge gesagt?«, frage ich.

»Ich glaub schon«, sagt Dominic vollkommen ernst, den Blick weiter aufs Skript gerichtet. »Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Ich warte nur auf mein Studio«, sage ich mit zuckersüßer Stimme.

Da er nicht aus dem Weg geht, mustere ich ihn weiter. Seine Ärmel sind bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, die schwarzen Haare leicht zerzaust. Vielleicht ist er sich mit den Händen hindurchgefahren, aus Frust, weil seine Story nicht genau so geworden ist, wie er sie sich vorgestellt hat. Das wäre mal eine angenehme Abwechslung zu seinen letzten Storys, die unsere Website dominieren und wegen ihrer Effekthascherei in den Überschriften zwar jede Menge Klicks bekommen, emotionale Tiefe allerdings vermissen lassen. Vielleicht ist ihm während der verhängnisvollen zwanzig Minuten in Studio C bewusst geworden, dass er die Nase voll hat vom Radio, und gleich geht er zu Kent und sagt ihm, dass es ihm sehr leidtut, er aber für diesen Job nicht gemacht ist.

Er arbeitet noch längst nicht lange genug beim Sender, um die feinen Unterschiede zwischen Studio A, B und meinem geliebten Studio C zu begreifen: dass der Kopfhörer in Studio C perfekt geknickt ist, das Gewicht der Schieberegler am Mischpult es leichter macht, sie zu bedienen. Und er weiß auch nichts von der Bedeutung, die Studio C für mich hat: dass ich hier die Stücke für meine erste ganz allein produzierte Sendung mischte – die darüber, wie es ist, an Vatertag keinen Vater mehr zu haben. Stundenlang liefen die Telefonleitungen heiß. Als ich die Geschichten der Anrufenden hörte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Jahren ein bisschen weniger allein, und es rief mir wieder ins Gedächtnis, warum ich damals überhaupt zum Radio gegangen bin.

Gut möglich, dass meine Beziehung zu diesen zwei Quadratmetern aus Kabeln und Knöpfen nicht gesund ist.

»Es ist ganz dein«, sagt Dominic, bewegt sich aber kein Stück und blickt immer noch nicht von seinem Skript auf.

»Sollte es auch. Jeden Wochentag von elf bis zwölf. Wenn dein Kalender nicht funktioniert, müsstest du vielleicht mal der IT Bescheid sagen.«

Schließlich löst er den Blick vom Skript und sieht zu mir runter. Weit runter. Er lehnt sich gelassen gegen den Türrahmen, die Schultern leicht gebeugt. Das macht er immer, normal große Gebäude sind anscheinend zu klein für ihn. Ich bin eins sechzig und mir dessen selten so bewusst, wie wenn ich neben ihm stehe.

Als unsere Rezeptionistin Emma ihn für die Website fotografierte, wurde sie knallrot, wahrscheinlich weil er als einziger Typ im Sender noch unter dreißig, aber kein Praktikant mehr ist. Auf dem Foto guckt er ziemlich ernst, bis auf den einen Mundwinkel, ein winziges gekrümmtes Komma, das seine Lippen etwas zur Seite zieht. Als das Foto veröffentlicht worden war, blickte ich ziemlich lange auf dieses Komma und fragte mich, warum Kent jemanden anstellte, der noch nie vorher einen Fuß in einen Radiosender gesetzt hatte. Kent schwärmte von Dominics Master in Journalismus an der Northwestern University in Chicago, der beste Studiengang in den USA, wie es ständig hieß, und davon, dass Dominic einen Journalistenpreis nach dem anderen abgesahnt hat.

Dominic schenkt mir ein Lächeln, das etwas angespannter und zurückhaltender ist als auf dem Websitefoto. »Es war fünf nach, und das Studio war leer. Ich hab vielleicht eine große Story für eine Eilmeldung. Ich warte nur noch auf die Bestätigung von einer weiteren Quelle.«

»Cool. Ich muss Palomas Intros mischen, also …« Ich mache Anstalten, den Aufnahmeraum zu betreten, doch er rührt sich immer noch nicht, sein unglaublich großer Körper versperrt mir den Weg. Ich bin ein Junges, das versucht, die Aufmerksamkeit eines Grizzlybären zu erregen.

Das Komma zieht etwas mehr an seinem Mund. »Du fragst noch nicht mal, worum es in meiner Story geht?«

»Ich werde sicher morgen in der Seattle Times darüber lesen.«

»Ach, komm schon, wo bleibt dein Teamgeist? Der öffentliche Rundfunk kann auch mal als Erstes Eilmeldungen bringen«, sagt er bestimmt. Wir hatten diese Diskussion schon zig Male, seit er in seiner ersten Woche beim Sender fragte, warum niemand aus unserem Team von Reporterinnen und Reportern regelmäßig an den Stadtratssitzungen teilnimmt. »Wäre es nicht toll, mal als Erstes eine Story zu bringen, statt allem nur hinterherzuhinken?«

Dominic scheint nicht zu verstehen, dass Eilmeldungen nicht unsere Stärke sind. Als ich ihm bei seiner Einführung erklärte, dass unsere Leute manchmal einfach Kurznachrichten aus der Times umschrieben, sah er mich an, als hätte ich gesagt, wir würden bei unserer nächsten Spendenkampagne keine Stoffbeutel ausgeben. Unsere Reporterinnen und Reporter leisten großartige Arbeit – wichtige Arbeit –, aber ich fand schon immer, dass wir am besten sind, wenn wir uns auf längere Features, tiefgehende Analysen und aus dem Leben gegriffene Geschichten konzentrieren. Genau das macht meine Sendung, Puget Sounds, und darin sind wir gut. Paloma hat sich den Namen ausgedacht, ein Wortspiel mit Puget Sound, dem Gewässer entlang der Nordwestküste Washingtons, an dem Seattle liegt.

»Die Leute schalten uns nicht ein, um Eilmeldungen zu hören«, sage ich und versuche, nicht lauter zu werden. »Wir haben Umfragen dazu durchgeführt. Außerdem ist es den Leuten völlig egal, wo regionale Eilmeldungen herkommen. Morgen wird es auf jedem Sender, Blog und Twitter-Account mit siebenundzwanzig Followern zu finden sein, und niemanden interessiert es, wer es zuerst veröffentlicht hat.«

Er verschränkt die Arme vor der Brust, was seine nackten Unterarme mit den dunklen Haaren darauf noch betont. Ich stand schon immer auf Unterarme – wenn ein Mann seine Ärmel hochkrempelt, ist das für mich praktisch schon Vorspiel. Dass solche schönen Unterarme an Dominic verschwendet wurden, ist eine Unverschämtheit.

»Stimmt«, sagt er. »Ich darf nicht vergessen, dass der Schwerpunkt von echtem Radio auf … – wie heißt noch mal deine Sendung heute?«

»Tiersprechstunde«, sage ich und recke das Kinn, in der Hoffnung, dass es selbstbewusst rüberkommt. Ich werde mich nicht dafür schämen. Die Tiersprechstunde ist eine unserer beliebtesten Sendungen, eine Livesendung, in der die Hörer anrufen und der berühmten Tierverhaltensexpertin Mary Beth Barkley – was mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht ihr echter Name ist – Fragen stellen. Sie bringt immer ihren Corgi mit, und es ist eine Tatsache, dass Hunde alles besser machen.

»Du leistest einen echten Dienst an der Öffentlichkeit, im Radio Katzenkotze zu analysieren.« Er stößt sich vom Türrahmen ab, und die Studiotür fällt mit einem dumpfen Schlag hinter ihm zu. »Ich muss an dem Tag krank gewesen sein, als wir das an der Uni durchgenommen haben. Nicht viele Leute schaffen es, diese Nuancen zu erfassen wie in deiner Sendung.«

Bevor ich antworten kann, kommt Kent in Hosenträgern und lustiger Krawatte – sein Markenzeichen – den Flur entlang. Heute sind winzige Stückchen Salamipizza auf der Krawatte. Kent O’Grady – der Programmdirektor des Senders und Besitzer einer Radiostimme, die ihn in Seattle vor Jahrzehnten zur Legende machte.

Er schlägt Dominic auf die Schulter, aber da Kent nur ein paar Zentimeter größer ist als ich, landet seine Hand auf Dominics Bizeps. »Genau die zwei, die ich suche. Dom, was macht die Story? Haben wir einen Skandal?«

Dom. In meinen ganzen zehn Jahren hier habe ich es nie erlebt, dass Kent so schnell für jemanden einen Spitznamen hatte.

»Skandal?«, frage ich, Interesse vortäuschend.

