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Eine Revolution des Wirtschaftens kündigt sich an Die Welt wird sich im 21. Jahrhundert grundlegend verändern. Entweder lernt die Menschheit, nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die Natur wird zurückschlagen. Mit Faktor Fünf stellen Ernst Ulrich von Weizsäcker und seine Koautoren das Konzept eines zukunftssicheren, umweltschonenden Wirtschaftens vor. Sie zeigen, wie wir die Rohstoffe effizienter nutzen und mit dem Einsatz neuer Technologien sogar Wohlstand und Lebensqualität wachsen lassen können. Dieser neue Bericht an den Club of Rome ist eine überzeugende Antwort auf die gegenwärtigen ökologischen Herausforderungen.
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Seitenzahl: 547
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Faktor Fünf
Die Formel für nachhaltiges Wachstum
Knaur e-books
Bei einer UNESCO-Tagung an der Tsinghua-Universität in Peking im Jahr 2006 sah ich am Vorabend der feierlichen Eröffnung einen jungen Mann in der Hotellobby, der die australische Ausgabe von Faktor Vier in den Händen hielt. Ich sprach ihn an und merkte sofort, dass er nicht nur das Buch vollständig gelesen, sondern kritisch weit darüber hinaus gedacht hatte. Sein Name war Karlson »Charlie« Hargroves. Anderntags hielten er und ich zwei einander sehr gut ergänzende Hauptvorträge, wobei mich bei seinem Referat besonders ein Bild beeindruckte, das in diesem Buch abgebildet ist (Abb. 7). Es postuliert einen neuen technologiegeführten Wachstumszyklus, einen »Kondratjew-Zyklus«, in den wir nunmehr endlich einsteigen sollten. Der neue Zyklus müsse die Ökologisierung der ganzen Wirtschaft unter dem Leitmotiv der Ressourcenproduktivität zum zentralen Inhalt haben. Das Bild war bereits in The Natural Advantage of Nations (2005) enthalten, also drei Jahre vor der Bankenkrise von 2008 und vor den aus ihr resultierenden Rufen nach einem Green New Deal entstanden.
Nach wenigen Gesprächen zwischen Charlie und mir war die Idee geboren, gemeinsam – über den Stillen Ozean hinweg – eine Aktualisierung von Faktor Vier zu schreiben. Mir war klar, dass meine früheren Koautoren und Freunde Amory und Hunter Lovins keine Zeit haben würden, mit mir zusammen das alte Buch zu aktualisieren. Auch waren Charlie und ich uns einig, dass es weit mehr als eine Aktualisierung sein musste. Die damalige Idee, lauter nette Einzelbeispiele aufzuführen, wie man viermal so effizient werden könnte, und zu hoffen, dass die Welt das begierig aufnimmt und sich so viele Energie-, Klima- und Umweltprobleme von allein lösen würden, war einfach naiv gewesen. Wir mussten mehr an Systemerneuerungen arbeiten und zugleich die Politik der »grünen Erneuerung der Wirtschaft« viel besser verstehen und ausarbeiten.
Es geschah bei der genannten Pekinger Tagung, dass mich höfliche Chinesen darauf hinwiesen, dass der Titel Faktor Vier auf Chinesisch leider einen sehr negativen Klang hätte. Die Vier sei eine Unglückszahl, und laut gesprochen klinge sie wie »Tod«. Das war einer der Anlässe, warum ich darauf bestand, dem Buch einen neuen Titel zu geben. (Dem von Chinesen gern geäußerten Vorschlag, das Buch doch »Faktor Acht« zu nennen, denn die Acht sei doch die Glückszahl, konnten wir aus Gründen der wissenschaftlichen Seriosität nicht folgen; das mag in 30 Jahren anders aussehen!) Charlie Hargroves, ein guter Teamleiter, bezog die Mitarbeiter seiner kleinen Denkfabrik in Brisbane, The Natural Edge Project (TNEP), in die Arbeiten am Buch mit ein und bat, die Teammitglieder als Koautoren firmieren zu lassen.
In dreijähriger, oft sehr mühevoller Arbeit konnten wir das Buch fertigstellen. Im Lauf des Prozesses einigten wir uns, dass das TNEP-Team die Darstellung der großen Wirtschaftsbranchen und ihrer Effizienzpotenziale übernehmen solle, während ich für den Gesamtentwurf und die Politik der Umsetzung zuständig wäre. Beide Seiten nahmen aber aktiven Anteil an Ideen und Formulierungen der jeweils anderen Seite. Unvermeidlicherweise wurde die Arbeit immer wieder unterbrochen durch prioritäre Tagesaufgaben. Bei mir waren dies die Leitung der und die Geldbeschaffung für die einzige US-amerikanische Umwelt-Graduierten-Hochschule westlich von Chicago, die Bren School of Environmental Science and Management an der Eliteuniversität von Kalifornien in Santa Barbara; TNEP musste sich immer wieder kurzfristigen Auftragsarbeiten zuwenden, aus denen die Mitarbeiter bezahlt werden konnten.
Wir freuen uns darüber, dass das Buch 2009 auf Englisch und 2010 fast gleichzeitig auf Deutsch und Chinesisch herauskommen konnte. Mehrere andere Übersetzungsanfragen liegen vor. Die deutsche Fassung habe ich gegenüber dem englischen Original deutlich gekürzt und in eine allgemein verständliche Sprache übertragen. Ferner konnte ich einige Aktualisierungen insbesondere zum Ergebnis des Kopenhagener Klimagipfels von Dezember 2010 vornehmen.
Januar 2010
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Großer Wandel steht uns bevor. Noch nie stand die Menschheit, standen wir vor einer so überwältigenden Aufgabe. Wir haben unermesslichen Wohlstand geschaffen, einen Wohlstand, von dem wir vor 100 Jahren nur hätten träumen können. Die industrielle Revolution und die mit ihr einhergehende rasante Bevölkerungsvermehrung haben dazu geführt, dass wir Menschen fast alles bewohnbare Land in unseren Dienst genommen und uns Ressourcen aus den letzten Winkeln der Welt nutzbar gemacht haben. Die Auswirkungen auf die Umwelt waren dabei zunächst nicht im Blick.
Über lange Zeit herrschte Fortschrittsoptimismus. Die Erfinder und Erneuerer wussten zwar nicht, wohin alles steuerte, doch es war zweifellos Fortschritt. Heute aber nimmt die Menschheit mehr als die gesamte Größe ihres Zuhauses in Anspruch, und das kann nicht gut gehen. Umweltpolitik gibt es schon eine ganze Weile. Früher kümmerte sie sich um Naturschutz, den Lebensraum der Kondore oder die Korallenriffe. Später kam die Sorge um Luftqualität, Gewässer und Böden hinzu. Heute geht es um Dramatischeres, nämlich die Umwelt als Grundlage des Lebens zu retten, und das weltweit, bis in die Stratosphäre und die Tiefsee hinein. In unserem Jahrhundert hat die Menschheit die Möglichkeit, ihre eigene Lebensgrundlage zu vernichten. Wenn die Welt, in der knapp sieben Milliarden Menschen leben, drei-oder 300-mal größer wäre, würden wir dieses Buch nicht schreiben. Aber sie ist so klein, wie sie ist.
Entweder lernt die Menschheit, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten dieser Begrenzung anzupassen und nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die »Umwelt« schlägt zurück und lässt das Menschengeschlecht zugrunde gehen.
Im ersten Fall müssten wir unser ganzes Können in Naturwissenschaft und Technik dafür einsetzen, die Umweltbelastung entscheidend zu verringern. Wir glauben zu wissen, dass eben dies möglich ist. In diesem Buch behaupten wir, dass eine Reduzierung der Umweltbelastung um den Faktor Fünf ein vernünftiges und realistisches mittelfristiges Ziel ist, das gleichwohl zu äußerst tief greifenden Veränderungen quer durch alle Industrien, Gesellschaften und Kulturen führen würde. Veränderungen, die nicht nur lebensrettend wären, sondern zugleich die Lebensqualität und aller Wahrscheinlichkeit nach das soziale Miteinander und die Gerechtigkeit erheblich verbessern würden. Und der Faktor Fünf wäre erst der Einstieg. Langfristig kann noch viel mehr erreicht werden!
Im zweiten Fall hätten wir genau das Gegenteil. Die Ökosysteme der Erde würden degenerieren bis zu dem Punkt, an dem eine Erholung nicht mehr möglich ist. Wir wissen den Verlauf des Niedergangs nicht genau. Steigt die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche um 4 bis 6 °C, würde der Meeresspiegel gefährlich ansteigen, Ernten würden vertrocknen, die Wasserreserven schwinden, aber es gäbe auch verheerende Überschwemmungen. Im Gefolge dieser Schrecken würden die Zerrüttung von Infrastruktur und Zivilisation, der Zerfall von Städten und Staaten, große Kriege, Seuchen und der Niedergang der Kultur immer wahrscheinlicher. Abbildung 1 aus dem Stern-Report[1] gibt einen Eindruck, welche Erwärmungen der Erdatmosphäre uns unter verschiedenen Annahmen bevorstehen. Das Weiter so, auf englisch Business as usual (BAU), würde zu einer Verdopplung der jährlichen Emissionen bis zum Jahr 2050 führen. Wenn wir die CO2-Konzentration bei 450 ppm (parts per million) stabilisieren wollen, müssen wir die jährlichen Emissionen mindestens um den Faktor 2,5 reduzieren. Der resultierende Wert wäre fünfmal geringer als beim BAU-Szenarium. Selbst dieser höchst ambitionierte Entwicklungspfad wird eine Erderwärmung zwischen 1 und 3,8 °C nicht verhindern.
