8,99 €
Das gibt's nur im Märchen? Dachte Marie auch! Seit Marie von ihren magischen Fähigkeiten weiß, ist ihr Leben wie verzaubert: Sie wird nun im Fairy Tale Camp zur Fairyhüterin ausgebildet. Vielleicht findet sie mithilfe der anderen im Camp endlich einen Hinweis, wohin ihre Mutter verschwunden ist? Doch auf der Spurensuche schweben sie in großer Gefahr. Denn Marie besitzt etwas, auf das es die Feinde der Märchenwelt abgesehen haben. Eine märchenhaft-magische Welt für Mädchen ab 10 - humorvoll erzählt und im angesagten Sketching-Stil illustriert Band 2 der zauberhaften Märchenreihe
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Corinna Wieja
Fairy Tale Camp – Eine Freundschaft wie im Märchen
Mit Bildern von Frau Annika
Das gibts nur im Märchen!
Seit Marie von ihren magischen Fähigkeiten weiß, ist ihr Leben wie verzaubert: Sie wird nun im Fairy Tale Camp zur Fairyhüterin ausgebildet. Vielleicht findet sie mithilfe der anderen im Camp endlich einen Hinweis, wohin ihre Mutter verschwunden ist? Doch auf der Spurensuche schweben sie in großer Gefahr. Denn Marie besitzt etwas, auf das es die Feinde der Märchenwelt abgesehen haben.
Wohin soll es gehen?
Buch lesen
Personenvorstellung
Anhang
Viten
Marie (12) stammt aus der Frau-Holle-Familieund besitzt eine magische Mal-Feder, die auch ihr Märchenschlüssel-Symbol ist. Sie ist noch nicht lange in Fairy Tale Camp und hofft, in der Märchenwelt ihre verschwundene Mutter zu finden. Die Anhänger ihres Glücksarmbands führen sie vielleicht auf die richtige Spur.
Rosalie, genannt Ro (12), ist eine waschechte Prinzessin und Nachfahrin von Dornröschen. Außerdem ist sie die Anführerin der Blauen Gilde – behauptet sie jedenfalls. Sie kann in die Zukunft sehen und ist Weltmeisterin im Augenverdrehen. Ihr Märchensymbol ist eine gläserne Rosenblüte.
Will (13) gehört zur Familie Der Wolf und die sieben Geißlein. In Wolfsgestalt ist er blitzschnell und seine feine Nase lässt ihn selten im Stich. Außerdem ist er ein prima Lianen-Beschwörer und Einhorn-Flüsterer. Sein Märchenschlüssel ist ein kleiner blauer Stein.
Jake (13) ist der Urururur-Enkel von Rapunzel. Besonders stolz ist er auf seine heilenden Haare und seine tolle Frisur. Er ist nie um einen Spruch verlegen und reißt seine große Klappe am liebsten bei Kabbeleien mit Will auf. Sein Märchenschlüssel-Symbol ist ein Kamm.
Penelope, genannt Poppy (12), ist mit Rotkäppchen verwandt. Da sie ihre magische Gabe noch nicht kennt, unterstützt sie die Blaue Gilde im Hintergrund. Ihr größter Schatz ist ihr Wissen, womit sie ihren Freunden aus so mancher Falle hilft. Ihr Märchenschlüssel ist ihre rote Mütze.
Ella (12) ist eine Nachfahrin von Aschenputtel und versteht die Sprache der Tiere. Wie Poppy ist sie im „Team Wissen“ und unterstützt die anderen mit wertvollen Informationen. Ihre Maus Miss Meggy gibt ihr dafür oft wertvolle Tipps. Ihr Märchenschlüssel ist eine Haselnuss.
Das Wildschwein im Zimmer schnappte nach mir. Es war stinksauer auf mich. Wegen der Kastanien vermutlich. Ich hing wie eine nasse Socke an der kitzligen Liane und baumelte als kleiner Snack vor seiner Nase herum. Oh weia!
Dieser Satz klang genauso schräg wie: Die Prinzessin badete in einem Blumenkelch voller Pflaumenmus. Und doch traf beides zu. Magie kann echt nervig sein.
Hallo, ich bin übrigens Marie Brunner und vor einer Woche hätte ich laut gelacht, wenn mir jemand erzählt hätte, dass es Magie wirklich gibt. Oder dass ich mir ein Zimmer mit einer schnarchenden Prinzessin teilen würde.
Inzwischen weiß ich, dass die Nachfahren der Märchenwesen unerkannt unter uns leben, dass die Märchenwelt durch einen Außen-pfui-innen-hui-Zauber vor menschlichen Augen verborgen ist und dass meine Mutter dort ein echter Star war. Mein ganzes Leben lang hatte ich davon nichts geahnt, denn meine Mutter war verschwunden und mein Paps und meine Omimi hatten keinen Schimmer von ihrer – und meiner– magischen Begabung. Kurz nach meinem zwölften Geburtstag zeigte sich diese Gabe jedoch so plötzlich wie ein Pickel auf der Stirn. Nachdem ich versehentlich meiner Lehrerin eine Torte ins Gesicht geweht hatte, lud die Grimmsche Gilde mich in ein Feriencamp der ganz besonderen Art ein, damit ich meine Zauberkräfte trainieren konnte. In ein Märchenschloss, das gleichzeitig ein Internat war. Und deshalb saß ich jetzt auch knietief im Schlamassel. Oder besser gesagt: Ich hing wie Tarzan an glitschigem Grünzeug herum, während das wild gewordene Wildschwein unter mir herumtanzte und mich verspeisen wollte.