»Könnte gut sein«, sagt Dominic. »Ich warte noch auf eine letzte Bestätigung.«

»Wunderbar.« Kent streicht sich über seinen ergrauenden Bart. »Shay, hat Paloma am Anfang der Sendung Zeit für ein Liveinterview mit Dom?«

»Live?«, fragt Dominic. »Im Sinne von nicht aufgezeichnet?«

»Na klar«, sagt Kent. »Wir wollen die Ersten sein, die mit der Geschichte rauskommen.«

»Die würde ich auch gern hören«, sage ich, als Dominic blass wird. Die Vorstellung, Dominic Zeit abzutreten, gefällt mir zwar nicht, aber wenn ihm dabei unwohl ist, bin ich definitiv dabei. »Ich denke, wir können ein paar Minuten von der Tiersprechstunde abgeben.«

Kent schnippt mit den Fingern. »Shay, erinnern Sie mich daran, dass ich noch mit Mary Beth spreche, bevor sie geht. Meatball frisst gerade nur, wenn sie vorher jeden einzelnen Brocken aus ihrem Napf auf den Boden geworfen hat.«

»Nur ein paar Minuten, ja?«, fragt Dominic mit zitternder Stimme.

»Fünf, maximal. Sie werden das toll machen.« Kent grinst und geht zurück zu seinem Büro.

»Bitte, ruinier nicht meine Sendung«, sage ich zu Dominic, bevor ich in Studio C verschwinde.

 

 

Dominic Yun ist in meinem Studio.

Streng genommen sind es drei angrenzende Studios: das mit dem Mischpult, in dem ich mit dem Ansager bin, das kleine Studio für Höreranrufe und Studio A, in dem jetzt Paloma mit ihren Notizen für die Sendung, einer Flasche Kombucha und einem leeren Wasserglas vor sich sitzt. Neben ihr sitzt Dominic und guckt ziemlich betreten, nachdem er Palomas Wasser über ihren Notizen ausgekippt hat. Ruthie musste losrennen, um einen neuen Ausdruck zu machen.

»Mary Beth ist da«, sagt Ruthie, als sie hinter mir ins Studio schlüpft, nachdem sie Dominics Schweinerei aufgewischt hat. »Und ja, sie hat Wasser und ihr Hund hat auch Wasser.«

»Perfekt. Danke dir.« Ich setze meinen Kopfhörer auf und überfliege den Ablaufplan der Sendung. Mein Herz klopft seinen gewohnt aufgeregten Rhythmus wie vor jeder Sendung.

Puget Sounds ist ein einstündiger Adrenalinstoß, jeden Wochentag von vierzehn bis fünfzehn Uhr. Als leitende Redakteurin führe ich die Regie der Livesendung: Ich gebe Paloma die Zeichen, rufe Gäste an und stelle sie durch, behalte die Zeit für jedes Segment im Auge und lösche, wenn es irgendwo brennt. Ruthie bringt die Gäste herein, und unser Praktikant, Griffin, kümmert sich im Studio nebenan um die Anrufe.

Manchmal kann ich es kaum glauben, dass ich das fünfmal die Woche mache. Tausende Menschen in der Stadt stellen ihre Radios und Apps und Webbrowser auf 88,3FM ein, und ein paar von ihnen werden so inspiriert oder amüsiert oder sogar wütend, dass sie uns anrufen, um ihre Geschichte dazu zu erzählen oder eine Frage zu stellen. Das interaktive Element – im einen Augenblick Paloma durch die Lautsprecher zu hören und im nächsten live mit ihr zu plaudern – ist das, was Radio zur besten Form von Journalismus macht. Es macht die Welt ein bisschen kleiner. Man kann mit Hundertausenden Fans im ganzen Land eine Sendung hören, und trotzdem fühlt es sich an, als würde die Moderatorin direkt zu dir sprechen. In manchen Fällen beinah, als wärt ihr befreundet.

Ich wippe mit meinen Füßen in hellbraunen Ankle Boots auf der untersten Sprosse meines Hockers. Neben mir setzt Ruthie sich ihren Kopfhörer über den platinblonden Pixie-Cut, bevor sie mir eine Hand aufs Bein legt, damit ich aufhöre rumzuzappeln.

»Es wird schon gut gehen«, sagt sie und nickt in Richtung Dominic auf der anderen Seite der Glasscheibe. Wir versuchen, unsere Fehde geheim zu halten, aber Ruthie mit ihrer ganzen Intuition der kurz vor der Generation Z Geborenen hat bereits nach ein paar Wochen Wind davon bekommen. »Wir sind schon mit Schlimmerem fertiggeworden.«

»Das stimmt. Du bist meine ewige Heldin, seit du in letzter Minute alle vier Gäste der Sendung über irrationale Ängste umgebucht hast.«

Ich bewundere Ruthie, die vor uns bei einem Privatsender war, wo trotz der ständigen Werbeunterbrechungen ein viel schnelleres Tempo herrscht. Gelegentlich höre ich sie den Jingle von 1–877-KARS-KIDS vor sich hin summen. Sie sagt, er geht ihr nicht mehr aus dem Kopf.

In der Mitte des Studios erhebt sich Jason Burns von seinem Ansagestuhl, einem ergonomischen Apparat, den er extra aus Schweden bestellt hat. Vor ihm das Mischpult.

»Ruhe im Studio, bitte«, sagt er mit seiner warmen Ahornsirupstimme, während seine Hände über ein paar Schiebereglern schweben. Jason ist ein süßer Typ Anfang dreißig, den ich bisher immer nur in karierten Flanellhemden und Jeans gesehen habe, der Uniform von Holzfällern und der Indigenen Seattles.

Das ON-AIR-Zeichen neben der Uhr leuchtet auf.

»Sie hören 88,3FM Pacific Public Radio, Puget Sounds«, sagt Jason. »Wir starten gleich mit einer lokalen Eilmeldung. Und danach stellt Paloma Powers einer Tierverhaltensexpertin Ihre brennenden Fragen. Doch zunächst weiter mit den landesweiten Nachrichten.«

Das ON-AIR-Zeichen erlischt. Und dann: Ich bin Shanti Gupta von den NPR News in Washington, DC …

Es gibt kaum etwas Beruhigenderes als die Stimme einer Nachrichtensprecherin, aber heute beruhigt mich Shanti Gupta überhaupt nicht. Meine Aufmerksamkeit ist zu sehr darauf gerichtet, wie völlig falsch es ist, dass Dominic neben Paloma sitzt.

Ich drücke den Knopf, der mich direkt mit Dominic verbindet. »Sitz nicht zu nah am Mikro«, sage ich, und er ist so überrascht, meine Stimme zu hören, dass seine Augenbrauen bis zum Haaransatz hochschießen. »Sonst hören wir nichts außer deinem schweren Atem.«

Sein Mund bewegt sich, aber ich höre nichts.

»Du musst den Knopf …«

»Du willst einfach nicht, dass ich die Sache hier gut mache, oder?«

Die Frage klingt mir in den Ohren nach. Falls Paloma etwas mitbekommt, lässt sie sich nichts anmerken. Stattdessen macht sie sich am Rand ihres neuen Ablaufplans Notizen. Mein Pulli ist auf einmal viel zu warm.

Vor zehn Jahren war ich noch das Wunderkind, die Praktikantin, die perfekte Ablaufpläne erstellte und fesselnde Sendungsthemen recherchierte und Paloma und ihrem damaligen Redakteur, dessen Job ich schließlich übernahm, als er in Rente ging, bewies, dass ich etwas Besonderes war. »Sie ist dermaßen gut, dabei ist sie gerade mal neunzehn!«, rief Kent damals. »Eines Tages wird sie den Laden hier übernehmen.«

Ich wollte den Laden nicht übernehmen. Ich wollte einfach nur gute Geschichten erzählen.

Und jetzt also Dominic: unser neuester Mitarbeiter, frisch von der Uni und bereits live auf Sendung.

»Live in zehn«, sagt Jason, bevor ich Dominic antworten kann, und ich schiebe meinen Neid beiseite, um mich auf das zu konzentrieren, was schon immer das Beste an meinem Job war.

Ich rutsche von meinem Hocker, nehme Blickkontakt mit Paloma auf und halte den Arm hoch auf zwölf Uhr. »Fünf, vier, drei, zwei …« Dann senke ich den Arm, zeige mit dem Finger auf sie, und sie ist auf Sendung.

»Ich bin Paloma Powers, und Sie hören Puget Sounds«, sagt sie routiniert. Ihre Stimme ist dunkle Schokolade, tief und reif, mit einem Hauch Weiblichkeit. In so einer Stimme liegt unglaublich viel Macht, in der Möglichkeit, die Menschen nicht nur zum Zuhören zu bewegen, sondern sie dazu zu bringen, wirklich zuhören zu wollen.

Unter ihrer Stimme spielt ein Musikbett, eine heitere Klaviermelodie, die Jason ausblenden wird, sobald sie ihre Einleitung beendet.