Abb. 1: Drei Entwicklungspfade von Emissionen und die äquivalenten CO2-Konzentrationen: Business as usual, Stabilisierung der Konzentration bei 550 ppm und bei 450 ppm. Die untere Grafik zeigt die Spannen der Temperaturanstiege für verschiedene Stabilisationsziele. Quelle: Stern-Report 2007
Der gescheiterte Klimagipfel vom Dezember 2009 hat gezeigt, dass die angereisten Regierungschefs noch nicht in der Lage sind, sich auf einen Pfad der Klimastabilisierung zu einigen. Die heimische Wirtschaft und Bevölkerung sind ihnen wichtiger als der Klimaschutz. Und die Perspektive eines CO2-schlanken Wohlstands war ihnen wohl nicht präsent.
Wir wollen nicht die Litanei über die drohenden ökologischen Katastrophen wiederholen. Dazu gibt es haufenweise exzellente Bücher und andere Darstellungen von Institutionen (IPCC[2], UNEP oder OECD) und individuellen Autoren (Lester Brown[3], Al Gore[4], David Suzuki[5] u.a.).
Wir wollen auch nicht das Wirtschaftswachstum als den unausweichlichen Grund für die ökologische Zerstörung brandmarken. Diese Idee las man vor 40 Jahren bei Edward J. Mishan[6], und sie beherrschte in den 1970er Jahren große Teile der Debatte über die Grenzen des Wachstums[7].
Unser Ziel ist es auch nicht, den Kapitalismus als den Bösewicht anzuprangern, wie es seit dem Einbruch der Weltwirtschaft von 2008 in Mode gekommen ist. Aber wir stimmen mit der Kapitalismuskritik in gewissem Umfang überein. Die deregulierten Finanzmärkte zeitigten verheerende Auswirkungen, was nach sorgfältigen neuen Regelungen schreit. Auch für die Umwelt brauchen wir wirtschaftliche Regulierungen, die verhindern, dass das Kapital in zerstörerische Aktivitäten wandert statt in wertschaffende, welche die Naturschätze erhalten.
Unser Ziel ist es, Hoffnung zu wecken. Das soll aber nicht über hochtheoretische technologische Träume zur Rettung der Welt geschehen. Vielmehr wollen wir durch praxisnahe Bilder beschreiben, wie Technik, Infrastruktur, Recht, Bildung und Alltagsgewohnheiten so zusammenwirken können, dass Wirtschaftswachstum und Umwelt- sowie Ressourcenschutz gleichzeitig möglich werden. Dieser Systemansatz ist auch die richtige Antwort auf den »Rebound-Effekt«, der darin besteht, dass alle Effizienzeinsparungen, die Ressourcen sparen und die Umwelt schützen sollten, durch zusätzlichen Konsum aufgefressen werden.
Um diese Botschaft mit realer Substanz zu füllen, präsentieren wir viele Beispiele von Systemverbesserungen in den relevanten Sektoren, die zeigen, dass der Faktor Fünf, also eine 80 %ige Reduktion der Umweltbelastungen pro produzierter Einheit, möglich ist. Dieses vielfältige Universum von Chancen stellt den Hauptteil unseres Buches dar.
Während wir stark für die Effizienzrevolution werben, die nur darauf wartet, umgesetzt zu werden, fügen wir in Kapitel 11 hinzu, dass auch Suffizienz notwendig sein wird. Eine nachhaltige Zivilisation kommt nicht ohne Verzicht und Rücksichtnahme aus, ohne Bedürfnisbefriedigung jenseits des Bruttosozialprodukts. Im Bezug auf Kapitalismus und Regulierung wiederholen und bestätigen wir einen Ausspruch, der von einem der Autoren (EW) vor 20 Jahren geprägt wurde: Der Kommunismus ist zusammengebrochen, weil er die Preise nicht die wirtschaftliche Wahrheit sagen ließ. Und so könnte der Kapitalismus zusammenbrechen, wenn er den Preisen nicht erlaubt, die »ökologische Wahrheit« zu sagen. Märkte sind ausgezeichnet, um für eine effiziente Verwendung begrenzter Ressourcen zu sorgen und Innovationen anzuregen; aber Märkte sind sehr schlecht, oft sogar kontraproduktiv, wenn es um die Sicherung und den Schutz öffentlicher Güter geht oder darum, den Fortschritt in eine langfristig nachhaltige Richtung zu lenken.
Menschliche Gesellschaften und die Umwelt brauchen eine gesunde Balance zwischen öffentlichen und privaten Gütern – oder zwischen dem Staat und den Märkten –, wie wir in Kapitel 10 argumentieren. Die weltweit vorherrschende Mentalität der letzten Jahrzehnte, die den Staat schwächte und verhöhnte und fast alles den Investoren und der Privatwirtschaft überließ, war ein dicker Fehler. Wir brauchen die Zusammenarbeit starker Staaten und engagierter Bürger, um adäquate rechtliche und moralische Rahmenbedingungen für die Märkte zu schaffen. Außerdem müssen wir von Bürgern, Nationalstaaten, der internationalen Staatengemeinschaft und der Zivilgesellschaft erwarten, sich permanent mit den Märkten auseinanderzusetzen: als Konsument, Innovator, Arbeiter und Wächter gegen die Zerstörung und für technischen und zivilisatorischen Fortschritt im Einklang mit den natürlichen Lebensbedingungen.
Ob wir es wollen oder nicht, die Diskussion wird höchst politisch, wenn wir die Aufgabe ernst nehmen, die Grundlage des Lebens auf der Erde wiederherzustellen und zu beschützen.
Eine Balance zwischen privaten und öffentlichen Gütern zu finden heißt, zu einem großen Teil, einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Ansprüchen und dem ökologischen Imperativ zu finden. In der frühen Menschheitsgeschichte gab es keinen erkennbaren Zwang zu diesem Ausgleich. Die Natur schien endlos und wurde zudem oft als feindselig erlebt. Die menschliche Zivilisation entwickelte sich durch das Zähmen der wilden Teile der Natur und die Nutzbarmachung der Kräfte der Natur, um einige ihrer Schätze zu gewinnen. Die neolithische Revolution – die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht – war in diesem Sinn eine Großtat der frühen Kulturen. Sie veränderte zwar die Umwelt erheblich, zerstörte sie aber nicht. Noch während der frühen Industrialisierung (bis in die 1960er Jahre) sahen die Umweltschäden wirtschaftlicher Aktivitäten wie lokale oder randständige Probleme aus. Ein Stahlwerk, eine Chemieanlage, eine Textilfabrik oder ein kleines Kraftwerk, das die nötige Energie lieferte, hier und dort verursachten lokale Luft- und Wasserverschmutzung sowie Gesundheitsprobleme, aber die Umwelt als solche, außerhalb der Städte, schien nicht betroffen. Erst in den 1960er Jahren, als die Weltbevölkerung sich der Vier-Milliarden-Grenze näherte, wurde »die Umwelt« zu einem eigenständigen und bedeutenden politischen Thema.
Nach anfänglichen Widerständen seitens der Industrie schafften es wohlhabende demokratische Staaten wie Japan, die USA, Kanada sowie die westeuropäischen Staaten, Gesetze zur Schadstoffbegrenzung zu verabschieden und durchzusetzen. Die Verringerung des Schadstoffausstoßes der Industrie machte rasche Fortschritte. Das Verbot einiger besonders gesundheitsschädlicher Substanzen, die Filterung von Abgasen und Abwasser sowie die Umgestaltung einiger Produktionsprozesse waren die Mittel, um die industrielle Produktion von Umweltschäden zu entkoppeln. Nach nur 25 Jahren waren die Schaumberge von den Flüssen verschwunden, und die industriellen Ballungsräume, wie das Ruhrgebiet, Osaka in Japan oder Pittsburgh in den USA, wurden sauberer, als sie es je in den 100 Jahren davor gewesen waren. Diese Erfolgsgeschichte überraschte viele Skeptiker, die den Ursprung der Probleme im wirtschaftlichen Wachstum an sich gesehen hatten.
Die Lektion der Umweltgesetzgebung schien frühere Befürchtungen sogar umzukehren: Es waren die reichen und weiter wachsenden, demokratischen Länder (oder Regionen innerhalb dieser Länder), die die Schadstoffbelastung der Umwelt am erfolgreichsten reduzierten – und den Schmutz den armen und totalitären Ländern überließen.
Ein neues, sehr attraktives Paradigma entstand, dargestellt in der Kuznets-Kurve der Umweltverschmutzung (Abbildung 2), benannt nach dem US-amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträger Simon Kuznets. Die Länder starten arm und sauber, dann kommt die Industrialisierung, und sie werden reich und schmutzig, und wenn sie reich genug sind, um sich den teuren Umweltschutz leisten zu können, werden sie reich und sauber: ein wunderbares Happy End.
Abb. 2: Stilisierte Kuznets-Kurve der Umweltverschmutzung
In den 1980er Jahren begann dieses bequeme Paradigma die Debatte über die Beziehung zwischen Wirtschaft und Umwelt zu dominieren. Für Umweltschützer wurde es absolut salonfähig zu sagen: Die Wirtschaft soll zuerst wachsen, später kümmern wir uns um die Umwelt. Verständlicherweise wurde dies zur Lieblingsaussage der Vertreter der Entwicklungsländer bei allen internationalen Umweltverhandlungen. Und die reichen Länder konnten dem nicht gut widersprechen, und sie wollten es auch gar nicht.
Das Ärgerliche ist, dass dieses Paradigma für die globalen Umweltprobleme der heutigen Zeit nicht gilt. Die lokale Schadstoffkontrolle ist eben nur ein sehr begrenzter Teil der ökologischen Realität. Der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität folgen einer völlig anderen Logik, und Tatsache ist, dass die »reichen und sauberen« Länder diesbezüglich die größten Verursacher sind.