Magische Märchenwelt – das klang so verlockend. Pah! Saugefährlich war es hier. Ja, geradezu lebensbedrohlich.
Wie um das zu beweisen, donnerte und blitzte es wieder über mir. Ich wischte mir eine klatschnasse Strähne aus dem Gesicht und blickte genervt zu der Regenwolke, die ich herbeigewünscht hatte.
Okay, jetzt fragst du dich sicherlich, warum ich es regnen ließ. Und vielleicht auch, wie das Wildschwein ins Zimmer kam. Oder warum ich an einer Liane rumhing. Also gut, ich erzähle es dir. Auch wenn es obersupermegapeinlich für mich ist.
Schuld an allem war diese dusselige Aufnahmeprüfung für angehende Fairyhüter und -hüterinnen. Die Aufgabe der Hüter bestand darin, gefährliche Zauberfallen in der Märchen- und Menschenwelt zu entschärfen und magische Artefakte zu retten. Nur Hüter besaßen Schlüssel zu den verschiedenen Märchenwelten. Ich wollte die Prüfung unbedingt bestehen, damit ich Hüterin werden und in den Märchenwelten mit meinen Freunden nach meiner Mutter suchen konnte. Und nach der fiesen Diebin, die ganz Fairy Tale in Angst und Schrecken versetzte. Aber im Moment sah es eher so aus, als ob ich durchfallen würde. Und wenn das passierte, würde ich für immer und ewig aus Fairy Tale Camp verbannt werden. Sicherlich sehr zur Freude unserer Ausbilderin Elinor und der Königlichen Karotten mit ihrem Anführer Prinz Severin. Die lagen ständig in Wettstreit mit uns und hielten sich für was Besseres.
Meine Stimmung war deshalb so regendüster wie die Wolke, die über mir hing. Dabei hatte der Tag so sonnig angefangen …
Noch vor dem jauligen „Kööökerikööö!“ des Hahns der Bremer Stadtmusikanten sprang ich aus dem Bett. Hätte ich geahnt, dass mir eine Verfolgungsjagd mit einem Wildschwein bevorstand und mir ein Einhorn Rätselaufgaben stellen würde, hätte ich mir die Decke gleich wieder über den Kopf gezogen. So aber sang ich gut gelaunt mit, als Hahn Gregor in aller Frühe seine Lieblingslieder krächzte und krähte. Er ersetzte momentan den kaputtgegangenen Gong, der sonst immer alle im Camp weckte. Als ich aus der Dusche stieg, trällerte er fröhlich „Guten Morgen, Sonnenschein!“.
Auch sonst war das Feriencamp in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Auf der Schlaraffenlandwiese, die das Schloss umgab, standen Bäume, an denen Kuchen und Schokoladenfrüchte wuchsen. Und in Schloss Fairy Tale selbst gab es jede Menge Magie, zauberhafte Bewohner und gut gehütete Geheimnisse.
Prinzessin Rosalie, mit der ich mir das Zimmer teilte, schlief noch selig ihren Dornröschenschlaf und schnarchte dabei sehr unprinzessinnenhaft. Mit einem Ruck zog ich ihr die Decke weg. Das machte sie sonst immer bei mir.
„Guten Morgen, Schnarchnase! Aufstehzeit!“
„He, wasch-das“, nuschelte sie in ihr Kissen. Die blauen Haare verdeckten ihr Gesicht. „Außerdem schnarchen Prinzessinnen nicht.“
„Von wegen! Du sägst einen ganzen Märchenwald zusammen.“
Ungeduldig tippte ich mit dem rechten Fuß auf den Boden. „Jetzt steh schon auf, Ro! Bist du denn gar nicht nervös, weil es heute endlich losgeht?“
„Mhmhm“, grummelte sie.
Ich hopste ungeduldig neben dem Bett auf und ab und wedelte dabei mit dem Stundenplan vor ihrer Nase herum. „Oder willst du gleich hier duschen? Das geht schneller. Du weißt, meine Regenwolken sind allererste Sahne.“ Ich kicherte, denn der Trick zeigte sofort Wirkung. Ro setzte sich kerzengerade auf.
„Wehe!“, schimpfte sie. „Du hast deine Zauberwolken ja gar nicht im Griff.“ Wie angestochen sprang sie aus dem Bett und verschwand im Bad.
„Hey, ich hab geübt!“, rief ich ihr nach. Allerdings machten meine Frau-Holle-Wolken noch nicht immer das, was ich von ihnen wollte. Sie waren wie ein Barometer, das meine Gefühle zeigte, und tauchten leider oft auch unerwünscht auf.
Ich packte meine magische Feder und den Skizzenblock in die Tasche meines Hoodies. Dabei strahlte ich immer noch so breit, dass ich wahrscheinlich aussah wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“. Ehrlich gesagt, taten mir schon die Wangen weh, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Das fette Lächeln saß mir im Gesicht wie festgetackert. Und dafür gab es einen guten Grund: Heute sollte endlich das Märchenrettungs-Training beginnen!
