Fabula Magicae 3: Das Lied der Bücherwelt - Aurelia L. Night - E-Book

Fabula Magicae 3: Das Lied der Bücherwelt E-Book

Aurelia L. Night

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Beschreibung

**Wenn dich die magischen Stimmen der Bücherwelt rufen** Über ein Jahr ist seit den Ereignissen mit der bösen Königin vergangen und Prinzessin Cassia wird von ihrem Volk noch immer als Verräterin verachtet. Doch eine neue Gefahr bedroht bereits ihr Königreich. Cassia macht sich auf die Suche nach der einzigen Elfe im Land, mit deren Hilfe sie den Tyrannen zurückhalten kann, der die Herrschaft über die magische Bücherwelt an sich reißen will. Gemeinsam mit ihrem treuen Beschützer Robin stellt sie sich nicht nur ihren Feinden, sondern auch ihrer eigenen Bestimmung – und merkt schon bald, dass sie mehr für ihren loyalen Begleiter empfindet, als sie sollte… Aurelia L. Night erschafft eine atemberaubend schillernde Fantasywelt und fabelhafte Charaktere in ihrer Reihe »Fabula Magicae«. Ein absolutes Must-Read für alle, die Bücher lieben und buchstäblich in die Magie ihrer Welten eintauchen möchten! //Alle Bände der zauberhaften Trilogie:  -- Fabula Magicae 1: Der Ruf der Bücherwelt  -- Fabula Magicae 2: Das Erbe der Bücherwelt -- Fabula Magicae 3: Das Lied der Bücherwelt -- Fabula Magicae: Alle Bände der Reihe in einer E-Box!// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Aurelia L. Night

Fabula Magicae 3: Das Lied der Bücherwelt

**Wenn dich die magischen Stimmen der Bücherwelt rufen**Über ein Jahr ist seit den Ereignissen mit der bösen Königin vergangen und Prinzessin Cassia wird von ihrem Volk noch immer als Verräterin verachtet. Doch eine neue Gefahr bedroht bereits ihr Königreich. Cassia macht sich auf die Suche nach der einzigen Elfe im Land, mit deren Hilfe sie den Tyrannen zurückhalten kann, der die Herrschaft über die magische Bücherwelt an sich reißen will. Gemeinsam mit ihrem treuen Beschützer Robin stellt sie sich nicht nur ihren Feinden, sondern auch ihrer eigenen Bestimmung – und merkt schon bald, dass sie mehr für ihren loyalen Begleiter empfindet, als sie sollte …

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Vita

Danksagung

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© privat

Aurelia L. Night wurde in Gelsenkirchen geboren, wo sie auch aufwuchs. Nach einer Ausbildung als Schilder- und Lichtreklameherstellerin machte sie ihr Fachabitur in Gestaltung und arbeitet nun in einem kleinen Betrieb. Sie lebt mit ihrem Freund und zwei verrückten Katzen nahe der niederländischen Grenze. Wenn sie nicht selbst schreibt, durchlebt sie Abenteuer auf den Seiten anderer Bücher oder kämpft auf ihrer Xbox gegen Dämonen.

Für all jene,

die nicht genug von Mediocris bekommen können.

Prolog

Ogerlande, 46 Jahre zuvor

Dunkelheit hatte sich über die weite Ebene gelegt, auf der sie rasteten. Die Armeen lagerten weit von ihnen entfernt. Keiner von den vieren glaubte, dass sich irgendein Soldat je so tief in die feindlichen Ogerlande vorgewagt hatte.

Erik schluckte schwer. Niemals hätte er ahnen können, dass dieses Buch ihm so viel offenbaren würde. So viele Geheimnisse, die er hatte entschlüsseln müssen. So viele Abenteuer, die er hatte bestehen müssen.

Er konnte es noch immer nicht glauben, dass er in einem Buch steckte. In einer Geschichte, die ihm die Liebe seines Lebens geschenkt hatte.

Doch ihre Welt wurde bedroht. Die Oger wagten sich immer weiter vor und das Land, das Helena ihr Zuhause nannte, war in Gefahr. Die Oger würden ganz Mediocris dem Erdboden gleichmachen, wenn der Roganier nicht aufgehalten werden konnte.

Helena strich ihm beruhigend über die Hand. »Es wird schon alles gut gehen«, raunte sie ihm ins Ohr.

Sein Blick richtete sich auf sie. Nach all dieser Zeit verschlug ihr Anblick ihm noch immer den Atem.

»Das sagst du so einfach«, flüsterte er zurück.

Ein Lächeln stahl sich auf Helenas Lippen, sie beugte sich vor und hauchte einen zarten Kuss auf seinen Mund. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus.

»Nicht so einfach«, erwiderte sie. »Aber ich weiß, dass wir vier dem Roganier Einhalt gebieten können.«

Erik zog sie in seine Arme. Ihr Körper schmiegte sich perfekt an seinen. »Ich weiß. Es ist nur noch immer so … wahnwitzig«, erklärte er ihr leise.

Melina und Zacharia saßen auf der anderen Seite des Feuers und unterhielten sich ebenfalls leise.

»Nach allem, was du erlebt hast, kannst du es noch immer nicht glauben?«, fragte Helena mit einem Schmunzeln.

»Kannst du es mir verübeln? In meiner Welt gibt es so etwas nicht. Nichts davon.«

Erik fühlte es eher, als dass er sah, wie sie zusammenzuckte. »Ist dies nicht deine Welt geworden?«

Ihre Stimme wurde vom Wind davongetragen, sodass er Mühe hatte, sie zu verstehen.

Er verzog die Lippen. »Es ist mehr ein Wunder für mich«, flüsterte er ihr ins Haar. »Ein Traum. Ich habe Angst, dies als meine Heimat anzusehen. Am Ende wache ich auf und all das ist bloß meiner Fantasie entsprungen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du trägst viel Fantasie in dir, aber nicht so viel, Erik. So etwas kann man sich nicht vorstellen und erträumen.« Sie drehte sich in seinen Armen, sodass sie einander nun ins Gesicht blicken konnten. »Oder fühlt sich das an, als wäre es ein Traum?« Helena schlang ihre Arme um seinen Nacken und presste ihre Lippen auf seinen Mund.

Er grub die Finger in ihre Hüfte. Erik liebte den Geschmack ihrer Haut, das Gefühl, das Helena in ihm hervorrief. »Du hast recht«, erwiderte er, als sie sich voneinander lösten. »Das kann ich mir unmöglich einbilden.«

Sie grinste ihn überheblich an. »Sag ich doch. Das hier ist ebenso deine Heimat wie meine.«

»Und ich werde an deiner Seite stehen, gegen jede Gefahr kämpfen, um Mediocris zu beschützen.« In diesem Moment hatte er wirklich das Gefühl, angekommen zu sein. In dieser völlig fremden Welt. Er hatte Freunde an den unmöglichsten Plätzen und seine große Liebe gefunden. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

»Woran denkst du?«, fragte Helena.

»An den Abend, an dem wir uns kennengelernt haben.«

Sie begann zu schmunzeln. »Also der, an dem du vom Himmel direkt ins Meer gefallen bist? Und die Meerjungfrauen dich gerettet und mir vor die Füße geworfen haben?«

»Genau der.« Er konnte die Augen nicht von ihr lassen. Erik beugte sich vor und küsste sie.