Bisher steigt der sogenannte CO2-Fußabdruck (vgl. Abb. 4 und 5) mit wachsendem Wohlstand, wie die Abbildung 3 zeigt.
Für die reichen Länder sieht die Situation noch viel schlechter aus, wenn auch die historischen Emissionen einberechnet werden. Die kumulierten CO2-Emissionen in den USA belaufen sich auf 1000 Tonnen pro Kopf, in China auf 60, in Indien auf 25 und in Deutschland auf fast 800 (vgl. auch Abbildung 7.2, S. 275).[8] Und die Zahlen verschlechtern sich weiter, wenn weltweite Versorgungsketten mit einbezogen werden. Viele Länder haben energie- und kohlenstoffintensive Teile der Kette in Länder wie China ausgelagert, die dadurch im Dienste anderer noch größere CO2-Fußabdrücke bekamen.
Abb. 3: Korrelation zwischen BIP und Pro-Kopf-CO2-Emissionen. Quelle: International Energy Outlook, 2007, Fig. 85. Energy Information Administration of the USA, Washington
Auf jeden Fall hat die starke Korrelation zwischen CO2-Fußabdrücken und dem BIP viele Menschen in den USA sowie in den Entwicklungsländern zu der Meinung geführt, dass die Reduktion von CO2-Emissionen zwangsläufig eine Wohlstandsminderung mit sich bringt – und damit politisch inakzeptabel ist. Das war ja der zentrale Grund für das Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels. Erst wenn es gelingt, die in Abbildung 3 gezeigte Korrelation zu brechen, im Sinne einer Kuznets-Kurve der CO2-Vermeidung, hat der Klimaschutz eine Chance. In Kapitel 7, speziell in Abbildung 7.3, gehen wir noch einen Schritt weiter und empfehlen den Entwicklungsländern ein »Durchtunneln« dieser Kuznets-Kurve. Dann würden die Klimakonferenzen zum Spaziergang.
Der Klimaschutz gilt heute als der wichtigste ökologische Imperativ. Doch der Schutz der Biodiversität ist nicht weniger wichtig. Biodiversität geht vor allem durch veränderte Landnutzung verloren, die immer im Dienst des Wirtschaftswachstums steht. Die bekannteste Maßeinheit für die Landnutzung ist der »ökologische Fußabdruck«. Die ökologischen Fußabdrücke der USA (oder der europäischen Länder) beinhalten große Landflächen in anderen Ländern, die für die zu Hause konsumierten Güter und Dienstleistungen gebraucht werden. Bananen aus Ekuador, Soja aus Brasilien, Palmöl aus Malaysia, Computer aus China – all die zu ihrer Produktion benötigte Landnutzung muss in dem Maße den europäischen und amerikanischen Fußabdrücken zugerechnet werden, wie dort Bananen, Soja, Öl oder Computer konsumiert werden.
So ist es nicht überraschend, dass auch die ökologischen Fußabdrücke der reichen Länder am größten sind, was in Abbildung 4 sichtbar wird.
Abb. 4: Ökologische Fußabdrücke verschiedener Länder. Quelle: Redefining Progress: Ecological Footprints of Nations, 2004
Die zweite Hälfte des Jahres 2008 markierte den größten nichtkriegerischen Wirtschaftseinbruch seit 70 Jahren. Die Krise, die in allen Köpfen präsent ist, wird vermutlich noch mehrere Jahre lang spürbar sein. Millionen von Menschen haben bereits ihre Arbeit verloren, und viele weitere Jobs sind gefährdet.
Mathis Wackernagel und Kristin Kane
Wir brauchen ein Maß für die Nutzung der Erde, wenn wir deren Beanspruchung und Kapazität abschätzen wollen. Wir brauchen Ressourcenbilanzen, die uns zeigen, was noch da ist und was wir verbrauchen. Ökologische Buchführung funktioniert wie Finanzbuchhaltung. Als Einkünfte gelten die Dienste, die die Natur uns anbietet, als Ausgaben unser Verbrauch derselben. Wie bei finanziellen Werten kann man zeitweilig mehr verbrauchen, als nachgeliefert wird, aber eben nur zeitweilig. Dauerhafte ökologische Kontoüberziehung führt zur ökologischen Insolvenz, und im Gefolge zu wirtschaftlichem Niedergang, Abnahme der Lebensqualität und sozialer Instabilität.
Der ökologische Fußabdruck ist ein Maß der Biokapazität, der biologisch aktiven Fläche (Wälder, Äcker und Weiden, Fischgewässer und andere Ökosysteme), die in den Dienst einer Gruppe von Menschen (eines Landes, eines Stammes oder der ganzen Menschheit) gestellt werden muss, um mit heutiger Technologie all das zu produzieren, was diese Gruppe verbraucht, sowie die Abfälle aufzunehmen. Um die Vorräte der Biosphäre nicht zu ruinieren und die Abfallkapazität nicht zu überfordern, dürfen nicht mehr erneuerbare Ressourcen verbraucht, als von der Natur tatsächlich erneuert werden, und nicht mehr Abfälle erzeugt, als tatsächlich absorbiert werden. Denn die Fähigkeit von Ökosystemen, uns mit Ressourcen zu versorgen, ist – außer durch menschliche Bebauung – durch Faktoren wie Klima, Technologie, Umweltmanagement sowie die Verfügbarkeit von Wasser und Sonnenenergie limitiert. Länder mit Fußabdrücken, die die heimische Biokapazität übersteigen, erzeugen ökologische Schulden. Und wenn die Menschheit mehr ökologische Dienstleistungen verbraucht, als nachgeliefert werden, dann baut sie globale Schulden auf.
Die Berechnung der ökologischen Fußabdrücke basiert auf Stoffstrombilanzen, wobei jeder Stoffstrom auf die ökologisch produktive Fläche bezogen ist, die benötigt wird, um ihn aufrechtzuerhalten. Die größten und dramatisch wachsenden Beiträge liefern dabei die Kohlenstoff-Fußabdrücke (carbon footprints). Sie berechnen sich aus dem Land, das nötig wäre, um das von uns durch Verbrennen von fossilem Kohlenstoff erzeugte CO2 zu absorbieren. Weil der Kohlenstoff-Fußabdruck einen so großen Teil des Gesamt-Fußabdrucks ausmacht, erhält er derzeit die größte Beachtung. Seine Verminderung jedoch – durch die Vergrößerung anderer Fußabdrücke, wie etwa durch den Anbau von Energiepflanzen der ersten Generation – kann sogar zu Nettoverlusten führen!
Global Footprint Network publiziert alljährlich den ökologischen Fußabdruck von Staaten. Diese Länderbilanzen stellen zurzeit die wissenschaftlich besten Erhebungen über nationale Fußabdrücke dar (www.footprintnetwork.org/atlas). Die Summe aller nationalen Fußabdrücke und Biokapazitäten ergibt dann die globale Bilanz. Abbildung 5 zeigt, dass die ökologischen Fußabdrücke der Menschheit seit den späten 1980er Jahren die geschätzte Biokapazität der Erde übersteigen.
Die Schätzungen des Global Footprint Network kommen zu dem Ergebnis, dass die Menschheit im Jahr 2005 die regenerative Kapazität der Erde bereits um 30 % übernutzt hat. Weltweit stünde uns pro Person im Schnitt eine ökologisch produktive Fläche von zwei Hektar zur Verfügung; zwar ist die rein rechnerische Fläche etwa viermal so groß, aber drei Viertel davon sind Wüste, Eis oder Tiefsee. Nun nutzt aber ein Durchschnittsamerikaner weltweit zehn Hektar, während der Fußabdruck eines Durchschnittsinders knapp ein Hektar misst. In anderen Worten: Hätte die ganze Menschheit US-amerikanische Lebensgewohnheiten, bräuchten wir fünf Erdbälle, während wir bei indischen Lebensgewohnheiten noch Platz für eine Verdopplung der Weltbevölkerung hätten.
Abb. 5: Der ökologische Fußabdruck der Menschheit von 1961 bis 2005; Maßeinheit ist die Biokapazität des Planeten Erde. Quelle: Global Footprint Network: The Ecological Footprint Atlas 2008
Abb. 6: Größe und Umweltanteile der Konjunkturprogramme. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) Bonn, basierend auf Abschätzungen der Londoner HSBC Bank
Um den Abschwung zu bremsen, haben viele Länder umfangreiche Konjunkturpakete verabschiedet. Für die Umwelt und die langfristige Wirkung der Maßnahmen ist es gut, dass etliche dabei auf eine ökologische Komponente geachtet haben. Abbildung 6 zeigt, wie unterschiedlich diese »grüne« Komponente in verschiedenen Ländern ist. In Südkorea macht sie über 80 % aus, im Durchschnitt der genannten Länder etwa 10 %.
Die Konjunkturpakete sind naturgemäß zeitlich begrenzt. Wenn sie insgesamt ein Volumen von 2 % des BIP ausmachen, entspricht das etwa 10 % des Sozialprodukts eines Jahres; nicht gerade berauschend, wenn man eine ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft im Sinn hat. Um die ökologische Lenkungswirkung zu verzehnfachen, hat Jakob von Weizsäcker[9] vorgeschlagen, alle neuen öffentlichen Schulden als »Klimaschulden« zu deklarieren und sich politisch zu verpflichten, diese ausschließlich durch Energiesteuereinnahmen oder durch Erlöse aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten zu tilgen. Dies würde als ein starkes ökologisches Signal über viele Jahre wirken und den klimagefährdenden Energieverbrauch wirtschaftlich unattraktiver machen.