Gestern Abend waren in unserem Stundenplan wie durch Zauberhand zwei neue Kurse aufgetaucht. Zwischen Fallen, Flüche und Gefahren im Märchen und Magisch fit – Zopfklettertechniken und Apfellauf standen nun Schlösser knacken für Anfänger und Das Abc der Märchensprünge – Tutorentraining der zauberhaften Art.
Kurz darauf war Hausmutter Rosenrot bei uns ins Zimmer gewatschelt und hatte uns beiden einen goldenen Umschlag überbracht. In schnörkeliger Schrift stand darauf:
Einladung
Herzlichen Glückwunsch! Der Magische Rat hat Sie zur Ausbildung als Fairyhüterin zugelassen. Bitte finden Sie sich pünktlich zum Kursbeginn um elf Uhr im Nordflügel des Schlosses, oberstes Stockwerk, ein. Das Training ist zusätzlich zum normalen Unterricht zu leisten. Ihre Stundenpläne wurden dahin gehend angepasst.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und freuen uns auf eine angenehme und erfolgreiche Zusammenarbeit.
Hochachtungsvoll
der Magische Rat der Grimmschen Gilde
Gemeinsam mit Ro lief ich nun zum Frühstückssaal. Wie immer herrschte reges Treiben und munteres Geplapper schallte uns entgegen. Die meisten der runden Tische waren bereits besetzt. Vor der Theke schwebte die Speisekarte in der Luft und das Tischleindeckdich auf der rechten Seite des Raumes bog sich unter der Last des Frühstücksbüfetts. Der Koch, Meister Rumpelstilzchen, war dahinter gut an seiner hohen weißen Mütze zu erkennen. Mit verschränkten Armen und einem großen Kochlöffel in der Hand beaufsichtigte er alles mit Adleraugen. Er sorgte auch dafür, dass der magische Schokobrunnen mit dem Lama in der Mitte niemanden vollspuckte. Wir holten uns Kakao und Müsli und schauten uns nach unseren Freunden um. Unwillkürlich musste ich grinsen, als ich Jake entdeckte.
Er sprang wie ein Flummi an unserem Stammplatz in der Mitte des Raumes auf und ab und wedelte dabei mit den Armen. Seine unglaublich glänzenden blonden Haare, die er von seiner Vorfahrin Rapunzel geerbt hatte, wippten im Takt mit. „Ro, Sommersprosse! Hier drüben sind wir!“
Mit „wir“ meinte er Will, Poppy und Ella, die ihm Gesellschaft leisteten und bereits ihr Frühstück mampften.
Wir schoben uns an den hochbeinigen Stühlen vorbei zu unserem Tisch.
„Seid ihr auch schon so aufgeregt?“ Ich ließ mich auf den freien Platz neben Will plumpsen. Er schenkte mir ein müdes Lächeln und biss schweigend in sein Marmeladenbrötchen. Morgens war er immer ein bisschen muffelig.
„Klar!“, meinte Poppy. Wie immer war die Nachfahrin von Rotkäppchen ganz in leuchtendes Rot gekleidet. „Ich bin gespannt, wen wir als Lehrer für die beiden zusätzlichen Fächer bekommen.“
„Vielleicht ja Herrn Zwack“, meinte Ella. Sie saß neben Poppy und gehörte zur Aschenputtel-Familie. Ihr Blick schwenkte zum Lehrertisch am anderen Ende des Saals. Herr Zwack, ein Nachfahre aus Schneeweißchen und Rosenrot, hatte sich gerade aus seiner Bärengestalt verwandelt und nahm nun als Mensch auf seinem Stuhl Platz. Er trug einen schicken Anzug und eine geblümte Weste. „Das wäre cool. Er ist immer so elegant.“ Sie setzte einen verträumten Blick auf und steckte ihrer Maus Miss Meggy ein Apfelstück zu.
„Und mindestens genauso haarig wie unser Sieben-Geißlein-Wölfchen“, meinte Jake und wuschelte Will durch die braunen Haare.
„He, lass das, Locke!“ Will gab Jake einen Rempler mit. Die zwei hatten sich ständig in der Wolle, meinten es aber nie ernst.
„Viel wichtiger ist, dass er gut erklären kann.“ Poppy nieste. Sie reagierte auf Tiere allergisch.
Ella setzte Miss Meggy rasch auf ihren Schoß „Entschuldige, aber ich kann Miss Meggy nicht allein auf dem Zimmer lassen. Da macht sie nur Blödsinn.“
„Schon gut“, schniefte Poppy. „Irgendwann gewöhne ich mich vielleicht noch dran.“
Jake reichte ihr ein Taschentuch. „Hier, Maid Rotznase. Ein echter Prinz weiß, was sich gehört.“
Will verdrehte die Augen. „Du bist eher ein Frosch, Prinz Labertasche“, muffelte er zwischen zwei Bissen.
„Uh, unser zauseliges Wölfchen ist heute aber gesprächig. Hast du Meister Rumpelstilzchens Quasselquallen gefrühstückt?“ Jake grinste gutmütig.