»Heute begrüßen wir die bekannte Tierverhaltensexpertin Mary Beth Barkley im Studio, um die Fragen unserer Hörerinnen und Hörer zu ihren Haustieren zu beantworten. Vielleicht wissen Sie nicht, wie Sie eine junge Katze an Ihr Zuhause gewöhnen können oder ob Sie einem alten Hund neue Tricks beibringen können. Wir wollen von Ihnen hören, also rufen Sie uns an, und wir finden eine Antwort auf Ihre Frage. Die Nummer ist 2065558803. Aber zuerst eine Eilmeldung von unserem Reporter Dominic Yun, der jetzt live bei uns im Studio ist. Dominic, willkommen bei Puget Sounds.«

Dominic sagt nichts. Er sieht Paloma noch nicht einmal an, sondern starrt nur auf seine Notizen, als würde er immer noch auf seinen Einsatz warten.

Stille im Radio ist nicht gut. Ein paar Sekunden können wir uns erlauben, ohne dass die Hörer sich beschweren, aber sobald es mehr ist, haben wir ein ernsthaftes Problem.

»Fuck«, sagt Ruthie.

»Sag was«, murmele ich in sein Ohr. Ich wedele mit den Armen, aber er ist komplett versteinert.

Tja, wenn er meine Sendung ruiniert, wird er zumindest mit ihr untergehen.

»Dominic«, gibt Paloma ihm absolut fröhlich noch mal sein Stichwort. »Wir freuen uns sehr, dich in der Sendung zu haben!«

Dann scheint irgendwas einzurasten, als ob das Adrenalin endlich seinen Blutkreislauf erreicht hätte. Dominic beugt sich blinzelnd zum Mikrofon vor.

»Danke, Paloma«, sagt er, anfangs noch etwas holprig, aber dann zunehmend souveräner. »Es ist toll, hier zu sein. Deine Sendung war tatsächlich die erste, die ich gehört habe, bevor ich für diesen Job nach Seattle gezogen bin.«

»Wie schön«, sagt Paloma. »Was hast du uns mitgebracht?«

Er richtet sich auf. »Es fing mit einem anonymen Tipp an. Ich weiß, was du jetzt denkst. Manchmal sind anonyme Tipps nur Gerüchte, aber wenn man die richtigen Fragen stellt, kann man die Wahrheit dahinter herausfinden. Bei dem Tipp hier hatte ich so ein Gefühl – nenn es journalistische Intuition –, dass da was dran war. Ich bin schon mal einer ähnlichen Sache nachgegangen, im Zusammenhang mit einem Mitglied der Fakultät an der Northwestern.« Eine dramatische Pause, und dann: »Was ich herausgefunden habe, ist, dass Bürgermeister Scott Healey eine zweite Familie hat. Sein Privatleben ist natürlich seine Angelegenheit, aber er hat Wahlkampfgelder benutzt, um es geheim zu halten.«

»Schhheiße«, sagt Jason, dreht sich auf seinem Stuhl um und sieht Ruthie und mich an. Hinter den Kulissen nehmen wir es nicht so genau mit dem Verbot von Schimpfwörtern durch die Rundfunkbehörde.

»Ich weiß schon, warum ich ihn nicht gewählt habe«, sagt Ruthie. »Sein Gesicht hat mir von Anfang an nicht gefallen.«

»Das – das ist ein starkes Stück, Dominic«, sagt Paloma, offensichtlich schockiert, doch sie erholt sich schnell. »Wir hatten Scott Healey schon mehrmals in der Sendung. Erzählst du uns, wie du es herausgefunden hast?«

»Es fing bei einer Stadtratssitzung letzten Monat an …« Er erzählt, wie er die Buchführungsunterlagen gefunden und nachverfolgt hat, wo das Geld hingeht, und wie er die geheime Tochter des Bürgermeisters schließlich überzeugt hat, mit ihm zu reden.

Zwei Minuten vergehen. Drei. Als wir die fünf Minuten erreichen, versuche ich, Paloma ein Zeichen zu geben, aber sie ist zu sehr auf Dominic konzentriert. Ob es möglich ist, ein Mikrofonkabel mit den Fingernägeln zu durchtrennen?

»Ich komme mit den Anrufen nicht mehr hinterher«, höre ich Griffins Stimme in meinem Kopfhörer.

Ich drücke den Knopf, um ihm zu antworten. »Schreib ihre Fragen auf und sag, Mary Beth wird versuchen, sie zu beantworten.«

»Nein, die Anrufe sind alle wegen des Bürgermeisters. Die Leute wollen mit Dominic reden.«

Oh. Okay. Mit zusammengebissenen Zähnen tippe ich in unseren Sendungschat.

Wir haben Anrufe, ist D bereit für Fragen?

»Sieht aus, als hätten wir eine Menge Anrufe«, sagt Paloma, nachdem sie einen Blick auf den Bildschirm geworfen hat. »Bist du bereit, ein paar Fragen zu beantworten?«

»Klar, Paloma«, sagt Dominic mit der Gelassenheit eines erfahrenen Reporters. Er klingt gar nicht mehr nach jemandem, der bloß ein paarmal an der Uni mit einem digitalen Aufnahmegerät experimentiert und sich gedacht hat, er könne es ja mal beim Radio versuchen.

Als er mich durch die Glasscheibe ansieht, lodert all mein Hass auf ihn auf, mein Herz schlägt wie verrückt. Sein kantiger Kiefer lässt Dominic entschlossener denn je wirken, als wüsste er, dass ich das, was er gerade macht, immer selbst wollte. Sein Mund verzieht sich zu einem leicht triumphierenden Lächeln. Live-Stellungnahmen abgeben: noch etwas, was Dominic Yun auf Anhieb kann.

Kent platzt herein. »Shay, wir müssen Mary Beth verlegen. Das ist verdammt gutes Radio.«

»Ruthie«, fange ich an, aber sie ist schon halb zur Tür hinaus.

»Super Arbeit, alle«, sagt Kent und schlägt Jason auf die Schulter. »Ich bin froh, dass wir das heute machen konnten.«

Ich reibe mir die Stelle zwischen den Augen, an der sich die Kopfschmerzen zusammenbrauen, und schiebe dabei die Brille hoch. »Das ist nicht okay«, sage ich, nachdem Kent wieder gegangen ist.

»Das ist verdammt gutes Radio«, imitiert Jason Kent.

»Es fühlt sich irgendwie nicht richtig an.«

»Wie, hat die Öffentlichkeit etwa kein Recht zu erfahren, dass der Bürgermeister ein verlogenes Stück Scheiße ist?«

»Schon, aber nicht während unserer Sendung.«

Jason folgt meinem Blick und sieht zwischen Dominic und mir hin und her. Jason und ich wurden mit einem Abstand von ein paar Wochen beim Sender angestellt, er kennt mich viel zu gut, um nicht zu begreifen, warum ich so aufgebracht bin. »Es gefällt dir nicht, dass Dominic gut darin ist«, sagt er. »Es gefällt dir nicht, dass er ein Naturtalent ist. Dass er nach ein paar Monaten hier schon live auf Sendung ist.«

»Das hat überhaupt nichts …«, fange ich an, stolpere aber über meine eigenen Worte. So wie er das sagt, klingt es echt scheiße. »Es ist doch völlig egal, wie ich es finde. Ich habe überhaupt keine Ambitionen, selbst auf Sendung zu gehen.« Nicht mehr. Es hat schließlich keinen Zweck, etwas zu wollen, was nie passieren wird.

Ruthie kommt mit geröteten Wangen zurück. »Mary Beth ist angepisst«, sagt sie und setzt sich den Kopfhörer wieder auf. »Angeblich musste sie für die Sendung eine private Trainingsstunde mit einem der Kinder von Bill Gates absagen.«

»Wir schicken ihr nachher eine Entschuldigungsmail. Nein – ich rufe sie an.«

»Ich habe nicht genug Leitungen«, sagt Griffin in meinem Kopfhörer.

»Ruthie, kannst du Griffin helfen? Ich springe mit ein, wenn ihr mich braucht.«

»Okay.«

»Danke.«

Dominic liest jede rechtswidrige Zahlung einzeln vor. Die Zahlen sind unglaublich. Die heutige Sendung ist gar nicht schlecht, nur ist sie irgendwie zu Dominics Sendung geworden, ich habe die Kontrolle verloren. Dominic ist der Star.

Also lehne ich mich zurück und lasse Paloma und Dominic machen. Dominic gewinnt die ganze Anerkennung und das Publikum für sich, und ich bleibe wie immer hinter den Kulissen.

Endet: Nie.

 

2

Mein Dad war nie im Radio, dabei hatte er eine tolle Stimme. Kräftig und doch sanft, ein knisterndes Feuer in der kältesten Nacht des Jahres. Schon als Jugendlicher brachte er kaputte Radios wieder in Ordnung, und später besaß er einen Reparaturladen für Elektrogeräte, in dem er irgendwann natürlich auch Laptops und Handys annahm. Goldstein Gadgets: mein liebster Ort auf der Welt.

Die Begeisterung fürs Radio habe ich von ihm, nur seine Stimme habe ich nicht geerbt. Ich habe eine von diesen hohen Stimmen, über die Männer sich gern herablassend äußern. Schrill. Unintelligent. Mädchenhaft, als ob als Mädchen bezeichnet zu werden die schlimmste Art von Beleidigung wäre. Ich bin mein Leben lang wegen meiner Stimme aufgezogen worden, und immer wenn ich zum ersten Mal mit jemandem rede, bereite ich mich innerlich auf geschickt getarnte Spitzen vor.