Wir sagen in diesem Buch, dass sich die Welt ohnehin in die Richtung einer ökologischen Ökonomie bewegen muss, unabhängig von der aktuellen Finanzkrise. Daher stehen wir uneingeschränkt hinter der Idee eines »Global Green New Deal«, die vom Exekutivdirektor des UNO-Umweltprogramms UNEP, Achim Steiner, vorgebracht wurde. Die Namensgebung erinnert an Präsident Franklin D. Roosevelts New Deal der frühen 1930er Jahre, der den USA half, die große Wirtschaftskrise zu überwinden, die nach dem Zusammenbruch der Wall Street im Oktober 1929 über Amerika und die Welt hereinbrach. Die Idee des grünen New Deal ist es, mit öffentlichen Ausgaben Arbeitsplätze zu schaffen, die eine nachhaltige Entwicklung fördern. Und dass es ein globaler New Deal sein soll, heißt, dass die ökologische Neuausrichtung alle Regionen der Welt erfassen soll. Inzwischen wurde aus der »Green New Deal«-Idee die breiter aufgestellte Green Economy Initiative entwickelt, die UNEP für das System der Vereinten Nationen koordiniert. Der erste Green Economy Report erscheint 2010.[10]
Die Finanzkrise scheint als solche überwunden zu sein, bis auf die schwerwiegenden Nachwirkungen der Staatsverschuldung durch die Konjunkturprogramme und eingebrochene Steuereinnahmen. Erste Schritte zur Neuregulierung der außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte wurden in London und Pittsburgh bei den G-20-Gipfeln unternommen. Weltweit hat sich die Einsicht ausgebreitet, dass es verkehrt war, die Lenkung des Geschehens im Wesentlichen dem freien Spiel der Märkte zu überlassen und im Gegenzug den Staat immer weiter zu schwächen. Diesen Gedanken vertiefen wir in Kapitel 10.
Was heute noch zu fehlen scheint, ist ein klarer Orientierungssinn. Den gab es in früheren Jahrhunderten, als das Wachstum des Wohlstands beinahe überall die Leitidee war – ohne viel Rücksicht auf die Umwelt. Von Zeit zu Zeit kam es zu technologischen Durchbrüchen, die das Wachstum anheizten und Begeisterung schufen. Beispiele sind die Dampfmaschine, die Eisenbahn, Elektrizität, Autos, die Chemieindustrie, Radio und Fernsehen sowie zuletzt die Informations-, Bio- und Nanotechnologie. Auch die Globalisierung der industriellen Produktionsketten kann als Durchbruch angesehen werden, zumal sie insbesondere die Verbraucherpreise in Schach hielt. Jeder solche Fortschritt hat aber nach einiger Zeit eine Abflachung, Sättigung, Ermüdung erlebt. Ein neuer Wachstumsschub kam erst wieder mit neuen technischen Durchbrüchen. Wir sehen es als eines der Hauptziele des Global Green New Deal und dieses Buches an, das Vertrauen zu schaffen, dass durch eine »grüne« technologische Revolution ein solcher neuer Wachstumszyklus angestoßen werden kann.
Während einer Rezession redet man gern vom nächsten Aufschwung – und hofft auf diesen. Dabei denkt man meist an kurzfristige Konjunkturzyklen. Aber es gibt auch langfristige Zyklen wie die oben genannten, ungefähr zwei pro Jahrhundert. Obwohl die ökonomische Standardliteratur die Idee langer Zyklen nicht unbedingt akzeptiert, stellen sie zumindest ein nützliches Mittel dar, um historische Perioden, in denen es einen großen, von technischen Innovationen getragenen Aufschwung gab, zu beschreiben, zu charakterisieren und vielleicht sogar zu erklären.
Der erste bekannte Wissenschaftler, der solche langfristigen Zyklen beschrieb, war der bedeutende russische Ökonom Nikolai D. Kondratjew (1892–1938).[12] Sein Hauptwerk Die langen Wellen der Konjunktur wurde 1925 (deutsch 1926) veröffentlicht.[13] Während Kondratjew die Bedeutung technologischen Wandels nicht betonte, sah der berühmte österreichisch-amerikanische Ökonom Joseph Schumpeter eine Verbindung zwischen langen Konjunkturzyklen auf der einen Seite und bedeutenden technischen Innovationen auf der anderen. Um Kondratjew zu ehren, der von Stalins »Säuberungskommandos« erschossen wurde, schlug Schumpeter vor, die langen Zyklen »Kondratjew-Zyklen« zu nennen.
Paulo Rodrigues Pereira bietet einen guten Überblick über die Literatur zu langen Zyklen.[14] Er stimmt Schumpeter zu, dass Kondratjew-Zyklen kein rein wirtschaftliches Phänomen sind. Vielmehr entstünden sie durch Neuorganisationen, die wiederum durch neue Technologien ausgelöst würden.[15] Aus dieser Einsicht leitet er die Aussage ab, dass Entwicklungsländer ihre technologischen Fähigkeiten stärken sollten. Im Einklang mit dem Paradigma der Wellen, beschreibt er die fünf bekannten historischen Zyklen:
den Frühmechanisierungs-Kondratjew seit etwa 1770,
den Dampfmaschinen- und Eisenbahn-Kondratjew seit etwa 1830,
den Elektrotechnik- und Schwermaschinen-Kondratjew seit etwa 1880,
den Auto-, Agrarchemie- und Massenproduktions-Kondratjew seit den 1930er Jahren (hier hätte er auch einen früheren Beginn nennen können) und
den Informations- und Kommunikations-Technik-Kondratjew seit den 1980er Jahren (hier hätte er die Biotechnologie mit hinzunehmen können).[16]
Wichtig festzuhalten ist, dass sich nach der historischen Erfahrung der große Magnetismus der technologischen Innovationen 20 bis 30 Jahre nach deren Beginn abschwächt. Daher soll man nicht allzu überrascht sein, wenn die Kräfte des jüngsten Zyklus, der Informations-, Bio- und Nanotechnologie, nicht mehr groß genug sind, um die Wirtschaft weltweit zu beflügeln, auch wenn natürlich eine weitere Expansion dieser Technologien stattfindet.
Der nachlassende Magnetismus von Technologien kann den massiven und plötzlichen Abschwung seit 2008 natürlich nicht erklären. Die Arroganz und das Versagen eines großen Teils des Finanzsektors war der sichtbarste Grund für die aktuelle Krise. Aber auch die bedenkliche Abhängigkeit von billigem Öl, in die sich die US-Wirtschaft seit Mitte der 1980er Jahre begeben hatte, muss als Grund genannt werden. 2007/08 war es nämlich nach den Kapriolen des Ölpreises der Wertverfall der weit draußen vor den Städten auf Pump erbauten Häuser und damit der für den Hausbau aufgenommenen nachrangigen Hypotheken, was die Finanzkrise akut ausgelöst hat.[17]
Eine Welle neuer, faszinierender technologischer Innovationen könnte zur größten Hoffnung für einen neuen Aufschwung werden. Doch angesichts der ökologischen Grenzen kann und darf es keinen neuen Wachstumszyklus geben, der erneut auf zusätzlichem Verbrauch von Energie, Wasser und Mineralien basiert. Der neue Zyklus muss »grün« sein – oder er wird nicht stattfinden.
Einige Jahre vor der aktuellen Krise befassten sich Paul Hawken, Amory und Hunter Lovins mit der Theorie langer Zyklen und deuteten in ihrem wunderbaren Buch Öko-Kapitalismus[18] an, dass eine neue industrielle Revolution bevorstehe, die sich auf Energie- und Rohstoffeffizienz gründe. Zwei von uns, Charlie Hargroves und Michael Smith, sahen ebenfalls Anzeichen für eine Welle »grüner Technologien«, die den Beginn eines neuen Kondratjew-Zyklus markiere, und beschrieben diesen in dem folgenden optimistischen Bild:
Abb. 7 Fünf lange Wachstums- und Innovationszyklen und ein hypothetischer künftiger Zyklus. Quelle: Hargroves und Smith (2005)[19]
Die in Abbildung 7 abgebildeten Zyklen unterscheiden sich leicht von der Darstellung von Pereira, aber das ist nebensächlich, denn jeder Zyklus ist so komplex, dass er nicht mit ein paar Schlüsselworten charakterisiert werden kann. Das Grundphänomen bleibt dasselbe.
Wie wir bereits sagten, findet ein gewisser ökologischer Umbau von Technik und Wirtschaft bereits statt. Wir behaupten nun, dass ein ökologischer Umbau, der zugleich die treffende Antwort auf die ökologischen Herausforderungen ist, jenen kräftigen und belastbaren Orientierungssinn mit sich bringen wird, der uns aus der Rezession führen könnte. Wir müssen uns alle wünschen, dass dies geschieht. Und wenn sich die Überzeugung durchsetzt, dass der Trend zu »grüner Technik« unumkehrbar ist, können wir mit einem neuen Kondratjew-Zyklus rechnen.
Aus der historischen Erfahrung lassen sich drei Wesensmerkmale eines Kondratjew-Zyklus ableiten:
Der abnehmende Magnetismus der Technologien, die den vorausgegangenen Zyklus ausgelöst hattenDies traf etwa um das Jahr 1900 auf die Eisenbahnen zu. Die Entdeckung der Elektrizität und die damit verbundenen Innovationen, der Verbrennungsmotor und die industrielle Chemie zogen in dieser Zeit wesentlich mehr Begeisterung auf sich, als es ein weiterer Ausbau des Eisenbahnnetzes vermocht hätte. Thomas Alva Edison, Gottlieb Daimler und Henry Ford sowie die Chemiepioniere wurden die Helden einer neuen Welle des Wachstums und des technischen Wandels. Die nächste Welle, die mit Petrochemie, Luftfahrt und der frühen Elektronik verbunden war, entstand beinahe ausschließlich in den USA und teilweise auch in der Sowjetunion – aber Europa, Japan und andere Länder wurden mitgezogen.