„Nicht streiten, Jungs“, meinte Ro und verdrehte die Augen. „Spart euch eure Kräfte für später auf.“
Ein Gong ertönte und ich sah, dass unsere Lehrerin Frau Schneeberger am anderen Ende des Saals aufstand. Wie immer war sie ganz in Weiß gekleidet. Ihre fliegenpilzroten Lippen und Nägel bildeten den einzigen Farbklecks an ihr. Selbst ihre zum Dutt hochgesteckten Haare schimmerten weiß. Sie schnippte mit den Fingern und räusperte sich.
Herr Zwack reichte inzwischen ein rotes Märchenbuch herum. Der schwere Wälzer hatte früher dem einstigen Besitzer des Schlosses, Graf Heinrich von Rosentau aus der Froschkönig-Familie, gehört. Vor Jahrhunderten hatte der Graf mit der Hilfe seiner Freunde und mit diesem Buch den bösen Zauberer Arkantus besiegt, der damals für Angst und Schrecken gesorgt hatte. Die Magie der vereinten Märchen war angeblich besonders stark.
„O-kay, ihr Lie-ben,
hört auf mei-nen Beat.
Gemein-sam sin-gen wir
jetzt un-ser Lied!“,
rief Frau Schneeberger.
„Und eins und zwei und drei …“
Herr Zwack machte dazu im Takt: „Bumm, bumm, tscha, bumm, bumm, tscha.“
„Oh, das Morgenritual!“, rief ich. Das gemeinsame Singen beim Frühstück mochte ich total. Im Gegensatz zu Will, der sich eilig Stöpsel in die Ohren steckte. Als Wolfswandler hörte er jeden schiefen Ton doppelt so laut wie wir.
Begeistert sang ich mit, als alle im Saal losgrölten. Das Märchenbuch wanderte dabei von Hand zu Hand.
„Ob Fee, ob Prinz, ob Tier oder Zwerg,
ob Hexe oder Riese, größer als ein Berg,
wir freuen uns auf dich und reichen dir die Hand,
egal, wer du bist, egal, aus welchem Land.
Hier sind wir vereint, denn das ist unsre Welt.
Ein Strauß voll bunter Märchen, wie es uns gefällt.
Die Märchen zu schützen, ist unser Bestreben.
Mit Herz und Verstand woll’n wir alles geben.
Denn nur mit Freundschaft und viel Fantasie
obsiegen Märchen und die Magie!“
„Zauberhaft, wirklich zauberhaft“, schwärmte Frau Schneeberger. „Und nun wünsche ich euch einen märchenhaft schönen Tag.“
Überall wurden Stühle gerückt und Geschirr klapperte, als sich alle auf den Weg zu ihren Kursen machten.
„Was habt ihr jetzt?“, fragte ich die anderen.
„Königliche Tänze für Royals“, sagte Ro trübsinnig.
„Geheimnisse der Hexenkunst“, kam es von Ella und Poppy.
„Pferd und Co – mit Fabelwesen auf Du und Du“, erwiderten Will und Jake.
„Und du?“
„Märchenkunde“, antwortete ich geknickt. Zu gern hätte ich einen Kurs gemeinsam mit meinen Freunden besucht.
„Das kann auch … äh … spannend sein“, meinte Will tröstend. In seiner Miene stand jedoch Mitgefühl.
„Was heißt kann? Das ist total spannend!“, verkündete Poppy mit leuchtenden Augen.
„Mal sehen.“ Ich seufzte. „Bis später.“ Allein machte ich mich auf den Weg.
Wie sich herausstellte, hatte ich eine Einzelstunde bei Frau Schneeberger.
„Du hast allerhand aufzuholen“, erklärte sie und blickte mich durch ihre rote Brille streng an. Dann fütterte sie mich gnadenlos mit allerlei Informationen über Zwerge, Hexen und Riesen.
Als ich schließlich kurz vor elf über die Schlaraffenlandwiese zum Nordflügel trottete, wo ich die anderen treffen sollte, brummte mir der Kopf. Die Sonne strahlte vom Himmel und malte bunte Tupfen auf die Milchig, den weißwässrigen Fluss, der sich durch das wogende Gras zog.
Ein paar Schritte vor mir entdeckte ich Ro. Ich legte einen Sprint hin, um sie einzuholen. Schnaufend kam ich neben ihr an.
„Hallo, Ro, wie war dein Vormittag?“
„Frag nicht.“ Ro zog eine finstere Miene und strich sich über ihr T-Shirt, auf dem ein Drache eine feuerrote Flamme spuckte. „Ich musste wieder lauter Prinzessinnengedöns machen. Wieso zur klebrigen Blattlaus soll ich Ballett und Walzer tanzen können? Das hilft mir auch nicht, wenn ich mal in Gefahr gerate. Außerdem bin ich keine malefizige Gummipflanze, die sich in alle Richtungen verbiegen kann. Ich bekomme nur einen Drehwurm davon. Ich fänd’s viel nützlicher, wenn wir üben würden, wie man auf ein galoppierendes Pferd aufspringt.“
„Oh weia, das klingt anstrengend. Mich hat Frau Schneeberger mit allerlei Märchenwissen gegrillt. Wusstest du, dass nur Gartenzwerge Zipfelmützen tragen? Und dass es Pflanzen gibt, die blaue Schutzflammen zündeln, wie den Brennenden Busch?“
„Ja.“ Ro unterdrückte ein Gähnen.