»Wir schaffen das«, wiederholte Helena und drückte seine Hand, während sie ihre zweite Hand auf den Bauch legte. »Für unsere Familie.«

Sein Innerstes zog sich vor Nervosität und Angst zusammen. »Ich kann es nicht fassen«, murmelte er.

»Was erwartest du? So was passiert.«

Er lachte leise. »Ich weiß.« Fasziniert strich er ihr über ihre Schläfe. »Ich kann nicht fassen, dass ich solch ein Glück habe.«

Jetzt grinste sie. »Freu dich nicht zu früh, du musst es noch meinem Vater erzählen.«

Erik seufzte. »Er wird mich umbringen, oder?«

»Wenn du Glück hast, verschont er dich, weil du der Vater seines Enkels bist«, versuchte Helena ihn scherzhaft aufzumuntern.

Bisher verriet nichts ihren Zustand. Erik fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie schwanger in die Schlacht zog. Doch es ihr zu verbieten war sinnlos. Sie würde ihren Kopf durchsetzen.

»Wir sollten schlafen«, murmelte er und hauchte einen Kuss auf ihre Wange.

Sie nickte und gemeinsam legten sie sich ins Gras – mit dem Blick in den dunklen Nachthimmel.

Erik bat die Sterne über Helena und sein Kind zu wachen, wenn sie morgen dem Roganier gegenüberstanden. Er wusste nicht, was er machen sollte, wenn er sie verlor. Bei dem Gedanken zog er die Prinzessin von Eventyr enger in seine Arme. Er würde nicht zulassen, dass ihnen irgendetwas Schreckliches widerfuhr.

***

Sie waren auf den Beinen, bevor die Sonne aufging. Im Schutz der Dunkelheit schlichen sie sich ans Lager des Roganiers, des riesenhaften, magiedurchtränkten Ogers. Von hier aus dirigierte dieses Wesen die Befehle über sein Heer. Der ganze Boden bebte, wenn die Oger auch nur einen Schritt taten.

»Wir müssen ihn von der Gruppe fortlocken«, murmelte Melina.

Helena nickte zustimmend. Ihr Blick wanderte zu Zach. »Du weißt, dass das dein Part ist?«

Der angesprochene Elf schnaubte. »Ja, schickt den Zauberer als Vorhut«, murmelte er zynisch.

Erik warf Zacharia einen mitleidigen Blick zu. »Du bist der Einzige, für den er sich interessieren könnte. Und die anderen Oger wird er nicht an dich heranlassen, weil er deine Macht für sich allein haben will.«

»Ich weiß. Dann halten wir uns an den Plan?«

Sie alle nickten, denn sie hatten nichts außer ihrem Plan, um den Roganier von der Gruppe zu trennen.

Zach ließ eine Flamme in seiner Hand entstehen und schickte den Schwall Magie, den er dafür benötigte, in die Richtung des magischen Ogers.

Dieser richtete sich direkt zu seiner vollen Größe auf und zog die Lippen hoch. Er ging in ihre Richtung. Die vier beeilten sich weiter fort vom Lager zu kommen.

Eriks Herz pochte hastig in seiner Brust. Er hielt Helenas Hand in seiner und zog sie mit sich. Ihre Finger hatten sich bereits um den Griff ihres Schwertes gelegt. Melina hielt ihren Bogen ebenfalls in der Hand. Erik war nicht wirklich gut mit dem Schwert, aber eher würde er sich auf den Oger stürzen, als zuzulassen, dass Helena diesem Riesen oder dessen gewaltigen Füßen zu nahe kam.

Sie liefen hastig zu ihrem gestrigen Lager zurück. Zacharia schickte immer wieder Magieimpulse zu dem Oger, damit er ihre Spur nicht verlor.

Als sie die Lichtung erreicht hatten, stellten sie sich im Halbkreis hin, um den Roganier zu erwarten.

Erik wurde schlecht. Sein Magen hatte sich zu einem festen Klumpen verknotet, der schwer in seinem Bauch lag. Die Erde bebte. Erik sah noch einmal zu Helena. Sie erwiderte seinen Blick. Kurz entschlossen zog er sie zu sich. »Ich liebe dich«, sagte er und presste seine Lippen verzweifelt auf ihre.

Sie lehnte sich in seine Berührung, ehe sie sich zurückzog. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. »Ich liebe dich auch«, erwiderte sie.

In dem Augenblick brach der Roganier durch das Geäst. Zach warf ihm direkt eine Feuersbrunst entgegen. Der Roganier brüllte und schmiss sich auf den Elfen.

Erik umfasste den Griff seines Schwertes fest und rannte dem Oger entgegen. Die Angst drohte ihn unter sich zu begraben, aber er schob sie beiseite. Er konnte sich jetzt keine Schwäche leisten.

Er erhob das Schwert und schlug damit auf den Fuß des Roganiers ein. Neben ihm tat Helena dasselbe, während Pfeile und Feuer es auf den Kopf des Ogers abgesehen hatten. Ein Knurren drang aus der Kehle des Riesen und er holte mit seinem Arm aus und schlug Erik damit zur Seite.

Er krachte gegen einen Baum. Die Sicht vor seinen Augen verschwamm. »Verflucht«, schrie er und zog sich am Stamm hoch. Erik musste heftig blinzeln, um die Schärfe in seinem Blick zurückzugewinnen.

Der Oger hatte sich auf Helena fixiert. Er hob seine Keule und ließ sie in die Richtung sausen, in der Helena gerade noch gestanden hatte. Sie wich der Keule aus und donnerte dafür dem Oger einen Schwerthieb entgegen.

Für den Roganier glich dies vermutlich dem Piksen eines Insekts. Es war eine schwachsinnige Idee gewesen. Zu viert hatten sie keine Chance gegen solch einen Riesen.

Melinas Pfeilhagel stoppte auf einmal. Erik sah zu der Seherin und stockte. Ihr Blick war abwesend. Das war ein schlechter Zeitpunkt, um eine Vision zu erhalten!

Ein gellender Schrei hallte in seinen Ohren. Ruckartig wandte er sich wieder dem Roganier zu.

Helena hing in seiner Hand. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu lösen, schlug mit dem Schwert auf die Pranke ein.

»Nein«, hauchte Erik.

Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, rannte er auf den Oger zu und ließ die Klinge des Schwertes in dessen Fuß sinken.

Das Brüllen des Ogers hallte durch den ganzen Wald. Es war Erik egal, dass er damit wahrscheinlich die anderen aus der Horde rief. Er musste Helena befreien. Vor Wut warf der Oger die Kriegerprinzessin von Eventyr achtlos zur Seite.

Erik war zu langsam. Er musste zusehen, wie die Mutter seines ungeborenen Kindes durch die Luft flog und auf dem Boden aufkam. Seine Welt stand mit einem Herzschlag still. Helena bewegte sich nicht mehr.

Wut floss wie Lava durch seinen Körper. »Zach!«, schrie er. Eine Feuerfontäne erfasste den Roganier.