Starke Nachfrage nach neuen Gütern und DienstleistungenZu Beginn eines Zyklus ist die Nachfrage noch gering. Das beste Beispiel hierfür ist vielleicht die Informationstechnologie (IT). Großrechner sahen für die breite Masse nutzlos aus. Elektrische Schreibmaschinen, Kopiergeräte und Druckmaschinen waren weit verbreitet, aber technisch nicht »sexy«. Parallel dazu fand der Siegeszug des Fernsehens statt, aber niemand verband Fernseher mit Computerbildschirmen oder Datenverarbeitung. Die Miniaturisierung der Elektronik war buchstäblich eine außerirdische Angelegenheit, um in Raumschiffen und Flugzeugen Gewicht zu sparen. Als jedoch Rechnertechnologie, Schreibmaschinen, Bildschirme und Mikroelektronik zum Schreibtischcomputer kombiniert wurden, gab es eine Explosion der Nachfrage, erst in Schreibbüros und kurze Zeit später im breiten Publikum. Diese löste ihrerseits eine neue Welle der Software-Entwicklung aus, und es folgten atemberaubende Fortschritte in der weiteren Miniaturisierung und schließlich beim zunächst im militärischen Bereich und der Großforschung entwickelten Internet sowie der Suchmaschinen. So wurde die IT durch geschickte Kombination vormals unzusammenhängender Komponenten zu einer nicht enden wollenden Erfolgsgeschichte, die eine Eigendynamik entwickelte und ständig ihre eigene, zusätzliche Nachfrage schuf.Ähnlich trafen die Innovationen früherer technologischer Wellen anfangs auf verhaltene Nachfrage; der große Run auf die neuen Produkte kam erst, als diese billiger wurden. Dies war der Fall bei Textilien, der Eisenbahn, Schwermaschinen, Autos, Kunststoffen, Düngemitteln und Landmaschinen, Arzneimitteln und Diagnostika, elektrischen Haushaltsgeräten, Flugreisen und Industrierobotern. Dabei machte die Massenproduktion, die von Paulo Pereira explizit hinsichtlich des vierten Kondratjew-Zyklus genannt wurde, die Güter bezahlbar und regte dadurch eine Nachfrage an, die zu Beginn unvorstellbar gewesen war.
Die Erfindung und Entwicklung neuer, aufregender Technologien; wohl die sichtbarste, aber nicht unbedingt die wirksamste KomponenteDie Erfindung der Dampfmaschine steht in allen Geschichtsbüchern als der Beginn der ersten industriellen Revolution. Spätere gefeierte Erfindungen und Entdeckungen waren die Elektrizität, der Kunstdünger, die Glühbirne, der Verbrennungsmotor, die Kunststoffe, das Flugzeug, das Fernsehen, die Uranspaltung, das Penizillin, der Laser, der Heimcomputer und die Suchmaschinen. Daneben wurden jedoch Hunderte anderer technisch faszinierender Erfindungen gemacht, die keine großen wirtschaftlichen Auswirkungen hatten.
Somit stellen wir die Behauptung auf, dass ein Großteil der Dynamik, die zu einem Kondratjew-Zyklus führt, aus einer Kombination dieser drei Komponenten kommt.
Und wir behaupten, dass alle drei Komponenten vorhanden sind, um eine neue, sehr kräftige Innovationswelle ins Leben zu rufen: den »Grünen Kondratjew«. In diesem Fall glauben wir, dass der stärkste Treiber die Nachfrage ist. Eine Weltbevölkerung, die beinahe doppelt so groß ist wie beim letzten großen Zyklus, verlangt nach Lebensmitteln, Wohnraum und großen Mengen anderer Güter und Dienstleistungen, und das zu einer Zeit, in der das Angebot an Land, Wasser, Energie und Rohstoffen stagniert oder abnimmt. Der Treibhauseffekt verschärft das Problem massiv, da er die Optionen der Energie- und Landwirtschaft weiter einschränkt. Dazu kann eine nachlassende Begeisterung für die Technologien des vorherigen Zyklus beobachtet werden. Informationstechnologie ist allgegenwärtig, aber die hohen Wachstumsraten sind Vergangenheit. Bei Bio- und Nanotechnologie sind auch Schattenseiten sichtbar geworden[20], und es gibt Anzeichen für eine Sättigung. IBM, eines der frühesten »Blue chip«-Unternehmen, hat seine Computerfabrikation nach China verkauft. Und im Silicon Valley in Kalifornien, der Wiege der IT-Revolution und Heimat vieler Wagniskapitalisten, wandert das Investorengeld bevorzugt zu grünen Technologien. Unternehmen der Biotechnologie versuchen ihre Nützlichkeit zu zeigen, indem sie dürreresistente Saaten anpreisen oder Mikroben, die beim Waschen und der Reinigung Energie sparen, nachdem die großen Verheißungen auf Überwindung des Welthungers oder der großen Krankheiten kaum mehr ziehen.
Somit scheinen die Nachfrageseite und die nachlassende Attraktivität der bisherigen Wachstumstreiber nachgewiesen. Jetzt fehlt noch das technologische Angebot. Dies ist nun der Kerninhalt dieses Buches: Neue, absolut faszinierende Technologien sind vorhanden oder können entwickelt werden, die versprechen, ungefähr fünfmal so rohstoffeffizient zu sein wie die heute vorherrschenden. Und so zögern wir also nicht, einen neuen, den Grünen Kondratjew-Zyklus zu fordern und vorherzusagen.
Diese Vision ist eng mit der von Thomas Friedman verwandt, die er in seinem brillanten Bestseller Was zu tun ist[21] aus dem Jahr 2008 darlegt. Er ermahnt darin sein Land, die USA, zur ökologischen Umgestaltung der Produktion und des Konsums und sieht darin einen Weg, wie Amerika nach dunklen Jahren zu neuer Strahlkraft kommen kann. Was für die USA zutrifft, sollte sogar noch wichtiger für Länder wie China oder Indien sein, die weniger Rohstoffe, dafür aber eine viel höhere Bevölkerungsdichte und Wachstumsrate aufweisen. Die beiden Riesenreiche symbolisieren ja heute schon die Welt, in der wir alle leben werden: dichte Besiedlung und Knappheit an fruchtbarem Land, an Energie, Wasser und Rohstoffen.
Kommen wir noch kurz auf die technologische Seite des Grünen Kondratjew zu sprechen. Unter der Überschrift »Nachhaltigkeit« sind in Abbildung 7 eine Reihe technologischer Prinzipien aufgeführt, die den Grünen Zyklus prägen könnten. Darunter finden wir:
Radikale Erhöhung der RessourcenproduktivitätWährend die bisherige Technik von einer fast unbegrenzten Verfügbarkeit von Energie und natürlichen Rohstoffen ausging und daher deren Produktivität vernachlässigt hat, wird diese in Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung im internationalen Wettbewerb sein. Und unser Buch zeigt, dass ihre Verfünffachung in Reichweite ist.
SystemdesignDie Technik des 20. Jahrhunderts richtete sich schwerpunktmäßig auf die Optimierung von Maschinen oder ihren Teilen. Im Gegensatz dazu versucht ein ganzheitlicher Ansatz, die Ressourcenproduktivität des ganzen Systems zu optimieren. Das ist nicht neu. Schon James Watt tat das vor über 200 Jahren mit Systemen, die Dampfmaschinen nutzen wollten. Heute müssen wir noch weiter gehen. Wir müssen letztlich an das System Erde denken, das sich wieder erholen können muss. Die Ko-Autoren vom Natural Step Programme in Australien haben dieses ganzheitliche Denken für die Nachhaltigkeit von Systemen genutzt.[22]
BiomimikryDer Begriff stammt von Janine Benyus[23] und bedeutet »Design nach den Prinzipien der Natur« (siehe nachstehenden Kasten). Im Deutschen werden auch die Worte Bionik oder Biomimetik verwendet, mit von Benyus leicht abweichender Bedeutung. Eines der bekannten Beispiele für die praktische Nützlichkeit der Biomimikry ist Japans Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. Mit 300 km/h ist er eines der schnellsten öffentlichen Transportmittel. Trotz seiner enormen Geschwindigkeit ist der Zug überraschend ruhig, dank einer Lektion, die die Natur gelehrt hat. Den Ingenieuren gelang es, den Lärm und den Luftwiderstand, der durch die Oberstromabnehmer entstand, zu reduzieren, indem sie diese mit kammförmigen Einkerbungen versahen, die auf dem Design von Eulenfedern beruhten. Eulenfedern deshalb, weil Eulen von allen Vögeln den leisesten, einen beinahe lautlosen Flug haben.
1. Natur als Modell
Biomimikry ist eine neue Wissenschaft, die Modelle aus der Natur untersucht und dann übernimmt oder als Anregung für die Lösung von Problemen verwendet, so etwa für Solarzellen, deren Bauart einem Pflanzenblatt nachempfunden ist.
2. Natur als Maß
Biomimikry benutzt ökologische Kriterien zur Beurteilung der »Richtigkeit« unserer Neuerungen. Nach 3,8 Milliarden Jahren Evolution hat die Natur gelernt, was funktioniert, was angemessen ist und was von Dauer ist.
3. Natur als Lehrmeister
Biomimikry ist eine neue Art der Wahrnehmung und Wertschätzung der Natur. Sie will in eine Ära eintreten, die nicht darauf fußt, was wir der Natur wegnehmen können, sondern was wir von ihr lernen können.