Meinem Dad machte meine Stimme nichts aus. Wir moderierten Radiosendungen in unserer Küche (»Erzähl uns, Shay Goldstein, was für ein Müsli isst du heute zum Frühstück?«) und auf Autofahrten (»Kannst du die Landschaft an diesem Rastplatz mitten im Nirgendwo beschreiben?«). Ich verbrachte ganze Nachmittage mit ihm bei Goldstein Gadgets, machte dort meine Hausaufgaben und hörte mit ihm Gameshows, Car Talk und This American Life. Alles, was wir brauchten, war eine gute Geschichte.

Ich wollte unbedingt, dass mein Dad mich im Radio hörte, selbst wenn es niemand anders tat.

Als er in meinem letzten Jahr an der Highschool an einem plötzlichen Herzstillstand starb, war ich am Boden zerstört. Auf einmal war mir alles egal. Meine Kurse, meine Freundinnen. Ich schaltete wochenlang kein Radio mehr ein. Irgendwie schaffte ich es, mit einem einigermaßen passablen Notendurchschnitt an der University of Washington angenommen zu werden, konnte meine Zulassung aber nicht mal feiern. Ich war immer noch tief in Depressionen versunken, als ich mein Praktikum beim Pacific Public Radio an Land zog, und ganz allmählich befreite ich mich aus der Finsternis und gelangte zu der Überzeugung, dass der einzige Weg voran darin bestand, wieder aufzubauen, was ich verloren hatte. Und mit neunundzwanzig klammere ich mich nach wie vor an diesen kindischen Traum.

»Bring die Leute zum Weinen, und dann bring sie zum Lachen«, sagte mein Dad immer. »Aber vor allem erzähl eine gute Geschichte.«

Ich weiß nicht, was er zur Tiersprechstunde gesagt hätte.

 

 

Beim Abendessen fühle ich mich wie das fünfte Rad am Wagen. Meine Mutter und ihr Freund Phil und meine beste Freundin Ameena und ihr Freund TJ sitzen bereits in dem französisch-vietnamesischen Fusion-Restaurant in Capitol Hill, als ich endlich aus dem Feierabendverkehr dazukomme. Ameena Chaudhry und ich haben als Kinder gegenüber voneinander gewohnt, sie ist seit über zwanzig Jahren eine Konstante in meinem Leben.

»Nur zehn Minuten zu spät«, ruft Ameena. Kaum ist sie von ihrem Stuhl aufgesprungen, fängt sie mich wie mit einem Lasso ein und umarmt mich fest. »Das ist ein neuer Rekord, oder?«

TJ zieht sein Handy hervor und checkt die Notizen-App. »Es gab da noch dieses eine Mal im März, wo wir alle pünktlich waren bis auf Shay, die nur drei Minuten zu spät kam.«

Ich verdrehe die Augen, aber das schlechte Gewissen nagt an mir. »Ich freue mich auch, euch zu sehen. Und es tut mir wirklich leid. Ich wollte noch schnell eine Sache zu Ende bringen und hab völlig die Zeit aus den Augen verloren.«

Wir versuchen, unsere gemeinsamen Abendessen so regelmäßig wie möglich hinzubekommen – kein leichtes Unterfangen. Meine Mutter und Phil spielen bei der Seattle Symphony und haben regelmäßige Abendauftritte, Ameena ist Recruiterin bei Microsoft, und TJ macht irgendwas wichtig Klingendes in Finanzen, was ich noch nie richtig verstanden habe. Und ich bleibe ab und zu – okay, meistens – länger im Sender, um sicherzustellen, dass für den nächsten Tag alles vorbereitet ist. Heute habe ich noch eine Stunde lang mit Mary Beth Barkley telefoniert, um mich bei ihr zu entschuldigen.

Ich umarme meine Mom und TJ, dann schüttele ich Phil die Hand. Ich weiß immer noch nicht richtig, wie ich damit umgehen soll, dass meine Mutter einen Freund hat. Bis sie mit Phil zusammenkam, schien sie nie daran interessiert, jemand Neues kennenzulernen. Die beiden waren allerdings schon lange befreundet, und ein paar Jahre nachdem wir Dad verloren hatten, hat auch er seine Frau verloren. Sie unterstützten einander im Trauerprozess, der natürlich nie wirklich endet, bis sie schließlich zu einer anderen Art Unterstützung füreinander wurden.

Inzwischen sollte ich eigentlich daran gewöhnt sein, aber als sie letztes Jahr vertrauter miteinander wurden, hatte ich mich gerade erst an die Vorstellung gewöhnt, dass meine Mutter verwitwet war.

»So gern ich Shay auch ärgere«, sagt meine Mutter und lächelt mich an, »aber ich bin am Verhungern. Wir wäre es mit einer Vorspeise?«

Phil deutet auf die Karte. »Die Chili-Kumin-Rippchen sollen hervorragend sein«, sagt er mit seinem nigerianischen Akzent.

Nachdem wir bestellt und uns darüber ausgetauscht haben, wie unser Tag war, wechseln Ameena und TJ kurz Blicke. Bevor die beiden zusammenkamen, haben Ameena und ich solche Blicke getauscht und Insiderwitze geteilt. Wieder einmal wird mir bewusst, dass ich mit niemandem zusammengehöre, und das ist schon leicht deprimierend. Ameena und TJ wohnen zusammen, von daher ist es natürlich ganz normal, dass sie ihm als Erstes Dinge erzählt, und meine Mutter hat Phil. Ich bin nur eine verlässliche Nummer zwei, aber für niemanden der wichtigste Mensch.

Mit Dating-Apps mache ich gerade eine Pause, die ich gelegentlich einlege, wenn das Swipen mal wieder extrem frustrierend geworden ist. Meine Beziehungen dauern nie länger als ein paar Monate. Anscheinend bin ich viel zu sehr darauf fixiert, dahin zu kommen, wo Ameena und TJ jetzt sind, fünf Jahre nachdem sie ihre To-go-Getränke in einem Café verwechselten, und überstürze es deswegen immer. Ich war noch nie nicht die Erste, die Ich liebe dich sagte, und Stille als Antwort ertrage ich eben auch nicht unendlich oft.

Ich kann mir einfach nichts vormachen – ich will unbedingt dieser wichtigste Mensch für jemanden sein, der Mensch, dem alles als Erstes erzählt wird.

»Es gibt Neuigkeiten«, sagt Ameena. »Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch bei der Naturschutzbehörde. Na ja, das ist nicht wirklich neu, aber fast. Es ist auch nur das erste Telefoninterview, aber …« Sie zuckt mit den Schultern, doch ihre dunklen Augen leuchten vor Aufregung.

Als Ameena bei Microsoft anfing, war ihr Ziel, genug Erfahrung zu sammeln, um später mal als Recruiterin für eine Organisation zu arbeiten, die Gutes tut, im Idealfall für die Umwelt. An der Highschool war sie schon Gründerin und Präsidentin unseres Kompost-Clubs. Und ich war automatisch Vizepräsidentin. Ameena ist ein Fan von Slow-Fashion, kauft alle ihre Kleidung in Secondhandläden und auf Flohmärkten, und sie und TJ haben einen beeindruckenden Kräutergarten auf dem Balkon.

»Ist das dein Ernst? Das ist unglaublich!«, sage ich und greife nach einem der Rippchen, die der Kellner gerade in die Mitte des Tisches gestellt hat. »Haben die ein Büro in Seattle?«

Ihr Strahlen verblasst. »Äh, nein«, sagt sie. »Die Behörde sitzt in Virginia. Aber ich glaub eh nicht, dass ich den Job kriege.«

»Mach dich nicht klein, bevor das Gespräch überhaupt stattgefunden hat«, sagt Phil. »Weißt du, wie viele Menschen für das Sinfonieorchester vorspielen? Wir hatten eigentlich auch keine guten Chancen, obwohl ich finde, es war absoluter Blödsinn, dass Leanna dreimal vorspielen musste.«

»Ach«, sagt meine Mutter und winkt ab, freut sich aber offensichtlich über das Kompliment.

»Virginia ist … ganz schön weit weg«, sage ich sehr intelligent.