»Erik!«, rief Melina. Sie rannte, gefolgt von Zacharia, zu Helena.

Erik folgte der Aufforderung. Melina hatte sich schon neben seine Frau gekniet und fühlte ihren Puls.

»Sie lebt. Aber … Erik, sie hat vermutlich innere Blutungen!« Sie hob Helenas Hemd hoch und Teile des Bauches waren bereits dunkelblau angelaufen.

Erik atmete tief durch und konnte ein schockiertes Stöhnen nicht unterdrücken. »Wir können ihn nicht besiegen«, stellte er ernüchtert fest. Er warf einen Blick über die Schulter. Der Roganier kämpfte noch gegen das Feuer, das ihn einhüllte.

»Nein.« Melina sah zu Zacharia. »Wir müssen ihn bannen.«

Zach presste die Lippen aufeinander und nickte. Er nahm das Messer von seinem Gürtel und schnitt sich selbst in die Hand. Melina tat es ihm nach und hielt Erik auffordernd die Finger hin. Er folgte und bei Helena tat sie dasselbe. Sie vermischten ihr Blut.

Erik sah wieder zu dem Roganier. Zach begann in einer ihm fremden Sprachen zu murmeln, die an Latein erinnerte.

Der junge Mann fühlte, wie Kraft aus ihm gezerrt wurde. Panik setzte sich in Erik fest. »Helena!«

Melina drückte beruhigend seine Hand. »Sie schafft das. Warte es ab.«

Der Roganier schrie auf. Doch dieses Mal hallte es nicht in den Wald hinein wie zuvor. Er schien schwächer zu werden. Die Feuersbrunst löste sich auf. Stattdessen bewegte sich ein roter Dunst von Zach auf den Riesen zu. Es war ihr Blut, das ins Gesicht des Roganiers einströmte. Plötzlich fiel das Monstrum einfach um. Die Erde erbebte, als das Gewicht am Boden auftraf. Er glich einem riesigen, grasbewachsenen Erdhügel.

»Er schläft«, erklärte Zacharia auf den fragenden Blick von Erik.

Doch Erik konnte sich darauf nicht konzentrieren. »Hilf ihr!«, befahl er dem Elf.

»Es tut mir leid, das kann ich nicht.« Trauer durchzog seinen Blick.

Eriks Pulsschlag versiegte für einen Moment. Hilfe suchend sah er zu Melina.

»Du musst in deine Welt zurück. Nur dort kann ihr geholfen werden«, erklärte sie.

»Aber … aber der Berg der Seelen … er ist viel zu weit weg!«, brachte Erik über die Lippen.

»Ich kann euch hinbringen. Aber ich kann euch dann nicht zurückholen. Meine Magie muss erst wieder wachsen.« Ein besorgter Unterton belegte die Stimme des Elfen.

Erik ahnte, dass sein Freund ihm etwas verheimlichte, aber er konnte sich in diesem Moment nicht auf seinen Freund konzentrieren. Das Einzige, was zählte, war, dass er die Frau, die er liebte, und sein Kind retten konnte.

Erik sah zu Melina. »Die Ärzte in meiner Welt können ihr helfen?« Melina nickte heftig. »Dann bring uns nach Hause. Sofort!«, bestimmte Erik. Er würde nicht zulassen, dass Helena starb.

Zacharia schloss die Augen. Licht hüllte das Paar ein. »Ich werde euch irgendwann besuchen kommen«, versicherte der Elf. Daran konnte Erik jetzt nicht denken. Zuerst musste er seine Familie retten …

***

Ogerlande, 29 Jahre später

Ihr war kalt. So unsagbar kalt. Sie hatte sich nicht gegen die Wachen wehren können. Wachs hatte deren Ohren verschlossen. So war es denn Männern ein Leichtes gewesen, ihrem Gesang und dessen Macht zu entgehen. Also hatte sie die Magier, die im Zirkel von Eventyr lebten, mit ihrem Gesang gezwungen ihr zu helfen. Ihre Magie war erschöpft. Nur noch ein letzter Funken war vorhanden.

Sie stolperte durch den Wald, blind und ohne irgendeine Ahnung, wohin der Weg sie führen würde. Zurück nach Cantus konnte sie nicht. Karina würde sie verstoßen – wenn nicht Schlimmeres mit ihr anstellen –, wenn sie zurückkehrte. Aber wohin sollte sie sonst gehen? So schwach, wie sie momentan war? Sie konnte nichts, was nützlich war. Außer singen.

Doch ihresgleichen waren nicht ohne Grund vor langer, langer Zeit aus Mediocris auf die Insel geflüchtet.

Ein leises Wimmern drang an ihr Ohr. Atemlos verharrte die Sirene, die noch vor wenigen Stunden so rüde aus dem Palast gejagt worden war. Wieder erklang das leise Wehklagen. Sie hastete in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Vor ihr im Wald tat sich ein großer Hügel auf. Unwohl sah sich die Frau um, doch sie konnte keinerlei Gefahr entdecken. Vorsichtig trat sie näher an den Berg heran, sie vermutete, dass irgendwo eine Höhle sein musste, aus der das Geräusch drang. Viel konnte sie in der Dunkelheit nicht erkennen.

Wieder erklang das Gewimmer. Es erinnerte sie an das Weinen eines Kindes. Vielleicht kam die Ahnung daher, weil sie ihr eigen Blut hatte zurücklassen müssen, vielleicht war es auch einfach nur das Bedürfnis zu helfen, weswegen sie auf den Hügel zuging und ihre Hand darauflegte.

Erschrocken erstarrte die junge Frau. Sie spürte Wärme. Dieses Etwas atmete. Und das Wimmern … kam von ihm.

Ihre Kraft war noch nicht vollständig zurückgekehrt, aber für einen kleinen Einblick würde es reichen. Leise begann sie zu summen, um herauszufinden, was die arme Seele quälte. Sie erkannte, dieses Wesen hatte Hunger. Großen Hunger. Sie sah ebenfalls in seiner Seele den Hass auf das Land Eventyr, darauf, was dessen vier Helden ihm angetan hatten. Mit einem Mal fühlte sich die Sirene dem leidenden Lebewesen verbunden. Sie wollte sich auch an Eventyr rächen – allen Grund dazu hatte sie ja. Wegen des Herrschers dieses Landes hatte sie alles verloren. Sie beschloss hierzubleiben. Das Wesen zu füttern und zu umsorgen, als wäre es das Kind, das sie im Palast hatte zurücklassen müssen. Und irgendwann würde es so weit sein und sie konnten sich gemeinsam an dem Land und seinem König rächen.

So lange würde sie warten.

Kapitel 1

Alendia, eineinhalb Jahre nach dem Untergang der bösen Königin

Verräterin, Spitzel, Enttäuschung, Abschaum – noch immer hallten die wüsten Beschimpfungen durch meinen Kopf. Ich könnte stundenlang so weitermachen und kein einziges Wort müsste ich wiederholen, weil es so viele gab, die ich gehört hatte. Obwohl es bereits eineinhalb Jahre her war, dass die böse Königin zur Strecke gebracht worden war, wusste jeder, was ich für eine Rolle in diesem Kampf gespielt hatte. Welche Rolle ich freiwillig angenommen hatte.