„Klar weißt du das. Vermutlich gibt es nichts, was ich weiß und du nicht“, sagte ich. Ein leichter Hauch von Enttäuschung stieg in mir hoch, denn ich hätte Ro zu gern mit meinem aufregenden neuen Wissen beeindruckt.
„Das ist doch ganz normal“, meinte Ro. „Mach dir nichts draus. Ich bin mit der Magie und der Geschichte der Märchen aufgewachsen. Du nicht.“
Musste sie mir unbedingt unter die Nase reiben, dass ich nicht richtig dazugehörte? Schweigend liefen wir ein paar Schritte nebeneinanderher, doch lang hielt ich die Stille nicht aus. Dazu war ich viel zu aufgedreht.
„Was meinst du, bekommen wir heute schon unseren ersten Auftrag? Was werden wir wohl machen müssen?“ Aufgeregt hopste ich neben Ro her. Dabei wäre ich fast über Wanda gestolpert. Die Knusperhexe saß unter einem Schokoapfelbaum und mampfte ein Lebkuchenherz. Sorgfältig brach sie sich kleine Stücke ab, wodurch ihr braune Krümel auf den roten Rock bröselten.
„Boah, Marie, kannst du das Gehopse mal lassen? Du bist doch kein Frosch!“ Ro blieb stehen und verdrehte die Augen. „Nein, wir bekommen bestimmt noch keine Mission. Zuerst müssen wir ausgebildet werden, damit wir auf Gefahren vorbereitet sind. Und glaub mir, davon gibt es reichlich. Deshalb werden nur die Besten als Fairyhüter zum Rettungseinsatz in die Märchenwelten geschickt. Wenn wir die Prüfungsaufgaben vermasseln, dann können wir das Ganze vergessen.“
Seit ich sie kannte, was zugegebenermaßen noch nicht lange war, schwärmte sie davon, Fairyhüterin zu werden.
„Echt jetzt?! Noch mehr Prüfungen? Aber wir waren doch schon in einem Mär…“ Ro warf mir einen gewitterschwarzen Blick zu und ich biss mir auf die Lippe. Ups, beinahe hätte ich mich verplappert. Niemand durfte wissen, dass wir in ein Gemälde eingestiegen waren, um Severin alias Prinz Erbsenhirn aus der Märchenwelt von Jorinde und Joringel zu befreien, wo er in einer magischen Falle festgesessen hatte. Offiziell hatte Frau Schneeberger ihn gefunden. Nur die Kröte Ludmilla, die im Keller von Schloss Fairy Tale lebte, wusste ebenfalls Bescheid. Aber die war zum Glück von Natur aus sehr schweigsam. Hier auf der Schlaraffenlandwiese jedoch hatten selbst die Blumen Ohren. Ich warf einen hektischen Blick zu Wanda, doch die hatte verträumt die Augen geschlossen und knabberte an ihrem Lebkuchenherz.
„Ro, Marie, wo bleibt ihr denn?“, dröhnte plötzlich Ellas Stimme in meinem Kopf.
Ich umfasste die Frosch-Brosche an meinem Shirt und strich darüber. Das Ding war so was wie ein Handy zum Anstecken, nur dass es mit Gedankensprache funktionierte. Man musste sich vorstellen, mit wem man reden wollte, und schwups konnte man telefonieren. Vorausgesetzt, der oder die andere trug auch so einen Frosch.
„Wir sind gleich da“, erklärte Ro. Zielstrebig lief sie auf den Nordturm von Schloss Fairy Tale zu.
Unterwegs kamen wir an dem weißen Pavillon vorbei, der von der Teerose Aurora umrankt wurde. Huldvoll neigte sie die Blütenköpfe, als sie Ro entdeckte. Da Rosalie eine Nachfahrin von Dornröschen war, liebten die Blumen sie.
„Was riecht denn hier so komisch angebrannt?“ Ich sah mich suchend um. Hatte Aurora vielleicht einen besonderen Kuchen gebacken? Auf dem Tisch im Pavillon stand nichts. Einige ihrer Blüten hatten jedoch braune Ränder und an manchen Knospen schienen merkwürdige blaue Funken zu züngeln – wie bei diesem Brennenden Busch, den mir Frau Schneeberger gezeigt hatte.
„Sehr merkwürdig. Ich hab noch nie eine welke Blüte gesehen.“ Ro schritt auf die Rose zu und berührte sie sacht. Ein braunes Blütenblatt segelte zu Boden.
„Alle Blumen welken doch irgendwann mal“, sagte ich.
Ro runzelte die Stirn. „Hier im Schlaraffenland nicht.“ Sie beugte sich ganz nah zu der Teerose. „Bist du krank, Aurora? Oh nein, hast du etwa Flintflöhe?“ Ro strich über ein Blatt und die komischen Funken stoben auseinander.
Ein Rauschen ging durch die Blüten, als ob die Rose zittern würde.
Noch einmal strich Ro über die schneeweißen Blüten und es kam mir so vor, als würden die braunen Ränder ein wenig verblassen. Jedoch blieb ein brauner Fleck wie von verschmierter Schokolade auf manchen Blütenblättern zurück.