Quelle: Benyus, Janine M.: Biomimicry, Seite 5
Erneuerbare EnergienErneuerbare Energien existieren seit Tausenden von Jahren. Aber die moderne Industrialisierung entstand beinahe ausschließlich durch die Nutzung fossiler Energieträger. Seit den Debatten über die Ölknappheit, die Erderwärmung und die Gefahren der Atomenergie erfahren die erneuerbaren Energien eine Renaissance und sind im Begriff, im Lauf dieses Jahrhunderts zur beherrschenden Energiequelle zu werden. Erneuerbare Energien stecken voller technologischer Neuigkeiten. Abbildung 8 zeigt den Anstieg von Patenten in diesem Bereich, nachdem Deutschland sein Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt hat. Die Sicherheit durch langfristig verlässliche Einspeisevergütungen hat eine Flut von Investitionen und technischen Neuerungen in der Wind- und Solarenergie und anderen erneuerbaren Energien ausgelöst. Hermann Scheer, der Initiator des Einspeisegesetzes, glaubt, dass die Dominanz der erneuerbaren Energien schon recht bald eintreten wird, und spricht demgemäß von einem völligen Auslaufen der fossilen Energieträger und der Atomenergie.[24]
Abb. 8: Das explosive Wachstum genehmigter Patente in Deutschland im Bereich erneuerbare Energien nach Verabschiedung des EEG. Quelle: Martin Jänicke (2008)[25]
Vom »Ergrünen« der Wirtschaft zu sprechen ist ein eingängiger Weg, um die Innovationen zu beschreiben, mit denen wir im Lauf des Grünen Kondratjew rechnen. Dabei gehen wir noch einen philosophischen Schritt weiter. Wir bemerken, und Wirtschaftshistoriker werden uns wahrscheinlich zustimmen, dass der Anstieg der Arbeitsproduktivität das durchgängige Merkmal des technologischen Fortschritts der letzten 200 Jahre war. Während des 19. Jahrhunderts und bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg die Arbeitsproduktivität um bis zu 1 % pro Jahr an, nach dem Zweiten Weltkrieg sogar um 2 bis 3 % im Jahr. Insgesamt hat sich die Arbeitsproduktivität während der letzten 200 Jahre verzwanzigfacht. Abbildung 9 zeigt ein Zeitfenster von 120 Jahren, wobei die beeindruckende Beschleunigung nach 1950 zu erkennen ist.
Heutzutage herrscht kein Mangel an Arbeitskräften. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO spricht von etwa 800 Millionen Jobs, die uns weltweit fehlen, wenn wir so etwas wie Vollbeschäftigung haben möchten. Andererseits gibt es den genannten Mangel an Energie und anderen natürlichen Ressourcen, mit rasch zunehmender Tendenz. Dieser Zustand schreit danach, die Richtung des technologischen Fortschritts zu ändern: Ressourcenproduktivität muss zum Leitmotiv unserer Zeit werden. Und da davon auszugehen ist, dass Länder, die die Produktivität der knappen Ressourcen erhöhen, bedeutende Konkurrenzvorteile gegenüber denen erwerben, die diese Knappheiten ignorieren, sollte die Notwendigkeit eines neuen technologischen Zyklus und einer neuen Orientierung nicht nur für die Weltwirtschaft und für Volkswirtschaften, sondern ebenso für individuelle Unternehmen ersichtlich sein.
Abb. 9: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in 120 Jahren. Die Zahlen hinter den Ländern zeigen den Anstieg in Prozent an. Quelle: Bleischwitz (1998)[26]
Wenn wir dies mit der Betrachtung langer Zyklen verbinden, sollte der Grüne Kondratjew der erste seiner Art werden, bei dem die Ressourcenproduktivität schneller wächst als die Arbeitsproduktivität. In den Entwicklungsländern wird der Anstieg der Arbeitsproduktivität natürlich weiterhin eine hohe Priorität besitzen, da sie zu den industrialisierten Ländern aufschließen wollen. Aber sie sollten vermeiden, dies auf Kosten der Ressourcenproduktivität zu tun.
Die nächste Frage ist, wie der neue Kondratjew gestartet werden kann. Müssen wir warten, bis die ganze Welt vom neuen Paradigma überzeugt ist? Können einzelne Länder oder Unternehmen die Vorreiterrolle übernehmen, oder müssen die wichtigsten Konkurrenten alle mitmachen und die Rahmenbedingungen erst so geändert sein, dass Ressourcenproduktivität sofort hochrentabel wird?
Wir meinen, dass Pioniere durchaus sofort loslegen können, ohne dabei ein Risiko bezüglich ihres wirtschaftlichen Ergebnisses einzugehen – aber natürlich behutsam und umsichtig. Philips hat sich 2007 entschieden, im Beleuchtungsgeschäft den Schwerpunkt auf LED (lichtemittierende Dioden) zu legen und Glühbirnen auszumustern. Toyota stellte das erst Hybrid-Serienfahrzeug bereits 1997 vor und war damit auf dem heimischen und in ausländischen Märkten sehr erfolgreich. Véolia Environment und einige japanische Konkurrenten sind ins Geschäft des »city mining«, der Gewinnung wertvoller Metalle aus Deponien, eingestiegen, noch bevor das richtig profitabel war; aber die Zuversicht ist groß, dass es sich lohnt, sobald die Rohstoffflaute seit Ende 2008 vorbei ist. Während der Ölkrise der 1970er Jahre hat Japan durch hohe Strompreise die energieintensive Industrie, wie die Aluminiumgewinnung aus Bauxit, verprellt und emigrieren lassen und feierte dafür in anderen Branchen, wie der Elektronik und der angewandten Optik, fabelhafte Erfolge. Und Deutschland wurde durch das anfänglich von allen Wirtschaftsexperten verhöhnte Erneuerbare-Energien-Gesetz mit großzügigen Einspeisevergütungen Weltmarktführer bei erneuerbaren Energien.
Es ist jedoch unklar, ob diese Pionierleistungen auch erfolgreich gewesen wären, wenn es nicht gewisse Rahmenbedingungen wie die steigenden Ölpreise der 1970er Jahre, hohe Altmetallpreise von 2003 bis 2007 sowie die seit 2004 ernsthaft aufkommende Klimapolitik gegeben hätte – im Unterschied zu den Pionieren der IT-Revolution, die nicht wirklich auf günstige Rahmenbedingungen angewiesen waren, um ihre wunderbaren Produkte äußerst gewinnbringend zu vermarkten.
Politische Rahmenentscheidungen könnten sehr nützlich sein, um den Grünen Kondratjew loszutreten. Diesem Gedanken ist der gesamte zweite Teil dieses Buches gewidmet, in dem die politischen, ökonomischen und psychologischen Rahmenbedingungen besprochen werden, die die Nutzung und rasche Fortentwicklung der aufregenden neuen Effizienztechnologien auf den Weg bringen können. Die Technologien selbst kommen im ersten Teil dieses Buches zu Wort.
Wirtschaftspolitisch sind wir entschieden der Meinung, dass der Übergang zum Grünen Kondratjew bruchlos geschehen sollte, trotz der Radikalität, die in dem Begriff Faktor Fünf steckt. Wir wollen keine Kapitalvernichtung inszenieren. Wir wollen lediglich, dass gutes, frisches Kapital nicht mehr rückwärtsgerichtet, sondern mit Blick nach vorn investiert wird. Dafür ist ein klarer Richtungssinn die allerbeste Voraussetzung. Und wir hoffen, wie oben bereits gesagt, mit diesem Buch dazu beizutragen, dass, nach der schmerzlichen Zeit der bösen Überraschungen und der Orientierungslosigkeit seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, endlich wieder ein glaubwürdiger und verlässlicher Richtungssinn aufkommt: bei Wissenschaftlern, Ingenieuren, Marketing-Experten, Investoren, Politikern und Journalisten. Um den bruchlosen Übergang zu schaffen, brauchen wir natürlich auch eine gut ausgebildete und flexible Arbeiterschaft sowie aufgeklärte Konsumenten.
Die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Ressourcenproduktivität um den äußerst anspruchsvollen Faktor Fünf ist nicht nur eine technische, sondern ebenso eine große gesellschaftliche Herausforderung. Man wird nicht umhinkommen, auch das Bildungssystem und seine Lehrinhalte zu erneuern und die Prioritäten in Politik und Wirtschaft neu zu formulieren. Die guten Nachrichten von Teil I dieses Buches könnten die nötige Ermutigung dafür enthalten.
von Karlson »Charlie« Hargroves und seinem TNEP-Team
Das Buch Faktor Vier ist unser Ausgangspunkt. Anhand von 50 Fallbeispielen aus aller Welt hatte es das Potenzial zu einer dramatischen Verbesserung in der Nutzung von Energie und anderen Ressourcen aufgezeigt. Das Buch hatte Wirkung. Ingenieure fühlten sich inspiriert, Unternehmer herausgefordert, und in der Politik rieben sich viele die Augen. Es entstand ein Gefühl, dass man das Denken über Innovationen, Klimaschutz und Wertschöpfung radikal ändern könnte. Faktor Vier inspirierte uns in Australien, zusammen mit einigen wenigen anderen Büchern, zur Gründung von The Natural Edge Project (TNEP), einer Denkfabrik der Nachhaltigkeit. Wir sahen, dass gewaltige Verbesserungen der Ressourceneffizienz und damit eine große Entlastung der schwer bedrohten Umwelt möglich waren. Und die zugehörigen Ingenieursaufgaben sahen regelrecht aufregend aus. Faktor Vier, das in zwölf Sprachen übersetzt wurde, bewies, wie wichtig es war, dass sowohl Wirtschaft als auch Politik einen Schritt weitergingen: von der Eindämmung von Umweltbelastungen hin zu einer Innovationslawine, die schlussendlich sogar zu einer Vermeidung von Umweltbelastungen führen könnte.