Der Bach plätschert leise an mir vorüber. Die Blätter raschelten im Wind und die Böe fuhr mir durch mein mittlerweile kurzes blondes Haar.

Am schlimmsten war jedoch der Ausdruck auf dem Gesicht meines Vaters gewesen, als er geschwächt in seinem Bett gelegen hatte. Nach alldem Schmerz und dem Leid, die die böse Königin verbreitet hatte, hatte er sie trotzdem noch immer geliebt. So sehr, dass sein Herz, das ihr verfallen gewesen war, einfach aufgehört hatte zu schlagen.

Ich biss die Zähne aufeinander. Die Tränen wollten hervorbrechen, aber ich wollte es nicht – nicht schon wieder.

»Cassia, wieso?«

»Ich wollte dich retten, Vater! Sie … sie hat mir versprochen …«

Er unterbrach mich mit einem Kopfschütteln. »Du hättest stärker sein müssen, mein Kind.«

»Aber …!«

Ich sah in seinem Gesicht, dass es egal war, was ich sagte. Kein Wort, das meine Lippen verlassen würde, könnte irgendwie mein Verhalten rechtfertigen – oder entschuldigen. Ich hatte meinen eigenen Vater bis tief ins Mark enttäuscht.

»Nein, Cassia. Du hast die Menschen verraten, die sich auf deinen Schutz verlassen haben. Das kannst du mit nichts wiedergutmachen.«

Bis heute waren seine Worte wie ein Schlag in die Magengrube. Sie verfolgten mich und suchten mich in meinen Albträumen heim. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen hatte, ohne von den anklagenden Worten meines Vaters wach zu werden.

Ich rieb mir übers Gesicht. Ich war auf ganzer Linie eine Versagerin. Statt Stärke gegenüber der bösen Königin zu zeigen, war ich schwach geworden.

»Du gibst ihn mir zurück?« Meine Stimme war naiv und voller Hoffnung, als ich zu der wunderschönen Frau aufsah, die am Rande des Lagers stand.

»Natürlich. Deinem Vater geht es gut. Und wenn du mir all die Leute aushändigst, wird es ihm auch weiterhin gut gehen, mein Kind.«

Ich war darauf reingefallen und musste die Konsequenzen tragen.

»253 Menschen. Ich hoffe, du bist stolz auf dich, Prinzessin.«

Der Blick, den mir Robin dabei aus seinen blauen Augen zugeworfen hatte, war ein Schlag ins Gesicht gewesen. Nein, Stolz hatte ich sicher nicht empfunden. Im Gegenteil. Ich hatte nicht nur die ganzen Menschen um mich herum enttäuscht, sondern auch mich selbst. Dutzende waren wegen mir gestorben. Morgens in den Spiegel zu sehen ließ mich zusammenzucken, weil ich das Gesicht einer Verräterin trug.

Seufzend betrachtete ich den Verlauf des Baches. Die Zentauren hatten mich damals wie einen Gast behandelt und doch wusste ich, dass sie alle hinter meinem Rücken über mich sprachen. Über die eventyrische Prinzessin, die ihr Volk verraten hatte. Die für ihren Vater alles aufgegeben hatte, ohne ihn zurückzubekommen. Die so töricht gewesen war dem Bösen von Mediocris zu glauben.

Ein Schluchzen stieg meine Kehle empor. Erschrocken legte ich die Hand auf den Mund, obwohl mich hier in der Stille des Waldes niemand hören konnte.

Melina war nach der Schlacht zu den Zentauren gekommen. Sie war humpelnd auf mich zugetreten und hatte mich einen Moment einfach nur angestarrt.

»Du brauchst Heilung.«

»Wohl eher ein neues Leben«, antwortete ich emotionslos und zuckte mit meinen Schultern.

Sie verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. »Ich kann dir eine Chance bieten.«

»Eine Chance?«

»Bleibe bei mir und deine Zeit wird kommen.«

Sie hatte mir ihre Hand hingehalten und ich hatte sie angenommen. Eineinhalb Jahre waren seitdem vergangen und noch immer war meine Chance nicht gekommen. In dieser Zeit hatte Melina nie aufgehört mir das Bogenschießen beizubringen. Sie hatte mir gezeigt, welche Kräuter essbar und welche zur Medizin geeignet waren. Mein Kopf war angefüllt worden mit Wissen, das ich geglaubt hatte niemals brauchen zu können …

Ich hatte Bernd Eventyr überlassen. Niemand wollte eine Verräterin zur Königin haben. Nicht wenn sie sich nicht sicher sein konnten, dass ich sie beschützen würde, egal was auf dem Spiel stand. Er war die beste – die einzige – Lösung gewesen. Bernd, der Sohn von Helena und Erik. Jeder in Mediocris hatte von den beiden gehört und liebte sie für die Opfer, die sie in Kauf genommen hatten, als die Oger Eventyr beinahe erreicht hatten.

Nun saß ich hier. Starrte auf den Bach und hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich wollte nicht ewig im Wald hausen. Doch eine Prinzessin wollte – und konnte – ich auch nicht mehr sein. Ich hatte es nicht verdient. Den Schaden, den ich angerichtet hatte, konnte ich nie wiedergutmachen, egal was ich tun würde.

Seufzend raffte ich mich auf und streckte meine Glieder. Es war Zeit, zu Melina zurückzukehren.

Die Äste unter meinen Füßen knackten leise, als ich mich auf den Rückweg zur Hütte machte.

Sie lag verborgen im Wald. Wenn man nicht wusste, wo sie stand, konnte man sie leicht übersehen. Als ich am Anfang dort eingezogen war, hatte ich es sogar einige Male getan, sodass Melina genervt rauskommen musste, um mich zu lotsen. Efeu und Moos hatten sich auf dem Holz breitgemacht. Eine Trauerweide stand direkt daneben und versperrte die weitere Sicht.

Mit gesenktem Kopf ging ich auf mein »Heim« zu und öffnete die Tür.

»Hallo, ich bin wieder … Ach du Schreck!« Panisch rannte ich auf die am Boden liegende alte Frau zu und half ihr auf. »Was ist passiert, Melina?«, verlangte ich zu wissen.

»Das Alter, meine Liebe. Es macht auch vor mir nicht halt«, sagte sie leichthin.

Doch ich sah den Schweiß auf ihrer Stirn, der ihre Leichtigkeit Lügen strafte. »Melina, sag mir die Wahrheit.«

Sie ließ sich erschöpft auf den klapprigen Holzstuhl fallen. »Es ist die Wahrheit, Kind. Ich bin alt und werde nicht mehr lange zu leben haben.«

Ich machte große Augen. »Woher willst du das wissen?«

Sie sah mich mit einer erhobenen Braue an. »Cassia, ich bin eine Seherin«, erinnerte sie mich, als würde das alles erklären.

»Also hast du deinen eigenen Tod gesehen?«

Sie schüttelte den Kopf »Den spüre ich. In meinen Knochen, meinen Muskeln, meinem Geist. Es ist wie ein schwerer, dunkler Mantel, der sich über mich gelegt hat und nun von Tag zu Tag mehr Gewicht bekommt.«

»Das klingt grausam«, merkte ich an.