„Diese fiesen Flöhe“, schimpfte Ro. „Sie saugen Aurora mit dem Pflanzensaft auch ihre Magie aus. Eigentlich leben die Krabbler nur in den Wacholder-Sümpfen, wo sie sich von süßen Leuchtpilzen ernähren. Angeblich sind sie Werkzeuge schwarzer Magie.“
Uh, gruselig. „Glaubst du, es liegt an dem Fluch, der die Bilder befallen hat, dass sie sich auch hier ausbreiten?“
Schon seit einer Weile geschahen seltsame Dinge im Camp. Ein merkwürdiger Flechtenfluch hatte die Originale der Märchenbilder befallen, die Zugang zu den Märchenwelten gewährten. Die Gemälde wucherten zu und verloren ihre Magie. Mit unseren Märchenschlüsseln konnten wir die Flechten einigermaßen in Schach halten. Jede und jeder von uns hatte ein solches Symbol von seinem Märchen geschenkt bekommen. Meins war meine magische Mal-Feder. Ro besaß eine gläserne Blüte. Aber seit einer Weile trieb eine mysteriöse Diebin ihr Unwesen im Märchenschloss. Sie klaute den Bewohnern ihren kostbarsten Besitz – den Märchenschlüssel – und raubte ihnen damit auch die Magie. Fairys ohne Märchenschlüssel wurden schwer krank, manche starben sogar.
„Quatsch!“, erwiderte Ro. „Hinter fiesen Flüchen stecken immer Menschen. Vielleicht hat die Diebin die Flintflöhe ausgesetzt.“
Verblüfft schaute ich sie an. „Wieso sollte sie das denn tun? Es ist doch bestimmt nicht einfach, die kleinen Brummer einzusammeln.“
Vorsichtig beugte ich mich über eine Blüte und betrachtete einen der knallroten Käfer. „Die sehen doch ganz hübsch und friedlich aus!“, befand ich und ging noch ein Stück näher heran. Da schoss plötzlich eine blaue Flamme aus dem Käfermund, wie bei einem Drachen. „Woah!“ Ich zuckte zurück und rieb mir den Arm. „Ganz schön heiß. Okay, die Biester sind echt gemein. Wie werden wir die Viecher los?“
Ro verschränkte die Arme. „Wir könnten sie einsammeln. Aber davon wird Aurora auch nicht gesund.“
Ich sah, wie einer der Käfer seinen langen Saugrüssel wie einen Strohhalm in eine Blüte steckte. Ein leises Schlurp-schlurp war zu hören, während sich das Weiß der Blume mit jedem Schlürfen ein Stückchen brauner färbte.
Ro runzelte die Stirn. „Das Schlaraffenland ist für alle zugänglich. Wenn die Flintflöhe sich weiter ausbreiten, haben wir ein riesiges Problem. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese mysteriöse Diebin dahintersteckt.“
Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf. Das klang nicht gut. Gar nicht gut. Ob diese Diebin wohl auch für das Verschwinden meiner Mutter verantwortlich war? Was wollte sie mit ihren ganzen Gemeinheiten überhaupt bezwecken?
Fast hätten wir sie vor ein paar Tagen im Keller geschnappt. Im letzten Moment war sie uns jedoch entwischt. Wie sie aussah, wussten wir nicht, weil sie sich unter einem schwarzen Kapuzenmantel verborgen hatte. Nur ihre roten Lippen waren in der Dunkelheit zu erkennen gewesen. Und ihr riesig großer, gefährlicher Hund.
„Wir müssen diese Frau finden!“, sagte ich entschlossen. „Dieser Fluch muss endlich gebrochen werden.“
„Ja“, stimmte Ro zu. „Aber jetzt müssen wir erst mal zur Prüfung.“
Wir stiefelten weiter Richtung Turm.
„Da seid ihr ja endlich!“, rief Poppy. Sie tigerte vor dem majestätischen bogenförmigen Eingang auf und ab. Ella stand neben ihr. Miss Meggy thronte auf ihrer Schulter und knabberte an einer Haselnuss.
„Bereit für die Ausbildung?“, fragte Ella.
„So bereit, wie es geht“, antwortete Ro. „Wo sind die Jungs?“
Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, bogen Will und Jake im Dauerlauf um die Ecke.
„Sind wir zu spät?“, hechelte Will. „Locke hat mal wieder ewig gebraucht, um sich aufzustylen.“ Er schenkte Jake einen finsteren Blick, dann zwinkerte er mir zu. Die Sprenkel in seinen Augen funkelten.
Ungerührt zupfte Jake sich einen unsichtbaren Fussel von seinem Paillettenshirt. Darauf prangte der Spruch: Der mit dem Wolf Ball spielt. „Ist ja klar, dass du das nicht verstehst, Flohpelz. Aber meine Hose ist beim Reittraining dreckig geworden, noch dazu an einer sehr unvorteilhaften Stelle. Und gutes Aussehen ist wichtig.“
„Ach ja? Wieso?“ Will fuhr sich durch seine braune Wuschelmähne. „Es ist doch schnurzegal, ob du eine blaue oder eine grüne Hose zum Training trägst. Oder glaubst du, du kannst die magischen Fallen mit deinem Aussehen blenden?“
„Wer weiß? Abgesehen davon muss ich mich wohlfühlen. Das geht nicht, wenn ich Erdflecken am Hintern habe, weil mich dieser störrische Klepper abgeworfen hat. Und du musst zugeben, die Mühe hat sich gelohnt.“ Er fuhr über die Wendepailletten und plötzlich hielt der Wolf auf dem Shirt einen Ball im Maul.