»Ignorieren wir die Sache mit Virginia doch erst mal.« Ameena streicht einen losen Faden von dem anthrazitgrauen Vintage-Blazer, um den wir uns letzten Monat bei einer Haushaltsauflösung gestritten haben. »Ich glaube wirklich nicht, dass ich den Job kriege. Ich bin die Jüngste in meinem Recruiting-Team. Wahrscheinlich wollen sie jemanden mit mehr Erfahrung.«

»Ich wäre gern noch die Jüngste«, sage ich und nehme mir Ameenas Vorschlag Ignorieren wir die Sache mit Virginia doch erst mal ganz zu Herzen. Virginia ist ohnehin nichts, was ich mir vorstellen kann. »Ich habe das Gefühl, die Praktikanten werden von Jahr zu Jahr jünger. Und sie sind alle so ernst und naiv. Einer hat mir neulich tatsächlich erzählt, er hat keine Ahnung, wie eine Kassette aussieht.«

»So wie dieser Reporter, über den du dich immer auslässt?«, fragt meine Mutter. »Wie heißt er noch mal?«

»Dominic irgendwas, oder?«, sagt Phil. »Mir gefiel sein Beitrag über Kunstförderung in Seattle verglichen mit anderen Großstädten.«

»Dominic ist kein Praktikant, er ist Kents Lieblingsreporter.« Und anscheinend der neue Star von Puget Sounds, nach allem, was ich nach der Sendung beim Schnüffeln in den sozialen Netzwerken gelesen habe. Twitter liebt ihn, was beweist, das Twitter eine Höllenseite ist.

»Werde du erst mal dreißig«, sagt Ameena. Vor zwei Monaten, im Dezember, haben wir ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert, und im Oktober bin ich dran. Ich verdränge es immer noch.

Meine Mutter winkt ab. »Bitte. Ihr seid doch beide noch Babys.« Sie hat gut reden, meine Mutter ist umwerfend schön: dunkelrote Haare, scharf geschnittene Wangenknochen und ein Schrank voller schicker schwarzer Kleider, die Audrey Hepburn zum Weinen bringen würden – leise und wunderschön, versteht sich. In einem Sinfonieorchester mit fünfzig Musikerinnen und Musikern stiehlt sie jeden Abend allen die Show.

Ich löse meinen tief sitzenden Pferdeschwanz und kämme mit den Fingern durch die langen Stirnfransen, die bis an den oberen Rand meiner Schildpattbrille reichen. Dick, braun und stumpf: die einzigen Adjektive, die meine Haare treffend beschreiben, und alle sind sie tragisch. Inzwischen sollte ich eigentlich gelernt haben, meine Haare zu stylen, aber ich kämpfe immer noch abwechselnd einen Tag mit dem Glätteisen und den anderen mit dem Lockenstab, bevor ich meistens wieder aufgebe und sie zum Pferdeschwanz zusammenbinde.

Erst als ich meine Mutter genauer betrachte, um nach äußerlichen Ähnlichkeiten zwischen uns zu suchen – Spoiler: es gibt keine –, fällt mir ihr seltsames Verhalten auf. Sie reibt sich ständig die Kuhle unter dem Hals, eins ihrer verräterischen Zeichen von Nervosität, und als der Hauptgang kommt, schiebt sie ihr Essen nur auf dem Teller umher, statt es zu probieren. Sie und Phil sind normalerweise sehr zärtlich miteinander. Wir hatten vor einiger Zeit eine Expertin für Körpersprache in der Sendung, und so, wie sie das Verhalten von frisch Verliebten beschrieb, passte es perfekt auf die beiden. Für gewöhnlich legt Phil meiner Mom ständig die Hand auf den unteren Rücken, und sie berührt ihn oft an der Wange und streicht ihm mit dem Daumen darüber.

Doch heute Abend nichts davon.

»Was macht das Haus?«, fragt mich Phil, und ich antworte mit dramatischem Stöhnen. Er hält abwehrend die Hände hoch und lacht. »Oh, tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es ein sensibles Thema ist.«

»Nein, nein«, sage ich, auch wenn das Thema tatsächlich ein wenig sensibel ist. »Mit dem Haus ist alles super, ich wünschte nur, ich hätte gewartet, bis ich etwas Kleineres gefunden hätte.«

»Wie viele Zimmer hat es noch mal? Vier? Und ein Bad?«

»Ja, aber …«

Ameena und ich hatten uns jahrelang eine Wohnung in Ballard geteilt, bevor sie mit TJ zusammenzog. Mir ein Haus zu kaufen schien mir der richtige nächste Schritt zu sein: Ich war fast dreißig, hatte genug Geld gespart und würde Seattle so schnell nicht verlassen. Beim öffentlichen Radio zu arbeiten ist ein bisschen wie dem Obersten Gerichtshof zu dienen – die meisten Leute bleiben ziemlich lange. Selbst wenn ich moderieren wollte, würde ich bei keinem anderen Sender einen Job bekommen. Ohne Erfahrung eine Stelle als Moderatorin zu ergattern ist unmöglich, es sei denn, du punktest mit Erfahrungen im Bett. Die Freuden der Jobsuche als Millennial.

Weil es mir also der nächste Schritt im Erwachsenwerden schien, kaufte ich mir ein Haus, ein Wallingford Craftsman, das meine Immobilienmaklerin als gemütlich bezeichnete, mir für eine Person aber oft zu groß vorkommt. Es ist immer kalt, und sechs Monate, nachdem ich die Möbel ausgesucht habe, von denen ich dachte, dass ich sie mochte, fühlt es sich immer noch leer an. Einsam.

»Ich hab wohl noch einiges dran zu tun«, erkläre ich, auch wenn ich nicht genau weiß, was.

»Es war eine gute finanzielle Entscheidung«, sagt Phil. »Ein Hauskauf ist eine gute Investition. Und von meinen Kindern wird immer jemand bereit sein, dir beim Streichen oder bei Reparaturen zu helfen.«

Phil hat drei Söhne und eine Tochter. Die Adelekes sind alle groß und fit und glücklich verheiratet, und die meisten haben bereits eigene Kinder. Vor ein paar Monaten verbrachten meine Mutter und ich unser erstes Weihnachten mit Phils vielköpfiger Familie und verzichteten auf die jüdische Tradition von chinesischem Essen und Filmgucken. Ich war zuerst etwas skeptisch, wenn auch nur, weil ich diese Zeit gern mit meiner Mutter allein verbrachte, aber alle waren sehr herzlich und freundlich, und es war unmöglich, schlecht gelaunt zu sein.

»Danke«, sage ich. »Vielleicht komme ich darauf zurück.«

Da fällt ein Wasserglas auf den Boden und meine Mutter lächelt verlegen. »Tut mir leid«, sagt sie, als ein Kellner herbeieilt, um die Scherben aufzukehren.

»Geht es dir gut, Leanna?«, fragt Phil.

Sie presst die rubinroten Lippen aufeinander und nickt. »Ja, mir geht’s gut. Großartig.« Sie fasst sich wieder an den Hals. »Phil, ich … es gibt etwas, das ich dir sagen möchte.«

Oh nein. Sie wird doch nicht mit ihm Schluss machen, oder? Nicht vor uns allen, nicht in der Öffentlichkeit. Dafür ist meine Mutter viel zu taktvoll.

Ameena wirkt genauso verwirrt wie ich. Wir legen alle unsere Gabel hin, als meine Mutter ihren Stuhl zurückschiebt und zitternd aufsteht. Oh Gott, ist sie etwa krank? Vielleicht wollte sie deswegen dieses Essen mit uns, damit sie es uns allen auf einmal erzählen kann.

Mein Magen krampft sich zusammen, mir wird ganz schlecht. Meine Mutter ist alles, was ich habe. Ich kann sie nicht auch noch verlieren.

Doch dann lächelt sie strahlend, und erleichtert atme ich auf.

»Phil«, sagt sie in einem Ton, den ich noch nie bei ihr gehört habe. Sie legt ihm eine Hand auf den Arm. »Ich weiß, es sind erst elf Monate, aber für mich waren es die besten Monate seit langer, langer Zeit.«

»Für mich auch«, sagt er. Auch auf seinem Gesicht erscheint ein Lächeln und die Fältchen in seiner Haut vertiefen sich. Als ob er wüsste, was jetzt kommt, und inzwischen glaube ich, ich weiß es auch. Sie wird ihn fragen, ob er bei ihr einzieht, garantiert. Seltsam, das in der Öffentlichkeit zu machen, aber meine Mutter hatte schon immer ihre eigene Art, Dinge zu tun. Das ist eben Leanna, sagte mein Dad achselzuckend, wenn sie Suppe in den Mixer kippte, bevor sie sie in der Mikrowelle aufwärmte, oder darauf bestand, schon Anfang September Kürbisköpfe für Halloween zu schnitzen.

»Nachdem Dan gestorben war, glaubte ich nicht, jemals eine zweite Chance zu bekommen. Ich dachte, ich hatte meinen Seelenverwandten gefunden, und er war fort, also war’s das für mich. Aber du warst schon immer da, Phil, nicht wahr? Du hast neben mir gesessen und Geige gespielt. Erst habe ich mich in deine Musik verliebt und dann in dich. Du weißt genauso gut wie ich, dass die Trauer nie verschwindet, aber du hast mich erkennen lassen, dass neben der Trauer auch Liebe existieren kann. Ich will nicht länger nicht mit dir verheiratet sein. Also …« Sie holt tief Luft. »Philip Adeleke, willst du mich heiraten?«

Der Raum ist absolut still, alle blicken zu unserem Tisch und beobachten die Szene. Mein Herz schlägt noch aufgeregter als vor einer Radiosendung, und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass TJ nach Ameenas Hand greift.