»Das ist der Kreislauf des Lebens.«

»Das macht es auch nicht besser.«

»Da hast du recht.« Melina lachte leise.

Ich bewegte mich zu der kleinen Küche und begann etwas Gemüse zu schälen.

Melina beobachtete jede meiner Bewegungen. Ihr Gesichtsausdruck war ernst und bereitete mir Sorgen.

»Was ist noch los?«, hakte ich nach.

»Es wird dir nicht gefallen.«

Sie schob mir einen Brief zu.

Ich ließ die Mohrrübe los, die ich gerade noch in der Hand gehalten hatte, und sah Melina aufmerksam an. Um ihren Mund hatte sich ein verkniffener Zug gebildet.

Liebste Melina, liebe Cassia, hiermit laden wir euch herzlich dazu ein, unserer Hochzeit beizuwohnen! Wir hoffen auf euer Kommen. Mit besten Grüßen Mia und William, Königspaar von Alendia

»Mia und William werden heiraten«, stellte ich fest. Ein Stich machte sich in mir bemerkbar. Nicht weil ich den König von Alendia liebte. Das hatte ich nie getan. Er wäre eine gute Partie gewesen, eine Partie, die Eventyr und Alendia dazu gezwungen hätte, eins zu werden. Mit vereinten Kräften hätten wir vielleicht die Oger endlich schlagen können, die an der Grenze zu Eventyr lauerten und immer wieder versuchten vorzustoßen. »Das ist schön für die beiden«, meinte ich, legte die Einladung zur Seite und schälte die Mohrrübe weiter. Das war es wirklich. Ein kleiner Teil von mir freute sich auch für sie. Die beiden hatten einander verdient, nach allem, was sie zusammen hatten durchmachen müssen – auch wegen mir.

Ich erinnerte mich zu genau an die Nacht, in der die beiden ins verlassene Lager gekommen waren. An ihre Blicke. An den Hass in ihren Augen.

»Wir werden zu der Hochzeit gehen.«

Die Welt blieb für einen Augenblick stehen. Ich hielt meinen Atem an und betrachtete Melina. Doch in ihren Augen konnte ich keinen Funken Humor entdecken. In ihnen waren nur Klarheit und Willensstärke zu erkennen.

Ich ließ die Mohrrübe sinken und setzte mich neben Melina auf einen Hocker. »Das … das kann ich nicht«, hauchte ich. Eiskalter Schweiß legte sich auf meine Haut. Panik kroch durch meine Venen und ließ meinen Körper erzittern.

Die Seherin legte ihre Hände auf meine und drückte sie sanft. »Natürlich kannst du, mein Kind. Und du wirst.«

»Du kannst mich nicht dazu zwingen!«

»Nein, das kann ich nicht. Das würde ich auch nicht tun – das weißt du. Aber bitte erinnere dich daran, wer du bist.«

»Eine Verräterin? Abschaum?«, hielt ich ihr vor. »Denn das ist es, was die Menschen von Mediocris in mir sehen. Allen voran William und Mia!«

Melina schüttelte den Kopf. »Es geht nicht darum, was andere Leute in dir sehen, mein Kind, sondern was du selbst siehst.«

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. »Ich selbst sehe mich als Enttäuschung, Melina. Ich bin den Dreck unter meinen Fingernägeln nicht wert«, sagte ich traurig und meinte jedes Wort davon ernst.

»Das stimmt nicht. Begleite mich auf die Hochzeit des Königspaares. Ich bitte dich darum. Denn ich hätte dich dabei sehr gern an meiner Seite.«

Wie sollte ich ihr diesen Wunsch verwehren? Sie hatte mir ein Dach über den Kopf gegeben, als mich niemand hatte sehen wollen. Sie war für mich da gewesen, als jeder mich verloren geglaubt hatte.

»Für dich, Melina, und wegen nichts sonst.«

»Ich danke dir, Cassia.«

»Danke mir nicht zu früh …«, murrte ich und machte mich weiter daran, das Abendessen für Melina und mich zuzubereiten.

***

Einen Tag später reisten wir bereits ab. Mein Bauch hatte sich in einen harten Klumpen verwandelt. Nicht einmal das Frühstück hatte ich herunterwürgen können.

Melina beobachtete mich mit Argusaugen, als erwartete sie, dass ich jeden Moment blindlings zurückrannte und mich in der Hütte verschanzte, die in dem letzten Jahr zu meinem Zuhause geworden war.

Ich konnte noch immer nicht fassen, dass sie mich wirklich überzeugt hatte mitzugehen. Die Menschen von Mediocris hassten mich! Das Bild an dem Tag der Beerdigung meines Vaters hatte sich in mein Gehirn gebrannt.

Tränen standen in meinen Augen. Mein Vater war fort. Für immer. Nie mehr würde ich ihn wiedersehen. Oder seine Meinung von mir ändern können. Rüde wischte ich das Salzwasser von meinen Wangen. Ich straffte meine Schultern und betrat die Straße vor dem Schloss. Hunderte Menschen hatten sich versammelt, um sich von meinem Vater – ihrem König – zu verabschieden. Neben mir gingen Bernd, Lydia und Mia. Hinter uns wurde der Sarg getragen und dann kam William. Auf allen Gesichtern sah ich Trauer. Sie machten kein Geheimnis aus ihren Gefühlen. Sie zeigten sie offen. Aber ich konnte es nicht. Neben ihnen fühlte ich mich wie ein Eisklotz.

»Was hat die hier zu suchen?!«, schrie ein Mann aus der Menge.

»Verzieh dich in das Loch, in dem die böse Königin schmort!«, schrie ein anderer.

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte die Worte der Menschen zu verdrängen. Doch sie hatten recht. Ich war es nicht wert, an der Spitze zu laufen. Keiner wollte mich hierhaben. Ich verschränkte meine Finger miteinander und presste die Nägel in meine Haut. Der Schmerz lenkte mich von ihren Worten ab. Doch die hatten sich bereits in meinem Unterbewusstsein festgesetzt.

Ich tauchte wieder im Jetzt auf, als ich Hufgetrappel hörte. Überrascht hielt ich inne. »Da kommen Pferde«, sagte ich.

»Mia hat Till geschickt, um uns abzuholen. Zu Fuß wäre es für mich zu weit gewesen.«

Ich versteifte mich. »Till?«, brachte ich hervor. Zu gut erinnerte ich mich an den Soldaten, der William begleitet hatte. Schon damals war er sehr streng gewesen.

»Es wird schon gut werden«, beruhigte mich Melina.

»Deinen Optimismus hätte ich gern«, murmelte ich.

Till kam zwischen den Bäumen zum Vorschein. Er selbst saß auf einem Pferd, das andere führte er am Zügel.

Als sein Blick mich traf, konnte ich beobachten, wie sich sein ganzer Körper versteifte. »Danke, dass du sie zum Treffpunkt gebracht hast.«

Mir entfuhr ein Prusten. »Dir wurde es also nicht erzählt?« Er runzelte die Stirn. »Ich werde mitkommen.«

Sein Blick wechselte zwischen Melina und mir hin und her. »Ist das wahr?«, wandte er sich an die Seherin.