Will verdrehte die Augen. „Haha, sehr witzig.“
Ro kicherte und meine Mundwinkel zuckten, denn wir alle wussten, dass Will eine ausgeprägte Schwäche für Bälle hatte.
Ro stieß die Tür auf und stieg die breite Treppe hinauf. Wir folgten ihr.
„Ist das … ächz … schon Teil des Trainings?“, schnaufte ich nach der hundertdrölfzigsten Stufe. „Und warum nehmen wir nicht einfach den nächsten Brunnen?“
Normalerweise benutzten meine neuen Freundinnen und Freunde die Brunnen von Schloss Fairy Tale wie Straßenbahnen oder Aufzüge, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.
„Die sind heute Morgen ausgefallen“, erklärte Ro. „Frau Schneeberger muss sie mit einem neuen Schutzzauber versehen, damit kein Eindringling per Brunnenexpress ins Schloss gelangen kann.“ Sie schaute über die Schulter zu mir. „Falls die Diebin von außerhalb kommt.“
„Es sind ja auch nur noch hundertsiebenundzwanzig Stufen bis zu Graf Huberts Büro“, meinte Ella fröhlich. Sie ergriff meine Hand und zog mich mit sich. Federleicht wie ein Eichhörnchen hopste sie vor mir her.
Völlig atemlos standen wir eine Weile später im Vorzimmer von Graf Hubert, dem Besitzer und Leiter von Schloss Fairy Tale. Hinter dem Schreibtisch saß jedoch nicht Graf Hubert, sondern Frederick aus der Gestiefelter-Kater-Familie. Miss Meggy verschwand mit erschrockenem Quieken unter Ellas Haaren.
„Ah, wie fantatztisch, da seid ihr ja!“, begrüßte er uns. „Salüt, Mademoiselle Marie.“ Schwungvoll zog er seinen Hut, dass die rosa Feder daran wehte. „Wie vortrefflisch, disch heute zu sehön.“
Ich freute mich genauso, ihn zu treffen. Als ich den Kater kennenlernte, saß er in einem Gemälde fest und konnte nicht mehr sprechen, weil sein magischer Hut verschwunden war. Ich hatte ihm einen neuen Hut gemalt und ihn dadurch befreit. Dafür war er mir so dankbar, dass er mich bei jeder Begegnung mit Freundlichkeit förmlich überschüttete.
Das ist übrigens meine zweite Gabe: Mit meiner Zauberfeder kann ich magisch malen. Alles, was ich aufs Papier bringe, findet sich bald darauf in der Wirklichkeit wieder. Wenn auch meist nur für kurze Zeit.
„Danke, Frederick, mir geht es gut, und dir?“, fragte ich.
„Oh, isch fühle misch miausgezeichnet, dankö. Es tut gut, nischt mehr nur miauen zu müssen. Endlisch kann ich wiedärr Sekretär sein.“ Er beugte sich zu mir und flüsterte: „Comte ’übääär glaubt, er leitet die Schloss, aber in Wahr’eit schmeiße isch den Laden. Also, wenn du mal etwas brauchst, wende disch vertrauensvoll an misch.“
Ich lächelte, als der rot-braun getigerte Kater auf meinen Arm sprang, um mir links und rechts zwei Küsschen über die Schulter zu hauchen. Der Absatz seines winzigen rechten schwarzen Stiefels verhakte sich in meinem Armband und brachte es zum Klimpern.
„Oh, keine Sorge“, maunzte Frederick. „Meine Stiefel sind blitzblank und weisch wie Butter. Die machen nichts dreckig oder kaputt.“
„Dann ist es ja gut.“ Ich kraulte ihn hinter den flauschigen Ohren und er fing laut zu schnurren an.
„Ich werde Comte ’übääär melden, dass ihr da seid.“ Mit einem eleganten Satz sprang Frederick von meinem Arm.
Er lief zu einer Seitentür und öffnete sie, indem er auf die Klinke sprang. Als ich ihm hinterhersah, entdeckte ich die Kröte Ludmilla. Sie saß halb versteckt neben einer Topfpalme und sah mich mit großen Augen an. Auf ihrem Kopf thronte ein schicker grüner Hut mit Feder.
„Guten Morgen, Ludmilla. Was machst du denn hier?“, fragte ich freundlich. Von Frau Schneeberger wusste ich, dass sie nur selten den Keller verließ.
Die große braune Kröte musterte mich kurz von oben bis unten und gab einen Rülpser von sich. Dann setzte sie zu einem mächtigen Sprung an und hüpfte direkt auf meine Schuhe. Dort verharrte sie kurz und blähte die Backen auf. Es machte pfffrrrt, als hätte man die Luft aus einem Luftballon gelassen, und dann fiel klirrend etwas zu Boden.
„He, du hast was verloren!“, rief ich, während die Kröte auf die Vorzimmertür zusteuerte. Ich hob den schillernden Anhänger auf, den sie ausgespuckt hatte, doch Ludmilla drehte sich nicht um. Sie hüpfte erstaunlich schnell zur Tür, hebelte sie mithilfe ihrer unfassbar langen Zunge auf und verschwand im Flur.