Phil springt auf und stößt dabei sein Wasserglas um. Vielleicht sind die beiden wirklich füreinander bestimmt. »Ja, Leanna, ja!«, sagt er. »Ich liebe dich so sehr! Ja, ja, ja!«

Als sie sich küssen, bricht das ganze Restaurant in Applaus aus. Ein Kellner bringt Champagner. Ameena tupft sich die Augen und fragt mich, ob ich wusste, was meine Mutter vorhatte, und Nein. Nein, ich wusste von nichts.

Langsam stehe ich auf, um ihnen zu gratulieren, meiner Mutter und meinem … Stiefvater? Zu viele Gefühle wirbeln in mir herum und ich kann nur ein paar davon benennen. Natürlich freue ich mich für sie. Ich will, dass meine Mutter glücklich ist. Sie verdient es, glücklich zu sein.

Ich war nur so viele Jahre lang überzeugt, niemand könne meinen Vater ersetzen, dass ich nie glaubte, es würde tatsächlich mal jemand tun.

Ameena löchert sie mit Fragen über die Hochzeit. Wie sich herausstellt, wollte Phil meiner Mutter am Wochenende selbst einen Antrag machen, aber sie ist ihm zuvorgekommen, von wegen Hashtag Feminismus. Sie wollen schon bald heiraten. Natürlich wird beim Empfang ein Quartett vom Sinfonieorchester spielen.

Schließlich entführt Phil meine Mutter aus dem Restaurant, um mir ihr zu »feiern« – als wüssten wir nicht genau, was das heißt –, und lässt Ameena, TJ und mich mit dem restlichen Champagner allein.

»Leanna Goldstein ist meine Heldin«, sagt Ameena. »Ich kann nicht glauben, dass wir daran teilhaben durften.«

Das würde ich auch gern sagen können, dass Leanna Goldstein meine Heldin ist – denn das ist sie, aus vielerlei Gründen. Weil sie mich Dads Tod in meinem Tempo hat verarbeiten lassen, mit meiner eigenen Therapeutin, bevor wir zusammen zur Familientherapie gingen. Weil sie mich überzeugt hat, dass wir immer noch eine Familie sein können, auch wenn wir nur noch zu zweit sind. Klein, aber oho, sagte sie. Sie wusste schon immer, dass ich mal fürs Radio arbeiten würde, auch wenn sie manchmal Witze macht, dass ich ja zumindest einen Kompromiss hätte eingehen und zum Klassikradio gehen können.

»Alles okay?«, fragt TJ, als wir aufbrechen. Er steckt sich die blonden Haare unter die Wollmütze. »Ich weiß, das ist schräg. Meine Eltern sind beide wiederverheiratet. Es dauert, bis man daran gewöhnt ist.«

»Ich hätte wohl nie gedacht, dass ich vor meiner eigenen Hochzeit zu der von meiner Mom eingeladen werden würde.« In meinen Kopf klang es nach einem Witz. Als ich es ausspreche, tut es das nicht mehr.

Ameena drückt meine Hand. »Das ist ganz schön viel für dich. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um es zu verarbeiten, okay?«

Ich nicke. »Viel Glück beim Vorstellungsgespräch«, sage ich und wühle in meiner Tasche nach meinem Schlüssel, während wir hinaustreten in die kalte Abendluft Seattles. Mein Haus wird wie immer viel zu leise sein. »Sicher, dass du nicht noch mit zu mir kommen magst? Wir können uns Mist im Fernsehen angucken oder so.«

»Shay. Ich liebe dich, aber du musst lernen, in deinem Haus allein zu sein. Soll ich etwa wieder unter deinem Bett nach Monstern gucken?«

»Vielleicht.«

Ameena schüttelt den Kopf. »Besorg dir einen Hund.«

 

 

Sobald ich zu Hause reinkomme, knipse ich jede einzelne Lampe an und schalte die neuste Folge meines liebsten Comedy-Podcasts an. Es ist fast neun, und ich habe schon Ewigkeiten nicht mehr in meine E-Mails geguckt, bis auf die paar Male auf dem Klo. (Oft genug, dass meine Mutter mich schon fragte, ob alles okay sei, was nur minimal peinlich ist, wenn deine Mutter sich um deine Verdauung als Erwachsene sorgt.)

Ich koche mir Tee und setze mich mit dem Arbeitslaptop aufs Sofa. Ich helfe wirklich lieber anderen, Geschichten zu erzählen, statt es selbst zu tun. Paloma ist darin viel besser, als ich es jemals sein könnte, auch wenn wir oft nicht die Art von Storys haben, die ich eigentlich mag, ausführliche Geschichten über die menschliche Existenz, wie man sie nur bei Sendern mit größerem Budget hört. Manchmal frage ich mich, ob ich in Wirklichkeit nicht bloß überheblich bin.

Aber darüber will ich lieber nicht weiter nachdenken.

Nachdem mein Dad gestorben war, habe ich überall Trost gesucht. Ich kiffte mit Ameena, stieg im ersten Jahr an der Uni mit dem süßen Typen, der bei uns auf dem Flur gegenüber wohnte, ins Bett und hatte eine schlimme Erfahrung mit Alkohol, die mir zeigte, wie viel mein Körper vertrug. Ich machte nichts furchtbar Ungesundes, ich wollte nicht aufs falsche Gleis geraten, nur nah genug ran, um zu sehen, was auf der anderen Seite lag.

Das Einzige, was mir das Gefühl gab, wieder ich selbst zu sein, war mein Praktikum beim Pacific Public Radio. Ich erkannte, dass die Lösung nicht Impulsivität war, sondern Beständigkeit. Natürlich war es das; Radio hatte mich meinem Dad schon immer näher fühlen lassen. Ich wollte einen festen Job, ein Haus, nicht weit weg vom Sender, und einen hingebungsvollen Freund, der eines Tages mein Mann sein würde. Ameena blieb meine beste Freundin, meine Mutter blieb Single. Bis auf mein Liebesleben ist alles ziemlich nach Plan verlaufen.

Doch jetzt wird Phil mein Stiefvater – das ändert die Lage.

Und bisher konnte ich nie gut mit Veränderungen umgehen.

Ein eigenes Haus war Teil meines Plans gewesen, und eigentlich sollte es sich nach einer großartigen Leistung anfühlen. Ich habe es jetzt schon sechs Monate, bin aber immer noch dabei, es zu meinem zu machen. Ich kann stundenlang Antiquitätenläden nach dem richtigen Kunstwerk abklappern, bevor ich dann doch irgendeine Massenware abstrakter Tintenkleckse bei Target kaufe, oder ein Dutzend Wandfarben im Wohnzimmer ausprobieren, um dann zu merken, dass sich keine davon richtig anfühlt, und hinterher habe ich nicht die Energie, sie zu übermalen. Als wir Anfang zwanzig waren, träumten Ameena und ich davon, regelmäßig Dinnerpartys zu veranstalten, wenn wir erst einmal den Platz dafür hätten, doch jetzt sind wir immer zu erschöpft. Meistens koche ich mir Gerichte mit abgepackten Zutaten, die mir zweimal die Woche an die Haustür geliefert werden.

Wenn ich mir früher mein Erwachsenenleben vorstellte, sah es ganz anders aus als die jetzige Realität. Alle wichtigen Menschen in meinem Leben haben ihren Herzensmenschen. Ich habe ein leeres Haus und meinen angeblichen Traumjob, der mich nicht wiederliebt.

Obwohl ich es eigentlich besser wissen sollte, höre ich mir die heutige Sendung noch mal an. Früher, als ich neu beim Sender war, machte ich das ständig, um zu überlegen, wie ich mich verbessern könnte, aber das habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr getan. Ich spule Dominics Antworten immer wieder zurück, versuche zu ergründen, was die Hörer an ihm so reizvoll fanden. Er braucht ein paar Minuten, um sicher zu werden, dann ändert sich sein Tonfall und seine Worte werden glatt, Buttercremeguss auf Rotem Samtkuchen. Er ist kein Roboter, wie ich dachte, bevor ich ihn live auf Sendung hörte. Es ist beinah, als hätte er nicht gewollt, dass jemand herausfindet, dass er etwas Illegales macht, sagt er mit gespielt überraschtem Tonfall, und ich muss grinsen. Er antwortet den Hörerinnen und Hörern, als ob ihm ihre Fragen wirklich wichtig wären, und selbst wenn er keine Antwort weiß, verspricht er, sie herauszufinden.

So ungern ich es auch zugebe, aber Dominic Yun bei Puget Sounds war gutes Radio.

Selbst mein Dad hätte dem zugestimmt.