Sie nickte. »Natürlich. Sie hat einen Fehler gemacht. Doch es ist Zeit zu vergeben.«

Till zog die Augenbrauen zusammen. »Wohl eher 253 Fehler«, merkte er an.

Seine Worte waren wie ein Dolch in meinem Inneren. Denn er hatte recht. Ich hatte 253 Menschen an die Königin verraten. Ich hatte zugelassen, dass das Böse in der Welt mehr Druckmittel gegen Mia und ihre Freunde gehabt hatte. »Vielleicht …«

»Nein!«, unterbrach Melina meine Überlegung. »Du kannst dich nicht auf immer und ewig in meiner Hütte verbarrikadieren.« Ein Hustenanfall schüttelte ihren Körper und sie sackte vornüber.

»Melina!« Ich stürzte zu ihr und hielt sie.

Die Seherin klammerte sich an meinen Arm. »Begleite mich.«

Ich biss die Zähne zusammen, nickte aber widerstrebend. »In Ordnung.« Ich wandte mich an Till. »Kannst du mir helfen sie aufs Pferd zu setzen?«

Eisig nickte er und stieg von seinem hinunter.

Gemeinsam halfen wir Melina auf das Pferd, ich wollte gerade hinter ihr aufsitzen, als sie den Kopf schüttelte. »Du solltest hinter Till sitzen.«

Verwirrt sah ich zu ihr. »Und was ist, wenn du wieder zusammenbrichst?«, fragte ich sie.

»Werde ich nicht. Versprochen.«

Till erwiderte meinen Blick und seufzte, hielt mir aber seine Hand hin, damit ich hinter ihm aufsteigen konnte. »Bild dir aber nichts darauf ein«, knurrte er, sodass nur ich es hören könnte.

»Auf die Idee würde ich niemals kommen«, erwiderte ich frostig. Ich hielt mich am Sattel statt an Till fest. Den Körperkontakt wollte ich so gering wie möglich halten – so wie ich Till erlebt hatte, war es ihm auch lieber so.

***

Eisiges Schweigen hüllte unsere kleine Gruppe ein. Melina sah konzentriert in die Weite, als würde sich vor ihrem inneren Auge etwas ganz anderes abspielen. Till wollte nicht reden – ich genauso wenig. Ich hatte ihm nichts zu sagen. Was auch? Tut mir leid, dass dein Großvater wegen mir in Gefangenschaft saß? Tut mir leid, dass ihr wegen mir nur Probleme hattet?

Ich seufzte leise und ließ mich von dem Anblick um mich herum ablenken.

Wir befanden uns noch im Immergrünen Wald. Der See der Tränen war ganz in der Nähe, das Glitzern der Oberfläche blitzte durch die Blätter hindurch. In Eventyr erzählte man sich, dass dort Nixen lebten, die einen in die Tiefe des Sees zogen, um die Wärme des menschlichen Körpers spüren zu können, weil sie selbst nur die Kälte empfanden. Ich wusste nicht, ob es stimmte. Ich erinnerte mich aber an die Meerjungfrauen im Ozean. Sie waren allesamt bildschön und herzlich gewesen. Manchmal waren sie sogar an den Strand gekommen und hatten mir Geschichten erzählt. Es schmerzte, daran zu denken, wie unschuldig ich einst gewesen war.

Ich hing meinen Gedanken nach, sodass ich erst nicht merkte, dass Till das Pferd zum Stehen brachte. »Wir rasten hier«, riss seine Stimme mich aus meiner inneren Einkehr.

Hastig stieg ich vom Pferd hinunter und eilte zu Melina, um ihr zu helfen.

Als sie auf dem Boden stand, klammerte sie sich an meinem Arm fest. »Reiten funktionierte auch schon mal besser.« Sie lachte leise.

Sorge fraß sich in mein Innerstes. Momentan war die Seherin alles, was ich hatte. »Rede nicht so«, sagte ich liebevoll mahnend zu ihr. »Du wirst noch lange leben.«

Sie legte mir ihre Hand an die Wange. »Cassia, verschließe deine Augen nicht vor der Wahrheit. Ich bin alt. Und ich werde bald gehen müssen.«

»Und du sollst nicht so viel Blödsinn reden. Ich hole das Essen.«

Ich nahm meinen Rucksack von den Schultern und kramte etwas getrocknetes Fleisch sowie Äpfel hervor. Mein Blick fiel auf Till. »Willst du auch etwas?«, erkundigte ich mich und hielt ihm einen Apfel hin.

Er nahm ihn an. »Danke.«

Ich erwiderte nichts darauf und gab Melina eine Portion von beidem.

Wieder hüllte Schweigen unsere Gruppe ein.

Melina kaute auf ihrem Essen und lächelte selig vor sich hin. »Das erinnert mich an meine eigene Reise«, murmelte sie irgendwann.

»Welche Reise?«, hakte ich nach.

»Als ich mit Erik und Helena unterwegs war.«

Ich versteifte mich. Davon hatte ich nichts gewusst. Überall in Eventyr waren nur die beiden bekannt gewesen. »Du warst auch dabei?«

Sie nickte. »Ja. Sie gabelten mich im Wald auf und retteten mich vor dem Banditen, an den mich meine Eltern verkauft hatten.«

Ich bekam große Augen. »Was?«

»Meine Familie war arm. Und sie hatte viele Mäuler zu stopfen. Meine Eltern verkauften mich an Banditen und so konnten meine acht Geschwister am Leben bleiben. Ich habe ihnen verziehen … schon vor langer, langer Zeit.«

»Wie retteten dich Prinzessin Helena und Erik?«

»Die Banditen sammelten sie auf, als sie auf dem Weg zu den Elfen waren, um einen bestimmten ihrer Art zu finden.«

»Wen?«

»Denjenigen, der die Kraft hatte, einen Roganier zu schwächen.«

»Etwa diese magischen Oger?«, mischte sich Till ein.

Melina nickte zustimmend.

»Das sind Oger, die magische Energien von anderen aufgenommen haben«, erklärte ich.

»So haben Helena und Erik also den damaligen Krieg abgewendet«, stellte ich fest. »Sie waren nicht allein.«

Melina schüttelte den Kopf. »Nein, allein waren sie nicht. Niemals. Sie hatten immer einander. Aber sie haben ihn nur verschoben, nicht abgewendet.«

»Was meinst du?«

Sie schenkte mir ein Lächeln. »Das erzähle ich dir nach der Hochzeit.«

Das Jahr bei Melina hatte mich eins gelehrt: Geduld.

Sie hatte so oft Anspielungen gemacht, war dann aber erst Tage oder sogar Monate später auf den Punkt gekommen. »In Ordnung.«

»Was?«, fuhr Till auf. »Aber Mel…«

Ich hob die Hand. »Gib es auf. Sie wird nicht mehr zu dem Thema sagen, egal wie sauer du wirst.«

Auf Melinas Lippen breitete sich ein Grinsen aus. »Da hat Cassia recht.«

Ein Schnaufen entfuhr Till und er wendete sich abrupt ab. »Ich werde die Umgebung sichern.«

»Gibt es noch etwas, vor dem wir uns fürchten sollten?«, fragte ich an Melina gewandt.