„Ich hab leider kein Wort von ihrem Rülpsen verstanden, denn diesen Krötisch-Dialekt spreche ich nicht“, sagte Ella. „Die Sprache ist sehr speziell und schwierig. Aber ich glaube, sie will dir Glück wünschen und hat dir den Anhänger geschenkt.“
„Örks!“ Ich rümpfte die Nase und kramte ein Taschentuch aus meiner Hose, um den schleimigen Krötenrotz von den Sneakers und der glitzernden Mini-Krone abzuwischen, die Ludmilla mir vor die Füße gespuckt hatte. Neugierig musterte ich das goldene Schmuckstück. Es ähnelte ein bisschen den Anhängern an dem Glücksarmband meiner Mutter. Gedankenverloren streifte ich darüber und das Kettchen an meinem Handgelenk klirrte erneut leise. Erst kürzlich hatte ich einen Anhänger gefunden, den meine Mutter verloren hatte. Ob Ludmilla glaubte, dass dieser Anhänger auch meiner Mutter gehört hatte? Oder wollte sie mir mit dieser Krone etwas anderes sagen? Wenn ja, was? Nachdenklich hakte ich die Krone in einem Glied des Armbands ein. Kühl schmiegte sie sich an meine Haut.
„Kröte am Morgen führt zu Glück und Rekorden“, orakelte Jake neben mir, worauf Will ein genervtes Schnauben von sich gab.
„Das reimt sich nicht mal richtig“, meckerte er.
„Klar tut es das“, erwiderte Jake. „Du hast ja keine Ahnung von feiner Poesie, Flohpelz.“
„Jungs, nicht schon wieder streiten“, beschwichtigte Poppy, denn Frederick war wieder da und winkte uns zu sich.
„Ihr dürft schnurr-stracks eintröten“, sagte er. „Isch wünsche eusch einen fantatztisch schönen Tag. Und bonne chance für eure Mission.“ Der Kater scheuchte uns ins Zimmer von Graf Hubert und die Tür fiel mit einem Rums hinter uns zu.
Hätte ich geahnt, was uns erwartete, hätte ich wohl auf der Stelle kehrtgemacht.
Graf Huberts Arbeitszimmer war ziemlich groß und wirkte unaufgeräumt, aber gemütlich. Eine Wand wurde fast vollständig von einem kunstvoll gewebten Wandteppich eingenommen, der einen Ritter auf einem Pferd zeigte. Das Froschkönig-Wappen prangte auf seinem Schild, also war das wohl Graf Heinrich von Rosentau, Graf Huberts Urahn. Davor stand ein riesiger rotbrauner Schreibtisch, auf dem ein Bücherberg aus einem Meer von Papier hervorragte. Die geschwungenen Prankenfüße des Schreibtischs wiesen zahlreiche Kratzspuren auf. Auch die Schränke waren verschrammt. Ich hatte einen leisen Verdacht, wer dafür verantwortlich war. Denn in einer Ecke neben dem Schreibtisch saß ein riesiger Vogel auf einem gigantischen Hundebettchen und knabberte an einem basketballgroßen Wollknäuel. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Vorne war das Tier ein Adler mit Schwingen – und hinten ein Löwe! Ein Greif!
„Quakt nur herein!“, rief Graf Hubert fröhlich. Er stand von seinem Platz hinter dem Schreibtisch auf und winkte uns näher. „Und lasst euch nicht von Merlin erschrecken. Er ist nur ein Zwerg-Greif und in Wahrheit ein richtiges Schmusebärchen. Nicht wahr, mein Kleiner?“ Er tätschelte dem Greif liebevoll den Kopf.
Das Schmusebärchen schnurrgurrte so laut, dass der ganze Raum zu vibrieren schien. Als es den Kopf an sein Herrchen schmiegte, warf es Graf Hubert beinahe um. Denn obwohl der Graf stand und das Monsterviech immer noch saß, reichte Merlin ihm beinahe bis zur Hüfte. Dabei war unser Direx eine ziemlich majestätische Erscheinung. Er hatte eine Vorliebe für altmodische Klamotten und sah immer so aus, als ob er aus einem Gemälde des 19. Jahrhunderts gefallen wäre. Oder aus einem dieser Wandteppiche, die hier überall herumhingen. Heute war seine schlaksige Gestalt in eine braun-golden gestreifte Hose und eine rote Samtweste gehüllt, an der eine goldene Taschenuhr hing. Sein silbergraues Haar umrahmte den Kopf wie eine flauschige Wolke.
„Nehmt Platz, quak“, forderte Graf Hubert uns auf. Er selbst lief bereits hinüber zu der riesigen Sitzecke auf der anderen Seite des Zimmers.
Drei grüne, extralange, abgewetzte Ledersofas bildeten dort ein U, zwei rote Sessel schlossen den Sitzkreis wie ü-Pünktchen ab. Die beiden Personen, die darin saßen, hatten ihre Blicke stumm auf uns gerichtet. Unwillkürlich überlief mich ein Brauseprickelgefühl und ich merkte, wie Ro neben mir den Kopf senkte. Mein Blick ging von Frau Schneeberger zu der mir unbekannten Frau neben ihr. Auf dem einen Sofa saß Herr Zwack, auf dem zweiten drängten sich die Königlichen Karotten alias Severin und seine Freunde Kassandra, Hektor, Theodora, Leander und Solveig.