Die Fallstudien in Faktor Vier umfassten:
20 Beispiele der Vervierfachung der Energieproduktivität, unter anderem bei Autos, Gebäuden, Fenstern, unterschiedlichsten Geräten einschließlich Pumpen, Motoren und Klimaanlagen, bei Beleuchtung, Büroausstattung einschließlich Computer bis hin zur Herstellung von Nahrungsmitteln.
15 Beispiele zur Materialproduktivität, etwa durch den Einsatz langlebiger Produkte, E-Books und elektronischer Kataloge, Reduzierung des Materialflusses in der Produktion, Umbau statt Abbruch von Gebäuden, Chemikalienleasing und diverse Recyclingmethoden.
Fünf Beispiele zur Wasserproduktivität, am wichtigsten in der Landwirtschaft (Tröpfchenbewässerung; Baumwollproduktion), in der Industrie sowie in Privathaushalten.
Zehn Beispiele zur Transportproduktivität: Autodesign und Carsharing, ultraleichte Züge, Stadtplanung für Expressbusse, verkehrssparende Logistik, Videokonferenzen und E-Mail-Kommunikation (um Reisen zu vermeiden).
Nun also, 15 Jahre später, ein neues Buch: Faktor Fünf. Wir sehen jetzt sogar ein Potenzial für eine fünffache Erhöhung der Ressourcenproduktivität. Dieses beschreiben wir in Teil I und gehen dabei quer durch die Hauptbereiche der Wirtschaft: Gebäudebau, (Schwer-)Industrie, Landwirtschaft und Verkehr (Online-Branchenstudien aus den Sektoren Papierindustrie, Informationstechnologie sowie Nahrungsmittel- und Gaststättengewerbe ergänzen und unterstützen unsere Thesen; siehe dazu www.factorfiveonline.info). Viele der Verbesserungen, die wir vorstellen, sind rentierlich. Aber wir vermuten, dass eine breite Durchsetzung erst dann erfolgt, wenn die Rahmenbedingungen sich entsprechend verändert haben. Der Markt hat ja auch die Technologien aus Faktor Vier nur sehr zögerlich angenommen.
Faktor Fünf soll Faktor Vier nicht ersetzen, sondern ergänzen, weshalb wir allen, die es noch nicht kennen, raten, auch Faktor Vier noch zu lesen.[27] Die beiden Bücher zusammen zeigen, wo und wie die Ressourcenproduktivität um mindestens 75 bis 80 % gesteigert werden kann. Faktor Fünf konzentriert sich dabei bewusst auf die Sektoren, die weltweit den höchsten Verbrauch an Energie, Wasser und Rohstoffen sowie die höchsten Treibhausgasemissionen verursachen.
Teil I erläutert die technischen Bemühungen um kosteneffektive Verbesserungen der Ressourcenproduktivität. Teil II, im Wesentlichen aus der Feder von Ernst von Weizsäcker, enthält unsere Überlegungen zur politischen Umsetzung und befasst sich unter anderem mit dem Ordnungsrecht, ökonomischen Instrumenten, dem sogenannten Rebound-Dilemma und der kühnen Idee einer sehr langfristig angelegten ökologischen Steuerreform. Und dann geht es ums Eingemachte der Politik: eine neue Balance zwischen privaten und öffentlichen Gütern, und schließlich sogar um die Aufforderung zur Genügsamkeit, oder Suffizienz – bislang ein völliges politisches Tabu.
Das Wichtigste beim Betreten von Neuland ist, erst einmal die richtigen Fragen zu stellen, statt auf den Antworten auf falsche Fragen sitzen zu bleiben. Neudeutsch nennt man das vielleicht ein moderiertes Scoping (bei komplexen Planungs-, Management- und Herstellungsprozessen).
Dieser Prozess beginnt meist mit der Frage »Welches Produkt (oder welche Dienstleistung) wird verlangt, und wie kann man es mit niedrigerer Umweltbelastung zur Verfügung stellen?« Eine solche Frage führt fast unweigerlich zu ganz anderen, neuen Entwürfen, die das Produkt dramatisch ändern können – und dennoch gleichwertige Leistungen bieten. Wie die Branchenstudien in diesem Buch zeigen, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Optionen, die sowohl die Bedürfnisse unserer Gesellschaft befriedigen als auch eine entscheidend geringere Umweltbelastung aufweisen als frühere Lösungen. Martin Dwyer, Direktor der Abteilung praktisches Ingenieurwesen und berufliche Weiterbildung der Institution for Engineers Australia, erklärte bei einem Rückblick auf die Arbeit zu seinem Buch Whole System Design: »In Systemen zu denken und die richtigen Fragen zu stellen eröffnet weit mehr Gestaltungsoptionen und -lösungen, als wir zunächst glauben. Und manche dieser Lösungen bringen durchschlagende Verbesserungen, die über die Summe der einzelnen Verbesserungen weit hinausgehen.«[28]
Um Klienten und Partner zu treffen, nutzen zum Beispiel viele Unternehmen nun Videokonferenzen, um Reisekosten zu mindern. Immer mehr Architekten und Raumgestalter setzen bei der Beleuchtung auf natürliches Licht, lichtleitende Regalböden und technologisch fortgeschrittene Lampen, um energieintensives Licht zu vermeiden. Und viele Restaurants nutzen jetzt hochisolierte Herde, um die Hitzeentwicklung einzudämmen, die ihrerseits eine energiefressende Klimaanlage nötig macht.
Auch im größeren Maßstab tut sich einiges. So arbeiten innovative Unternehmen mit Geopolymer-Zement als Ersatz für den Energiefresser Portlandzement. Stromkonzerne fördern Energieeffizienz bei ihren Kunden und freuen sich über ihre eigenen eingesparten Kapitalkosten von Kraftwerksneubauten. Wer am Anfang eines Entwicklungs- oder auch eines Umrüstungsprozesses die richtigen Fragen stellt, kann rechtzeitig Klarheit über rentablere Strategien gewinnen. Man kommt zu alternativen Wegen zum Ziel, und oft ist die Verminderung von Ressourcennachfrage der Schlüssel zum Erfolg.
Ein Autokonzern sollte sich fragen, was sein Produkt bietet – die Antwort heißt im Wesentlichen Mobilität. Nächste Frage: Gibt es nicht Möglichkeiten, Mobilität und geringere Umweltbelastung miteinander zu verbinden? Damit ist Kern und Ziel unseres Kapitels 5 beschrieben. Viel Mobilität und Komfort mit weniger Auto- (und Flugzeug-)Bedarf. Rasche, komfortable öffentliche Verkehrsmittel sind ein Teil der Lösung. Da können sich »Mobilitätskonzerne« engagieren und gut Geld verdienen. Ähnlich beim Güterverkehr: Man muss doch nicht alle Profite über einen straßenverstopfenden, uneleganten, klimaschädlichen Lkw-Verkehr machen.
Die grundlegende Prämisse von Faktor Vier und Faktor Fünf ist, dass die Menschen nicht Treibstoff oder Autos wollen, nicht Kilowattstunden oder Kohlekraftwerke, nicht Elektronen oder Glühbirnen, nicht Blechbüchsen oder Aludosen, sondern die »Dienstleistung«, die diese Dinge bieten: Mobilität, Energie, Licht oder die Möglichkeit zur Lagerung von Nahrungsmitteln und Getränken. Ein ganzheitlicher Ansatz in Entwicklung, Konstruktion und Design eröffnet ein weites Feld aufregender Möglichkeiten. Statt überbordender Lieferungen von Waren und Dienstleistungen elegante Pakete mit hohem Komfort und wenig Abfall. Und was man an Produkten braucht, kann umweltschonend hergestellt werden, etwa mit erneuerbaren Energien, rezykliertem Metall, Nahrung aus der Nachbarschaft statt über die Ozeane geflogen. Verbraucher/innen brauchen gar nicht viel von all den Veränderungen im Hintergrund zu merken. Der gewünschte Service bleibt ja erhalten. Für Klima und Umwelt eine riesige Entlastung.
Gewiss sollen Konsumenten ihren Wunsch artikulieren, den Naturverbrauch zu reduzieren. Und sie können auch selbst viel dafür tun. Ist das Auto für den Weg zur Arbeit nötig? Wenn die Bahn schneller, billiger und zuverlässiger wäre, könnte man das Auto stehen lassen. Zurzeit ist das vielerorts eine Utopie. Wenn das öffentliche Verkehrssystem aber in geeigneter Weise ausgebaut und ausgestaltet wird, wie das in einigen Städten[29]heute schon der Fall ist, steigen viele um, und Energieverbrauch und Klimabelastung nehmen ab. Die Branchenstudien in Teil I dieses Buches befassen sich mit Bereichen der Wirtschaft, die die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigen: ein Dach über dem Kopf, ein Arbeitsplatz und ein Platz zum Spielen (Gestaltung von Gebäuden, Stahl- und Zementherstellung); Nahrung und Wasser (Methoden und Tätigkeiten der Landwirtschaft); Mobilität und Handel (Verkehr). Dinge, die die Menschen zum Leben brauchen. Dinge oder Dienstleistungen, bei denen die Ressourcenproduktivität kräftig erhöht, der Ressourcenverbrauch und die damit verbundene Umweltbelastung vermindert werden können. An einigen Stellen merkt man dann auch, dass man vieles gar nicht braucht, dass ein anderer Lebensstil möglich und köstlich sein kann. Und manche entdecken sogar die Freuden der Genügsamkeit. Darauf gehen wir in Kapitel 11 ein.