»Es gibt immer Gefahren in diesen Wäldern«, murmelte Melina leise.

Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus. »Oh.«

»Lass uns schlafen. Die nächsten Tage werden anstrengend.«

Ich stimmte ihr zu und legte mich hin. Doch mein Kopf konnte sich nicht beruhigen. Ich sah in den Sternenhimmel, der über uns fröhlich strahlte. Die Angst vor der Ankunft in Alendia saß tief. Ich wusste um Tills Reaktion, als er mich gesehen hatte. Was würden die anderen von mir denken? Was würde passieren? Konnte ich ihren anklagenden Blicken, ihrem Hass wirklich standhalten?

Ich seufzte und drehte mich auf die Seite. Die Dunkelheit der Bäume und das leise Rascheln der Blätter hüllten mich langsam ein und ich fiel in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 2

Das Schloss von Alendia ragte imposant vor uns auf. Die Steine waren stellenweise noch geschwärzt von dem Feuer, das die Leichen vor über einem Jahr gelegt hatten. Als wir heute durch die Stadt geritten waren, hatte ich fast keine Schäden mehr gesehen. Ich hatte mir die Kapuze meines Umhangs aufgesetzt, damit mir keiner ins Gesicht sehen konnte. Selbst wenn ich mir die Haare abgeschnitten hatte, so war ich mir sicher, dass die Leute mich erkennen würden. Zumindest einer von ihnen und dieser würde die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreiten: »Die Verräterprinzessin ist in Alendia!«

Das hölzerne Tor des Schlosses schob sich auf und lud uns ein die prächtigen Gärten zu betreten, die sich bereits erahnen ließen. Die Blütezeit hatte begonnen, sodass die Anlage in wunderschönen, vielfältigen Farben leuchtete. Ich erkannte Narzissen sowie Stiefmütterchen und auch Tulpen.

»Kommt«, trieb Till uns an.

Es wirkte, als hätte er kein Auge für diese Schönheit übrig.

Melina ritt neben uns und schenkte mir ein Lächeln. »Du wirst dich daran erfreuen können – später«, versicherte sie mir. Sie war mittlerweile die Einzige, die wusste, dass ich Blumen liebte. Selbst in Eventyr hatte ich ein eigenes Gewächshaus unterhalten, damit ich nicht jedes Jahr im Winter zusehen musste, wie die Blumen starben. Ich erwiderte das Lächeln und richtete meinen Blick vorbei an Tills breitem Kreuz – auf die Festung von Alendia.

Das Banner der alendischen Königsfamilie hing an langen Fahnen an der Mauer herunter und wehte im lauen Wind.

König William und seine Verlobte Mia standen bereits vor den mächtigen Flügeltüren.

Ich presste die Kiefer aufeinander. Mia strahlte wie die Sonne, genauso William. Er hatte meine Cousine an der Hand genommen und wartete auf unsere Ankunft.

Vor ihnen hielt Till das Pferd an und ich stieg ab. Schnell half ich Melina von ihrem herunter und wandte mich dem Königspaar zu. Wie es mir beigebracht worden war, knickste ich vor ihnen. »Mein König. Mia.« Aus Höflichkeit nahm ich die Kapuze ab.

»Prinzessin Cassia«, erwiderte William meine Begrüßung und verbeugte sich.

Ich schüttelte den Kopf. »Das bin ich nicht mehr. Cassia reicht«, korrigierte ich ihn.

Er runzelte die Stirn, nickte aber.

Mia kam auf mich zu und musterte mich kritisch. Ihre grauen Augen waren blasser geworden – der Preis für ihre seherischen Kräfte. Nicht dass dies etwas an ihrem Strahlen geändert hätte. »Herzlich willkommen, Cassia, es freut mich, dass du gekommen bist.«

Völlig überrumpelt blieb ich stehen, als sie ihre Arme um mich legte und mich an sich drückte. »Ich weiß, dass du dir Vorwürfe machst. Und glaube mir, es war nicht leicht, aber ich habe dir verziehen«, murmelte sie in mein Ohr.

Ich konnte die Tränen nicht verhindern, die in meine Augen traten. Schüchtern erwiderte ich die Umarmung. »Ich habe deine Vergebung nicht verdient«, raunte ich und brach die Nähe zu ihr ab.

In ihre Augen war ein trauriger Glanz getreten. Aber sie erholte sich schnell davon und umarmte Melina. König Williams grüne Augen musterte mich nachdenklich. Ich erinnerte mich sehr genau an seine leuchtend roten Iriden, als er und Mia mich damals in dem verlassenen Lager gefunden hatten. Er traute mir noch immer nicht.

Es war komisch. Ich hatte noch keinen Schritt in das Schloss gemacht und schon fühlte ich mich fehl am Platz. Ich straffte meinen Rücken.

»Ich freue mich, dass ihr beide gekommen seid!«, wiederholte Mia noch mal. »Kommt, ich zeige euch eure Gemächer. Danach habe ich ein Essen vorbe…«

»Mia«, hielt William seine Verlobte zurück. »Ich glaube, Melina und Cassia sind erschöpft. Lass die beiden doch in Ruhe ankommen.«

Sie schenkte uns ein entschuldigendes Lächeln. »Tut mir leid, um ehrlich zu sein, bin ich unglaublich nervös. Selbst Lio und Robin sind vor mir geflüchtet.«

»Verständlich«, bemerkte Till.

Ich machte große Augen. Er traute sich so mit seiner zukünftigen Königin zu reden?

Diese streckte ihm die Zunge raus. »Dir gefällt das doch!«

Er verbeugte sich vor ihr. »Wenn Ihr das sagt, meine Königin.«

Mia verdrehte die Augen und wandte sich wieder Melina und mir zu. »Kommt.«

Wir folgten ihr ins Schloss. Von außen wirkte das Gemäuer unnahbar und solide. Als wir das Innere betraten, blieb mir für einen Augenblick die Spucke weg. Das Schloss war quadratisch angelegt. Im Inneren befand sich ein riesengroßer Platz. Ein Baum wuchs in der Mitte und auch hier waren überall Blumen angepflanzt worden. Ein Bach floss durch den Hof des Schlosses.

»Wunderschön«, hauchte ich ergriffen.

»Atemberaubend, oder?«, ermunterte Mia mich. »Ich habe euch beiden jeweils ein Zimmer ausgesucht, das auf diesen Innenhof hinausgeht.«

Sie lief weiter voraus zu einer Treppe, die in einen oberen Flur führte, der zur Seite des kleinen Gartens hin ohne Mauern war, bloß ein hölzernes Geländer bot Schutz gegen die Höhe. Sie drückte eine Tür auf und deutete hinein. »Hier ist das erste.« Mit ihrem Finger deutete sie auf die Tür daneben. »Und dort ist das zweite Zimmer. Ich hoffe, sie gefallen euch.«

»Danke, Mia. Das ist mehr, als wir uns wünschen könnten.« Melina betrat den ersten Raum. »Aber Liam hat recht. Mich hat die Reise angestrengt und ich wäre glücklich über etwas Ruhe.«

»Natürlich«, wandte Mia ein. Ihr Blick richtete sich auf mich. »Hast du Lust, mit mir spazieren zu gehen?«

»Mia, du brauchst nicht nett zu mir zu sein. Ich bin nur hier, weil Melina mich darum gebeten hat«, wies ich sie ab. Ich ignorierte die Trauer in ihrem Blick und ging in das zweite Zimmer.