3

»Dringendes Meeting«, verkündet Kent O’Grady am nächsten Morgen, noch bevor ich meinen Mantel ausgezogen habe. »Im Konferenzraum. In fünf Minuten. Nur leitende Angestellte.«

Ich war noch nie bei einem dringenden Meeting. Meine Beförderung beim Pacific Public Radio, die sich sowohl in meiner Berufsbezeichnung als auch in einer leichten Gehaltserhöhung bemerkbar machte, ist erst ein paar Monate her. So schlecht wie Kents Krawatte mit M.-C.-Escher-Muster sitzt, muss er heute Morgen ein richtiges Nervenbündel gewesen sein, dass ihm das gar nicht aufgefallen ist. Irgendwie beunruhigend, aber trotzdem fühlt es sich toll an, am Meeting teilnehmen zu dürfen.

Ich hänge den Mantel an den Haken neben meinem Tisch und nehme Laptop, Handy und Notizblock aus meiner Messenger-Bag. Da leuchtet mein Handy mit einer Benachrichtigung von einer Dating-App auf, die ich immer noch nicht gelöscht habe.

Wir vermissen dich! 27 neue Matches warten auf dich!

Ich lösche die Nachricht und ziehe die App in den Papierkorb. Das ist das Einzige, was in letzter Zeit in meinem Dating-Leben passiert: Tinder und Bumble versuchen verzweifelt, mich zurückzugewinnen.

Unsere Redaktion sitzt in einem offenen Großraumbüro, die Einzelbüros sind den leitendsten der leitenden Angestellten vorbehalten. Mein Platz steht voller leerer Kaffeebecher, die ich nachher noch in die Spülmaschine räumen muss. Der Küchendienst wechselt unter uns Angestellten, und in meinen ersten zwei Jahren beim PPR war irgendwie immer ich es, die freitags den Küchendienst an der Backe hatte. Ich nahm an, das war nun mal meine Pflicht als Neue, aber Griffin, unser Praktikant bei Puget Sounds, steht nie auf dem wöchentlich erneuerten Plan. Doch irgendwie schien es mir bisher nicht bedeutend genug, das bei der Personalverantwortlichen anzusprechen. Dann ist da noch mein Ablagesystem für alte Ablaufpläne und neben meinem Computer hängt ein PodCon-Poster mit Autogrammen der Moderatorinnen meines Lieblingsfilmpodcasts. Die PodCon ist eine jährlich stattfindende Radio- und Podcast-Konferenz – klingt nerdig, ist es auch. Und außerdem ist sie großartig. Ich war vor ein paar Jahren mal da, als sie in Seattle stattfand, und während es unglaublich toll wäre, mit dem Pacific Public Radio mal auf der PodCon zu moderieren, erregt ein lokaler Radiosender wie unserer natürlich keinerlei überregionales Interesse.

Am Tisch meinem gegenüber schüttet sich Paloma gerade Lein- und Chia-Samen in einen Becher Skyr. Sie ist jeden Morgen um Punkt 8 Uhr hier und um 16 Uhr, direkt nach unserer Besprechung der Nachmittagsshow, ist sie wieder zur Tür hinaus.

»Dringendes Meeting?«, frage ich sie. Im Moment haben wir einen Einstellungsstopp im Sender, Dominic war der Letzte, der angestellt wurde. Ob das Meeting mit unserer finanziellen Lage zu tun hat?

Paloma rührt ihren Skyr um. »Kent übertreibt mal wieder. Du weißt doch, wie er das Drama liebt. Wahrscheinlich starten wir wieder eine Spendenkampagne oder so.« Paloma ist schon seit über zwanzig Jahren hier, wenn sie also nicht besorgt ist, muss ich es wohl auch nicht sein. »Du hast nicht zufällig noch irgendwo Chia-Samen? Meine sind alle.«

Und obwohl ich noch nie im Leben einen Chia-Samen gegessen habe, greife ich in die Schublade neben meinem Schreibtisch und ziehe eine Tüte davon hervor.

Denn das macht eine gute Redakteurin aus. Ich weiß, was Paloma will, bevor sie selbst es weiß, ich sehe alle ihre Bedürfnisse voraus. Wenn die Moderatorin nicht glücklich ist, kann die Sendung nicht gut werden. Paloma ist der Grund dafür, dass die Leute Puget Sounds lieben, und ich bin der Grund dafür, dass Paloma in der Lage ist, eine tolle Sendung hinzulegen.

»Du bist ein Schatz«, sagt sie. »Wirklich. Was würde ich nur ohne dich machen?«

»Suboptimalen Joghurt essen, nehme ich an.«

Früher hatte ich einen Wahnsinnsrespekt vor Paloma. Von Kindesbeinen an hörte ich sie die Morgennachrichten sprechen, und als ich ihr am ersten Tag meines Praktikums begegnete, brachte ich kaum ein Wort heraus. Ich konnte nicht glauben, dass sie wirklich existierte. Puget Sounds war ihre Idee, und selbst heute gibt es immer noch nur sehr wenige weibliche Radiomoderatorinnen und noch viel weniger queere Frauen.

Paloma ist Ende vierzig und kinderlos, und sie und ihre Frau, die Professorin für Kunstgeschichte ist, verbringen jeden Sommer zwei Wochen an einem abgelegenen Ort, von dem ich noch nie vorher gehört habe, und kehren jedes Mal mit abenteuerlichen Geschichten zurück, wie sie sich verlaufen haben oder ihnen das Essen ausging oder sie nur knapp einem wilden Tier entkommen sind. Und wenn sie im Sender ist, arbeitet sie nach einem derart genauen Zeitplan, dass es Wochen dauern würde, einer neuen Redakteurin allein ihre ganzen Eigenarten beizubringen.

Paloma richtet ihren Schal aus dunkelblauer und grüner Wolle und nimmt den Skyr mit den Gang hinunter zum Konferenzraum, wo sofort klar wird, dass es sich hierbei um etwas sehr Wichtiges handelt. Alle haben eine ernste Miene und niemand telefoniert. Selbst die sonst so lebhaften Morgenmenschen sind ungewöhnlich still.

Paloma macht sich vielleicht keine Sorgen, aber ich stehe immer noch in der Tür, plötzlich überwältigt von der Frage, wo ich mich hinsetzen soll. Dieses Gefühl kenne ich noch zu gut aus der Highschool-Cafeteria, wenn Ameena und ich mal nicht zur selben Zeit Mittagspause hatten. Das Meeting der leitenden Angestellten fühlt sich für mich ein bisschen an wie ein Club, in den ich nur reingekommen bin, weil ich jemanden überredet habe, mich einzuladen.

Als vom andern Ende des Gangs eine große Gestalt in himmelblau gestreiftem Hemd auf mich zukommt, umklammere ich meinen Notizblock fester. Dominic trägt heute Jeans, eine Seltenheit. Die Jeans ist perfekt gebügelt, keine einzige Falte zu sehen. Das ist noch so ein Grund, warum seine Größe dermaßen frustrierend ist: Wenn er nicht so ein Riese wäre, könnte ich ihm bequemer in die Augen sehen, statt jedes Mal die Wahl seiner Beinkleidung zu registrieren.

»Nur leitende Angestellte«, sage ich zu ihm und setze ein gespielt mitleidiges Lächeln auf. Ausnahmsweise mal ein Ort, an den ich gehöre und er nicht. »Tut mir leid.«

»Dom! Kommen Sie«, ruft Kent von der Stirnseite des Tischs und winkt ihn herein.

Und so geht Dominic mit seinem Thermoskaffeebecher in der Hand einfach an mir vorbei, gehört bereits zu diesem Club, in den ich Jahre gebraucht habe hineinzukommen. Ich hoffe, er verbrennt sich am Kaffee die Zunge.

»Super Berichterstattung«, sagt der leitende Redakteur Paul Wagner. »Und der Bürgermeister ist zurückgetreten?« Er pfeift leise.

»Danke, Paul«, sagt Dominic und fährt sich mit der freien Hand durch die Haare, die ein bisschen platter aussehen als sonst. »Dafür ist es auf jeden Fall wert, um fünf Uhr morgens hier zu sein.« Ah. Das erklärt es.

Paul lacht herzlich. »Nachrichten schlafen nie.«

Normalerweise höre ich auf dem Weg zur Arbeit immer Pacific Public Radio, aber an diesem Morgen habe ich einen Podcast beendet. Dominics Nachforschungen haben den Bürgermeister zurücktreten lassen. Kein Wunder, dass man ihm ein goldenes Ticket für dieses Meeting gegeben hat. Das wird mich aber nicht davon abhalten, mich im Stillen darüber zu ärgern.

Ich setze mich neben Paloma und schlage eine neue Seite auf meinem Block auf. Dringendes Meeting, schreibe ich oben auf die Seite und fühle mich ein bisschen weniger wichtig, jetzt, wo Dominic hier ist.