Die Menschheit hat seit Tausenden von Jahren geforscht, verbessert und experimentiert, um die Grundbedürfnisse besser zu befriedigen. Aber bislang stand der Ressourcenverbrauch kaum im Vordergrund der Forschung und Entwicklung. Mit unseren Branchenstudien wollen wir aufzeigen, dass es da noch ein riesiges Terrain weiterer Entwicklung gibt. Das sollten wir uns erschließen. Und es gibt äußerst starke klima- und umweltpolitische Gründe dafür, dass man Ressourcenproduktivität mindestens um einen Faktor Fünf vermehren, also den relativen Energie- und Ressourcenverbrauch um 80 % vermindern sollte. Jede Branchenstudie versucht, einige kritische Punkte abzudecken, die alle Branchen betreffen, einschließlich der folgenden »richtigen Fragen«:
Ist die gegenwärtige Methode, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu liefern, die einzig mögliche?Meistens ist der erste Gedanke, mit Ja zu antworten, doch genauere Untersuchungen führen oft zu einer ganzen Palette von Alternativen – von Systemverbesserungen wie etwa energieeffizienteren Motoren in der industriellen Fertigung bis zu völlig neuen Prozessen wie beispielsweise der Verwendung von Altmetall statt primärer Ressourcen in der Stahlherstellung.
Wenn es doch die einzige Möglichkeit ist: Wo wird am meisten Energie, Wasser und Material verbraucht? Kann der Verbrauch vermindert oder können die eingesetzten Mittel durch umweltfreundlichere ersetzt werden? Die Suche nach Alternativen kann sowohl dem Erfordernis geringerer Umweltbelastung als auch dem strategischen Gesichtspunkt eines Wettbewerbsvorteils durch Verringerung der Energie- und Materialkosten entspringen, die, wenn man die Verfügbarkeit und die Umweltbelastung mit einrechnet, in Zukunft unweigerlich steigen werden.
Wenn es nicht die einzige Möglichkeit ist: Welche der Alternativen ist profitabel bei gleichzeitig niedrigerem Ressourceneinsatz und geringerer Umweltbelastung?
In Kapitel 3 zeigen wir zum Beispiel, dass aus Geopolymeren Zement mit 80 % weniger Energieaufwand hergestellt werden kann und dabei die bei der Herstellung von herkömmlichem Portlandzement unweigerlichen Treibhausgasemissionen weitgehend vermieden werden.
Sind die anfänglichen Fragen nach der besten Möglichkeit, den Anforderungen gerecht zu werden, beantwortet, muss das daraus konzipierte Verfahren oder Modell an der Messlatte des besten Verfahrens oder Geschäftsmodells gemessen werden, um das Leistungspotenzial zu ergründen. Hat man sich zum Beispiel für ein hochmodernes unterirdisches Tröpfchenbewässerungssystem entschieden (wie in Kapitel 4 vorgestellt), müssen Planer und Konstrukteure die Anwendungsmöglichkeiten dieses Systems verstehen, um sein Potenzial erfassen und die Betriebsparameter ermitteln zu können. Allerdings wird in vielen Fällen das neue Konzept Teil einer Flut von Innovationen sein, wie in der Einleitung erklärt, und so wird man kaum auf Erfahrungen zurückgreifen können. Und selbst wenn es bewährte Vorreiter der Entwicklung gibt, darf man nicht damit rechnen, dass ihre Erfahrung bereits Eingang in Universitäten oder die berufliche Fortbildung gefunden hat. Wie die Internationale Energieagentur (IEA) 2006 berichtete, »ist der Energieaufwand der meisten industriellen Prozesse um mindestens 50 % höher als das durch die Gesetze der Thermodynamik ermittelte theoretische Minimum. Viele Prozesse haben eine weit niedrigere Energieeffizienz, und der durchschnittliche Energieverbrauch ist viel höher als der der besten verfügbaren Technologie.«[30]
Obwohl Entwürfe fernab etablierter Lösungen eine Herausforderung sind, können sie große Gewinne verheißen. Denn der Zwang, Umweltbelastungen zu vermeiden, wird in der Zukunft immer weiter zunehmen. Alan Pears vom Royal Melbourne Institute of Technology stellt fest: »Ich habe Benchmarking und Modellbildung als Teil einer ganzheitlichen Herangehensweise bei Entwicklungen genutzt und dadurch die Ressourceneffizienz von Produkten und industriellen Prozessen oft um einen Faktor Zwei oder mehr verbessert. Eine interessante Folge der ganzheitlichen Herangehensweise ist ein drastisch reduzierter Bedarf an Schadstoffkontrolle von Luft, Böden und Gewässern – lokal und für die weitere Umwelt.«
Beim Design muss man auch darauf achten, was für ein Nutzen am Ende des Produktlebenszyklus bleibt.[31]Man sollte Gebäude so entwerfen, dass das Baumaterial nach einem Abbruch wiederverwendet werden kann. Analog sollte bei Gebrauchsgütern und Fahrzeugen eine möglichst hohe Rezyklierbarkeit der eingesetzten Stoffe gewährleistet sein. Systeme sollten so konstruiert sein, dass erneuerbare Energien zum Zuge kommen können. Kapitel 5 zeigt, wie man die Treibstoffeffizienz von Autos wesentlich verbessert. Erst dann machen die erneuerbaren Energien wirklich Sinn. General Motors’ neues Steckdosen-Hybridauto namens Voltec kann mit Strom, Benzin, Agrotreibstoffen oder Wasserstoff betrieben werden und ist für alle Treibstoffmischungen gerüstet, die man auf künftigen Märkten erwartet.
In ihrem einflussreichen Buch Öko-Kapitalismus haben Amory und Hunter Lovins sowie Paul Hawken erläutert, dass viele der heutigen Lösungen, wiewohl auf eine optimierte Entwicklung ausgerichtet, weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, und dies aus folgenden drei Gründen: 1. Einzelne Komponenten werden unabhängig voneinander optimiert. 2. Die Suche nach Optimierung konzentriert sich üblicherweise auf einen statt auf mehrere Nutzen. 3. In den seltensten Fällen wird die optimale Abfolge von Entwicklungsschritten berücksichtigt.[32]
Aufbauend auf den Arbeiten von Amory Lovins, Alan Pears, Ernst von Weizsäcker, William McDonough, Michael Braungart, Ben Blanchard, Michael Porter, John Todd und Janis Birkeland, skizziert das Buch Whole System Design[33] von TNEP eine ganze Reihe von Elementen eines ganzeinheitlichen Ansatzes zu großen Verbesserungen der Ressourcenproduktivität, nämlich:
die richtigen Fragen stellen,
mit dem optimalen System vergleichen,
das System als Ganzes entwerfen und optimieren,
Rechenschaft über alle messbaren Einflüsse ablegen,
Subsysteme in der richtigen Reihenfolge entwickeln und optimieren,
und zwar so, dass eine aufeinander abgestimmte Ressourcenschonung erreicht wird,
das System auf potenzielle Verbesserungen hin überprüfen, das System anpassen,
technologische Neuerungen aufspüren und
den Boden für künftige Optionen bereiten.
Der Schwerpunkt von Faktor Fünf ist jedoch nicht wie der von Whole System Design die Methodologie. Vielmehr wollen wir Ingenieuren, Innovatoren, Managern und Politikern die konkrete Vision einer dramatischen Verbesserung der Energie- und Ressourcenproduktivität vermitteln. Dazu dient einmal der Durchgang durch die Branchen mit den höchsten Energie-, Wasser- und Materialverbräuchen. Das ist Teil I. Und dann behandeln wir die völlig unvermeidliche strategische und politische Steuerung des Prozesses auf der Ebene der Politik, der Branchenverbände und der ganzen Zivilisation. Das ist dann Teil II des Buches.
Unserer wunderbaren Erde bleibt nicht mehr die Zeit für endlos lange Versuche, Forschungen und Debatten, bevor wir die nächsten wirkungsvollen Schritte unternehmen, die Umweltbelastung zu reduzieren. Wir müssen heute und wir müssen schnell aus den Erkenntnissen und Erfahrungen aus allen Ecken der Welt lernen und das vereinte Wissen gemeinsam für die großen Verbesserungen der Ressourcenproduktivität in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nutzen.
Es lohnt sich besonders, die neuen Materialwissenschaften strategisch einzusetzen. Neuartige Dämmstoffe drücken den Energieverbrauch von Gebäuden und Kühlschränken nach unten, Faserkunststoffe machen Fahrzeuge viel leichter, und die Festkörperphysik hat die lichtemittierenden Dioden (LED) hervorgebracht. Man muss die Herstellungsprozesse aller Waren ökologisch verstehen und optimieren, denn wenn der Endverbraucher das Produkt kauft, sind schon 80 bis 90 % der ökologischen Schäden und Lasten eingetreten. So liest man es in Öko-Kapitalismus.[34] Um im heutigen kurzen Zeitfenster all die nötigen Informationen zusammenzubringen, braucht es einen strategisch durchdachten Rahmen.
Für Teil I des Buches, die Branchenstudien, haben wir uns an der Matrix der Verminderung von Treibhausgasen aus dem Vierten Sachstandsbericht[35] der IPCC orientiert, in dem acht Schlüsselstrategien eine Rolle spielen[36]:
Energieeffizienz,
Übergang zu klimaneutralen Treibstoffen,
Rückgewinnung von Wärme und Strom,
Erneuerbare Energien,
Recycling,
Produktverbesserungen,
Materialeffizienz,
Verminderung anderer Treibhausgase als CO2.