Erschöpft lehnte ich mich gegen die geschlossene Holztür und ließ mich langsam an ihr hinuntergleiten. Meine Kehle war eng. Mia war so herzlich. Dabei hatte ich das nicht verdient. Ich kam mit Beschimpfungen und Ignoranz klar – zumindest redete ich mir das ein. Aber Mias Verhalten wühlte mich auf. Nichts, absolut gar nichts davon hatte ich verdient. Nicht die kleinste Nettigkeit und dennoch verhielt sie sich mir gegenüber so, als hätte ich niemals die Menschen verraten, die ihr wichtig gewesen waren.

Erst jetzt registrierte ich das Zimmer, in dem man mich untergebracht hatte. Es reichte nicht an mein ehemaliges Zimmer heran, aber es war unglaublich schön. Der Boden war aus poliertem Kirschholz. Ein grüner Teppich lag zwischen einem Schminktisch, der ebenfalls die Farbe von Kirschholz hatte. Das Bett dominierte den ganzen Raum. Es war mit dunkelgrünen Stoffen bezogen. Doch was mir eigentlich den Atem raubte, war das Fenster. In die oberen Aussparungen waren bunte Gläser eingearbeitet worden, deren Licht sich im Zimmer verspielt spiegelte. Der Wald von Alendia befand sich ganz in der Nähe, sodass ich ihn sehen konnte.

Ich stand auf und ging zum Fenster. Das alles hatte ich nicht verdient. Ich spürte, wie der Druck in meinem Inneren anstieg und sich nach Auflösung sehnte. Ich muss hier raus!

Fahrig setzte ich meine Kapuze auf, ehe ich aus dem herrlichen Zimmer floh. Ich hielt es nicht aus, diese Schönheit, diese Freundlichkeit. Ich polterte die Treppe hinunter und hätte dabei fast einen schwarzhaarigen Halbelfen umgeworfen. »Entschuldige«, murmelte ich und rannte weiter.

Mein Herz platzte beinahe. Ich hatte das Gefühl, dass meine Lunge mir ihre Arbeit verweigerte. Ich fühlte mich eingeengt. Die Türen, an denen William und Mia uns begrüßt hatten, waren noch offen und ich rannte zwischen ihnen hindurch. Doch mein Lauf wurde abrupt beendet. Eine lebende Mauer stellte sich mir in den Weg und beinahe wäre ich nach hinten gefallen, hätte mich diese Mauer nicht festgehalten.

»Nicht so eilig«, meinte der Mann amüsiert, in den ich hineingerannt war.

Mein ganzer Körper versteifte sich. Diese Stimme würde ich unter Tausenden wiedererkennen – und an seine Worte erinnerte ich mich Tag für Tag und Nacht für Nacht: »253 Menschen. Bist du stolz auf dich, Prinzessin?«

»Lass mich los«, hauchte ich und wehrte mich gegen seinen starken Griff. Ich sah unter meiner Kapuze zu ihm hoch. Seine blauen Augen strahlten belustigt und auf seine vollen Lippen hatte sich ein Lächeln geschlichen.

Er ließ mich los und trat einen Schritt zurück. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Entschuldige.«

Der Kloß in meinem Hals wurde immer größer. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, brachte ich hervor und rannte weiter.

Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken – wie auch seine Hand, die gerade noch warm auf meiner Hüfte gelegen hatte. Mein Herz raste in der Brust, doch ich ignorierte es. Ich wollte nur noch weg. Weg von diesen Gefühlen, die sich in mir aufbauten und mir einflüstern wollten, dass alles wieder gut werden könnte. Dass es Hoffnung gab.

Niemals würde wieder irgendwas gut werden. Ich hatte mein eigenes Volk verraten. Ich hatte Menschen verletzt und wegen mir waren Leute umgekommen!

Außer Atem blieb ich an der steinernen Mauer stehen, die das Schloss umringte, und ließ mich im Schatten eines Baumes fallen. Ich zog die Knie an und konzentrierte mich aufs Atmen. Ein und aus. Ein und aus.

»Wirklich alles in Ordnung?«

Wieder versteifte ich mich bei seiner Stimme. »Ja.« Wieso, zum Teufel, war er mir gefolgt?

»Rennen Frauen wirklich weg, wenn alles in Ordnung ist?«

Ich konnte nicht anders. Ein trockenes Lachen kam über meine Lippen, nicht weil ich mich amüsierte, sondern weil gerade er versuchte mir zu helfen. »Wenn du wüsstest, wer ich bin, würdest du mir nicht helfen wollen«, meinte ich tonlos.

Mein Blick streifte seinen. Ich konnte die Besorgnis in seinen Augen sehen, aber ich bezweifelte, dass er mich unter der Kapuze erkannte.

»Du kannst es darauf ankommen lassen.«

»Na gut, aber sage mir nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.« Ich nahm die Kapuze ab. Dabei ließ ich ihn keinen Moment aus den Augen.

Zuerst sah ich die Überraschung, danach die Wut. »Was zum Geier willst du hier?«

»Ich bin der Einladung von Mia und der Bitte von Melina, sie zu begleiten, nachgekommen.«

»Mia hat dich …« Er seufzte und wandte sich ab. »Halt dich von mir und meinen Freunden fern!«, rief er mir noch im Gehen über die Schulter zu.

Der bekannte Schmerz in meinem Herzen machte sich wieder bemerkbar. Und er beruhigte mich. Mias Verhalten hatte mich aufgewühlt, weil ich mit allem, nur nicht damit gerechnet hatte. Seine Reaktion eben ließ mich die Mauer reparieren, die leichte Risse bekommen hatte. Wenn er wüsste, dass ich nicht einmal hier sein wollte! Ich war der Bitte eines Menschen nachgekommen, der mir im letzten Jahr beigestanden hatte. Aber was ich wollte, schien niemanden mehr zu interessieren. Ich war die Böse. Egal wie ich es drehte und wendete. Das Leben war nicht immer fair und ich hatte meine Chancen verspielt.

Ich lehnte mich an den Baum und starrte in den blauen Himmel. Die Sonne strahlte auf mich herunter und ich schloss die Augen.

Ich vermisste den Wald. Die Stille. Die Einsamkeit.

Im Hintergrund hörte ich Menschen aufgeregt miteinander reden. Sie alle behandelten nur ein Thema: die Hochzeit des Königspaares. Auch Bernd und Lydia würden mit Mias kleinem Bruder kommen. Darum musste ich mir also auch keine Sorgen machen. Die Erbfolge des Königreiches Eventyr war gesichert. Erleichtert stieß ich die Luft aus.

Ich blieb an dem Baum gelehnt sitzen und lauschte den Gesprächen der Menschen. Das Geschnatter hatte überraschenderweise eine beruhigende Wirkung auf mich – vor allem weil sie nicht über mich sprachen. Sie wussten nicht einmal, dass ich hier war.