»Guten Morgen«, bellt Kent, als wir elf alle sitzen. Manchmal vergesse ich, was für einen Befehlston er vor einer Gruppe haben kann. Seine M.-C.-Escher-Krawatte ist hypnotisierend. »Es ist immer wieder schön, so früh am Morgen Ihre strahlenden Gesichter zu sehen.« Er ist wie die von Rob Lowes gespielte Figur in Parks and Recreation: übertrieben positiv. »Shay, würden Sie das Protokoll schreiben? Sie sind so gut, was Details angeht.«

»Oh – klar«, sage ich, streiche Dringendes Meeting durch und blättere zur nächsten Seite, wo ich es noch mal lesbarer hinschreibe. Ich hatte nicht damit gerechnet, bei meinem ersten Meeting für leitende Angestellte gleich zur Arbeit verdonnert zu werden, aber ich bin nun mal tatsächlich gut, wenn es um Details geht. Und ich werde bestimmt keinen Streit vom Zaun brechen, wenn ich von Kent mal ein Kompliment erhalte.

»Zuallererst«, fährt Kent fort, »gratuliere ich Dominic zu seiner grandiosen Berichterstattung gestern.«

Ich kämpfe gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen, und treffe als leitende Angestellte die Entscheidung, dieses spezielle Detail nicht zu protokollieren. Dominic versucht offenbar, bescheiden zu wirken, er wird sogar ein bisschen rot, bevor er die Hand hebt, um uns allen in Erinnerung zu rufen, wer er ist.

»Kommen Sie zur Sache, Kent«, sagt Isabel Fernandez, die Redakteurin unserer Morgensendung. Wir sind eher gute Bekannte als Freundinnen, aber mit einem Mal liebe ich sie. »Starten wir eine neue Spendenkampagne, um mehr Geld reinzubekommen, oder worum geht’s?«

»Haben wir nicht gerade erst eine Spendenkampagne beendet?«, fragt Marlene Harrison-Yates.

»Wir sind doch immer gerade dabei, entweder eine zu beenden oder zu starten«, murmelt Paloma neben mir, und ich unterdrücke ein Lachen, denn sie hat recht.

»Nein, nein, nichts Derartiges. Also.« Kent räuspert sich und ordnet einen Stapel Papiere. »Wir werden unser Programm neu gestalten.«

Okay, also das ist auf jeden Fall ein Euphemismus.

»Bitte, legen Sie mich nicht wieder auf den Morgen«, stöhnt Paloma.

»Ähm, und ich will nicht auf nachmittags verschoben werden«, sagt unser Vormittagsmoderator Mike Russo.

»Lasst ihn doch ausreden«, sage ich, und Kent schenkt mir ein dankbares Lächeln, was das nervöse Gefühl in meinem Bauch, wenn auch nur ein bisschen, beruhigt.

»Der Aufsichtsrat und ich dachten … an so etwas wie eine neue Sendung.«

Wieder reden alle durcheinander. Dominic gegenüber von mir sieht mich an und zieht eine seiner dunklen Augenbrauen auf eine Weise hoch, die ich nicht ganz deuten kann. Ich weiß nicht, warum wir ständig Blickkontakt haben, obwohl ich den ganzen Tag hoffe, dass wir uns nicht über den Weg laufen. Ich sehe runter auf meine Notizen.

»Wir haben unsere Morgen-, unsere Mittags- und unsere Abendsendung«, sagt Kent. »Und die Rückmeldungen, die wir von Hörerinnen und Hörern bekommen, lauten, dass sie sich zu ähnlich sind.« Er drückt einen Knopf, und eine ganze Reihe bunter Tortendiagramme erscheint auf der Leinwand. »Die Leute fühlen sich den Moderatorinnen und Moderatoren nicht mehr so verbunden wie früher, nicht so wie bei den überregionalen Sendern oder einigen der richtig populären Podcasts.«

»Entschuldigung«, sagt Paloma mit leicht überheblicher Stimme, »aber Puget Sounds ist nun mal etwas ganz anderes als At the Moment.«

»Und wir können auch keine Comedians die Morgennachrichten sprechen lassen«, sagt Isabel.

Doch Kent hat gar nicht so unrecht. Als Mitglied des National Public Radio sind wir für unser Programm verantwortlich und können jede der überregionalen Sendungen ausstrahlen. Natürlich werden die mehr gehört als unsere Lokalsendungen. Sie haben einen höheren Bekanntheitsgrad und, wie ich es Dominic immer wieder erkläre, es ist ein harter Kampf, die Menschen für lokale Nachrichten zu interessieren.

»Heißt eine neue Sendung, dass wir eine der anderen Sendungen streichen?«, fragt Mike.

Kent schüttelt den Kopf. »Ich will nicht, dass irgendwer voreilige Schlüsse zieht. Das hier ist bloß ein Meeting, um Ideen zu sammeln.«

Ein Brainstorming mit Redakteurinnen, Moderatoren und Reportern läuft normalerweise so ab: Die Moderatoren und Reporter übernehmen. Die Redakteurinnen bleiben still. In einem Raum voller Leute, deren Job es ist zu reden, ist es nicht gerade einfach, als Redakteurin eine Meinung zu äußern.

»Wir wäre es mit einem wöchentlichen Runden Tisch zur aktuellen Nachrichtenlage?«, schlägt Dominic vor. »Wir könnten Lokalpolitiker und andere Repräsentanten einladen, damit sie über die neuesten Entwicklungen in ihren Arbeitsbereichen berichten.«

Schnarch.

Isabel, die Tolle, argumentiert dagegen, was ich in meinen Notizen unterstreiche. »Das haben wir vor fünfzehn Jahren schon mal versucht. Und es lief wie lange? Ein paar Monate?«

»Der Markt war vor fünfzehn Jahren ein ganz anderer«, sagt Dominic.

»Genau. Er war einfacher.« Isabel deutet auf das Tortendiagramm, das zeigt, wie die Hörerschaft von Puget Sounds über die Jahre abgenommen hat. Es ist kein schönes Diagramm – Puget Sounds hat die größten Verluste von unseren Sendungen. »Heute haben doch alle, inklusive ihrer Kinder und Enkelkinder, ihren eigenen Podcast. Es gibt einfach zu viele. Da ist es unmöglich, herauszustechen.«

»Eine Sendung über Umwelt«, schlägt Marlene vor. »Die Umwelt ist im Nordwesten doch allen wichtig. Und in jeder einzelnen Sendung berichten wir über eine Möglichkeit, wie die Leute ihren CO2-Fußabdruck reduzieren können. Ich habe bereits einiges Material zu nachhaltiger Landwirtschaft.«

»Wir denken nicht groß genug«, sagt Kent. »Das ist alles viel zu regional.«

Mike schlägt eine Kochsendung vor und Paul eine Storytelling-Show, und ich bin begeistert. Doch Kent sagt, es klingt zu sehr nach The Moth, und wahrscheinlich bin ich deswegen so begeistert. Dominic wirft noch ein paar Ideen mit Nachrichten ein, die irgendwie alle noch langweiliger klingen als die erste. Ein echter Sieg.

»Wie wäre es mit einer Datingshow?«, murmele ich mehr zum Knopf meines Cordrocks als zu den anderen, da ich davon ausgehe, dass sowieso niemand der niedrigsten der leitenden Redakteurinnen zuhören wird. Es ist nichts, was schon irgendwer anders vorgeschlagen hätte, und nach der Verlobung meiner Mutter und der freundlichen Erinnerung meines Handys, dass ich immer noch Single bin, ist es das Erste, was mir einfällt.

Doch Marlene hört mich. »Wir behandeln solche Themen eigentlich nicht. Aus gutem Grund: Wir haben uns an die Bestimmungen der Rundfunkbehörde zu halten. Alles, was auch nur ein bisschen pikant werden könnte, ist schwierig.«

»Es wäre durchaus möglich, eine Sendung über Dating zu machen, ohne dass sich die Rundfunkbehörde ans Bein gepinkelt fühlt«, sagt Paloma, und ich könnte vor Stolz platzen, weil sie mich verteidigt. »Letztes Jahr haben wir eine Sendung über Reproduktionsmedizin gemacht und eine andere über Sexualkundeunterricht an der Highschool.«

»Ja!«, ruft Isabel. »Und es wäre was Neues. Was Frisches.«

Auf der anderen Seite des Tischs verdreht Dominic so sehr die Augen, dass ich fürchte, sie fallen ihm gleich raus. Eine Datingshow entspricht garantiert nicht seiner Master-in-Journalismus-Vorstellung von Qualitätsradio.

»Wie wäre es mit einer Datingshow moderiert von einem Paar?«, schlägt Paloma vor.

»Das gibt’s schon«, sagt Kent. »Zigmal auf zig Podcasts.«

»Dann eine Datingshow moderiert von einem Ex-Paar«, sage ich halb im Scherz.

Der Raum wird still.

»Weiter, weiter«, sagt Paloma. »Eine Datingshow moderiert von einem Ex-Paar?«

Ich hatte nicht erwartet, dass es so interessant klingen würde – es ist bloß ein neuer Ansatz für eine Datingshow. Aber vielleicht ist es gar keine schlechte Idee.